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Philosophische Zitate aus Antike und Mittelalter

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Alexander von Aphrodisias: Über das Schicksal (De fato) 2 (p. 169, l. 13-170, l. 14)

Nach Meinung des Peripatetikers Alexander von Aphrodisias (um 200 n. Chr.) sind neben dem Schicksal auch die Wahl und die Natur Ursachen, die das Weltgeschehen mit bestimmen
[1] Und worüber die Vorzugswahl bestimmt (das ist das, was gemäß Tugend und Schlechtigkeit getan wird), auch dies scheint von uns abhängig zu sein. Wenn dies aber von uns abhängig ist, über dessen Getan-Werden und Nicht-Getan-Werden wir anscheinend bestimmen [...], bleibt zu sagen übrig, dass das Schicksal in dem von Natur aus Geschehenden ist, so als ob das Schicksal und die Natur dasselbe wären. [...]
[2] Deswegen nennen sie [= die Stoiker] auch die ersten der für das Geschehen der Natur gemäß verantwortlichen Ursachen [...] Ursachen des Schicksals. Denn das Prinzip für jedes Geschehen ist ein irgendwie geartetes Verhalten des Göttlichen zum Hiesigen gemäß der Bewegung. [...]
[3] Aber das gemäß der Natur Geschehende geschieht nicht aus Notwendigkeit, sondern das Entstehen des so Geschehenden wird manchmal [...] verhindert. [...] Deswegen wird jemand auch zu Recht sagen, die eigene Natur eines jeden sei der Ursprung und die Ursache für die Ordnung des gemäß der Natur in ihm Geschehenden. [...] Wir sehen nämlich, dass der Körper, weil seine Natur so oder so ist, sich in Krankheiten und Bedrängnissen der natürlichen Zusammensetzung folgend verhält, aber nicht aus Notwendigkeit.

Irenaeus von Lyon : Gegen die Häresien (Adversus haereses ) 4, 37, 1. 4 (= frg. Graec. 21, l. 24-29)

Der christliche Apologet Irenaeus von Lyon (ca. 135-202) hält gegen den Dualisten Markion (ca. 85-160) die Freiheit des Menschen fest
a) Das aber, was die Schrift sagt: ,Wie oft wollte ich Deine Söhne sammeln, und Du wolltest nicht‘ (Evangelium nach Matthäus 8, 11f.), hat das alte Gesetz der Freiheit verdeutlicht, denn Gott schuf den Menschen frei, so dass er von Anfang an seine Macht ebenso besaß wie seine Seele, um die Anordnung Gottes freiwillig zu gebrauchen, nicht gezwungen von ihm. [...]
b) Weil alle die gleiche Natur haben und fähig sind, das Gute zurückzuhalten und zu tun [...], deswegen sagt Paulus: ,Alles ist mir erlaubt, aber nicht alles nützt‘ (1 Korinther 6, 12), indem er das Freie am Menschen erklärt – deswegen: alles ist erlaubt, ohne dass Gott ihn zwingt – und das Nützliche aufzeigt, damit wir die Freiheit nicht zur Bedeckung der Schlechtigkeit benutzen, denn dies ist unnütz. Das von selbst Geschehende wird nicht in gleicher Weise geliebt wie das mit Mühe Aufgefundene.

Bardaiṣān: Buch der Gesetze der Völker § 11 und 19

Bardaiṣān von Edessa führt seine Freiheitslehre weiter aus
(1) Den Menschen wurde nichts zu tun befohlen, außer dem, was sie zu tun vermögen. Zwei Gebote wurden uns nämlich vorgelegt: Das eine, dass wir uns von allem, was schlecht ist und von dem wir nicht wollen, dass es von uns geschieht, fernhalten; das andere, dass wir tun, was gut ist, dies lieben und gutheißen, dass es von uns so geschieht. [...]
(2) Ich sage nun: Es gibt je eine Macht für Gott und für die Engel und für die Mächte und für die Regenten und für die Elemente und für die Menschen und für die Tiere; und allen diesen Ordnungen, die ich genannt habe, ist nicht in jeder Hinsicht Macht gegeben [...], damit sie in dem, was sie vermögen, die Güte Gottes erkennen, und in dem, was sie nicht vermögen, erkennen, dass es für sie einen Herrn gibt. [...]
(3) Von uns Menschen stellt man fest, dass wir von Natur aus gleich geleitet werden, und vom Schicksal verschieden, und jeder von der Freiheit, wie er nur will.

Origenes: Philokalia 23, 1, l. 1-15

Der Kirchenvater Origenes (ca. 185-254) macht die Astraldetermination aus christlicher Perspektive zum Thema
Zum Allernotwendigsten gehört, zu untersuchen, [...] ob die Himmelslichter zu Zeichen geworden sind. Denn nicht nur viele Heiden [...] werden überwältigt von der Annahme des Schicksals, indem sie annehmen, durch den Zusammenhang der sogenannten wandernden Sterne [i.e. Planeten] mit den Sternzeichen geschehe alles auf der Erde und in Bezug auf den einzelnen Menschen [...], sondern auch viele derer, die den Glauben übernommen haben, werden hierzu herübergezogen. [...] Für die, die diese Lehre annehmen, folgt, dass sie das von uns Abhängende ganz und gar aufheben, deswegen auch Lob und Tadel sowie die akzeptablen und die tadelnswerten Handlungen.

Origenes: Philokalia 23, 1, l. 1-15

Origenes argumentiert gegen die Determination durch die Sterne und den Demiurgen, d.h. einen zweiten Schöpfer neben Gott
[1] Wenn aber einige von ihnen, um Gott zu entschuldigen [von der Verantwortung für die bösen Taten], sagen, der Gute sei ein anderer und enthalte nicht den Ursprung von diesem, und alles Derartige dem Demiurgen zuschreiben [...], muss man im Hinblick auf sie selbst prüfen, was sie sagen: Sind sie dem Lauf der Sterne unterworfen oder sind sie frei [...] und erhalten nichts von dort als etwas in sie selbst hinein Bewirktes?
[2] Wenn sie nun sagen werden, sie seien den Sternen unterworfen, ist klar, dass die Sterne ihnen dieses Denken geschenkt haben; also wird der Demiurg ihnen durch die Bewegung des Alls das Wort über den erfundenen Gott oberhalb suggeriert haben, was sie nicht wollen.
[3] Wenn sie aber antworten, dass sie sich außerhalb der Gesetze des Demiurgen bewegen, die sich auf die Sterne beziehen, sollen sie versuchen [...], uns etwas Zwingenderes anzugeben, indem sie einen Unterschied benennen zwischen einem individuellen Geist, der dem Werden und dem Schicksal unterliegt, und einem anderen, der hiervon frei ist.

Origenes: Philokalia 23, 1, l. 1-15

Origenes diskutiert, ob das Vorwissen Gottes eine Gefahr für die Freiheit darstellt
[1] Nun behaupten sie: Wenn Gott von Ewigkeit her erkannt hat, dass dieser [...] dieses bestimmte Unrecht tun wird, die Erkenntnis Gottes aber unfehlbar ist [...], wird sein Unrecht-Tun notwendig gemacht, und es wird unmöglich sein, dass er etwas anderes tut, als Gott vorhergesehen hat. [...]
[2] Diesen muss man antworten, dass Gott, wenn er sich zum Beginn der Weltschöpfung anschickt [...], mit dem Geist alles Geschehende bereist und sieht: Wenn dies geschehen ist, folgt dies, wenn aber dies geschieht, dann ergibt sich des Folgende, bei dessen Zustandekommen sich jenes ereignen wird – und so weiter bis zum Ende der Dinge weiß er, da er es bereist hat, was sich ereignen wird. [...]
[3] Und wenn man sagen muss, dass nicht das Vorwissen der Grund für das Geschehende ist [...], so sagen wir doch etwas ziemlich Paradoxes, aber Wahres: Das, was geschehen wird, ist die Ursache dafür, dass sein Vorwissen so und so ist. Denn es geschieht nicht, weil es vorher erkannt wurde, sondern es wurde erkannt, weil es geschehen sollte.

Origenes: Gegen Kelsos (Contra Celsum ) III 37; I, 234, 9-13

Origenes erklärt falsches Handeln durch die Selbsttäuschung der Klugen
So wie sich viele innerhalb der Philosophie in der Wahrheit zu befinden scheinen, die sich gewiss selbst mit glaubwürdigen Argumenten getäuscht oder vorschnell den von anderen vorgetragenen oder gefundenen zugestimmt haben, so gibt es nämlich auch unter den außerkörperlichen Seelen, d.h. den Engeln und Dämonen, einige, die durch Plausibilitäten (πιθανότητες) dazu gebracht wurden, sich selbst als Götter zu bezeichnen.

Proklos : Kommentar zu Platons Timaios (In Timaeum commentaria ) 1, 378, 10-22

Proklos schreibt die Entstehung des Bösen der Seele zu, insbesondere für sie selbst
Nur die Seele stellt sich durch das Wählen jeweils zu einer anderen Ordung. Denn jede Wahl führt die Seele entweder herauf oder zieht sie herab. Wenn also die Wahl von der Seele weg erfolgt, ist sie schlecht, wenn sie aber das Wählende in die eigene Ordnung stellt, entspricht sie dem Recht und ist gut. [...] Es gibt also nichts Schlechtes, was nicht auch irgendwie gut ist, sondern alles hat an der Vorsehung teil.

Proklos : Kommentar zu Platons Timaios (In Timaeum commentaria ) 1, 378, 22-379, 26

Proklos erklärt die Möglichkeit, dass die Seele auch das Schlechte wählen kann, durch die mögliche Vollkommenheit des Universums
[1] Wenn sich einige wundern, aus welchem Grund sie am Anfang hinabgeschickt wurde, obwohl sie eine Schlechtes hervorbringende Ursache [...], muss man ihnen antworten, dass das Hervorgehen des Seienden kontinuierlich ist und keine Leerstelle innerhalb des Seienden geblieben ist. [...]
[2] Wie aber soll die Kontinuität des Seienden gewahrt werden, wenn das Allgemeine und Selbstbewegte sowie das Einzelne und Fremdbewegte von vornherein bestehen, wir aber das zwischen diesen befindliche, das zwar selbstbewegt, aber zugleich einzeln ist, auslassen würden? [...] So wie das, was für die Einzelnatur schlecht ist, für die allgemeine Natur gut ist, so ist auch das, was für das allgemeine Leben schlecht ist, für das allgemeine Leben gut.

Augustinus von Hippo: Der Gottesstaat (De civitate dei) V 8 (p. 201, 12-22 Dombart/Kalb)

Augustinus konstatiert eine sachliche Nähe der Christen zur Stoa in der Frage nach der göttlichen Bestimmung der Welt
a) Mit denen, die die Verbindung und Reihe aller Ursachen, durch die alles geschieht, was geschieht, mit dem Begriff ,fatumʻ (Schicksal) bezeichnen, muss man sich nicht lange in einem Streit um Worte abmühen und auseinandersetzen, weil sie ja die Ordnung der Ursachen und eine bestimmte Verbindung dem Willen und der Macht des höchsten Gottes zuschreiben, von dem man sowohl glaubt, dass er alles am besten und wahrhaftigsten weiß, bevor es geschieht, als auch, dass er nichts ungeordnet lässt.
b) Von ihm stammen alle Mächte, obwohl von ihm nicht alle Willensentscheidungen stammen.

Augustinus von Hippo: Der Gottesstaat (De civitate dei) V 9 (p. 205, 5-8); V 10 (p. 208, 16-19; 209, 16-20 und 29-31)

Augustinus löst das somit entstehende Problem von Gottes Vorwissen und Freiheit, indem er erklärt, dass Gott Entscheidungen des Willens nur als solche vorab wissen kann, wenn es tatsächlich Willensentscheidungen sind
[1] Wir [...] behaupten, dass Gott alles weiß, bevor es geschieht, und dass wir durch unseren Willen alles bewirken, von dem wir fühlen und wissen, dass es nur durch uns als Wollende bewirkt wird. [...]
[2] Denn wir bewirken vieles, das wir, wenn wir es nicht wollten, keineswegs bewirken würden. Hierzu gehört zunächst einmal das Wollen selbst; denn wenn wir wollen, dann ist es da, wenn wir nicht wollen, dann ist es nicht da. [...] Also ist nicht deswegen nichts in unserem Willen, weil Gott vorher wusste, was in unserem Willen sein wird. Denn der, der das vorher wusste, wusste nicht nichts vorher, [...] sondern er wusste etwas vorher.
[3] Folglich sind die Gesetze, der Tadel, das Lob und die Kritik nicht vergeblich, weil er vorher wusste, dass sie da sein werden.

Anselm von Canterbury: Über die Freiheit der Entscheidung (De libertate arbitrii) § 1

Anselm von Canterbury (1033-1109) legt Grundvoraussetzungen der mittelalterlichen Freiheitsdebatte fest
Schüler: Weil eine freie Entscheidung der Gnade, der Vorherbestimmung und dem Vorwissen Gottes zu widersprechen scheint, möchte ich wissen, was die Freiheit der Entscheidung selbst ist und ob wir sie immer besitzen. [...]
Lehrer: Ich glaube nicht, dass die Freiheit der Entscheidung das Vermögen ist, zu sündigen und nicht zu sündigen. Denn wenn dies ihre Definition wäre, hätten weder Gott noch die Engel, die nicht sündigen können, eine freie Entscheidung. [...] Obwohl die freie Entscheidung der Menschen sich von der freien Entscheidung Gottes und der Engel unterscheidet, muss doch die Definition dieser Freiheit, der gleichen Bezeichnung entsprechend, in beiden dieselbe sein. [...] Daher muss man eine solche Definition von ,Freiheit der Entscheidung‘ geben, die nicht mehr und nicht weniger als diese enthält. Weil also die göttliche freie Entscheidung und die der Engel nicht sündigen kann, gehört ,sündigen zu können‘ nicht zur Definition von ,Freiheit der Entscheidung‘.

Anselm von Canterbury: Über die Freiheit der Entscheidung (De libertate arbitrii) § 3f

Anselm von Canterburys Definition der Freiheit der Entscheidung
Lehrer: Weil jede Freiheit eine Macht ist, ist jene Freiheit der Entscheidung die Macht, die Rechtheit des Willens um der Rechtheit selbst willen zu bewahren. [...] Schüler: Offensichtlich. [...] Nachdem sie diese aber aufgegeben hat: Wie kann sie bewahren, was sie nicht besitzt? [...] Lehrer: Was spricht dagegen, dass wir die Macht haben, die Rechtheit des Willens um der Rechtheit selbst willen zu bewahren, auch wenn die Rechtheit selbst nicht vorhanden ist, solange nur die Vernunft in uns ist, durch die wir sie erkennen, und der Wille, mit dem wir sie festhalten können? Denn hieraus besteht die genannte Freiheit der Entscheidung.

Abaelard, Peter: Theologia ,Scholarium‘ (Theologia ,Scholarium‘) III 89f

Petrus Abaelardus definiert Freiheit als Vernunftkonformität
Schließlich haben auch einige die freie Entscheidung darauf zurückgeführt, dass sie sie nur denen zugestehen, die gut und schlecht handeln können. [...] Aber diejenigen, die die freie Entscheidung sorgfältiger untersucht haben, haben gesagt, dass sie keinem fehle, der gut handelt, besonders aber Gott [...] Allgemein und am richtigsten wird daher freie Entscheidung gesagt, wenn jemand in der Lage sein wird, das, was er mit der Vernunft beschlossen hat, willentlich und ohne Zwang auszuführen. Diese Freiheit der Entscheidung wohnt ohne Zweifel Gott ebenso wie allen Menschen gleichermaßen inne, die die Fähigkeit des rechten Willens nicht verloren haben.

Abaelard, Peter: Ethica (Ethica ) I p. 4. 6

Abaelard definiert die Sünde als Zustimmung
Ein Laster ist daher das, wodurch wir zum Sündigen geneigt gemacht werden, d.h. uns dazu neigen, dem zuzustimmen, was nicht richtig ist. [...] Diese Zustimmung aber nennen wir im eigentlichen Sinn Sünde, das heißt eine Schuld der Seele, durch die sie die Verdammung verdient und bei Gott für schuldig befunden wird. [...] Denn weil wir manchmal ohne jeden schlechten Willen sündigen und weil der schlechte Wille selbst, wenn er gezügelt, aber nicht ausgelöscht wird, [...] Material zum Kampf und die Krone des Ruhms liefert, ist er nicht so sehr Sünde, sondern vielmehr eine gewisse Schwäche, die noch notwendig ist, zu nennen. Nehmen wir zum Beispiel jemand Unschuldigen, gegen den sein grausamer Herr durch Wut so bewegt ist, dass er ihn mit gezogenem Schwert verfolgt, um ihn zu töten. Jener ist lange vor ihm geflohen und hat, soweit er konnte, seine Tötung vermieden, aber schließlich tötet er ihn gezwungen und unwillig, damit er nicht selbst getötet wird. Sage mir, wer immer Du auch seist, welchen schlechten Willen er bei dieser Tat hatte.

Bernhard von Clairvaux: De gratia et libero arbitrio (De gratia et libero arbitrio ) II. 3 [I, 167, 29-168, 4 Leclercq]

Bernhard von Clairvaux (1090-1153) sieht den Willen als Ort der Entscheidungsfreiheit an
Die Zustimmung ist ein spontaner Wink des Willens [...]. Der Wille ist eine rationale Bewegung, die sowohl der Wahrnehmung als auch dem Streben vorsteht. Gewiss hat er, wohin er sich wendet, die Vernunft stets als Begleiter und gleichsam als folgsamen Diener, aber nicht, weil er immer aus der Vernunft heraus, sondern weil er sich niemals ohne sie bewegt.

Bernhard von Clairvaux: De gratia et libero arbitrio (De gratia et libero arbitrio ) I. 2; III. 6 [I, 167, 11-18; 170, 13-22 Leclercq]

Bernhard unterscheidet insgesamt drei Arten von Freiheit, von denen die Wahlfreiheit des Willens die niedrigste ist
Dies Streben haben wir also […] mit den Tieren gemeinsam; die Zustimmung des Willens unterscheidet uns aber. […] Sie ist nämlich ein Habitus der Seele, der frei über sich selbst verfügt (liber sui). Sie wird nämlich nicht erzwungen, nicht erpresst. Sie ist Sache des Willens, nicht der Notwendigkeit. […] Wo aber der Wille ist, dort ist Freiheit, [...] aber [...] nicht durch jene Freiheit, von der der Apostel [Paulus] sagt: , Wo der Geist des Herrn ist, dort ist Freiheitʻ (2 Korinther 3, 17). Diese ist nämlich die Freiheit von der Sünde. [...] Es gibt weiterhin eine Freiheit vom Elend, von der der Apostel wiederum sagt: ,auch das Geschöpf wird von der Knechtschaft der Verderbnis zur Freiheit der Ehre der Söhne Gottes befreit werdenʻ.

Robert von Melun: Zusammenstellung der Lehrsätze (Sententiae ) I, II, [0], 121. 143 [L 114va-b. 116va; B 179rb. 181vb]

Der Universitätslehrer Robert von Melun (ca. 1100-1167) begründet die Verschiedenheit von Wille und Vernunft aus dem Sprachgebrauch heraus
Denn die ganze Bibel und jeglicher Sprachgebrauch von Leuten, die mit Bedacht sprechen, schreibt der Vernunft das Unterscheidungsvermögen (discretio) zu und dem Willen das Streben (appetitus), und das nicht zu Unrecht, denn wir unterscheiden mit der Vernunft und streben mit dem Willen, und daher gehört die Unterscheidung zur Vernunft und das Streben zum Willen. [...] Es ist klar, dass diejenigen, die Seelenkräfte durcheinanderbringen, die sagen, der Vernunft komme das Wollen zu und dem Willen das Urteilen.

Thomas von Aquin: Das Schlechte (De malo) q. 6, l. 1-3. 339-349

Thomas von Aquin über die respektiven Aufgaben von Vernunft und Wille
Es wird gefragt [...], ob der Mensch eine freie Wahl seiner Handlungen besitzt oder aus Notwendigkeit wählt. [...] Wenn wir [...] die Bewegung der Seelenvermögen von seiten des Objekts betrachten, das der Handlung ihre Form gibt, stammt das erste Prinzip der Bewegung aus dem Intellekt: Denn auf diese Weise bewegt das erkannte Gut auch den Willen selbst. Wenn wir aber die Bewegung der Seelenvermögen von seiten der Ausführung der Handlung betrachten, so stammt das Prinzip der Bewegung aus dem Willen. Denn stets bewegt das Vermögen, zu dem das primäre Ziel gehört, das Vermögen zum Handeln, dem das zugehört, was auf das Ziel gerichtet ist; so bewegt die Kriegskunst die Zügelmacherei zum Tätigwerden; und auf diese Weise bewegt der Wille sich selbst und die anderen Vermögen.

Thomas von Aquin: Das Schlechte (De malo) q. 6, l. 425-449

Thomas von Aquin über Grenzen der Notwendigkeit des Wollens
[1] Weil also Ratschläge und Wahlen sich auf Einzelnes erstrecken, auf das sich das Handeln bezieht, ist erforderlich, dass das, was als gut und angemessen aufgefasst wird, als gut und angemessen im Einzelnen aufgefasst wird, und nicht nur im Allgemeinen. Wenn also etwas im Hinblick auf alles Einzelne, was überhaupt betrachtet werden kann, als angemessenes Gut aufgefasst wird, wird es den Willen aus Notwendigkeit bewegen; und deswegen erstrebt der Mensch aus Notwendigkeit die Glückseligkeit. [...]

[2] ,Aus Notwendigkeit‘ sage ich aber im Hinblick auf die Bestimmung der Handlung, weil man das Gegenteil nicht wollen kann; aber nicht im Hinblick auf die Ausführung der Handlung, denn jemand kann zu diesem Zeitpunkt nicht an die Glückseligkeit denken wollen; denn auch die Handlungen des Intellektes und des Willens sind selbst Einzelnes. Wenn es aber ein solches Gut ist, das nicht im Hinblick auf alles Einzelne, das betrachtet werden kann, gut gefunden wird, wird es auch im Hinblick auf die Bestimmung der Handlung nicht aus Notwendigkeit bewegen; denn jemand wird das Gegenteil davon wollen können, auch wenn er daran denkt, weil es wohl gut oder angemessen in Bezug auf irgendeinen anderen betrachteten Einzelgesichtspunkt ist, so wie das, was gut für die Gesundheit, nicht gut für die Freude ist.