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Philosophische Zitate aus Antike und Mittelalter

Zitatfinder

Johannes Philoponos : Die Schöpfung der Welt (De opificio mundi) 28, 21-29, 3

Johannes Philoponos nimmt eine Selbstbewegungskraft von Körpern an (Impetus-Theorie)
Konnte Gott denn nicht dem Mond, der Sonne und den übrigen Sternen, als er sie schuf, eine Bewegungskraft eingeben, wie den schweren und leichten Körpern ihre Bewegungstendenzen und allen Lebewesen die Bewegungen von der ihnen innewohnenden Seele?

Pseudo-Dionysios Areopagita : Mystische Theologie (De mystica theologia ) I 1. 2 [141, 3-142, 2; 143, 3-7 Ritter]

Die negative Theologie nach Pseudo-Dionysios Areopagita (Antike Philosophie II)
Bei Gott sind die Geheimnisse der Theologie durch die das Licht übersteigende Dunkelheit des mystisch-geheimen Schweigens verdeckt. [...] Bei ihm muss man, als von der Ursache von allem, alles vom Seienden Aussagbare einerseits zusprechen und bejahen, und alles andererseits, weil er oberhalb von allem ist, in noch höherem Maße verneinen. Und man darf nicht glauben, dass die Verneinungen den Bejahungen widersprechen, sondern dass das, was jenseits von allem Ab- und Zusprechen ist, jenseits von allen Unvollkommenheiten ist.

Barḥaḏbǝšabbā von Ḥalwān : Ursache der Gründung von Schulen (Causa fundationis scholarum) p. 371, l. 7-10

Barḥaḏbǝšabbā von Ḥalwān (um 590) erklärt die Leistung Jesu Christi (Antike Philosophie II)<br /> Barḥaḏbšabbā nennt den wahren Vollender der Philosophie (Judentum und Islam)
Er [Jesus] setzte tragfähige Definitionen der Philosophie (filosofūṯā); so erweckte er die Weisheit, die tot war, belebte die Gottesfurcht, die nichtig war, und zeigte die Wahrheit, die verlorengegangen war: alle Arten von Wissenschaften, gleichsam als unterschiedliche Glieder einer Statue, entwarf und begründete er kurzgefasst in den Ohren der Gläubigen.

Barḥaḏbǝšabbā von Ḥalwān : Ursache der Gründung von Schulen (Causa fundationis scholarum) p. 334, l. 7-15

Barḥaḏbǝšabbā von Ḥalwān beweist Gott aus der Notwendigkeit einer ewigen Ursache heraus
Denn auch wenn dieses Wort ‚es ist‘ (īṯāw) für die Gesamtheit (gāwā) und für das Spezifische (īḥīdāyā) gleich ist, so ist es doch in eigentlicher Weise für Gott allein treffend und passend. Denn alles was ,ist‘, ist entweder geworden (hāwyā = γενητόν) oder nicht geworden (lā hāwyā = ἀγένητον). Und so wie bei dem, was geworden ist, das was war, früher ist, als das, was ,ist‘ – indem es die Ursache von diesem ist –, ebenso ist auch bei dem, was ,ist‘, ohne geworden zu sein, das ewige Sein (īṯyā mettōmāyā) früher als das, was ,ist‘ – indem es die Ursache von dem ist, was ist. Denn wenn es kein ewiges Sein ist und es doch ,ist‘, dann ist es geworden. Wenn dies wahr ist, dann hat es einen Ursprung und empfängt von etwas anderem das Gewordensein, und es hat mit allem, was geworden ist, diese beiden (Aspekte) gemein, zum einen den, dass es geworden ist, und zum anderen den, dass ,es ist‘. Wenn es absurd ist, dies für den jenseitigen Bereich zu denken, folgt daraus, dass er (= Gott) ,ist‘, weil er Sein ist, während die Schöpfung ,ist‘, weil sie geworden ist und einen Ursprung hat.

Sergios von Rēšʿaynā : Traktat über die Ursachen des Alls nach der Meinung des Aristoteles S. 143

Sergios von Rēš‘aynā (gest. 536) fordert bei mangelndem Verstehen zu weiterer Forschung offener Rede auf
Wenn Dir also, o mein Lieber, etwas in der Untersuchung dessen, was gesagt wurde, weiteren Studiums und weiterer Forschung zu bedürfen scheint, die gründlicher ist als diese, darf man nicht, wegen dem bisschen Schwierigkeit, das sich hierin zeigt, aufgeben und den Freimut (parhesīyā) über die ganze Lehre (dōgmā) fallenlassen. [...] Denn in jeder Hinsicht ist entweder die Lösung etwas von größerer Kraft als das von uns Gesagte, oder die Schwierigkeit der Sachen selbst, über die wir sprechen wollen, oder die Schwäche unserer eigenen Natur hindern uns an einem genauen und unstreitigen Wissen über die Dinge. Und doch ist es deswegen für uns nicht angemessen, dass wir die ganze Wissenschaft der Philosophie (julpānā ḏǝfilosofūṯā) verachten oder die Hand auf den Mund legen und ganz schweigen. Sondern es ist eine Pflicht, dass wir das, was unser Verstand (mellǝṯā = logos), während wir forschen, findet, dass es wahrer ist als das andere, darlegen und beginnen hierüber zu forschen wie über die Wahrheit.

Thukydides : Thukydides, Geschichte des Peloponnesischen Krieges (historiae) II 37. 40

Der Athener Staatsmann Perikles (ca. 490-429 v. Chr.) lobt, in einer vom Historiker Thukydides (ca. 450-399/96 v. Chr.) komponierten Rede, die Athener Demokratie
Wir leben in einer Staatsform, die nicht den Gesetzen der Nachbarn nachstrebt, sondern wir sind eher ein Vorbild für andere als deren Nachahmer. Ihr Name ist Demokratie, weil sie nicht auf einer Minderheit, sondern auf einer Mehrzahl der Bürger beruht. Vor dem Gesetz gilt bei persönlichen Unterschieden für alle das gleiche, der Rang jedoch, dass wie jemand in etwas besonders angesehen ist, richtet sich im Blick auf das Allgemeine weniger nach seiner Volksklasse, sondern nach seiner Tugend/Tüchtigkeit wird er bevorzugt. Auch dem Armen ist, wenn er für den Staat etwas zu leisten vermag, der Weg nicht durch die Unscheinbarkeit seines Ranges versperrt. In freier Weise aber handeln wir politisch im Hinblick auf die Allgemeinheit und auch im Hinblick auf das Missfallen der täglichen Angelegenheiten untereinander, ohne Zorn auf den Nachbarn, wenn er etwas in Freude tut, und ohne eine zwar unbestrafte, aber doch widerwärtige Missbilligung im Blick auszusetzen. [...] Wir lieben die Schönheit ohne den Luxus; wir lieben die Weisheit ohne Verweichlichung.

Thukydides : Thukydides, Geschichte des Peloponnesischen Krieges (historiae) I 139f.

Perikles mahnt die Bürger zu einem demokratischen Ethos
Viele standen auf und sprachen; beide Ansichten wurden vertreten, dass man Krieg führen müsse, der andere meinte und dass der Beschluss den Frieden nicht stören dürfe [...]. Da trat auch Perikles, der Sohn des Xanthippos, auf, zu jener Zeit der erste Mann in Athen, mächtig in Wort und Tat. Er hielt etwa folgende mahnende Rede: ,Ich bin noch immer derselben Meinung, Athener: man soll den Peloponnesiern nicht nachgeben. [...] Nur darf ich die Forderung erheben, dass diejenigen von Euch, die sich überzeugen lassen, auch dann für die gemeinsame Meinung eintreten, wenn uns etwas misslingt, und sich auch nicht, wenn die Dinge gut gehen, sich selbst die Einsicht darin anmaßen. Denn es kommt vor, dass die Wechsel der Ereignisse nicht minder ohne erklärbaren Grund ihren Lauf nehmen als die Gedanken der Menschen‘.

Thukydides : Thukydides, Geschichte des Peloponnesischen Krieges (historiae) II 60f.

Perikles rechtfertigt sich gegenüber Vorwürfen
Gegen mich tobt ihr, gegen einen Mann, der, wie ich meine, in der Erkenntnis dessen, was erforderlich ist, und seiner Vermittlung, hinter niemand zurücksteht, der die Stadt liebt und keiner Bestechung zugänglich ist. [...] Wenn ihr [...] euch durch mich habt zum Kriege bewegen lassen, so schickt es sich nicht, dass man mir jetzt vorwirft, ich hätte Unrecht getan. [...] Ich bin noch immer derselbe und wanke nicht; ihr aber seid veränderlich. Als es euch gut ging, wart ihr gleich bereit; nun, da ihr Unglück habt, kommt euch die Reue.“

Platon: Apologie des Sokrates (apologia Socratis) 28e - 29a

Sokrates (ca. 469-399 v. Chr.) rechtfertigt in einer Verteidigungsrede vor der Gerichtsversammlung der Athener Bürger sein kritisches Fragen als Gehorsam gegenüber einer höheren Autorität als der staatlichen
Ich hätte also Arges getan, ihr Athener [...], wenn ich da, wo der Gott mich hinstellte, wie ich es doch glaubte und annahm, dass ich philosophierend leben solle und in Prüfung meiner selbst und anderer, den Tod oder irgendetwas anderes fürchtend, aus der Ordnung gewichen wäre.

Platon: Apologie des Sokrates (apologia Socratis) 31cd

Sokrates schildert die Philosophie als Anweisung des Daimonion
Vielleicht könnte auch dies jemandem sinnlos dünken, dass [...] ich es nicht wage, öffentlich in eurer Versammlung auftretend dem Staate zu raten. Hiervon ist nun die Ursache, was ihr mich oft und vielfältig sagen gehört habt, dass mir etwas Göttliches und Dämonisches widerfährt. [...] Dies hat aber schon in meiner Kindheit begonnen, dass eine Stimme auftrat, welche jedesmal, wenn sie auftritt, mich von etwas abhält, das ich tun will, mir aber niemals zu etwas zuredet. Das ist es, was mir widerrät, mich mit Politik zu befassen

Platon: Gorgias (Gorgias) 51cd, 52e/53a, 54bd

Sokrates begründet die Ablehnung einer Flucht mit einer Berufung auf sein Verhältnis zu den Gesetzen
,Überlege also, o Sokrates, würden die Gesetze vielleicht weiter sagen, wenn wir dies wahr gesprochen hätten, dass es dann nicht gerecht ist, was du uns jetzt antun willst. Denn wir, die wir dich zur Welt gebracht, auferzogen, unterrichtet und alles in sich Gute, was nur in unserem Vermögen stand, dir und jedem Bürger mitgeteilt haben, wir gestatten zugleich [...] jedem Athener, der will, daß [...] er das Seinige nehmen und fortgehen dürfe, wohin er nur will. [...] Du aber hast weder Lakedaimon vorgezogen noch Kreta [...] noch irgendeinen anderen von den griechischen Staaten. [...] So vorzüglich vor allen Athenern hat dir die Stadt gefallen und wir, die Gesetze, offensichtlich also auch. [...] Und jetzt willst dem Versprochenen nicht treu bleiben? [...] Aber, Sokrates, gehorche uns, deinen Erziehern und achte weder die Kinder noch das Leben noch irgend etwas anderes höher als das Gerechte, damit du, wenn du in die Unterwelt kommst, dies alles den dortigen Herrschern zu deiner Verteidigung anführen kannst. [...] Merke wohl, lieber Freund Kriton, dass ich dies zu hören glaube, wie die, welche das Ohrenklingen habe, die Flöte zu hören glauben‘.

Platon: Die Gesetze (Platon) (Nomoi) I 629e/30a. 30c-e

Platon (ca. 428/27-348/47 v. Chr.) über die Tugend als Ziel der Gesetzgebung
Der Athener: ,Du, Tyrtaios, lobst offensichtlich vor allem diejenigen, die sich in einem fremden und auswärtigen Krieg auszeichnen‘. [...] Wir aber behaupten, obwohl dies gute Männer sind, dass doch diejenigen noch besser sind, und zwar um vieles, die sich in dem größten Krieg als die besten hervortun. [...] Denn treu und anständig wird er in innerstaatlichen Auseinandersetzungen nicht sein ohne die gesamte Tugend [...] Mehr als jeder andere blickt gerade der hiesige, von Zeus unterwiesene Gesetzgeber, und überhaupt jeder, der ein bisschen etwas taugt, auf nichts anderes als in erster Linie auf die größte Tugend, wenn er die Gesetze gibt. [...] So wie es dem Wahren und Gerechten entspricht, wenn wir gemäß den guten Sitten reden, ordnete er die Gesetze nicht mit Blick auf einen Teil der Tugend an – und auch noch den schlechtesten –, sondern auf die gesamte Tugend.

Platon: Die Gesetze (Platon) (Nomoi) I 631bd

Platon über die einzelnen Güter der Gesetzgebung
Der Athener: Die Güter aber sind doppelter Art, die einen menschlich, die anderen göttlich; von den göttlichen aber sind die anderen abhängig, und wenn ein Staat auch die größeren bei sich aufnimmt, so erwirbt er auch die geringeren; wo nicht, büßt er beide ein. [...] Was aber als erstes das leitende der göttlichen Güter ist, ist die Klugheit; das zweite ist die mit Vernunft verbundene besonnene Haltung; aus diesen, wenn sie mit Tapferkeit gemischt sind, ergibt sich als drittes die Gerechtigkeit, als viertes die Tapferkeit. Alle diese sind den übrigen [Gütern] von Natur aus übergeordnet, und daher muss sie auch der Gesetzgeber dementsprechend anordnen. Hierauf muss er den Bürgern einschärfen, dass auch die anderen ihnen gegebenen Verordnungen auf diese Güter hinzielen.

Platon: Die Gesetze (Platon) (Nomoi) I 634de

Wenn die Gesetze einmal stehen, gibt es nur sehr begrenzte Möglichkeiten, etwas an ihnen zu ändern (Antike Philosophie I)<br /> Platon über die Möglichkeiten der Kritik an Gesetzen (Gesetzt und Gewissen)
Wenn eure Gesetze auch maßvoll beschaffen sind, dann ist es gewiss eines der schönsten Gesetze, dass kein junger Mensch untersuchen soll, was an den Gesetzen richtig ist oder nicht, sondern dass mit einer Stimme und aus einem Munde alle einhellig erklären sollen, alles sei richtig angeordnet, da es Götter angeordnet hätten, und wenn jemand etwas anderes sagt, dürfe man es auf keinen Fall zulassen, ihn anzuhören. Wenn aber ein alter Mann etwas an euren Einrichtungen bemerkt, so soll er solche Argumente vor einem Amtsträger oder einem Altersgenossen äußern, ohne Gegenwart eines jungen Menschen.

Aristoteles: Nikomachische Ethik (Ethica Nicomachea) V [= Eudemische Ethik IV] 3, 1129b 11-17

Aristoteles über den generellen Zusammenhang von Gesetz und Gerechtigkeit
Weil nun der Gesetzesbrecher als ungerecht galt und der sich gesetzesgemäß Verhaltende als gerecht, so ist klar, dass alles Gesetzesgemäße in gewisser Weise gerecht ist. Denn was von der Gesetzgebung bestimmt wird, ist gesetzesgemäß, und jedes Einzelne davon nennen wir gerecht. Die Gesetze reden nun über alles und zielen entweder auf das, was allen gemeinsam zuträglich ist oder den besten oder den Regierenden, und zwar entweder gemäß der Tugend oder auf eine andere Weise.

Aristoteles: Nikomachische Ethik (Ethica Nicomachea) V [= Eudemische Ethik IV] 10, 1134b 17-21. 30-32; 1135a 3-5

Aristoteles über das natürliche Recht
Vom politisch Gerechten ist das eine natürlich, das andere gesetzlich. Das natürliche hat überall dieselbe Kraft und nicht wegen eines Meinens oder Nicht-Meinens. Beim Gesetzlichen kommt es ursprünglich nicht darauf an, ob es so ist oder anders, wenn es einmal erlassen ist, kommt es schon darauf an, etwa dass das Lösegeld für einen Gefangenen zwei Minen betragen soll. [...] Was von dem, was sich so und anders verhalten kann, naturgemäß ist und was nicht, sondern nur aufgrund von Gesetz und Vertrag, das ist, obwohl beides gleichermaßen veränderlich ist, klar. [...] Ebenso ist das nicht natürlicherweise, sondern menschlich Gerechte nicht überall dasselbe, da es auch nicht die Staatsordnungen sind. Aber nur eine ist überall die von Natur aus beste.

Aristoteles: Politik (politica) III 6, 1279a 17-21; 7, 1279a 32-39; b 4-9

Aristoteles über gerechte und ungerechte Verfassungen
[1] Soweit also die Staatsformen das Gemeinwohl anstreben, sind sie im Hinblick auf das schlechthin Gerechte richtig; diejenigen aber, die nur das Wohl der Regierenden anstreben, sind verfehlt und allesamt Abweichungen von den richtigen Staatsformen; denn sie sind despotisch, der Staat ist aber eine Gemeinschaft von Freien. [...]
[2] Wir nennen nun gewöhnlich von den Alleinherrschaften die, die auf das Gemeinwohl schaut, das Königtum, diejenige, die von wenigen, aber mehr als einem regiert wird, Aristokratie [...] Wenn aber die Menge im Hinblick auf das Gemeinwohl Politik treibt, so wird dies mit dem gemeinsamen Namen aller Verfassungen, nämlich Politie, bezeichnet. [...]
[3] Abweichungen von den genannten sind für das Königtum die Tyrannis, für die Aristokratie die Oligarchie und für die Politie die Demokratie. Denn die Tyrannis ist eine Alleinherrschaft zum Nutzen des Herrschers, die Oligarchie eine Herrschaft zum Nutzen der Reichen und die Demokratie eine solche zum Nutzen der Armen.

Aristoteles: Politik (politica) III 6, 1113a 21f. 29-b 1

Aristoteles über den tüchtigen Menschen als Maß des Guten
Einem jedem scheint etwas anderes gut und, wenn es sich so ergibt, etwas Gegenteiliges. [...] Nun beurteilt der Tüchtige jedes Einzelne richtig, und in jedem Einzelnen erfasst er das Wahre. Denn entsprechend jeder Disposition ist etwas Spezielles schön und freudvoll, und vielleicht zeichnet sich der Tüchtige dadurch am meisten aus, dass er in jedem Einzelnen das Wahre sieht, da er gewissermaßen Richtschnur und Maß dafür ist. Bei den meisten Leuten scheint aber eine Täuschung durch die Freude zu erfolgen. Denn sie ist nicht gut und scheint doch so.

Aristoteles: Politik (politica) III 4, 1277a 13-17; b 18-21. 25-29

Aristoteles über Tugend und Ausbildung der Regierenden
Aber vielleicht ist in einem bestimmten Punkte die Tugend des vollkommenen Bürgers und des vollkommenen Menschen doch dieselbe? Wir sagen ja, dass der Regent/Amtsträger gut und klug sein soll; der Bürger hingegen braucht nicht notwendig klug zu sein. Auch sagen einige, dass von vornherein die Erziehung des Herrschers eine andere sein solle. [...] Denn offensichtlich ist die Tugend dessen, der regiert wird, aber frei ist, nicht einfach diejenige des guten [Menschen], etwa als Gerechtigkeit, sondern sie umfasst [verschiedene] Formen, sofern man regiert oder regiert wird, wie ja auch die Besonnenheit des Mannes und diejenige der Frau eine andere ist. [...] Die Klugheit ist aber allein eine spezielle Tugend des Regenten/Amtsträgers. Denn die anderen Tugenden sind notwendigerweise den Regenten und den Regierten gemeinsam; doch der Regierte hat als Tugend nicht die Klugheit, sondern die richtige Meinung.

Aristoteles: Nikomachische Ethik (Ethica Nicomachea) V 14, 1137a 33-b 4. 11-19. 34-1138a 2

Aristoteles über das rechtlich Angemessene bzw. ,Billige‘
Das Billige ist zwar gerecht, aber nicht dem Gesetze nach, sondern als eine Korrektur des gesetzlich Gerechten. Die Ursache ist, dass jedes Gesetz allgemein ist, in einigen Dingen aber in allgemeiner Weise nicht korrekt gesprochen werden kann. Wo man nun allgemein reden muss, es aber nicht richtig kann, da berücksichtigt das Gesetz die Mehrzahl der Fälle, ohne über diesen Mangel im Unklaren zu sein. Dennoch ist es um nichts weniger richtig. Denn der Fehler liegt nicht am Gesetz oder Gesetzgeber, sondern in der Natur der Sache. [...] Daraus ist auch klar, wer der Billige ist. Denn wer solches bevorzugt wählt und danach handelt, und wer es nicht zum Schaden anderer mit dem Gesetz zu exakt umgeht und zur Abschwächung bereit ist, auch wenn er das Gesetz auf seiner Seite hat, der ist ein Billiger. Das entsprechende Verhalten ist die Billigkeit, eine Art von Gerechtigkeit also, und als Verhalten von ihr nicht verschieden.