Avicenna erklärt die Begriffe ,notwendig‘ und ,möglich‘
[1] Es ist für uns gewiss ebenfalls zu schwer, den Inhalt von ,notwendig‘, ,möglich‘ und ,unmöglich‘ durch eine die Wesenheit angebende Definition (taʿrīf muḥaqqiq) zu bestimmen, sondern das geht nur mittels eines Hinweises. Alles, was über die Definition von ihnen in dem gesagt wurde, was dich von den antiken Philosophen erreichte, endet quasi notwendigerweise in einem Zirkel. [...] Wenn sie ,möglich‘ definieren wollten, zogen sie entweder ,notwendig‘ oder ,unmöglich‘ zu seiner Definition heran [...], und wenn sie ,notwendig‘ definieren wollten, zogen sie zu seiner Definition entweder ,möglich‘ oder ,unmöglich‘ heran. [...]
[2] Aber das erste dieser drei, insofern davon zuerst ein Begriff gebildet wird, ist ,notwendig‘ (wāǧib). Das liegt daran, dass ,notwendig‘ die Festigkeit der Existenz bezeichnet, und die Existenz ist bekannter als die Nicht-Existenz, weil die Existenz in sich selbst erkannt wird, während die Nicht-Existenz irgendwie durch die Existenz erkannt wird.
Avicenna folgert, dass die Existenz als etwas Mögliches (d.h. Denkbares) ewig besteht
Was das Mögliche betrifft, so ist hieraus seine Besonderheit klar geworden, und zwar dass es unbedingt eines anderen bedarf, dass es zu einem im Akt existierenden macht. Alles, was im Hinblick auf die Existenz möglich (mumkin al-wuğūd) ist, das ist hinsichtlich seines Wesens ewig ein möglich Existierendes. Aber manchmal stößt es ihm zu, dass seine Existenz durch etwas anderes notwendig wird. Dies stößt ihm nun entweder ewig zu, oder die Notwendigkeit seiner Existenz stammt von einem anderen auf nicht ewige Weise, sondern zu einer Zeit, aber nicht zu einer anderen Zeit.
Avicennas Gottesbeweis aus der Notwendigkeit und al-Ġazālīs Kritik daran
[1] Wenn gesagt wird:
„Der entscheidende Beweis (al-burhān al-qātiʿ) für die Unmöglichkeit von Ursachen bis in die Unendlichkeit besteht in der Aussage: 'Jede einzelne der individuellen Ursachen ist in sich entweder möglich oder notwendig.' Aber wenn sie notwendig sind, dann brauchen sie keine Ursache. Aber wenn sie möglich sind, dann ist das All (al-kull) durch Möglichkeit charakterisiert. Und jedes Mögliche braucht eine Ursache außerhalb seiner selbst. Also braucht das All eine Ursache außerhalb seiner selbst.“,
dann sagen wir:
„Die Ausdrücke ,möglich‘ und ,notwendig‘ sind unklare Ausdrücke, es sei denn, man versteht unter ,notwendig‘ ,das, dessen Existenz keine Ursache hat‘ und unter ,möglich‘ ,das, dessen Existenz eine Ursache hat‘. Wenn sie aber so verstanden werden, dann kehren wir zu dieser Aussage zurück, so dass wir sagen: ,Jedes Einzelne ist möglich in dem Sinn, dass es eine Ursache zusätzlich zu sich selbst hat‘; doch das All ist nicht möglich, und zwar in dem Sinn, dass es keine Ursache zusätzlich zu sich selbst hat, die außerhalb von ihm wäre [folglich ist es notwendig]. Aber wenn ich mit ,möglich‘ etwas anderes meine, als wir darunter gemeint haben, so ist dies unverständlich."
[2] Wenn dann gesagt wird:
„Aber das würde dazu führen, dass das notwendig Existierende (wāǧib al-wuǧūd) die möglich existierenden Dinge für seinen Bestand voraussetzte, und das ist unmöglich.“,
dann sagen wir:
„Wenn ihr mit ,notwendig‘ und ,möglich‘ das meint, was wir genannt haben, ist das genau das Ergebnis. Aber wir geben nicht zu, dass es unmöglich ist. [...] Man kann über jedes Einzelne sagen, dass es eine Ursache hat und doch der Gesamtheit keine Ursache zusprechen. Denn nicht alles, was für die Individuen richtig ist, ist zwingend auch für die Gesamtheit richtig“.
Al-Ġazālī begründet seine Zweifel am Konzept der Kausalität mit der Möglichkeit eines alternativen Modells
[1] Nach unserer Meinung ist die Verknüpfung (al-iqtirān) zwischen dem, was man gewöhnlich (fī l-ʿāda) für eine Ursache hält, und dem, was man für eine Wirkung hält, nicht notwendig (ḍarūrī). Vielmehr folgt bei zwei Dingen, die nicht miteinander identisch sind und bei denen die Annahme bzw. Bestreitung des einen nicht die Annahme bzw. Bestreitung des anderen einschließt, niemals mit Notwendigkeit (ḍarūra) aus der Existenz des einen die Existenz des anderen bzw. die Nicht-Existenz des einen mit Notwendigkeit aus der Nicht-Existenz des anderen. [...]
[2] Ihre Verknüpfung kommt zustande, weil Gott – erhaben ist er! – sie aufgrund seiner vorherigen Bestimmung in einer Aufeinanderfolge (ʿalā l-tasāwuq) erschafft, nicht deswegen, weil sie aus sich heraus notwendig und unauflöslich wäre (li-kawnihi ḍarūrīyan fī nafsihi ġayra qābilin li-l-farq). Vielmehr steht es in [Gottes] Macht, die Sattheit ohne das Essen zu schaffen, den Eintritt des Todes ohne einen tiefen Schnitt im Nacken zu erschaffen und das Leben [eines Menschen] trotz dieses tiefen Schnitts andauern zu lassen; das gilt für sämtliche Dinge, die miteinander verknüpft sind. Die falāsifa verneinen diese Möglichkeit und behaupten dies sei unmöglich.
Al-Ġazālī erklärt, dass man aus Beobachtung nicht auf Kausalität schließen kann
Was das Feuer betrifft, ein lebloses Wesen, so wirkt es nicht auf [Brennbares]. Denn was ist der Beweis (ad-dalīl), dass es das Wirkende ist? Sie haben keinen anderen Beweis als die Beobachtung des Entstehens einer Flamme bei Kontakt mit dem Feuer. Aber die Beobachtung beweist nur das Entstehen bei ihm, sie beweist nicht das Entstehen durch es und dass es keine andere Ursache als dieses gibt.
Baruch de Spinoza beginnt das erste Buch seiner Ethik, indem er die vorausgesetzten Definitionen und Axiome angibt
Definitionen.
I. Unter Ursache seiner selbst verstehe ich das, dessen Sosein die Existenz in sich schließt, oder das, dessen Natur nicht anders als existierend begriffen werden kann. [...]
III. Unter Substanz verstehe ich das, was in sich ist und aus sich begriffen wird. [...]
V. Unter Modus verstehe ich die Affektionen der Substanz, oder das, was in einem andern ist, wodurch man es begreift.
VI. Unter Gott verstehe ich ein absolut unendliches Seiendes, d.h. eine Substanz, die aus unendlichen Attributen besteht, von denen jedes ein ewiges und unveränderliches Sosein ausdrückt. [...]
VII. Dasjenige Ding heißt frei, das aus der bloßen Notwendigkeit seiner Natur da ist und allein von sich zum Handeln bestimmt wird; notwendig aber, oder vielmehr gezwungen, dasjenige, was von einem andern bestimmt wird, auf gewisse und bestimmte Weise zu existieren und zu wirken. [...]
Axiome.
I. Alles was ist, ist entweder in sich oder in einem andern.
Spinoza begründet die notwendige Existenz Gottes
Lehrsatz 11. Gott oder die aus unendlichen Attributen bestehende Substanz, von denen ein jedes ewige und unendliche Wesenheit ausdrückt, existiert notwendig. [...]
Erläuterung: Es genügt, nur dies zu bemerken, dass ich hier nicht von Dingen spreche, welche aus äußeren Ursachen entstehen, sondern allein von Substanzen, welche (nach Lehrsatz 6) von keiner äußeren Ursache hervorgebracht werden können. Denn Dinge, welche aus äußeren Ursachen entstehen [...], verdanken all das, was sie an Vollkommenheit oder Realität haben, der Kraft der äußeren Ursache. [...] Was hingegen die Substanz an Vollkommenheit hat, verdankt sie keiner äußeren Ursache. [...] Die Vollkommenheit hebt daher die Existenz eines Dinges nicht auf, sondern setzt sie vielmehr; die Unvollkommenheit aber hebt dieselbe auf, und deshalb können wir der Existenz keines Dinges gewisser sein, als der Existenz des schlechthin unendlichen oder vollkommenen Seienden, d.h. Gottes.
Spinoza erklärt alle anderen Substanzen zu Attributen Gottes
Lehrsatz 14: Außer Gott kann es keine Substanz geben und lässt sich keine begreifen.
Beweis: Da Gott das schlechthin unendliche Seiende ist, welchem kein Attribut, das das Sosein der Substanz ausdrückt, abgesprochen werden kann (nach Definition 6), und er notwendig existiert (nach Lehrsatz 11), so müsste, wenn es eine Substanz außer Gott gäbe, diese durch ein Attribut Gottes erklärt werden müssen [...]; also kann es auch keine Substanz außer Gott geben und folglich auch keine begriffen werden. [...]
Spinoza erklärt die Unendlichkeit der Wirklichkeit aus der Unendlichkeit Gottes
Lehrsatz 16: Aus der Notwendigkeit der göttlichen Natur muss Unendliches auf unendliche Weisen (d.h. alles, was Gegenstand des unendlichen Intellekts sein kann) folgen.
Beweis: Dieser Satz muss jedem deutlich sein, wenn er nur darauf achtet, dass der Intellekt aus der gegebenen Definition eines jeden Dinges auf mehrere Eigenschaften schließt, welche wirklich aus demselben (d.h. aus dem Sosein des Dinges selbst) notwendig folgen.
Spinoza begründet die Notwendigkeit, die der Entstehung der Welt innewohnt
Lehrsatz 33: Die Dinge haben auf keine andere Weise und in keiner anderen Ordnung von Gott hervorgebracht werden können, als sie hervorgebracht worden sind. [...]
Erläuterung. [...] Ich zweifle nicht, dass viele diese Meinung als widersinnig verwerfen [...], und das aus keinem andern Grunde, als weil sie gewohnt sind, Gott eine andere Freiheit zuzuschreiben, welche von der, die wir (Definition 7) angegeben haben, weit entfernt ist, nämlich einen absoluten Willen. [...] Dass die Dinge auf keine andere Weise und in keiner andern Ordnung von Gott haben erschaffen werden können [...], wird leicht zu zeigen sein. [...] Denn sonst würde er der Unvollkommenheit und Unbeständigkeit angeklagt. Da es aber im Ewigen kein ,wann‘, kein ,vorher‘ und kein ,nachher‘ gibt, so folgt deshalb allein aus der Vollkommenheit Gottes, dass Gott nie etwas anderes beschließen könne noch je gekonnt habe. [...].
Darum kann ich das Argument gegen sie selbst folgendermaßen zurückwenden. Alles hängt von der Macht Gottes ab. Damit sich die Dinge also anders verhalten können, müsste notwendig der Wille Gottes sich auch anders verhalten. Nun kann sich der Wille Gottes aber nicht anders verhalten (wie wir oben aus Gottes Vollkommenheit aufs Deutlichste gezeigt haben), also können sich auch die Dinge nicht anders verhalten.