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Philosophische Zitate aus Antike und Mittelalter

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Moses Maimonides: Wegweiser für die Verwirrten (Dux neutrorum sive perplexorum) III 27-28, p. 575, 2f.; 576, 11f.; 577, 10-16; 578, 8-11

Theoretische Überlegungen des Maimonides zu den Gesetzen
„[1] Das Ziel für die Gesamtheit des Gesetzes besteht in zweierlei, nämlich das Gedeihen der Seele und das Gedeihen des Körpers. [...] Das wahre Gesetz [...], d.h. das Gesetz unseres Freundes Mose, ist nur gekommen, um uns zu den beiden Vollkommenheiten zusammen zu verhelfen. [...]
[2] Du sollst wissen, dass das Gesetz von den richtigen Meinungen, durch die die äußerste Vollkommenheit entsteht, nur ihren Gipfelpunkt angegeben und zum Überzeugtsein von ihnen nur im Allgemeinen aufgefordert hat, und dies ist die Existenz Gottes des Erhabenen, und seine Einheit und sein Wissen und seine Macht und sein Willen und seine Ewigkeit. Und all dies sind die äußersten Gipfelpunkte, die durch Aufteilen und Definieren nicht verdeutlicht werden können, das Äußerste an Wissen aus vielen Meinungen. Und ebenso forderte das Gesetz zu bestimmten Überzeugungen auf, von denen ein Überzeugtsein notwendig ist für den Frieden der Zustände der Stadt, wie zum Beispiel unser Überzeugtsein, dass der Zorn des Erhabenen über den, der ihm nicht gehorcht, heftig wird.
[3] Für jede Vorschrift [...] ist entweder im Hinblick auf das Gebot in sich selbst oder in seiner Notwendigkeit für die Entfernung von Unrecht oder für den Erwerb edler Sitten die Ursache für diese Vorschrift klar oder der Nutzen offensichtlich.

Abaelard, Peter: Römerbriefkommentar (Abaelard) II, p. 207f.

Peter Abaelard über die natürliche Gesetzgebung der Vernunft
Paulus (Römer 7) sagt nicht einfach ,nicht ich tue das‘, sondern er sagt ,nicht ich, sondern die Sünde‘, was besagen will: Ich werde dazu nicht aus der Natur, sondern aus einem Laster der Natur, das sie schon beherrscht gezogen, aber aus der Natur, durch die ich von Gott vernünftig geschaffen bin, widerstrebe ich der Begierde. [...] Dieses ,Gesetz‘ der Begierde nenne ich ,widerstrebend‘, d.h. entgegengesetzt zu, dem natürlichen ,Gesetz meines Geistes‘, d.h. der Vernunft, die mich gleichsam wie ein Gesetz regieren muss.

Abaelard, Peter: Ethica (Ethica ) I § 2f. p. 6

Abaelard über die eigentliche Definition von Sünde
Abaelard über die eigentliche Definition von Sünde: „Ein Laster ist daher das, wodurch wir zum Sündigen geneigt gemacht werden, d.h. uns dazu neigen, dem zuzustimmen, was nicht richtig ist, so dass wir das folglich tun oder unterlassen. Diese Zustimmung aber nennen wir im eigentlichen Sinn Sünde, das heißt eine Schuld der Seele, durch die sie die Verdammung verdient und bei Gott für schuldig befunden wird.

Abaelard, Peter: Ethica (Ethica ) I § 37 p. 56. 58

Abaelard über die Gewissensfreiheit der Verfolger Christi
Nehmen wir an, jemand fragt, ob die Verfolger der Märtyrer oder Christi in demjenigen sündigten, wovon sie glaubten, es gefalle Gott, oder fragt, ob sie dies ohne Sünde hätten unterlassen können, wovon sie meinten, es dürfe auf keinen Fall unterlassen werden. Dem gemäß, was wir vorher als Beschreibung der Sünde angegeben haben – sie bestehe in einer Missachtung Gottes oder darin, dem zuzustimmen, wovon man glaubt, ihm dürfe nicht zugestimmt werden – können wir bestimmt nicht sagen, sie hätten hierin gesündigt, noch auch, dass die Unkenntnis von irgendetwas oder sogar der Unglaube in sich eine Sünde sei. Denn diejenigen, die Christus nicht kennen und den christlichen Glauben deswegen zurückweisen, weil sie glauben, er sei gottwidrig – welche Missachtung Gottes haben sie in demjenigen, was sie wegen Gott tun und wovon sie deswegen meinen, sie würden gut handeln? Zumal ja der Apostel sagt ,Wenn unser Herz uns nicht tadelt, dann haben wir Vertrauen bei Gott‘, so als ob er sagen wollte: Wo wir uns gegenüber unserem Gewissen nichts herausnehmen, da fürchten wir uns umsonst davor, vor Gott als Angeklagte wegen einer Schuld hingestellt zu werden.

Abaelard, Peter: Ethica (Ethica ) I § 24 p. 38-40

Abaelard über die inhärenten Grenzen des gesetzmäßigen Handelns
„[1] Eine arme Frau hat einen Säugling und hat doch nicht so viele Kleidungsstücke, dass es für das Kind in der Wiege und sie selbst ausreichen würde. Aus Mitleid mit dem Kind legt sie es daher zu sich selbst, um es mit der eigenen Decke zu wärmen, und schließlich [...] zerdrückt sie zwangsläufig den, sie mit höchster Liebe umarmt. [...] Dennoch [...] wird ihr eine schwere Strafe auferlegt, nicht wegen der Schuld, die sie begangen hat, sondern damit sie selbst und andere Frauen in Zukunft [...] vorsichtiger werden.
[2] Es kommt ferner manchmal vor, dass jemand von seinen Feinden bei einem Richter angeklagt und ihm etwas vorgeworfen wird, worin er, wie der Richter erkennt, unschuldig ist. [...] Nun bringen sie Zeugen vor, allerdings falsche, um den zu überführen, den sie anklagen. Weil der Richter aber diese Zeugen überhaupt nicht aus zutage liegenden Gründen widerlegen kann, wird er vom Gesetz gezwungen, sie zu akzeptieren. Durch die Akzeptanz ihres Zeugnisses bestraft er schließlich den Unschuldigen. Er muss also den bestrafen, der nicht bestraft werden darf. Er muss es gewiss, denn dass, was jener nicht verdiente, führt dieser gemäß dem Gesetz gerecht durch

Thomas von Aquin: Summa theologiae I-II (Summa theologiae) I-II 90, 1 resp

Die Definition des Gesetzes
Das Gesetz ist irgendeine Regel und ein Maßstab für Handlungen. [...] Aber die Regel und der Maßstab für die menschlichen Handlungen ist die Vernunft. [...] Denn es ist Aufgabe der Vernunft, zum Ziel hinzuordnen, welches dem Philosophen [Aristoteles] zufolge das erste Prinzip beim Handeln ist. [...] Und so kann aus den vier genannten Punkten die Definition des Gesetzes zusammengestellt werden, die nicht anders lautet als ,eine bestimmte Ordnung der Vernunft zum Gemeinwohl hin, und von dem verkündet, der die Fürsorge für die Gemeinschaft innehat

Thomas von Aquin: Summa theologiae I-II (Summa theologiae) I-II 91, 2 resp

Das Naturgesetz der Vernunft
Im Vergleich zu den übrigen Wesen unterliegt das rationale auf eine bestimmte herausragendere Weise der göttlichen Vorsehung, insofern es auch selbst Anteil an der Vorsehung bekommt, in dem es für sich und für andere vorsieht. Daher gibt es in ihrer auch einen Anteil an der ewigen Vernunft, durch welchen es eine natürliche Neigung zu einem pflichtschuldigen Handeln und Ziel hat; und diese Teilhabe am ewigen Gesetz im vernünftigen Wesen wird ,Naturgesetz‘ genannt.

Thomas von Aquin: Summa theologiae I-II (Summa theologiae) I-II 94, 2 resp

Die Wirkweise des Naturgesetzes
Die Vorschriften des Naturgesetzes verhalten sich zur praktischen Vernunft auf die Weise, wie sich die ersten Prinzipien zur theoretischen Vernunft verhalten. Denn beide sind bestimmte in sich selbst bekannte Prinzipien. [...] So wie ,seiend‘ das erste ist, das schlechthin aufgefasst wird, so ist ,gut‘ das erste, was von der praktischen Vernunft aufgefasst wird, die zum Werk hin geordnet ist. Denn jedes Handelnde handelt wegen eines Ziels, das den Gehalt ,gut‘ hat. Und daher ist das erste Prinzip in der praktischen Vernunft eines, das auf den Gehalt ,gut‘ gegründet ist, der da lautet: ,Gut‘ ist das, was alles anstrebt. Das ist also das erste Gebot des Gesetzes, dass das Gute zu tun und zu verfolgen ist sowie das Schlechte zu meiden. Und hierauf gründen sich alle anderen Vorschriften des Naturgesetzes. [...] All das, wozu der Mensch eine natürliche Neigung hat, fasst die Vernunft natürlicherweise als Güter auf, und folglich als im Werk zu erstrebend, sowie ihre Gegenteile als Schlechtes und zu meidend. Der Ordnung der natürlichen Neigung entspricht also die Ordnung der Gebote des Naturgesetzes.

Thomas von Aquin: Summa theologiae I-II (Summa theologiae) I-II 10, 1 resp

Die verschiedenen Güter des natürlichen Wollens
Es ist notwendig, dass [...] das Prinzip in den Dingen, die einer Sache zukommen, natürlich ist. [...] Auf ähnliche Weise muss auch das Prinzip der willentlichen Bewegungen etwas natürlicherweise Gewolltes sein. Dies aber ist das ,Gute‘ im Allgemeinen, zu dem der Wille natürlicherweise strebt [...], und auch das letzte Ziel selbst [...] und überhaupt alles, was dem Wollenden seiner Natur nach entspricht. [...] Deswegen will der Mensch natürlicherweise nicht nur das Objekt des Willens, sondern auch das Weitere, das seinen übrigen Vermögen entspricht, zum Beispiel, die Erkenntnis des Wahren, die dem Intellekt entspricht, und das Sein und das Leben und andere derartige Dinge, die die natürliche Konsistenz betreffen.

Thomas von Aquin: Summa theologiae I-II (Summa theologiae) I-II 19, 5 resp

Eine falsche Vorstellung von der Wirkweise von praktischer Vernunft und Gewissen
Einige haben drei Gattungen von Handlungen unterschieden. Manche seien ihrer Gattung nach gut, manche seien indifferent, manche seien ihrer Gattung nach schlecht. [...] Sie sagen also, dass eine irrende Vernunft oder ein irrendes Gewissen in Bezug auf Indifferentes verpflichte, wenn es etwas befehle oder verbiete. Folglich sei ein Wille, der von einer derartigen irrenden Vernunft abweiche schlecht und eine Sünde. Aber eine irrende Vernunft beziehungsweise ein irrendes Gewissen, das Dinge befehle, die in sich schlecht seien, oder solche verbiete, die in sich gut und zum Heil notwendig seien, verpflichte nicht. Daher sei in solchen Dingen ein Wille, der von einer irrenden Vernunft beziehungsweise einem irrenden Gewissen abweiche, nicht schlecht. Aber das wird auf unvernünftige Weise behauptet.

Thomas von Aquin: Summa theologiae I-II (Summa theologiae) I-II, 19, 5, resp. et ad 2

Die uneingeschränkte Verpflichtungskraft des Gewissensurteils
Weil das Objekt des Willens das ist, was von der Vernunft vorgestellt wird, [...], nimmt der Wille, weil ihm etwas von der Vernunft als schlecht vorgestellt wird, den Gehalt des Schlechten an. [...] Zum Beispiel ist es etwas Gutes, sich vom Ehebruch zurückzuhalten; trotzdem wird der Wille zu diesem Gut nicht anders bewegt, als es ihm von der Vernunft vorgestellt wird. Wenn es also von einer irrenden Vernunft als schlecht vorgestellt wird, wird er hierzu unter dem Gehalt des Schlechten bewegt. [...] Und ebenso ist es an sich gut und heilsnotwendig, an Christus zu glauben; aber [...] aber wenn das von der Vernunft als schlecht vorgestellt wird, dann wird sich der Wille hierzu wie zu etwas Schlechtem hinbewegen [...], weil es wegen der Auffassung der Vernunft schlecht als Eigenschaft erhält. [...] Daher muss man sagen, dass schlechthin jeder Wille, der von der Vernunft abweicht, egal ob sie richtig oder irrig ist, immer schlecht ist. [...] Wenn irgendein Mensch erkennen würde, dass die menschliche Vernunft etwas gegen ein Gebot Gottes vorschriebe, dann wäre er nicht verpflichtet, der Vernunft zu folgen. Aber in diesem Fall wäre die Vernunft nicht vollständig irrig. Aber wenn eine irrige Vernunft etwas als Gebot Gottes vorstellt, dann ist es dasselbe, die Vorschrift der Vernunft wie das Gebot Gottes zu missachten

Thomas von Aquin: Summa theologiae I-II (Summa theologiae) I-II 91, 3

Der Sinn der menschlichen bzw. positiven Gesetze
Aus den Geboten des Naturgesetzes gleichwie aus bestimmten allgemeinen und nicht beweisbaren Prinzipien schreitet die menschliche Vernunft notwendigerweise dazu voran, einiges Konkretere anzuordnen. Und diese konkreten Anordnungen, die gemäß der menschlichen Vernunft hinzuerfunden wurden, werden menschliche Gesetze genannt, wenn die übrigen Bedingungen beachtet werden, die zum Begriff des Gesetzes gehören.

Thomas von Aquin: Summa theologiae I-II (Summa theologiae) I-II 92, 1 resp. et ad 4

Das Ziel von Gesetzen und dessen Verfehlen bei schlechten Gesetzen
a) [1] Jedes Gesetz ist aber daraufhin geordnet, dass die Untertanen ihm gehorchen. [...] Weil es nun die Tugend ist, die den, der sie besitzt, gut macht, folgt, dass die eigentümliche Wirkung des Gesetzes darin besteht, diejenigen gut zu machen, denen es gegeben wird, entweder schlechthin oder in einer bestimmten Hinsicht.
[2 a] Denn wenn die Intention des Gesetzgebers auf ein wahres Gut gerichtet ist – d.h. auf das Gemeinwohl, wobei dies gemäß der göttlichen Gerechtigkeit geregelt ist – folgt daraus, dass durch dieses Gesetz die Menschen schlechthin gut werden.
b) [2 b] Wenn aber die Intention des Gesetzgebers sich zu etwas bewegt, was nicht schlechthin gut ist, sondern für ihn nützlich oder erfreulich oder der göttlichen Gerechtigkeit widerspricht, dann macht das Gesetz die Menschen nicht schlechthin gut, sondern in einer gewissen Hinsicht, nämlich in der Hinordnung auf eine solche Herrschaft. [...] [3] Ein tyrannisches Gesetz ist nicht schlechthin ein Gesetz, weil es nicht der Vernunft entspricht, sondern eher eine bestimmte Verdrehung des Gesetzes. [...] Denn es hat nichts anderes vom Begriff des Gesetzes, als [...] dass es danach strebt, dass die Untertanen gut gehorsam sein sollen.

Thomas von Aquin: Summa theologiae I-II (Summa theologiae) I-II 94, 4 resp

Die notwendige Konkretisierung naturgesetzlicher Regeln
a) Bei allen ist dies richtig und wahr, dass gemäß der Vernunft gehandelt werden soll. Aus diesem Prinzip ergibt sich aber als unmittelbare Folgerung, dass Geliehenes zurückzugeben ist. Und dies ist nun in den allermeisten Fällen wahr. Aber es kann in irgendeinem Fall vorkommen, dass es verderblich und folglich vernunftwidrig ist, wenn geliehene Dinge zurückgegeben werden; zum Beispiel wenn jemand darum bittet, um sein Vaterland zu bekämpfen. Und solche Ausfälle [der Regel] treten umso mehr auf, je mehr zu konkreten Fällen herabgestiegen wird, zum Beispiel wenn gesagt wird, dass Geliehenes mit einer bestimmten Vorsicht oder auf bestimmte Weise zurückgegeben werden soll. Je mehr konkrete Bedingungen angefügt werden, auf desto mehr Weisen kann es folglich ausfallen, so dass es nicht richtig ist. [...]

b) In Bezug auf die allgemeinen Prinzipien ist das Naturgesetz bei allen dasselbe [...]. Aber in Bezug auf [...] die Quasi-Folgerungen aus den allgemeinen Prinzipien, ist es in den allermeisten Fällen bei allen eines [...], aber es kann in wenigeren Fällen ausfallen, sowohl in Bezug auf seine Richtigkeit (wegen bestimmter konkreter Hindernisse) [...] als auch im Hinblick auf die Erkenntnis. Und dies liegt daran, dass manche Menschen eine gestörte Vernunft haben, entweder wegen einer Leidenschaft oder wegen einer schlechten Gewohnheit wegen einer schlechten Naturanlage. Zum Beispiel hielten die Germanen früher den Raub nicht für ungerecht, obwohl er ausdrücklich dem Naturgesetz widerspricht, wie Julius Caesar in Der gallische Krieg berichtet.

Thomas von Aquin: Summa theologiae I-II (Summa theologiae) I-II 96, 4 responsio

Das Verhältnis von Gesetz und Gewissen
[1] Menschlich festgelegte Gesetze sind entweder gerecht oder ungerecht. Wenn sie nun gerecht sind, haben sie verpflichtende Kraft im Forum des Gewissens vom ewigen Gesetz her, von dem sie abgeleitet sind. [...] Derartige Gesetze, die die Lasten proportional angemessen verteilen, sind gerecht und verpflichten im Forum des Gewissens, und sie sind legale Gesetze.
[2] Ungerechte Gesetze aber [...] sind eher Gewalttaten als Gesetze. [...] Daher verpflichten solche Gesetze im Forum des Gewissens nicht, außer vielleicht um einen Skandal oder Durcheinander zu vermeiden.
[3] Auf eine andere Weise können Gesetze ungerecht sein durch einen Widerspruch zum göttlichen Gut, wie zum Beispiel die Gesetze von Tyrannen, die zum Götzendienst anleiten oder zu irgend etwas anderem, was gegen das göttliche Gesetz ist. Und derartige Gesetze darf man in keiner Weise beachten.

Thomas von Aquin: Summa theologiae I-II (Summa theologiae) I-II 96, 4 responsio

Die Gründe für die Ungerechtigkeit von Gesetzen
[1] Ungerecht aber sind Gesetze auf zweierlei Weise:
[2] Auf eine Weise durch einen Widerspruch zum menschlichen Gut [...]: entweder vom Ziel her, wie wenn irgendein Vorsteher den Untergebenen belastende Gesetze auferlegt, die nichts mit dem Gemeinwohl zu tun haben, sondern eher mit seiner eigenen Gier oder seinem eigenen Ruhm; oder auch vom Erlassenden her, wie wenn jemand ein Gesetz erlässt, das über die ihm anvertraute Macht hinausgeht; oder auch von der Form her, zum Beispiel wenn die Lasten ungleich auf die Menge verteilt werden, selbst wenn sie auf das Gemeinwohl hingeordnet sind. Und dies sind eher Gewalttaten als Gesetze. [...] Daher verpflichten solche Gesetze im Forum des Gewissens nicht, außer vielleicht um einen Skandal oder Durcheinander zu vermeiden.
[3] Auf eine andere Weise können Gesetze ungerecht sein durch einen Widerspruch zum göttlichen Gut, wie zum Beispiel die Gesetze von Tyrannen, die zum Götzendienst anleiten oder zu irgend etwas anderem, was gegen das göttliche Gesetz ist. Und derartige Gesetze darf man in keiner Weise beachten.

Thomas von Aquin: Summa theologiae I-II (Summa theologiae) I-II 19, 6 resp

Die Verantwortlichkeit des irrenden Gewissens
a) Weil das moralische Gute und Schlechte in einer Handlung insofern besteht, als diese willentlich ist [...], ist klar, dass eine Unwissenheit, die sie unwillentlich macht, den Gehalt des moralischen Gute und Schlechte aufhebt – aber nicht eine, die sie nicht unwillentlich macht. [...] Wenn also die Vernunft beziehungsweise das Gewissen aufgrund eines willentlichen Irrtums irrt, entweder direkt oder aus Nachlässigkeit, weil es sich um einen Irrtum über etwas handelt, was jemand zu wissen gehalten ist, dann entschuldigt dieser Irrtum der Vernunft beziehungsweise des Gewissens nicht. [...]
b) Wenn zum Beispiel eine irrende Vernunft sagt, dass ein Mensch gehalten ist, zur Ehefrau eines anderen zu gehen, ist ein Wille, der mit dieser irrenden Vernunft übereinstimmt schlecht, weil der Irrtum aus einer Unwissenheit über das Gesetz Gottes kommt, das zu kennen er gehalten ist. Wenn aber die Vernunft darin irrt, dass jemand glaubt, eine anwesende Frau sei seine Gattin, und wenn er, da sie das Pflichtschuldige fordert, sie erkennen will, wird sein Wille entschuldigt, so dass er nicht schlecht ist.

Thomas von Aquin: Summa theologiae I-II (Summa theologiae) I-II 19, 10 resp

Die Möglichkeit des Konflikts guter Willensrichtungen
Der Wille bewegt sich zu seinem Objekt, insofern es ihm von der Vernunft vorgeschlagen wird. Es kommt aber vor, dass etwas von der Vernunft in unterschiedlicher Weise betrachtet wird, so dass es in einer Hinsicht gut und in einer anderen Hinsicht nicht gut ist. Und daher ist der Wille von jemanden gut, wenn er das Geschehen von etwas in der Hinsicht will, in der es gut ist, und der Wille eines anderen, wenn er das Geschehen von genau demselben in der Hinsicht nicht will, in der es schlecht ist, ist sein Wille folglich ebenfalls gut. Zum Beispiel hat ein Richter einen guten Willen, wenn er die Tötung eines Verbrechers will, weil sie gerecht ist, der Wille von jemand anderem, zum Beispiel der Ehefrau oder des Sohnes, der nicht will, dass er getötet wird, insofern die Tötung von Natur aus schlecht ist, ist aber ebenfalls gut.

Thomas von Aquin: Summa theologiae I-II (Summa theologiae) I-II 19, 10 resp

Inhalt und Form eines guten Willens
a) „[1] Das Gut des gesamten Universums ist aber das, was von Gott aufgefasst wird, der der Schöpfer und Verwalter des Universums ist. Alles was er will, will er deswegen im Hinblick auf das Gemeinwohl, das seine eigene Güte ist, welche das Gut für das gesamte Universum ist. Die Auffassung des Geschöpfes aber bezieht sich seiner Natur entsprechend auf ein konkretes Gut, das seiner Natur angemessen ist. [...]
[2] Und daher kommt es vor, dass ein bestimmter Wille gut ist, weil er etwas will, dass er gemäß einem konkreten Blickwinkel betrachtet, während Gott es gemäß dem universalem Blickwinkel nicht will, und umgekehrt. Und daran liegt es auch, dass unterschiedliche Willenstendenzen unterschiedlicher Menschen in Bezug auf Gegenteiliges beide gut sein können, insofern sie unter unterschiedlichen Blickwinkeln wollen, dass dies geschieht oder nicht geschieht.

b) [3] Aber der Wille irgendeines Menschen ist nicht richtig, wenn er irgendetwas Konkretes will, wenn er es nicht auf das Gemeinwohl als auf das Ziel richtet, weil ja auch das natürliche Streben eines jeden Teiles auf das Gemeinwohl des Ganzen gerichtet ist.

Abaelard, Peter: Cambridger Kommentar (Vorlesungsmitschrift) (Commentarius Cantabrigiensis (reportatio)) [vgl. nr. 11], 337. III, 641

Die Unvollkommenheit mancher Gewissensurteile
Es wird gefragt, ob dessen Intention gut wäre, der um Gottes willen das, was nicht zu tun ist, tun würde, was ihm aber das Gewissen als zu tun diktierte. Darauf antwortet der Philosoph [Abaelard]: Niemals ist eine Intention gut zu nennen, die irrig ist, obwohl sie auf Gott gerichtet ist, wie auch das Werk nicht gut zu nennen ist, das aus einer solchen Intention seinen Anfang nimmt. Wie auch die Intention derer nicht gut war bzw. ihr Werk nicht gut, die meinten, durch die Tötung der Märtyrer Gott einen Dienst zu erweisen. [...] Wenn also jemand glaubt, die Kirche irre, die sagt, es sei der wahre Leib und das wahre Blut Christi, was auf dem Altar vorhanden ist [...], in Anbetracht dessen, dass niemand gegen sein Gewissen handeln darf und dass, wer so handelt, sündigt, wird gefragt [...], ob er glauben muss, was er nicht glaubt.
Er muss sehr wohl.
Muss er also gegen sein Gewissen glauben? [...]
Das muss er nicht, solange er in diesem Gewissen verbleibt, obwohl er es an sich muss. Denn er kann auch dieses Gewissen verändern und glauben, was er nicht glaubt.