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Philosophische Zitate aus Antike und Mittelalter

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Platon: Theaitet (Theaetetus) 208bc, 209bc

Der letzte Definitionsversuch von Wissen im Theaitet
Sokrates: Vielleicht möchte jemand ihn [die wahrhafteste Bedeutung von ,Wissen‘] nicht so definieren, sondern nach der noch übrigen von den drei Möglichkeiten, wovon eine, wie wir sagten, derjenige annehmen, welcher das Wissen als eine richtige Meinung in Verbindung mit einer Begründung definiert.
Theaitet: Richtig erinnerst Du Dich. [...] Was verstehst Du aber unter der dritten Möglichkeit?
Sokrates: Was die Menge sagen würde, dass man ein Merkmal angeben kann, wodurch sich das Gefragte von Allem unterscheide. [...] Wohlan denn, beim Zeus, wie habe ich denn durch so etwas mehr dich gemeint als irgendeinen anderen. [...] Wenn ich mir nicht bloß einen Nase und Augen Habenden denke, sondern auch einen Krummnasigen und Glupschäugigen, werde ich dann mehr Dich denken als mich selbst und wer sonst noch so beschaffen ist?
Theaitet: Um nichts mehr. [...]

Platon: Theaitet (Theaetetus) 209e-210a

Das endgültige Scheitern der Definition von „Wissen“ in Platons Theaitet
Sokrates: Wenn auf der anderen Seite, Jungchen, mit dem Hinzufügen der Begründung ein Einsehen und nicht nur ein Meinen der Unterschiedlichkeit gemeint wäre, dann wäre es eine herrliche Sache mit dieser Aussage über Wissen. Nicht wahr?
Theaitet: Ja.
Sokrates: Wer also gefragt wird, was Wissen ist, soll, wie es scheint, antworten, wahre Meinung mit einem Wissen über die Unterschiedlichkeit. [...]. Und das ist doch auf alle Weise einfältig, wenn wir das Wissen untersuchen, zu sagen, es sei wahre Meinung verbunden mit Wissen, über den Unterschied oder über sonst etwas. Weder also die Sinneswahrnehmung, o Theaitet, noch die wahre Meinung noch die mit der wahren Meinung verbundene Erklärung kann Wissen sein.

Platon: Der Sophist (Sophista ) 241d

Die Frage nach der Veränderlichkeit von Ideen als Grundfrage von Platons Sophistes
Gast aus Elea: Das Argument des Vaters Parmenides müssen wir, um uns zu verteidigen, prüfen und erzwingen, dass sowohl das Nicht-Seiende in gewisser Hinsicht ist als auch das Seiende wiederum irgendwie nicht ist.

Platon: Der Sophist (Sophista ) 244b-c

Die These der Eleaten/des Parmenides zum Verhältnis von Sein und Einem
Gast aus Elea: Dies also mögen sie uns beantworten: Ihr sagt, es sei nur eins? – Das sagen wir, werden sie sagen. Nicht wahr?
Theaitet: Ja.
Gast aus Elea: Was weiter? Nennt ihr etwas ,seiend‘?
Theaitet: Ja.
Gast aus Elea: Dasselbe wie eins, indem ihr zwei Worte für dasselbe braucht? Oder wie?

Platon: Der Sophist (Sophista ) 244d

Das Verhältnis von Sein und Einem und die Identität der Ideen
Gast aus Elea: Nimmt man die Bezeichnung als etwas von dem Ding verschiedenes, so benennt man eine Zweiheit.
Theaitet: Ja.
Gast aus Elea: Nimmt man aber die Bezeichnung als dasselbe wie jenes, wird man entweder gezwungen sein zu sagen, sie sei die Bezeichnung von nichts, wenn er aber sagen will, sie [sei die Bezeichnung von] etwas, so wird herauskommen, dass die Bezeichnung nur Bezeichnung einer Bezeichnung ist, und von nichts anderem.

Platon: Der Sophist (Sophista ) 254d-e

Der Gast aus Elea entwickelt in Platons Theaitet die fünf höchsten Gattungen des Seienden
Gast aus Elea: Die größten der Gattungen, welche wir vorher durchgegangen sind, sind doch wohl 'seiend' selbst und Ruhe und Bewegung.
Theaitet: Bei weitem.
Gast aus Elea: Und die zwei, sagen wir doch, sind miteinander ganz völlig unvermischbar?
Theaitet: Völlig.
Gast aus Elea: Das Sein aber vermischbar mit beidem. Denn beide sind ja irgendwo.
Theaitet: Wie sollten sie nicht!
Gast aus Elea: Das wären also drei.
Theaitet: Ja, und?
Gast aus Elea: Jedes von ihnen ist also verschieden von den zwei anderen, mit sich selbst aber identisch?
Theaitet: So ist es.
Gast aus Elea: Was haben wir jetzt wieder gesagt? 'Identisch' und 'verschieden'? Sind sie auch wieder zwei Gattungen, die andere sind als die drei genannten, sich aber notwendigerweise mit ihnen immer vermischen, und über fünf, aber nicht über drei ist zu achten, weil sie gegeben sind?

Platon: Timaios (Timaeus) 27d-28a; 28c-29b

Die ontologischen Grundkategorien, die bei der Beschreibung der Weltentstehung zu unterscheiden sind
[1] Zuerst nun haben wir meiner Meinung nach Folgendes zu unterscheiden: Was ist das stets Seiende und kein Werden Habende, und was das stets Werdende, aber niemals Seiende. Das eine kann durch ein Denken mit rationaler Struktur erkannt werden, ist stets sich selbst gleich, das andere dagegen kann durch eine Meinung mit nicht-rationaler Wahrnehmung gemeint werden, ist werdend und vergehend, nie aber wirklich seiend. [...]
[2] Den Vater und Hersteller dieses Alls zu finden, ist eine Aufgabe, und es ist, hat man ihn gefunden, unmöglich, ihn allen zu verkünden. Dies ist nun wiederum über ihn zu prüfen, auf welches der Urbilder hin der handwerklich Tätige dies gestaltete [...]. Wenn klarerweise diese Welt schön ist und der Gestalter gut, ist klar, dass er auf das ewige hinblickte. Wenn es aber so ist, wie sich nicht einmal auszusprechen gehört, [hat er] auf das gewordene [hingeblickt]. [...] Dies ist also über das Abbild und über sein Urbild anzugeben.

Platon: Timaios (Timaeus) 29d-30c

Die Beschreibung des guten Herstellers bzw. „Schöpfers“ der Welt
[1] Timaios: Geben wir denn an, aus welchem Grund der Gestalter das Werden und das Weltall gestaltete. Er war gut; in einem Guten erwächst niemals und in keiner Beziehung irgendeine Missgunst. […] Weil nämlich der Gott wollte, dass alles gut und nach Möglichkeit nichts schlecht sei, so nahm er also alles, was sichtbar war und keine Ruhe hielt, sondern in ungehöriger und ordnungsloser Bewegung war, und führte es aus der Unordnung zur Ordnung. [...]
[2] Durch Überlegung stellte er nun fest, dass von dem der Natur gemäß Sichtbaren kein ganzes Werk ohne Geist schöner sei als etwas Ganzes, das Geist hat, dass aber Geist unmöglich irgendwem ohne Seele zukommen kann. Wegen dieser Überlegung verfertigte er das All so, dass er Geist in Seele, Seele aber in Körper hineinlegte, damit er der Natur gemäß das schönste und beste Werk zustande brächte.
[3] So muss man also gemäß der wahrscheinlichen Rede sagen, dass diese Welt als beseeltes, geistbegabtes Lebewesen und in Wahrheit durch göttliche Vorsehung entstanden ist.

Augustinus von Hippo: Bekenntnisse (Confessiones) I 1 (p. 1, 10-169)

Der bedeutendste lateinische Kirchenvater Augustinus berichtet in seinen Bekenntnissen seinen Lebensweg
[1] Groß bist Du Gott, und sehr zu loben. Groß ist Deine Kraft, und Deine Weisheit hat kein Ende. Und der Mensch will Dich loben, irgendein Teil Deiner Schöpfung, und der Mensch, der seine Sterblichkeit herumträgt, der das Zeugnis seiner Sünde umherträgt und das Zeugnis, dass Du "den Hochmütigen widerstehst" (Brief des Jakobus 4, 6).
[2] Und doch will Dich der Mensch loben, irgendein Teil Deiner Schöpfung. Du regst an, dass es Freude bereitet, Dich zu loben, denn Du hast uns auf Dich hin geschaffen, und unruhig ist unser Herz, bis es ruht in Dir. [...]
[3] Aber wer ruft Dich an, der Dich nicht kennt? Denn wer nicht kennt, kann etwas anderes anstelle von etwas anrufen. Oder wirst Du eher angerufen, damit Du gekannt wirst? Wie wird man aber jemand anrufen, an den man nicht geglaubt hat? Oder wie glaubt man ohne Verkündiger? [...] Ich will Dich suchen, Gott, indem ich Dich anrufe, und Dich anrufen, indem ich an Dich glaube.

Anselm von Canterbury: Proslogion (Proslogion) I (p. 100, 15-19 Schmitt)

Anselm von Canterbury (1033-1109) über das Streben des Gläubigen nach Verständnis
Herr, ich begehre deine Wahrheit ein wenig zu verstehen, die mein Herz glaubt und liebt. Denn ich strebe ja nicht zu verstehen, damit ich glaube, sondern ich glaube, damit ich verstehe. Denn auch dies glaube ich: "Wenn ich nicht zuvor geglaubt habe, werde ich nicht verstehen."

Richard von Sankt Viktor: Die Dreifaltigkeit (De trinitate) I, 1 und 3

Richard von Sankt Viktor (gest. 1173) über das Streben des Gläubigen nach Verständnis
Denn einiges von dem, was uns zu glauben aufgetragen ist, scheint nicht nur über die Vernunft hinauszugehen, sondern auch gegen die menschliche Vernunft zu sein, wenn es nicht in einer tiefen und höchst feinen Untersuchung erörtert wird [...]. Zwar sollen wir durch den Glauben eintreten, aber keineswegs sofort am Eingang stehenbleiben, sondern immer weiter zum Inneren und Tieferen des Verständnisses eilen und mit aller Mühe und höchster Sorgfalt darauf achten, dass wir durch tägliches Wachstum zum Verständnis dessen gelangen können, was wir im Glauben festhalten.

Bernhard von Clairvaux: Brief (Epistula) 190

Bernhard von Clairvaux’ (ca. 1090-1153) Kritik an Abaelards Glaubensbegriff
Abaelard bezeichnet ganz am Beginn seiner „Theologie“ – oder eher „Dummheits-Logie“ (stultilogia) – den Glauben als eine Meinung. So kann es darin gewissermaßen jedem freistehen zu denken und zu sagen, was ihm beliebt [...]. Aber fern sei es, dass in unserem Glauben [...] irgendetwas aufgrund einer zweifelhaften Meinung auf unsicheren Füßen steht, dass sich nicht vielmehr jeder Glaubensinhalt auf sichere und feste Wahrheit stützt [...]. Diese Ansichten mögen bei den Akademikern [d.h. den skeptischen Philosophen] bleiben, deren Eigenheit es ist, an allem zu zweifeln und nichts zu wissen.

Ibn Sīnā (Avicenna): Autobiographie (vita) (p. 28, 3-30, 2 Gohlmann)

Ibn Sīnā (Avicenna) berichtet über Hilfsmittel zu philosophischer Kreativität
Und aufgrund von denjenigen Fragen, über die ich unsicher war [...], suchte ich wiederholt die Moschee auf, betete und flehte zum Schöpfer des Alls. [...] Sooft mich der Schlaf überwältigte oder ich eine Schwäche verspürte, wandte ich mich ab, um einen Becher Wein zu trinken, auf dass meine Fähigkeit mir wiederkehrt. Wenn ich bei einer Frage in Verlegenheit war [...], pflegte ich deswegen die Moschee aufzusuchen und zum Schöpfer des Alls zu beten und zu flehen. [...] Wenn mich der Schlaf übermannen wollte oder ich eine Schwäche verspürte, wandte ich mich einem Becher Wein zu, um wieder zu Kräften zu kommen.

Zacharias Rhetor (Scholastikos): Ammonios oder Diskussion über die Herstellung der Welt (Ammonius sive De opificio mundi disputatio) (Zeile 92-110 Minniti Colonna)

Der Bischof Zacharias berichtet über die Diskussionen, die er als Student in Alexandria mit seinem Lehrer, dem neuplatonischen Philosophen Ammonios, Sohn des Hermias, geführt hat.
Einst befanden ich und einige andere der Studenten des (Philosophen) Ammonios, welche sich auf die „Physikvorlesung“ konzentrierten, im Vorlesungssaal, zur Frühlingszeit, wenn der Südwind sehr angenehm und kraftvoll weht, wenn der gewaltige Fluss gefällig mit seinen Wellen Ägypten bespült und die ägyptischen Äcker befeuchtet.
Ammonios aber erklärte und verdeutlichte uns, so wie die Ausleger von Orakelsprüchen, die Weisheit des Aristoteles, wobei er ganz nach Sophistenart hochmütig auf einem hohen Sessel saß.
Und als ein Wort über den Himmel vorüberfloss [...], bildete er folgende Prämisse: „Scheint der Himmel eine schöne Sache zu sein oder nicht?“ „Eine schöne“, sagte ich. [...]
„Wenn nun“, sprach dieser, „der Himmel schön ist, und der Vater und Schöpfer dieses Alls gut ist, wie können die Christen behaupten, dass nicht das Schöne mit dem Guten die gesamte Ewigkeit verbunden sei?“

Abaelard, Peter: Leidensgeschichte (Historia calamitatum) (p. 63-65 Monfrin)

Peter Abaelard (1079-1142) über seinen Weg zur Philosophie
[1] Da mein Vater mich, den Erstgeborenen, besonders ins Herz geschlossen hatte, achtete er sehr sorgfältig auf meine Erziehung. Je schneller und leichter ich im Studium der Schriften vorankam, desto größer wurde meine Begeisterung für sie. Diese Liebe ging so weit, dass ich auf den Glanz ritterlichen Ruhmes samt meinem Erbe und den Vorrechten der Erstgeburt zugunsten meiner Brüder verzichtete und vom Gefolge des Mars ganz Abschied nahm, um im Schoß der Minerva aufgezogen zu werden.
[2] Da ich die Bewaffnung mit dialektischen Argumenten allen Zeugnissen der Philosophie vorzog, vertauschte ich die anderen Waffen mit diesen und zog die Konflikte des Streitgesprächs allen allen Kriegstrophäen vor. Also wurde ich, indem ich disputierend durch verschiedene Provinzen zog – überall hin, wo ich von einer Blüte dieser Technik gehört hatte –, zu einem Nachahmer der Peripatetiker.
[3] Schließlich kam ich nach Paris, wo diese Disziplin schon länger einen großen Aufschwung genommen hatte, zu Wilhelm von Champeaux, meinem Lehrer, der damals in diesem Fach an Können und Ansehen herausragte. Ich blieb einige Zeit bei ihm und war ihm zunächst willkommen. Später wurde ich ihm außerordentlich lästig, da ich manche seiner Ansichten zu widerlegen versuchte, immer wieder argumentative Angriffe gegen ihn führte und manchmal im Streitgespräch überlegen erschien. [...]
[4] Hier nahm die Serie meiner Schicksalsschläge, die bis heute andauert ihren Anfang. Je mehr sich mein Ruhm ausbreitete, desto stärker loderte der Neid anderer.

Abaelard, Peter: Leidensgeschichte (Historia calamitatum) (p. 72f. 79f. Monfrin)

Peter Abaelard über persönliche Ablenkungen und ihre Folgen
Unter dem Vorwand des Unterrichts gaben wir uns ganz der Liebe hin. Die wissenschaftliche Lektüre bot uns jene stillen Rückzugsmöglichkeiten, die sich die Liebe wünschte. Waren die Bücher aufgeschlagen, wurden mehr Worte über die Liebe als über den Lesestoff gewechselt, gab es mehr Küsse als Sätze, wanderten die Hände öfter zum Busen als zu den Büchern [...]. Der Onkel und seine Verwandten hörten davon [...]. Zutiefst entrüstet verschworen sie sich gegen mich. Eines Nachts [...] bestachen sie einen meiner Diener mit Geld und rächten sich an mir durch eine besonders grausame und schmachvolle Strafe, von der die Welt mit größtem Erstaunen hörte: Sie schnitten mir die Körperteile ab, mit denen ich begangen hatte, was sie beklagten. [...] Am meisten marterten mich [...] meine Studenten mit ihrem unerträglichen Geklage und Gejammere. Ich litt viel mehr unter ihrem Mitleid als am Leid aufgrund der Wunde, und ich fühlte mehr das Erröten als den Schlag. [...] Mir ging durch den Kopf, wie groß der Ruhm war, in dem ich eben noch gestanden hatte; wie schnell er durch diesen blamablen Fall verringert, ja ganz ausgelöscht worden war; wie gerecht das Urteil Gottes, das mich an jenem Teil des Körpers bestrafen ließ, mit dem ich Schuld auf mich geladen hatte.