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Philosophische Zitate aus Antike und Mittelalter

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Lukian von Samosata: Hermotimos (Hermotimos) 2

Lukian von Samosata (2. Jh.) schildert die Ziele des stoischen Philosophieschülers Hermotimos
Lykinos: Wenn ich mich nicht irre, müssen es jetzt doch schon bald 20 Jahre sein, dass ich dich mit nichts anderem mehr beschäftigt sehe als mit deinen Lehrern, deinen Büchern und deinen Vorlesungsmitschriften? [...]
Hermotimos: Die Tugend wohnt weit weg [...], und der Pfad, der zu ihr führt, ist lang, steil und steinig – und nicht wenig schweißtreibend für die Wanderer! [...]
L.: Und – noch nicht genug geschwitzt, noch nicht genug gewandert?
H.: Nein, nein, und nochmals nein. Nichts würde mich ja vom völligen Glück trennen, wäre ich erst auf dem Gipfel.

Lukian von Samosata: Hermotimos (Hermotimos) 2. 6f

Hermotimos schildert sein Ziel und die Schwierigkeit des Philosophierens, während Lykinos die Absurdität seiner Position darstellt
Ich will leben und wenigstens einen Tag die Glückseligkeit genießen, wenn ich ein Weiser geworden bin.
L.: Und das genügt dir, ein Tag? Für soviel Mühe?
H.: Egal wieviel! Es wird mir genügen.
L.: Und was ist nun mit den Verhältnissen oben auf dem Gipfel? Dass Glück herrscht und die Dinge so sind, dass man dafür alles ertragen muss, woher weißt du das? Denn du bist ja selbst noch nicht hinaufgestiegen?
H.: Da vertraue ich meinem Lehrer. [...]
L.: Bei den Göttern! Was hat er Dir darüber erzählt? Wie ist es dort? Und was herrscht dort für ein Glück? [...]
H.: Weisheit und Tapferkeit und das an sich Gute und Gerechte sowie das sichere Wissen von allem, wie es sich verhält. [...] Wer sich vollendet und die Tugend erlangt, der ist nicht mehr Sklave des Zorns, der Angst der Triebe, der kennt auch keinen Kummer mehr, ja jegliche Emotionen sind ihm fremd.

Lukian von Samosata: Hermotimos (Hermotimos) 11 f

Mögliche Gründe für das Ausfallen des Philosophieunterichts nach Lukian
L.: An der Tür hing ein Täfelchen, darauf stand in großen Buchstaben "Heute wird nicht philosophiert". Es hieß, [dein Lehrer] habe den Abend bei dem wohlbekannten Euphrates gefeiert, der zum Geburtstag seiner Tochter einlud. Während des Symposions habe er viel philosophiert, sich mit dem Peripatetiker Euthydemos angelegt und sei mit ihm über einen der üblichen Punkte, wo sie den Stoikern widersprechen, in die Haare geraten. [...]
H.: Wer hat denn gewonnen, Lykinos, mein Lehrer oder Euthydemos? [...]
L.: Am Anfang, sagt man, stand es noch unentschieden, aber am Ende war der Sieg Eurer, und der alte Mann war turmhoch überlegen. Euthydemos, heißt es, ist dabei allerdings nicht ohne Blutvergießen nach Hause gekommen, sondern mit einem gewaltigen Loch im Kopf. Denn er war frech und spitzfindig und wollte sich nicht überzeugen lassen, er gab sich wohl auch nur wenige Blößen, und da packte Dein Lehrer, der Gute, seinen Pokal, einen wahren Nestorbecher, und drosch ihm, er lag ja neben ihm, damit auf den Kopf – und so siege er.
H.: Jawoll! Genau so muss man mit Leuten umgehen, die den Besseren nicht weichen wollen.

Lukian von Samosata: Hermotimos (Hermotimos) 46f

Lukian über die Aporie der philosophisch Wahrheitssuchenden
L.: Kannst Du mir jemand nennen, der jeden Weg in der Philosophie versucht hat, der die Lehre des Pythagoras, des Platon, des Aristoteles, des Chrysipp des Epikur und der übrigen kennt und deshalb schließlich aus all den vielen Wegen einen Weg gewählt hat, weil er ihn für den richtigen erachtete und, da er ihn ausprobiert hat, weiß, dass er allein zum Glück führt? Wenn wir so einen finden, dann hat unsere Not ein Ende.
H.: Nicht einfach, Lykinos, so einen Mann zu finden.

Lukian von Samosata: Hermotimos (Hermotimos) 71-73

Lukian präsentiert das philosophische Glücksideal als Chimäre
H.: Was hast du mir angetan, Lykinos! Mein Schatz – nichts als Kohlen! Und so viele Jahre, so viel Mühe – verschenkt!
L.: Aber, Hermotimos, du wirst weit weniger traurig sein, wenn du dir klarmachst, dass du nicht der einzige bist, dem das erhoffte Glück versagt bleibt, sondern dass alle sozusagen um des Esels Schatten kämpfen. [...] Du aber, mein Lieber, mach das nicht an mir fest. Ich habe eben einfach nur nicht weggeschaut, als du Schätze ausgegraben hast, geflogen bist und dich übernatürlichen Ansichten verschrieben und unerfüllbaren Hoffnungen hingegeben hast. Ich bin dein Freund, und deswegen, konnte ich nicht mit ansehen, wie du dein ganzes Leben einem Traum nachhängst, einem angenehmen Traum vielleicht, aber doch nur einem Traum. Vielmehr verlange ich von dir, dass du aufstehst und das Alltägliche erledigst, was dich außerdem dazu bringen wird, für den Rest des Lebens deine Aufmerksamkeit auf diese die Allgemeinheit betreffenden Dinge zu richten. Denn was du jedenfalls bis jetzt getan und gedacht hast, ist kaum zu unterscheiden von den Kentauren, den Chimären und den Gorgonen und all den anderen Hirngespinsten [...]. Und doch glaubt die Masse an sie.

Dion von Prusa: Rede an die Bewohner von Alexandrien (Oratio 32 ad Alexandrinos) § 9

Dion von Prusa über das Auftreten der Philosophen seiner Zeit
Das gilt noch mehr für die sogenannten Philosophen. Die einen von ihnen gehen überhaupt nicht unters Volk und wollen kein Risiko eingehen; vielleicht haben sie es aufgegeben, die Masse besser zu machen. Die in den sogenannten Hörsälen üben viel das Reden, wozu sie vertraglich an sie gebundene und gewöhnte Hörer annehmen. Von den sogenannten Kynikern gibt es in der Stadt keine kleine Menge. [...] Diese sammeln sich auf den Kreuzungen und Straßen, an den Eingängen der Heiligtümer und täuschen Kinder, Seeleute und derartigen Pöbel, wobei sie Scherze, viel Klatsch und die üblichen Marktantworten zusammennehmen. Gutes richten sie folglich gar nicht aus, aber denkbar viel Übel, wobei sie die Unverständigen daran gewöhnen über die Philosophen zu lachen, so als ob man Kinder daran gewöhnte, ihre Lehrer zu verachten.

Dion von Prusa: Rede an die Bewohner von Alexandrien (Oratio 32 ad Alexandrinos) § 12

Dion über seine eigene Sendung
Ich scheine dieses [d.i. die Philosophie] nicht von mir aus gewählt zu haben, sondern aus einer Art dämonischen Ansicht. Für die nämlich die Götter Vorsehung ausüben, denen verschaffen sie von selbst gute Ratgeber sowie das Sprechen von geeigneten und nützlichen Worten. Und dies solltet ihr am wenigsten bezweifeln, bei denen das Dämonische am meisten geehrt wird, am meisten seine Kraft zeigt und nicht nur jeden Tag durch Orakelsprüche und Träume. Glaubt also nicht, Gott würde sich nur um Schlafende kümmern und jedem auf eigene Weise das ihm Nützliche anraten, aber wenn ihr wacht, keine Sorge tragen und den Versammelten keinen Orakelspruch zeigen.

Dion von Prusa: Rede über die Verweigerung eines Amtes (Oratio 49 De recusatione magistratus) § 3f

Dion von Prusa über die politische Aufgabe des Philosophen
ὁ δὲ τῷ ὄντι φιλόσοφος οὐκ ἄλλο τι φανήσεται διαπονούμενος ἢ ὅπως ἄρχειν καλῶς δυνήσεται καὶ αὑτοῦ καὶ οἰκίας καὶ πόλεως τῆς μεγίστης καὶ συλλήβδην ἁπάντων ἀνθρώπων, ἂν ἐπιτρέπωσι, καὶ αὐτὸς μὲν οὐ προσδεήσεται οὐδενὸς ἄρχοντος ἀλλ’ ἢ τοῦ λόγου καὶ τοῦ θεοῦ, τῶν δὲ ἄλλων ἀνθρώπων ἐπιμελεῖσθαι καὶ φροντίζειν ἱκανὸς ἔσται. καὶ τοῦτο οὐδὲ τοὺς βασιλέας αὐτοὺς λέληθεν οὐδὲ τῶν ἐν ταῖς δυναστείαις ὅσοι μὴ τελέως ἄφρονες. τῶν γὰρ πεπαιδευμένων ἐν τοῖς μεγίστοις δέονται συμβούλους σφίσι γίγνεσθαι, καὶ τοῖς ἄλλοις προστάττοντες αὐτοὶ παρ’ ἐκείνων προστάγματα λαμβάνουσιν ἃ δεῖ πράττειν καὶ τίνων ἀπέχεσθαι.

Dion von Prusa: Rede über die Verweigerung eines Amtes (Oratio 49 De recusatione magistratus) § 13f

Dion von Prusa lobt und verweigert die politische Verantwortung
ἀλλὰ τοῦ γε ὄντως φιλοσόφου τὸ ἔργον οὐχ ἕτερόν ἐστιν ἢ ἀρχὴ ἀνθρώπων. ὅστις δὲ ὀκνεῖ τὴν αὑτοῦ πόλιν ἑκοῦσαν καὶ ἐπικαλουμένην διοικεῖν, οὐ φάσκων ἱκανὸς εἶναι, ὅμοιός ἐστιν ὥσπερ εἴ τις τὸ μὲν ἑαυτοῦ σῶμα θεραπεύειν μὴ θέλοι, ἀξιῶν ἰατρὸς εἶναι, ἄλλους δὲ ἀνθρώπους ἰατρεύοι προθύμως ἀργύριον ἢ τιμὰς λαμβάνων. [...] ‘οὐκοῦν τό γε ἀκόλουθόν ἐστι τοῖς λόγοις τούτοις ἄρχειν αὐτὸν βουλομένων ἡμῶν’. ἀλλ’ εὖ ἴστε ὅτι εἰ μή τι ἦν ἀδύνατον, οὐκ ἂν περιέμενον ὥστε ὑμᾶς ἀξιοῦν, ἀλλ’ αὐτὸς ἂν ἠξίουν καὶ παρεκάλουν.

Marinos von Neapolis: Proklos oder das Glück (Proclus sive de beatitudine) § 2

Marinos möchte Proklos als den glücklichsten Menschen beschreiben
Ich möchte die Rede beginnen [...], indem ich das Glück als, glaube ich, Fundament des seligen Mannes als das würdigste der Rede angebe. Ja, ich glaube, dass er der glücklichste Menschen geworden ist, die schon in langer Zeit vorher gelobt wurden, ich meine nicht nur auf die Weise des Glücks der Weisen, wenn er dieses auch in herausragender Weise besaß, auch nicht, als sei ihm die Tugend hinreichend zum guten Leben gewesen, auch nicht im Hinblick auf den bei der Masse gelobten Wohlstand, obwohl das Schicksal ihm auch diesen gut verschafft hatte [...]. Ich möchte beschreiben, dass ihm ein vollkommenes und in jeder Hinsicht makelloses Glück von beiden Seiten zur Verfügung stand. Nachdem wir die Tugenden zunächst in natürliche, ethische und politische, sowie dann die höheren, die kathartischen und theoretischen, auch die sogenannten theurgischen aufgeteilt haben, wobei wir die noch höheren verschweigen, weil sie schon übermenschlich geordnet sind, werden wir von den natürlicheren den Anfang machen.

Marinos von Neapolis: Proklos oder das Glück (Proclus sive de beatitudine) § 13

Marinos über Proklos‘ Ausbildung bei seinem zweiten Lehrer Syrian
[Syrian], der ihn übernahm, nützte ihm nicht nur noch mehr in Bezug auf die Lehren, sondern hatte ihn auch zum Hausgenossen sowohl des übrigen als auch des philosophischen Lebens. [...] In nicht einmal zwei ganzen Jahren las er mit ihm zusammen alle Abhandlungen des Aristoteles, die logischen, ethischen, politischen und physischen, sowie die über diese hinausgehende theologische Wissenschaft. Als er hinreichend durch sie geführt worden war, so wie durch Vorweihen und kleine Mysterien, führte [Syrian] ihn in die Mystagogie Platons der Ordnung nach ein. [...] Und die bei ihm zu findenden wahrhaft göttlichen Weihen ließ er ihn schauen mit den ungetrübten Augen der Seele und der unbefleckten Aussicht des Geistes, [...] so dass er in seinem 28. Lebensjahr vieles andere und besonders die subtilen und von Wissen ächzenden Kommentare zum Timaios schrieb. Durch diese Führung wurde sein Charakter noch mehr geschmückt, indem er mit dem Wissen die Tugenden erwarb.

Marinos von Neapolis: Proklos oder das Glück (Proclus sive de beatitudine) § 13

Marinos über die politischen Tugenden und Aktivitäten des Proklos
Gewiss übernahm er auch die politischen [Tugenden] aus Aristoteles‘ politischen Schriften sowie Platons Nomoi und Politeia. Damit aber nicht der Eindruck entsteht, dass in diesem Bereich nur Lehre gewesen sei, er aber keine Arbeit berührt habe, forderte er, da er – wegen seiner Beschäftigung mit dem Höheren – an politischem Handeln gehindert wurde, Archiadas, den Liebling der Götter hierzu auf, indem er ihn lehrte und unterwies in den politischen Tugenden und Methoden. [...] Auch der Philosoph [Proklos] selbst befasste sich manchmal mit politischem Ratschluss, wenn der den allgemeinen Versammlungen über die Stadt [Athen] beiwohnte, verständig Ansichten äußerte sowie bei Treffen mit den Herrschenden diese nicht nur zu gerechten Dingen aufforderte, sondern sie durch philosophischen Freimut auf gewisse Weise zwang, jedem Einzelnen das Angemessene zuzuteilen.

Augustinus von Hippo: Bekenntnisse (Confessiones) I 2

Augustinus findet Gott vor allem in sich selbst
Und wie soll ich meinen Gott anrufen, meinen Gott und Herrn, wo ich ihn doch in mich selbst hineinrufen werde, wenn ich ihn anrufen werde? Und welcher Ort ist in mir, wohin mein Gott in mich kommen könnte? [...] Ist denn so, Herr mein Gott, etwas in mir, was Dich fassen würde? Aber Himmel und Erde, die Du geschaffen hast und in denen Du mich geschaffen hast – fassen sie Dich? Oder ist es so, dass deswegen, weil ohne Dich nichts von dem wäre, was ist, alles Dich fasst, was ist? Weil daher auch ich bin, was erstrebe ich, dass Du in mich kommst, der ich nicht wäre, wenn Du nicht in mir wärst?

Aspasios: Kommentar zur Nikomachischen Ethik p. 1, 1-11

Möglich wird die aristotelische Ausformulierung einer platonischen Position, indem man an die Vorstellung älterer Aristoteliker anschließt, z.B. dem platonisierenden Aspasios in seinem Kommentar zur Nikomachischen Ethik
Die Behandlung der Sitten, und insbesondere die Politik, ist im Hinblick auf die Notwendigkeit früher als die theoretische Philosophie, im Hinblick auf die Ehrwürdigkeit später. Denn insofern es unmöglich ist, gut zu leben, wenn man nicht besonnen und gerecht ist und überhaupt gut verfasst im Hinblick auf den Charakter und die Leidenschaften der Seele in eine gewisse Symmetrie gebracht hat, insofern erscheint die Politik und Ethik notwendig und deswegen früher zu sein [...]. Insofern aber die Weisheit über das Ehrwürdigste und Göttlichste handelt und die Werke der Natur betrachtet sowie noch Weiteres, viel Besseres und Bedeutenderes als das, was aus der Natur existiert (dies betrachtet die Erste Philosophie), insofern wird die theoretische Philosophie früher und ehrwürdiger genannt werden.

Ibn Rušd (Averroes): Kommentar zu Aristoteles’ Physik (In Aristotelis Physicam commentarium) N.N

Der arabische Aristoteliker Ibn Rušd/Averroes fasst in seinem Kommentar zur aristotelischen <i>Physik</i>, der ins Lateinische übersetzt wurde, noch einmal das aristotelische Curriculum zusammen
Der Nutzen dieses Buchs ist ein Teil des Nutzens der theoretischen Wissenschaft: und in der Wissenschaft, welche die willentlichen Handlungen betrachtet, wurde erklärt, dass das Sein des Menschen gemäß seiner letzten Vervollkommnung und seine vollkommene Substanz ist, dass er durch die theoretische Wissenschaft vervollkommnet wird; und diese Haltung ist für ihn die letzte Glückseligkeit und das ewige Leben. [...] Und Alexander erklärte im Prooem zu diesem Buch, wie die Wissenschaft von diesen Tugenden auf die theoretische Wissenschaft folgt. [...] Das Verhältnis dieses Buches zu allen theoretischen Wissenschaften, nämlich der Vergleich der Wissenschaft von der Natur, entspricht dem Verhältnis eines Teils zum Ganzen: denn die Wissenschaften sind auf zweierlei Weise: eine wird wegen der Übung aufgezählt, wie die Mathematik, die andere wegen der Vervollkommnung, deretwegen diese ist, und dies ist die Wissenschaft von der Natur und die göttliche [Wissenschaft].

Albertus Magnus: Über die Nikomachische Ethik (Super Ethica) X 16, quaestio 6 (Coloniensis 14, 2, 774, 51-775, 12)

Der Dominikaner-Mönch und begeisterte Aristoteliker Albertus Magnus sieht innerhalb des Christentums einen Platz für die philosophische Glücksvorstellung des Averroes
[1] Die theologische Kontemplation stimmt in einer Hinsicht mit der philosophischen überein und unterscheidet sich in einer anderen; daher sind beide nicht schlechthin identisch.
[2] Sie stimmt nämlich darin überein, dass es auch in der theologischen einen Einblick auf bestimmte geistige Dinge durch den Intellekt gibt, die ohne ein Hindernis durch die Leidenschaften von Seiten des Subjekts und durch einen Zweifel von Seiten des Glaubens darauf hingeordnet ist, in Gott zu ruhen, worin die höchste Glückseligkeit besteht.
[3] Sie unterscheidet sich aber im Habitus, im Ziel und im Objekt. Und zwar im Habitus, weil die theologische durch ein Licht betrachtet, das von Gott eingegeben wurde, aber der Philosoph durch den erworbenen Habitus der Weisheit; im Ziel, weil die theologische das letzte Ziel in der Betrachtung Gottes im Himmel ansetzt, aber der Philosoph in einer Vision, durch die er ein Stück weit in diesem Leben gesehen wird; zudem im Objekt [...] im Hinblick auf die Art und Weise, denn der Philosoph betrachtet Gott, insofern er ihn als eine bestimmte Konklusion aus einem Beweis besitzt, aber der Theologe betrachtet ihn als etwas, was oberhalb von Vernunft und Intellekt existiert.

Boethius von Dakien: Über das höchste Gut (De summo bono) p. 369, 1-8. 11-14

Boethius von Dakien, Philosophiedozent an der Artistenfakultät der Universität Paris, vertritt aktiv das philosophische Glücksideal im lateinischen Mittelalter
[1] Weil es für jede Art des Seienden irgendein mögliches höchstes Gut gibt, und der Mensch eine Art des Seienden ist, muss irgendein höchstes Gut für den Menschen möglich sein. Ich meine nicht das höchste Gut schlechthin, sondern das höchste für ihn [...].
[2] Was aber dieses höchste Gut ist, das dem Menschen möglich ist, wollen wir durch die Vernunft untersuchen.
[3] Das höchste Gut, das dem Menschen möglich, steht ihm gemäß seiner besten Tugend zu. [...] Die beste Tugend des Menschen aber sind die Vernunft und der Intellekt; denn die höchste menschliche Lebensführung besteht sowohl im Nachdenken als auch im Handeln. Also steht das höchste Gut, das dem Menschen möglich ist, ihm gemäß dem Intellekt zu.

Boethius, Anicius Manlius Severinus: Der Trost der Philosophie (Consolatio philosophiae ) I Prosa 4

Boethius berichtet der Philosophie über die Gründe für seine Verhaftung
Du hast doch durch Platons Mund diesen Satz bekräftigt: "Glücklich würden die Staaten sein, wenn entweder Philosophen sie regierten oder ihre Regenten sich der Philosophie befleißigten." [...] Dieser Autorität bin ich gefolgt und, was ich von dir in abgeschiedener Muße gelernt hatte, habe ich in die Praxis der Staatsverwaltung zu übertragen gesucht. Du und Gott, der dich dem Geiste der Weisen eingab, seid gewiss, nichts anderes hat mich zum Amte geführt als das gemeinsame Bemühen um alle Güter. Daher jene schwere unversöhnliche Zwietracht mit den Unredlichen, daher – hierin besteht die Freiheit des Gewissens – meine stete Geringschätzung einer Beleidigung der Mächtigen, um das Recht zu bewahren.

Boethius, Anicius Manlius Severinus: Der Trost der Philosophie (Consolatio philosophiae ) II Prosa 1

Die Philosophie erklärt Boethius, dass sein Unglück auf falsche Präferenzen zurückgeht
[1] Was also ist es, o Mensch, was dich in Schmerz und Trauer gestürzt hat? Etwas ganz Neues und Ungewohntes, glaube ich, hast du gesehen. Du meinst, das Glück (fortuna) habe sich dir gegenüber gewandelt: du irrst!
[2] Dies sind immer seine Sitten, dies ist seine Natur. Es hat vielmehr gerade in seiner Veränderlichkeit dir gegenüber seine ihm eigentümliche Beständigkeit bewahrt. [...].
[3] Denn eben sie, die dir jetzt Anlass zu so großer Trauer gibt, hätte dir zur Beruhigung dienen müssen. [...] Es darf nicht genügen, nur zu schauen, was vor den Augen liegt; die Klugheit ermisst den Ausgang der Dinge. [...] Schließlich musst du mit Gleichmut ertragen, was innerhalb des Bereiches des Glückes geschieht.

Boethius, Anicius Manlius Severinus: Der Trost der Philosophie (Consolatio philosophiae ) III Prosa 3. 8

Die Philosophie erklärt Boethius die unvollkommenen Güter und mahnt ihn, sein Verhältnis zu ihnen zu überdenken
[1] Erwäge nun, ob die Menschen durch das, wodurch sie Glück zu erreichen hoffen, zum festgesetzten Ziel zu gelangen vermögen. [...] Ich frage zuerst dich selbst, der du noch eben in Reichtum schwammst: Hat unter jenem Überfluss von Schätzen deinen Geist niemals Angst getrübt, die aus irgendeinem Unrecht erwuchs? – In der Tat, sagte ich, kann ich mich nicht erinnern, jemals so freien Geistes gewesen zu sein, dass mich nicht irgendeine Sorge geängstigt hätte. [...]
[2] Aus alledem dürfen wir zusammenfassend sagen: Das, was weder die Güter, die es verspricht, beschaffen kann, noch durch die Vereinigung aller Güter vollendet ist, führt weder als Weg zum Glück noch macht es die Menschen glücklich.