Die Erreichbarkeit der Tugend nach Seneca
Denn auch dies zeichnet Sextius aus, dass er Dir gewiss sowohl die Größe des glücklichen Lebens zeigen als auch keine Verzweiflung an seiner Möglichkeit bewirken wird. Du wirst wissen, dass dieses ganz oben steht, aber dem, der will, zugänglich ist. Dasselbe wird Dir die Tugend selbst darbieten, dass Du sie bewunderst und dennoch erhoffst.
Seneca über das Verhältnis des Menschen zum Tod und seine Maxime über das Sterben
Schneller oder langsamer zu sterben tut nichts zur Sache; gut oder schlecht zu sterben, das tut etwas zur Sache. Gut zu sterben heißt aber, die Gefahr, schlecht zu leben, zu fliehen.
Seneca über die praemeditatio malorum (das gedankliche Vorwegnehmen von Schlechtem)
Wenn Du jede Sorge ablegen willst, dann stelle Dir all das als geschehend vor, von dem Du fürchtest, es könnte geschehen. Und was auch immer dieses Übel ist, vermesse es für Dich und schätze Deine Furcht: Du wirst gewiss erkennen, dass das, was Du fürchtest, entweder nicht groß oder nicht lang andauernd ist.
Seneca über den gesellschaftlichen Nutzen des Rückzugs aus der Öffentlichkeit
Verberge Dich in Muße, aber verberge auch die Muße selbst; du kannst wissen, dass Du, wenn Du dies tun wirst, wenn schon nicht einer Vorschrift, so doch dem Vorbild der Stoiker folgst. Aber Du tust es auch aus einer Vorschrift: Das wirst Du bei Dir und bei dem Du willst billigen. Weder schicken wir jemanden zu jedem Staat, noch tun wir dies immer, noch endlos; außerdem ist der Weise, wenn wir ihm einen Staat geben, der seiner würdig ist, nämlich die Welt, auch dann, wenn er sich zurückgezogen hat, nicht außerhalb eines Staates, sondern vielleicht geht er, wenn er eine Ecke verlassen hat, in Größeres und Weiteres über.
Die stoische Lebenshaltung nach Seneca (Antike Philosophie II) <br />
Lucius Annaeus Seneca über das stoische Lebensideal (Gesetz und Gewissen)
Führe, o Vater, und Herrscher des hohen Himmels
Wohin immer Du magst; beim Gehorchen gibt es kein Zögern,
eifrig bin ich bereit; will ich nicht, so folge ich stöhnend
und als Schlechter erleid’ich, was zu tun dem Guten erlaubt war.
Den Willigen führen die Schicksale, den Unwilligen ziehen sie.
Geistliche Übungen bei Seneca
Sextius tat dies, dass er zum Abschluss des Tages, wenn er sich zur nächtlichen Ruhe zurückzog, seinen Geist fragte: ,Welchen deiner Fehler hast Du heute geheilt? Welchem Laster bist Du entgegengetreten? An welchem Teil bist Du nun besser?‘ [...] Der Geist wurde entweder gelobt oder ermahnt, und als Betrachter und heimlicher Beurteiler seiner selbst erkannte er seine Sitten.
Ich nutze diese Fähigkeit täglich und spreche bei mir selbst Recht. Wenn das Licht aus dem Gesichtskreis verschwunden und meine Gattin, die meine Sitte schon kennt, still geworden ist, prüfe ich meinen ganzen Tag und ermesse meine Taten und Worte; nichts verberge ich vor mir selbst, nichts umgehe ich.
Der stoische Philosoph Lucius Annaeus Seneca (ca. 1-65 n. Chr.) gibt die stoische Ansicht über die Philosophie als Weg zur Freiheit wieder
,Du kannst den Notwendigkeiten nicht entfliehen, du kannst sie besiegen, es entsteht ein Weg‘. Und diesen Weg gibt Dir die Philosophie. Zu dieser begib dich, wenn du heil, wenn du sicher, wenn du glücklich sein willst, ja wenn du, was das Größte ist, frei sein willst. Das kann nicht anders geschehen. Eine niedrige Sache ist die Dummheit, verworfen, schmutzig, sklavisch, vielen und äußerst wilden Emotionen unterworfen. Diese so schwer lastenden Herren, manchmal einander befehlend, manchmal gleichwertig, entfernt die Weisheit von Dir, die allein die Freiheit ist. [...] Wenn du dir alles unterwerfen willst, unterwirf dich der Vernunft; viele wirst du regieren, wenn die Vernunft dich regiert.
Seneca über die Veränderung als Grundbedingung des philosophischen Lebens
Ich bemerke, Lucilius, dass ich nicht nur verbessert, sondern verwandelt werde; und ich verspreche nicht oder hoffe, dass nichts in mir übrig ist, was verändert werden muss. [...] Genau dies ist ja ein Zeichen für einen zum Besseren hingeführten Geist, dass er seine Fehler sieht, die er bisher nicht kannte.
Der Anfang von Senecas Briefen an Lucilius
Mach es so, mein lieber Lucilius: befreie Dich für Dich und bewahre und sammle die Zeit, die bis jetzt entweder weggenommen oder heimlich entrissen wurde oder entfiel.
Seneca über die Bedeutung des gemeinsamen Lebens für den Philosophen
Eine lebendige Stimme und das gemeinsame Leben nützen Dir mehr als eine Rede; Du musst zu einer gegenwärtigen Sache kommen, erstens weil die Menschen eher den Augen als den Ohren glauben, zweitens weil der Weg durch Vorschriften lang ist, durch Beispiele kurz und effektiv. Kleanthes hätte Zenon nicht nachgeahmt, wenn er ihn nur gehört hätte: Er nahm an seinem Leben teil, schaute seine Geheimnisse, beobachtete ihn, ob er nach seiner Regel lebte.
Seneca über das als-ob als Grundprinzip der philosophischen Entwicklung
,Wir sollen einen guten Menschen lieben und uns ihn immer vor Augen halten, damit auf diese Leise so leben, als ob er zuschauen würde‘. Das, mein lieber Lucilius, hat Epikur vorgeschrieben; er gab uns einen Wächter und Erzieher, und zwar zu Recht: Ein großer Teil der Vergehen wird aufgehoben, wenn ein Zeuge denen zur Seite steht, die auf dem Weg zum Vergehen sind.
Seneca über eine falsche philosophische Weise, den Tod zu behandeln
Unser Zenon gebraucht folgenden Schluss: "Kein Übel ist rühmlich. Der Tod ist aber rühmlich. Also ist der Tod kein Übel." Geschafft! Ich bin frei von Furcht. Hiernach werde ich nicht zögern, meinen Nacken [der Axt] entgegenzustrecken. [...] Ich persönlich führe so etwas nicht auf ein Gesetz der Dialektik zurück. [...] Diese ganze Art und Weise ist, denke ich, auszutreiben, durch die jemand, der gefragt wird, sich selbst zu umschreiben meint und, wenn es zum Bekenntnis kommt, eine Sache antwortet, eine andere denkt. Für die Wahrheit muss man einfacher vorgehen, gegen die Furcht tapferer. [...] Ich möchte lieber [...] überzeugen als auferlegen. Wenn jemand für Frauen und Kinder ein Heer zur Schlacht herausführen will, wie soll er dann ermahnt werden, den Tod zu erleiden?
Seneca führt die Spartaner in den Thermopylen als Beispiel für ein rechtes Sterben an
Ich zeige dir die Spartaner, die im Engpass der Thermopylen standen: Weder erhoffen sie den Sieg noch die Rückkehr [...]. Wie ermahnst Du sie, so dass sie den Niedergang des ganzen Volkes aufnehmen, indem sie ihre Körper entgegenstellen, und eher aus dem Leben als von ihrer Position weichen? Sagst Du "was schlecht ist, ist nicht rühmlich; der Tod ist rühmlich; also ist der Tod nicht schlecht"? [...] Aber Leonidas [...] sagte: "Frühstückt so, Mitkämpfer, wie wenn ihr in der Unterwelt zu Abend esst."
Seneca empfiehlt für den Weisen die Erwägung, sich selbst das Leben zu nehmen
Der Weise wird leben, solange er muss, nicht solange er kann. Er wird sehen, wo er leben wird, mit wem, wie, was er tun wird. Er bedenkt immer, wie sein Leben, nicht wie lange es ist. Wenn viel Beschwerliches, die Ruhe Störendes geschieht, entfernt er sich selbst. Und er macht dies nicht nur unter äußerstem Zwang, sondern sobald das Schicksal beginnt, ihm verdächtig zu sein, zieht er sorgfältig in Betracht, ob nicht von hier zu scheiden sei.
Seneca betont, dass es sich nur um einen konkreten Entschluss handeln kann
Du wirst daher nicht ganz allgemein feststellen können, ob der Tod, wenn ihn eine äußere Gewalt befiehlt, zu ergreifen oder zu erwarten ist. Denn es gibt Vieles, was in jede Richtung ziehen kann. [...] So wie ich ein Schiff wähle, wenn ich segeln will, und ein Haus, wenn ich [irgendwo] wohnen will, so auch einen Tod, wenn ich aus dem Leben scheiden will.
Die Freiwilligkeit des Todes als Zeichen der Freiheit nach Seneca
Du wirst auch Bekenner der Weisheit finden, die bestreiten, dass man seinem eigenen Leben Gewalt antun darf, und es für schändlich erachten, zum Töter seiner selbst zu werden: Der Tod sei zu erwarten, den die Natur beschlossen habe. Wer das sagt, sieht nicht, dass er den Weg der Freiheit verschließt: Nichts hat das ewige Gesetz besser gemacht als uns einen Eingang ins Leben zu geben, aber viele Ausgänge. [...] Dies ist das Einzige, warum wir uns über das Leben nicht beschweren können: Es hält niemanden zurück.