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Philosophische Zitate aus Antike und Mittelalter

Zitatfinder

Abaelard, Peter: Cambridger Kommentar (Vorlesungsmitschrift) (Commentarius Cantabrigiensis (reportatio)) II, 337

Abaelard über die Gewissheit aus dem Gewissen
Wenn wir uns selbst richten würden, würden wir von Gott gar nicht mehr gerichtet. Denn Gott überlässt uns unserem Gericht, damit wir das, was in uns zu korrigieren ist, frei richten, da er will, dass wir durch das eigene Gericht sein Gericht vermeiden, zu dem er gleichsam gezwungen hinzutritt. Und sogar irgendein Räuber würde, wenn er auf diese Weise über sich ein Gericht vollziehen könnte, den Richter nicht mehr fürchten, dessen Gericht er selber zuvorgekommen wäre.

Suárez, Francisco: Die Gesetze und Gott der Gesetzgeber (De legibus et deo legislatore) II 9, 10

Francisco Suárez über die Reichweite des natürlichen Gewissensurteils
Nicht nur die Verpflichtung durch menschliches Gesetz, sondern auch die durch göttliches und übernatürliches ist offensichtlich eine Wirkung des Naturgesetzes [...], denn die Natur ist die Grundlage sowohl der Gnade als auch jeglichen menschlichen Gesetzes. Auch die natürlichen Prinzipien, durch die der Mensch in moralischen Angelegenheiten regiert werden muss, sind so allgemein, dass sie formell jede Verpflichtung umfassen, so dass keine ohne Vermittlung durch diese Prinzipien auf den Menschen angewandt werden kann.

Seneca: Brief an Lucilius (Epistula ad Lucilium ) III 36, 1. 3, Auszüge

Geistliche Übungen bei Seneca
Sextius tat dies, dass er zum Abschluss des Tages, wenn er sich zur nächtlichen Ruhe zurückzog, seinen Geist fragte: ,Welchen deiner Fehler hast Du heute geheilt? Welchem Laster bist Du entgegengetreten? An welchem Teil bist Du nun besser?‘ [...] Der Geist wurde entweder gelobt oder ermahnt, und als Betrachter und heimlicher Beurteiler seiner selbst erkannte er seine Sitten. Ich nutze diese Fähigkeit täglich und spreche bei mir selbst Recht. Wenn das Licht aus dem Gesichtskreis verschwunden und meine Gattin, die meine Sitte schon kennt, still geworden ist, prüfe ich meinen ganzen Tag und ermesse meine Taten und Worte; nichts verberge ich vor mir selbst, nichts umgehe ich.

Luther, Martin: Deutsche Reichstagsakten S. 581f.

Martin Luther über sein Auftreten vor dem Reichstag in Worms 1521
Der [vorherigen Antwort von mir] halben wurd von mir begehrt ein schlichte und unverwirrte Antwort: ob ich ein Widerspruch tun wollt oder nicht? Darauf ich gesagt hab: weil dann Eure Kaiserliche Majestät [...] ein schlichte Antwort begehrn, so will ich ein unstößige [...] Antwort geben diesermaßen: Es sei denn, dass ich durch Gezeugnuß der Schrift [...] (dann ich glaub weder dem Babst noch den Konzilien allein, weil es am Tag ist, dass dieselben zu mehrmaln geirrt und wider sich selbs geredt haben) uberwunden werd, ich bin uberwunden durch die Schriften, so von mir gefuhrt und gefangen im Gewissen an dem Wort Gottes, derhalben ich nichts mag noch will widerrufen, weil wider das Gewissen zu handeln beschwerlich, unheilsam und [ge]fährlich ist. Gott helf mir! Amen. -Rechtschreibung und teilweise Aussprache normalisiert-

Luther, Martin: Römerbriefkommentar (Luther) S. 424

Martin Luthers theologische Deutung des Gewissens
,Wie prachtvoll sind die Füße derer, die durch das Evangelium den Frieden verkünden‘ (Röm 10, 15). ,Prachtvoll‘ bedeutet nach der spezifisch hebräischen Aussageweise eher Gegenstand des Begehrens und gewünscht, graziös oder der Liebe und des Begehrens würdig, zu Deutsch ,lieblich und angenehm‘ [im Original Deutsch]. Und so ist der Sinn [der Stelle], dass denen, die dem Gesetz unterstehen, die Verkündigung des Evangeliums lieblich und angenehm ist. Denn das Gesetz zeigt nichts anders als die Sünde, macht schuldig und bedrängt so das Gewissen, das Evangelium aber kündigt das Heilmittel an, dass von den so Bedrängten gewünscht wird. Daher ist das Gesetz schlecht, das Evangelium gut, das Gesetz kündigt den Zorn, das Evangelium den Frieden an. [...] Das Gesetz bedrängt das Gewissen mit Sünden, aber das Evangelium befreit und befriedet es durch den Glauben an Christus.

Kant, Immanuel : Metaphysik der Sitten A 37f.

Immanuel Kant über die Unmittelbarkeit des Gewissens
Eben so ist das Gewissen nicht etwas Erwerbliches und es gibt keine Pflicht, sich eines anzuschaffen; sondern jeder Mensch, als sittliches Wesen, hat ein solches ursprünglich in sich. [...] Denn Gewissen ist die dem Menschen in jedem Fall eines Gesetzes seine Pflicht zum Lossprechen oder Verurteilen vorhaltende praktische Vernunft. Seine Beziehung also ist nicht die auf ein Objekt, sondern bloß aufs Subjekt (das moralische Gefühl durch ihren Akt zu affizieren); also eine unausbleibliche Tatsache, nicht eine Obliegenheit oder Pflicht. Wenn man daher sagt: Dieser Mensch hat kein Gewissen, so meint man damit: er kehrt sich nicht an den Ausspruch desselben.

Kant, Immanuel : Metaphysik der Sitten A 38f.

Immanuel Kant über die Unmöglichkeit eines irrenden Gewissens
Ich [...] bemerke nur, was aus dem eben Angeführten folgt: daß nämlich ein irrendes Gewissen ein Unding sei. Denn in dem objektiven Urteile, ob etwas Pflicht sei oder nicht, kann man wohl bisweilen irren; aber im subjektiven, ob ich es mit meiner praktischen (hier richtenden) Vernunft zum Behuf jenes Urteils verglichen habe, kann ich nicht irren, weil ich alsdann praktisch gar nicht geurteilt haben würde; in welchem Fall weder Irrtum noch Wahrheit statt hat. [...] Wenn aber jemand sich bewußt ist, nach Gewissen gehandelt zu haben, so kann von ihm, was Schuld oder Unschuld betrifft, nichts mehr verlangt werden. [...] Nach Gewissen zu handeln kann also selbst nicht Pflicht sein, weil es sonst noch ein zweites Gewissen geben müßte, um sich des Akts des ersteren bewußt zu werden.

Heidegger, Martin : Sein und Zeit § 60 S. 295

Martin Heidegger über seine existenziale Deutung des Gewissens
Die existenziale Interpretation des Gewissens soll eine im Dasein selbst seiende Bezeugung seines eigensten Seinkönnens herausstellen. Die Weise, nach der das Gewissen bezeugt, ist kein indifferentes Kundgeben, sondern vorrufender Aufruf zum Schuldigsein. Das so Bezeugte wird ,erfaßt‘ im Hören, das den Ruf in dem von ihm selbst intendierten Sinne unverstellt versteht. Das Anrufverstehen als Seinsmodus des Daseins gibt erst den phänomenalen Bestand des im Gewissensruf Bezeugten. Das eigentliche Rufverstehen charakterisierten wir als Gewissen-haben-wollen. Dieses In-sich-handeln-lassen des eigensten Selbst aus ihm heraus in seinem Schuldigsein repräsentiert phänomenal das im Dasein selbst bezeugte eigentliche Seinkönnen.

Platon: Der Staat (Platon) (De re publica) II 360cd. 367e

Das Gerechtigkeitsproblem von Glaukon und Adeimantos und das Beweisziel der Politeia
Niemand ist freiwillig gerecht, sondern nur gezwungen, weil dies nicht in sich gut ist; denn immer wenn ein jeder glaubt, er könne ungerecht handeln, da tut er es auch. Denn jedermann glaubt, dass ihm für sich die Ungerechtigkeit weit mehr nützt als die Gerechtigkeit. [...] Zeige uns also in deiner Rede nicht nur, dass Gerechtigkeit besser ist als Ungerechtigkeit, sondern, durch welche Wirkung auf den, der sie hat, die eine von ihnen, mag sie nun Göttern und Menschen verborgen bleiben oder nicht, an und für sich ein Gut ist und die andere ein Übel.

Platon: Der Staat (Platon) (De re publica) II 368e-369a

Der Vergleich des Einzelnen mit der Stadt
"Sokrates: ,Gerechtigkeit, sagen wir doch, findet sich an einem einzelnen Menschen, findet sich aber auch an einer ganzen Stadt“‘
,Freilich‘, sagte er [Glaukon]
,Und größer ist doch die Stadt als der einzelne Mensch?‘
,Größer‘, sagte er.
,Vielleicht ist also mehr Gerechtigkeit in dem Größeren und leichter zu erkennen‘.

Platon: Der Staat (Platon) (De re publica) VIII 557bc

Platon über die Vorzüge der Demokratie
Sokrates: ,Also sind sie zuerst frei, und die Stadt wird voll von Freiheit und freier Rede, und jeder hat in ihr die Möglichkeit zu tun, was er will‘.
,So sagt man ja wenigstens‘, sagte er [Glaukon].
,Wo aber diese Möglichkeit besteht, da ist klar, dass jeder die Weise seines Lebens für sich einrichtet, die jedem einzelnen gefällt‘.
,Offenbar‘.
,Mannigfaltige Menschen finden sich in dieser Staatsform ganz besonders zusammen‘.
,Wie sollten sie nicht!‘
,Diese‘, sagte ich, ,scheint die schönste der Staatsformen zu sein. Wie ein buntes Kleid, das mit allen Blumen geschmückt ist, so wird auch diese, die mit allen Sitten geschmückt ist, gewiss die schönste zu sein scheinen. [...] Dies also‘, sagte ich, ,und anderes diesem Verwandtes hat die Demokratie folglich und ist, wie es scheint, eine angenehme, herrschaftslose und vielfältige Staatsform, welche gleichmäßig Gleichen wie Ungleichen eine gewisse Gleichheit zuteilt.

Platon: Der Staat (Platon) (De re publica) VIII 561c-e

Der demokratische Mensch nach Platon
So verlebt er für sich seine Tage, immer der gerade auftretenden Begierde gefällig, bald ist er betrunken und übermütig, dann wieder trinkt er Wasser und hält magere Kost, bald beschäftigt mit Sport, manchmal auch träge und sich um nichts kümmernd, bald wieder, als vertiefe er sich in die Philosophie. Oft ist er auch politisch aktiv und sagt und tut aufspringend, was sich gerade ergibt [...] Und meiner Meinung [...] nach ist er mannigfaltig und erfüllt von allerlei Sitten, und dieser Mann ist schön und vielfältig, so wie jene Stadt. Viele Männer und Frauen bewundern gewiss seine Lebensweise, weil er auch Urbilder von allerlei Staatsformen und Denkarten in sich enthält.

Platon: Der Staat (Platon) (De re publica) VIII 562cd. 563de

Die strukturelle Schwäche der Demokratie <br /> Platon über das Überhandnehmen von Freiheit im demokratischen Staat (VL: Freiheit)
Ich meine, wenn einer demokratischen, nach Freiheit dürstenden Stadt einmal schlechte Mundschenken vorstehen und sie sich über Gebühr an ihrem starken Wein berauscht, so wird sie ihre Obrigkeiten, wenn diese nicht ganz mild sind und alle Freiheit gewähren, bestrafen, da sie sie als bösartig und oligarchisch beschuldigt. [...] Und die den Obrigkeiten gehorchen, behandelt sie als freiwillige Sklaven und nichts Würdige. Und nur Obrigkeiten, welche sich wie Untergebene, und Untergebene, welche sich wie Obrigkeiten verhalten, werden privat und öffentlich gelobt und geehrt. [...] Wenn man all dies zusammenrechnet, begreifst du, wie empfindlich dies die Seele der Bürger macht, so dass, wenn ihnen jemand auch noch so wenig Dienst auflegen will, sie gleich unwillig werden und es nicht ertragen? Und zuletzt weißt du ja, dass sie sich auch um die Gesetze nicht kümmern, mögen es nun geschriebene sein oder ungeschriebene, damit auf keine Weise jemand ihr Herr ist.

Platon: Der Staat (Platon) (De re publica) VIII 564a

Das große Risiko der Freiheit
Und in der Tat, das Äußerste zu tun in irgendetwas, scheint immer eine große Verwandlung ins Gegenteil hervorzurufen. [...] Also auch die äußerste Freiheit wird wohl dem Einzelnen und dem Staat sich in nichts anderes verwandeln als in die äußerste Knechtschaft.

Platon: Der Staat (Platon) (De re publica) V 472bc

Die Frage nach der Gerechtigkeit und dem gerechten Menschen
Wenn wir herausgefunden haben, wie Gerechtigkeit beschaffen ist, werden wir dann wohl fordern, dass auch der gerechte Mensch gar nicht von ihr verschieden ist, sondern ganz und gar so beschaffen sein muss, wie die Gerechtigkeit ist?