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Philosophische Zitate aus Antike und Mittelalter

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Meister Eckhart : Deutsche Predigt 9 (10), S. 150, 1-151, 2; 158, 4-7

Meister Eckhart über die Vernunftnatur Gottes und das Seelenfünklein in uns
[1] Als wir got nemen in dem wesene, sȏ nemen wir in sȋnem vorbürge, wan wesen ist sȋn vorbürge, dȃ er inne wonet. Wȃ ist er denne in sȋnem tempel, dȃ er heilic inne schȋnet? Vernünfticheit ist der tempel gotes. Niergen wonet got eigenlȋcher dan in sȋnem tempel, in vernünfticheit, als der ander meister sprach, daz got ist ein vernünfticheit, diu dȃ lebet in sȋn aleines bekantnisse, in im selber aleine blȋbende, dȃ in nie niht engeruorte, wan er aleine dȃ ist in sȋner stilheit. Got in sȋn selbes bekantnisse bekennet sich selben in im selben.
[2] Nȗ nemen wirz in der sȇle, diu ein tröpfelin hȃt vernünfticheit, ein vünkelȋn, ein zwȋc. [...] Gotes saelicheit liget an der ȋnwertwürkunge der vernünfticheit, dȃ daz wort inneblȋbende ist. Dȃ sol diu sȇle sȋn ein bȋwort und mit gote würken ein werk, in dem ȋnswebenden bekantnisse ze nemenne ir saelicheit in dem selben, dȃ got saelic ist.

Meister Eckhart : Deutsche Predigt 22 (23), S. 382, 6-383, 7

Meister Eckhart über die Geburt des Wortes Gottes im Menschen
Hie hȃn ich ȇwiclȋche geruowet und geslȃfen in der verborgenen bekantnisse des ȇwigen vaters, inneblȋbende ungesprochen. Ȗz der lȗterkeit hȃt er mich ȇwiclȋche geborn sȋnen einbornen sun in daz selbe bilde sȋner ȇwigen vaterschaft, daz ich vater sȋ und geber den, von dem ich geborn bin. [...] Jȃ, der in dém liehte ein holz saehe, daz würde ein engel und würde vernünftic, und niht aleine vernünftic, ez würde ein lȗter vernunft in der ȇrsten lȗterkeit, diu da ist ein vülle aller lȗterkeit. Alsȏ tuot got: er gebirt sȋnen einbornen son in daz hoehste teil der sȇle.

Meister Eckhart : Buch der göttlichen Tröstung S. 60, 25-61, 9

Meister Eckhart über die Belehrung aller Menschen
Ein heidenischer meister, Senecȃ, sprichet: man sol von grȏzen und von hȏhen dingen mit grȏzen und mit hȏhen sinnen sprechen und mit erhabenen sȇlen. Ouch sol man sprechen, daz man sȏgetȃne lȇre niht ensol sprechen noch schrȋben ungelȇrten. Dar zuo spriche ich: ensol man niht lȇren ungelȇrte liute, sȏ enwirt niemer nieman gelȇret, sȏ enmac nieman lȇren noch schrȋben. Wan dar umbe lȇret man die ungelȇrten, daz sie werden von ungelȇret gelȇret. [...] Dar umbe ist der arzȃt, daz er die siechen gesunt mache. [...] Sant Johannes sprichet daz heilige ȇwangelium allen geloubigen und ouch allen ungeloubigen, daz sie geloubic werden, und doch beginnet er daz ȇwangelium von dem hoehsten, daz kein mensche von gote hie gesprechen mac.

Descartes, René: Meditationen über die Erste Philosophie (Meditationes de prima philosophia ) I, Anfang

René Descartes leitet seine Meditationen ein
Schon vor Jahren bemerkte ich, wie viel Falsches ich von Jugend auf als wahr hingenommen hatte und wie zweifelhaft alles ist, was ich später darauf gründete. [...] Darum habe ich so lange gezögert, dass ich schließlich eine Schuld tragen würde, dass ich die Zeit, die mir zum Handeln noch übrig ist, mit Überlegen vergeuden würde. Da trifft es sich günstig, dass ich heute meinen Verstand von allen Sorgen losgelöst und mir ungestörte Muße verschafft habe. Ich ziehe mich also allein zurück und will ernst frei diesem Umsturz aller meiner Meinungen Zeit einräumen.

Descartes, René: Meditationen über die Erste Philosophie (Meditationes de prima philosophia ) VI, Ende

René Descartes über die Gründe des Irrtums der Menschen
Denn daraus, dass Gott kein Betrüger ist, folgt, dass ich in solchen Dingen überhaupt nicht getäuscht werde. Allerdings lässt uns die Notwendigkeit der Alltagstätigkeiten nicht immer die Zeit zu einer so genauen Prüfung, und deshalb muss man gestehen, dass das menschliche Leben im Hinblick auf Einzeldinge oft Irrtümern unterliegt, und die Schwäche unserer Natur ist anzuerkennen.

Foucault, Michel : Die Regierung des Selbst und der anderen (Le gouvernement de soi et des autres) S.321, 322

Michel Foucault über die Philosophie als <i>parrhēsia</i>, als Wahrsprechen
Ich glaube, dass man die Geschichte der Philosophie [...] als eine Folge von Episoden und Formen – wiederkehrenden und sich wandelnden Formen – des Wahrsprechens betreiben kann. [...] Beginnt die Philosophie nicht unablässig als unablässig neu zu gewinnende parrhēsia? Und ist, in dieser Hinsicht, die Philosophie nicht ein einzigartiges und den abendländischen Gesellschaften eigentümliches Phänomen?

Foucault, Michel : Die Regierung des Selbst und der anderen (Le gouvernement de soi et des autres) S. 314, 315

Michel Foucault über politische und philosophische parrhēsia
[1] Nicht die ganze Philosophie, nicht die Philosophie seit ihren Anfängen, nicht die Philosophie in jeder Hinsicht ist eine Tochter der parrhēsia, sondern es ist die Philosophie, verstanden als freier Mut, die Wahrheit zu sagen und, indem man so mutig die Wahrheit sagt, einen Einfluss auf die anderen zu nehmen, um sie richtig zu führen, und zwar in einem Spiel, das vom Parrhesiasten verlangt, ein Risiko einzugehen, das ihn in Lebensgefahr bringen kann. [...]
[2] Erstens muss die Tatsache, dass die antike Philosophie eine Lebensform war, im allgemeinen Rahmen dieser parrhesiastischen Funktion gedeutet werden. [...] Zweitens scheint mir, dass die Philosophie während ihrer ganzen Geschichte in der antiken Kultur [...] auch deshalb parrhēsia ist, weil sie sich beständig an die gerichtet hat, die regieren.

Tranströmer, Tomas: Molokai .

Molokai
Wir stehen am Steilhang, und unter uns in der Tiefe schimmern die Dächer der Leprastation.
Den Abstieg schaffen wir, doch nie kommen wir über die Steilhänge zurück vorm Dunkelwerden.
Drum kehren wir durch den Wald zurück, gehn zwischen Bäumen mit langen blauen Nadeln.
Hier ist es still, eine Stille, wie wenn der Habicht kommt.
Es ist ein Wald, der alles verzeiht, doch nichts vergisst.
Damien, in Liebe, wählte das Leben und die Vergessenheit.
Er bekam Tod und Ruhm.
Doch wir sehen diese Ereignisse von der falschen Seite: einen Steinhaufen statt des Gesichts der Sphinx.

Averroes : Untersuchung über die Methoden der Argumente im Hinblick auf die Grund (Kašf ʿan-manāhiğ al-adilla fī ʿaqā’id al-milla) § 284-301

Ibn Rušd (lat. Averroes; 1124-1198), muslimischer Richter und der bedeutendste Aristoteliker der arabischen Welt, schildert die Diskussionslage zur Vereinbarkeit von „göttlicher Anordnung und Vorherbestimmung“ (al-qaḍāʾ wa-l-qadar) bis zu seiner Zeit
[284] Das Problem [...] von göttlicher Anordnung und Vorherbestimmung [...] gehört zu den schwierigsten Problemen in Bezug auf das Gesetz. Denn wenn die Argumente der Überlieferung hierüber betrachtet werden, findet sich ein Widerspruch; und ebenso ist es mit den verstandesmäßigen Argumentationen. [285] [...] Was das Buch (= den Koran) betrifft, so gibt es in ihm viele Verse, die in ihrer Allgemeinheit ein Argument dafür sind, dass jede Sache der Vorherbestimmung unterliegt, sowie, dass der Mensch in seinen Handlungen determiniert ist. Aber es gibt hierin ebenfalls viele Verse, die ein Argument dafür darstellen, dass dem Menschen durch seine Handlungen ein Erwerben [von Verdiensten oder von strafwürdigen Taten] zukommt und dass er in seinen Handlungen nicht determiniert ist. [...]
[290] Und deswegen spalteten sich die Muslime wegen dieser Frage in zwei Gruppen: Eine Gruppe, die überzeugt war, dass das Erwerben des Menschen die Ursache für den Ungehorsam und das rechte Handeln ist und dass ihm aufgrund hiervon Strafe und Lohn zugebilligt wird – das ist die Muʿtazila; und eine Gruppe, die vom Gegenteil überzeugt ist, nämlich dass der Mensch in seinen Handlungen determiniert und gezwungen ist – das ist die Ğabriyya (= die Deterministen). [291] Die Ašʿariyya [...] hingegen sagt, dass dem Menschen eine Erwerbung zukomme, dass aber das hierdurch Erworbene und der Erwerbende von Allah geschaffen würden; und dies ergibt keinen Sinn. [...] Denn der Knecht (Allahs) ist dann unbedingt in seinem Erwerben determiniert. [...] [293] Und wenn der Mensch in seinen Handlungen determiniert ist, dann gehören die Gebote zum nicht Möglichen. [...].
[297] Wir sagen: Offensichtlich sieht das Ziel des Gesetzes keine Trennung zwischen diesen [oben in Text 1 genannten] Überzeugungen vor. [...] Folgendes ist nämlich offensichtlich: Gott hat für uns Fähigkeiten geschaffen, durch die wir Gegenteiliges erwerben können. Weil jedoch das Erwerben hiervon nicht vollständig bei uns liegt, es sei denn, die Ursachen treffen günstig ein, die Gott der Herr zum Dienst für uns außerhalb geschaffen hat, und die Hindernisse hierfür werden [dadurch] aufgehoben, deswegen sind die auf uns beziehbaren Handlungen nur durch beide Aspekte zugleich vollständig. (298) [...] Und diese Ursachen [...] bewirken ebenfalls nicht alleine vollständig die Handlungen, deren Vollzug oder Verhinderung wir wünschen, sondern die [äußere] Ursache ist zu schwach dafür, dass wir eines der beiden Gegenteile wollen. Der Wille ist ja nur das Streben, das in uns aufgrund irgendeiner Vorstellung oder eines Urteils über etwas neu entsteht, und dieses Urteil hängt nicht von unserer Wahl ab, sondern es ist etwas, das bei uns aufgrund desjenigen entsteht, was außerhalb von uns ist. [...] (299) [...] Es ist also nötig, dass unsere Handlungen nach einer festgelegten Ordnung ablaufen, ich meine, dass sie zu festgelegten Zeitpunkten und in einem festgelegten Raum stattfinden. [...] (301) Und die festgelegte Ordnung, die in den inneren und äußeren Ursachen besteht [...], ist das Anordnung und die Vorherbestimmung, die Gott der Erhabene über seine Diener aufgeschrieben hat; sie ist die ,verborgene Tafel‘.

Thomas von Aquin: Summa theologiae I-II (Summa theologiae) I-II 18, 10 resp.

Für Thomas ist der Zugang der Vernunft auf die Welt nichts anderes als eine komplette Neudeutung der Wirklichkeit durch die Vernunft
[1] Weil die Natur auf eines festgelegt ist und ihr Prozess nicht ins Unendliche gehen kann, muss sie zu irgendeiner letzten Form gelangen, der die spezifische Differenz entnommen wird. [...]
[2] Aber der Prozess der Vernunft ist nicht auf irgendetwas eines festgelegt, sondern kann, wenn irgendetwas gegeben ist, weiter voranschreiten; und daher kann das, was in einer Handlung als Umstand begriffen wird, der zum Objekt hinzukommt [...], von der ordnenden Vernunft als Hauptbedingung für das Objekt genommen werden, das die Art der Handlung festlegt.
[3] Zum Beispiel wird ,etwas Fremdes Wegnehmen‘ [...] unter die Art ,Diebstahl‘ eingeordnet. [...] Aber weil die Vernunft auch im Hinblick auf den Ort, die Zeit und anderes Derartige ordnen kann, kommt es vor, dass eine Bedingung des Ortes im Hinblick auf ein Objekt als der Vernunftordnung entgegengesetzt begriffen wird. [...] Deswegen fügt ,etwas Fremdes von einem heiligen Ort Wegnehmen‘ einen besonderen Widerspruch zur Vernunftordnung hinzu.

Seneca: Die Vorsehung (De providentia ) 1, 1

Seneca nimmt sich vor, die Güte der Götter zu verteidigen
Du hast mich gefragt, Lucilius, warum, wenn die Welt mit Vorsehung geführt wird, den guten Männern so viel Schlechtes zustößt. [...] Ich werde eine nicht schwierige Sache angehen, ich werde den Fall der Götter verteidigen.

Seneca: Die Vorsehung (De providentia ) 6, 1-2. 5

Seneca führt die Übel der Welt auf die Verderbtheit äußerlichen Handelns zurück
Warum aber lässt Gott denn zu, dass guten Männern etwas Schlechtes widerfährt? Er lässt es doch nicht zu. Alles Schlechte hat er von ihnen entfernt, Verbrechen und Ausschweifungen, unrechte Gedanken und habgierige Überlegungen. [...] Gute Männer verlieren Söhne – warum nicht, wenn sie sie manchmal auch selbst töten? Sie werden ins Exil geschickt – warum nicht, wenn sie manchmal selbst das Vaterland ohne Wiederkehr verlassen? Sie werden getötet – warum nicht, wenn sie manchmal an sich selbst Hand anlegen? [...] So verachtet die Welt alles Äußerliche und freut sich über ihr eigenes Schauspiel. Alles Gute habe ich ins Innere gelegt: Euer Glück ist, keines Glücks zu bedürfen.

Augustinus von Hippo: Der Gottesstaat (De civitate dei) V 9, p. 202, 21-25. 203. 30f. 204, 2-7. 26-28

Augustinus betont mit Cicero die Wichtigkeit der menschlichen Freiheit
Diese versucht Cicero so zu widerlegen [...], dass er bestreitet, dass es ein Vorwissen des Künftigen [...] entweder bei einem Menschen oder bei Gott gibt [...], weil nämlich alles Zukünftige dann, wenn es vorhergewusst wird, in der Ordnung kommen wird, in der vorhergewusst wird, dass es kommen wird. [...] Aber wenn das so ist, dann ist nichts in unserer Macht, und es gibt keine Entscheidung des Willens; aber wenn wir das zugeben, sagt Cicero, wird die ganze menschliche Lebensführung aufgehoben, die Gesetze werden umsonst gegeben, umsonst werden Tadel und Lob, Kritik und Ermutigung geäußert. [...] Wenn andererseits etwas in unserem Willen liegt, dann gelangt man im Zurückgang über dieselben Schritte [des Arguments] dahin, dass es kein Vorwissen des Zukünftigen gibt.

Abaelard, Peter: Dialog zwischen einem Juden, einem Philosophen und einem Christen (Collationes) II nr. 219-221

Peter Abaelard erklärt die Gutheit des göttlichen Handelns in der Freiheit, die er dem Teufel lässt
Egal, ob Gott dem Teufel gestattet, gegen die Heiligen oder gegen die Ungerechten zu wüten, es steht völlig außer Zweifel, dass er das, dessen Gestatten gut ist, nicht anders als gut gestattet, dass der Teufel aber nicht anders als schlecht dasjenige tut, dessen Getan-Werden trotzdem gut ist und eine vernünftige Ursache hat, warum es getan wird, auch wenn sie uns unbekannt ist. [...] Denn es wäre nicht gut, sie zu gestatten, wenn es nicht gut wäre, dass sie geschehen, und derjenige wäre nicht vollkommen gut, der das, dessen Geschehen nicht gut wäre, nicht verhinderte, obwohl er es könnte. Vielmehr wäre er eindeutig deswegen anzuklagen, weil er dem Geschehen von etwas zustimmte, dessen Geschehen nicht gut war. [...] Deswegen ist es auch gut, dass das Schlechte existiere oder geschehe, obwohl das Schlechte selbst keinesfalls gut ist.

Abaelard, Peter: Theologia ,Scholarium‘ (Theologia ,Scholarium‘) III 117

Peter Abaelard fragt sich nach der Rationalität menschlicher Trauer und menschlichen Leides
Denn es steht ja ganz klar fest [...], dass alles so bestmöglich durch ihn geschieht oder angeordnet wird, wie es besser nicht geschehen kann, und doch ereignet sich häufig vieles, worüber wir sehr traurig sind, wie wenn wir durch unseren Willen Gottes Willen entgegenstehen. [...] Da gibt es auch einen Sohn, der den greisen Vater mit solcher Liebe umarmt, dass er es doch, obwohl er sieht, dass er durch einen natürlichen Tod aufgelöst wird und er nicht bezweifelt, dass es in der Anordnung der Natur feststeht, dass er stirbt, in seinem ganzen Inneren betrauert, seine Anwesenheit zu verlieren. Obwohl das ehrfürchtig getan wird, steht doch bei allen fest, dass es unvernünftig getan wird, da es sowohl dem Sterbenden nicht nützt als auch den Trauernden umsonst belastet.

Abaelard, Peter: Sentenzen (Sententiae magistri Petri Abaelardi ) 26

Peter Abaelard erkennt die Nächstenliebe als legitimes Motiv von Trauer an
Also sind Weinen und Schmerzen dieser Art [...] unvernünftig, weil sie in einem Irrtum bestehen. [...] Trotzdem sind sie ohne Schuld, weil das aus einer Neigung wahrer oder irgendeiner Liebe hervorgeht.

Leibniz, Gottfried Wilhelm : Lateinische Zusammenfassung der Theodizee § 41

Gottfried Wilhelm Leibniz erklärt das geschaffene Universum zur besten aller möglichen Welten
Weil Weisheit die Güte Gottes anleitet, die sich in den Geschöpfen allgemein ausbreitet, folgt, dass die göttliche Vorsehung sich in der ganzen Reihe des Universums zeigt, und man muss zugeben, dass Gott aus unendlich vielen möglichen Reihen von Dingen die beste ausgewählt hat und dass dies genau die ist, die tatsächlich existiert.

Leibniz, Gottfried Wilhelm : Lateinische Zusammenfassung der Theodizee § 20f.

Leibniz sieht den göttlichen Willensentschluss als frei an
Zur Natur des Willens ist Freiheit erforderlich, die darin besteht, dass die willentliche Handlung spontan und überlegt ist, und zwar so sehr, dass sie die Notwendigkeit ausschließt, die die Überlegung aufheben würde. [...] Auch wenn Gott nämlich bei der Wahl nicht irren kann und daher immer wählt, was am richtigsten ist, steht dies doch seiner Freiheit nicht entgegen, so dass es sie eher am meisten vollendet sein lässt. Entgegen stünde es, wenn nur ein Objekt des Willens möglich wäre oder wenn nur eine Gestalt der Dinge möglich gewesen wäre; in diesem Fall würde die Fall aufhören und die Weisheit und Güte des Handelnden könnte nicht gelobt werden.

Bonaventura : Wegweiser für den Geist in Gott hinein (Itinerarium mentis in Deum) Prologus

Der christliche Theologe Bonaventura aus dem Franziskanerorden schildert die inneren Voraussetzungen des Mystikers
[1] Denn zu den göttlichen Betrachtungen, die zu geistigen Entrückungen führen, ist nur derjenige richtig aufgestellt, der wie Daniel ein Mann des Verlangens ist. Das Verlangen wird aber in uns auf zweifache Weise entzündet, nämlich durch das Schreien des Gebets, das ein Brüllen hervorruft aus dem Stöhnen des Herzens heraus, und durch den Glanz des Überlegens, in dem sich der Geist auf die direkteste und intensivste Weise den Strahlen des Lichts zuwendet. [...]
[2] Die vorliegenden Überlegungen lege ich dir vor mit dem Hinweis, dass der von außen vorgehaltene Spiegel wenig oder gar nichts nützt, wenn nicht der Spiegel unseres Geistes rein und sauber ist. Übe Dich also zuerst, Du Mensch Gottes, auf den beißenden Stachel des Gewissens hin, bevor du die Augen zu den Strahlen der Weisheit erhebst, die in ihren Spiegeln widerleuchten.