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Philosophische Zitate aus Antike und Mittelalter

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Seneca: Brief an Lucilius (Epistula ad Lucilium ) 20, 8f.

Seneca über das als-ob als Grundprinzip der philosophischen Entwicklung
,Wir sollen einen guten Menschen lieben und uns ihn immer vor Augen halten, damit auf diese Leise so leben, als ob er zuschauen würde‘. Das, mein lieber Lucilius, hat Epikur vorgeschrieben; er gab uns einen Wächter und Erzieher, und zwar zu Recht: Ein großer Teil der Vergehen wird aufgehoben, wenn ein Zeuge denen zur Seite steht, die auf dem Weg zum Vergehen sind.

Gregor Thaumaturgos : Dankrede an Origenes (Oratio prosphonetica ad Origenem ) VI 73-76

Gregor Thaumaturgos berichtet über seinen Empfang bei seinem philosophischen Lehrer Origenes
Er hat uns vom ersten Tag an aufgenommen; es war in Wahrheit mein erster, mein wertvollster Tag von allen, wenn ich so sagen darf; [...] als wir fortzulaufen versuchten, dachte er sich Kunstgriffe aller Art aus, um uns an sich zubinden, verwickelte uns in Unterhaltungen [...] und bot alle seine Kräfte auf. Er pries die Philosophie und die Liebhaber der Philosophie mit großen Lobreden und vielen passenden Worten, indem er sagte, nur diejenigen würden in Wahrheit ein Leben nach den Regeln der Vernunft führen, die sich bemühten, auf rechte Weise zu leben. Sie müssten zuerst sich selbst erkennen, wer sie sind, und dann dasjenige wahrhaft Gute, das der Mensch erstreben, und das wirklich Schlechte, das er meiden soll. Er tadelte die Unwissenheit und alle Unwissenden.

Gregor Thaumaturgos : Dankrede an Origenes (Oratio prosphonetica ad Origenem ) VI 81. 83

Zu Beginn der philosophischen Ausbildung schließt der Lehrer Origenes Freundschaft mit seinen Schülern, wie Gregor Thaumaturgos berichtet
Er schleuderte auch noch den Stachel der Freundschaft auf uns, gegen den man nicht leicht ankämpfen kann, weil er scharf und sehr zielsicher ist, [den Stachel] seiner Gewandtheit und guten Gesinnung, die uns schon allein durch seine Worte als sehr freundlich zu erkennen gab, wenn er uns ansprach und sich mit uns unterhielt. [...] Wie ein Funke, der mitten auf unsere Seele übersprang, wurde [die Liebe] zu dem heiligen, lieblichsten Wort selbst entzündet und angefacht, das wegen seiner unsagbaren Schönheit alle Menschen am mächtigsten anzieht, und zugleich die Liebe zu diesem Mann, seinem Freund und Fürsprecher.

Gregor Thaumaturgos : Dankrede an Origenes (Oratio prosphonetica ad Origenem ) VII 102-VIII 109

Gregor schildert die Dialektik beziehungsweise Logik als ersten Teil der philosophischen Ausbildung bei Origenes
a) Bei allem [...] stimmten wir den ersten besten Meinungen zu, von welcher Art sie auch sein mochten, auch wenn sie möglicherweise falsch waren, und widersprachen oft, auch wenn vielleicht etwas Wahres geäußert wurde. Auch darüber belehrte er uns durch [...] vielfältig nuancierte Worte.
b) Vielfältig ist nämlich dieser Teil der Philosophie, der daran gewöhnt, nicht blindlings und auch nicht aufs Geratewohl Zeugnisse zu verwerfen oder sie umgekehrt abzunicken, sondern nicht nur das, was deutlich sichtbar ist [...] und hervorsticht, genau zu untersuchen, das manchmal trügerisch und sophistisch erdacht ist, sondern auch das Innere sollten wir gründlich erforschen und jedes Einzelne ,rundherum abklopfen, ob‘ an dem Klang ,nicht vielleicht vielleicht etwas Schlechtes‘ sei (Platon, Philebos 55c). Erst wenn wir uns davon selbst überzeugt hätten, lehrte er uns, sollten wir auf solche Weise auch dem Äußeren zustimmen und über jedes Einzelne unsere Meinung sagen.
c) So wurde der urteilsfähige Teil unserer Seele auf die Weise der Logik ausgebildet [...]; dies [die Logik] sei das Notwendigste für alle [...] Menschen, die irgendeine Lebensweise wählen. [...] Und natürlich kann nur die Dialektik diese Gattung richtigstellen.

Gregor Thaumaturgos : Dankrede an Origenes (Oratio prosphonetica ad Origenem ) VIII 110-114

Gregor über Origenes’ Unterricht in der Naturphilosophie/Physik
[1] Durch andere Wissenschaften, die naturwissenschaftlichen, erläuterte er jedes einzelne Seiende und zerlegte ihn sehr genau in seine einfachsten Elemente; dann flocht er noch die Natur des Alls, eines jeden seiner einzelnen Teile und den vielgestaltigen Wechsel und die Veränderung der Dinge in der Welt in seine Rede ein, [...] die er teils gelernt, teils selbst herausgefunden hatte über die heilige Ordnung des Alls und die untadelige Natur; so weckte er in unseren Seelen anstelle eines vernunftlosen ein vernünftiges Staunen. Dieses Wissen lehrt die bei allen sehr beliebte Physiologie.
[2] Was soll ich über die heiligen Wissenschaften sagen, die [...] Geometrie und die [...] Astronomie? Jede einzelne prägte er unseren Seelen durch Lehre ein, [...] die eine als Grundlage schlechthin für alles [...], nämlich die Geometrie [...]; er führte uns aber auch durch die Astronomie hinauf bis zu den höchsten Dingen, wie durch eine Leiter, die bis zum Himmel ragt.

Gregor Thaumaturgos : Dankrede an Origenes (Oratio prosphonetica ad Origenem ) IX 115-117

Gregor über die Ethik als Höhepunkt der Philosophie
Das aber, das von allem das Wichtigste ist und um dessentwillen sich die gesamte Gruppe der Philosophen anstrengt, die [...] aus einer langen Beschäftigung mit allen anderen Lehrgebieten und mit der Philosophie edle Früchte erntet, sind die göttlichen Tugenden, die das Ethos betreffen, aus denen die Antriebe der Seele in einen unerschütterlichen und gefestigten Zustand versetzt werden. Er wollte uns sowohl frei von Leid als auch unempfindlich gegen alles Übel, ausgeglichen, gefestigt sowie wahrhaft gottähnlich und selig machen. Hierum bemühte er sich mit eigenen Worten über unseren Charakter und unser Verhalten, die beruhigend und weise, aber auch sehr zwingend waren. Und nicht nur durch Worte, sondern in gewisser Weise bereits auch durch Taten lenkte er unsere Antriebe, und zwar durch die Betrachtung und Prüfung der Antriebe und Leidenschaften der Seele.

Gregor Thaumaturgos : Dankrede an Origenes (Oratio prosphonetica ad Origenem ) XIII 150f

Die Theologie als Abschluss der philosophischen Ausbildung
Wie könnte ich wohl neben all seinem sonstigen Fleiß und Arbeitseifer seine Lehre und Gewissenhaftigkeit in Bezug auf die Theologie in meiner Rede weiter schildern und in die Grundhaltung dieses Mannes eindringen, mit welcher Einsicht und Vorbereitung er wollte, dass wir alle Inhalte über das Göttliche gründlich studierten, weil er darum besorgt war, dass wir keine Gefahr in Bezug auf das Allernotwendigste liefen, die Erkenntnis der Ursache von allem. Denn er forderte, dass wir Philosophie treiben, indem wir mit ganzer Kraft alle vorhandenen Schriften der alten Philosophen und Dichter lasen [...] außer denen der Atheisten.

Justin: Dialog mit dem Tryphon (Dialogus cum Tryphone ) 2, 3-5

Justin, Philosoph und Märtyrer, über seine Erfahrungen mit philosophischen Lehrern
a) Ich übergab mit am Anfang einem Stoiker. Nachdem ich einige Zeit mit ihm verbracht hatte, trennte ich mich von ihm, weil ich nichts weiter über Gott erfuhr (er wusste darüber selbst nichts, und dieser Lehrinhalt schien ihm nicht notwendig),
b) und ging zu einem anderen, einem sogenannten Peripatetiker, wie er glaubte, einem schlauen. Nachdem er mit mir an den ersten Tagen zufrieden war, forderte er, den Lohn festzulegen, damit der Unterricht für uns nicht nutzlos würde. Deswegen verließ ich ihn, da ich ihn überhaupt nicht für einen Philosophen hielt.
c) Da meine Seele aber vor Begierde brannte, das Spezifische und Herausragende der Philosophie zu hören, ging ich zu einem sehr angesehenen Pythagoreer. [...] ,Wie steht’s?‘ sagte er, ,Hattest Du Kontakt mit Musik, Astronomie und Geometrie? [...]‘ Nachdem er diese Fächer sehr gelobt hatte und sie notwendig nannte, schickte er mich weg, weil ich zugab, mich darin nicht auszukennen. Ich war also nachvollziehbarerweise traurig und gab die Hoffnung auf.

Lukian von Samosata: Hermotimos (Hermotimos) 2

Lukian von Samosata schildert die Ziele des stoischen Philosophieschülers Hermotimos
Lykinos: Wenn ich mich nicht irre, müssen es jetzt doch schon bald 20 Jahre sein, dass ich dich mit nichts anderem mehr beschäftigt sehe als mit deinen Lehrern, deinen Büchern und deinen Vorlesungsmitschriften? [...]
Hermotimos: Die Tugend wohnt weit weg [...], und der Pfad, der zu ihr führt, ist lang, steil und steinig – und nicht wenig schweißtreibend für die Wanderer! [...]
L.: Und – noch nicht genug geschwitzt, noch nicht genug gewandert?
H.: Nein, nein, und nochmals nein. Nichts würde mich ja vom völligen Glück trennen, wäre ich erst auf dem Gipfel.

Lukian von Samosata: Hermotimos (Hermotimos) 2. 6f

Hermotimos’ Weg und seine Schwierigkeiten
Ich will leben und wenigstens einen Tag die Glückseligkeit genießen, wenn ich ein Weiser geworden bin.
L.: Und das genügt dir, ein Tag? Für soviel Mühe?
H.: Egal wieviel! Es wird mir genügen.
L.: Und was ist nun mit den Verhältnissen oben auf dem Gipfel? Dass Glück herrscht und die Dinge so sind, dass man dafür alles ertragen muss, woher weißt du das? Denn du bist ja selbst noch nicht hinaufgestiegen?
H.: Da vertraue ich meinem Lehrer. [...]
L.: Bei den Göttern! Was hat er Dir darüber erzählt? Wie ist es dort? Und was herrscht dort für ein Glück? [...]
H.: Weisheit und Tapferkeit und das an sich Gute und Gerechte sowie das sichere Wissen von allem, wie es sich verhält. [...] Wer sich vollendet und die Tugend erlangt, der ist nicht mehr Sklave des Zorns, der Angst der Triebe, der kennt auch keinen Kummer mehr, ja jegliche Emotionen sind ihm fremd.

Lukian von Samosata: Hermotimos (Hermotimos) 11 f

Mögliche Gründe für das Ausfallen des Philosophieunterichts nach Lukian
L.: An der Tür hing ein Täfelchen, darauf stand in großen Buchstaben ,Heute wird nicht philosophiert‘. Es hieß, [dein Lehrer] habe den Abend bei dem wohlbekannten Euphrates gefeiert, der zum Geburtstag seiner Tochter einlud. Während des Symposions habe er viel philosophiert, sich mit dem Peripatetiker Euthydemos angelegt und sei mit ihm über einen der üblichen Punkte, wo sie den Stoikern widersprechen, in die Haare geraten. [...]
H.: Wer hat denn gewonnen, Lykinos, mein Lehrer oder Euthydemos? [...]
L.: Am Anfang, sagt man, stand es noch unentschieden, aber am Ende war der Sieg Eurer, und der alte Mann war turmhoch überlegen. Euthydemos, heißt es, ist dabei allerdings nicht ohne Blutvergießen nach Hause gekommen, sondern mit einem gewaltigen Loch im Kopf. Denn er war frech und spitzfindig und wollte sich nicht überzeugen lassen, er gab sich wohl auch nur wenige Blößen, und da packte Dein Lehrer, der Gute, seinen Pokal, einen wahren Nestorbecher, und drosch ihm, er lag ja neben ihm, damit auf den Kopf – und so siege er.
H.: Jawoll! Genau so muss man mit Leuten umgehen, die den Besseren nicht weichen wollen.

Lukian von Samosata: Hermotimos (Hermotimos) 46f

Lukian über die Aporie der philosophisch Wahrheitssuchenden
L.: Kannst Du mir jemand nennen, der jeden Weg in der Philosophie versucht hat, der die Lehre des Pythagoras, des Platon, des Aristoteles, des Chrysipp des Epikur und der übrigen kennt und deshalb schließlich aus all den vielen Wegen einen Weg gewählt hat, weil er ihn für den richtigen erachtete und, da er ihn ausprobiert hat, weiß, dass er allein zum Glück führt? Wenn wir so einen finden, dann hat unsere Not ein Ende.
H.: Nicht einfach, Lykinos, so einen Mann zu finden.

Lukian von Samosata: Hermotimos (Hermotimos) 71-73

Lukian präsentiert das philosophische Glücksideal als Chimäre
H.: Was hast du mir angetan, Lykinos! Mein Schatz – nichts als Kohlen! Und so viele Jahre, so viel Mühe – verschenkt!
L.: Aber, Hermotimos, du wirst weit weniger traurig sein, wenn du dir klarmachst, dass du nicht der einzige bist, dem das erhoffte Glück versagt bleibt, sondern dass alle sozusagen um des Esels Schatten kämpfen. [...] Du aber, mein Lieber, mach das nicht an mir fest. Ich habe eben einfach nur nicht weggeschaut, als du Schätze ausgegraben hast, geflogen bist und dich übernatürlichen Ansichten verschrieben und unerfüllbaren Hoffnungen hingegeben hast. Ich bin dein Freund, und deswegen, konnte ich nicht mit ansehen, wie du dein ganzes Leben einem Traum nachhängst, einem angenehmen Traum vielleicht, aber doch nur einem Traum. Vielmehr verlange ich von dir, dass du aufstehst und das Alltägliche erledigst, was dich außerdem dazu bringen wird, für den Rest des Lebens deine Aufmerksamkeit auf diese die Allgemeinheit betreffenden Dinge zu richten. Denn was du jedenfalls bis jetzt getan und gedacht hast, ist kaum zu unterscheiden von den Kentauren, den Chimären und den Gorgonen und all den anderen Hirngespinsten [...]. Und doch glaubt die Masse an sie.

Dion von Prusa: Rede an die Bewohner von Alexandrien (Oratio 32 ad Alexandrinos) § 9

Dion von Prusa über das Auftreten der Philosophen seiner Zeit
Das gilt noch mehr für die sogenannten Philosophen. Die einen von ihnen gehen überhaupt nicht unters Volk und wollen kein Risiko eingehen; vielleicht haben sie es aufgegeben, die Masse besser zu machen. Die in den sogenannten Hörsälen üben viel das Reden, wozu sie vertraglich an sie gebundene und gewöhnte Hörer annehmen. Von den sogenannten Kynikern gibt es in der Stadt keine kleine Menge. [...] Diese sammeln sich auf den Kreuzungen und Straßen, an den Eingängen der Heiligtümer und täuschen Kinder, Seeleute und derartigen Pöbel, wobei sie Scherze, viel Klatsch und die üblichen Marktantworten zusammennehmen. Gutes richten sie folglich gar nicht aus, aber denkbar viel Übel, wobei sie die Unverständigen daran gewöhnen über die Philosophen zu lachen, so als ob man Kinder daran gewöhnte, ihre Lehrer zu verachten.

Dion von Prusa: Rede an die Bewohner von Alexandrien (Oratio 32 ad Alexandrinos) § 12

Dion über seine eigene Sendung
Ich scheine dieses [d.i. die Philosophie] nicht von mir aus gewählt zu haben, sondern aus einer Art dämonischen Ansicht. Für die nämlich die Götter Vorsehung ausüben, denen verschaffen sie von selbst gute Ratgeber sowie das Sprechen von geeigneten und nützlichen Worten. Und dies solltet ihr am wenigsten bezweifeln, bei denen das Dämonische am meisten geehrt wird, am meisten seine Kraft zeigt und nicht nur jeden Tag durch Orakelsprüche und Träume. Glaubt also nicht, Gott würde sich nur um Schlafende kümmern und jedem auf eigene Weise das ihm Nützliche anraten, aber wenn ihr wacht, keine Sorge tragen und den Versammelten keinen Orakelspruch zeigen.

Dion von Prusa: Rede über die Verweigerung eines Amtes (Oratio 49 De recusatione magistratus) § 3f

Dion von Prusa über die politische Aufgabe des Philosophen
ὁ δὲ τῷ ὄντι φιλόσοφος οὐκ ἄλλο τι φανήσεται διαπονούμενος ἢ ὅπως ἄρχειν καλῶς δυνήσεται καὶ αὑτοῦ καὶ οἰκίας καὶ πόλεως τῆς μεγίστης καὶ συλλήβδην ἁπάντων ἀνθρώπων, ἂν ἐπιτρέπωσι, καὶ αὐτὸς μὲν οὐ προσδεήσεται οὐδενὸς ἄρχοντος ἀλλ’ ἢ τοῦ λόγου καὶ τοῦ θεοῦ, τῶν δὲ ἄλλων ἀνθρώπων ἐπιμελεῖσθαι καὶ φροντίζειν ἱκανὸς ἔσται. καὶ τοῦτο οὐδὲ τοὺς βασιλέας αὐτοὺς λέληθεν οὐδὲ τῶν ἐν ταῖς δυναστείαις ὅσοι μὴ τελέως ἄφρονες. τῶν γὰρ πεπαιδευμένων ἐν τοῖς μεγίστοις δέονται συμβούλους σφίσι γίγνεσθαι, καὶ τοῖς ἄλλοις προστάττοντες αὐτοὶ παρ’ ἐκείνων προστάγματα λαμβάνουσιν ἃ δεῖ πράττειν καὶ τίνων ἀπέχεσθαι.

Dion von Prusa: Rede über die Verweigerung eines Amtes (Oratio 49 De recusatione magistratus) § 13f

Dion von Prusa lobt und verweigert die politische Verantwortung
ἀλλὰ τοῦ γε ὄντως φιλοσόφου τὸ ἔργον οὐχ ἕτερόν ἐστιν ἢ ἀρχὴ ἀνθρώπων. ὅστις δὲ ὀκνεῖ τὴν αὑτοῦ πόλιν ἑκοῦσαν καὶ ἐπικαλουμένην διοικεῖν, οὐ φάσκων ἱκανὸς εἶναι, ὅμοιός ἐστιν ὥσπερ εἴ τις τὸ μὲν ἑαυτοῦ σῶμα θεραπεύειν μὴ θέλοι, ἀξιῶν ἰατρὸς εἶναι, ἄλλους δὲ ἀνθρώπους ἰατρεύοι προθύμως ἀργύριον ἢ τιμὰς λαμβάνων. [...] ‘οὐκοῦν τό γε ἀκόλουθόν ἐστι τοῖς λόγοις τούτοις ἄρχειν αὐτὸν βουλομένων ἡμῶν’. ἀλλ’ εὖ ἴστε ὅτι εἰ μή τι ἦν ἀδύνατον, οὐκ ἂν περιέμενον ὥστε ὑμᾶς ἀξιοῦν, ἀλλ’ αὐτὸς ἂν ἠξίουν καὶ παρεκάλουν.

Marinos von Neapolis: Proklos oder das Glück (Proclus sive de beatitudine) § 2

Marinos möchte Proklos als den glücklichsten Menschen beschreiben
Ich möchte die Rede beginnen [...], indem ich das Glück als, glaube ich, Fundament des seligen Mannes als das würdigste der Rede angebe. Ja, ich glaube, dass er der glücklichste Menschen geworden ist, die schon in langer Zeit vorher gelobt wurden, ich meine nicht nur auf die Weise des Glücks der Weisen, wenn er dieses auch in herausragender Weise besaß, auch nicht, als sei ihm die Tugend hinreichend zum guten Leben gewesen, auch nicht im Hinblick auf den bei der Masse gelobten Wohlstand, obwohl das Schicksal ihm auch diesen gut verschafft hatte [...]. Ich möchte beschreiben, dass ihm ein vollkommenes und in jeder Hinsicht makelloses Glück von beiden Seiten zur Verfügung stand. Nachdem wir die Tugenden zunächst in natürliche, ethische und politische, sowie dann die höheren, die kathartischen und theoretischen, auch die sogenannten theurgischen aufgeteilt haben, wobei wir die noch höheren verschweigen, weil sie schon übermenschlich geordnet sind, werden wir von den natürlicheren den Anfang machen.

Marinos von Neapolis: Proklos oder das Glück (Proclus sive de beatitudine) § 13

Marinos über Proklos‘ Ausbildung bei seinem zweiten Lehrer Syrian
[Syrian], der ihn übernahm, nützte ihm nicht nur noch mehr in Bezug auf die Lehren, sondern hatte ihn auch zum Hausgenossen sowohl des übrigen als auch des philosophischen Lebens. [...] In nicht einmal zwei ganzen Jahren las er mit ihm zusammen alle Abhandlungen des Aristoteles, die logischen, ethischen, politischen und physischen, sowie die über diese hinausgehende theologische Wissenschaft. Als er hinreichend durch sie geführt worden war, so wie durch Vorweihen und kleine Mysterien, führte [Syrian] ihn in die Mystagogie Platons der Ordnung nach ein. [...] Und die bei ihm zu findenden wahrhaft göttlichen Weihen ließ er ihn schauen mit den ungetrübten Augen der Seele und der unbefleckten Aussicht des Geistes, [...] so dass er in seinem 28. Lebensjahr vieles andere und besonders die subtilen und von Wissen ächzenden Kommentare zum Timaios schrieb. Durch diese Führung wurde sein Charakter noch mehr geschmückt, indem er mit dem Wissen die Tugenden erwarb.