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Philosophische Zitate aus Antike und Mittelalter

Zitatfinder

Siger von Brabant: Fragen zum dritten Buch von Aristoteles’ De anima (Quaestiones in tertium De anima) q. 1, resp

Siger von Brabant (ca. 1240-1284) formuliert in der Nachfolge des Ibn Rušd (Averroes) seine Position
[1] Das Vegetative und das Sinnliche Seelenvermögen werden aus einer Möglichkeit der Materie heraus gebildet, wenn ein Nachkomme gebildet wird. Wenn also das Vegetative und das Sinnliche von außen kämen, […] wäre es notwendig, dass im Menschen ein doppeltes Vegetatives und ein doppeltes Sinnliches wäre. Das ist […] inakzeptabel.
[2] Deswegen […] ist zu sagen, dass das Denkvermögen nicht in derselben einfachen Seele wurzelt wie das Vegetative und das Sinnliche […]. Wenn der Intellekt also einfach ist, wenn er in den Körper eintritt, dann wird er bei seinem Eintritt mit dem Vegetativen und dem Sinnlichen vereint, und so machen sie als vereinte die Seele nicht als eine einfache, sondern als eine zusammengesetzte zu einer.

Aristoteles: Über die Seele (De anima) II 4, 415a 15-23

Aristoteles über die Rolle der Objekte für die Erkenntnis der Seelenvermögen
Es ist nun notwendig, dass jemand, der über diese [Seelenteile] eine Untersuchung anstellen will, von jedem Einzelnen begreift, was es ist, und dann Untersuchungen über das Implizierte und das andere anstellt. Wenn man aber sagen muss, was ein jedes von ihnen ist, so wie, was das Denkvermögen oder das Wahrnehmungsvermögen oder das Nährvermögen ist, muss man noch davor sagen, was das Denken und was das Wahrnehmen ist. Denn die Aktivitäten und die Taten sind gemäß ihrem Gehalt früher als die Vermögen. Wenn das aber so ist und man zudem noch früher als diese [Akte] die Objekte betrachtet haben muss, muss man folglich aus demselben Grund zuerst über diese [Objekte] Bestimmungen treffen, zum Beispiel über Nahrung, das Sinnesobjekt und das Denkobjekt.

Ibn Sīnā (Avicenna): Die Seele (Buch der Genesung) I 4 (p. 33 und 36 Rahman)

Ibn Sīnā reflektiert die von Aristoteles genannten Bedingungen für die Feststellung von Teilen bzw. unterschiedlichen Vermögen der Seele
[1] Und unser Ziel ist jetzt, die Vermögen bekanntzumachen, von denen die Akte ausgehen, sowie, ob es für jede Art von Akt ein spezifisches Vermögen geben muss oder ob das nicht so sein muss. […] Wir sagen also erstens: Ein Vermögen, insofern es wesentlich ein Vermögen und primär ist, ist ein Vermögen zu einer gewissen Sache, und es ist unmöglich, dass es Prinzip einer anderen, davon verschiedenen Sache ist. Denn insofern etwas ein Vermögen zu etwas ist, ist es Prinzip davon. […].
[2] Nun sind die Vermögen, insofern sie Vermögen sind, dem ersten Zweck nach Prinzipien für bestimmte Akte. Aber es ist möglich, dass ein einzelnes Vermögen dem zweiten Zweck nach Prinzip für viele Akte ist, insofern diese wie Zweige sind. […] Zum Beispiel ist der Gesichtssinn primär nur ein Vermögen zur Auffassung einer Qualität, in der sich der Körper befindet […], und dies ist die Farbe. Sodann ist die Farbe weiß und schwarz.

Aristoteles: Über die Seele (De anima) II 3, 415a 15-23

Aristoteles erklärt den Zusammenhang der Seelenvermögen mit den verschiedenen Formen des Lebens
[1] Für jedes Einzelne muss man untersuchen, welches die Seele für ein jedes ist, zum Beispiel welche die der Pflanze und welche die des Menschen oder Tieres ist. […]
[2] Denn ohne das Nährvermögen gibt es das Wahrnehmungsvermögen nicht. Vom Wahrnehmungsvermögen ist das Nährvermögen in den Pflanzen abgetrennt. Wiederum ist ohne den Tastsinn keiner von den anderen Sinnen vorhanden, das Tasten ist aber ohne die anderen vorhanden. Denn viele Lebewesen haben weder Gesichtssinn noch Gehör noch den Sinn des Geschmacks. Und von den wahrnehmungsfähigen [Wesen] haben einige das Vermögen zur Ortsbewegung, andere hingegen nicht.
[3] Das letzte und am seltensten ist Nachdenken und Rationalität. Denn bei denjenigen der vergänglichen [Wesen], bei denen das Nachdenken vorhanden ist, ist auch alles Übrige vorhanden, aber nicht bei all denen, bei denen jedes davon vorhanden ist, gibt es das Nachdenken, sondern bei manchen nicht einmal Vorstellungskraft. Andere aber leben nur durch diese. Über den theoretischen Geist gibt es ein anderes Argument. Dass nun also das Argument über jedes von diesem auch das spezifischste über die Seele ist, ist klar [geworden].

Albertus Magnus: Über die Seele (De anima) II 1, 8 (p. 76 Kübel)

Albertus Magnus erklärt die Mehrdimensionalität des Seelischen in neuplatonischer Weise als eine Einheit von der ersten Ursache her
[1] Elegant sagte [der jüdische Denker] Isaak [Israeli, ca. 850-932], die rationale Seele sei im Schatten der Intelligenz geschaffen. Er möchte sagen, dass die Intellektseele selbst deswegen eine beschattete Intelligenz ist, weil sie die Seele eines sterblichen Körpers ist. […] Und was die Intelligenz als eine einfache Washeit der Dinge besitzt, das besitzt die Seele durch ihre Neigung zum vorstellbaren Kontinuum und zum Körper, der aus einer beweglichen und veränderlichen Materie besteht.
[2] So wie aber die Seele des Menschen ein beschattetes Produkt der Intelligenz ist, so ist auch die sinnlich wahrnehmbare [Seele] eine Art kleiner Schatten der rationalen Seele. Und deswegen ist sie noch mehr verdunkelt und verliert die intellektuelle Erkenntnis und die Suche nach den Wahrheiten der Dinge, und sie verliert die Unterscheidung des Hässlichen und in sich Guten […], weil sie kein Vermögen hat, das nicht fest im Fleisch sitzt […]
[3] Noch mehr versinkt die vegetative [Seele] im Körper, die […] mit Bezug auf die Materie der Dinge in Form von körperlichen Qualitäten tätig ist, so wie beim Verdauen von Speise durch Wärme.

Aristoteles: Über die Seele (De anima) II 4, 415a 15-23

Aristoteles beschreibt die Besonderheiten des Nährvermögens und erklärt seine Ansicht über die Ewigkeit der Arten
[1] Die Nährseele ist nämlich auch bei den anderen [beseelten Wesen] vorhanden, und sie ist das erste und allgemeinste Seelenvermögen, dem gemäß allem das Leben zu kommt.
[2] Ihre Werke sind das Zeugen und der Gebrauch von Nahrung. Denn es ist das Natürlichste der Werke für das Lebendige, welches vollkommen und nicht eingeschränkt ist oder ein automatisches Hervorbringen besitzt, etwas anderes so wie es selbst hervorzubringen, ein Tier ein Tier, eine Pflanze eine Pflanze, damit sie am Ewigen und Göttlichen Anteil haben, soweit sie es können. Denn danach strebt alles, und deswegen macht es, was es natürlicherweise macht […].
[3] Weil es also nicht in der Lage ist, durch Kontinuität mit dem Ewigen und Göttlichen Gemeinschaft zu haben, weil nichts Vergängliches ein- und dasselbe der Zahl nach bleiben kann, hat jedes Einzelne damit Gemeinschaft, soweit es daran Anteil haben kann, das Eine mehr, das andere Weniger, und bleibt nicht dasselbe, sondern so wie dasselbe, nicht eines der Zahl nach, aber der Art nach Eines.

Ibn Sīnā (Avicenna): Die Seele (Buch der Genesung) I 5 (p. 40f. Rahman)

Ibn Sīnā unterscheidet, Aristoteles folgend, drei grundsätzliche Vermögen der vegetativen Seele
[1] Und die Pflanzenseele hat drei Vermögen. Und das Nährvermögen ist das Vermögen, einen anderen Körper als den Körper, in dem es ist, in eine Ähnlichkeit zu dem Körper, in dem es ist, zu verwandeln, und diesem das anzuhaften, was von jenem ist;
[2] und das Wachstumsvermögen, das das Vermögen ist, zu dem Körper, in dem es ist, durch einen ähnlichen Körper etwas Passendes zu seiner Ausdehnung hinzuzufügen, in Bezug auf die Länge und die Tiefe und die Breite, so dass er die Vollendung des Wachstums erreicht.
[3] Und das Fortpflanzungsvermögen empfängt von dem Körper, in dem es ist, einen Teil, der ihm dem Vermögen nach ähnlich ist. Dann macht es mit ihm durch Aufnahme anderer Körper, die ihm ähnlich sind, durch Herstellung von etwas, das es hervorbringt, etwas, das ihm im Akt ähnlich ist.

Thomas von Aquin: Summa theologiae I-II (Summa theologiae) I-II 78, 2 resp

Alberts Schüler Thomas von Aquin (1224/25-1274) betont die besondere Würde des Fortpflanzungsvermögens in der vegetativen Seele
Es ist […] ein gewisser Unterschied zwischen diesen Vermögen zu beachten. Denn das Nährvermögen und das Wachstumsvermögen haben ihre Wirkung in dem, worin sie sind, weil der mit der Seele vereinte Körper selbst wächst und erhalten wird. […] Aber die generative Kraft hat ihre Wirkung nicht in demselben Körper, sondern in einem anderen, weil nichts sich selbst zeugen kann. Und daher nähert sich die generative Kraft irgendwie der Würde der sinnlichen Seele an, welche eine Tätigkeit in Bezug auf äußere Dinge hat, wenn auch auf herausgehobenere und allgemeinere Weise. Denn das Oberste einer niedrigeren Natur berührt das, was das Niedrigste des Höheren ist, wie durch Dionysios im 7. Kapitel von Die göttlichen Namen deutlich ist.

Ibn Sīnā (Avicenna): Die Seele (Buch der Genesung) II 1 (p. 56f. Rahman)

Ibn Sīnā über die unterschiedliche Wirkung des vegetativen Fortpflanzungsvermögens in verschiedenen Wesen
[1] Und das pflanzliche Vermögen, das in den Tieren ist, also der Unterschied, den sie in ihrem Sein vom Allgemeinen haben, ist gerade das Nähr- und Wachstumsvermögen, und es ist vermischt mit der Gestalt und den Elementen zu einer Mischung, die für das Lebewesen passt. Denn ihre Mischung spielt nicht die Rolle des Vermögens, das den Pflanzen und Tieren gemeinsam ist, insofern es gemeinsam ist. […] Es gehört nämlich nicht zur Natur der Elemente und gegensätzlichen Körper, dass sie miteinander verbunden sind, sondern zu ihrer Natur gehört eine Neigung nach verschiedenen Seiten hin.
[2] Und verbunden hat sie nur die spezifische Seele, zum Beispiel in einer Palme eine Palmenseele und bei einer Traube eine Traubenseele und überhaupt die Seele, welche die Form für diese Materie ist. Und wenn es sich um eine Palmenseele handelt, kommt es ihr zusätzlich dazu, eine Palmenseele zu sein, zu, dass sie eine Wachstumsseele ist, und in einer Traube, eine Traubenseele zu sein. Und die Palme braucht nicht eine Pflanzenseele und eine andere Seele, die in dieser Palmenseele wäre. […] Und insofern ist die Pflanzenseele, die in den Tieren ist, also die nach Schöpfung des Tieres, […] in Wirklichkeit keine Pflanzenseele, abgesehen davon, dass man sie eine Pflanzenseele in der Weise nennt, die wir erwähnt haben.

Albertus Magnus: Über die Seele (De anima) II 2, 8 (p. 91f. Kübel)

Albertus Magnus entwickelt, in der Nachfolge der Ärzte Galen und Avicenna, eine ausführliche Theorie der Funktion des Zeugungsvermögens und erläutert die beiden (männlichen und weiblichen) Säfte, die am Zeugungsakt beteiligt sind
[1] Die Samenglieder sind das Organ des Zeugungsvermögens, so wie das Gehirn das Organ der Seelenkraft und das Herz das der Lebenskraft ist. Und die Zeugungskraft, die in den Genitalien liegt, drückt in überschüssiger Nahrung eine formative Kraft ein, die, […] wenn sie am erforderlichen Ort ist, den Samen zu einem organischen Körper formt. […] Dieser Same wird nun vom ganzen Körper abgeschieden, aber besonders vom Gehirn, und […] angezogen durch die Kraft der Hoden wird er zu den Samengefäßen gezogen und dort durch die vorher genannte Kraft informiert.
[2] Und daher ist die Zeugungskraft […] zweifach: eine im Zeugenden, die den Samen durch die Anziehung abscheidet […]. Die andere Zeugungskraft aber ist im Samen, der eine formative Kraft ist, die zwei Werkzeuge, zwei Materien und zwei Werke hat. Eines ihrer Werkzeuge ist die Wärme des Samens, die durch drei Kräfte geformt ist: Eine hat er von der Substanz, insofern sie Wärme ist. […] Die zweite ist eine Himmelskraft, durch welche Kraft er aufgrund des Vermögens des Bewegers des Himmels auf das Leben hinarbeitet. […] Das dritte ist die Kraft der Seele, deren Werkzeug die Wärme selbst ist […].
[3] Die beiden Feuchtigkeiten aber sind die Materien, in denen [das Zeugungsvermögen] das tut. Und zwar ist eine die, die in der Substanz der Samen ist, und das ist die hauptsächliche. Die andere wird angezogen, um ihr hinzugeführt zu werden, und das ist die Feuchtigkeit des Menstruationsbluts, an dessen Stelle das Kind Nahrung sucht, wenn sie von der Gebärmutter getrennt wird. Und diese Feuchtigkeit ist eine Ergänzung, die zur Feuchtigkeit des Samens hinzugefügt wird, um zur Bildung von Gliedern zu genügen.

Albertus Magnus: Über die Tiere (De animalibus) XVI (p. 1098 Stadler)

Albertus Magnus erklärt die Fortpflanzung vor dem Hintergrund seiner gesamten Naturtheorie als Werk der der Natur innewohnenden Intelligenz
[1] Der Körper des Spermas ist der, mit dem und in dem aus dem das Sperma ablassende Tier ein Geistwesen ausgeht. Dieses ist die größte Kraft und das Prinzip für die Seele, die in das empfangene Wesen eingeführt wird, nachdem sie von der Möglichkeit in den Akt überführt wurde.
[2] Und dieses Geistwesen ist vom Körper des Erzeugers getrennt […] und […] ist ein göttliches Ding […], so dass es […] formender praktischer Intellekt genannt wird, so wie die Werkzeuge einer Fertigkeit selbst eine Fertigkeit genannt werden. […] Denn dieser […] ist so, wie wenn die Kraft einer Fertigkeit aus dem Fertiger als ganze in eine Axt eintreten würde, so dass die Axt durch sich selbst in Hölzer und Steine eintreten würde sowie ohne Kontakt und Bewegung durch den Fertiger ein Haus machen würde.
[3] Denn eine solche Axt wäre nicht unterschieden von der Kraft des praktischen Intellekts […], welcher der Hersteller und Vollender der gesamten Natur wäre […]. Denn auf diese Weise wird das Werk der Natur ein Werk der Intelligenz oder des Intellekts genannt.

Albertus Magnus: Frage über die Empfängnis Christi (Quaestio de conceptione Christi) Artikel/articulus 1 (p. 258 und 260 Fries)

Albertus Magnus diskutiert die Rolle Mariens bei der unbefleckten Empfängnis und Geburt Jesu
[1] Es wird gefragt, ob die selige Jungfrau [Maria] den Fötus durch aktive Formung oder nur durch Dienst an der Materie des Körpers geboren hat.
[2] Lösung: […] Die Zeugung Christ stammt effektiv […] in Bezug auf die Formung nur vom Heiligen Geist. Es ist jedoch zu unterscheiden, dass nicht nur die Materie von der seligen Jungfrau her empfangen wird, sondern die spezifische Materie des Körpers Christi mit den Dispositionen. Diese Dispositionen bewegen zur […] Formbarkeit, aber nur als bewegte. Und in der seligen Jungfrau wurden sie vom Heiligen Geist bewegt, in einer anderen Mutter werden sie von der Kraft im Samen des Vaters bewegt.
[3] Und auf diese Weise ist das, was von der Mutter aufgrund einer ihr innewohnenden Kraft abgeschieden wird, auf den Fötus hin tätig. […] Auf andere Weise […] ist sie durch die Kraft der Gebärmutter auf die Verbesserung hin tätig, weil der Fötus durch die Nabelschnur von der Mutter abhängt. […] Und im Hinblick auf diese Tätigkeiten sagt Avicenna, dass die Gebärmutter auf die Verbesserung des Fötus hin tätig ist. […] Und weil es nicht mehr Tätigkeiten einer wahren Mutter im Hinblick auf den Fötus gibt […], ist klar, dass die selige Jungfrau auf allerwahrste Weise die Mutter Christi war.

Aristoteles: Über die Seele (De anima) II 12, 424a 18-28

Aristoteles trifft grundlegende Aussagen über die Sinneswahrnehmung
[1] Im Allgemeinen muss man über jede Sinneswahrnehmung begreifen, dass die Sinneswahrnehmung etwas ist, was die sinnlichen Formen ohne Materie aufnehmen kann, so wie das Wachs das Zeichen des Siegelrings ohne das Eisen und das Gold aufnimmt. Es nimmt aber das goldene oder eiserne Zeichen auf, aber nicht, insofern es Gold oder Eisen ist. Ähnlich erleidet auch die Sinneswahrnehmung durch das, was eine Farbe oder einen Geschmack oder einen Ton aufweist, aber nicht so, dass gesagt wird, sie sei ein jedes davon, sondern als ein derartiges und gemäß dem Gehalt.
[2] Das erste Sinnesorgan ist das, worin sich das so geartete Vermögen befindet. Es ist nun dasselbe [wie das Wahrgenommene], aber das Sein ist verschieden. Denn sonst wäre das Wahrnehmende eine Größe. Aber gewiss ist es weder eine Größe, wahrnehmend zu sein, noch ist die Sinneswahrnehmung eine, sondern [sie ist] ein bestimmter Gehalt und ein Vermögen für jenes.

Aristoteles: Über die Seele (De anima) II 6, 418a 8-22

Aristoteles erläutert das Verhältnis der jeweiligen Sinne zu ihren Objekten
[1] Von einem Sinnesobjekt spricht man auf dreierlei Weise, wobei wir sagen, dass wir zwei an sich wahrnehmen, eine aber akzidentell. Von den zweien ist das eine spezifisch für jeden Sinn, das Allgemeine aber für alle. Ich nenne ,spezifisch‘ das, was nicht mit einem anderen Sinn wahrgenommen werden kann […], so wie der Gesichtssinn auf die Farbe gerichtet ist, das Gehör auf den Ton und der Geschmackssinn auf den Geschmack. Das Tasten hat aber mehrere Differenzen.
[2] Aber jede einzelne urteilt über dieses und täuscht sich nicht darin, dass dies eine Farbe oder ein Ton ist, sondern darin, was das Gefärbte ist und wo es ist, oder was das den Ton Verursachende ist oder wo es ist. Das derartige wird spezifisch für jeden einzelnen [Sinn] genannt. Allgemein sind aber Bewegung, Ruhe, Zahl, Gestalt und Größe. Denn derartiges ist […] allen [Sinnen] gemeinsam. Denn eine Bewegung ist wahrnehmbar für das Tasten und den Gesichtssinn.
[3] Akzidentell wahrnehmbar wird aber etwas genannt, wie wenn das Weiße der Sohn des Diares ist. Denn diesen nimmt man akzidentell war, weil das Weiße, das man wahrnimmt, akzidentell dieses ist. Deswegen erleidet man [in diesem Fall nichts] unter dem Sinnesobjekt als solchem.

Aristoteles: Über die Seele (De anima) II 7, 418a 29-b 2

Auf physikalischer Ebene meint Aristoteles, dass zur Sinneswahrnehmung ein Medium zwischen Organ und wahrgenommenem Objekt erforderlich ist
[1] Das […] Sichtbare ist Farbe. […] Jede Farbe ist aber geeignet, das […] Durchsichtige zu bewegen. […] Deswegen ist es ohne Licht nicht sichtbar. […].
[2] Denn nicht richtig […] spricht Demokrit in der Überzeugung, dass dann, wenn das Medium leer wäre, exakt gesehen würde, selbst wenn ein Maulwurf im Himmel wäre. Denn dies ist unmöglich. Denn das Sehen geschieht, wenn das Wahrnehmungsvermögen etwas erleidet. Durch die gesehene Farbe selbst ist nun ist das unmöglich. Es bleibt also, dass es durch das Medium geschieht, so dass es notwendig ist, dass es irgendein Medium gibt. Wenn aber etwas Leeres entsteht, ist es nicht so, dass exakt, sondern dass überhaupt nichts gesehen wird.

Johannes Philoponos : Kommentar zu Aristoteles’ „Über die Seele“ (In Aristotelis de Anima libros commentaria) II (p. 289 und 297 Hayduck)

Johannes Philoponos möchte als Neuplatoniker die seelische Aktivität nicht bloß als Erleiden verstehen und definiert sie daher neu
[1] Die Sinneswahrnehmung scheint in der Wahrnehmung der Sinnesobjekte verändert zu werden […]. Wenn sie aber verändert wird, erleidet sie auch, denn die Veränderung ist ein Erleiden. […] Aristoteles sagt nicht als seine Ansicht, dass die Sinneswahrnehmung verändert werde und erleide. […] Er wird nämlich zeigen, wenn er darlegt, wie all das über die Seele gesagt wird, dass weder im eigentlichen Sinn gesagt wird, sie verändere sich, noch sie erleide. […]
[2] Die wahrhaft vollendete Aktivität ist das Hervorbringen des Habitus auf einen Schlag, das nicht zusammen mit der Bewegung der Zeit auftritt, sondern sich für jeden Teil gleich verhält. So ist das Hervorbringen des Lichts. Denn gleichzeitig mit dem Erscheinen des Erleuchtenden wird auf einen Schlag jedes Geeignete erleuchtet. […] Das Erleidende […] wird auch irgendwie bewegt, denn das Erleiden geschieht nicht ohne Bewegung. Das Bewegte aber erleidet dabei überhaupt nicht. Denn gewiss ist auch die Ortsbewegung kein Erleiden. Das Erleiden wird nämlich im Verhältnis zum Tun gesagt, das Tun ist aber eine Veränderung der Qualität nach.

Ibn Sīnā (Avicenna): Die Seele (Buch der Genesung) II 2 (p. 58f. Rahman)

Ibn Sīnā betrachtet die Sinneswahrnehmung als ein spezifisches Feld der Abstraktion
[1] Jetzt wollen wir über die Vermögen der Sinneswahrnehmung und des Auffassens sprechen, und wir wollen über das sprechen, was zur allgemeinen Rede darüber gehört. Wir sagen also: Es scheint, dass jedes Auffassen nichts anderes als ein Ergreifen der aufgefassten Form auf eine von mehreren Weisen ist. Wenn sich nun das Auffassen auf eine materielle Sache richtet, so ist es das Ergreifen seiner von der Materie in einer bestimmten Weise losgelösten (muğarradatin = abstractam) Form. Aber es gibt verschiedene Arten der Loslösung (al-tağrīdi = abstractionis), und ihre Stufen sind nicht von gleicher Art.
[2] Der materiellen Form stoßen nun aufgrund der Materie akzidentell Zustände und Lagen zu, die nicht zu ihrem Wesen gehören. […] Zum Beispiel ist die menschliche Form bzw. die menschliche Washeit eine Natur, die nicht notwendigerweise die Individuen der ganzen Art in gleicher Weise umfasst. Sie ist ja der Zahl nach eine Sache, und es stößt ihr akzidentell zu, dass sie in diesem und jenem Individuum besteht, so dass sie sich vervielfältigt. Und das trifft auf sie nicht von Seiten ihrer Menschennatur zu. […] Folglich ist eines der Akzidenzien der Menschheit von Seiten der Materie genau diese Art der Vervielfältigung durch Teilung.

Ibn Sīnā (Avicenna): Die Seele (Buch der Genesung) III 7 (p. 141f. Rahman)

Ibn Sīnā erörtert, wie die Abgabe und Aufnahme einer abstrahierten Form bei der Sinneswahrnehmung genügt
[1] Und wir sagen: In der Seele wird eine Form des Gesehenen aufgenommen, die der Form in diesem ähnelt, aber nicht diese Form selbst ist. Und auch das, was aufgrund von Annäherung wahrgenommen wird, wie das Gerochene und Berührte, erreicht das Wahrnehmende durch diese Form davon. Aber es entsteht in ihm nur etwas dieser Form Ähnliches.
[2] Von denjenigen der Sachen jedoch, die ein Erleiden hervorrufen, gibt es einen Weg durch Berührung. Und unter ihnen muss etwas, wenn die Berührung entsteht, geschädigt werden, damit eine Spur davon zurückgelassen wird.
[3] Und dies ist an diesem Ort derjenige Strahl, der zu dessen Verbindung mit der Form des Gesehenen erforderlich ist. So kann dasjenige, was die Form aufweist, ein Abbild seiner Form, das dem in der Ferne Auswerfenden als schwaches Abbild ähnlich ist, zu etwas von ihm Verschiedenem hin auswerfen, wenn das Licht stark wird.

Ibn Sīnā (Avicenna): Die Seele (Buch der Genesung) II 3 (p. 68 Rahman)

Ibn Sīnā stellt einen Zusammenhang zwischen dem Tastsinn und einer minimalen Bewegungsfähigkeit bei Schalentieren fest
Und was die Bewegung betrifft, so kann jemand sagen: Nahe ist der Tastsinn den Tieren. Und insoweit er die primäre Art der Sinneswahrnehmung ist, insoweit dürfte scheinen, dass er unter den Bewegungskräften als erste Art vorhanden ist. Nun ist es bekannt, dass es von den Tieren welche gibt, die den Tastsinn besitzen und nicht die Fähigkeit zur Bewegung, so wie die Arten der Muscheln. Aber wir sagen, dass die willentliche Bewegung auf zwei Weisen erfolgt, als von Ort zu Ort transportierende Bewegung und als Bewegung des Zusammenziehens und Ausdehnens der Glieder des Tieres. Und wenn es in ihm überhaupt keinen Transport von seinem Ort gibt, so ist es unmöglich, dass das Tier den Tastsinn hat und die Bewegungskraft in ihm gar nicht vorhanden ist. Denn wie soll man wissen, dass es den Tastsinn hat, außer dadurch, dass an ihm eine Art von Abwendung vom Ertasteten und Streben zum Ertasteten gesehen wird?

Albertus Magnus: Über die Seele (De anima) II 3, 1 (p. 96 Kübel)

Albertus Magnus betont die passive Natur des Vermögens der Sinneswahrnehmung
Das Erste aber, was über die Sinneswahrnehmung im Allgemeinen zu betrachten ist, ist, ob sie, da sie zur Gattung der Vermögen gehört, zur Gattung der passiven oder zur Gattung der aktiven Vermögen gehört. Und man muss sagen, dass sie zur Gattung der passiven Vermögen gehört, weil ,Sinneswahrnehmung‘ dem Akt nach ,durch das Bewegtwerden‘ des Organs ,selbst und durch ein Erleiden‘ vom sinnlich wahrgenommenen Objekt besteht, das seine eigenen Form im Sinnesorgan hervorbringt. Denn alles Empfangende ist erleidend. Und weil die Sinneswahrnehmung nicht anders wahrnimmt als, indem sie eine sinnlich wahrnehmbare Form aufnimmt, muss die Sinneswahrnehmung zur Gattung der passiven Vermögen gehören. Denn ,eine bestimmte Veränderung scheint einzutreten‘, wenn die Sinneswahrnehmung die Form dessen aufnimmt, was im Akt sinnlich wahrgenommen wird, obwohl es sich eigentlich nicht um eine Veränderung handelt.