Der Übergang der Seele zum Geist
Nimm nun das Göttlichere als dieses Göttliche, den Nachbarn der Seele nach oben hin, nach dem und aus dem die Seele ist. Denn wenngleich sie eine Sache ist, wie das Argument zeigte, ist sie ein Abbild des Geistes. [...] Das sie aus dem Geist ist, ist sie denkend, und in den Überlegungen ist besteht ihr Geist, und die Vollendung kommt wiederum aus ihm wie von einem Vater, der den aufzieht, den er weniger vollkommen als sich selbst gezeugt hat. [...] Denn wenn die Seele in den Geist hineinblickt, hat sie in sich und ihr zu eigen das, was sie denkt und aktiv betriebt. Und nur dasjenige darf man Aktivitäten der Seele nennen, was sie denkend und was sie von sich aus betreibt. Das Schlechtere aber ist von anderswoher und Leiden der so beschaffenen Seele. Der Geist also macht sie göttlicher, indem er Vater ist und indem er bei ihr ist.
Plotin erläutert den Aufstieg vom Geist zum Einen und entwickelt Grundgedanken negativer Theologie
In welchem Sinn also sagen wir „Eines“, und in welcher Weise hat man es mit dem Denken in Deckung zu bringen? [...] Wenn Du es Dir als Geist oder Gott denkst, ist es mehr; und wenn Du es wiederum gedanklich auf die Einheit reduzierst, so ist es auch hier in jedem Fall mehr als die Vorstellung, die du dir von ihm gemacht hast, um ihn einheitlicher als dein Denken zu machen. Daher ist es ganz für sich; es gibt keine Eigenschaft, die ihm zukommt. Und im Sinne des sich selbst Genügenden lässt sich auch das ihm zukommende ,Eine‘ denken.
Plotin sieht nur den Geist im eigentlichen Sinne als frei an
(1) Das Immaterielle ist das Freie, und auf dieses richtet sich das Heraufführen des bei uns Liegenden, und dieses [Heraufführen] ist eben dieses Wollen, das entscheidende und von sich selbst abhängende [...]. Alles was aus diesem [Wollen] heraus und um seinetwillen geschieht, liegt bei uns, außerhalb und innerhalb seiner. Was es will und ungehindert wirkt, dies ist auch in erster Linie bei uns liegend. (2) Der theoretische und erste Geist ist so das bei sich selbst Liegende, dass sein Werk keinesfalls bei einem anderen liegt, sondern als ganzer ist er sich selbst zugewandt, und sein Werk ist er selbst, und er ruht bedürfnislos im Guten, und ist als erfüllter da und lebt gleichsam dem Wollen gemäß. Das Wollen aber ist das Denken, Wollen wurde es aber genannt, weil es dem Geist entsprechend erfolgt. (3) Denn das [von den Menschen] so genannte Wollen ahmt das dem Geist entsprechende nach. Denn das Wollen will das Gute; das Denken befindet sich aber wahrhaft im Guten. Jener besitzt also das [...]. (4) Wenn wir also das bei uns Liegende im Wollen des Guten ansetzen, wie soll dann das, was schon in demjenigen feststeht, in dem das Wollen sein will, das bei uns Liegende nicht haben? Gewiss wird man ansetzen müssen, dass es größer ist, wenn nicht jemand das bei uns Liegende in dieses heraufführen will.
Eine Reflexion in Goethes Faust
Dem Herrlichsten, was auch der Geist empfangen,
drängt immer, fremd und fremder[,] Stoff sich an.
Wenn wir zum Guten dieser Welt gelangen,
dann heißt das Bessre Trug und Wahn.
Augustinus erklärt den menschlichen Geist als eine Einheit der drei Vermögen Erinnerung, Erkennen und Wollen
Wir haben also den Geist in der Erinnerung, dem Erkennen und dem Wollen seiner selbst als einen solchen festgestellt, dass von ihm deswegen, weil er als dauerndes Wissen seiner selbst und dauerndes Wollen seiner selbst begriffen wurde, gleichzeitig ebenfalls begriffen wurde, dass er sich an sich selbst dauernd erinnert und sich selbst dauernd erkennt und liebt, obwohl er sich nicht dauernd unterschieden von dem denkt, das nicht das ist, was er selbst ist.
Augustinus erklärt die Zeit als die Ausdehnung unseres Geistes
[1] In Dir also, mein Geist, messe ich die Zeiten. [...] Wer bestreitet also, dass Zukünftiges noch nicht ist? Und doch ist im Geist bereits die Erwartung des Zukünftigen. Und wer bestreitet, dass das Vergangene nicht mehr ist? Und doch ist die Erinnerung an das Vergangene noch im Geist. Und wer bestreitet, dass die Gegenwart keine Ausdehnung hat, weil sie im Moment vergeht? Und doch dauert die Aufmerksamkeit an, durch die das, was da sein wird, zum Fort-Sein hin eilt. [...]
[2] Wenn ich ein Lied vorzutragen beginne, das ich kenne, richtet sich meine Erwartung, bevor ich beginne, auf das ganze [Lied]. Habe ich begonnen, dann erstreckt sich auch meine Erinnerung über das, was ich aus jener in die Vergangenheit abgelegt habe. Das Leben dieser meiner Tätigkeit spaltet sich dann auf in die Erinnerung, weil ich bereits vorgetragen habe, und die Erwartung, weil ich noch weiter vortragen werde. [...] Was so mit dem ganzen Lied geschieht, das wiederholt sich mit seinen einzelnen Abschnitten und in seinen einzelnen Silben.
Der Jude Philon von Alexandrien über den Schöpfer als erste Ursache
a) Es haben nämlich manche, weil sie die Welt mehr als den Welthersteller bewunderten, jene für ungeworden und ewig erklärt, Gott aber dichteten sie in unwürdiger Weise große Untätigkeit an. [...]
b) Moses aber, der bis zum höchsten Gipfelpunkt der Philosophie vorgedrungen und durch Orakel über die meisten und wichtigsten Ursachen der Natur belehrt worden ist, erkannte sehr wohl, dass unter dem Seienden eines die wirkende Ursache, das andere aber passiv sein muss, und dass jenes Wirkende der ganz reine und lautere Geist des Ganzen ist, der besser ist als Tugend, besser als Wissen, besser als das Gute an sich und das Schöne an sich, dass das Leidende dagegen aus sich heraus unbeseelt und unbeweglich ist, sich aber, nachdem es vom Geist bewegt, gestaltet und beseelt wurde, in das vollendetste Werk verwandelte, in diese Welt.
c) Die Leute, die diese ,ungeworden‘ nannten, übersahen, dass sie das Nützlichste und Notwendigste für die Seligkeit aufhoben, die Vorsehung.
Allgemeine Merkmale des Geistes (νοῦς/nūs) nach Aristoteles
Also muss der Geist leidensunfähig sein und doch aufnahmefähig für die Form und in Möglichkeit derartig sein, aber nicht dieses, und ähnlich wie sich das Wahrnehmungsvermögen zum Wahrnehmbaren verhält, muss sich der Geist zum Denkbaren verhalten. Folglich muss er, weil er alles denkt, unvermischt sein, wie Anaxagoras sagt, damit er herrscht, d.h. damit er erkennt; denn das andersartige, das mit erscheint, hindert und versperrt.
Aristoteles unterscheidet zwischen einem aktiven und einem passiven Element innerhalb des Geistes
Da es aber wie in der ganzen Natur einerseits Materie gibt für jede Gattung – sie ist das, was alles Dazugehörige in Möglichkeit ist – andererseits das Ursächliche und Machende – dadurch, dass es alles macht, so wie sich das Handwerk zu seiner Materie verhält – müssen auch in der Seele diese Unterschiede vorliegen, und es gibt einen Geist von der Art, dass er alles wird, und einen von derjenigen, dass er alles macht [...] wie das Licht.
Anaxagoras definiert den Unterschied von Geist und materieller Welt
Und Anaxagoras sagt in aller Deutlichkeit: "In jedem – ausgenommen im Geist – ist ein Anteil von jedem; es gibt aber auch Dinge, in denen Geist ist". Und weiter: "Alles andere hat in Betreff eines Anteils Teil an jedem, der Geist aber ist unendlich und selbstbestimmend und mit nichts durch eine Mischung verbunden".
Plotin über das Verhältnis der Seele zum Geist
Und wie verhalten wir uns zum Geist? [...] Nun: Auch diesen haben wir, und zwar oberhalb von uns. Wir haben ihn aber entweder gemeinsam oder jeder für sich allein [...]: gemeinsam, weil er unteilbar und eins und überall derselbe ist, für sich allein, weil ihn trotzdem jeder in seiner ersten Seele ganz besitzt. Mithin besitzen wir auch die Formen auf zwei Arten, in der Seele quasi entwickelt und quasi voneinander separat, im Geist dagegen alle auf einmal. Und den Gott, inwiefern besitzen wir ihn? Nun: insofern er auf der geistig erkennbaren Natur, d.h. auf dem wirklichen Sein, aufsitzt; und wir sind von dort aus gesehen das dritte [nämlich hinter dem Gott und dem Geist]
Barḥaḏbšabbā (um 600), ein Lehrer an der christlichen Schule von Nisibis im Perserreich, erklärt die Fähigkeiten unserer Seele
Diese rationale und erleuchtete Intelligenz ist eine Ähnlichkeit zu Gott ihrem Schöpfer. [...] Im Hinblick darauf, dass unsere Rede auf diese Intelligenz zielt, die in uns ist, wollen wir sehen, wie sie in uns ist, und welches ihre Wohnstätte ist. [...] Es ist dann folglich ihre Ursache und ihr Fundament die Seele, welche in uns gebunden ist. Das, was an Erkenntniskräften (an) ihr ist, sind drei: Verstand, Denken und Meinen. Aus diesen gehen drei andere hervor, und zwar Begehren, Zornmut und Wollen. Die Intelligenz aber steht oberhalb von ihnen allen, wie der weise Wagenlenker, der geschickte Steuermann, der in die Ferne schaut, und sein Schiff, das diese Schätze trägt, fernhält von den Felsen des Irrtums und von den Nebeln der Unkenntnis, indem der erste und theoretische Teil [S. 342] die Erkenntniskräfte reinigt, so dass sie nicht etwas für ein anderes erkennen (= halten) , sondern die Wahrheit und die Bestimmtheit der Dinge erkennen. Durch den anderen, den praktischen Teil wiederum reinigt sie die Lebenskräfte und bereitet sie vor, dass ihre Lebensführung hierin nicht in unnützen Dingen besteht, sondern dass ihre Bewegungen richtig und trefflich erfolgen.
Der Kirchenvater Origenes deutet Paulus‘ Aussagen im Römerbrief als Theorie der Freiheit des Gewissens (libertas conscientiae)
Und der Apostel sagt, dass diejenigen das Zeugnis eines gesunden Gewissens besitzen, die das in die Herzen eingeschriebene Gesetz einhalten. Daher scheint es notwendig zu erörtern, was dasjenige sei, das der Apostel Gewissen nennt; ob es eine andere Substanz ist als das Herz oder die Seele. Denn von diesem Gewissen wird auch anderswo [in der Bibel] gesagt, dass es tadelt und nicht getadelt wird und den Menschen richtet, selbst aber nicht gerichtet wird. [...] Weil ich also bei ihm eine so große Freiheit sehe, dass es sich immer an den guten Taten freut und über sie jubelt, für die schlechten aber nicht angeklagt wird, sondern die Seele, der es anhängt, tadelt und anklagt, meine ich, dass es der Geist ist, von dem der Apostel sagt, er sei mit der Seele [...], mit ihr verbunden wie ein Erzieher und Leiter, um sie über das Bessere zu ermahnen und über die Schuld zu strafen und anzuklagen.