Robert von Melun (ca. 1100-1167) benennt die Freiheit als typisches
Merkmal des Menschen
[1] Denn es ist nicht so, wie manche Leute glauben, dass die freie
Entscheidung als die Fähigkeit zu definieren ist, sich zum Guten und zum
Bösen zu wenden. Denn wenn diese Definition der freien Entscheidung
ausreichend wäre, dann hätten weder die gefestigten noch die verdammten
Geister freie Entscheidung, weil sich weder die gefestigten Geister zum
Bösen wenden können noch die verdammten Geister zum Guten. [...] Die
freie Entscheidung ist ein Gut der Schöpfung und eine große Würde der
rationalen Natur, ohne die sie überhaupt nicht rational sein könnte. [2] Aber wenn diese die Teile der freien Entscheidung sind, ohne welche es diese nicht geben kann, kann offensichtlich keine Definition der freien Entscheidung angegeben werden, der gemäß die freie Entscheidung in Gott vorhanden sein kann. Denn in ihm kann es keine Macht zu sündigen geben. Denn er allein tut, bar jeglichen Zwangs und ohne eine Verpflichtung durch irgendeine Rechenschaft, was er tun will, und unterlässt, was er unterlassen will, und daher besteht in ihm nicht nur eine freie Entscheidung, sondern sogar die allerfreieste.
Robert von Melun über das Problem der menschlichen Identität
[1] Seele und Fleisch sind nämlich eine Person aus der personalen
Vereinigung und nicht aus der substantiellen Identität heraus, so wie auch
ein Mensch die menschliche Seele und das menschliche Fleisch ist, weil sich
aus ihrer Vereinigung miteinander der Grund ergibt, warum etwas ein
Mensch ist und so genannt werden kann.
[2] Es ist aber ein Mensch, der sagt, er diene dem Gesetz Gottes und im
Fleisch dem Gesetz der Sünde (Röm 7) [...]. Denn der innere und äußere
Mensch ist ein Mensch, weil in der Einheit der Person das zusammenkommt,
was ein Mensch ist, über den Verschiedenes ausgesagt wird wegen der
verschiedenen Substanzen, die in der Identität der Person in diesem
Menschen verbunden sind. [...]
[3] Denn nicht auf falsche Weise wird gesagt, Petrus sei in Rom und im
Himmel, sondern wir bitten ihn, der im Himmel existiert, für uns zu beten,
wenn wir sagen „Heiliger Petrus, bitte für uns“, und wir verehren ihn, der in
Rom liegt, mit der schuldigen Frömmigkeit und sagen, dass der, der im
Himmel verherrlicht ist, kein anderer ist als der, der in Rom begraben ruht.
Der Universitätslehrer Robert von Melun (ca. 1100-1167) begründet die Verschiedenheit von Wille und Vernunft aus dem Sprachgebrauch heraus
Denn die ganze Bibel und jeglicher Sprachgebrauch von Leuten, die mit Bedacht sprechen, schreibt der Vernunft das Unterscheidungsvermögen (discretio) zu und dem Willen das Streben (appetitus), und das nicht zu Unrecht, denn wir unterscheiden mit der Vernunft und streben mit dem Willen, und daher gehört die Unterscheidung zur Vernunft und das Streben zum Willen. [...] Es ist klar, dass diejenigen, die Seelenkräfte durcheinanderbringen, die sagen, der Vernunft komme das Wollen zu und dem Willen das Urteilen.
Robert von Melun (1100-1167) führt, vor Bekanntwerden von Aristoteles’ Seelenlehre, in seiner Sentenzensumme in eine typische Behandlung des Menschen ein, wie sie im 12. Jahrhundert, vor Bekanntwerden von Aristoteles und Avicenna, bei den Lateinern üblich war
[1] Eines […] von dem, was in der Hauptaufzählung der begonnenen Abhandlung dargelegt wurde […], habe ich, soweit ich konnte, von Zweifel befreit, nämlich die Ursache für die Schöpfung des Menschen […]. Und daher […] ist das, was den zweiten Platz in der Aufzählung hat […], wie der Mensch geschaffen wurde, in einer sorgfältigen Untersuchung zu verfolgen. […]
[2] Der Mensch wurde nun aus zwei Substanzen geschaffen, nämlich einer körperlichen und einer anderen unkörperlichen. Insofern er aus einer körperlichen besteht, hat er mit den anderen Lebewesen die Teilhabe an der Natur gemeinsam. Aber in der Zusammensetzung der Form weist er einen Unterschied zu anderen Lebewesen auf. Denn diese haben eine zur Erde geneigte und tendierende Form, womit bezeichnet ist, dass von ihnen nichts erstrebt werden muss außer dem Irdischen. Die Form des Menschen aber ist hoch aufgerichtet […], wodurch deutlich angezeigt wird, dass er das schmecken soll, was oben ist, und mit ganzem Bemühen des Geistes dorthin tendieren, wo Christus zur Rechten des Vaters sitzt.