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Philosophische Zitate aus Antike und Mittelalter

Zitatfinder

Augustinus von Hippo: Der Gottesstaat (De civitate dei) I 26

Augustinus über die Freiheit des Gewissens gegenüber dem Worte Gottes
Über diese [heiligen Frauen] wage ich nicht, ein sicheres Urteil auszusprechen. [...] Denn was ist, wenn sie dies nicht aufgrund einer menschlichen Täuschung taten, sondern auf göttlichen Befehl hin, nicht irrend, sondern gehorchend? [...] Denn auch ein Soldat ist, wenn er im Gehorsam gegenüber einer staatlichen Gewalt, unter welche er legitimerweise gestellt ist, einen Menschen tötet, durch kein Gesetz seines Staates des Mordes schuldig, sondern ist vielmehr, wenn er es nicht getan hätte, schuldig des Verlassens und der Verachtung eines Befehls. Aber wenn er es aus eigenem Antrieb und eigener Urheberschaft getan hätte, dann unterfiele er dem Verbrechen des Vergießens menschlichen Blutes. [...]
Aber wenn das bei dem Befehl eines Feldherrn so ist, um wie viel mehr bei einem Befehl des Schöpfers! Wer also hört, man dürfe sich nicht töten, soll dies doch tun, wenn der befohlen hat, dessen Befehle nicht missachtet werden dürfen. Er soll lediglich darauf achten, dass der göttliche Befehl durch keine Unsicherheit schwankt! Wir begegnen dem Gewissen durch das Ohr, das Urteil über das Verborgene maßen wir uns nicht an. ,Niemand weiß, was im Menschen getant wird, außer der Geist des Menschen, der in ihm wohnt‘ (1 Korinther 2, 11).

Averroes : Die entscheidende Abhandlung 2-3 = 1-5

Averroes über die Notwendigkeit philosophischer Forschung laut dem Koran
[2] Wenn die Tätigkeit der Philosophie nichts weiter ist als die Theorie (naẓar) über das Existierende (al-mawǧūdāt) und seine Betrachtung, insofern es auf den Hersteller verweist [...], und wenn das Gesetz (aš-šarʿ) dazu aufgefordert und angespornt hat, das Existierende zu betrachten, so ist klar, dass das, worauf dieser Name verweist, entweder vom Gesetz vorgeschrieben oder als Auftrag gegeben ist. Dass das Gesetz dazu aufruft, mit dem Intellekt (ʿaql) das Existierende zu betrachten [...], wird klar durch verschiedene Verse aus dem Buch Gottes. [...].
[3] Und es ist klar, dass diese Form von Theorie, zu welcher das Gesetz aufruft und anspornt, die vollendetste Art der Theorie mittels der vollendetsten Art des Schlusses ist, und diese wird ,Beweis‘ (burhān) genannt.

Averroes : Die entscheidende Abhandlung 13f.

Averroes erklärt den Hintergrund der allegorischen Auslegung von Korantexten, die deren Vereinbarkeit mit der Philosophie sicherstellt, und die Bedingungen für dieses Vorgehen im Einzelfall
[12] Also wissen wir, die Gemeinschaft der Muslime, in endgültiger Weise, dass die Theorie in Beweisform nicht zu etwas führt, worin das Gesetz widerspricht; das Wahre widerspricht nicht dem Wahren, sondern ist im Einklang mit ihm und bezeugt es.
[13] [...] Und weil das so ist, so wird, wenn die Theorie zu einer bestimmte Weise der Erkenntnis in Bezug auf irgendein Existierendes führt, dieses Existierende entweder im Gesetz mit Schweigen übergangen, oder es wird Erkenntnis hierüber vermittelt. Und sofern die Gebote etwas mit Schweigen übergehen, so erschließen es die Rechtsgelehrten mittels des gesetzesbezogenen Schlusses. Und wenn es im Text des Gesetzes steht, so ist der äußere Sinn des Textes entweder mit dem übereinstimmend, wozu der Beweis führt, oder verschieden. [...] Und wenn er verschieden ist, dann ist seine Auslegung erforderlich. Und der Gehalt der Auslegung besteht darin, dass die Bedeutung des Ausdrucks von der gegenstandsbezogenen Bedeutung zur übertragenen Bedeutung hin transponiert wird.

Moses Maimonides: Wegweiser für die Verwirrten (Dux neutrorum sive perplexorum) I Einl. § 9f.

Maimonides skizziert den Adressaten des Wegweisers für die Verwirrten und erklärt das Ziel des Werkes:
a) [1] Das Ziel dieses Buches die Ermahnung eines religiösen Menschen – er ist in seiner Seele demütig geworden, und in seiner Überzeugung verfestigte sich die Richtigkeit unseres Gesetzes (šarīʿa = die Torah) feststeht, so dass er vollkommen ist in Religion und Sitten –, der die philosophischen Wissenschaften betrachtet und ihre Inhalte kennt. Nun leitet ihn der menschliche Intellekt an und lädt ihn ein, sich in seinem Lager niederzulassen, und der äußere Sinn des Gesetzes (ṯawāhir aš-šarīʿa) hält ihn zurück. [...]
[2] Also bleibt er in Verwirrung und Schrecken: Entweder lässt er sich einladen von seinem Intellekt [...] – und dann wird er meinen, gegen die Grundlagen des Gesetzes fortzuwerfen –, oder soll er bleibt er bei dem, was er von ihm verstanden hat und lässt sich nicht von seinem Intellekt anleiten. Dann [...] wird er trotzdem sehen, dass er sich Schaden zugezogen hat und Verderben in seiner Religion (dīn), und er wird mit diesen eingebildeten Überzeugungen (iʿtiqādāt) zurückbleiben, wobei er durch sie in Angst und Unbehagen ist. [...]
b) [3] Wenn wir ihm nun diese Allegorien (muṯul) [in der Torah] erklären oder ihn ermahnen, dass dies Allegorien sind, dann wird er zurückfinden und aus dieser Verwirrung gerettet werden. Daher habe ich dieses Buch ,Wegweiser für die Verwirrten‘ genannt.

Moses Maimonides: Wegweiser für die Verwirrten (Dux neutrorum sive perplexorum) III 26, p. 570, 12-18

Maimonides vertritt die Meinung, dass es für jedes Gebot des jüdischen Gesetzes einen rationalen Grund gibt, selbst wenn der nicht immer bekannt ist
Diejenigen, die Theorie betreiben, [...] sind über unsere Gesetzgebung im Hinblick darauf, was für uns erlassen wurde, verschiedener Meinung. Einerseits gibt es solche, die hierfür überhaupt keine Ursache suchen und sagen, dass alle Gesetze einem reinen Wunsch [Gottes] folgen. Andererseits gibt es solche, die sagen, dass jedes Gebot und Verbot hiervon einer Weisheit oder einer Absicht folgen, in der ein bestimmter Zweck liegt, und dass alle Gesetze eine Ursache haben und im Hinblick auf einen bestimmten Nutzen hierüber gesetzlich angeordnet wurde. Im Hinblick darauf, dass es für sie alle eine Ursache gibt, wobei wir die Ursache für einige von ihnen nicht kennen und der Gehalt der Weisheit uns hierüber unbekannt ist, dies ist die Meinung von uns allen, vom Volk und von der Elite.

Moses Maimonides: Wegweiser für die Verwirrten (Dux neutrorum sive perplexorum) III 27-28, p. 575, 2f.; 576, 11f.; 577, 10-16; 578, 8-11

Theoretische Überlegungen des Maimonides zu den Gesetzen
„[1] Das Ziel für die Gesamtheit des Gesetzes besteht in zweierlei, nämlich das Gedeihen der Seele und das Gedeihen des Körpers. [...] Das wahre Gesetz [...], d.h. das Gesetz unseres Freundes Mose, ist nur gekommen, um uns zu den beiden Vollkommenheiten zusammen zu verhelfen. [...]
[2] Du sollst wissen, dass das Gesetz von den richtigen Meinungen, durch die die äußerste Vollkommenheit entsteht, nur ihren Gipfelpunkt angegeben und zum Überzeugtsein von ihnen nur im Allgemeinen aufgefordert hat, und dies ist die Existenz Gottes des Erhabenen, und seine Einheit und sein Wissen und seine Macht und sein Willen und seine Ewigkeit. Und all dies sind die äußersten Gipfelpunkte, die durch Aufteilen und Definieren nicht verdeutlicht werden können, das Äußerste an Wissen aus vielen Meinungen. Und ebenso forderte das Gesetz zu bestimmten Überzeugungen auf, von denen ein Überzeugtsein notwendig ist für den Frieden der Zustände der Stadt, wie zum Beispiel unser Überzeugtsein, dass der Zorn des Erhabenen über den, der ihm nicht gehorcht, heftig wird.
[3] Für jede Vorschrift [...] ist entweder im Hinblick auf das Gebot in sich selbst oder in seiner Notwendigkeit für die Entfernung von Unrecht oder für den Erwerb edler Sitten die Ursache für diese Vorschrift klar oder der Nutzen offensichtlich.

Abaelard, Peter: Römerbriefkommentar II, p. 207f.

Peter Abaelard über die natürliche Gesetzgebung der Vernunft
Paulus (Römer 7) sagt nicht einfach ,nicht ich tue das‘, sondern er sagt ,nicht ich, sondern die Sünde‘, was besagen will: Ich werde dazu nicht aus der Natur, sondern aus einem Laster der Natur, das sie schon beherrscht gezogen, aber aus der Natur, durch die ich von Gott vernünftig geschaffen bin, widerstrebe ich der Begierde. [...] Dieses ,Gesetz‘ der Begierde nenne ich ,widerstrebend‘, d.h. entgegengesetzt zu, dem natürlichen ,Gesetz meines Geistes‘, d.h. der Vernunft, die mich gleichsam wie ein Gesetz regieren muss.

Abaelard, Peter: Ethica (Ethica ) I § 2f. p. 6

Abaelard über die eigentliche Definition von Sünde
Abaelard über die eigentliche Definition von Sünde: „Ein Laster ist daher das, wodurch wir zum Sündigen geneigt gemacht werden, d.h. uns dazu neigen, dem zuzustimmen, was nicht richtig ist, so dass wir das folglich tun oder unterlassen. Diese Zustimmung aber nennen wir im eigentlichen Sinn Sünde, das heißt eine Schuld der Seele, durch die sie die Verdammung verdient und bei Gott für schuldig befunden wird.

Abaelard, Peter: Ethica (Ethica ) I § 37 p. 56. 58

Abaelard über die Gewissensfreiheit der Verfolger Christi
Nehmen wir an, jemand fragt, ob die Verfolger der Märtyrer oder Christi in demjenigen sündigten, wovon sie glaubten, es gefalle Gott, oder fragt, ob sie dies ohne Sünde hätten unterlassen können, wovon sie meinten, es dürfe auf keinen Fall unterlassen werden. Dem gemäß, was wir vorher als Beschreibung der Sünde angegeben haben – sie bestehe in einer Missachtung Gottes oder darin, dem zuzustimmen, wovon man glaubt, ihm dürfe nicht zugestimmt werden – können wir bestimmt nicht sagen, sie hätten hierin gesündigt, noch auch, dass die Unkenntnis von irgendetwas oder sogar der Unglaube in sich eine Sünde sei. Denn diejenigen, die Christus nicht kennen und den christlichen Glauben deswegen zurückweisen, weil sie glauben, er sei gottwidrig – welche Missachtung Gottes haben sie in demjenigen, was sie wegen Gott tun und wovon sie deswegen meinen, sie würden gut handeln? Zumal ja der Apostel sagt ,Wenn unser Herz uns nicht tadelt, dann haben wir Vertrauen bei Gott‘, so als ob er sagen wollte: Wo wir uns gegenüber unserem Gewissen nichts herausnehmen, da fürchten wir uns umsonst davor, vor Gott als Angeklagte wegen einer Schuld hingestellt zu werden.

Abaelard, Peter: Ethica (Ethica ) I § 24 p. 38-40

Abaelard über die inhärenten Grenzen des gesetzmäßigen Handelns
„[1] Eine arme Frau hat einen Säugling und hat doch nicht so viele Kleidungsstücke, dass es für das Kind in der Wiege und sie selbst ausreichen würde. Aus Mitleid mit dem Kind legt sie es daher zu sich selbst, um es mit der eigenen Decke zu wärmen, und schließlich [...] zerdrückt sie zwangsläufig den, sie mit höchster Liebe umarmt. [...] Dennoch [...] wird ihr eine schwere Strafe auferlegt, nicht wegen der Schuld, die sie begangen hat, sondern damit sie selbst und andere Frauen in Zukunft [...] vorsichtiger werden.
[2] Es kommt ferner manchmal vor, dass jemand von seinen Feinden bei einem Richter angeklagt und ihm etwas vorgeworfen wird, worin er, wie der Richter erkennt, unschuldig ist. [...] Nun bringen sie Zeugen vor, allerdings falsche, um den zu überführen, den sie anklagen. Weil der Richter aber diese Zeugen überhaupt nicht aus zutage liegenden Gründen widerlegen kann, wird er vom Gesetz gezwungen, sie zu akzeptieren. Durch die Akzeptanz ihres Zeugnisses bestraft er schließlich den Unschuldigen. Er muss also den bestrafen, der nicht bestraft werden darf. Er muss es gewiss, denn dass, was jener nicht verdiente, führt dieser gemäß dem Gesetz gerecht durch

Thomas von Aquin: Summa theologiae I-II (Summa theologiae) I-II 90, 1 resp.

Die Definition des Gesetzes
Das Gesetz ist irgendeine Regel und ein Maßstab für Handlungen. [...] Aber die Regel und der Maßstab für die menschlichen Handlungen ist die Vernunft. [...] Denn es ist Aufgabe der Vernunft, zum Ziel hinzuordnen, welches dem Philosophen [Aristoteles] zufolge das erste Prinzip beim Handeln ist. [...] Und so kann aus den vier genannten Punkten die Definition des Gesetzes zusammengestellt werden, die nicht anders lautet als ,eine bestimmte Ordnung der Vernunft zum Gemeinwohl hin, und von dem verkündet, der die Fürsorge für die Gemeinschaft innehat

Thomas von Aquin: Summa theologiae I-II (Summa theologiae) I-II 91, 2 resp.

Das Naturgesetz der Vernunft
Im Vergleich zu den übrigen Wesen unterliegt das rationale auf eine bestimmte herausragendere Weise der göttlichen Vorsehung, insofern es auch selbst Anteil an der Vorsehung bekommt, in dem es für sich und für andere vorsieht. Daher gibt es in ihrer auch einen Anteil an der ewigen Vernunft, durch welchen es eine natürliche Neigung zu einem pflichtschuldigen Handeln und Ziel hat; und diese Teilhabe am ewigen Gesetz im vernünftigen Wesen wird ,Naturgesetz‘ genannt.

Thomas von Aquin: Summa theologiae I-II (Summa theologiae) I-II 94, 2 resp.

Die Wirkweise des Naturgesetzes
Die Vorschriften des Naturgesetzes verhalten sich zur praktischen Vernunft auf die Weise, wie sich die ersten Prinzipien zur theoretischen Vernunft verhalten. Denn beide sind bestimmte in sich selbst bekannte Prinzipien. [...] So wie ,seiend‘ das erste ist, das schlechthin aufgefasst wird, so ist ,gut‘ das erste, was von der praktischen Vernunft aufgefasst wird, die zum Werk hin geordnet ist. Denn jedes Handelnde handelt wegen eines Ziels, das den Gehalt ,gut‘ hat. Und daher ist das erste Prinzip in der praktischen Vernunft eines, das auf den Gehalt ,gut‘ gegründet ist, der da lautet: ,Gut‘ ist das, was alles anstrebt. Das ist also das erste Gebot des Gesetzes, dass das Gute zu tun und zu verfolgen ist sowie das Schlechte zu meiden. Und hierauf gründen sich alle anderen Vorschriften des Naturgesetzes. [...] All das, wozu der Mensch eine natürliche Neigung hat, fasst die Vernunft natürlicherweise als Güter auf, und folglich als im Werk zu erstrebend, sowie ihre Gegenteile als Schlechtes und zu meidend. Der Ordnung der natürlichen Neigung entspricht also die Ordnung der Gebote des Naturgesetzes.

Thomas von Aquin: Summa theologiae I-II (Summa theologiae) I-II 10, 1 resp.

Die verschiedenen Güter des natürlichen Wollens
Es ist notwendig, dass [...] das Prinzip in den Dingen, die einer Sache zukommen, natürlich ist. [...] Auf ähnliche Weise muss auch das Prinzip der willentlichen Bewegungen etwas natürlicherweise Gewolltes sein. Dies aber ist das ,Gute‘ im Allgemeinen, zu dem der Wille natürlicherweise strebt [...], und auch das letzte Ziel selbst [...] und überhaupt alles, was dem Wollenden seiner Natur nach entspricht. [...] Deswegen will der Mensch natürlicherweise nicht nur das Objekt des Willens, sondern auch das Weitere, das seinen übrigen Vermögen entspricht, zum Beispiel, die Erkenntnis des Wahren, die dem Intellekt entspricht, und das Sein und das Leben und andere derartige Dinge, die die natürliche Konsistenz betreffen.

Thomas von Aquin: Summa theologiae I-II (Summa theologiae) I-II 19, 5 resp.

Eine falsche Vorstellung von der Wirkweise von praktischer Vernunft und Gewissen
Einige haben drei Gattungen von Handlungen unterschieden. Manche seien ihrer Gattung nach gut, manche seien indifferent, manche seien ihrer Gattung nach schlecht. [...] Sie sagen also, dass eine irrende Vernunft oder ein irrendes Gewissen in Bezug auf Indifferentes verpflichte, wenn es etwas befehle oder verbiete. Folglich sei ein Wille, der von einer derartigen irrenden Vernunft abweiche schlecht und eine Sünde. Aber eine irrende Vernunft beziehungsweise ein irrendes Gewissen, das Dinge befehle, die in sich schlecht seien, oder solche verbiete, die in sich gut und zum Heil notwendig seien, verpflichte nicht. Daher sei in solchen Dingen ein Wille, der von einer irrenden Vernunft beziehungsweise einem irrenden Gewissen abweiche, nicht schlecht. Aber das wird auf unvernünftige Weise behauptet.

Thomas von Aquin: Summa theologiae I-II (Summa theologiae) I-II, 19, 5, resp. et ad 2

Die uneingeschränkte Verpflichtungskraft des Gewissensurteils
Weil das Objekt des Willens das ist, was von der Vernunft vorgestellt wird, [...], nimmt der Wille, weil ihm etwas von der Vernunft als schlecht vorgestellt wird, den Gehalt des Schlechten an. [...] Zum Beispiel ist es etwas Gutes, sich vom Ehebruch zurückzuhalten; trotzdem wird der Wille zu diesem Gut nicht anders bewegt, als es ihm von der Vernunft vorgestellt wird. Wenn es also von einer irrenden Vernunft als schlecht vorgestellt wird, wird er hierzu unter dem Gehalt des Schlechten bewegt. [...] Und ebenso ist es an sich gut und heilsnotwendig, an Christus zu glauben; aber [...] aber wenn das von der Vernunft als schlecht vorgestellt wird, dann wird sich der Wille hierzu wie zu etwas Schlechtem hinbewegen [...], weil es wegen der Auffassung der Vernunft schlecht als Eigenschaft erhält. [...] Daher muss man sagen, dass schlechthin jeder Wille, der von der Vernunft abweicht, egal ob sie richtig oder irrig ist, immer schlecht ist. [...] Wenn irgendein Mensch erkennen würde, dass die menschliche Vernunft etwas gegen ein Gebot Gottes vorschriebe, dann wäre er nicht verpflichtet, der Vernunft zu folgen. Aber in diesem Fall wäre die Vernunft nicht vollständig irrig. Aber wenn eine irrige Vernunft etwas als Gebot Gottes vorstellt, dann ist es dasselbe, die Vorschrift der Vernunft wie das Gebot Gottes zu missachten

Thomas von Aquin: Summa theologiae I-II (Summa theologiae) I-II 91, 3

Der Sinn der menschlichen bzw. positiven Gesetze
Aus den Geboten des Naturgesetzes gleichwie aus bestimmten allgemeinen und nicht beweisbaren Prinzipien schreitet die menschliche Vernunft notwendigerweise dazu voran, einiges Konkretere anzuordnen. Und diese konkreten Anordnungen, die gemäß der menschlichen Vernunft hinzuerfunden wurden, werden menschliche Gesetze genannt, wenn die übrigen Bedingungen beachtet werden, die zum Begriff des Gesetzes gehören.

Thomas von Aquin: Summa theologiae I-II (Summa theologiae) I-II 92, 1 resp. et ad 4

Das Ziel von Gesetzen und dessen Verfehlen bei schlechten Gesetzen
a) [1] Jedes Gesetz ist aber daraufhin geordnet, dass die Untertanen ihm gehorchen. [...] Weil es nun die Tugend ist, die den, der sie besitzt, gut macht, folgt, dass die eigentümliche Wirkung des Gesetzes darin besteht, diejenigen gut zu machen, denen es gegeben wird, entweder schlechthin oder in einer bestimmten Hinsicht.
[2 a] Denn wenn die Intention des Gesetzgebers auf ein wahres Gut gerichtet ist – d.h. auf das Gemeinwohl, wobei dies gemäß der göttlichen Gerechtigkeit geregelt ist – folgt daraus, dass durch dieses Gesetz die Menschen schlechthin gut werden.
b) [2 b] Wenn aber die Intention des Gesetzgebers sich zu etwas bewegt, was nicht schlechthin gut ist, sondern für ihn nützlich oder erfreulich oder der göttlichen Gerechtigkeit widerspricht, dann macht das Gesetz die Menschen nicht schlechthin gut, sondern in einer gewissen Hinsicht, nämlich in der Hinordnung auf eine solche Herrschaft. [...] [3] Ein tyrannisches Gesetz ist nicht schlechthin ein Gesetz, weil es nicht der Vernunft entspricht, sondern eher eine bestimmte Verdrehung des Gesetzes. [...] Denn es hat nichts anderes vom Begriff des Gesetzes, als [...] dass es danach strebt, dass die Untertanen gut gehorsam sein sollen.

Thomas von Aquin: Summa theologiae I-II (Summa theologiae) I-II 94, 4 resp.

Die notwendige Konkretisierung naturgesetzlicher Regeln
a) Bei allen ist dies richtig und wahr, dass gemäß der Vernunft gehandelt werden soll. Aus diesem Prinzip ergibt sich aber als unmittelbare Folgerung, dass Geliehenes zurückzugeben ist. Und dies ist nun in den allermeisten Fällen wahr. Aber es kann in irgendeinem Fall vorkommen, dass es verderblich und folglich vernunftwidrig ist, wenn geliehene Dinge zurückgegeben werden; zum Beispiel wenn jemand darum bittet, um sein Vaterland zu bekämpfen. Und solche Ausfälle [der Regel] treten umso mehr auf, je mehr zu konkreten Fällen herabgestiegen wird, zum Beispiel wenn gesagt wird, dass Geliehenes mit einer bestimmten Vorsicht oder auf bestimmte Weise zurückgegeben werden soll. Je mehr konkrete Bedingungen angefügt werden, auf desto mehr Weisen kann es folglich ausfallen, so dass es nicht richtig ist. [...]

b) In Bezug auf die allgemeinen Prinzipien ist das Naturgesetz bei allen dasselbe [...]. Aber in Bezug auf [...] die Quasi-Folgerungen aus den allgemeinen Prinzipien, ist es in den allermeisten Fällen bei allen eines [...], aber es kann in wenigeren Fällen ausfallen, sowohl in Bezug auf seine Richtigkeit (wegen bestimmter konkreter Hindernisse) [...] als auch im Hinblick auf die Erkenntnis. Und dies liegt daran, dass manche Menschen eine gestörte Vernunft haben, entweder wegen einer Leidenschaft oder wegen einer schlechten Gewohnheit wegen einer schlechten Naturanlage. Zum Beispiel hielten die Germanen früher den Raub nicht für ungerecht, obwohl er ausdrücklich dem Naturgesetz widerspricht, wie Julius Caesar in Der gallische Krieg berichtet.

Thomas von Aquin: Summa theologiae I-II (Summa theologiae) I-II 96, 4 responsio

Das Verhältnis von Gesetz und Gewissen
[1] Menschlich festgelegte Gesetze sind entweder gerecht oder ungerecht. Wenn sie nun gerecht sind, haben sie verpflichtende Kraft im Forum des Gewissens vom ewigen Gesetz her, von dem sie abgeleitet sind. [...] Derartige Gesetze, die die Lasten proportional angemessen verteilen, sind gerecht und verpflichten im Forum des Gewissens, und sie sind legale Gesetze.
[2] Ungerechte Gesetze aber [...] sind eher Gewalttaten als Gesetze. [...] Daher verpflichten solche Gesetze im Forum des Gewissens nicht, außer vielleicht um einen Skandal oder Durcheinander zu vermeiden.
[3] Auf eine andere Weise können Gesetze ungerecht sein durch einen Widerspruch zum göttlichen Gut, wie zum Beispiel die Gesetze von Tyrannen, die zum Götzendienst anleiten oder zu irgend etwas anderem, was gegen das göttliche Gesetz ist. Und derartige Gesetze darf man in keiner Weise beachten.