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Philosophische Zitate aus Antike und Mittelalter

Zitatfinder

Seneca: Brief an Lucilius (Epistula ad Lucilium ) III 36, 1. 3, Auszüge

Geistliche Übungen bei Seneca
Sextius tat dies, dass er zum Abschluss des Tages, wenn er sich zur nächtlichen Ruhe zurückzog, seinen Geist fragte: ,Welchen deiner Fehler hast Du heute geheilt? Welchem Laster bist Du entgegengetreten? An welchem Teil bist Du nun besser?‘ [...] Der Geist wurde entweder gelobt oder ermahnt, und als Betrachter und heimlicher Beurteiler seiner selbst erkannte er seine Sitten. Ich nutze diese Fähigkeit täglich und spreche bei mir selbst Recht. Wenn das Licht aus dem Gesichtskreis verschwunden und meine Gattin, die meine Sitte schon kennt, still geworden ist, prüfe ich meinen ganzen Tag und ermesse meine Taten und Worte; nichts verberge ich vor mir selbst, nichts umgehe ich.

Luther, Martin: Deutsche Reichstagsakten S. 581f.

Martin Luther über sein Auftreten vor dem Reichstag in Worms 1521
Der [vorherigen Antwort von mir] halben wurd von mir begehrt ein schlichte und unverwirrte Antwort: ob ich ein Widerspruch tun wollt oder nicht? Darauf ich gesagt hab: weil dann Eure Kaiserliche Majestät [...] ein schlichte Antwort begehrn, so will ich ein unstößige [...] Antwort geben diesermaßen: Es sei denn, dass ich durch Gezeugnuß der Schrift [...] (dann ich glaub weder dem Babst noch den Konzilien allein, weil es am Tag ist, dass dieselben zu mehrmaln geirrt und wider sich selbs geredt haben) uberwunden werd, ich bin uberwunden durch die Schriften, so von mir gefuhrt und gefangen im Gewissen an dem Wort Gottes, derhalben ich nichts mag noch will widerrufen, weil wider das Gewissen zu handeln beschwerlich, unheilsam und [ge]fährlich ist. Gott helf mir! Amen. -Rechtschreibung und teilweise Aussprache normalisiert-

Luther, Martin: Römerbriefkommentar (Luther) S. 424

Martin Luthers theologische Deutung des Gewissens
,Wie prachtvoll sind die Füße derer, die durch das Evangelium den Frieden verkünden‘ (Röm 10, 15). ,Prachtvoll‘ bedeutet nach der spezifisch hebräischen Aussageweise eher Gegenstand des Begehrens und gewünscht, graziös oder der Liebe und des Begehrens würdig, zu Deutsch ,lieblich und angenehm‘ [im Original Deutsch]. Und so ist der Sinn [der Stelle], dass denen, die dem Gesetz unterstehen, die Verkündigung des Evangeliums lieblich und angenehm ist. Denn das Gesetz zeigt nichts anders als die Sünde, macht schuldig und bedrängt so das Gewissen, das Evangelium aber kündigt das Heilmittel an, dass von den so Bedrängten gewünscht wird. Daher ist das Gesetz schlecht, das Evangelium gut, das Gesetz kündigt den Zorn, das Evangelium den Frieden an. [...] Das Gesetz bedrängt das Gewissen mit Sünden, aber das Evangelium befreit und befriedet es durch den Glauben an Christus.

Kant, Immanuel : Metaphysik der Sitten A 37f.

Immanuel Kant über die Unmittelbarkeit des Gewissens
Eben so ist das Gewissen nicht etwas Erwerbliches und es gibt keine Pflicht, sich eines anzuschaffen; sondern jeder Mensch, als sittliches Wesen, hat ein solches ursprünglich in sich. [...] Denn Gewissen ist die dem Menschen in jedem Fall eines Gesetzes seine Pflicht zum Lossprechen oder Verurteilen vorhaltende praktische Vernunft. Seine Beziehung also ist nicht die auf ein Objekt, sondern bloß aufs Subjekt (das moralische Gefühl durch ihren Akt zu affizieren); also eine unausbleibliche Tatsache, nicht eine Obliegenheit oder Pflicht. Wenn man daher sagt: Dieser Mensch hat kein Gewissen, so meint man damit: er kehrt sich nicht an den Ausspruch desselben.

Kant, Immanuel : Metaphysik der Sitten A 38f.

Immanuel Kant über die Unmöglichkeit eines irrenden Gewissens
Ich [...] bemerke nur, was aus dem eben Angeführten folgt: daß nämlich ein irrendes Gewissen ein Unding sei. Denn in dem objektiven Urteile, ob etwas Pflicht sei oder nicht, kann man wohl bisweilen irren; aber im subjektiven, ob ich es mit meiner praktischen (hier richtenden) Vernunft zum Behuf jenes Urteils verglichen habe, kann ich nicht irren, weil ich alsdann praktisch gar nicht geurteilt haben würde; in welchem Fall weder Irrtum noch Wahrheit statt hat. [...] Wenn aber jemand sich bewußt ist, nach Gewissen gehandelt zu haben, so kann von ihm, was Schuld oder Unschuld betrifft, nichts mehr verlangt werden. [...] Nach Gewissen zu handeln kann also selbst nicht Pflicht sein, weil es sonst noch ein zweites Gewissen geben müßte, um sich des Akts des ersteren bewußt zu werden.

Heidegger, Martin : Sein und Zeit § 60 S. 295

Martin Heidegger über seine existenziale Deutung des Gewissens
Die existenziale Interpretation des Gewissens soll eine im Dasein selbst seiende Bezeugung seines eigensten Seinkönnens herausstellen. Die Weise, nach der das Gewissen bezeugt, ist kein indifferentes Kundgeben, sondern vorrufender Aufruf zum Schuldigsein. Das so Bezeugte wird ,erfaßt‘ im Hören, das den Ruf in dem von ihm selbst intendierten Sinne unverstellt versteht. Das Anrufverstehen als Seinsmodus des Daseins gibt erst den phänomenalen Bestand des im Gewissensruf Bezeugten. Das eigentliche Rufverstehen charakterisierten wir als Gewissen-haben-wollen. Dieses In-sich-handeln-lassen des eigensten Selbst aus ihm heraus in seinem Schuldigsein repräsentiert phänomenal das im Dasein selbst bezeugte eigentliche Seinkönnen.

Platon: Der Staat (Platon) (De re publica) II 360cd. 367e

Das Gerechtigkeitsproblem von Glaukon und Adeimantos und das Beweisziel der Politeia
Niemand ist freiwillig gerecht, sondern nur gezwungen, weil dies nicht in sich gut ist; denn immer wenn ein jeder glaubt, er könne ungerecht handeln, da tut er es auch. Denn jedermann glaubt, dass ihm für sich die Ungerechtigkeit weit mehr nützt als die Gerechtigkeit. [...] Zeige uns also in deiner Rede nicht nur, dass Gerechtigkeit besser ist als Ungerechtigkeit, sondern, durch welche Wirkung auf den, der sie hat, die eine von ihnen, mag sie nun Göttern und Menschen verborgen bleiben oder nicht, an und für sich ein Gut ist und die andere ein Übel.

Platon: Der Staat (Platon) (De re publica) II 368e-369a

Der Vergleich des Einzelnen mit der Stadt
"Sokrates: ,Gerechtigkeit, sagen wir doch, findet sich an einem einzelnen Menschen, findet sich aber auch an einer ganzen Stadt“‘
,Freilich‘, sagte er [Glaukon]
,Und größer ist doch die Stadt als der einzelne Mensch?‘
,Größer‘, sagte er.
,Vielleicht ist also mehr Gerechtigkeit in dem Größeren und leichter zu erkennen‘.

Platon: Der Staat (Platon) (De re publica) VIII 557bc

Platon über die Vorzüge der Demokratie
Sokrates: ,Also sind sie zuerst frei, und die Stadt wird voll von Freiheit und freier Rede, und jeder hat in ihr die Möglichkeit zu tun, was er will‘.
,So sagt man ja wenigstens‘, sagte er [Glaukon].
,Wo aber diese Möglichkeit besteht, da ist klar, dass jeder die Weise seines Lebens für sich einrichtet, die jedem einzelnen gefällt‘.
,Offenbar‘.
,Mannigfaltige Menschen finden sich in dieser Staatsform ganz besonders zusammen‘.
,Wie sollten sie nicht!‘
,Diese‘, sagte ich, ,scheint die schönste der Staatsformen zu sein. Wie ein buntes Kleid, das mit allen Blumen geschmückt ist, so wird auch diese, die mit allen Sitten geschmückt ist, gewiss die schönste zu sein scheinen. [...] Dies also‘, sagte ich, ,und anderes diesem Verwandtes hat die Demokratie folglich und ist, wie es scheint, eine angenehme, herrschaftslose und vielfältige Staatsform, welche gleichmäßig Gleichen wie Ungleichen eine gewisse Gleichheit zuteilt.

Platon: Der Staat (Platon) (De re publica) VIII 561c-e

Der demokratische Mensch nach Platon
So verlebt er für sich seine Tage, immer der gerade auftretenden Begierde gefällig, bald ist er betrunken und übermütig, dann wieder trinkt er Wasser und hält magere Kost, bald beschäftigt mit Sport, manchmal auch träge und sich um nichts kümmernd, bald wieder, als vertiefe er sich in die Philosophie. Oft ist er auch politisch aktiv und sagt und tut aufspringend, was sich gerade ergibt [...] Und meiner Meinung [...] nach ist er mannigfaltig und erfüllt von allerlei Sitten, und dieser Mann ist schön und vielfältig, so wie jene Stadt. Viele Männer und Frauen bewundern gewiss seine Lebensweise, weil er auch Urbilder von allerlei Staatsformen und Denkarten in sich enthält.

Platon: Der Staat (Platon) (De re publica) VIII 562cd. 563de

Platon über das Überhandnehmen von Freiheit im demokratischen Staat und die strukturelle Schwäche der Demokratie
[1] Ich meine, wenn einer demokratischen, nach Freiheit dürstenden Stadt einmal schlechte Mundschenken vorstehen und sie sich über Gebühr an ihrem starken Wein berauscht, so wird sie ihre Obrigkeiten, wenn diese nicht ganz mild sind und alle Freiheit gewähren, bestrafen, da sie sie als bösartig und oligarchisch beschuldigt. [...]
[2] Und die den Obrigkeiten gehorchen, behandelt sie als freiwillige Sklaven und nichts Würdige. Und nur Obrigkeiten, welche sich wie Untergebene, und Untergebene, welche sich wie Obrigkeiten verhalten, werden privat und öffentlich gelobt und geehrt. [...]
[3] Wenn man all dies zusammenrechnet, begreifst du, wie empfindlich dies die Seele der Bürger macht, so dass, wenn ihnen jemand auch noch so wenig Dienst auflegen will, sie gleich unwillig werden und es nicht ertragen? Und zuletzt weißt du ja, dass sie sich auch um die Gesetze nicht kümmern, mögen es nun geschriebene sein oder ungeschriebene, damit auf keine Weise jemand ihr Herr ist.
[4] Und in der Tat, das Äußerste zu tun in irgendetwas, scheint immer eine große Verwandlung ins Gegenteil hervorzurufen. [...] Also auch die äußerste Freiheit wird wohl dem Einzelnen und dem Staat sich in nichts anderes verwandeln als in die äußerste Knechtschaft.

Platon: Der Staat (Platon) (De re publica) V 472bc

Die Frage nach der Gerechtigkeit und dem gerechten Menschen
Wenn wir herausgefunden haben, wie Gerechtigkeit beschaffen ist, werden wir dann wohl fordern, dass auch der gerechte Mensch gar nicht von ihr verschieden ist, sondern ganz und gar so beschaffen sein muss, wie die Gerechtigkeit ist?

Platon: Der Staat (Platon) (De re publica) IV 429e-430c

Das Verhältnis der politischen Tapferkeit zu den Gesetzen
Nimm an, dass auch wir uns nach Vermögen bemüht haben, als wir die Soldaten aussuchten und durch Musik und Gymnastik erzogen, und glaube nicht, dass wir irgendetwas anderes damit beabsichtigt haben, dass sie die Gesetze so gut wie möglich gehorsam [oder: überzeugt] annehmen wie eine Farbe. [...] Das derartige Vermögen und die dauerhafte Erhaltung der richtigen und gesetzlichen Meinung über das, was erschreckend ist, und was nicht, nenne und erkläre ich für Tapferkeit [...], und zwar für politische.

Platon: Der Staat (Platon) (De re publica) IV 441d-442a; 443de

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Sokrates: ,Ein jeder von uns, in welchem jedes Element in ihm das Seinige tut, ist folglich gerecht und tut das Seinige. [...] So kommt dem Vernunftvermögen das Herrschen zu, weil es weise ist und für die gesamte Seele Vorsorge trägt, dem zornmütigen Vermögen aber, diesem gehorsam und mit ihm verbündet zu sein‘?
Glaukon: ,Freilich‘. [...]
,Die Gerechtigkeit [...] bezieht sich also nicht auf das äußere eigene Handeln, sondern auf das innere, weil dieses wahrhaft um einen selbst und das eigene geht [...], und man entsprechend handelt, wenn man irgendwie handelt, es betreffe nun den Erwerb des Vermögens oder Pflege des Leibes oder etwas Politisches oder private Verhandlungen.

Platon: Der Staat (Platon) (De re publica) V 473c-e

Das Ideal des Philosophenkönigtums
Wenn nicht [...] entweder die Philosophen Könige werden in den Staaten oder die jetzt so genannten Könige und Regenten aufrichtig und gründlich philosophieren und also beides zusammenfällt, die politische Gewalt und die Philosophie [...], eher gibt es keine Erholung von dem Übel für die Staaten [...] und ich denke auch nicht das menschliche Geschlecht, noch kann jemals zuvor diese Staatsform gedeihen [...], die wir jetzt im Wort durchgegangen sind.

Platon: Der Staat (Platon) (De re publica) V 475b; 479d-480a

Platon über die Definition des Philosophen
Sokrates: ,Also auch der Philosoph, werden wir sagen, trachtet nach Weisheit, und zwar nicht nach einer Art davon, aber nicht nach einer anderen, sondern nach aller?‘
Glaukon: ,Richtig‘“. [...]
,Die nun, die viel Schönes beschauen, das an sich Schöne aber nicht sehen – und auch vieles Gerechte, das an sich Gerechte aber nicht, und ebenso bei allem – [...] von denen wollen wir sagen, dass sie alles meinen, aber nichts von dem, was sie meinen, erkennen. [...] Was ist aber mit denen, die ein jedes an sich beschauen, wie es sich immer gleichermaßen verhält? Nicht so, dass sie erkennen und nicht meinen?‘
,Notwendigerweise‘.
Also werden wir auch sagen, dass diese das begrüßen und lieben, wovon es Erkenntnis gibt, die anderen aber das, wovon es Meinung gibt. [...] Werden wir also einen Fehler machen, wenn wir sie mehr Meinungsliebende als Weisheitsliebenden nennen?

Augustinus von Hippo: Die freie Entscheidung (De libero arbitrio ) I 48-51

Augustinus entwickelt auf der Grundlage stoischer und ciceronischer Überlegungen die Idee eines ewigen Gesetzes, durch das die Welt gut regiert wird
[1] Augustinus: Wenn es dir recht ist, wollen wir also jenes Gesetz zeitlich nennen, welches, wenn es auch gerecht sein mag, dennoch im Verlaufe der Zeit gerechterweise geändert werden kann? Evodius: Nennen wir es so. Aug.: Wie? Jenes Gesetz, das die höchste Vernunft genannt wird, dem immer zu gehorchen ist und durch welches sich die Bösen das unglückliche, die Guten aber das glückliche Leben verdienen, und durch das schließlich das zeitlich zu nennende Gesetz zu Recht erlassen und zu Recht geändert wird – kann dieses Gesetz irgendeinem Einsichtigen anders als unwandelbar und ewig erscheinen? [...]
[2] Ich glaube, du siehst zugleich auch ein, dass in dem zeitlichen Gesetz nichts gerecht und richtig ist, was sich die Menschen nicht aus dem ewigen Gesetz hergeleitet haben. Denn wenn dieses Volk zu einer Zeit gerechterweise Ämter verliehen hat, zu einer anderen wiederum nicht, dann ist diese zeitliche Veränderung, um gerecht zu sein, aus jener Ewigkeit abgeleitet, durch die es immer gerecht ist, dass ein würdevolles [Gesetz] Ämter verleiht, ein ungefestigtes aber nicht. [...]
[3] Um also kurz den Begriff des ewigen Gesetzes, der uns eingeprägt ist, in Worten auszudrücken, soweit ich das vermag: Das ewige Gesetz ist das, wodurch es gerecht ist, dass alles bestens geordnet ist.