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Philosophische Zitate aus Antike und Mittelalter

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Abaelard, Peter: Theologia ,Scholarium‘ (Theologia ,Scholarium‘) III 89f.

Petrus Abaelardus definiert Freiheit als Vernunftkonformität
Schließlich haben auch einige die freie Entscheidung darauf zurückgeführt, dass sie sie nur denen zugestehen, die gut und schlecht handeln können. [...] Aber diejenigen, die die freie Entscheidung sorgfältiger untersucht haben, haben gesagt, dass sie keinem fehle, der gut handelt, besonders aber Gott [...] Allgemein und am richtigsten wird daher freie Entscheidung gesagt, wenn jemand in der Lage sein wird, das, was er mit der Vernunft beschlossen hat, willentlich und ohne Zwang auszuführen. Diese Freiheit der Entscheidung wohnt ohne Zweifel Gott ebenso wie allen Menschen gleichermaßen inne, die die Fähigkeit des rechten Willens nicht verloren haben.

Abaelard, Peter: Ethica (Ethica ) I p. 4. 6

Abaelard definiert die Sünde als Zustimmung
Ein Laster ist daher das, wodurch wir zum Sündigen geneigt gemacht werden, d.h. uns dazu neigen, dem zuzustimmen, was nicht richtig ist. [...] Diese Zustimmung aber nennen wir im eigentlichen Sinn Sünde, das heißt eine Schuld der Seele, durch die sie die Verdammung verdient und bei Gott für schuldig befunden wird. [...] Denn weil wir manchmal ohne jeden schlechten Willen sündigen und weil der schlechte Wille selbst, wenn er gezügelt, aber nicht ausgelöscht wird, [...] Material zum Kampf und die Krone des Ruhms liefert, ist er nicht so sehr Sünde, sondern vielmehr eine gewisse Schwäche, die noch notwendig ist, zu nennen. Nehmen wir zum Beispiel jemand Unschuldigen, gegen den sein grausamer Herr durch Wut so bewegt ist, dass er ihn mit gezogenem Schwert verfolgt, um ihn zu töten. Jener ist lange vor ihm geflohen und hat, soweit er konnte, seine Tötung vermieden, aber schließlich tötet er ihn gezwungen und unwillig, damit er nicht selbst getötet wird. Sage mir, wer immer Du auch seist, welchen schlechten Willen er bei dieser Tat hatte.

Bernhard von Clairvaux: De gratia et libero arbitrio (De gratia et libero arbitrio ) II. 3 [I, 167, 29-168, 4 Leclercq]

Bernhard von Clairvaux (1090-1153) sieht den Willen als Ort der Entscheidungsfreiheit an
Die Zustimmung ist ein spontaner Wink des Willens [...]. Der Wille ist eine rationale Bewegung, die sowohl der Wahrnehmung als auch dem Streben vorsteht. Gewiss hat er, wohin er sich wendet, die Vernunft stets als Begleiter und gleichsam als folgsamen Diener, aber nicht, weil er immer aus der Vernunft heraus, sondern weil er sich niemals ohne sie bewegt.

Bernhard von Clairvaux: De gratia et libero arbitrio (De gratia et libero arbitrio ) I. 2; III. 6 [I, 167, 11-18; 170, 13-22 Leclercq]

Bernhard unterscheidet insgesamt drei Arten von Freiheit, von denen die Wahlfreiheit des Willens die niedrigste ist
Dies Streben haben wir also […] mit den Tieren gemeinsam; die Zustimmung des Willens unterscheidet uns aber. […] Sie ist nämlich ein Habitus der Seele, der frei über sich selbst verfügt (liber sui). Sie wird nämlich nicht erzwungen, nicht erpresst. Sie ist Sache des Willens, nicht der Notwendigkeit. […] Wo aber der Wille ist, dort ist Freiheit, [...] aber [...] nicht durch jene Freiheit, von der der Apostel [Paulus] sagt: , Wo der Geist des Herrn ist, dort ist Freiheitʻ (2 Korinther 3, 17). Diese ist nämlich die Freiheit von der Sünde. [...] Es gibt weiterhin eine Freiheit vom Elend, von der der Apostel wiederum sagt: ,auch das Geschöpf wird von der Knechtschaft der Verderbnis zur Freiheit der Ehre der Söhne Gottes befreit werdenʻ.

Robert von Melun: Zusammenstellung der Lehrsätze (Sententiae ) I, II, [0], 121. 143 [L 114va-b. 116va; B 179rb. 181vb]

Der Universitätslehrer Robert von Melun (ca. 1100-1167) begründet die Verschiedenheit von Wille und Vernunft aus dem Sprachgebrauch heraus
Denn die ganze Bibel und jeglicher Sprachgebrauch von Leuten, die mit Bedacht sprechen, schreibt der Vernunft das Unterscheidungsvermögen (discretio) zu und dem Willen das Streben (appetitus), und das nicht zu Unrecht, denn wir unterscheiden mit der Vernunft und streben mit dem Willen, und daher gehört die Unterscheidung zur Vernunft und das Streben zum Willen. [...] Es ist klar, dass diejenigen, die Seelenkräfte durcheinanderbringen, die sagen, der Vernunft komme das Wollen zu und dem Willen das Urteilen.

Thomas von Aquin: Das Schlechte (De malo) q. 6, l. 1-3. 339-349

Thomas von Aquin über die respektiven Aufgaben von Vernunft und Wille
Es wird gefragt [...], ob der Mensch eine freie Wahl seiner Handlungen besitzt oder aus Notwendigkeit wählt. [...] Wenn wir [...] die Bewegung der Seelenvermögen von seiten des Objekts betrachten, das der Handlung ihre Form gibt, stammt das erste Prinzip der Bewegung aus dem Intellekt: Denn auf diese Weise bewegt das erkannte Gut auch den Willen selbst. Wenn wir aber die Bewegung der Seelenvermögen von seiten der Ausführung der Handlung betrachten, so stammt das Prinzip der Bewegung aus dem Willen. Denn stets bewegt das Vermögen, zu dem das primäre Ziel gehört, das Vermögen zum Handeln, dem das zugehört, was auf das Ziel gerichtet ist; so bewegt die Kriegskunst die Zügelmacherei zum Tätigwerden; und auf diese Weise bewegt der Wille sich selbst und die anderen Vermögen.

Thomas von Aquin: Das Schlechte (De malo) q. 6, l. 425-449

Thomas von Aquin über Grenzen der Notwendigkeit des Wollens
[1] Weil also Ratschläge und Wahlen sich auf Einzelnes erstrecken, auf das sich das Handeln bezieht, ist erforderlich, dass das, was als gut und angemessen aufgefasst wird, als gut und angemessen im Einzelnen aufgefasst wird, und nicht nur im Allgemeinen. Wenn also etwas im Hinblick auf alles Einzelne, was überhaupt betrachtet werden kann, als angemessenes Gut aufgefasst wird, wird es den Willen aus Notwendigkeit bewegen; und deswegen erstrebt der Mensch aus Notwendigkeit die Glückseligkeit. [...]

[2] ,Aus Notwendigkeit‘ sage ich aber im Hinblick auf die Bestimmung der Handlung, weil man das Gegenteil nicht wollen kann; aber nicht im Hinblick auf die Ausführung der Handlung, denn jemand kann zu diesem Zeitpunkt nicht an die Glückseligkeit denken wollen; denn auch die Handlungen des Intellektes und des Willens sind selbst Einzelnes. Wenn es aber ein solches Gut ist, das nicht im Hinblick auf alles Einzelne, das betrachtet werden kann, gut gefunden wird, wird es auch im Hinblick auf die Bestimmung der Handlung nicht aus Notwendigkeit bewegen; denn jemand wird das Gegenteil davon wollen können, auch wenn er daran denkt, weil es wohl gut oder angemessen in Bezug auf irgendeinen anderen betrachteten Einzelgesichtspunkt ist, so wie das, was gut für die Gesundheit, nicht gut für die Freude ist.

Thomas von Aquin: Summa theologiae I (Summa theologiae) I 48, 3 responsio u. ad 3

Thomas von Aquin definiert das Schlechte als einen Mangel am geschuldeten Gut
Nicht jede Entfernung eines Guts wird schlecht genannt. Denn ,Entfernung eines Gutsʻ kann sowohl privativ als auch negativ verstanden werden. Folglich hat die Entfernung eines Guts, wo sie negativ verstanden wird, nicht den Gehalt ,schlechtʻ. Sonst würde folgen, dass das, was auf keine Weise ist, schlecht wäre. [...] Aber die Entfernung eines Guts, wenn sie privativ verstanden wird, wird ,schlechtʻ genannt, so wie die Privation (Wegnahme) des Sehvermögens Blindheit genannt wird. [...]
Das Böse ist aber nicht als in seinem Subjekt in dem Guten, was ihm entgegengesetzt ist, sondern in einem anderen Guten. Das Subjekt der Blindheit ist aber nicht das Sehvermögen, sondern das Lebewesen.

Thomas von Aquin: Summa theologiae I (Summa theologiae) I 49, 2 responsio

Thomas von Aquin erklärt, wie es Schlechtes im Universum geben kann
Das Schlechte, das in einem Fehler des Handelns besteht, wird immer durch einen Fehler des Handelnden verursacht. In Gott aber ist kein Fehler vorhanden, sondern höchste Vollkommenheit. [...] Daher wird das Schlechte [...], was durch einen Fehler des Handelnden verursacht wird, nicht auf Gott als Ursache zurückgeführt. Aber das Schlechte, das im Vergehen irgendwelcher Dinge besteht, wird auf Gott als Ursache zurückgeführt. Und das ist sowohl für das Natürliche als auch für das Freiwillige klar. [...] Die Form, auf die Gott bei den geschaffenen Dingen in erster Linie abzielt, ist das Gut der Ordnung des Universums. Die Ordnung des Universums erfordert es aber [...], dass es einiges gibt, was Fehler aufweisen kann und manchmal Fehler aufweist. Und so verursacht Gott [...] infolge hiervon und gleichsam akzidentell das Vergehen von Dinegen. [...] Und deswegen ist Gott der Urheber des Schlechten, das die Strafe ist, nicht aber des Schlechten, das die Schuld ist.

Thomas von Aquin: Summa theologiae I-II (Summa theologiae) I-II, 19, 5, resp. und ad 1

Thomas von Aquin begründet, warum primär der individuellen Vernunft zu folgen ist
[1] Weil das Objekt des Willens das ist, was von der Vernunft vorgestellt wird, [...], nimmt der Wille, weil ihm etwas von der Vernunft als schlecht vorgestellt wird, den Gehalt des Schlechten an. [...] Zum Beispiel ist es etwas Gutes, sich vom Ehebruch zurückzuhalten; trotzdem wird der Wille zu diesem Gut nicht anders bewegt, als es ihm von der Vernunft vorgestellt wird. Wenn es also von einer irrenden Vernunft als schlecht vorgestellt wird, wird er hierzu unter dem Gehalt des Schlechten bewegt. [...] Daher muss man sagen, dass schlechthin jeder Wille, der von der Vernunft abweicht, egal ob sie richtig oder irrig ist, immer schlecht ist. [...]
[2] Wenn irgendein Mensch erkennen würde, dass die menschliche Vernunft etwas gegen ein Gebot Gottes vorschriebe, dann wäre er nicht verpflichtet, der Vernunft zu folgen. Aber in diesem Fall wäre die Vernunft nicht vollständig irrig.

Heinrich von Gent : Quodlibet I, p. 96. 100. 108

Der voluntaristische Denker Heinrich von Gent (ca. 1240-1293) betont, dass Freiheit im Willen und nicht in der Vernunft liegt
Wir [...] können nicht sagen, dass [...] in irgendjemandem ein Urteil der Vernunft einen schlechten Willen hervorgebracht hat. Es hätte dies nämlich aufgrund derselben Vernunft in jemand anderem hervorgebracht, weil wir annehmen, dass sie im Geiste auf gleiche Weise strukturiert gewesen sind. [...] Der Wille wendet sich allein durch sich selbst einerseits zum Guten, aufgrund seiner natürlichen Freiheit, durch die er ein gutes Geschöpf Gottes ist [...]; er wendet sich auch schlechthin durch selbst zum Schlechten, aufgrund der natürlichen Fehlbarkeit, durch die er aus dem Nichts stammt, durch welche er einen Fehler im Hinblick auf das Nichts der Schuld machen kann [...], welches schlecht und eine Sünde ist. Und aus einem solchen fehlbaren Prinzip heraus kann er, wenn etwas Schlechtes und etwas Gutes vorgeschlagen werden, das Schlechte bevorzugen – jedoch unter dem Gehalt irgendeines scheinbaren Gutes (denn er kann überhaupt nichts wählen [...] außer unter dem Gehalt irgendeines Gutes) –, und, wenn ein größeres und ein kleineres Gut vorgeschlagen werden, dass kleinere Gut bevorzugen und irgendeines von zwei gleichen vorgeschlagenen Gütern vorziehen.

Heinrich von Gent : Quodlibet IX, p. 196

Heinrich von Gent über den Einfluss der Vernunft auf den Willen und seine Grenzen
Wie sehr auch immer durch eine [...] beweisende Schlussfolgerung der Wille bestimmt wird – er kann dies frei zurückweisen, obwohl es ihm eine Last auferlegt, durch die er dazu geneigt wird, dies zu tun, wodurch das Gewissen beginnt, den Willen zu informieren, dass er dies tun muss, was er trotzdem, trotz des Gewissens, nicht machen kann. [...] Weil nämlich jene Last ihm von der Vernunft auferlegt wurde, weil ein Vorgang des Nachdenkens bestimmte, es sei als gut zu wollen, kann der Wille mit einem eigenen Befehl die Vernunft oder den Intellekt dazu antreiben, einen ebenso wirksamen Grund für das Gegenteil zu finden.

Wilhelm von Ockham: Verschiedene Probleme (Quodlibet ) VI q. 1; p. 68

Wilhelm von Ockham unterscheidet zwischen der geordneten und der absoluten Macht Gottes
Gott kann jedes für sich Bestehende, das von einem anderen unterschieden ist, von ihm abtrennen und ohne dieses im Sein erhalten. [...] Gott kann gewisse Dinge nach seiner geordneten Macht tun und einige nach seiner absoluten Macht. [...] ,Etwas könnenʻ wird manchmal im Blick auf die von Gott geordneten und erlassenen Gesetze verstanden. Dann wird gesagt, Gott könne das gemäß der geordneten Macht tun. Anders wird ,könnenʻ verstanden als all das machen können, was keinen Widerspruch in sich trägt – unabhängig davon, ob Gott angeordnet hat, dass er dies tun werde oder nicht. Denn Gott kann [...] vieles machen, was er nicht machen will. Hiervon heißt es, das mache Gott gemäß der absoluten Macht.

Duns Scotus, Johannes: Ordinatio (Ordinatio) III d. 37 q. un. nr. 18. 20. 25

Johannes Duns Scotus schränkt die Reichweite naturgesetzlicher Vorschriften ein
Von einigem kann man sagen, es gehört zum Naturgesetz [...] gleichsam als erste praktische Prinzipien, die aus ihren Begriffen selbst bekannt sind, oder notwendig folgende Konklusionen. [...] Es folgt notwendig: Wenn es Gott gibt, ist er als Gott zu lieben, und dass nichts anderes gleich wie ein Gott zu verehren ist und dass Gott Ehrfurcht zu erweisen ist. Und folglich kann Gott in diesen Bereichen nicht dispensieren, so dass jemand erlaubterweise das Gegenteil des so Verbotenen tun darf. [...] Auf andere Weise wird von einigem gesagt, es gehöre zum Naturgesetz, weil es sehr gut zu diesem Gesetz stimmt, obwohl es nicht notwendig aus den praktischen Prinzipien folgt

Wilhelm von Ockham: Fragen zum 2. Buch der Sentenzen (In II Sententiarum ) q. XV / 5 p. 352f.

Wilhelm von Ockham argumentiert für die Autonomie Gottes von moralischen Vorschriften
Obwohl Hass, Diebstahl, Ehebruch und Ähnliches nach dem allgemeinen Gesetz mit einem schlechten Umstand verbunden sind, insofern sie von jemandem ausgeführt werden, der durch göttliches Gebot zum Gegenteil verpflichtet ist, können sie trotzdem [...] von Gott ohne Verbindung mit irgendeinem schlechten Umstand ausgeführt werden. Und sie können auch vom Pilger [d.h. vom Menschen] verdienstvoll ausgeführt werden, wenn sie unter ein göttliches Gebot fielen. [...] Der geschaffene Wille wird durch ein Gebot Gottes zur Gottesliebe verpflichtet, und daher kann er, solange dieses Gebot gilt, Gott nicht auf gute Weise hassen oder einen Akt des Hasses verursachen. [...] Aber wie Gott einen Akt der Liebe schlechthin ohne moralische Güte oder Schlechtigkeit verursachen kann, weil moralische Güte oder Schlechtigkeit meinen, dass der Handelnde zu diesem Akt oder seinem Gegenteil verpflichtet ist, so kann er einen Akt des Gotteshasses schlechthin ohne jegliche Schlechtigkeit verursachen

Gregor von Rimini : Kommentar zum 2. Buch der Sentenzen des Petrus Lombardus d. 34-37, Art. 2

Der Ockham-Gegner Gregor von Rimini (ca. 1300-1358) betont, dass moralische Regeln selbst gelten würden, wenn es Gott nicht gäbe
Wenn gefragt werden sollte, warum ich eher uneingeschränkt von ,gegen die rechte Vernunft‘ spreche, als eingeschränkt von ,gegen die göttliche Vernunft‘, so antworte ich: Damit nicht der Eindruck entsteht, dass die Sünde schlechterdings gegen die göttliche Vernunft und in Bezug auf dasselbe nicht gegen jede rechte Vernunft verstoße [...]; denn wenn – gesetzt den unmöglichen Fall – es die göttliche Vernunft oder Gott selbst nicht gäbe oder jene Vernunft irren würde, würde immer noch sündigen, wer gegen die engelhafte oder menschliche oder eine andere rechte Vernunft (wenn es sie gäbe) handelt. Und wenn es ganz und gar keine rechte Vernunft gäbe, würde immer noch sündigen, wer gegen das handelt, was irgendeine rechte Vernunft – wenn es sie gäbe – als zu tun diktierte.

Gregor von Rimini : Kommentar zum 2. Buch der Sentenzen des Petrus Lombardus d. 34-37, Art. 2

Mithilfe einer Unterscheidung erklärt Gregor von Rimini, wieso es stets eine Sünde ist, Gott zu hassen
[1] ,Verbot‘ kann auf zwei Weisen verstanden werden, und ebenso ,Gebot‘ und ,Gesetz‘ [...], so dass nämlich einerseits vom indikativischen und andererseits vom imperativischen [Gebot bzw. Gesetz] gesprochen wird.
[2] Indikativisch ist dasjenige, durch das lediglich angezeigt wird, dass etwas nicht zu tun ist, oder etwas anderes, woraus folgt, dass es nicht zu tun ist, wie wenn angezeigt wird, etwas sei ungerecht oder schlecht. [...] Ich nenne es aber indikativisch, weil es im Wortlaut durch ein Verb im Indikativ ausgedrückt wird. [...] Hieraus ist klar, dass jede Erkenntnis, die ein Mensch über das hat, was zu tun oder zu vermeiden ist, irgendwie Gebot oder Verbot genannt wird und folglich eine indikativische oder ausgesprochene Erkenntnis.
[3] Imperativisch nenne ich aber dasjenige, wodurch jemandem befohlen wird, etwas zu tun oder nicht zu tun, und dies wird durch ein Verb im Imperativ ausgedrückt. [...]
[4] Wenn man auf die erste Weise von einem Verbot spricht [...], sage ich [...], dass es unmöglich ist, dass irgendwelche Sünden nicht von Gott verboten sind. [...] Wenn aber von einem Verbot im zweiten Sinn gesprochen wird [...], ist und war es möglich für Gott, niemandem irgendeinen derartigen Befehl zu geben [...]; jedoch würde jemand, wenn denn auch nichts so verboten wäre oder gewesen wäre, immer noch gewiss sündigen [...], wenn er Gott hassen würde.

Marsilius von Padua : Der Verteidiger des Friedens (Defensor pacis ) I 12, p. 66f.

Marsilius von Padua (ca. 1275/90 - 1342/3) macht die Gesamtheit der freien Bürger zu Gesetzgebern
[1] Nur bei dem liegt die Autorität der Gesetzgebung, durch den die erlassenen Gesetze besser oder überhaupt eingehalten werden. Dieser aber ist nur die Gesamtheit der Bürger; ihr kommt also die Autorität der Gesetzgebung zu.
[2] Der erste Satz dieses Beweises kommt den aus sich selbst klaren sehr nahe; denn das Gesetz wäre untätig, wenn es nicht eingehalten würde. [...] Den zweiten Satz beweise ich: Denn das Gesetz wird von jedem der Bürger am besten eingehalten, von welchem jeder meint, er habe es sich selbst auferlegt; so ist ein Gesetz, das durch Anhörung und Gebot der gesamten Menge der Bürger erlassen wurde. Der erste Satz dieses Vorsyllogismus erscheint gleichsam von selbst; denn weil ,die Bürgerschaft eine Gemeinschaft von Freien‘ ist, wie in [Aristoteles,] Politik III 4 geschrieben steht, muss jeder Bürger frei sein und darf die Despotie, d.h. die Sklavenherrschaft eines anderen nicht ertragen.

Wilhelm von Ockham: Dialog (Dialogus) III 1, 2, c. 6

Wilhelm von Ockham (ca. 1285-1347) erläutert Aristoteles‘ Konzept der Monarchie
[1] ,Eine königliche Alleinherrschaft‘ ist nach Aristoteles, Nikomachische Ethik VIII, die beste [Verfassung] gemäß der Art und Weise von ihm [dem Herrscher] selbst [...] [d.h.], wenn jemand in einem Königreich nicht gemäß einem Gesetz, sondern gemäß seinem Willen regiert und herrscht [...], der wegen des Gemeinwohls aller herrscht und von keinen menschlichen, rein positiven Gesetzen oder Gewohnheiten gebunden ist, sondern über derartigen Gesetzen steht, wenn er auch an die natürlichen Gesetze gebunden ist. [...] Er unterscheidet sich aber von einer despotischen Herrschaft, weil die despotische Herrschaft primär auf das eigene Wohl des Herrschenden gerichtet ist.
[2] Aber jemand, der in einer vorher beschriebenen königlichen Herschaft herrscht, kann die Untertanen und ihre Güter nicht gebrauchen, wie es ihm nur beliebt. [...] Und daher sind sie keine Knechte von ihm, sondern erfreuen sich der natürlichen Freiheit, denn zur natürlichen Freiheit gehört es, dass man keine Freien für den Nutzen des Benutzers gebrauchen kann. Aber es widerspricht der natürlichen Freiheit nicht, dass jemand die Freien vernunftgestützt für das Gemeinwohl gebraucht, denn jeder ist verpflichtet, das Gemeinwohl dem privaten vorzuziehen.

Wilhelm von Ockham: Dialog (Dialogus) 1, 1, c. 5

Wilhelm von Ockham plädiert für die Einschränkung der Macht des Papstes
[1] Das christliche [...] Gesetz ist von der Einsetzung durch Christus her ein Gesetz der Freiheit im Vergleich zum alten Gesetz, welches im Vergleich zum neuen Gesetz ein Gesetz der Knechtschaft war. Aber wenn der Papst von Christus her eine solche Fülle von Macht hätte, dass er alles dürfte, was weder gegen das göttliche Gesetz noch gegen das Naturgesetz ist, wäre das christliche Gesetz von der Einsetzung durch Christus her ein Gesetz von unerträglicher Knechtschaft und von viel größerer Knechtschaft als das alte Gesetz. Also hat der Papst nicht von Christus her eine solche Fülle der Macht sowohl im Geistlichen als auch im Zeitlichen [...].
[2] Denn wenn das der Fall wäre, wären alle Christen Knechte, und keiner wäre von freier Beschaffenheit [...], in der Weise, dass der Papst die Könige und alle anderen Christen ihrer Königreiche und aller Dinge berauben könnte, die Könige und Fürsten allen anderen unterwerfen und sie zu deren Knechten machen. Denn dies und Ähnliches ist weder gegen das göttliche Gesetz noch gegen das Naturgesetz. [...] Hieraus folgt, dass die genannte Meinung über die Fülle der Macht des höchsten Priesters nicht nur als falsch, sondern auch als häretisch eingeschätzt werden muss.