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Philosophische Zitate aus Antike und Mittelalter

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Johannes Philoponos : Kommentar zu Aristoteles’ „Über die Seele“ (In Aristotelis de Anima libros commentaria) p. 12, 34-13, 17

Philoponos argumentiert für die Unkörperlichkeit der Seele von der Sinneswahrnehmung her
Das niedrigste der Erkenntnisvermögen der Seele ist die Sinneswahrnehmung […]. Wenn nun das niedrigste unkörperlich ist, umso mehr die höheren. […] Aristoteles sagt, dass kein Körper gleichzeitig mit dem gleichen Teil Gegensätzliches auffassen kann. […] Die Sinneswahrnehmung fasst aber Gegenteiliges gleichzeitig auf. […] Wie nun fasst das Sehvermögen gleichzeitig Gegenteiliges auf? Mit dem gleichen Teil, oder mit einem anderen das Schwarze, mit einem anderen das Weiße? […] Das Urteilende muss ja nun Eines und dasselbe sein. […] Die Sinneswahrnehmung greift also ohne Teile zu, und ist deswegen […] unkörperlich.

Ibn Sīnā (Avicenna): Über die Seele Buch der Genesung, I 1 (p. 4 Rahman)

Ibn Sīnā (Avicenna) beginnt seine Ausführungen mit einem Beweis der Existenz der Seele
[1] Wir sagen: Das Erste, worüber wir sprechen müssen, ist nun der Beweis für das Sein derjenigen Sache, die wir ,Seele‘ nennen; dann sprechen wir über das, was darauf folgt. Nun sagen wir: Wir sehen gewiss Körper, die sich ernähren, schlafen, Ähnliches gebären, und dieses nicht aufgrund ebendieser Körper. Also bleibt übrig, dass es in ihren Wesenheiten unkörperliche Prinzipien dafür gibt. Und die Sache, aus der diese Akte hervorgehen, und überhaupt alles, was ein Prinzip ist für das Hervorbingen von Tätigkeiten, die nicht auf eine übliche Weise, durch den Willen geschehen, nennen wir Seele.
[2] Und diese Bezeichnung ist ein Name für diese Sache, nicht, insofern sie eine Substanz ist, sondern von Seiten dessen […], dass sie Prinzip für derartige Aktivitäten ist.

Robert von Melun: Zusammenstellung der Lehrsätze (Sententiae ) I, II, [0], praefatio et 1

Robert von Melun (1100-1167) führt, vor Bekanntwerden von Aristoteles’ Seelenlehre, in seiner Sentenzensumme in eine typische Behandlung des Menschen ein, wie sie im 12. Jahrhundert, vor Bekanntwerden von Aristoteles und Avicenna, bei den Lateinern üblich war
[1] Eines […] von dem, was in der Hauptaufzählung der begonnenen Abhandlung dargelegt wurde […], habe ich, soweit ich konnte, von Zweifel befreit, nämlich die Ursache für die Schöpfung des Menschen […]. Und daher […] ist das, was den zweiten Platz in der Aufzählung hat […], wie der Mensch geschaffen wurde, in einer sorgfältigen Untersuchung zu verfolgen. […]
[2] Der Mensch wurde nun aus zwei Substanzen geschaffen, nämlich einer körperlichen und einer anderen unkörperlichen. Insofern er aus einer körperlichen besteht, hat er mit den anderen Lebewesen die Teilhabe an der Natur gemeinsam. Aber in der Zusammensetzung der Form weist er einen Unterschied zu anderen Lebewesen auf. Denn diese haben eine zur Erde geneigte und tendierende Form, womit bezeichnet ist, dass von ihnen nichts erstrebt werden muss außer dem Irdischen. Die Form des Menschen aber ist hoch aufgerichtet […], wodurch deutlich angezeigt wird, dass er das schmecken soll, was oben ist, und mit ganzem Bemühen des Geistes dorthin tendieren, wo Christus zur Rechten des Vaters sitzt.

Albertus Magnus: Über die Seele (De anima) (p. 8, 47-77 Kübel)

Im Unterschied zu Vorgängern wie Robert von Melun bemüht sich Albertus Magnus um einen Anschluss an Aristoteles, dessen Seelenlehre inzwischen bekannt wurde
[1] Wenn unser Intellekt die Gehalte aufnimmt […] und sie von der Materie abstrahiert […], dann stellt er in ihnen Universalität her, und so ist das Universale später [als die Einzeldinge] und nicht vorher, wie Platon sagte. […]
[2] Dass das aber wahr ist […], bezeugt die Aristoteles-Übersetzung aus dem Arabischen: "Und wir müssen uns davor hüten, nicht zu wissen, ob die Definition von ihr [der Seele] dieselbe sei wie die Definition des ,Lebendigen‘ oder irgendworin eine andere, zum Beispiel die Definition von ,Pferd‘, von ,Hund‘, von ,Mensch‘ und von ,Gott‘. Das Lebendige ist aber entweder gar kein Universale oder ein Letztes [vgl. Text 3, [2]]." Und dies legt Averroes [Ibn Rušd, 1126-1198] so aus, wie hier gesagt wurde. Die Übersetzung aus dem Griechischen weicht von dieser ab und ist, glaube ich, fehlerhaft. Sie lautet nämlich so: "Man muss aber schauen, dass nicht verborgen bleibt, ob es einen Gehalt von ihr [= der Seele] gibt oder ob sie, wie die des Lebewesens ist, für jedes eine andere." […]
[3] Aber weil wir feststellen, dass die griechischen Übersetzungen [im Allgemeinen] korrekter sind als die arabischen, […] sagen wir, dass das Lebewesen als Gattung einen Gehalt hat. Wenn aber ,Lebewesen‘ […] in einem jeden aufgefasst wird, dann ändert sich sein Sein aufgrund der Unterschiede der Arten, die ihm zugefügt wurden.

Aristoteles: Über die Seele (De anima) I 1, 402b 9-16

Aristoteles stellt methodische Überlegungen dazu an, wie man die Teile oder Vermögen der Seele zu erforschen hat
Weiterhin aber ist, wenn es nicht viele Seelen gibt, sondern Teile, [zu überlegen,] ob man zuerst die ganze Seele oder die Teile untersuchen soll. Schwierig ist es sodann auch zu definieren, welche von diesen verschieden voneinander sind, und ob man die Teile zuerst untersuchen soll oder ihre Aktivitäten, zum Beispiel [zuerst] das Denken oder den Geist, sowie [zuerst] das sinnliche Wahrnehmen oder das Wahrnehmungsvermögen. Auf ähnliche Weise auch bei den anderen [Seelenteilen]. Wenn aber die Aktivitäten zuerst [zu untersuchen sein sollen], wird jemand wiederum das Problem aufwerfen, ob die Gegenstände früher als diese untersucht werden müssen, wie das Sinnesobjekt vor dem Wahrnehmungsvermögen, und das Denkobjekt vor dem Denken.

Aristoteles: Über die Seele (De anima) II 2, 413a 27-27; II 3, 414a 30-b 7

Aristoteles erläutert seine Theorie der Teile und der Einheit der Seele
[1] Das Beseelte wird vom Unbeseelten durch das Leben unterschieden. Da aber ,leben‘ auf mehrfache Weise ausgesagt wird, sagen wir auch dann, wenn nur eines davon vorhanden ist, dass etwas lebe, also [im Hinblick auf] Geist, Sinneswahrnehmung, Bewegung und Ruhe, nämlich dem Ort nach, ferner Bewegung der Ernährung nach, sowie Zugrunde-Gehen und Wachsen. Deswegen scheint alles Pflanzliche zu leben. […]
[2] Von den Vermögen der Seele sind bei manchem alle genannten vorhanden, […] bei manchem einige von ihnen, bei manchem eine allein. […] Bei den Pflanzen ist aber nur das Nährvermögen vorhanden, bei anderem dieses und das Wahrnehmungsvermögen. Wenn aber das Wahrnehmungsvermögen [vorhanden ist], auch das Strebevermögen. Denn das Streben ist ja Begehren, Zornmut und Wollen.
[3] Alle Lebewesen haben aber eine der Sinneswahrnehmungen, den Tastsinn. Was aber Sinneswahrnehmung besitzt, besitzt auch Freude und Beschwernis, so wie etwas Freudvolles und Beschwerliches. Wo aber dies vorhanden ist, ist es auch Begehren. Denn das Streben richtet sich auf das Freudvolle.

Aristoteles: Über die Seele (De anima) II 2, 413a 27-27; 414b 20-27

Aristoteles erklärt die Einheit der Seele
Es ist also klar, dass der Gehalt von ,Seele‘ auf dieselbe Weise einer ist wie der von ,[geometrischer] Figur‘. Denn weder gibt es in diesem Fall eine Figur abgesehen vom Dreieck und dem darauf Aufbauenden, noch hier eine Seele abgesehen von den genannten. Es dürfte aber für die Figuren einen gemeinsamen Gehalt gegeben, der folglich zu allen passt, aber für keine Figur spezifisch ist. Ebenso ist es auch bei den genannten Seelen. Deswegen ist es lächerlich, den allgemeinen Gehalt [von Seele] zu untersuchen […], der doch für keine ein spezifischer Gehalt sein wird, und auch nicht der eigentümlichen und individuellen Form entsprechend.

Ibn Sīnā (Avicenna): Über die Seele Buch der Genesung, I 5 (p. 50f. Rahman)

Ibn Sīnā betont die Rolle des Intellekts (<i>al-ʿaql</i>), differenziert das Phänomen weiter auf und führt innere Sinne wie das Einschätzungsvermögen ein
[1] Bedenke nun und betrachte die Lage dieser Vermögen, wie einige über andere herrschen und wie einige anderen dienen.
[2] Dann musst Du den erworbenen Intellekt als Herrscher ansetzen, und alle dienen ihm, und er ist der äußerste Gipfel. Sodann dient dem Intellekt im Akt der habituelle Intellekt, und der materielle Intellekt dient, insofern es in ihm Aufnahmebereitschaft gibt, dem habituellen Intellekt. Sodann dient der praktische Intellekt all diesen, weil die körperliche Zusammensetzung […] wegen der Vollendung, Reinigung und Läuterung des theoretischen Intellekts erfolgt. Und der praktische Intellekt leitet diese Zusammensetzung.
[3] Sodann dient dem praktischen Intellekt das Einschätzungsvermögen, und diesem dienen zwei Vermögen, das ihm vorhergehende und das ihm nachfolgende Vermögen. Dabei ist das Vermögen, das ihm nachfolgt, dasjenige, das aufbewahrt, was das Einschätzungsvermögen erbracht hat, also das Gedächtnis. Und das Vermögen, das ihm vorhergeht, sind alle dem Lebewesen zukommenden Vermögen.

Albertus Magnus: Über die Seele (De anima) I 1, 1 (p. 2 Kübel)

Schon zu Beginn seiner Schrift über die Seele betont Albert, in der Sprache des lateinischen Mittelalters, die Freiheit des Denkens und Wollens der rationalen Seele
[1] Die Kräfte […] der rationalen Seele sind ohne irgendein körperliches Werkzeug tätig. Deswegen sind sie auch allgemein in Bezug auf alles tätig. Denn der Intellekt erkennt alles, und die Vernunft denkt über alles nach, und der Wille ist frei dazu, sich allem zuzuwenden, was er will. […] Die rationale Seele scheint also mit ihren Kräften nicht das Prinzip und die Form oder Vollendung (welche die Griechen endelechia nennen) irgendeines Körpers oder Körperteils zu sein, und es folglich nicht dem Physiker zuzukommen, sie zu behandeln.
[2] Aber man muss erkennen, dass die rationale Seele im Körper des Menschen ist und seine Vollendung ist, insofern er Mensch ist. Und insofern sie die Vollendung eines Menschen ist, hat sie keine Anbindung an irgendeinen Teil des Menschen. Vielmehr wird sie dadurch, dass sie frei und allgemein erkennt und will, von allem anderen abgetrennt, mit dem sie in der Gattungsnatur übereinstimmt. Und sofern die Seele die Vollendung dieses Beseelten ist, fällt sie unter die Betrachtung des Naturphilosophen.

Albertus Magnus: Über den Intellekt und das Intelligible (De intellectu et intelligibili) I 6 (p. 11 Donati)

Die Universalität der Seele ergibt sich für Albertus Magnus aus ihrer Verbindung mit der ersten Ursache
Es ist […] leicht […], die Natur der Intellektseele zu bestimmen, weil sie diese Natur aus dem Hervorgehen von der ersten Ursache heraus besitzt, das nicht bis zur Vermischung mit Materie emaniert. Und daher wird sie von einigen Weisen unseres Gesetzes ,Bild Gottes‘ genannt. Denn aus der so beschaffenen Angleichung an die erste Ursache hat er einen allgemein wirkenden Intellekt, der so wie das Licht abgetrennt ist. […] Daraus jedoch, dass sich diese Natur einem organischen physischen Körper annäherte, sinkt ihre Intellektnatur ein wenig [in die Körperwelt] ein, und daher hat sie einen möglichen Intellekt, der etwas von Vorstellung und Sinneswahrnehmung empfängt. Und dadurch, dass diese Natur abgetrennt und nicht an sich in die Materie eingetaucht ist, muss sie allgemein sein. Und daher ist die Seele fähig, allgemein alles zu erkennen. […] Die sinnliche Erkenntniskraft, die ein Akt des materiellen Organs ist, kann nur bestimmte [Erkenntnisse] empfangen.

Aristoteles: Über die Seele (De anima) I 2, 403b 24-31 und 405b 32-406a 16

Aristoteles kritisiert die Vorstellung, die Seele könne selbstbewegend sein
[1] Das Beseelte scheint sich gewiss vom Unbeseelten vor allem durch Zweierlei zu unterscheiden, durch Bewegung und durch Wahrnehmen. Wir haben auch von unseren Vorgängern im Großen und Ganzen diese zwei Punkte über die Seele überliefert bekommen.
[2] Denn es sagen einige, […] die Seele sei das Bewegende, wobei sie glauben, etwas selbst nicht Bewegtes könne nicht etwas anderes bewegen. […]. Vielleicht […] ist es nicht nur falsch, dass ihre Substanz so ist, wie die sagen, die behaupten, die Seele sei etwas Selbstbewegendes oder bewegen Könnendes, sondern es gehört zum Unmöglichen, dass ihr selbst Bewegung zukommt. […]
[3] Jetzt untersuchen wir über die Seele, ob ihr an sich selbst Bewegung zukommt und sie an Bewegung Anteil hat. Da es nun vier Bewegungen gibt – Ortsbewegung, Veränderung, Schrumpfen, Wachstum –, muss sie entweder auf eine dieser Weisen, auf mehrere oder auf alle bewegt werden. Wenn sie aber nicht akzidentell bewegt wird, muss ihr die Bewegung von Natur aus zukommen. Wenn das aber der Fall ist, auch ein Ort. Denn alle genannten Bewegungen finden an einem Ort statt.

Johannes Philoponos : Kommentar zu Aristoteles’ „Über die Seele“ (In Aristotelis de Anima libros commentaria) (p. 9, 21-10, 3 und 12, 10-12 Hayduck)

Johannes Philoponos gibt einen Überblick über den antiken Diskussionsstand zur Frage nach der Abtrennbarkeit aus neuplatonischer Perspektive
[1] Und von denen, die [die Seele] nicht abtrennbar nannten, sagten manche, sie sei das Verhältnis der Mischung [der Elemente], wie zum Beispiel: Wenn doppelt so viel Feuer mit Wasser vermischt wird […] oder etwas derartiges, macht das die Seele. […] Andere aber [sagten, sie sei] die Mischung selbst, andere, eine Entelechie. Entelechie aber ist die Vollendung, das heißt die Form für das Zugrundeliegende.
[2] Von denen, die behaupteten, sie sei abtrennbar, sagten manche, die gesamte Seele sei abtrennbar, die rationale, die nicht rationale und die pflanzliche, zum Beispiel [der Mittelplatoniker] Numenios [2. Jhdt. n. Chr.], durch einige Aussagen Platons getäuscht, der im Phaidros sagt "jede Seele ist unsterblich" [245c], wobei er dort gewiss ein Argument über die menschliche Seele entfaltet. […] Die anderen aber [sagten, jede sei] nicht abtrennbar und deswegen sterblich, wie [der Aristoteliker] Alexander von Aphrodisias [um 200 n. Chr.]. […]
[3] Sowohl Platon als auch Aristoteles scheint es so, dass weder jede Seele vom Körper abtrennbar sei, noch jede nicht abtrennbar, sondern die rationale abtrennbar, die übrige aber nicht abtrennbar.

Ibn Sīnā (Avicenna): Über die Seele Buch der Genesung, I 1 (p. 16 Rahman)

Ibn Sīnā erklärt, in neuplatonischer Tradition, die Rolle der Seele als eine abgetrennte Vollendung der Körpers
[1] Nun ist klar, dass die Seele nicht ein Körper ist, sondern ein Teil des Lebewesens und der Pflanze, der eine Form oder wie eine Form oder wie eine Vollendung ist […].
[2] Ferner ist jede Form eine Vollendung, und nicht jede Vollendung eine Form. Der König ist ja die Vollendung der Stadt, und der Kapitän die Vollendung des Schiffs, und doch sind sie keine Formen der Stadt und des Schiffs. Und was von den Vollendungen wesenhaft abgetrennt ist, ist nicht wirklich eine Form für die Materie und in der Materie. […] Und man ist sich einig, dass diese Sache im Verhältnis zur Materie Form ist, und im Verhältnis zum Kompositum [aus Körper und Form] Ziel und Vollendung sowie im Verhältnis zur Bewegung Wirkursache und Bewegungskraft.
[3] Und wenn das so ist, dann benötigt die Form eine Beziehung zu einer von der Substanz, die ihretwegen wirklich ist, entfernten Sache und zu einer Sache, kraft derer die an sich in Möglichkeit befindliche Sache wirklich ist. […] Also ist von daher klar, dass wir, wenn wir zur Erklärung der Seele sagen, dass sie eine Vollendung ist, auf ihren Gehalt hinweisen, der zugleich alle Arten von Seele umfasst.

Albertus Magnus: Über die Seele (De anima) (p. 67, 47-62 und 70, 15-32 Kübel)

Albertus Magnus flechtet Avicennas Position in den Zusammenhang seiner neuplatonisch angeregten Naturphilosophie ein
[1] Wir haben gesagt, dass es […] natürliche Formen auf zwei Weisen gibt: Es gibt eine, die mehr der Natur eines natürlichen Körpers folgt, in der sie eine über diesen nicht erhabene Form ist […]. Es gibt aber eine andere, die der ersten Wirkursache schlechthin näher steht, welche alle Formen hervorbringt, und dies ist eine unkörperliche Wesenheit, die einen Körper bewegt und vollendet; die auf die gesamte Natur Einfluss ausüben kann, weil sie aufgrund der Ordnung der Natur oberhalb der Natur jeder körperlichen Form ist; und diese wird ,Seele‘ genannt.
[2] Es ist klar, dass nicht der intellektive Teil [der Seele] selbst abgetrennt ist, sondern auch die gesamte intellektive Seele. […] Denn weil die Teile der Seele natürliche Vermögen von ihr sind, die aus ihr fließen, ist es unmöglich, dass ein abgetrenntes Vermögen aus einer Wesenheit fließen kann, die mit dem Körper verbunden ist. Aber im Gegenteil ist es möglich, dass von dem, was wesenhaft abgetrennt ist, Vermögen fließen, die im Körper wirken, weil jedes höhere Vermögen alles kann, was ein niedrigeres Vermögen kann, und nicht umgekehrt. […] Ebenso ist jede Fertigkeit abgetrennt, insofern sie in die Seele des Fertigenden ist, und doch führt sie ihre Vermögen nicht ohne körperliche Werkzeuge aus.

Siger von Brabant: Fragen zum dritten Buch von Aristoteles’ De anima (Quaestiones in tertium De anima) q. 1, resp

Siger von Brabant (ca. 1240-1284) formuliert in der Nachfolge des Ibn Rušd (Averroes) seine Position
[1] Das Vegetative und das Sinnliche Seelenvermögen werden aus einer Möglichkeit der Materie heraus gebildet, wenn ein Nachkomme gebildet wird. Wenn also das Vegetative und das Sinnliche von außen kämen, […] wäre es notwendig, dass im Menschen ein doppeltes Vegetatives und ein doppeltes Sinnliches wäre. Das ist […] inakzeptabel.
[2] Deswegen […] ist zu sagen, dass das Denkvermögen nicht in derselben einfachen Seele wurzelt wie das Vegetative und das Sinnliche […]. Wenn der Intellekt also einfach ist, wenn er in den Körper eintritt, dann wird er bei seinem Eintritt mit dem Vegetativen und dem Sinnlichen vereint, und so machen sie als vereinte die Seele nicht als eine einfache, sondern als eine zusammengesetzte zu einer.

Aristoteles: Über die Seele (De anima) II 4, 415a 15-23

Aristoteles über die Rolle der Objekte für die Erkenntnis der Seelenvermögen
Es ist nun notwendig, dass jemand, der über diese [Seelenteile] eine Untersuchung anstellen will, von jedem Einzelnen begreift, was es ist, und dann Untersuchungen über das Implizierte und das andere anstellt. Wenn man aber sagen muss, was ein jedes von ihnen ist, so wie, was das Denkvermögen oder das Wahrnehmungsvermögen oder das Nährvermögen ist, muss man noch davor sagen, was das Denken und was das Wahrnehmen ist. Denn die Aktivitäten und die Taten sind gemäß ihrem Gehalt früher als die Vermögen. Wenn das aber so ist und man zudem noch früher als diese [Akte] die Objekte betrachtet haben muss, muss man folglich aus demselben Grund zuerst über diese [Objekte] Bestimmungen treffen, zum Beispiel über Nahrung, das Sinnesobjekt und das Denkobjekt.

Ibn Sīnā (Avicenna): Über die Seele Buch der Genesung, I 4 (p. 33 und 36 Rahman)

Ibn Sīnā reflektiert die von Aristoteles genannten Bedingungen für die Feststellung von Teilen bzw. unterschiedlichen Vermögen der Seele
(1) Und unser Ziel ist jetzt, die Vermögen bekanntzumachen, von denen die Akte ausgehen, sowie, ob es für jede Art von Akt ein spezifisches Vermögen geben muss oder ob das nicht so sein muss. […] Wir sagen also erstens: Ein Vermögen, insofern es wesentlich ein Vermögen und primär ist, ist ein Vermögen zu einer gewissen Sache, und es ist unmöglich, dass es Prinzip einer anderen, davon verschiedenen Sache ist. Denn insofern etwas ein Vermögen zu etwas ist, ist es Prinzip davon. […].
(2) Nun sind die Vermögen, insofern sie Vermögen sind, dem ersten Zweck nach Prinzipien für bestimmte Akte. Aber es ist möglich, dass ein einzelnes Vermögen dem zweiten Zweck nach Prinzip für viele Akte ist, insofern diese wie Zweige sind. […] Zum Beispiel ist der Gesichtssinn primär nur ein Vermögen zur Auffassung einer Qualität, in der sich der Körper befindet […], und dies ist die Farbe. Sodann ist die Farbe weiß und schwarz.

Aristoteles: Über die Seele (De anima) II 3, 415a 15-23

Aristoteles erklärt den Zusammenhang der Seelenvermögen mit den verschiedenen Formen des Lebens
[1] Für jedes Einzelne muss man untersuchen, welches die Seele für ein jedes ist, zum Beispiel welche die der Pflanze und welche die des Menschen oder Tieres ist. […]
[2] Denn ohne das Nährvermögen gibt es das Wahrnehmungsvermögen nicht. Vom Wahrnehmungsvermögen ist das Nährvermögen in den Pflanzen abgetrennt. Wiederum ist ohne den Tastsinn keiner von den anderen Sinnen vorhanden, das Tasten ist aber ohne die anderen vorhanden. Denn viele Lebewesen haben weder Gesichtssinn noch Gehör noch den Sinn des Geschmacks. Und von den wahrnehmungsfähigen [Wesen] haben einige das Vermögen zur Ortsbewegung, andere hingegen nicht.
[3] Das letzte und am seltensten ist Nachdenken und Rationalität. Denn bei denjenigen der vergänglichen [Wesen], bei denen das Nachdenken vorhanden ist, ist auch alles Übrige vorhanden, aber nicht bei all denen, bei denen jedes davon vorhanden ist, gibt es das Nachdenken, sondern bei manchen nicht einmal Vorstellungskraft. Andere aber leben nur durch diese. Über den theoretischen Geist gibt es ein anderes Argument. Dass nun also das Argument über jedes von diesem auch das spezifischste über die Seele ist, ist klar [geworden].

Albertus Magnus: Über die Seele (De anima) II 1, 8 (p. 76 Kübel)

Albertus Magnus erklärt die Mehrdimensionalität des Seelischen in neuplatonischer Weise als eine Einheit von der ersten Ursache her
[1] Elegant sagte [der jüdische Denker] Isaak [Israeli, ca. 850-932], die rationale Seele sei im Schatten der Intelligenz geschaffen. Er möchte sagen, dass die Intellektseele selbst deswegen eine beschattete Intelligenz ist, weil sie die Seele eines sterblichen Körpers ist. […] Und was die Intelligenz als eine einfache Washeit der Dinge besitzt, das besitzt die Seele durch ihre Neigung zum vorstellbaren Kontinuum und zum Körper, der aus einer beweglichen und veränderlichen Materie besteht.
[2] So wie aber die Seele des Menschen ein beschattetes Produkt der Intelligenz ist, so ist auch die sinnlich wahrnehmbare [Seele] eine Art kleiner Schatten der rationalen Seele. Und deswegen ist sie noch mehr verdunkelt und verliert die intellektuelle Erkenntnis und die Suche nach den Wahrheiten der Dinge, und sie verliert die Unterscheidung des Hässlichen und in sich Guten […], weil sie kein Vermögen hat, das nicht fest im Fleisch sitzt […]
[3] Noch mehr versinkt die vegetative [Seele] im Körper, die […] mit Bezug auf die Materie der Dinge in Form von körperlichen Qualitäten tätig ist, so wie beim Verdauen von Speise durch Wärme.

Aristoteles: Über die Seele (De anima) II 4, 415a 15-23

Aristoteles beschreibt die Besonderheiten des Nährvermögens und erklärt seine Ansicht über die Ewigkeit der Arten
[1] Die Nährseele ist nämlich auch bei den anderen [beseelten Wesen] vorhanden, und sie ist das erste und allgemeinste Seelenvermögen, dem gemäß allem das Leben zu kommt.
[2] Ihre Werke sind das Zeugen und der Gebrauch von Nahrung. Denn es ist das Natürlichste der Werke für das Lebendige, welches vollkommen und nicht eingeschränkt ist oder ein automatisches Hervorbringen besitzt, etwas anderes so wie es selbst hervorzubringen, ein Tier ein Tier, eine Pflanze eine Pflanze, damit sie am Ewigen und Göttlichen Anteil haben, soweit sie es können. Denn danach strebt alles, und deswegen macht es, was es natürlicherweise macht […].
[3] Weil es also nicht in der Lage ist, durch Kontinuität mit dem Ewigen und Göttlichen Gemeinschaft zu haben, weil nichts Vergängliches ein- und dasselbe der Zahl nach bleiben kann, hat jedes Einzelne damit Gemeinschaft, soweit es daran Anteil haben kann, das Eine mehr, das andere Weniger, und bleibt nicht dasselbe, sondern so wie dasselbe, nicht eines der Zahl nach, aber der Art nach Eines.