Die These der Eleaten/des Parmenides zum Verhältnis von Sein und Einem
Gast aus Elea: Dies also mögen sie uns beantworten: Ihr sagt, es sei nur eins? – Das sagen wir, werden sie sagen. Nicht wahr?
Theaitet: Ja.
Gast aus Elea: Was weiter? Nennt ihr etwas ,seiend‘?
Theaitet: Ja.
Gast aus Elea: Dasselbe wie eins, indem ihr zwei Worte für dasselbe braucht? Oder wie?
Das Verhältnis von Sein und Einem und die Identität der Ideen
Gast aus Elea: Nimmt man die Bezeichnung als etwas von dem Ding verschiedenes, so benennt man eine Zweiheit.
Theaitet: Ja.
Gast aus Elea: Nimmt man aber die Bezeichnung als dasselbe wie jenes, wird man entweder gezwungen sein zu sagen, sie sei die Bezeichnung von nichts, wenn er aber sagen will, sie [sei die Bezeichnung von] etwas, so wird herauskommen, dass die Bezeichnung nur Bezeichnung einer Bezeichnung ist, und von nichts anderem.
Porphyrios über die Vereinigung mit dem Einen
Wenn er sich so durch dieses dämonische Licht besonders in den ersten und jenseitigen Gott mit den Gedanken einführte, auf den von Platon im Symposion gewiesenen Wegen, erschien ihm jener Gott, der weder eine Gestalt noch eine Idee hat, der oberhalb des Geistes und alles Gedachten sitzt. Ihm, sage ich, habe ich, Porphyrios, mich auch einmal angenähert und mit ihm vereint, im 68. Lebensjahr. [...] [Plotin] aber erreichte wohl viermal, während ich bei ihm war, dieses Ziel mit unsagbarer Aktivität.
Plotin erläutert den Aufstieg vom Geist zum Einen und entwickelt Grundgedanken negativer Theologie
In welchem Sinn also sagen wir „Eines“, und in welcher Weise hat man es mit dem Denken in Deckung zu bringen? [...] Wenn Du es Dir als Geist oder Gott denkst, ist es mehr; und wenn Du es wiederum gedanklich auf die Einheit reduzierst, so ist es auch hier in jedem Fall mehr als die Vorstellung, die du dir von ihm gemacht hast, um ihn einheitlicher als dein Denken zu machen. Daher ist es ganz für sich; es gibt keine Eigenschaft, die ihm zukommt. Und im Sinne des sich selbst Genügenden lässt sich auch das ihm zukommende ,Eine‘ denken.
Πρόοδος (Prohodos) – Das Eine als Quelle der Entstehung von alles Seiendem
Wenn es nun notwendig ist, dass es nicht nur eines gibt – denn sonst wäre alles in ihm verborgen, ohne eine Gestalt zu haben, und nichts Seiendes existierte, während jenes in sich selbst ruht, und es gäbe die Menge dieses Seienden, das vom Ersten gezeugt wurde nicht [...] – dann war es auf dieselbe Weise auch notwendig, dass nicht nur die Seelen sind, ohne dass das von ihnen Erzeugte erscheint, weil ja jeder Natur dies innewohnt, dass sie das nach ihr Liegende bewirkt und sich entfaltet, so wie ein Same, der aus einem ungeteilten Anfang bis ans sinnlich wahrnehmbare Ziel voranschreitet. Dabei bleibt das Frühere immer an seinem eigenen Ort, das nach ihm Kommende [...] schreitet aber weiter, bis zum Letzten hin alles, soweit es möglich ist, gelangt durch eine Fähigkeit [...], die nichts zu sehen vermag, was an ihr keinen Teil hat.
Ἐπιστροφή (epistrophē) – Das Eine bzw. Gute als Ziel für das Streben alles Seienden
Wenn also etwas nicht in Richtung auf etwas anderes aktiv ist, weil es das Beste alles Seienden ist und jenseits des Seienden, die anderen aber in Richtung auf dieses [aktiv sind], dann ist klar, dass dieses das Gute ist, durch das auch den anderen ermöglicht wird, am Guten teilzuhaben. [...] Denn so ist es auch wirklich das, ,wonach alles strebt‘ (Aristoteles, Nikomachische Ethik I 1, 1094a 3). Es ist also nötig, dass es selbst feststeht, dass sich aber alles zu ihm zurückwendet, so wie ein Kreis zu dem Zentrum, von dem alle Linien ausgehen. Und ein Beispiel ist die Sonne, die wie ein Zentrum ist im Verhältnis zu dem von ihr stammenden Licht, das an ihr hängt; überall ist es also mit ihr und nicht von ihr abgetrennt. [...] Wie aber richtet sich alles andere auf dieses hin? Nun, das Unbeseelte auf die Seele hin, die Seele aber durch den Geist auf dieses hin.
Kindīs Beweis Gottes als des Wahren Einen
[1] Da Einheit und Vielheit gemeinsam in jedem der sinnlich wahrnehmbaren Dinge bestehen und dem, was den sinnlich wahrnehmbaren Dingen anhaftet, und die Einheit darin insgesamt ein Eindruck ist, der von irgendwo her kommt und akzidentell, nicht der Natur nach vorhanden ist, und die Vielheit notwendigerweise eine Ansammlung von Einheiten ist, so ist es notwendigerweise so, dass es, wenn es keine Einheit gibt, auch überhaupt keine Vielheit gibt. [...]
[2] Sein zu erhalten besteht genau darin, einem Akt unterzogen zu werden (infiʿāl), so dass existiert, was nicht war. Die Emanation (faiḍ) der Einheit aus dem ersten Wahren Einen (al-wāḥid al-ḥaqq) bedeutet, dass jedes sinnlich wahrnehmbaren Ding [...] Sein erhält, so dass jedes einzelne derartige existiert. [...] Die Ursache des Erhaltens von Sein stammt von dem wahren Einen her, das die Einheit nicht von einem Geber her erhielt, sondern in sich selbst eines ist.
Kindīs Charakterisierung des wahren Einen
Dem wahren Einen kommt nicht zu, in Beziehung zu etwas Gattungsverwandtem zu stehen. Und wenn es eine Gattung hätte, käme ihm zu, mit einem Gattungsverwandten in Beziehung zu stehen. Also hat das wahre Eine überhaupt keine Gattung. [...] Das wahre Eine ist daher ewig und ihm kommt niemals und in überhaupt keiner Weise Vielheit zu. Und es wird nicht eines genannt in Bezug zu etwas von ihm Verschiedenem, da es etwas ist, was weder eine Materie hat, durch die es zerteilt werden könnte, noch eine Form, die aus Gattung und Arten zusammengesetzt ist.
Aristoteles unterscheidet zwei Arten von Ursachen
Das eine [Prinzip] kann gemäß der Vernunft bewegen, und seine Vermögen sind der Vernunft entsprechend, das andere aber sind Vernunftloses und die vernunftlosen Vermögen – wobei das Erste in einem beseelten Wesen vorhanden sein muss, das zweite aber in beidem [Beseeltem wie Unbeseeltem]. Derartige Vermögen tun und reagieren notwendigerweise, wenn sich ihnen, wie sie können, das Tun und Reaktion Hervorbringende nähert, die anderen aber nicht notwendigerweise. Denn von den einen tut jedes Einzelne ein Einziges, bei den anderen aber Gegenteiliges, so dass es gleichzeitig Gegenteiliges tun wird. Das ist aber unmöglich. Also ist es notwendig, dass es etwas Weiteres, Ausschlaggebendes gibt. Dies aber nenne ich Streben oder Vorzugswahl. Wonach nämlich etwas in ausschlaggebender Weise strebt, dies wird es tun, sobald es, wie es kann, zugegen ist und dem Reaktionsfähigen nahekommt.
Plotin (205-270)
Was könnte das Eine also sein, was für eine Natur könnte es haben? […] Es ist nicht etwas, sondern vor jedem Einzelnen da, und es ist auch nicht seiend. Denn sogar das Seiende hat so etwas wie eine Gestalt, eben die, seiend zu sein, jenes hingegen hat keine Gestalt, auch keine geistig erkennbare. Weil die Natur des Einen nämlich alle Wesen hervorbringt ist es keines von ihnen, […] einförmig in sich selbst, oder vielmehr formlos, da es vor jeder Form da ist, vor der Bewegung, vor dem Stillstand. […] Und warum steht es nicht still, wenn es nicht in Bewegung ist? Weil nur bei dem, was ist, eins von beiden oder beides notwendig der Fall ist. […] Aber wir haben eine Erkenntnis, das sich auf Formen stützt. Sobald die Seele dagegen ins Formlose gelangt, ist sie nicht mehr in der Lage, es zu umfassen, weil sie hier nicht definiert und quasi geprägt wird von einem variationsreich Prägenden, und so gerät sie ins Rutschen und fürchtet, dass sie gar nichts hat.
Der christliche Theologe Gregor von Nyssa über die Gotteserkenntnis
Die folgende Entwicklung des Arguments führt die Seele zu etwas Größerem, zur Philosophie über das Seiende. Sie zeigt nämlich, dass alles miteinander verbunden ist und dass die Harmonie des Seienden keine Auflösung kennt, sondern dass es eine Art Zusammenatmen von allem miteinander gibt. [...] Im Sein bleibt aber alles, was durch die Kraft des wahrhaft Seienden beherrscht wird. Das wahrhaft Seiende ist aber die Güte selbst oder irgendeine noch höhere Bezeichnung, die sich vielleicht jemand für die unsagbare Natur ausdenkt.
Proklos erläutert die Struktur des neuplatonischen Kosmos in seiner ,Theologischen Elementarlehre‘, die von Anfang an, in Anlehnung an die euklidische Mathematik, dem Schema von These und Begründung folgt
1. Jede Menge hat irgendwie am Einen teil.
(a) Denn wenn sie auf keine Weise daran teilhätte, wird weder das Ganze eines sein noch irgendetwas von dem Vielen. Vielmehr wird auch jedes Einzelne von diesem eine Menge sein, und dies bis ins Unendliche. Und von diesem Unendlichen wird wiederum jedes Einzelne eine unendliche Menge sein.
(b) Denn was auf keine Weise an irgendeinem Einen teilhat, weder selbst in Bezug auf das Ganze, noch in Bezug auf jedes Einzelne von dem, was in ihm ist, das wird schlichtweg unendlich sein und in jeder Hinsicht.
(c) Denn jedes Einzelne von dem Vielen, was Du auch immer nehmen wirst, wird entweder eines sein oder nicht eines. Und wenn es nicht eines ist, ist es entweder vieles oder nichts. Aber wenn das Einzelne nichts ist, ist auch das daraus Bestehende nichts. Wenn es aber Vieles ist, dann besteht jedes Einzelne aus unendlich vielem Unendlichen. Das ist aber unmöglich.
Eine weitere Klärung des Verhältnisses des Einen zum Rest der Wirklichkeit bringt der Zweite Lehrsatz der Platonischen Elementarlehre
(2) Alles, was am Einen teilhat, ist sowohl Eines als auch nicht Eines.
(a) Denn wenn es kein An-sich-Eines ist – es hat [dann] nämlich am Einen teil, weil es etwas anderes neben dem Einen ist –, hat es das Eine gemäß der Teilhabe erfahren und es ausgehalten, eines zu werden.
(b) Wenn nun neben dem Einen nichts besteht, ist es nur eines. Und es ist folglich nicht durch Teilhabe am Einen, sondern An-sich-Eines.
(c) Wenn aber etwas neben ihm besteht, was nicht eines ist […], ist es also durch dieses nicht Eines, und auch nicht das, was eines ist. Indem es aber zugleich eines ist und am Einen teilhat und deswegen nicht als Eines durch sich selbst besteht, ist es eines und nicht eines.
Die Hintergründe der Theorie des Einen und die Struktur des Seienden werden in der ,Platonischen Theologie‘ näher erläutert
[1] Platon […] überliefert uns zwei Bezeichnungen dieser unaussagbaren Ursache. In der Politeia nennt er sie ,das Gute‘ und zeigt auf, dass sie die Quelle für die Wahrheit ist, die den Geist und das Gedachte vereint. Im Parmenides aber bezeichnet er dieses Prinzip als Eines.
[2] Von diesen Bezeichnungen nun ist die eine ein Bild für das Hervorgehen des Ganzen, die andere für seine Rückkehr. Denn weil alles deswegen vorhanden ist und aus dem Ersten hervorgeht, nennen wir es, indem wir ,das Eine‘ darauf anwenden, die Ursache für jede Menge und für jedes Hervorgehen. […] Das Gute aber ist das allgemein von allem Seienden Erstrebte, und zu diesem neigt und streckt sich alles seiner Natur nach hin. […]
[3] Das Einshafte aber und jede Aufteilung Überschreitende an jenem [Einen] erscheint in dem Späteren dyadisch, noch mehr aber triadisch. Denn alles bleibt und geht hervor und kehrt zurück zum Einen. Denn zugleich ist es mit ihm vereint und steht unterhalb seiner transzendenten Einsheit von allem und strebt danach, es zu empfangen.
Klärungen zum Verhältnis des Göttlichen zu dem, was am Göttlichen teilhat, finden sich wiederum in der <i>,Elementatio theologica‘<i>
119. Jeder Gott existiert auf die Weise einer mehr-als-seienden Güte, d.h. er ist weder einer Disposition noch dem Sein nach gut [...], sondern auf mehr als seiende Weise [...]
122. Jedes Göttliche sorgt ebenso vorausschauend für das ihm Nachgeordnete wie es dem, wofür es sorgt, transzendent bleibt, weil weder die Sorge sein unvermischtes und einheitliches Überragen lockert noch seine abgetrennte Einheit die vorausschauende Sorge verunklart [...]
123. Jedes Göttliche ist selbst wegen seiner mehr-als-seienden Einheit für das Nachgeordnete unaussagbar und unerkennbar, von dem ausgehend, was an ihm teilhat, ist es aber ergreifbar und erkennbar. Deswegen ist nur das Erste schlechthin unerkennbar, weil an ihm nichts teilhat.
Ibn Ṭufail charakterisiert die unio mystica
Wem eine solche Weise schaut, dem entschwindet seine eigene Wesenheit (ḏāt nafsihi), und es lösen sich auf und entschwinden ebenso die übrigen vielen Wesenheiten [...] außer der Wesenheit des Einen, des Wahren, des notwendig Seienden (al-wāḥid al-ḥaqq al-wāğib al-wuğūd).