Maimonides skizziert den Adressaten des <i>Wegweisers für die Verwirrten</i> und erklärt das Ziel des Werkes
[1] Das Ziel dieses Buches die Ermahnung eines religiösen Menschen – er ist in seiner Seele demütig geworden, und in seiner Überzeugung verfestigte sich die Richtigkeit unseres Gesetzes (šarīʿa = die Torah) feststeht, so dass er vollkommen ist in Religion und Sitten –, der die philosophischen Wissenschaften betrachtet und ihre Inhalte kennt. Nun leitet ihn der menschliche Intellekt an und lädt ihn ein, sich in seinem Lager niederzulassen, und der äußere Sinn des Gesetzes (ṯawāhir aš-šarīʿa) hält ihn zurück. [...]
[2] Also bleibt er in Verwirrung und Schrecken: Entweder lässt er sich einladen von seinem Intellekt [...] – und dann wird er meinen, gegen die Grundlagen des Gesetzes fortzuwerfen –, oder soll er bleibt er bei dem, was er von ihm verstanden hat und lässt sich nicht von seinem Intellekt anleiten. Dann [...] wird er trotzdem sehen, dass er sich Schaden zugezogen hat und Verderben in seiner Religion (dīn), und er wird mit diesen eingebildeten Überzeugungen (iʿtiqādāt) zurückbleiben, wobei er durch sie in Angst und Unbehagen ist. [...]
[3] Wenn wir ihm nun diese Allegorien (muṯul) [in der Torah] erklären oder ihn ermahnen, dass dies Allegorien sind, dann wird er zurückfinden und aus dieser Verwirrung gerettet werden. Daher habe ich dieses Buch Wegweiser für die Verwirrten genannt.
Averroes über die Notwendigkeit philosophischer Forschung laut dem <i>Koran</i>
Wenn die Tätigkeit der Philosophie nichts weiter ist als die Theorie (naẓar) über das Existierende (al-mawǧūdāt) und seine Betrachtung, insofern es auf den Hersteller verweist [...], und wenn das Gesetz (aš-šarʿ) dazu aufgefordert und angespornt hat, das Existierende zu betrachten, so ist klar, dass das, worauf dieser Name verweist, entweder vom Gesetz vorgeschrieben oder als Auftrag gegeben ist. Dass das Gesetz dazu aufruft, mit dem Intellekt (ʿaql) das Existierende zu betrachten [...], wird klar durch verschiedene Verse aus dem Buch Gottes. [...].
Und es ist klar, dass diese Form von Theorie, zu welcher das Gesetz aufruft und anspornt, die vollendetste Art der Theorie mittels der vollendetsten Art des Schlusses ist, und diese wird ,Beweis‘ (burhān) genannt.
Averroes erklärt den Hintergrund der allegorischen Auslegung von Korantexten, die deren Vereinbarkeit mit der Philosophie sicherstellt, und die Bedingungen für dieses Vorgehen im Einzelfall
[12] Also wissen wir, die Gemeinschaft der Muslime, in endgültiger Weise, dass die Theorie in Beweisform nicht zu etwas führt, worin das Gesetz widerspricht; das Wahre widerspricht nicht dem Wahren, sondern ist im Einklang mit ihm und bezeugt es.
[13] [...] Und weil das so ist, so wird, wenn die Theorie zu einer bestimmte Weise der Erkenntnis in Bezug auf irgendein Existierendes führt, dieses Existierende entweder im Gesetz mit Schweigen übergangen, oder es wird Erkenntnis hierüber vermittelt. Und sofern die Gebote etwas mit Schweigen übergehen, so erschließen es die Rechtsgelehrten mittels des gesetzesbezogenen Schlusses. Und wenn es im Text des Gesetzes steht, so ist der äußere Sinn des Textes entweder mit dem übereinstimmend, wozu der Beweis führt, oder verschieden. [...] Und wenn er verschieden ist, dann ist seine Auslegung erforderlich. Und der Gehalt der Auslegung besteht darin, dass die Bedeutung des Ausdrucks von der gegenstandsbezogenen Bedeutung zur übertragenen Bedeutung hin transponiert wird.
Philon von Alexandrien (gest. ca. 40 n. Chr.) sieht die Ordnung der Welt in der Philosophie des Mose dargestellt
[1] Manche Gesetzgeber haben das, was ihnen als gerecht galt, in ungeschminkter und einfacher Form angeordnet; andere haben ihre Ideen in ein schwülstiges Gewand gekleidet und die Volksmassen geblendet, indem sie mit mythischen Erdichtungen die Wahrheit verhüllten.
[2] Moses aber hat beides vermieden, das eine, weil es unbedacht, bequem und unphilosophisch ist, das andere, weil es voll Lug und Trug ist. Er hat vielmehr seinen Gesetzen einen sehr schönen und erhabenen Anfang gegeben [...], da er die Weltherstellung schildert, um gleichsam anzudeuten, dass sowohl die Welt mit dem Gesetz als auch das Gesetz mit der Welt im Einklang steht und dass der gesetzestreue Mensch ohne weiteres ein Weltbürger ist, da er seine Handlungen nach dem Gesetz der Natur ordnet, nach dem auch die ganze Welt gelenkt wird.
Maimonides vertritt die Meinung, dass es für jedes Gebot des jüdischen Gesetzes einen rationalen Grund gibt, selbst wenn der nicht immer bekannt ist
Diejenigen, die Theorie betreiben, [...] sind über unsere Gesetzgebung im Hinblick darauf, was für uns erlassen wurde, verschiedener Meinung. Einerseits gibt es solche, die hierfür überhaupt keine Ursache suchen und sagen, dass alle Gesetze einem reinen Wunsch [Gottes] folgen. Andererseits gibt es solche, die sagen, dass jedes Gebot und Verbot hiervon einer Weisheit oder einer Absicht folgen, in der ein bestimmter Zweck liegt, und dass alle Gesetze eine Ursache haben und im Hinblick auf einen bestimmten Nutzen hierüber gesetzlich angeordnet wurde. Im Hinblick darauf, dass es für sie alle eine Ursache gibt, wobei wir die Ursache für einige von ihnen nicht kennen und der Gehalt der Weisheit uns hierüber unbekannt ist, dies ist die Meinung von uns allen, vom Volk und von der Elite.
Theoretische Überlegungen des Maimonides zu den Gesetzen
[1] Das Ziel für die Gesamtheit des Gesetzes besteht in zweierlei, nämlich das Gedeihen der Seele und das Gedeihen des Körpers. [...] Das wahre Gesetz [...], d.h. das Gesetz unseres Freundes Mose, ist nur gekommen, um uns zu den beiden Vollkommenheiten zusammen zu verhelfen. [...]
[2] Du sollst wissen, dass das Gesetz von den richtigen Meinungen, durch die die äußerste Vollkommenheit entsteht, nur ihren Gipfelpunkt angegeben und zum Überzeugtsein von ihnen nur im Allgemeinen aufgefordert hat, und dies ist die Existenz Gottes des Erhabenen, und seine Einheit und sein Wissen und seine Macht und sein Willen und seine Ewigkeit. Und all dies sind die äußersten Gipfelpunkte, die durch Aufteilen und Definieren nicht verdeutlicht werden können, das Äußerste an Wissen aus vielen Meinungen. Und ebenso forderte das Gesetz zu bestimmten Überzeugungen auf, von denen ein Überzeugtsein notwendig ist für den Frieden der Zustände der Stadt, wie zum Beispiel unser Überzeugtsein, dass der Zorn des Erhabenen über den, der ihm nicht gehorcht, heftig wird.
[3] Für jede Vorschrift [...] ist entweder im Hinblick auf das Gebot in sich selbst oder in seiner Notwendigkeit für die Entfernung von Unrecht oder für den Erwerb edler Sitten die Ursache für diese Vorschrift klar oder der Nutzen offensichtlich.
Moses Mendelssohn erläutert seinen Begriff des Judentums als Vernunftreligion
Ich erkenne keine andere ewige Wahrheiten als die der menschlichen Vernunft nicht nur begreiflich, sondern durch menschliche Kräfte dargethan und bewährt werden können. [...] Ich halte dies [...] für einen wesentlichen Punkt der jüdischen Religion, und glaube, daß diese Lehre einen charakteristischen Unterschied zwischen ihr und der christlichen Religion ausmache. Um es mit einem Worte zu sagen: Ich glaube, das Judentum wisse von keiner offenbarten Religion in dem Verstande, in welchem dieses von den Christen genommen wird. Die Israeliten haben göttliche Gesetzgebung. Gesetze, Gebote, Befehle, Lebensregeln, Unterricht vom Willen Gottes, wie sie sich zu verhalten haben, um zur zeitlichen und ewigen Glückseligkeit zu gelangen; [...] aber keine Lehrmeinungen, keine Heilswahrheiten, keine allgemeine Vernunftsätze. Diese offenbaret der Ewige uns, wie allen übrigen Menschen, allezeit durch Natur und Sache, nie durch Wort und Schriftzeichen.