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Philosophische Zitate aus Antike und Mittelalter

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Cicero: Das Schicksal (De fato) 31. 34

Die antistoische Gegenposition des Akademikers Karneades
(31) Karneades billigte diese ganze Art und Weise nicht und meinte, dieses Argument würde allzu unbedacht in der Folgerung verwendet. [...] (34) Wenn zugestanden wird, dass nichts ohne vorhergehende Ursache geschehen könne, was wird sich wohl ergeben, wenn man sagt, diese Ursache sei nicht aus ewigen Ursachen gefügt? Die Ursache ist aber die, die das bewirkt, dessen Ursache sie ist, so wie die Wunde für den Tod, die Rohheit für die Krankheit, das Feuer für die Hitze. Daher darf „Ursache“ nicht so verstanden werden, dass das, was irgendwem vorangeht, die Ursache dafür sei, sondern das, was einem jeden bewirkend vorangeht; nicht dass ich ins Feld heruntergestiegen bin, sei die Ursache dafür gewesen, aufgrund derer ich Ball gespielt habe, und nicht Hekabe sei die Ursache für den Untergang Trojas gewesen, weil sie Alexander (= Paris) gezeugt habe.

Cicero: Das Schicksal (De fato) 42. 44. 46

Cicero sieht eine große Nähe zwischen der stoischen und der akademischen Position
(42) Obwohl eine Zustimmung nicht ohne Anstoß durch etwas Gesehenes erfolgen kann, so hat es das Gesehene doch, obwohl es dies als Nahursache hat, nicht als Hauptursache, als Ursache, wie Chrysipp meint, [...] [aber] nicht so, dass die Zustimmung erfolgen könnte, ohne von irgendeiner äußeren Kraft angeregt zu sein [...], sondern er kehrt zu seinem Zylinder und zu seinem Kreisel zurück, die nicht beginnen können sich zu bewegen, wenn sie nicht gestoßen werden. [...].
(44) Wenn die, die bestreiten, dass Zustimmungen durch das Schicksal erfolgen [...], zugestehen, dass Gesehenes vorhergeht, aber die Zustimmungen trotzdem nicht durch das Schicksal erfolgen, weil diese Nah- und Unmittelbarursache die Zustimmung nicht bewegt, schau, ob sie nicht dasselbe sagen. [...] Hieraus ist leicht zu begreifen, dass beide, nachdem ihre Ansicht erklärt und verdeutlicht wurde, zum selben Ergebenis kommen, nämlich dass sie in Worten, nicht in der Sache verschiedener Meinung sind. [...]
Auf diese Weise muss man diesen Fall erörtern, nicht aber bei herumirrenden und vom Weg abweichenden Atomen Schutz suchen.

Tacitus (Publius Cornelius Tacitus) : Annalen (Annales ) I 59

Der römische Historiker Publius Cornelius Tacitus (ca. 58-120 n. Chr.) schildert Arminius Werbung für Beteiligung am antirömischen Aufstand
Arminius trieben, zusätzlich zu seiner angeborenen Wildheit, die geraubte Gattin, der der Knechtschaft unterworfene Nachwuchs zur Weißglut; er stürmte durch die Cherusker, und forderte Waffen gegen Segestes, Waffen gegen den Kaiser. [...] Die Germanen könnten niemals hinreichend entschuldigen, zwischen Elbe und Rhein [die römischen Symbole] Ruten, Äste und Togen zu sehen. [...] Wenn sie das Vaterland, die Eltern, das Althergebrachte lieber wollten als Herren und neue Kolonien, sollten sie eher Arminius, dem Führer zu Ruhm und Freiheit, als Segestes, dem zu schändlicher Knechtschaft, folgen.

Seneca: Brief an Lucilius (Epistula ad Lucilium ) 37, 3f.

Der stoische Philosoph Lucius Annaeus Seneca (ca. 1-65 n. Chr.) gibt die stoische Ansicht über die Philosophie als Weg zur Freiheit wieder
,Du kannst den Notwendigkeiten nicht entfliehen, du kannst sie besiegen, es entsteht ein Weg‘. Und diesen Weg gibt Dir die Philosophie. Zu dieser begib dich, wenn du heil, wenn du sicher, wenn du glücklich sein willst, ja wenn du, was das Größte ist, frei sein willst. Das kann nicht anders geschehen. Eine niedrige Sache ist die Dummheit, verworfen, schmutzig, sklavisch, vielen und äußerst wilden Emotionen unterworfen. Diese so schwer lastenden Herren, manchmal einander befehlend, manchmal gleichwertig, entfernt die Weisheit von Dir, die allein die Freiheit ist. [...] Wenn du dir alles unterwerfen willst, unterwirf dich der Vernunft; viele wirst du regieren, wenn die Vernunft dich regiert.

Tertullian (Quintus Septimius Florens Tertullianus: Gegen Markion (Contra Marcionem ) II 5, 1f.

Der christliche Apologet Quintus Septimius Florens Tertullianus (ca. 150-220) fasst die Argumentation seines Gegners Markion zusammen
Oh ihr Hunde [...], die ihr den Gott der Wahrheit anbellt, das sind die Knochen von Argumentationen, die ihr abnagt: ,Wenn Gott gut ist, sowie die Zukunft vorherwissend und mächtig genug, das Schlechte abzuwehren, warum hat er es zugelassen, dass der Mensch, und zwar sein eigenes Bild und Gleichnis (Gen. 1, 26) [...], vom Gesetzesgehorsam zum Tode hin abglitt, umschlichen vom Teufel? [...] Aber wenn dies geschah, dann ist es im Gegenteil so aufgelöst, dass man weder an einen guten noch an einen vorherwissenden noch an einen mächtigen Gott glauben darf‘.

Tertullian (Quintus Septimius Florens Tertullianus: Gegen Markion (Contra Marcionem ) II 6, 4f.

Tertullians Antwort: Die libertas arbitrii als Bedingung der Güte des Menschen
Von Natur aus gut ist allein Gott. Denn wer das, was er ist, anfanglos besitzt, hat dies nicht durch ein Einrichten, sondern von Natur aus. [...] Damit also der Mensch sein eigenes Gut besitze, als ein für ihn von Gott freigegebenes, und eine Eigenschaft bzw. in gewissem Sinne eine Natur des Guten entstehe, wurde ihm durch Einrichtung [...] die Freiheit und Macht der Entscheidung zugeschrieben, die bewirkte, dass vom Menschen aus eigenem Antrieb schon ein gleichsam eigentümliches Gut bereitgestellt wurde, weil dies der Gehalt der Güte erforderte, die freiwillig ausgeübt werden musste, nämlich aus der Freiheit der Entscheidung heraus.

Alexander von Aphrodisias: Über das Schicksal (De fato) 2, p. 169, l. 13-170, l. 14

Nach dem Peripatetiker Alexander von Aphrodisias (um 200) sind neben dem Schicksal auch die Wahl und die Natur Ursachen die das Weltgeschehen mit bestimmen
[1] Und worüber die Vorzugswahl bestimmt (das ist das, was gemäß Tugend und Schlechtigkeit getan wird), auch dies scheint von uns abhängig zu sein. Wenn dies aber von uns abhängig ist, über dessen Getan-Werden und Nicht-Getan-Werden wir anscheinend bestimmen [...], bleibt zu sagen übrig, dass das Schicksal in dem von Natur aus Geschehenden ist, so als ob das Schicksal und die Natur dasselbe wären. [...]
[2] Deswegen nennen sie auch die ersten der für das Geschehen der Natur gemäß verantwortlichen Ursachen [...] Ursachen des Schicksals. Denn das Prinzip für jedes Geschehen ist ein irgendwie geartetes Verhalten des Göttlichen zum Hiesigen gemäß der Bewegung. [...]
[3] Aber das gemäß der Natur Geschehende geschieht nicht aus Notwendigkeit, sondern das Entstehen des so Geschehenden wird manchmal [...] verhindert. [...] Deswegen wird jemand auch zu Recht sagen, die eigene Natur eines jeden sei der Ursprung und die Ursache für die Ordnung des gemäß der Natur in ihm Geschehenden. [...] Wir sehen nämlich, dass der Körper, weil seine Natur so oder so ist, sich in Krankheiten und Bedrängnissen der natürlichen Zusammensetzung folgende verhält, aber nicht aus Notwendigkeit.

Irenaeus von Lyon : Gegen die Häresien (Adversus haereses ) 4, 37, 1. 4 [= frg. Graec. 21, l. 24-29]

Der christliche Apologet Irenaeus von Lyon (ca. 135-202) hält gegen den Dualisten Markion (ca. 85-160) die Freiheit des Menschen fest
Das aber, was die Schrift sagt: ,Wie oft wollte ich Deine Söhne sammeln, und Du wolltest nicht‘ (Evangelium nach Matthäus 8, 11f.), hat das alte Gesetz der Freiheit verdeutlicht, denn Gott schuf den Menschen frei, so dass er von Anfang an seine Macht ebenso besaß wie seine Seele, um die Anordnung Gottes freiwillig zu gebrauchen, nicht gezwungen von ihm. [...] Weil alle die gleiche Natur haben und fähig sind, das Gute zurückzuhalten und zu tun [...], deswegen sagt Paulus: ,Alles ist mir erlaubt, aber nicht alles nützt‘ (1 Korinther 6, 12), indem er das Freie am Menschen erklärt – deswegen: alles ist erlaubt, ohne dass Gott ihn zwingt – und das Nützliche aufzeigt, damit wir die Freiheit nicht zur Bedeckung der Schlechtigkeit benutzen, denn dies ist unnütz. Das von selbst Geschehende wird nicht in gleicher Weise geliebt wie das mit Mühe Aufgefundene.

Bardaiṣān: Buch der Gesetze der Völker § 11. 19

Grundlegende Elemente von Bardaiṣāns Freiheitslehre
[1] Dem Menschen wurde nichts zu tun befohlen, außer dem, was sie zu tun vermögen. Zwei Gebote wurden uns nämlich vorgelegt: Das eine, dass wir uns von allem, was schlecht ist und von dem wir nicht wollen, dass es von uns geschieht, fernhalten; das andere, dass wir tun, was gut ist und was wir lieben gutheißen, dass es von uns so geschieht. [...]
[2] Ich sage nun: Es gibt je eine Macht für Gott und für die Engel und für die Mächte und für die Regenten und für die Elemente und für die Menschen und für die Tiere; und allen diesen Ordnungen, die ich genannt habe, ist nicht in jeder Hinsicht Macht gegeben [...], damit sie in dem, was sie vermögen, die Güte Gottes erkennen, und in dem, was sie nicht vermögen, erkennen, dass es für sie einen Herrn gibt. [...]
[3] Von uns Menschen stellt man fest, dass wir von Natur aus gleich geleitet werden, und vom Schicksal verschieden, und jeder von der Freiheit, wie er nur will.

Origenes: Philokalia 23, 1, l. 1-15

Der Kirchenvater Origenes (ca. 185-254) macht die Astraldetermination aus christlicher Perspektive zum Thema
Zum Allernotwendigsten gehört, zu untersuchen, [...] ob die Himmelslichter zu Zeichen geworden sind. Denn nicht nur viele Heiden [...] werden überwältigt von der Annahme des Schicksals, indem sie annehmen, durch den Zusammenhang der sogenannten wandernden Sterne [i.e. Planeten] mit den Sternzeichen geschehe alles auf der Erde und in Bezug auf den einzelnen Menschen [...], sondern auch viele derer, die den Glauben übernommen haben, werden hierzu herübergezogen. [...] Für die, die diese Lehre annehmen, folgt, dass sie das von uns Abhängende ganz und gar aufheben, deswegen auch Lob und Tadel sowie die akzeptablen und die tadelnswerten Handlungen.

Origenes: Philokalia 23, 1, l. 1-15

Origenes argumentiert gegen die Determination durch die Sterne und den Demiurgen, d.h. einen zweiten Schöpfer neben Gott
[1] Wenn aber einige von ihnen, um Gott zu entschuldigen [von der Verantwortung für die bösen Taten], sagen, der Gute sei ein anderer und enthalte nicht den Ursprung von diesem, und alles Derartige dem Demiurgen zuschreiben [...], muss man im Hinblick auf sie selbst prüfen, was sie sagen: Sind sie dem Lauf der Sterne unterworfen oder sind sie frei [...] und erhalten nichts von dort als etwas in sie selbst hinein Bewirktes?
[2] Wenn sie nun sagen werden, sie seien den Sternen unterworfen, ist klar, dass die Sterne ihnen dieses Denken geschenkt haben; also wird der Demiurg ihnen durch die Bewegung des Alls das Wort über den erfundenen Gott oberhalb suggeriert haben, was sie nicht wollen.
[3] Wenn sie aber antworten, dass sie sich außerhalb der Gesetze des Demiurgen bewegen, die sich auf die Sterne beziehen, sollen sie versuchen [...], uns etwas Zwingenderes anzugeben, indem sie einen Unterschied benennen zwischen einem individuellen Geist, der dem Werden und dem Schicksal unterliegt, und einem anderen, der hiervon frei ist.

Origenes: Philokalia 23, 1, l. 1-15

Origenes diskutiert, ob das Vorwissen Gottes eine Gefahr für die Freiheit darstellt
[1] Nun behaupten sie: Wenn Gott von Ewigkeit her erkannt hat, dass dieser [...] dieses bestimmte Unrecht tun wird, die Erkenntnis Gottes aber unfehlbar ist [...], wird sein Unrecht-Tun notwendig gemacht, und es wird unmöglich sein, dass er etwas anderes tut, als Gott vorhergesehen hat. [...]
[2] Diesen muss man antworten, dass Gott, wenn er sich zum Beginn der Weltschöpfung anschickt [...], mit dem Geist alles Geschehende bereist und sieht: Wenn dies geschehen ist, folgt dies, wenn aber dies geschieht, dann ergibt sich des Folgende, bei dessen Zustandekommen sich jenes ereignen wird – und so weiter bis zum Ende der Dinge weiß er, da er es bereist hat, was sich ereignen wird. [...]
[3] Und wenn man sagen muss, dass nicht das Vorwissen der Grund für das Geschehende ist [...], so sagen wir doch etwas ziemlich Paradoxes, aber Wahres: Das, was geschehen wird, ist die Ursache dafür, dass sein Vorwissen so und so ist. Denn es geschieht nicht, weil es vorher erkannt wurde, sondern es wurde erkannt, weil es geschehen sollte.

Origenes: Gegen Kelsos (Contra Celsum ) III 37; I, 234, 9-13

Origenes erklärt falsches Handeln durch die Selbsttäuschung der Klugen
So wie sich viele innerhalb der Philosophie in der Wahrheit zu befinden scheinen, die sich gewiss selbst mit glaubwürdigen Argumenten getäuscht oder vorschnell den von anderen vorgetragenen oder gefundenen zugestimmt haben, so gibt es nämlich auch unter den außerkörperlichen Seelen, d.h. den Engeln und Dämonen, einige, die durch Plausibilitäten (πιθανότητες) dazu gebracht wurden, sich selbst als Götter zu bezeichnen.

Proklos : Kommentar zu Platons Timaios (In Timaeum commentaria ) 1, 378, 10-22

Proklos schreibt die Entstehung des Bösen der Seele zu, insbesondere für sie selbst
Nur die Seele stellt sich durch das Wählen jeweils zu einer anderen Ordung. Denn jede Wahl führt die Seele entweder herauf oder zieht sie herab. Wenn also die Wahl von der Seele weg erfolgt, ist sie schlecht, wenn sie aber das Wählende in die eigene Ordnung stellt, entspricht sie dem Recht und ist gut. [...] Es gibt also nichts Schlechtes, was nicht auch irgendwie gut ist, sondern alles hat an der Vorsehung teil.

Proklos : Kommentar zu Platons Timaios (In Timaeum commentaria ) 1, 378, 22-379, 26

Proklos erklärt die Möglichkeit, dass die Seele auch das Schlechte wählen kann, durch die mögliche Vollkommenheit des Universums
[1] Wenn sich einige wundern, aus welchem Grund sie am Anfang hinabgeschickt wurde, obwohl sie eine Schlechtes hervorbringende Ursache [...], muss man ihnen antworten, dass das Hervorgehen des Seienden kontinuierlich ist und keine Leerstelle innerhalb des Seienden geblieben ist. [...]
[2] Wie aber soll die Kontinuität des Seienden gewahrt werden, wenn das Allgemeine und Selbstbewegte sowie das Einzelne und Fremdbewegte von vornherein bestehen, wir aber das zwischen diesen befindliche, das zwar selbstbewegt, aber zugleich einzeln ist, auslassen würden? [...] So wie das, was für die Einzelnatur schlecht ist, für die allgemeine Natur gut ist, so ist auch das, was für das allgemeine Leben schlecht ist, für das allgemeine Leben gut.

Augustinus von Hippo: Der Gottesstaat (De civitate dei) V 8, p. 201, 12-22

Augustinus erklärt eine sachliche Nähe zur Stoa im Freiheitsbegriff
Mit denen, die die Verbindung und Reihe aller Ursachen, durch die alles geschieht, was geschieht, mit dem Begriff ,fatumʻ (Schicksal) bezeichnen, muss man sich nicht lange in einem Streit um Worte abmühen und auseinandersetzen, weil sie ja die Ordnung der Ursachen und eine bestimmte Verbindung dem Willen und der Macht des höchsten Gottes zuschreiben, von dem man sowohl glaubt, dass er alles am besten und wahrhaftigsten weiß, bevor es geschieht, als auch, dass er nichts ungeordnet lässt. Von ihm stammen alle Mächte, obwohl von ihm nicht alle Willensentscheidungen stammen.

Augustinus von Hippo: Der Gottesstaat (De civitate dei) V 9, p. 205, 5-8; V 10, p. 208, 16-19; 209, 16-20. 29-31

Augustinus löst das Problem von Gottes Vorwissen und Freiheit, indem er das Vorwissen zur Garantie der Wahrheit der Freiheit erklärt
Wir [...] behaupten, dass Gott alles weiß, bevor es geschieht, und dass wir durch unseren Willen alles bewirken, von dem wir fühlen und wissen, das es nur durch uns als Wollende bewirkt wird. [...] Denn wir bewirken vieles, dass wir, wenn wir es nicht wollten, keineswegs bewirken würden. Hierzu gehört zunächst einmal das Wollen selbst; denn wenn wir wollen, dann ist es da, wenn wir nicht wollen, dann ist es nicht da. [...] Also ist nicht deswegen nichts in unserem Willen, weil Gott vorher wusste, was in unserem Willen sein wird. Denn der, der das vorher wusste, wusste nicht nichts vorher, [...] sondern er wusste etwas vorher. Folglich sind die Gesetze, der Tadel, das Lob und die Kritik, weil er vorher wusste, dass sie da sein werden.

Anselm von Canterbury: Über die Freiheit der Entscheidung (De libertate arbitrii) § 1

Anselm von Canterbury (1033-1109) legt Grundvoraussetzungen der mittelalterlichen Freiheitsdebatte fest
Schüler: Weil eine freie Entscheidung der Gnade, der Vorherbestimmung und dem Vorwissen Gottes zu widersprechen scheint, möchte ich wissen, was die Freiheit der Entscheidung selbst ist und ob wir sie immer besitzen. [...]
Lehrer: Ich glaube nicht, dass die Freiheit der Entscheidung das Vermögen ist, zu sündigen und nicht zu sündigen. Denn wenn dies ihre Definition wäre, hätten weder Gott noch die Engel, die nicht sündigen können, eine freie Entscheidung. [...] Obwohl die freie Entscheidung der Menschen sich von der freien Entscheidung Gottes und der Engel unterscheidet, muss doch die Definition dieser Freiheit, der gleichen Bezeichnung entsprechend, in beiden dieselbe sein. [...] Daher muss man eine solche Definition von ,Freiheit der Entscheidung‘ geben, die nicht mehr und nicht weniger als diese enthält. Weil also die göttliche freie Entscheidung und die der Engel nicht sündigen kann, gehört ,sündigen zu können‘ nicht zur Definition von ,Freiheit der Entscheidung‘.

Anselm von Canterbury: Über die Freiheit der Entscheidung (De libertate arbitrii) § 3f.

Anselm von Canterburys Definition der Freiheit der Entscheidung
Lehrer: Weil jede Freiheit eine Macht ist, ist jene Freiheit der Entscheidung die Macht, die Rechtheit des Willens um der Rechtheit selbst willen zu bewahren. [...] Schüler: Offensichtlich. [...] Nachdem sie diese aber aufgegeben hat: Wie kann sie bewahren, was sie nicht besitzt? [...] Lehrer: Was spricht dagegen, dass wir die Macht haben, die Rechtheit des Willens um der Rechtheit selbst willen zu bewahren, auch wenn die Rechtheit selbst nicht vorhanden ist, solange nur die Vernunft in uns ist, durch die wir sie erkennen, und der Wille, mit dem wir sie festhalten können? Denn hieraus besteht die genannte Freiheit der Entscheidung.