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Philosophische Zitate aus Antike und Mittelalter

Werk: Buch der Genesung, Ibn Sīnā (Avicenna)

7 Zitate aus diesem Werk im Zitaten­schatz:

  • Ibn Sīnā (Avicenna): Buch der Genesung Metaphysik I 5 § 8-11. p. 31f.

    Ibn Sīnā (Avicenna; 980-1037) erklärt den Unterschied von Existenz und Essenz
    [1] ,Existent‘ (mawğūd), ,positiv bestehend‘ und ,wirklich seiend‘ sind synonyme Begriffe, die eine Bedeutung haben – und unzweifelhaft ist ihre Bedeutung in der Seele desjenigen präsent, der dieses Buch liest. ,Ding‘ (šayyʾ) und das, was gleichbedeutend ist, hat gewiss in allen Sprachen eine andere Bedeutung; denn jedes Ding hat eine Wesenheit (ḥaqīqa), durch die es das ist, was es ist (so hat das Dreieck die Wesenheit, ein Dreieck zu sein, und „weiß“ die Wesenheit, weiß zu sein), und diese nennen wir manchmal die „spezifische Existenz“, ohne dass dadurch die Bedeutung „positiv bestehende Existenz“ bezeichnet würde. [...] Es ist klar, dass jedes ,Ding‘ eine spezifische Wesenheit besitzt, nämlich seine Washeit (māhīya). Es ist zugleich bekannt, dass die für jedes ,Ding‘ spezifische Wesenheit verschieden ist von der Existenz, die synonym ist mit positivem Bestehen.
    [2] Der Grund dafür ist folgender: Wenn Du sagst, ,die Wesenheit von diesem oder jenem existiert entweder in den Einzeldingen oder in den Seelen oder absolut genommen, indem letzteres die ersten beiden umschließt‘, dann kommt dem eine bestimmte verständliche Bedeutung zu. Wenn Du aber sagen würdest ,die Wesenheit von diesem oder jenem ist die Wesenheit von diesem oder jenem‘, oder: ,Die Wesenheit von diesem oder jenem ist eine Wesenheit‘, so ist dies eine Tautologie, die keine neue Kenntnis verleiht.
  • Ibn Sīnā (Avicenna): Buch der Genesung Metaphysik I 5 § 22. 24, p. 35f.

    Ibn Sīnā unterscheidet zwischen möglichem und notwendigem Sein
    [1] Es ist für uns gewiss ebenfalls zu schwer, den Inhalt von ,notwendig‘, ,möglich‘ und ,unmöglich‘ durch eine die Wesenheit angebende Definition (taʿrīf muḥaqqiq) zu bestimmen, sondern das geht nur mittels eines Hinweises. Alles, was über die Definition von ihnen in dem gesagt wurde, was dich von den antiken Philosophen erreichte, endet quasi notwendigerweise in einem Zirkel. [...] Wenn sie ,möglich‘ definieren wollten, zogen sie entweder ,notwendig‘ oder ,unmöglich‘ zu seiner Definition heran [...], und wenn sie ,notwendig‘ definieren wollten, zogen sie zu seiner Definition entweder ,möglich‘ oder ,unmöglich‘ heran. [...]
    [2] Aber das erste dieser drei, insofern davon zuerst ein Begriff gebildet wird, ist ,notwendig‘ (wāǧib). Das liegt daran, dass ,notwendig‘ die Festigkeit der Existenz bezeichnet, und die Existenz ist bekannter als die Nicht-Existenz, weil die Existenz in sich selbst erkannt wird, während die Nicht-Existenz irgendwie durch die Existenz erkannt wird.
  • Ibn Sīnā (Avicenna): Buch der Genesung Metaphysik I 2 § 12. 17f. p. 13. 15

    Avicenna über den Gegenstand der Metaphysik und ihre Ziele
    [1] Das Existierende qua existierendes (al-mawǧūd bi mā huwa mawǧūd) ist etwas all diesem [verschiedene Formen von Sein, die Gegenstände verschiedener Wissenschaften sind] Gemeinsames, und es muss zum Gegenstand dieser Fertigkeit gemacht werden [...], weil es ohne eine Untersuchung seiner Wesenheit und ohne einen Nachweis seiner selbst auskommt, so dass eine andere Wissenschaft die Aufklärung seines Zustands übernehmen müsste. [...] Diese Wissenschaft untersucht also die Zustände des Existierenden und die Umstände, die ihm zukommen, wie die Teile und die Arten, bis es zu einer Festlegung gelangt, mit der [zum Beispiel] der Gegenstand der Naturwissenschaft neu entsteht, so dass sie ihn dieser übergibt. [...]
    [2] Und dies ist die Wissenschaft (ʿilm), das in dieser Fertigkeit gesucht wird, und es ist die erste Philosophie, weil es das Wissen der ersten Umstände in der Existenz ist – dies sind die erste Ursache und die Umstände in dem Allgemeinen, und die Existenz (wuǧūd) und die Einheit (waḥda) –, und dies ist auch die Weisheit (ḥikma), die das edelste Wissen über das edelste Objekt ist: das edelste Wissen in Bezug auf die Klarheit; über das edelste Objekt in Bezug auf Gott und die Ursachen nach ihm. Es ist also auch die Kenntnis der letzten Ursachen des Universums und auch die Kenntnis Gottes. Und deswegen kommt ihm die Definition ,göttliches Wissen‘ (ʿilm al-īlāhī) zu, der darin besteht, dass es von den Tatsachen, die von der Materie getrennt sind, in Bezug auf die Definition und die Existenz handelt.
  • Ibn Sīnā (Avicenna): Buch der Genesung Metaphysik I 7, § 14 p. 47

    Avicenna über die Notwendigkeit möglicher Existenz
    Was das Mögliche betrifft, so ist hieraus seine Besonderheit klar geworden, und zwar dass es unbedingt eines anderen bedarf, dass es zu einem im Akt existierenden macht. Alles, was im Hinblick auf die Existenz möglich (mumkin al-wuğūd) ist, das ist hinsichtlich seines Wesens ewig ein möglich Existierendes. Aber manchmal stößt es ihm zu, dass seine Existenz durch etwas anderes notwendig wird. Dies stößt ihm nun entweder ewig zu, oder die Notwendigkeit seiner Existenz stammt von einem anderen auf nicht ewige Weise, sondern zu einer Zeit, aber nicht zu einer anderen Zeit.
  • Ibn Sīnā (Avicenna): Buch der Genesung Metaphysik VIII 7 § 3. 6, p. 363. 365

    Avicenna über die Struktur der ersten Ursache als Intellekt
    [1] Und es [das erste Prinzip] liebt sein Wesen, das das Prinzip (mabdaʾ) jeder Ordnung ist und gut ist, insofern es so ist. Dabei wird die Ordnung des Guten (niżām al-ḫair) von ihm akzidentell mitgeliebt. Aber das erste Prinzip wird hierzu nicht von der Liebe bewegt, ja es erfährt von ihr überhaupt keine Wirkung, und es ersehnt und erstrebt nichts. Das ist sein Wille (īrāda), der frei ist vom Mangel, den die Liebe bewirkt, und von der Störung durch das Streben zu einem Ziel hin [...].
    [2] Zu der Menge der Verstandesgegenstände (al-maʿqūlāt) gehört derjenige Verstandesgegenstand, dessen Prinzip das Erste unmittelbar ist. Aber seine Existenz fließt (jafīḍu) primär aus ihm. Und der Verstandesgegenstand, dessen Prinzip das Erste mittelbar ist, dies fließt sekundär aus ihm [...]. Einiges von diesem geht jedoch dem anderen voraus in der Rangfolge des Verursachenden und des Verursachten.
  • Ibn Sīnā (Avicenna): Buch der Genesung De anima I 1 p. 16

    Avicenna erklärt am Beispiel vom fliegenden Menschen, wie man die Seele ganz losgelöst von ihrer Funktion, den Körper zu beleben, denken kann
    Jeder Einzelne von uns soll es sich so vorstellen, als wäre er plötzlich geschaffen und vollendet geschaffen, aber sein Blick abgeschirmt vom Betrachten des Äußeren; und als wäre er so geschaffen, dass er in der Luft fiele oder im Leeren, ohne dass ihm das Vorhandensein der Luft einen Widerstand entgegensetzte, den er wahrnehmen könne, und als bestünde eine Trennung in Bezug auf seine Glieder, so dass sie sich nicht berührten und keinen Kontakt zueinander hätten. Dann soll er bedenken, ob er die Existenz seines Wesens bejaht, so dass er an der Bejahung davon nicht zweifelt, dass sein Wesen existiert, und ob er zugleich damit die Begrenzung seiner Glieder nicht bejaht.
  • Ibn Sīnā (Avicenna): Buch der Genesung I 5 § 22. 24, p. 35f.

    Ibn Sīnā erklärt den Unterschied von Existenz und Essenz
    Der Grund dafür ist folgender: Wenn Du sagst, die Wesenheit von diesem oder jenem existiert entweder in den Einzeldingen oder in den Seelen oder absolut genommen, indem letzteres die ersten beiden umschließt, dann kommt dem eine bestimmte verständliche Bedeutung zu. Wenn Du aber sagen würdest: Die Wesenheit von diesem oder jenem ist die Wesenheit von diesem oder jenem, oder: Die Wesenheit von diesem oder jenem ist eine Wesenheit, so ist dies eine Tautologie, die keine neue Kenntnis verleiht.