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Philosophische Zitate aus Antike und Mittelalter

Zitatfinder

Plotin: Enneade 1, 8 [51], 7, 21-8, 1-3 und 8, 10-13 und 37-42

Plotin sieht die Materie, das unterste Ende seiner hierarchischen Ordnung des Seienden, als das eigentlich Böse an und alles, was wir als schlecht erleben bzw. tun, letztlich als Wirkung der steten Präsenz der ungeordneten Materie in allen Dingen, die aus dem Einen hervorgehen
[1] Nun ist aber das, was auf das Erste folgt, mit Notwendigkeit vorhanden; folglich auch das Letzte; dies ist die Materie, die nichts mehr von jenem an sich hat. Und dies ist die Notwendigkeit des Bösen.
[2] Wenn aber jemand behaupten will, dass wir nicht durch die Materie böse werden – denn weder das Unwissen gehe aus der Materie hervor noch die schlechten Begierden [...] – so wird auch er dennoch gezwungen sein zuzugestehen, dass die Materie das Böse ist. Was nämlich die Qualität in einer Materie tut, tut sie nicht, indem sie sich außerhalb befindet, sowie auch die Gestalt der Axt nichts ohne das Eisen tut. [...]
[3] Es gelte somit als erstes Böses das Unmaß, das aber, was in Ungemessenheit gerät durch Verähnlichung oder Teilhabe, weil ihm dies nur zustößt, das zweite Böse. [...] So ist die Schlechtigkeit, die eine Unwissenheit und Ungemessenheit in der Seele ist, nur ein zweites Böses und nicht das Böse selbst.

Goethe, Johann Wolfgang : Faust I, Z. 634-637

Reflexion in Goethes Faust
Dem Herrlichsten, was auch der Geist empfangen,
drängt immer, fremd und fremder[,] Stoff sich an.
Wenn wir zum Guten dieser Welt gelangen,
dann heißt das Bessre Trug und Wahn.

Plotin: Enneade I 1 [53], 12, 6-12

Plotin über die komplexe Natur der Seele
[1] Die Argumentation, die der Seele Fehlerlosigkeit zuschreibt, setzte sie als Eines, in jeder Hinsicht Einfaches an, wobei es die Seele und das Seele-Sein als identisch bezeichnet, während die Argumentation, die ihr Fehler zuschreibt, eine andere Form von Seele, die die ungeheuren Empfindungen hat, mit ihr verknüpft und ihr hinzusetzt.
[2] Damit wird die Seele selbst zu etwas Zusammengesetztem, d.h. zu dem, was aus allen Seelenformen zusammen besteht, und ist demnach als ganzes Empfindungen unterworfen. Dieses Zusammengesetzte macht die Fehler, und dieses ist es, was nach Platon Strafe verbüßen muss, nicht das andere [d.h. die Seele als solche].

Plotin: Enneade III 2, 4, 36-44

Plotin erwägt , ob der Fall der Seele, d.h. ihre Verstrickung in die Körperwelt bzw. ihre Wendung zum Schlechten hin, überhaupt auf eine freie Entscheidung zurückgeht
Die Lebewesen, welche aus sich selber über eine selbstbestimmte Bewegung verfügen, schlagen bald zum Besseren, bald zum Schlechteren aus. Vielleicht lohnt es nicht, die Wendung zum Schlechteren bei jemandem selbst zu suchen. Denn eine kleine Wendung, die zu Beginn geschieht, macht, wenn sie in der Richtung fortgeht, die Verfehlung immer mehr und größer; der Leib ist ja da und notwendigerweise die Begierde. Wurde das Erste und Plötzliche einmal übersehen und nicht wettgemacht, ist sofort eine Wahl dessen zustandegekommen, wohin jemand abgefallen ist. Hierauf folgt gewiss die Vergeltung.

Bardaiṣān: Buch der Gesetze der Völker § 1

So beginnt ein philosophischer Dialog mit Bardaiṣān, dem ,Philosophen der Aramäer‘ (um 200 n. Chr.)
[1] Vor einigen Tagen gingen wir unseren Bruder Šemašgram besuchen. Auch Bardaiṣān kam, um uns dort anzutreffen. Als er ihn umarmt und gesehen hatte, dass es ihm gut ging, fragte er uns: "Worüber spracht Ihr? Denn ich hörte eure Stimme von draußen, als ich hierherkam." Er war es nämlich gewohnt, dann, wenn er uns dabei antraf, dass wir vor ihm über etwas sprachen, zu fragen: "Was spracht Ihr?", um hierüber mit uns zu sprechen.
[2] Wir sagten also zu ihm: "Dieser ʿAvīdā dort sagte zu uns: Wenn es einen Gott gibt, so wie Ihr sagt, und dieser die Menschen gestaltete und hierdurch etwas will, dass euch zu tun befohlen wird, warum gestaltete er die Menschen nicht so, dass sie nicht sündigen können, sondern vielmehr die ganze Zeit das Gute tun?"

Bardaiṣān: Buch der Gesetze der Völker § 4-6

Bardaiṣān betont, dass die Suche nach Wissen angemessener ist als ein bloßer Glaube
[1] Bardaiṣān sagte: "Verständig sprichst Du. Aber wisse, dass der, der recht fragt und überzeugt werden will und sich ohne Streit auf den Weg der Wahrheit begibt, nicht schuldig ist und sich nicht schämen muss, denn er bereitet [...] dem, der gefragt wird, Freude." [...]
[2] ʿAvīdā sagte: "[...] Meine Brüder [...] wollten mich nicht überzeugen, sondern sie sagten: 'Glauben musst Du, und Du kannst alles erkennen!' Aber ich kann nicht glauben, wenn ich nicht überzeugt werde." [...]

Proklos: Platonische Theologie (Theologia Platonica ) I 2 (p. 10f. Saffrey/Westerink)

Proklos schildert eine typisch spätantike Vorstellung des Aufstiegs der Seele zur ersten Ursache durch mehrere Stufen, welche Teildisziplinen der Philosophie entsprechen
[1] Der Hörer der vorliegenden Lehren soll geordnet sein durch die ethischen Tugenden und alle unedlen und unstrukturierten Bewegungen durch den Gehalt der Tugend gebunden haben. [...]
[2] Er soll in allen logischen Zugängen geübt sein und viele unwiderlegbare Gedanken über die Analysen, viele auch über die diesen entgegengesetzten Dihairesen betrachtet haben. [...]
[3] Drittens soll er neben diesen auch nicht ungeschult in der Physik sein und in deren vielgestaltigen Ansichten, damit er, wenn auch in den Abbildern, auf die richtige Weise die Ursachen des Seienden untersucht hat. [...]
[4] Fest soll er die Auslegung der göttlichen seligen Lehren berührt haben [...], indem er sich mit unerschüttertem Verstand und der Kraft des unermüdlichen Lebens zum göttlichen Licht hindrängt.

Proklos: Theologische Elementarlehre (Elementatio theologica) § 119. 122f., Leitsätze

Klärungen zum Verhältnis des Göttlichen zu dem, was am Göttlichen teilhat, finden sich wiederum in der Elementatio theologica
119. Jeder Gott existiert auf die Weise einer mehr-als-seienden Güte, d.h. er ist weder einer Disposition noch dem Sein nach gut [...], sondern auf mehr als seiende Weise [...]
122. Jedes Göttliche sorgt ebenso vorausschauend für das ihm Nachgeordnete wie es dem, wofür es sorgt, transzendent bleibt, weil weder die Sorge sein unvermischtes und einheitliches Überragen lockert noch seine abgetrennte Einheit die vorausschauende Sorge verunklart [...]
123. Jedes Göttliche ist selbst wegen seiner mehr-als-seienden Einheit für das Nachgeordnete unaussagbar und unerkennbar, von dem ausgehend, was an ihm teilhat, ist es aber ergreifbar und erkennbar. Deswegen ist nur das Erste schlechthin unerkennbar, weil an ihm nichts teilhat.

Proklos: Die Existenz des Bösen (De malorum subsistentia) III, § 48/IV, § 54; griech. Text des Isaak Sebastokrator

Proklos‘ Erklärung des Bösen unterscheidet sich deutlich von der Plotins, insofern hier die Aktivität der Dämonen und Seelen, nicht aber die indirekte Wirkung der Materie betont wird
[1] Die Wirkursachen des Bösen sind also diejenigen, die sich selbst ins Böse führen, wie die Daimonen und die Seelen, die ihnen in einer Wahl gehorchen. [...] Also ist das Böse an sich untätig und machtlos. [...]
[2] Aber so wie sie nach Bösem streben, das ihnen gut scheint und wie für sie das Böse etwas scheinbar Gewolltes ist – das sagen wir wegen der Beimischung von Gutem – so gibt es auch auf scheinbare Weise im Bösen Kraft und Aktivität, freilich nicht an sich und auch nicht qua Böses, sondern von dem Äußeren her, an dem es als Zusatz besteht.

Proklos: Vierter Hymnos des Proklos (hymni) .

Ein Philosophenhymnus des Proklos an alle Götter
Höret, ihr Götter, die ihr die Ruder der Weisheit hoch haltet,
die ihr das Feuer berührt, das sterbliche Seelen hinaufführt,
Lasst sie die Unsterblichen schauen, verlassend die finstere Höhle,
rein geworden und frei durch unsagbare Weihen und Hymnen.
Hört, große Retter, und aus hochheiligen Büchern erlaubt mir
schaun das ehrwürdige Licht, indem ihr den Nebel zerstiebet,
dass ich unsterblich erkenne den Gott und den Menschen.
Nicht soll mich im Strom des Vergessens, wo ich von den Seligen fern bin,
stets ein Dämon besitzen, Verderbliches wirkend,
noch eine grausame Strafe mit Lebensfesseln einst zwingen
meine nicht wollende Seele, aus blutigem Stamme gewachsen,
wogenumtoset umher auf ewig verlassen zu schweifen.
Sondern, ihr Götter und Herrscher der leuchtenden Weisheit,
hört mich und lasset erscheinen auf hohem Pfad dem Bedrängten
Feste und heilige Weihen aus altehrwürdigen Mythen.

Gregor von Nazianz: Oratio 27 (Orationes) Sources chrétiennes 250, 76f

Der christliche Denker Gregor von Nazianz diskutiert die Bedingungen des 'Philosophierens über Gott'
Nicht Sache eines jeden, o ihr Anwesenden, ist das Philosophieren über Gott, nicht eines jeden. Diese Sache ist nicht so wohlfeil und zum niedrig Gehenden gehörig. Ich will hinzufügen: Weder überall, noch für alle, noch alles davon, sondern manchmal, und für bestimmte Leute, und bis zu einem gewissen Grad. [Sie ist] nicht Sache von allen, denn sie gehört den Geübten, den in der Theorie Fortgeschrittenen, die auch hiervor die Seele und den Körper gereinigt haben oder ihn reinigen, um das wenigste zusagen. ,Ein Unreiner nämlich berührt das Reine‘ (Platon, Phaidon 67b) zufällig und ohne Gewissheit, so wie auch die schwache Sehkraft nicht den Sonnenstrahl. [...] Man muss sich nämlich für das Seiende Ruhe nehmen und Gott erkennen. [...] Wer aber soll philosophieren, und bis zu welchem Grad? Soweit es für uns erreichbar ist und soweit die Disposition und Kraft des Hörenden gelangt.

Gregor von Nyssa: Predigten zum Buch Kohelet (Homiliae in Ecclesiasten) (Gregorii Nysseni Opera 7, p. 406)

Der christliche Theologe Gregor von Nyssa über die Gotteserkenntnis
Die folgende Entwicklung des Arguments führt die Seele zu etwas Größerem, zur Philosophie über das Seiende. Sie zeigt nämlich, dass alles miteinander verbunden ist und dass die Harmonie des Seienden keine Auflösung kennt, sondern dass es eine Art Zusammenatmen von allem miteinander gibt. [...] Im Sein bleibt aber alles, was durch die Kraft des wahrhaft Seienden beherrscht wird. Das wahrhaft Seiende ist aber die Güte selbst oder irgendeine noch höhere Bezeichnung, die sich vielleicht jemand für die unsagbare Natur ausdenkt.

Evagrios Pontikos : Gnostikos (Gnostikos) Capita 1-3

Der Mönchsvater Evagrios Pontikos (ca. 345-399) regt seine Leser an, das Christentum als Verbindung philosophischer Disziplinen zu begreifen
1. Das Christentum ist die Lehre von unserem Erlöser Christus, die aus der praktischen, der physischen und der theologischen Disziplin besteht.
2. Das "Königreich der Himmel" (Matthäus 13, 11) ist die Leidensfreiheit der Seele verbunden mit wahrer Erkenntnis alles Seienden.
3. Das "Königreich Gottes" (Markus 4, 11)* ist die Erkenntnis der heiligen Trinität, die mit der Zusammenstellung des Geistes gemeinsam ausgedehnt ist und seine Unzerstörbarkeit überragt.

*Beide Bibelstellen sind exakte Parallelen, an denen die Evangelisten nur andere Ausdrücke für das Reich Gottes wählen.

Augustinus von Hippo: Bekenntnisse (Confessiones) III 7f

Augustinus berichtet über seine Bekehrung zur Philosophie als Gottsuche nach der Lektüre von Ciceros Hortensius
[1] Durch die übliche Ordnung des Lernens war ich zu einem Buch eines gewissen Cicero gelangt, dessen Sprache fast alle bewundern, seinen Gehalt hingegen nicht so sehr. Aber dieses Buch von ihm enthält eine Ermunterung zur Philosophie und wird Hortensius genannt.
[2] Dieses Buch aber veränderte meine Geisteshaltung und verwandelte meine Bitten, Herr, zu Dir hin und machte meine Gebote und Begierden andere. [...]
[3] Wie sehr brannte ich, mein Gott, wie sehr brannte ich danach, vom Irdischen zu Dir zurückzufliegen und wusste doch nicht, was Du mit mir tatest! Denn „bei Dir ist die Weisheit“ (Ijob 12, 13). Die Liebe zur Weisheit hat aber als griechische Bezeichnung, 'Philosophie', zu der mich diese Schrift entbrannte.
[4] Es gibt Leute, die durch Philosophie verführen, indem sie ihre Irrtümer mit diesem großen, verführerischen und in sich guten Namen färben und kolorieren [...], und hierbei wird die heilsmäßige Ermahnung Deines Geistes klar [...]: „Seht zu, dass Euch niemand durch leere Philosophie täuscht“ (Kolosser 2, 8). [...]
[5] Weil mir dieses Apostelwort noch nicht bekannt war, freute ich mich trotzdem allein hierdurch an dieser Ermahnung [zur Philosophie], dass ich [...] die Weisheit selbst, worin sie auch immer bestehe, liebte und suchte [...], und allein das [...] machte mich stutzig, dass der Name Christi dort nicht zu finden war.

Augustinus von Hippo: Bekenntnisse (Confessiones) VII 13f. 16

Augustinus berichtet, wie er mithilfe platonischer Schriften einen Weg zum christlichen Glauben findet
[1] Du verschafftest mir durch einen bestimmten Menschen, der vor gewaltigem Stolz geschwollen war, bestimmte Bücher der Platoniker, die aus der griechischen Sprache in die lateinische übersetzt waren.
[2] Und dort las ich, dass, zwar nicht mit diesen Worten, aber ganz genau dasselbe mit vielen und vielfältigen Argumenten überzeugend angeraten wird: "Am Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort" (Johannes 1, 1) [...], aber "das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt" (Johannes 1, 13) las ich dort nicht. [...]
[3] Und hierdurch ermahnt, zu mir selbst zurückzukehren, trat ich unter Deiner Führung in mein Innerstes ein und konnte dies, weil "Du mein Helfer geworden bist" (Psalm 29, 11).
[4] Ich trat ein und sah mit irgendeinem Auge meiner Seele oberhalb desselben Auges meiner Seele, oberhalb meines Verstandes ein unveränderliches Licht, nicht das gewöhnliche und für jedes Fleisch sichtbare, noch war es gleichsam von derselben Art, nur größer – so als ob dieses viel, viel heller leuchtet und alles durch seine Größe belegte. Nicht dies war es, sondern etwas von allem, allem weit Verschiedenes.

Augustinus von Hippo: Die freie Entscheidung (De libero arbitrio ) 2, 20f. (p. 239, 6-240, 16 Green)

Augustinus stellt die Frage nach der Selbstexistenz als Grundlage seiner Reflexionen über den Willen
Augustinus: Zuerst frage ich dich, um vom Offensichtlichsten den Anfang zu nehmen, ob du selbst bist. Oder fürchtest du vielleicht, dass du in dieser Frage getäuscht wirst? Denn wenn Du nicht wärest, könntest du deswegen überhaupt nicht getäuscht werden.
Evodius: Schreite ruhig zum Weiteren voran.
Augustinus: Weil also offensichtlich ist, dass du bist, und es dir nicht anders klar wäre, wenn Du nicht lebtest, ist auch dies klar, dass du lebst. Erkennst du, dass diese zwei am allerwahrsten sind?
Evodius: Ganz und gar verstehe ich das.
Augustinus: Also ist auch dieses dritte offensichtlich, d.h. dass du erkennst.

Augustinus von Hippo: Die freie Entscheidung (De libero arbitrio ) I 82f. 86 (p. 227, 27-36; 228, 54-57 Green)

Augustinus fragt nach dem Willen und nach dem guten Willen und appelliert so an die Selbsterfahrung des Gesprächspartners
[1] Augustinus: Ich frage Dich, ob es bei uns irgendeinen Willen gibt.
Evodius: [...] Es kann nicht bestritten werden, dass wir einen Willen haben. [...]
[2] Augustinus: Sage auch [...], ob Du meinst, dass Du auch einen guten Willen hast.
Evodius: Was ist ein guter Wille?
Augustinus: [...] Sieh nur, ob Du ein richtiges und ehrbares Leben nicht anstrebst [...] oder etwa zu bestreiten wagst, dass wir, wenn wir dies wollen, einen guten Willen haben. [...]
[3] Was nämlich liegt so sehr im Willen wie der Wille selbst? Ein jeder, der diesen als guten hat, hat gewiss das, was allen irdischen Königreichen und allen Lüsten des Körpers weit vorzuziehen ist.

Augustinus von Hippo: Der Gottesstaat (De civitate dei) XII 6 (p. 518, 30-519, 24 Dombart/Kalb)

Augustinus erklärt den Grund dafür, warum die Engel um Luzifer von Gott abgefallen sind
[1] Gewiss "ist der Anfang jeder Sünde der Stolz" (Jesus Sirach/Ecclesiasticus 10, 13). Die gefallenen Engel wollten also ihre Tapferkeit nicht für Gott bewahren, und die, die noch mehr wären, wenn sie dem angehangen hätten, der am höchsten ist, sie zogen das vor, was weniger ist, indem sie sich selbst ihm vorzogen. [...]
[2] Wenn für diesen schlechten Willen nun überhaupt eine Ursache gesucht wird, dann wird nichts gefunden. [...] Denn wenn es irgendein Ding ist, dann hat dies entweder einen Willen oder es hat keinen; wenn es einen hat, dann entweder einen guten oder einen schlechten [...]. Da soll ein guter Wille zur Ursache der Sünde werden – etwas Absurderes lässt sich nicht vorstellen. Wenn aber das Ding, von dem man annimmt, es bewirke den bösen Willen, auch selbst einen bösen Willen hat, [...] dann untersuche ich die Ursache für diesen bösen Willen. [...] Aber dieser erste ist einer, den keiner bewirkt hat.

Augustinus von Hippo: Bekenntnisse (Confessiones) II 9

Augustinus konstruiert autobiographisch einen Fall, in dem er etwas Böses nur um des Bösen selbst willen getan hat
[1] Gewiss, o Herr, bestraft dein Gesetz den Diebstahl, und das Gesetz, das in die Herzen der Menschen geschrieben ist, welches nicht einmal die Ungerechtigkeit selbst zerstört. [...]
[2] Und ich wollte einen Diebstahl begehen, und ich beging ihn, von keiner Not gezwungen, es sei denn von Armut und Überdruss an Gerechtigkeit und durch die Mästung mit Ungerechtigkeit. Denn ich habe etwas gestohlen, was ich im Übermaß hatte und auch viel besser, und ich wollte auch nicht das genießen, was ich durch den Diebstahl erstrebte, sondern den Diebstahl selbst und die Sünde.
[3] In der Nachbarschaft unseres Weinbergs stand ein Birnbaum, beladen mit Früchten, die weder durch Form noch durch Geruch anlockten. Um ihn leerzuschütteln und abzuernten, brachen wir verruchten jungen Kerle in einer windlosen Nacht auf [...] und trugen von dort gewaltige Lasten fort, nicht als unsere eigene Speise, sondern eher, um sie den Schweinen vorzuwerfen. Selbst wenn wir etwas davon aßen, so geschah von uns doch nur etwas, das deswegen gefiel, weil es sich nicht gehörte. [...]
[4] Schau mein Herz an: Was suchte es dort, so dass ich freiwillig schlecht war und es keinen Grund für meine Schlechtigkeit gab als eben Schlechtigkeit?