Der Mönchsvater Evagrios Pontikos (ca. 345-399) regt seine Leser an, das Christentum als Verbindung philosophischer Disziplinen zu begreifen
1. Das Christentum ist die Lehre von unserem Erlöser Christus, die aus der praktischen, der physischen und der theologischen Disziplin besteht.
2. Das ,Königreich der Himmel‘ (Matthäus 13, 11) ist die Leidensfreiheit der Seele verbunden mit wahrer Erkenntnis alles Seienden.
3. Das ,Königreich Gottes‘ (Markus 4, 11)* ist die Erkenntnis der heiligen Trinität, die mit der Zusammenstellung des Geistes gemeinsam ausgedehnt ist und seine Unzerstörbarkeit überragt.
*Beide Bibelstellen sind exakte Parallelen, an denen die Evangelisten nur andere Ausdrücke für das Reich Gottes wählen.
Der christliche Theologe Gregor von Nyssa über die Gotteserkenntnis
Die folgende Entwicklung des Arguments führt die Seele zu etwas Größerem, zur Philosophie über das Seiende. Sie zeigt nämlich, dass alles miteinander verbunden ist und dass die Harmonie des Seienden keine Auflösung kennt, sondern dass es eine Art Zusammenatmen von allem miteinander gibt. [...] Im Sein bleibt aber alles, was durch die Kraft des wahrhaft Seienden beherrscht wird. Das wahrhaft Seiende ist aber die Güte selbst oder irgendeine noch höhere Bezeichnung, die sich vielleicht jemand für die unsagbare Natur ausdenkt.
Während die Kappadokier erläutern, warum ein Gott korrekterweise in drei Personen bestehen kann, begründen sie die modernen Begriffe ,Person‘ und ,Individuum‘, wie sich an diesem Text Gregor von Nyssas zeigt
[1] Wenn der Name ,Gott‘ eine Person [wörtl.: Gesicht, Maske] bezeichnen würde, würden wir, wenn wir von drei Personen sprechen, notwendigerweise drei Götter aussagen. Wenn aber der Name ,Gott‘ eine Substanz bezeichnend ist, dann legen wir richtig einen Gott als Dogma fest, weil wir eine Substanz der heiligen Trinität bekennen. [...]
[2] Wenn aber jemand sagen sollte, dass wir Peter und Paul und Barnabas als drei einzelne Substanzen bezeichnen – denn dies sei die eigentümlichere Begriffsverwendung –, mag er wissen, dass wir, wenn wir von einer einzelnen Substanz, d.h. einer speziellen, sprechen, wir nichts anderes bezeichnen wollen als ein Individuum, was dasselbe ist wie eine Person. [...] [3] Aber über die heilige Dreifaltigkeit [...] müssen [...] immer dieselben Personen und nicht jeweils andere ausgesagt werden, weil sie sich gleich und ebenso verhalten und weder eine Hinzufügung zu einer Vierzahl noch eine Veränderung zu einer Zweizahl aufnehmen. Denn weder entsteht aus dem Vater noch aus irgendeiner der [drei göttlichen] Personen eine andere Person oder geht [aus ihm] hervor, noch endet eine dieser drei Personen jemals.
Barḥaḏbšabbā (um 600), ein Lehrer an der christlichen Schule von Nisibis im Perserreich, erklärt die Fähigkeiten unserer Seele
Diese rationale und erleuchtete Intelligenz ist eine Ähnlichkeit zu Gott ihrem Schöpfer. [...] Im Hinblick darauf, dass unsere Rede auf diese Intelligenz zielt, die in uns ist, wollen wir sehen, wie sie in uns ist, und welches ihre Wohnstätte ist. [...] Es ist dann folglich ihre Ursache und ihr Fundament die Seele, welche in uns gebunden ist. Das, was an Erkenntniskräften (an) ihr ist, sind drei: Verstand, Denken und Meinen. Aus diesen gehen drei andere hervor, und zwar Begehren, Zornmut und Wollen. Die Intelligenz aber steht oberhalb von ihnen allen, wie der weise Wagenlenker, der geschickte Steuermann, der in die Ferne schaut, und sein Schiff, das diese Schätze trägt, fernhält von den Felsen des Irrtums und von den Nebeln der Unkenntnis, indem der erste und theoretische Teil [S. 342] die Erkenntniskräfte reinigt, so dass sie nicht etwas für ein anderes erkennen (= halten) , sondern die Wahrheit und die Bestimmtheit der Dinge erkennen. Durch den anderen, den praktischen Teil wiederum reinigt sie die Lebenskräfte und bereitet sie vor, dass ihre Lebensführung hierin nicht in unnützen Dingen besteht, sondern dass ihre Bewegungen richtig und trefflich erfolgen.
Barḥaḏbšabbā stellt die Bedeutung des christlichen Kirchenvaters Theodor von Mopsuestia heraus, des Begründers der in Nisibis gelehrten Tradition der Kirche des Ostens
a) Denn bis zu der Zeit, zu der die Gnade diesen Mann zum Existieren und Wohnen unter den Menschen gebracht hatte, waren alle Teile der Lehre, der Erklärungen und der Traditionen der Heiligen Schriften, gleich den verschiedenen Arten, aus denen das Bildnis des Königs der Könige gemacht ist, verteilt und verstreut an jedem Ort, konfus und ungeordnet bei sämtlichen früheren Schriftstellern und katholischen Vätern der Kirche. Nachdem dieser Mensch das Gute vom Bösen unterschieden und sämtliche Schriften und Überlieferungen der Alten durchforscht hatte, da sammelte er, nach Art eines geschickten Arztes, sämtliche [S. 379] Traditionen und Aphorismen, die zerstreut waren, zu einer einzigen Vollkommenheit, setzte sie dem Handwerk und dem Intellekt gemäß zusammen und fertigte aus ihnen ein vollkommenes Heilmittel an Lehre, vollkommen in Tugenden – dasjenige, das die schweren Krankheiten des Nicht-Wissens ausreißt und entfernt von den Meinungen derer, die sich ernsthaft mit seinen Schriften befassen. Denn obwohl es Krankheiten und Leiden in unserem Körper gibt, so gibt es doch unter allen Leiden keines, das böser und bitterer ist für die Seelen der Menschen, als die Krankheit des Nichtwissens. b) Und ebenso wie diejenigen, die eine Statue herstellen, jedes einzelne Glied der Gestalt für sich herstellen, sodann eines nach dem anderen zusammen-setzen, wie es die Ordnung des Handwerks erfordert, und eine vollkommene Statue machen, so kombinierte auch der selige Theodor, ordnete und passte ein, und setzte jedes einzelne Glied dieser Lehre in die Ordnung, welche die Wahrheit erfordert, und erstellte aus ihnen durch alle seine Schriften eine vollkommene und wunderbare Gestalt von diesem Wesen, das Herr der Güter ist.