Peter Abaelard diskutiert in seinem Dialog das Verhältnis von Ethik und Theologie
a) Christ: Nun brechen wir schließlich, wie ich es auffasse, zum Ziel und zur
Vollendung aller Disziplinen auf, die ihr gewöhnlich Ethik, d.h. Morallehre,
wir Theologie nennen. Dabei nennen wir sie nämlich nach dem so, zu dessen
Erreichen gestrebt wird, d.h. nach Gott, ihr aber nach dem, wodurch dorthin
gelangt wird, d.h. nach den guten Sitten, die ihr Tugenden nennt.
Philosoph: Ich stimme dem zu, was auf der Hand liegt, und billige die neue
Benennung durch euren Namen durchaus. Weil ihr nämlich das, zu dem hin
gelangt wird, für würdiger haltet als das, wodurch der Fortschritt entsteht,
und weil angelangt sein glücklicher ist als fortschreiten, ist diese Benennung
durch euren Namen ehrenvoller und zieht den Leser vom Ursprung der
eigenen Herleitung her ganz besonders an. Wenn sie in der Lehre so
herausragt wie im Worte, dann ist ihr, denke ich, keine Disziplin zu
vergleichen.
b) Jetzt wollen wir also, wenn es recht ist, dass Du festsetzt, worin die Summe
der wahren Ethik besteht und was wir aus dieser Disziplin betrachten sollen
und wodurch, wenn es denn erlangt ist, ihre Intention vollendet sein wird.
Christ: Wie ich meine, lässt sich die Summe dieser Disziplin darin
zusammenfassen, dass sie erklärt, was das höchste Gut ist und auf welchem
Weg wir dorthin gelangen können.
Der Philosophiehistoriker Diogenes Laertios erklärt den Zusammenhang von stoischer Ethik und Theologie
Die Stoiker sagen, dass der primäre Impuls für jedes Lebewesen die Selbsterhaltung ist, weil
dieses der Natur von Anfang an zu eigen ist, wie Chrysipp sagt [...], wobei er
das primär Eigentümliche für jedes Lebewesen dessen eigene Verfasstheit und
das Bewusstsein von ihr nennt. [...] Und weil den rationalen Wesen die
Vernunft gemäß einer vollendeteren Anleitung gegeben ist, ist für diese das
Leben nach der Vernunft zu Recht der Natur entsprechend. Denn die Vernunft
kommt für sie als Hersteller des Impulses hinzu. [...] Deswegen gab [...] Zenon
[...] als Ziel das Leben in Übereinstimmung mit der Vernunft an, d.h. das
Leben gemäß der Tugend. Denn zu dieser leitet uns die Natur. [...] Das Leben
in der Nachfolge der Natur [...] bezieht sich [nach Chrysipp] sowohl auf die
eigene als auch auf die aller Dinge, wobei wir nichts tun, was das allgemeine
Gesetz üblicherweise verbietet, d.h. die rechte Vernunft, die durch alles
hindurchgeht, die dasselbe ist wie Zeus, der der Beherrscher des gesamten
Haushalts des Seienden ist.
Der Philosophiehistoriker Diogenes Laertios (3. Jh.) über die Teile der Philosophie
Sie sagen, die der Philosophie entsprechende Struktur sei dreiteilig. Eines von ihr sei nämlich naturphilosophisch, ein anderes ethisch, ein drittes logisch. [...] Sie vergleichen aber die Philosophie mit einem Lebewesen, wobei sie die Logik mit den Knochen und Nerven gleichsetzen, die Ethik mit den fleischlichen Teilen, die Physik aber mit der Seele. Oder auch mit einem Ei: Das Äußere sei die Logik, das danach die Ethik, das Innerste die Physik
Der Kirchenvater Origenes erläutert die Teile der Philosophie
a) Die allgemeinen Disziplinen, durch die man zum Wissen der Dinge gelangt, sind drei, die die Griechen [i.e. die paganen Philosophen] Ethik, Physik und Enoptik nannten [...].
b) Einige der Griechen setzten die Logik [...] an die vierte Stelle. Andere sagten, sie sei nicht eigenständig, sondern den drei Disziplinen, die wir oben genannt haben, eingefügt und verbunden [...].
c) Ethik aber wird die genannt, durch die eine ehrbare Lebensweise angepasst wird und Regeln, die zur Tugend hinneigen, vorbereitet werden. Naturwissenschaft wird die genannt, in der die Natur jeder Sache erörtert wird, damit nichts im Leben gegen die Natur getan wird, sondern ein jedes dem Zweck zugeführt wird, zudem es vom Schöpfer hergestellt wurde. Enoptik wird die genannt, durch die wir, wenn wir das Sichtbare überstiegen haben, etwas vom Göttlichen und Himmlischen betrachten und allein mit dem Geist anschauen.
Aristoteles über das Erfahrungsproblem: Warum junge Menschen schlecht Ethik lernen können
Aus diesem Grund ist jemand Junges kein geeigneter Hörer der politischen [Wissenschaft]; denn sie sind unerfahren in den Handlungen, aus denen das Leben besteht; die Argumente gehen von diesen aus und betreffen diese; ferner wird jemand, der den Affekten folgt, sie vergeblich und ohne Nutzen hören, denn das Ziel ist ja nicht ein Erkennen, sondern ein Handeln. Dabei ist es gleichgültig, ob sie jung an Jahren oder unreif an Charakter sind; ihre Unzulänglichkeit liegt nicht an der Zeit, sondern daran, dass sie dem Affekt nach leben und jedes Einzelne verfolgen.
Aristoteles steckt durch die Begriffe „gut“ und „Ziel“ den Rahmen der Ethik ab
Jede Fertigkeit und jedes wissenschaftliche Vorgehen, ebenso jedes Handeln und jede Vorzugswahl scheint nach etwas Gutem zu streben. Deshalb hat man ,gut‘ zu Recht erklärt als ,das, wonach alles strebt‘. Doch zeigt sich ein Unterschied zwischen den Zielen. Einige sind Tätigkeiten, andere über sie hinaus bestimmte Produkte.
Aristoteles sogenanntes Ergon-Argument bildet die Grundlage seiner Ethik
Wir nehmen aber als Funktion [ergon] des Menschen [...] eine Tätigkeit der Seele und mit Vernunft verbundene Handlungen an, als diejenige des guten Mannes aber dasselbe in guter und schöner Weise, wobei ein jedes entsprechend der eigentümlichen Tugend gut verrichtet wird. Wenn es sich so verhält, dann erweist sich das Gut für den Menschen als eine Tätigkeit der Seele gemäß der Tugend, und wenn es mehrere Tugenden gibt, gemäß der besten und vollendetsten.
Möglich wird die aristotelische Ausformulierung einer platonischen Position, indem man an die Vorstellung älterer Aristoteliker anschließt, z.B. dem platonisierenden Aspasios in seinem Kommentar zur Nikomachischen Ethik
Die Behandlung der Sitten, und insbesondere die Politik, ist im Hinblick auf die Notwendigkeit früher als die theoretische Philosophie, im Hinblick auf die Ehrwürdigkeit später. Denn insofern es unmöglich ist, gut zu leben, wenn man nicht besonnen und gerecht ist und überhaupt gut verfasst im Hinblick auf den Charakter und die Leidenschaften der Seele in eine gewisse Symmetrie gebracht hat, insofern erscheint die Politik und Ethik notwendig und deswegen früher zu sein [...]. Insofern aber die Weisheit über das Ehrwürdigste und Göttlichste handelt und die Werke der Natur betrachtet sowie noch Weiteres, viel Besseres und Bedeutenderes als das, was aus der Natur existiert (dies betrachtet die Erste Philosophie), insofern wird die theoretische Philosophie früher und ehrwürdiger genannt werden.
Der Aufstieg des Philosophen nach Proklos <br /><br />Proklos schildert eine typisch spätantike Vorstellung des Aufstiegs der Seele zur ersten Ursache durch mehrere Stufen, welche Teildisziplinen der Philosophie entsprechen
[1] Der Hörer der vorliegenden Lehren soll geordnet sein durch die ethischen Tugenden und alle unedlen und unstrukturierten Bewegungen durch den Gehalt der Tugend gebunden haben. [...]
[2] Er soll in allen logischen Zugängen geübt sein und viele unwiderlegbare Gedanken über die Analysen, viele auch über die diesen entgegengesetzten Dihairesen betrachtet haben. [...]
[3] Drittens soll er neben diesen auch nicht ungeschult in der Physik sein und in deren vielgestaltigen Ansichten, damit er, wenn auch in den Abbildern, auf die richtige Weise die Ursachen des Seienden untersucht hat. [...]
[4] Fest soll er die Auslegung der göttlichen seligen Lehren berührt haben [...], indem er sich mit unerschüttertem Verstand und der Kraft des unermüdlichen Lebens zum göttlichen Licht hindrängt.