Epikur verweist auf die sinnliche Wahrnehmung des Gegenwärtigen als
zentrales Wahrheitskriterium
Solltest Du irgendeine Sinneswahrnehmung
verwerfen und das aufgrund einer Erwartung Gemeinte nicht von dem
unterscheiden, was durch die Sinneswahrnehmung, durch die Gefühle und jede
vorstellende Fokussierung des Denkens schon gegenwärtig ist, wirst du auch
die übrigen Sinneswahrnehmungen mit leerem Meinen vermengen, so dass du
das Kriterium insgesamt verwirfst. Und wenn Du jede erst noch erwartete
Evidenz in deinen vermutungsweise gebildeten Begriffen und das, was keine
Bestätigung , als sicher behandelst, dann wirst du das
Trügerische nicht ausschließen, so dass du jede Meinungsverschiedenheit und
jede Entscheidung über richtig und unrichtig aufgehoben hast.
Epikur erläutert Grundlagen der Anerkennung von Meinungen
Von den
Meinungen sind nun nach Epikur die einen wahr und die anderen falsch. Wahr
sind die, die durch die Evidenz bestätigt werden, und die, die durch sie ein
Nicht-Gegenzeugnis erhalten. Falsch sind dagegen die Meinungen, die durch
die Evidenz ein Gegenzeugnis, und die, die durch sie eine Nicht-Bestätigung
erhalten. Eine Bestätigung ist ein Auffassen dessen, dass das, was man meint,
so ist, wie man meinte, dass es sei, durch Evidenz. Zum Beispiel: Wenn Platon
aus der Ferne herankommt, schätze ich zunächst und meine, dass es Platon ist;
wenn er nähergekommen ist, gibt es ein stärkeres Zeugnis, dass es Platon ist;
und wenn die Entfernung überbrückt ist, wird es auch durch die Evidenz selbst
bestätigt. [...] Genauso steht auch die Nicht-Bestätigung der Bestätigung
entgegen. Dabei handelt es sich um eine Konfrontation durch die Evidenz der
Tatsache, dass das Gemeinte in Wirklichkeit nicht so ist, wie man meinte, dass
es sei. Zum Beispiel: Wenn von weitem jemand herankommt, und wir schätzen
aus der Entfernung, dass es Platon ist, aber wenn die Entfernung überbrückt
ist, erkennen wir durch Evidenz, dass es nicht Platon ist. [...] Somit sind
Bestätigung und Nicht-Gegenzeugnis das Kriterium dafür, dass etwas wahr ist,
die Nicht-Bestätigung und das Gegenzeugnis hingegen das Kriterium dafür,
dass etwas falsch ist.
Der Philosoph und Religionsgelehrte Ibn Rušd (Averroes, 1126-1198) vertritt die sachliche Einigkeit von Philosophie und Religion
Das Wahre steht nicht im Gegensatz zum Wahren, sondern es stimmt damit überein und bezeugt es.
Moses Mendelssohn unterscheidet zwei Arten von ewigen sowie zeitliche Wahrheiten
[1] Ewige Wahrheiten [...] sind entweder nothwendig, an und für sich selbst unveränderlich, oder zufällig. [...] Sowohl die nothwendigen als zufälligen Wahrheiten fließen aus einer gemeinschaftlichen Quelle, aus der Quelle aller Wahrheit: jene aus dem Verstande, diese aus dem Willen Gottes. [...] Beispiele der ersten Gattung sind die Sätze der reinen Mathematik und der Vernunftkunst; Beyspiele der letzteren die allgemeine Sätze der Physik und Geisterlehre, die Gesetze der Natur, nach welchen dieses Weltall, Körper und Geisterwelt regiert wird. Außer diesen ewigen Wahrheiten giebt es noch Zeitliche, Geschichtswahrheiten. [...] Von dieser Art sind alle Wahrheiten der Geschichte, in ihrem weitesten Umfange. [...]
[2] Die [...] nothwendigen Wahrheiten gründen sich auf die Vernunft, d. i. auf unveränderlichen Zusammenhang, und wesentliche Verbindung zwischen den Begriffen. [...] Zu den Wahrheiten der zwoten Classe wird, außer der Vernunft, auch noch Beobachtung erfordert. [...] Hingegen die Geschichtswahrheiten [...] können nur von denjenigen vermittelst der Sinne wahrgenommen werden, die zu der Zeit und an dem Orte zugegen gewesen, als sie sich in der Natur zugetragen haben; von jedem anderen müssen sie auf Autorität und Zeugniß angenommen werden. [...]
[3] Ich glaube also nicht, daß die Kräfte der menschlichen Vernunft nicht hinreichen, sie von den ewigen Wahrheiten zu überführen, die zur menschlichen Glückseligkeit unentbehrlich sind.
Der Aristoteles-Kommentator (6./7. Jhdt.) betont die Verpflichtung des Auslegers auf die Wahrheit
Der Ausleger soll zugleich Ausleger und Wissender sein. […] Er darf sich nicht entsprechend den Texten, die er auslegt, verändern, so wie Schauspieler auf der Bühne verschiedene Rollen annehmen, weil sie verschiedene Charaktere darzustellen haben, d.h. wenn er Aristoteles’ Werke auslegt, darf er kein Aristoteliker werden und sagen, dass es nie einen so großen Philosophen gegeben habe, und wenn er Platonisches auslegt, darf er nicht Platoniker werden und sagen, dass es nie einen Philosophen vom Range Platons gegeben habe […], sondern überall soll er sagen: ,Ein Freund ist mir der Mann, ein Freund auch die Wahrheit, von beiden gegebenen Freunden ist mir die Wahrheit lieber.
Der ,Satz des Protagoras‘ (ca. 490-411 v. Chr.) in den Worten des platonischen Sokrates
Denn ich behaupte, dass sich die Wahrheit so verhalte, wie ich geschrieben habe, dass nämlich ein jeder von uns das Maß dessen sei, was ist und was nicht, dass sich aber gewiss der eine vom anderen darin gewaltig unterscheide, weil für den einen das eine da ist und zu sein scheint, für den anderen aber anderes.
Lukian über die Aporie der philosophisch Wahrheitssuchenden
L.: Kannst Du mir jemand nennen, der jeden Weg in der Philosophie versucht hat, der die Lehre des Pythagoras, des Platon, des Aristoteles, des Chrysipp des Epikur und der übrigen kennt und deshalb schließlich aus all den vielen Wegen einen Weg gewählt hat, weil er ihn für den richtigen erachtete und, da er ihn ausprobiert hat, weiß, dass er allein zum Glück führt? Wenn wir so einen finden, dann hat unsere Not ein Ende.
H.: Nicht einfach, Lykinos, so einen Mann zu finden.
Descartes führt die klare und distinkte Erkenntnis als Wahrheitskriterium ein
Ich bin sicher, dass ich ein denkendes Ding bin. Weiß ich also nicht auch, was dazu gehört, dass ich einer Sache sicher bin? Es ist doch in jener ersten Erkenntnis nichts anderes enthalten als eine klare und deutliche Auffassung dessen, was ich bejahe. Diese würde offenbar nicht genügen, mich der Wahrheit eines Dings zu versichern, wenn jemals etwas, das ich so klar und deutlich wahrnehme, falsch sein könnte. Und somit kann ich offenbar schon als allgemeine Regel festsetzen, dass all das wahr ist, was ich ganz klar und deutlich auffasse.
Proklos sieht sich in einer besonders auf Platon zurückgehenden Tradition, in der den menschlichen Seelen göttliche Wahrheiten vermittelt wurden
[1] Die ganze Philosophie Platons, denke ich, o […] liebster Perikles, beleuchtet gemäß dem gutartigen Willen der Mächtigeren [göttlichen Prinzipien] sowohl den Anfang, der den in ihnen verborgenen Geist und die Wahrheit, die zusammen mit dem Seienden besteht, den Seelen […] aufzeigt, die sich im Werden verändern, soweit sie [= die Wahrheit] diesen zukommt. […] Besonders aber glaube ich, dass die mystische Hinführung, welche das Göttliche selbst behandelt, durch einen Mann aufgezeigt wurde [nämlich Platon], bei dem ich sicher nicht fehl gehe, wenn ich ihn […] einen Anleiter und Hierophanten der wahrhaften kultischen Initiationen nenne.
[2] Als Ausleger nun der platonischen Schau […], welche auch eine göttliche Natur erhielten, möchte ich Plotin den Ägypter nennen und diejenigen, die von ihm die Theorie empfangen haben, Amelios und Porphyrios, und als dritte, denke ich, diejenigen, die von diesen für uns wie Statuen vollendet wurden, Jamblich und Theodoros, und wer immer nach diesen folgt. […] Von ihnen her stellte der das ganz authentische und reine Licht der Wahrheit der dar, der nächst den Göttern für uns zum Führer zu allem Schönen und Guten der platonischen Philosophie wurde [Proklos’ Lehrer Syrian].
Ibn Ṭufail charakterisiert die unio mystica
Wem eine solche Weise schaut, dem entschwindet seine eigene Wesenheit (ḏāt nafsihi), und es lösen sich auf und entschwinden ebenso die übrigen vielen Wesenheiten [...] außer der Wesenheit des Einen, des Wahren, des notwendig Seienden (al-wāḥid al-ḥaqq al-wāğib al-wuğūd).