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Philosophische Zitate aus Antike und Mittelalter

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Albertus Magnus: Über die Seele (De anima) III 3, 2 (210, 56-69 Stroick)

Albertus Magnus über die Wahrheit und Fehleranfälligkeit des Intellekts
[1] Der Intellekt, der nichts umfasst als eine einfache Auffassung des Geistes, ist immer wahr. Aber als zusammensetzender ist er nicht immer wahr, weil dies dem Intellekt so zukommt wie der Sinneswahrnehmung das akzidentelle Sinnesobjekt. Und daher ist der Intellekt hierin immer anfällig für Fehler. "Alles" aber, "was ohne Materie besteht" so wie die abgetrennten Substanzen, erkennen die Dinge durch die einfachen Washeiten der Dinge. Und deswegen ist ihr Intellekt nicht anfällig für Fehler.
[2] Denn wann immer begriffen wird, dass eines einem anderen wirklich innewohnt, muss dies durch dein Begreifen der Dinge sowie durch ihre Unterschliedlichkeit und Übereinstimmung im Einzelnen geschehen. Und dies kommt dem Intellekt akzidentell durch seine Ausdehnung auf die sinnlichen Vermögen zu, und in einer derartigen Zusammensetzung und Trennung tritt häufig ein Irrtum auf.

Ibn Sīnā (Avicenna): Die Seele (Buch der Genesung) IV 1 (p. 165f. Rahman)

Ibn Sīnā äußert sich im aristotelischen Sinne zum menschlichen Handeln und begründet dies mit der menschlichen Selbstbeobachtung
Wenn die Lebewesen nicht etwas begehren, das sie in ihrem Begehren oder in ihrer Vorstellung auffassen oder nicht auffassen, gelangen sie nicht dazu, dies durch eine Bewegung zu erstreben. […] Sieh, die Leute kommen im Auffassen von etwas, das sie sinnlich wahrnehmen und sich vorstellen, darin überein, dass sie es sinnlich wahrnehmen und sich vorstellen. Aber sie unterscheiden sich darin, dass sie das begehren, was sie sinnlich wahrnehmen. Und die Situation des einzelnen Menschen hierin ist gewiss unterschiedlich. So stellt man sich Nahrung vor, und begehrt sie in einem Moment des Hungers, und begehrt sie nicht in einem Moment der Sättigung. Und auch die Schönheit der Sitten begehrt jemand nicht, wenn er sich schändliche Freuden vorstellt, und der andere begehrt sie. Und diese beiden Zustände [des Begehrens und Nicht-Begehrens] hat nicht der Mensch allein, sondern alle Lebewesen.

Albertus Magnus: Über die Nikomachische Ethik (Super Ethica) III (p. 160, 37-57 Kübel)

Albertus Magnus definiert die freie Entscheidung (liberum arbitrium) als ein zwischen Vernunft und Wille anzusiedelndes Vermögen
Das Wählen ist ein Akt der freien Entscheidung, welche ein mittleres Vermögen zwischen Vernunft und Wille ist, das etwas von beidem aufweist. Aber formal ist darin das, was dem Willen angehört. […] Etwas gegenüber etwas anderem durch ein Urteil und eine Festlegung darüber, dass es zu tun ist, vorzuziehen, kommt der Vernunft zu. Das geschieht nämlich auf die Weise des Wahren und auf die Weise einer Fertigkeit. […] Aber weil es bei der Wahl auch ein Richtig- und Falsch-Liegen gibt, muss sie auf ein Prinzip zurückgeführt werden, das zum Abweichen und zum Beurteilt-Werden geeignet ist. Und das ist die freie Entscheidung. […] Deswegen ist der Gegenstand der Überlegung, der gesucht wird, das von der Vernunft Festgelegte und das Gewählte dem Subjekt nach eines, aber das Wählbare unterscheidet sich gemäß der Form des Begehrten, die es aufweist.

Ibn Sīnā (Avicenna): Die Seele (Buch der Genesung) V 4 (p. 227-229 Rahman)

Ibn Sῖnā erklärt das Verhältnis von Seele und Körper
[1] Im Hinblick darauf, dass die Seele beim Tode des Körpers nicht stirbt, so ist jede Sache, die beim Zugrundegehen einer anderen Sache zugrunde geht, mit ihr auf eine Art des Zusammenhangs verbunden. […] Und wenn die Verbindung der Seele mit dem Körper erforderlich für das Sein und ein wesentlicher Aspekt dafür ist, kein akzidenteller, so steht jedes von beidem [Körper und Seele] in einer wesentlichen Relation zum anderen. […] Und wenn dies ein akzidenteller, nicht wesentlicher Aspekt ist, dann wird, wenn eines der beiden zugrunde geht, das andere Akzidens von seiten der Relation vernichtet, aber das Wesen geht bei dessen Zugrundgehen von seiten dieser Verbindung nicht zugrunde.
[2] Wenn nun die Materie des Körpers neu entsteht, so dass es sich fügt, dass das Werkzeug für die Seele und ihr Königreich da ist, bringen die abgetrennten Ursachen die Einzelseele hervor, und sie wird so von ihnen hervorgebracht. Nun ist ihr Hervorvorbringen ohne spezifizierende Ursache, als Hervorbringen einer ohne die andere, absurd, und die Realität einer Vielheit der Zahl nach unmöglich. […].
[3] Und auch, wenn es möglich wäre, dass eine Einzelseele entsteht und ihr Werkzeug nicht entsteht, durch das sie sich vollendet und tätig ist, so wäre sie nutzlos in ihrem Sein. Aber es gibt nichts Nutzloses in der Natur. Und wenn das unmöglich ist, so gibt es keine Macht dazu.
[4] Und wenn das Neuentstehen einer Sache beim Neuentstehen einer anderen Sache erfolgt, ist es nicht notwendig, dass sie bei deren Zerstörung zerstört wird. Das ist nur der Fall, wenn das Wesen der Sache durch und in dieser Sache liegt. […] Und was das Sein der Seele konstituiert, ist eine unkörperliche Sache und keine Kraft in einem Körper. Vielmehr ist es ein beständiges Wesen, das frei ist von Materie und von Ausdehnung.

Ibn Sīnā (Avicenna): Die Seele (Buch der Genesung) V 4 (p. 231f. Rahman)

Ibn Sῖnā begründet die Unzerstörbarkeit der Seele als solcher
[1] Und ich sage auch, dass keine andere Ursache die Seele gänzlich vernichten kann. […] Wir sagen, dass bei zusammengesetzten Sachen und einfachen Sachen, die nicht dauerhaft in der Zusammensetzung bestehen, ein Akt der Fortdauer zusammen mit einer Möglichkeit des Zugrundegehens bestehen kann. Und bei einfachen, in ihrem Wesen abgetrennten Sachen können diese Aspekte nicht zusammen bestehen. […]
[2] Und wenn die Seele schlechthin einfach ist, so dass sie nicht in Materie und Form geteilt werden kann, und wenn sie [mit einem Körper bzw. anderen Seelenvermögen] zusammengesetzt ist, wollen wir das Zusammengesetzte beiseite lassen und die Substanz betrachten, die ihre Materie ist, und wir wollen die Rede lenken auf die ihre Materie selbst und über diese sprechen. Wir sagen also: Diese Materie ist entweder dauerhaft so teilbar […] – und das ist absurd; oder die Sache, welche die Substanz und Wurzel ist, ist unzerstörbar. […] Und das ist, was wir Seele nennen. […] Und dann ist klar, dass es in der Substanz der Seele nicht die Möglichkeit gibt, dass sie zugrunde geht.

Albertus Magnus: Über die Seele (De anima) III 3, 13 (225, 26-37 Stroick)

Albertus Magnus begründet die Unsterblichkeit der Seele mit ihrer Fähigkeit, ohne Körper zu wirken
Jedes Wesen oder jede Substanz, aus der natürliche Vermögen fließen, die sich selbst und ihren Tätigkeiten entsprechend abgetrennt sind, ist eine abgetrennte Substanz. Der Beweis dafür ist folgender: Wenn etwas durch die Substanz mit dem Körper vermischt wäre, dann wäre sein Vermögen ein Vermögen des Vermischten, und dann wäre es kein abgetrenntes Vermögen. Die Seele ist aber eine derartige Substanz, die potentielle Teile hat, den möglichen und den aktiven Intellekt, die an sich abgetrennte Teile sind. Also ist sie auch selbst abgetrennt. Etwas Abgetrenntes wird in seiner Substanz, seinem Vermögen und seiner Aktivität bei der Zerstörung des Körpers nicht zerstört. Die rationale Seele kann also bei Zerstörung des Körpers nicht zerstört werden.

Albertus Magnus: Über die Natur und den Ursprung der Seele (De natura et origine animae) II 6 (27, 78-28, 25; 29, 2-45 Geyer)

Argumente des Albertus Magnus für die Unsterblichkeit der Seele
[1] Alles, was aus sich heraus Gründe für das an sich Gute und das Fromme, das zur Gottesverehrung und zur Güte an sich gehört, hat, hat keine Abhängigkeit vom Körper. Das wird dadurch bewiesen, dass das, was an sich gut ist, uns durch seine eigene und eigentümliche Kraft anzieht und, und das ist das, was wir um seiner selbst willen erstreben, obwohl es keinen Nutzen oder keine andere Freude bei sich trägt. […] Alles, was aber gemäß dem zum [mit dem Körper] Verbundenen Passenden erstrebt wird, wird gemäß dem Gehalt des Nützlichen oder dem des Freudvollen erstrebt und gesucht. […] Und das widerspricht der Definition des an sich Guten, des Frommen sowie des Nützlichen. […] Und ein Zeichen dafür ist, dass keines der anderen Tiere, vom Menschen abgesehen, jemals etwas an sich Gutes, Frommes oder Religiöses anstrebt oder sucht. […] Was nicht vom Körper abhängt, wird nicht zerstört, wenn er zerstört wird. Die rationale Seele vergeht also nicht, wenn der Körper vergeht.
[2] All das, was ein einziges Bestes seiner Natur nach hat, weist eine Analogie dahingehend auf, an diesem Besten teilzuhaben. Aber das seiner Natur nach Beste für jede Intellektnatur ist das kontemplative Glücklichsein. […] Deswegen sagt Aristoteles, dass der Mensch nur ein Intellekt ist, weil das Gute des Intellekts allein ihm eigentümlich und seiner Natur entsprechend ist. Also besteht eine Analogie Gottes, der göttlichen Intellekte und des Menschen zu diesem Besten. […] Diese Analogie kann es nur gemäß einer wesenhaften und ewigen Fähigkeit und Tätigkeit geben, die nichts mit dem Körper gemeinsam hat. […] Also ist die Intellektseele abgetrennt […] und hat ewiges Sein.

Aristoteles: Metaphysik (Metaphysica) I 1, 980a 21f. 2, 982b 11-21

Aristoteles über Staunen und Erkenntnislust als Ursprung der Philosophie
Alle Menschen streben von Natur danach zu erkennen. Dies erkennt man an der Liebe zu den Sinneswahrnehmungen; denn auch ohne Nutzen werden sie um ihrer selbst willen geliebt. [...] Denn wegen des Staunens haben die Menschen sowohl jetzt als auch ursprünglich zu philosophieren begonnen, weil sie von Anfang an über das nächstliegende Unerklärbare staunten. [...] Wenn sie daher philosophierten, um der Unwissenheit zu entgehen, so suchten sie das Wissen offenbar des Erkennens wegen, nicht um irgendeines Nutzens willen.

Aristoteles: Metaphysik (Metaphysica) VII 1, 1028a 1-22

Aristoteles über die vielfältige, nicht univoke Bedeutung von 'seiend'
,Seiend‘ wird in mehreren Bedeutungen ausgesagt [...]. Denn es bezeichnet einerseits ,was es ist‘ und ,dieses Einzelne‘, andererseits dass es ,wie beschaffen‘, ,wieviel‘ oder jedes Einzelne von dem so Ausgesagten ist. [...] Von ihnen ist das erste Seiende das ,was es ist‘, was die Substanz bezeichnet. [...] Das andere aber wird seiend genannt, insofern es an dem so Seienden entweder Quantitäten, Qualitäten, Affektionen oder etwas anderes der Art ist. Daher könnte man auch [...] in Zweifel sein, ob ein jedes derselben seiend ist oder nicht seiend.

Aristoteles: Metaphysik (Metaphysica) IV 5, 1005b 19-25

Aristoteles formuliert den Satz vom Widerspruch als Grundregel der Analyse von ,seiend‘
Dass dasselbe demselben und in derselben Beziehung […] unmöglich zugleich zukommen und nicht zukommen kann, das ist das sicherste unter allen Prinzipien. […] Es ist nämlich unmöglich, dass jemand annimmt, dasselbe sei irgendwie und sei nicht so, so wie es nach Meinung einiger Heraklit sagen soll.

Aristoteles: Metaphysik (Metaphysica) VII 3, 1028b 33-36

Aristoteles über die verschiedenen Bedeutungen von ,Substanz‘ (οὐσία)
Substanz wird, wenn nicht in mehr, so doch hauptsächlich in vier Bedeutungen ausgesagt. Denn das ,Das-was-es-war-Sein‘, das Allgemeine und die Gattung scheint die Substanz eines jeden zu sein, und dazu viertens das Zugrundeliegende. Das Zugrundeliegende aber ist dasjenige, von dem das Übrige ausgesagt wird, das selbst aber nicht wieder von einem anderen ausgesagt wird.

Aristoteles: Metaphysik (Metaphysica) VII 3, 1029a 20f

Aristoteles’ Definition von Materie als etwas nicht (ohne Verbindung mit einer Form) Seiendes
Ich nenne Materie das, was an sich weder als etwas noch als wie viel noch als irgendein anderes von denen bezeichnet werden kann, durch die ,seiend‘ bestimmt wird.

Robert von Melun: Zusammenstellung der Lehrsätze (Sententiae ) I, II, (0), 127 (L 115rb, B 180ra)

Robert von Melun über die Leistungen von Wille und Vernunft
Denn durch ein Urteil, dessen Kraft durch die Vernunft besteht, über die Willensakte – welche auch immer diese sind auf welche Dinge sie sich erstrecken – ergeht ein richtiges Votum der Billigung oder Missbilligung, und ein freies, weil über Willensakte geurteilt wird, die – auf welche Dinge sie sich auch immer beziehen – von jeder Herrschaft der Notwendigkeit losgelöst sind. Aus diesem Grund werden sowohl die guten Willensakte einer Belohnung würdig, weil in ihrem Falle der Wille dem Urteil der Vernunft zustimmt, und die schlechten einer Strafe würdig, weil in ihrem Falle der Wille vom Urteil der Vernunft abweicht.

Aristoteles: Metaphysik (Metaphysica) II 1, 993a 30f.; 993b 8-11. 19-31

Im zweiten Buch der Metaphysik (Alpha elatton) stellt Aristoteles eine prinzipientheoretische Reflexion an, die wissenschaftstheoreitsch begründet wird
[1] Die Betrachtung über die Wahrheit ist in einer Hinsicht schwierig, in einer anderen einfach. [...] Vielleicht liegt nun auch, da die Schwierigkeit auf zweierlei Weise besteht, die Ursache für sie nicht in den Dingen, sondern in uns. Denn wie die Augen der Nachtvögel sich zum Tageslicht verhält, so auch der Geist unserer Seele zu dem von Natur aus Deutlichsten von allem. [...].
[2] Richtig verhält es sich auf, die Philosophie Wissen über die Wahrheit zu nennen. Denn das Ziel der theoretischen ist Wahrheit, das der Praktischen Tätigkeit. Denn auch wenn sie schauen, wie sich etwas verhält, betrachten die Praktiker nicht das Ewige, sondern das, was auf etwas bezogen und jetzt ist. Wir wissen aber das Wahre nicht ohne die Ursache. [...]
[3] Folglich ist die Ursache dafür, dass das Spätere wahr ist, am wahrsten. Deswegen ist es notwendig, dass die Prinzipien des ewig Seienden immer die wahrsten sind (denn sie nicht manchmal wahr, und für ihr Sosein gibt es keine Ursache, sondern sie sind dies für das andere), so dass ein jedes, wie es am Sosein, so auch an der Wahrheit teilhat.

Aristoteles: Metaphysik (Metaphysica) VII 4f., 1029b 13-15; 1030a 20-23; 1030b 4-6. 14

Das eidos bzw. to ti en einai
[1] Das Was-es-war-Sein ist für jeden das, was er an sich genannt wird. Denn das Du-Sein ist nicht das Musiker-Sein. Denn Du bist nicht an Dir selbst ein Musiker. [...]
[2] Denn so wie auch ,ist‘ allem zukommt, aber nicht auf die gleiche Weise, sondern dem einen in erster, dem anderen in abgeleiteter Weise, so betrifft auch ,was-es-ist‘ schlechthin die Substanz, auf eine bestimmte Weise aber die anderen (Kategorien). [...] Das ist aber klar, dass die Definition in erster Linie und schlechthin und das ,was-es-war-Sein’ in erster Linie den Substanzen zukommt. [...]
[3] Es gibt aber ein Problem: Wenn jemand nicht sagt, eine Definition sei ein Gehalt, der durch Zusammensetzung [z.B. aus Substantiv und Adjektiv oder Substanz und Eigenschaft], wovon unter dem nicht Einfachen, sondern Zusammengefügten wird es eine Definition geben? Denn man muss notwendigerweise durch Zusammensetzung darauf verweisen.

Aristoteles: Metaphysik (Metaphysica) VII 6, 1031a 15-19; 1032a 12-25; 1032b 1f

Aristoteles erläutert die Blickwinkel, unter denen eine Substanz individuell und allgemein zu sein scheint
[1] Ob das „Was-es-war-Sein“ und das Einzelne dasselbe oder etwas anderes sind, gilt es zu prüfen. [...] Denn ein jedes scheint nichts anderes zu sein als seine Substanz, und vom „Was-es-war-Sein“ sagt man, es sei die Substanz des Einzelnen. [...].
[2] Von dem, was entsteht, entsteht einiges durch Natur, anderes durch Fertigkeiten, anderes automatisch. [...] Genau die Entstehungen sind natürlich, bei denen das Entstehen aus der Natur stammt. Das aber, woraus es enststeht, ist, was wir ,Materie‘ nennen, das wodurch [es entsteht], ist etwas von dem auf natürliche Weise Seienden, das aber, was [entsteht] ein Mensch oder eine Pflanze oder etwas anderes von dem, wovon wir in erster Linie sagen, dies seien Substanzen – denn alles durch Natur oder Fertigkeit Entstehende besitzt Materie. Denn jedes von ihm kann sein und nicht sein, das aber ist die Materie in einem jeden – allgemein ist aber sowohl das, woraus die Natur ist als auch das, dem gemäß die Natur ist, denn das Entstehende besitzt eine Natur, wie eine Pflanze oder ein Tier. Und ,wodurch‘ ist die gemäß der Form benannte, die gleichförmige Natur. Diese befindet sich aber in etwas anderem. Denn ein Mensch zeugt einen Menschen. [...] ,Form‘ aber nenne ich das Was-es-war-Sein jedes einzelnen, d.h. seine erste Substanz.

Ibn Sīnā (Avicenna): Metaphysik (Buch der Genesung) I 5

Zwei Kernsätze aus der Metaphysik von Avicennas Buch der Genesung (Kitāb-aš-šifāʾ) in einer Übersetzung aus dem Arabischen und dem Lateinischen
a) Aus dem Arabischen:
Ibn Sīnā: „Durch das Wort 'Existenz' (wuğūd) auch auf viele Gehalte (maʿnā) hingewiesen, wozu die 'Wesenheit' (haqīqa) gehört, der gemäß 'etwas' (šayyʾ) ist. Dies ist so, als ob dasjenige, auf dessen Weise es ist, die 'spezifische Existenz' für ein 'etwas' darstellt. [...] Es ist klar (min al-bayyin), dass jedes 'etwas' eine spezifische Wesenheit besitzt, nämlich seine Washeit (māhīya).“

b) Aus dem Lateinischen:
Avicenna Latinus: „Das Wort 'seiend' bedeutet auch viele Intentionen, aus denen die Gewissheit stammt, durch die ein jedes Ding ist, und sie ist so wie das Eigentlich-Sein des Dings. [...] Von dem, was deutlich ist, gilt dies, dass ein jedes Ding eine eigentümliche Gewissheit hat, die seine Washeit ist.“

Boethius von Dakien: Über die Ewigkeit der Welt (De aeternitate mundi) (p. 142f., 146f.)

Boethius von Dakien (fl. um 1270) bemüht sich, die Unentscheidbarkeit der Frage nach der Ewigkeit der Welt als philosophisches Projekt nachzuweisen
[1] Nun sagt der Naturphilosoph nur aufgrund der Betrachtung der Kräfte der natürlichen Ursachen, die Welt und die erste Bewegung seien aus ihnen heraus nicht neu. Der christliche Glaube sagt aber aufgrund der Betrachtung einer höheren Ursache als die Natur, die Welt könne aus ihr heraus neu sein. Daher widersprechen sie sich in nichts.
[2] Und aus dem Gesagten lässt sich ein Syllogismus aufstellen:
[3] (a) Es gibt keine Frage, deren schlüssige Beantwortung durch die Vernunft gezeigt werden kann, die der Philosoph nicht erörtern und entscheiden darf, soweit das durch die Vernunft möglich ist. […]
(b) Kein Philosoph aber kann durch die Vernunft zeigen, dass die erste Bewegung und die Welt neu sind, weil es […] weder der Naturphilosoph noch der Mathematiker noch der Theologe kann.
(c1) Also kann durch keine menschliche Vernunft gezeigt werden, dass die erste Bewegung und die Welt neu sind.
(c2) Es kann aber auch nicht gezeigt werden, dass sie ewig sind. Denn wer das bewiese, müsste die Form des göttlichen Willens beweisen – aber wer sollte ihn erforschen?

Proklos: Theologische Elementarlehre (Elementatio theologica) § 56 und 57, gekürzt

In der Theologischen Elementarlehre des Neuplatonikers Proklos (412-485) finden sich programmatische Formulierungen der Wirkungen einer höheren auf eine niedrigere Ursache
(56) Alles vom Späteren Hervorgebrachte wird auch, und zwar in höherem Maße von dem Früheren und Ursächlicheren hervorgebracht, von welchem auch das Spätere hervorgebracht wird.
Denn wenn das Spätere sein ganzes Sein von dem vor ihm Liegenden hat, stammt auch sein Vermögen, etwas hervorzubringen, von dort her. […] Wenn es aber das Vermögen, etwas hervorzubringen, von der transzendenten Ursache erhielt, dann hat es von dieser das Ursache-Sein für dasjenige, wovon es Ursache ist. […] Wenn das so ist, dann wird auch das aus ihm Hervorgehende durch ihm [d.h. dem späteren] Vorausliegende verursacht sein.
(57) Jede Ursache ist auch vor dem Verursachen aktiv und verleiht nach ihm auch mehrerem das Bestehen.
Denn wenn es Ursache ist, ist es vollkommener und machtvoller als dasjenige nach ihm, und, wenn das der Fall ist, Ursache für Mehreres. Denn es kommt einer größeren Kraft zu, mehr hervorzubringen, einer gleichen, Gleiches, und einer schwächeren, weniger hervorzubringen. […] Die Ursache bringt also mit ihm alles hervor, was es von Natur aus hervorbringt.

Thomas von Aquin: Kommentar zum Liber de causis (Super librum de causis expositio) 1, p. 5, 1; 8, 12f. und 21-24; 9, 26-10, 9

Thomas von Aquin präzisiert diese These, die er aus dem Liber de causis kennt, im Hinblick auf per se- und akzidentelle Ursachen
(1) Jede Primärursache übt mehr Einfluss auf sein Verursachtes aus als eine universale Zweitursache. […] [Erste Proposition des Liber de causis]
[1] Es ist aber zu beachten, in welchen Ursachen dieser Satz Wahrheit aufweist. […] Es ist klar […], dass sich die Kraft einer Wirkursache, je früher sie ist, auf desto mehr Wirkungen erstreckt. Daher muss ihre eigentümliche Wirkung allgemeiner sein. Die eigentümliche Wirkung einer Zweitursache findet sich aber in Wenigerem. Daher ist sie auch partikulärer. […]
[2] Wenn […] gefragt wird […], ob das Gesagte in Bezug auf alle Ursachen, die in jeder Form geordnet sind, wahr ist, ist klar, dass dem nicht so ist. Denn wir stellen fest, dass Ursachen auf zweierlei Weise geordnet sind: und zwar an sich, insofern die Intention der ersten Ursache durch alle mittleren Ursachen hindurch bis zur letzten Wirkung blickt, wie wenn die Handwerkskunst die Hand bewegt, die Hand den Hammer, der das Eisen, um es zu bearbeiten, ausdehnt. Hierauf ist die Intention der Fertigkeit ausgerichte; aber akzidentell, wenn die Intention der Ursache nur bis zur nächsten Wirkung geht, […] wie wenn es dann, wenn jemand eine Kerze anzündet, außerhalb seiner Intention liegt, dass die angezündete Kerze wieder eine Kerze anzündet und diese eine andere. […] Bei den in sich geordneten Ursachen enthält dieser Satz also Wahrheit.