Perkams-Zitatenschatz.de

Philosophische Zitate aus Antike und Mittelalter

Zitatfinder

Ibn Sīnā (Avicenna): Die Seele (Buch der Genesung) Vorrede (p. 1f. Rahman)

Ibn Sīnā/Avicenna (908-1037) betont die Bedeutung der Lehre von der Seele für die Naturwissenschaft
[1] Und weil die Pflanzen und die Tiere als Substanzen in ihrem Wesen durch Form, nämlich die Seele, und Materie, nämlich den Körper und seine Glieder, konstituiert werden, und weil das Erste, worin das Wissen über etwas besteht, das ist, was von Seiten seiner Form kommt, hielten wir es für gut, zuerst über die Seele zu sprechen.
[2] Und dass wir das Wissen über die Seele nicht Stück für Stück darlegen, so dass wir zuerst über die Pflanzenseele und die Pflanzen, so dann über die Tierseele und die Tiere, und dann über die menschliche Seele und den Menschen sprechen, das liegt nur an zwei Gründen:
- Einer davon ist, dass dieses stückweise Vorgehen, das eines nach dem anderen in den Blick nimmt, zu dem gehört, was das Erlangen von Wissen über die Seele schwierig macht; und
- der zweite, dass […] dadurch unvermeidlich die Seelenvermögen abgetrennt werden, deren Art und deren Gattungen je für sich behandelt werden.

Abraham Ibn Daud: Vorwort zur Übersetzung von Avicennas De anima p. 3f

Der lateinische Übersetzer von Ibn Sīnās (Avicennas) „Über die Seele“, der Jude Abraham Ibn Daud (ca. 1110-1170), betont die geistige Bedeutung der Seele
[1] Obgleich alle aus Seele und Körper bestehen, sind nicht alle so sicher über die Seele wie über den Körper. Denn während dieser der Sinneswahrnehmung unterliegt, erreicht jene nur der Intellekt allein. Daher glauben die Menschen entweder, dass die Seele nichts sei, oder wenn sie vielleicht aufgrund der Bewegung des Körpers vermuten, dass sie ist, halten die meisten im Glauben fest, was oder wie beschaffen sie ist, aber nur wenige überzeugen davon mit Vernunft.
[2] Es ist aber unwürdig, dass der Mensch über den Teil von sich selbst, durch den er wissend ist, nichts weiß, das, wodurch er vernünftig ist, nicht mit der Vernunft selbst erfasst. Denn wie wird er sich selbst oder Gott lieben können, wenn er überzeugt ist, das, was in ihm am besten ist, nicht zu kennen?
[3] Denn der Mensch ist ja an seinem Körper niedriger als praktisch jedes Geschöpf, aber allein die Seele überragt die übrigen, in welcher er das Ebenbild seines Gottes deutlicher führt als alle übrigen.

Abraham Ibn Daud: Vorwort zur Übersetzung von Avicennas De anima p. 3f

Ibn Daud berichtet über das Zustandekommen und den Sinn seiner Avicenna-Übersetzung im Rahmen der aristotelischen Philosophie
Deswegen habe ich Sorge getragen, Herr, Euren Befehl, das Buch des Philosophen Avicenna über die Seele zu übersetzen, zu Ende zu führen, damit […] für die Lateiner gewiss wird, was bisher unbekannt war. […] Ihr habt also das Buch, wobei wir vorsprachen und die einzelnen Wörter in der Volkssprache vortrugen, und der Erzdiakon Dominicus [Gundisalvi bzw. Gundissalinus] das Einzelne ins Lateinische übersetzte, das aus dem Arabischen übertragen war. Ihr sollt wissen, dass hierin all das, was Aristoteles in seinem Buch „Über die Seele“ sagte […], vom Autor versammelt wurde.

Albertus Magnus: Über die Seele (De anima) I, 1, 1 (p. 1, 13-34 Kübel)

Im Gefolge des Aristoteles und Ibn Sīnā nimmt sich auch Albertus Magnus vor, wissenschaftlich über die Seele zu schreiben
[1] Jetzt aber wenden wir den Griffel der Behandlung der Naturen der beseelten Wesen zu, wobei wir der Ordnung, die wir zu Beginn unserer Naturwissenschaft für uns festgelegt haben, durch alles folgen. Weil aber das formale Prinzip von allem Beseelten die Seele ist, kann man folglich das Beseelte nur durch die Erkenntnis seiner Seelen erkennen, ebenso wie auch ein jedes der anderen Dinge nur durch seine Form erkannt wird, weil die Form das Prinzip des Seins und der Erkenntnis ist. […]
[2] Es gibt aber Werke der Seele und Eigenschaften so wie das sinnliche Wahrnehmen, Schlafen und Wachen, Sich-Ernähren und Atmen, Tod und Leben, über welche man […] sämtlich nach der Wissenschaft von der Seele Wissen erlangen muss, weil wir durch sie beim Wissen über die beseelten Körper viel Anleitung erfahren.
[3] Obwohl also die Seele und ihre Werke und Eigenschaften kein beweglicher Körper sind, welcher den Gegenstand der Naturphilosophie bildet, ist doch die Seele das Seinsprinzip für einen bestimmten derartigen Körper. Und daher muss man in der Naturwissenschaft Untersuchungen über sie anstellen.

Aristoteles: Über die Seele (De anima) I 1, 402a 5-7

Aristoteles über die Schwierigkeit der Lehre von der Seele
Wir suchen, ihre Natur und ihre Substanz zu betrachten und zu erkennen, sodann, was rings um diese hinzugekommen ist. Davon scheint manches eigentümliche Eigenschaften der Seele zu sein, anderes aber durch sie auch den Lebewesen zuzukommen. In jeglicher Hinsicht gehört es zum Schwierigsten, über sie eine bestimmte Überzeugung zu gewinnen.

Aristoteles: Über die Seele (De anima) I 1, 402a 12-19

Aristoteles betont die Schwierigkeit, die daraus resultiert, die richtige Methode für die Behandlung der Seele zu finden
Wenn nun die Untersuchung auch vielen anderen Dingen gemeinsam ist, ich meine die über die Substanz, das heißt das ,Was ist es?‘, könnte es rasch jemandem so scheinen, als gäbe es eine bestimmte Methode für alles, worüber wir die Substanz erkennen können, so wie den Beweis für das auf akzidentelle Weise Spezifische. […] Wenn es aber nicht eine bestimmte und gemeinsame Methode gibt […], wird die Behandlung noch schwieriger. Denn man wird für ein jedes begreifen müssen, was die Vorgehensweise, wenn dies aber klar ist, ob es ein Beweis ist, eine Dihairese oder noch eine andere Methode [...].

Aristoteles: Über die Seele (De anima) I 1, 402a 12-19

Aristoteles über mögliche Elemente einer wissenschaftlichen Rede über die Seele
[1] Zuerst ist es vielleicht notwendig zu analysieren, in welcher der Gattungen und was die Seele ist, ich meine, ob sie ein Dieses-da, das heißt eine Substanz, oder ein Wie-Beschaffen oder ein Wie-Viel ist, oder auch welche andere der unterschiedenen Kategorien; weiterhin aber, ob sie zu dem in Möglichkeit Seienden gehört oder eher eine gewisse Entelechie ist.
[2] Man muss auch schauen, ob sie geteilt oder ohne Teile ist […]. Denn gegenwärtig scheinen die, die über die Seele sprechen und Untersuchungen anstellen, nur die menschliche Seele in den Blick zu nehmen. Man muss aber vorsichtig sein, damit nicht verborgen bleibt, ob ihr Gehalt einer ist, wie der von ,Lebewesen‘, oder für jeden Einzelfall ein anderer, wie den von ,Pferd‘, von ,Hund‘, von ,Mensch‘, von ,Gott‘, während das allgemeine Lebewesen entweder nichts ist oder etwas Sekundäres;
[3] ferner aber […], ob man zuerst die ganze Seele oder ihre Teile untersuchen muss.

Priskian aus Lydien [Pseudo-Simplikios]: In De anima/Kommentar zu Aristoteles’ De anima (p. 1 Hayduck)

Der Neuplatoniker Priskian (um 515 n. Chr.) über seine Aufgabe als Kommentator von Aristoteles’ Schrift De anima
[1] Deswegen denke ich auch, dass man sich mit Bedacht ganz besonders an Aristoteles’ Untersuchung über die Seele halten muss. Gewiss wurden viele und wunderbare Beobachtungen über die Seele auch von Platon angestellt […].
[2] Seit aber Aristoteles seine Untersuchung über die Seele vollendete, herrscht, wie dem besten Beurteiler der Wahrheit, Jamblich [Platoniker des 4. Jhdts. n. Chr.], scheint, unter denen, die seine Aussagen erklären, große Uneinigkeit, und zwar nicht nur über die Auslegung des aristotelischen Textes, sondern auch ganz besonders über die Sachen selbst.
[3] Deswegen schien es auch mir gut, die Übereinstimmung des Philosophen mit sich selbst und mit der Wahrheit zu ergründen und zu beschreiben, wobei ich Polemiken gegen andere vermeide, aber in den Zweifelsfällen das Richtige aus Aristoteles’ klaren Lehren und Aussagen nachweise und mich überall, soweit möglich, an die Wahrheit über die Sachen gemäß Jamblichs Darlegung in seinen eigenen Schriften über die Seele halte.

Epikur: Brief an Herodot (Epistula ad Herodotum) § 63 und 67

Für die Körperlichkeit der Seele argumentiert Epikur (ca. 340-270 v. Chr.)
[1] Man muss mit Blick auf die Sinneswahrnehmungen und Eigenschaften sehen – denn so wird man die zuverlässigste Überzeugung erhalten –, dass die Seele ein leichter Körper ist, der über die ganze Zusammensetzung verteilt ist, der am ehesten dem Pneuma nahekommt, das eine bestimmte Beimischung von Wärme hat. […] Dies alles aber zeigen die Vermögen der Seele, das heißt die Eigenschaften, die Reaktionsfähigkeiten und die Gedanken sowie das, ohne welches wir sterben. Und gewiss muss, dass die Seele die Sinneswahrnehmung beherrscht, die stärkste Ursache liefern. […]
[2] Man muss zuvor bedenken, dass wir ,unkörperlich‘ in Bezug auf die engste Beziehung des Wortes über das sagen, das wohl an sich denkbar ist. An sich ist es aber nicht möglich, Unkörperliches zu denken, abgesehen vom Leeren. Das Leere kann aber weder wirken noch leiden. […] Diejenigen, die sagen, die Seele sei unkörperlich, sagen also gar nichts.

Johannes Philoponos : Kommentar zu Aristoteles’ „Über die Seele“ (In Aristotelis de Anima libros commentaria) (p. 12, 24-31)

Philoponos liefert selbst als Neuplatoniker Argumente für die Unkörperlichkeit der Seele von Seiten ihrer Rolle für den Körper
Dass nun keine Seele ein Körper sein kann, ist aus folgender Perspektive deutlich. Jeder Körper ist gemäß seiner Natur auflösbar […]. Deswegen braucht er etwas, das ihn zusammenhält. Ist nun dieses Zusammenhaltende, weil es entweder eine Seele ist oder eine andere Kraft, ein Körper oder unkörperlich? Wenn es ein Körper ist, wird es auch selbst wieder etwas Zusammenhaltendes brauchen. Wiederum fragen wir auch über dieses, ob es ein Körper oder unkörperlich ist, und dieses bis ins Unendliche. [Aber das ist absurd.] Also ist es notwendig, dass die zusammenhaltende Kraft der Körper unkörperlich ist. Beim Beseelten ist aber die Seele das die Körper Zusammenhaltende.

Johannes Philoponos : Kommentar zu Aristoteles’ „Über die Seele“ (In Aristotelis de Anima libros commentaria) (p. 12, 34-13, 17)

Philoponos argumentiert für die Unkörperlichkeit der Seele von der Sinneswahrnehmung her
Das niedrigste der Erkenntnisvermögen der Seele ist die Sinneswahrnehmung […]. Wenn nun das niedrigste unkörperlich ist, umso mehr die höheren. […] Aristoteles sagt, dass kein Körper gleichzeitig mit dem gleichen Teil Gegensätzliches auffassen kann. […] Die Sinneswahrnehmung fasst aber Gegenteiliges gleichzeitig auf. […] Wie nun fasst das Sehvermögen gleichzeitig Gegenteiliges auf? Mit dem gleichen Teil, oder mit einem anderen das Schwarze, mit einem anderen das Weiße? […] Das Urteilende muss ja nun Eines und dasselbe sein. […] Die Sinneswahrnehmung greift also ohne Teile zu, und ist deswegen […] unkörperlich.

Ibn Sīnā (Avicenna): Die Seele (Buch der Genesung) I 1 (p. 4 Rahman)

Ibn Sīnā (Avicenna) beginnt seine Ausführungen mit einem Beweis der Existenz der Seele
[1] Wir sagen: Das Erste, worüber wir sprechen müssen, ist nun der Beweis für das Sein derjenigen Sache, die wir ,Seele‘ nennen; dann sprechen wir über das, was darauf folgt. Nun sagen wir: Wir sehen gewiss Körper, die sich ernähren, schlafen, Ähnliches gebären, und dieses nicht aufgrund ebendieser Körper. Also bleibt übrig, dass es in ihren Wesenheiten unkörperliche Prinzipien dafür gibt. Und die Sache, aus der diese Akte hervorgehen, und überhaupt alles, was ein Prinzip ist für das Hervorbingen von Tätigkeiten, die nicht auf eine übliche Weise, durch den Willen geschehen, nennen wir Seele.
[2] Und diese Bezeichnung ist ein Name für diese Sache, nicht, insofern sie eine Substanz ist, sondern von Seiten dessen […], dass sie Prinzip für derartige Aktivitäten ist.

Robert von Melun: Zusammenstellung der Lehrsätze (Sententiae ) I, II, [0], praefatio et 1

Robert von Melun (1100-1167) führt, vor Bekanntwerden von Aristoteles’ Seelenlehre, in seiner Sentenzensumme in eine typische Behandlung des Menschen ein, wie sie im 12. Jahrhundert, vor Bekanntwerden von Aristoteles und Avicenna, bei den Lateinern üblich war
[1] Eines […] von dem, was in der Hauptaufzählung der begonnenen Abhandlung dargelegt wurde […], habe ich, soweit ich konnte, von Zweifel befreit, nämlich die Ursache für die Schöpfung des Menschen […]. Und daher […] ist das, was den zweiten Platz in der Aufzählung hat […], wie der Mensch geschaffen wurde, in einer sorgfältigen Untersuchung zu verfolgen. […]
[2] Der Mensch wurde nun aus zwei Substanzen geschaffen, nämlich einer körperlichen und einer anderen unkörperlichen. Insofern er aus einer körperlichen besteht, hat er mit den anderen Lebewesen die Teilhabe an der Natur gemeinsam. Aber in der Zusammensetzung der Form weist er einen Unterschied zu anderen Lebewesen auf. Denn diese haben eine zur Erde geneigte und tendierende Form, womit bezeichnet ist, dass von ihnen nichts erstrebt werden muss außer dem Irdischen. Die Form des Menschen aber ist hoch aufgerichtet […], wodurch deutlich angezeigt wird, dass er das schmecken soll, was oben ist, und mit ganzem Bemühen des Geistes dorthin tendieren, wo Christus zur Rechten des Vaters sitzt.

Albertus Magnus: Über die Seele (De anima) (p. 8, 47-77 Kübel)

Im Unterschied zu Vorgängern wie Robert von Melun bemüht sich Albertus Magnus um einen Anschluss an Aristoteles, dessen Seelenlehre inzwischen bekannt wurde
[1] Wenn unser Intellekt die Gehalte aufnimmt […] und sie von der Materie abstrahiert […], dann stellt er in ihnen Universalität her, und so ist das Universale später [als die Einzeldinge] und nicht vorher, wie Platon sagte. […]
[2] Dass das aber wahr ist […], bezeugt die Aristoteles-Übersetzung aus dem Arabischen: "Und wir müssen uns davor hüten, nicht zu wissen, ob die Definition von ihr [der Seele] dieselbe sei wie die Definition des ,Lebendigen‘ oder irgendworin eine andere, zum Beispiel die Definition von ,Pferd‘, von ,Hund‘, von ,Mensch‘ und von ,Gott‘. Das Lebendige ist aber entweder gar kein Universale oder ein Letztes [vgl. Text 3, [2]]." Und dies legt Averroes [Ibn Rušd, 1126-1198] so aus, wie hier gesagt wurde. Die Übersetzung aus dem Griechischen weicht von dieser ab und ist, glaube ich, fehlerhaft. Sie lautet nämlich so: "Man muss aber schauen, dass nicht verborgen bleibt, ob es einen Gehalt von ihr [= der Seele] gibt oder ob sie, wie die des Lebewesens ist, für jedes eine andere." […]
[3] Aber weil wir feststellen, dass die griechischen Übersetzungen [im Allgemeinen] korrekter sind als die arabischen, […] sagen wir, dass das Lebewesen als Gattung einen Gehalt hat. Wenn aber ,Lebewesen‘ […] in einem jeden aufgefasst wird, dann ändert sich sein Sein aufgrund der Unterschiede der Arten, die ihm zugefügt wurden.

Aristoteles: Über die Seele (De anima) I 1, 402b 9-16

Aristoteles stellt methodische Überlegungen dazu an, wie man die Teile oder Vermögen der Seele zu erforschen hat
Weiterhin aber ist, wenn es nicht viele Seelen gibt, sondern Teile, [zu überlegen,] ob man zuerst die ganze Seele oder die Teile untersuchen soll. Schwierig ist es sodann auch zu definieren, welche von diesen verschieden voneinander sind, und ob man die Teile zuerst untersuchen soll oder ihre Aktivitäten, zum Beispiel [zuerst] das Denken oder den Geist, sowie [zuerst] das sinnliche Wahrnehmen oder das Wahrnehmungsvermögen. Auf ähnliche Weise auch bei den anderen [Seelenteilen]. Wenn aber die Aktivitäten zuerst [zu untersuchen sein sollen], wird jemand wiederum das Problem aufwerfen, ob die Gegenstände früher als diese untersucht werden müssen, wie das Sinnesobjekt vor dem Wahrnehmungsvermögen, und das Denkobjekt vor dem Denken.

Aristoteles: Über die Seele (De anima) II 2, 413a 27-27; II 3, 414a 30-b 7

Aristoteles erläutert seine Theorie der Teile und der Einheit der Seele
[1] Das Beseelte wird vom Unbeseelten durch das Leben unterschieden. Da aber ,leben‘ auf mehrfache Weise ausgesagt wird, sagen wir auch dann, wenn nur eines davon vorhanden ist, dass etwas lebe, also [im Hinblick auf] Geist, Sinneswahrnehmung, Bewegung und Ruhe, nämlich dem Ort nach, ferner Bewegung der Ernährung nach, sowie Zugrunde-Gehen und Wachsen. Deswegen scheint alles Pflanzliche zu leben. […]
[2] Von den Vermögen der Seele sind bei manchem alle genannten vorhanden, […] bei manchem einige von ihnen, bei manchem eine allein. […] Bei den Pflanzen ist aber nur das Nährvermögen vorhanden, bei anderem dieses und das Wahrnehmungsvermögen. Wenn aber das Wahrnehmungsvermögen [vorhanden ist], auch das Strebevermögen. Denn das Streben ist ja Begehren, Zornmut und Wollen.
[3] Alle Lebewesen haben aber eine der Sinneswahrnehmungen, den Tastsinn. Was aber Sinneswahrnehmung besitzt, besitzt auch Freude und Beschwernis, so wie etwas Freudvolles und Beschwerliches. Wo aber dies vorhanden ist, ist es auch Begehren. Denn das Streben richtet sich auf das Freudvolle.

Aristoteles: Über die Seele (De anima) II 2, 413a 27-27; 414b 20-27

Aristoteles erklärt die Einheit der Seele
Es ist also klar, dass der Gehalt von ,Seele‘ auf dieselbe Weise einer ist wie der von ,[geometrischer] Figur‘. Denn weder gibt es in diesem Fall eine Figur abgesehen vom Dreieck und dem darauf Aufbauenden, noch hier eine Seele abgesehen von den genannten. Es dürfte aber für die Figuren einen gemeinsamen Gehalt gegeben, der folglich zu allen passt, aber für keine Figur spezifisch ist. Ebenso ist es auch bei den genannten Seelen. Deswegen ist es lächerlich, den allgemeinen Gehalt [von Seele] zu untersuchen […], der doch für keine ein spezifischer Gehalt sein wird, und auch nicht der eigentümlichen und individuellen Form entsprechend.

Ibn Sīnā (Avicenna): Die Seele (Buch der Genesung) I 5 (p. 50f. Rahman)

Ibn Sīnā betont die Rolle des Intellekts (al-ʿaql), differenziert das Phänomen weiter auf und führt innere Sinne wie das Einschätzungsvermögen ein
[1] Bedenke nun und betrachte die Lage dieser Vermögen, wie einige über andere herrschen und wie einige anderen dienen.
[2] Dann musst Du den erworbenen Intellekt als Herrscher ansetzen, und alle dienen ihm, und er ist der äußerste Gipfel. Sodann dient dem Intellekt im Akt der habituelle Intellekt, und der materielle Intellekt dient, insofern es in ihm Aufnahmebereitschaft gibt, dem habituellen Intellekt. Sodann dient der praktische Intellekt all diesen, weil die körperliche Zusammensetzung […] wegen der Vollendung, Reinigung und Läuterung des theoretischen Intellekts erfolgt. Und der praktische Intellekt leitet diese Zusammensetzung.
[3] Sodann dient dem praktischen Intellekt das Einschätzungsvermögen, und diesem dienen zwei Vermögen, das ihm vorhergehende und das ihm nachfolgende Vermögen. Dabei ist das Vermögen, das ihm nachfolgt, dasjenige, das aufbewahrt, was das Einschätzungsvermögen erbracht hat, also das Gedächtnis. Und das Vermögen, das ihm vorhergeht, sind alle dem Lebewesen zukommenden Vermögen.

Albertus Magnus: Über die Seele (De anima) I 1, 1 (p. 2 Kübel)

Schon zu Beginn seiner Schrift über die Seele betont Albert, in der Sprache des lateinischen Mittelalters, die Freiheit des Denkens und Wollens der rationalen Seele
[1] Die Kräfte […] der rationalen Seele sind ohne irgendein körperliches Werkzeug tätig. Deswegen sind sie auch allgemein in Bezug auf alles tätig. Denn der Intellekt erkennt alles, und die Vernunft denkt über alles nach, und der Wille ist frei dazu, sich allem zuzuwenden, was er will. […] Die rationale Seele scheint also mit ihren Kräften nicht das Prinzip und die Form oder Vollendung (welche die Griechen endelechia nennen) irgendeines Körpers oder Körperteils zu sein, und es folglich nicht dem Physiker zuzukommen, sie zu behandeln.
[2] Aber man muss erkennen, dass die rationale Seele im Körper des Menschen ist und seine Vollendung ist, insofern er Mensch ist. Und insofern sie die Vollendung eines Menschen ist, hat sie keine Anbindung an irgendeinen Teil des Menschen. Vielmehr wird sie dadurch, dass sie frei und allgemein erkennt und will, von allem anderen abgetrennt, mit dem sie in der Gattungsnatur übereinstimmt. Und sofern die Seele die Vollendung dieses Beseelten ist, fällt sie unter die Betrachtung des Naturphilosophen.