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Philosophische Zitate aus Antike und Mittelalter

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Albertus Magnus: Über die Seele (De anima) II 3, 5 (p. 103 Kübel)

Albert erläutert Aristoteles’ Lehre von den zwei Typen des Sinnesobjekts an sich (siehe Zitat Nummer 966)
[1] Wenn wir sagen, ein Sinnesobjekt werde an sich sinnlich wahrgenommen, wollen wir, dass man das versteht, […] was durch die eigene Natur und Wesenheit Ursache für die Veränderung eines Sinnes ist, weil es das ist, was wesentlich vermag, der Sinneswahrnehmung ein Erleiden zuzufügen. Wir haben nämlich gesagt […], dass nicht jedes beliebige Wirkende jedem beliebigen Erleidenden ein Erleiden zufügt. Sondern es muss eine Übereinstimmung in der Natur zwischen dem spezifisch Wirkenden und dem spezifisch Erleidenden geben. Und daher wollen wir sagen, dass das ein wesenhaftes Sinnesobjekt ist, was sein eigenes Wesen oder die Intention seines Wesens in das Sinnesorgan hineinmalt. […]
[2] Diese aber sind zwei. […] Eines davon ,ist nun spezifisch‘, welches ,einem Sinn‘ so zukommt, dass es nicht einem anderen zukommt. […] ,Ein anderes‘ Wahrgenommenes ist aber, was daher an sich wahrgenommen werden kann, weil seine Intention verbunden mit einem spezifischen Sinnesobjekt in den Sinn eingedrückt werden kann. Und dies ist das unmittelbare Subjekt der wahrgenommenen Form, welches die Größe ist, in der jede sinnliche Qualität wie in einem spezifischen Subjekt liegt.

Albertus Magnus: Über die Seele (De anima) II 3, 6 (p. 104-106 Kübel)

Albertus Magnus diskutiert, die Ursache hinter der Sinneswahrnehmung
[1] Jetzt gilt es zu der Frage zurückzukehren […], ob die äußerlichen Sinnesobjekte irgendeinen identischen Beweger haben, der in ihnen bewirkt, dass sie sinnlich wahrnehmbare Intentionen werden, so wie […] der aktive Intellekt […] die intelligiblen Intentionen bewirkt […]. Es gab aber einige der Modernen […], die dies zugestanden haben.
[2] Wir sagen […], dass es auf keinerlei Weise notwendig ist, dass es eine Ursache für eine Vielheit gibt. […] Das intentionale und geistige Sein ist aber nicht in einem Gehalt in den Sinnesobjekten, weil ein [Sinnesobjekt] viel geistiger ist als das andere. Denn das eine affiziert sowohl das Medium als auch das Organ, indem es gemäß seinem materiellen Sein darauf wirkt, wie etwa bei den Objekten des Tastsinns. […] Und […] geistiger ist das Sein der Farbe im Medium als das des Tons, und wiederum geistiger ist das Sein des Tons im Medium als das des Geruchs. Und deswegen trägt der Wind Farben nicht weg oder bringt sie, macht aber Töne durch Wegtragen durchaus unhörbar. […]
[3] Und daher sage ich, dass die Form des sinnlich Wahrgenommenen sich durch sich selbst im Medium der Sinneswahrnehmung gemäß ihrer sinnlichen Wahrnehmbarkeit erzeugt.

Aristoteles: Über die Seele (De anima) II 12, 426b 13-427a 5

Aristoteles erläutert die Funktion des Gemeinsinns
Weil wir nun sowohl das Weiße als auch das Süße und ein jedes der Sinnesobjekte jeweils im Einzelnen beurteilen, nehmen wir auch mit etwas wahr, dass sie sich unterscheiden; aber notwendigerweise durch Sinneswahrnehmung. Denn es sind Sinnesobjekte. […] Aber beides muss einem Bestimmten offenbar sein – denn in der Weise, wie wenn ich das eine und du das andere erkennen würdest, wären sie offensichtlich voneinander verschieden. Es muss aber dieses Eine sagen, dass sie verschieden sind […]. Dies sagt also ein- und dasselbe [Vermögen]. […] Dass es also nicht möglich ist, Getrenntes mit Getrenntem zu beurteilen, ist klar; dass es auch nicht zu einem getrennten Zeitpunkt geschehen kann, aus Folgendem: […] Zum Beispiel sage ich jetzt, dass es verschieden ist, aber nicht, dass es jetzt verschieden ist. Sondern so sagt man: sowohl jetzt als auch, dass es jetzt [so ist]. Gleichzeitig also. […] Aber gewiss ist es unmöglich, dass dasselbe, insofern es untrennbar ist, gleichzeitig auf gegensätzliche Weisen bewegt wird. […] Es ist nun so, dass es wie etwas Getrenntes getrennte Objekte wahrnimmt, aber auch so, dass es dieses wie etwas Ungetrenntes [tut]. Denn dem Sein nach ist es getrennt, dem Ort und der Zeit nach ungetrennt.

Aristoteles: Über die Seele (De anima) III 3, 427b 15-25

Aristoteles beschreibt das Vorstellen (phantasia) und grenzt es vom Meinen ab
Das Vorstellen […] ist etwas anderes als Sinneswahrnehmung und Denken. Es geschieht nicht ohne Sinneswahrnehmung, und ohne es gibt es kein Vermuten. Dass das Vorstellen nicht dasselbe ist wie das Vermuten, ist klar. Denn dieses Erleiden liegt bei uns, wenn wir wollen (denn es ist möglich, sich etwas vor Augen zu stellen [...]), zu meinen liegt aber nicht bei uns. Denn notwendigerweise ist es richtig oder falsch. Ferner erleiden wir sogleich etwas, sobald wir etwas Schreckliches oder Furchtbares meinen, ähnlich auch bei etwas Mutigem. Beim Vorstellen verhalten wir uns so wie die, die in der Schrift Schreckliches oder Mutiges betrachten.

Aristoteles: Über die Seele (De anima) III 3, 428a 1-16

Aristoteles definiert die Grenzen des Vorstellens näher und betont ihre Passivität und Irrtumsanfälligkeit
[1] Wenn nun das Vorstellen das ist, von dem wir sagen, durch es trete bei uns eine Vorstellung ein […], gibt es ein Vermögen oder einen Habitus, mit dem wir urteilen und richtig oder falsch liegen. Von dieser Art sind Sinneswahrnehmung, Meinen, Wissen, Geist. […] Es wird aber etwas vorgestellt, wenn nichts davon vorhanden ist, zum Beispiel das in den Träumen [Erscheinende].
[2] Sodann ist die Sinneswahrnehmung immer vorhanden, das Vorstellen nicht. Wenn es aber der Aktivität nach dasselbe ist, müsste bei allen Tieren ein Vorstellen vorhanden sein können. Es scheint aber nicht [so zu sein]: wie bei einer Ameise oder einer Biene, nicht aber bei einem Maulwurf.
[3] Ferner sind diese [Sinneswahrnehmungen] nun immer wahr, die meisten Vorstellungen sind aber falsch. Sodann sagen wir auch nicht, wenn wir exakt in Bezug auf ein Wahrnehmungsobjekt aktiv sind, dass dieses von uns als ein Mensch vorgestellt wird, sondern eher, wenn wir nicht klar wahrnehmen.

Aristoteles: Über die Erinnerung und das Gedächtnis (De memoria et reminiscentia) 1, 449b 22-450a 30

Aristoteles sieht auch die Erinnerung als eine Leistung des Vorstellens an und verortet sie daher in der sinnlichen Seele
Wenn man auf die Weise des Erinnerns aktiv ist, sagt man in der Seele Folgendes: "Dieses hörte man früher, nahm es wahr oder dachte es." […] Aber auf das Gegenwärtige richtet sich Sinneswahrnehmung, auf das Zukünftige Erwartung, auf das Geschehene Erinnerung. Deswegen erfolgt jede Erinnerung verbunden mit Zeit. Folglich erinnern sich nur diejenigen Lebewesen, die Zeit wahrnehmen. […] Und [die Erinnerung] an Denkobjekte besteht nicht ohne Vorstellung. […] Folglich muss sie dem Geist akzidentell zukommen, an sich aber dem ersten Wahrnehmungsvermögen. Deswegen ist sie auch bei anderen Lebewesen vorhanden, und nicht nur bei Menschen. […] Denn immer, wenn man mit der Erinnerung aktiv ist […], nimmt man zusätzlich das ,früher‘ wahr. […] Welchem Seelenvermögen die Erinnerung angehört ist klar: dem, welchem auch das Vorstellen [angehört]. Und die Erinnerungsobjekte an sich sind das, wovon es ein Vorstellen gibt, akzidentell aber die, welche nicht ohne ein Vorstellen vorkommen.

Stephanos von Alexandria: Kommentar zu De anima III (In De anima III) (p. 495, 22-29 Hayduck)

Stephanos von Alexandria (um 600) unterscheidet aufgrund einer Reflexion über Aristoteles‘ Aussagen zu Tieren zwei Typen des Vorstellens
Aber gewiss haben auch die Bienen ein Vorstellen. Denn sie kennen ihre Bienenstöcke und lassen dort ihren Honig zurück. Wenn also die Evidenz lehrt, dass sie ein Vorstellen haben, wie kann Aristoteles sagen, dass sie kein Vorstellen haben? Das ist die Frage. Auf sie antworten wir, dass das Vorstellen auf zwei Weisen vorkommt, das eine als erinnerndes, das andere als lernfähiges, durch das wir lernen. Dieses hat auch der Papagei, denn durch es lernt er die menschlichen Worte. Welches Vorstellen spricht also Aristoteles den genannten Lebewesen ab? Und wir sagen: nicht das erinnernde, sondern das lernfähige.

Stephanos von Alexandria: Kommentar zu De anima III (In De anima III) (p. 507, 35-508, 7 und 509, 13-22 Hayduck)

Ein weiterer Aspekt, den Stephanos einführt, betrifft die Fähigkeit des Vorstellens, aufgefasste Formen zu kombinieren
[1] Wie nun? Fingiert das Vorstellen nicht manches, was die Sinneswahrnehmung nicht kennt? […]. Folglich fingiert das Vorstellen auch, was die Sinneswahrnehmung nicht kennt und ist ohne Sinneswahrnehmung aktiv. Das ist die Frage. Wir sagen dazu: Auch wenn es fingiert, nimmt es die Ausgangspunkte wieder aus der Sinneswahrnehmung. Denn weil jemand den Bock und den Hirsch je für sich gesehen hat, nahm es diese Ausgangspunkte, die einfach sind, von der Sinneswahrnehmung und fingierte das Zusammengesetzte. Wenn es einen zum Himmel reichenden Menschen fingiert, so sah es doch vorher einen einzelnen Menschen. […]
[2] Wie kann Aristoteles nun sagen, dass das Vorstellen in Bezug auf die Wahrnehmungsobjekte an sich immer wahr ist, nachdem er gesagt hatte, dass das Vorstellen nicht immer wahr ist […]? Und dies ist die Frage. Dazu ist zu sagen, dass das Vorstellen auf zwei Weisen geschieht, die eine, die nur die Formen aufnimmt und wie etwas Aufnehmendes ist, die andere, die sich ausmalt, was sie will. Die die Formen aufnehmende ist nun immer richtig […]. Die sich ausmalende, was sie will, ist die Falsches Angebende. Denn weil sie sich nicht-Seiendes ausmalt, ist sie falsch.

Ibn Sīnā (Avicenna): Die Seele (Buch der Genesung) IV 1 (p. 165f. Rahman)

Ibn Sīnā ergänzt den Gemeinsinn und die Formen des Vorstellens weiter und fasst sie zur Gruppe der fünf inneren Sinne zusammen
[1] Nun wissen wir aber in unserer Natur, dass wir Sinnesobjekte nicht gemäß der Form, die wir außen sehen, untereinander kombinieren und voneinander unterscheiden. […] Es ist also nötig, dass es in uns eine Kraft gibt, durch die wir dies tun. Sie wird, wenn der Intellekt sie verwendet, Denkkraft genannt, und, wenn ein tierisches Vermögen sie verwendet, Vorstellungskraft.
[2] Ferner urteilen wir bisweilen über Sinnesobjekte durch Intentionen, deren Naturen zum Teil gar nicht sinnlich wahrnehmbar sind, […] so wie Feindschaft, Schlechtigkeit und Abneigung, welche das Schaf in der Form des Wolfs wahrnimmt, und überhaupt die Intention, die es vor ihm fliehen lässt, sowie die Eintracht, die es bei seiner Gefährtin wahrnimmt. […] Es handelt sich um Dinge, welche die tierische Seele wahrnimmt, ohne dass die Sinneswahrnehmung auf irgendetwas davon hinweist. Also ist das Vermögen, durch welches dies aufgefasst wird, eine andere Kraft und wird Einschätzungskraft genannt (al-wahm = aestimatio).

Ibn Rušd (Averroes): Großer Kommentar zu Aristoteles‘ De anima III 6 (p. 415, 59-61; 416, 75-78 Crawford)

Ibn Rušd (Averroes) diskutiert in seinem Großen Kommentar zu De anima das so genannte Denkvermögen
Das Denkvermögen ist bei Aristoteles eine individuell unterscheidende Kraft, insofern nämlich, als sie etwas nicht anders als individuell unterscheidet, nicht universell. […] Obwohl der Mensch also streng genommen ein Denkvermögen hat, impliziert das nicht, dass diese Kraft eine rationale Unterscheidungskraft ist. Die nämlich unterscheidet universale, keine individuellen Intentionen.

Thomas von Aquin: Kommentar zur Metaphysik (Metaphysica) I 1, 6 (8, 76–9, 61 Geyer)

Albertus Magnus stellt in differenzierter Weise die geistigen Leistungen der Tiere heraus
[1] "Die Tiere […] werden als Sinneswahrnehmung besitzende" erzeugt. […] "Bei einigen aber […] entsteht" eine Erinnerung an früher aufgenommene Sinnesobjekte. Und weil die Erinnerung nicht nur ein Schatz und eine Aufhäufung sinnlicher Formen […] ist, sondern auch der Intentionen des Angemessenen und Unangemessenen, des Guten und Schlechten, des Freundlichen und Feindlichen und von derartigem […], "sind einige der Tiere klug", die durch die Erinnerung eine Lebensführung haben, "andere aber", die nur an Sinneswahrnehmung stark sind, sind nicht klug.
[2] Ich nenne die mit Erinnerung begabten [Wesen] nicht gemäß der vollständigen Vernunft der Klugheit klug, die ein aktiver Habitus mit einer wahren Vernunfteinsicht über das ist, was bei uns liegt. […] Sondern […] sie gebrauchen die Erinnerung anstelle von Vernunft […]. Das Zeichen dafür ist, dass sie von entfernten Orten […] zu den eigenen Behausungen und Stöcken zurückkehren.
[3] Manche Tiere sehen wir am Gehör teilhaben und […] "belehrbarer" sein als die, welche nicht die Fähigkeit haben, sich an derartiges Gehörtes zu erinnern. […] Hier […] nennen wir Lernen eine Erziehung, die durch sinnliche Zeichen geschieht, so wie die Hunde, Affen und Papageien durch Winke und derartiges erzogen werden. […] Mehrere Tiere scheinen in bestimmten leichten freien Fertigkeiten gelehrt zu werden, so wie das Springen und […] Tanzen und derartiges, aber wenige in den mechanischen Fertigkeiten. Denn ein Affe ahmt manchmal manches Mechanische aufgrund seines Zugangs zur Ähnlichkeit mit dem Menschen nach.

Albertus Magnus: Über die Seele (De anima) II 4, 7 (157, 86–100 Stroick)

Albertus Magnus betont die Leistung, die das Vorstellen namentlich in Verbindung mit dem Erinnern vollbringt
Dieses Vorstellen […] ist eine größere Kraft, als die sinnliche Seele sie hat. Und es ist das Äußerste der sinnlichen Kraft und wird von der Masse unter den Menschen Denkvermögen genannt, obwohl das Denken eigentlich der Vernunft angehört. Dieses Vorstellen trägt aber sehr viel bei zur Erinnerung an das, was vergessen wurde, indem es die Intentionen zu den Formen und die Formen zur Intention hin bewegt. Denn dadurch entsteht eine Ähnlichkeit zu etwas, was vorher gewusst, und dadurch wird es vergessen. […] Diese ist auch die, welche das Geistige dem Körperlichen angleicht. Denn die geistigen Einteilungen von einem in Vieles gleicht es der Einteilung eines Baums in viele Zweige an, so wie es vorkommt, wenn wir den Baum des Porphyrios erstellen.

Thomas von Aquin: Summa theologiae I (Summa theologiae) 78, 4, s.c. and resp

Thomas von Aquin listet die fünf inneren Sinne nach Avicenna auf, nimmt jedoch eine Umstellung vor
[1] Avicenna erläutert in seinem Buch „Über die Seele“ fünf innere Sinnesvermögen, nämlich den Gemeinsinn, die Phantasia, die Vorstellungskraft, die Einschätzungskraft und die Erinnerungskraft. […]
[2] Die, die in anderen Lebewesen natürliche Einschätzungskraft genannt wird, wird beim Menschen [jedoch] Denkvermögen genannt. […] Sie wird auch partikuläre Vernunft genannt.

Thomas von Aquin: Kommentar zu Aristoteles’ Metaphysik (Sententia libri Metaphysicorum) I 1. § 16 und 18f

Thomas von Aquin entwickelt auf der Grundlage der Theorie der inneren Sinne eine Theorie erfahrungsgestützten Handelns
So wie sich die Erfahrung zur partikulären Vernunft verhält […], so die Fertigkeit zur universalen Vernunft. […] So nämlich wie aus verschiedenen Erinnerungen ein Erfahrungswissen entsteht, ebenso entsteht aus verschiedenen aufgefassten Erfahrungen eine allgemeine Annahme bezüglich ähnlicher Fälle. […] Weil ein Mensch, der dank seiner Erkenntnis erfahren hat, dass diese Arznei Sokrates und Platon, die an einer bestimmten Erkrankung leiden, und in vielen ähnlichen Fällen hilft, so gehört dies, worum immer es sich handelt, zur Erfahrung. Wenn dagegen jemand erfährt, dass etwas allen an einer bestimmten Krankheit Leidenden und in einer Verfassung Befindlichen hilft […], gehört dies schon zur Fertigkeit.

Stephanos von Alexandria: Kommentar zu De anima III (In De anima III) (p. 535, 2-16 Hayduck)

Stephanos von Alexandrien [Pseudo-Philoponos] fasst am Ende der Antike verschiedene Möglichkeiten der Deutung des von Aristoteles in Über die Seele III 5 gemeinten Geistes zusammen
Die Ausleger [von De anima] begaben sich auf viele und unterschiedliche Wege. […]
[1] Alexander [von Aphrodisias] nannte die eine Ursache von allem oder den Geist von außen Geist in Aktivität.
[2] [Proklos’ Schüler] Marinos aber sagte, nicht die eine Ursache von allem sei der Geist in Aktivität, sondern ein daimonischer oder engelhafter. […]
[3] Plotin aber erkannte, dass der menschliche Geist der Geist in Aktivität ist, einerseits als ewig denkender, andererseits als manchmal denkender. Plotin wird aber von Platon getäuscht, denn als er von jenem erfuhr, dass die Seele immer bewegt ist, glaubte er, Platon sage dies aufgrund des Ewig-Denkens.
[4] Plutarch [von Athen; gest. 432] glaubt, wie auch wir meinen, nicht, dass es bei uns einen zweifachen Geist gibt, sondern einen einfachen, und diesen einfachen nennt er nicht einen ewig denkenden, sondern einen manchmal denkenden. Plutarch glaubt also, Aristoteles nenne den menschlichen Geist [Geist] in Aktivität, von dem er auch glaubt, er denke manchmal.

Priskian aus Lydien [Pseudo-Simplikios]: In De anima/Kommentar zu Aristoteles’ De anima III 4 (p. 217, 29-218, 2; 218, 42-219, 11 und 219, 36-220, 5 Hayduck)

Priskian von Lydien (Ps.-Simplikios) erklärt die Einheit, Mannigfaltigkeit und Erschütterbarkeit der Seele
[1] Denn es gibt für jede rationale Seele einen einzelnen und eigenen Geist, an dem sie Teil hat. Durch ihn wird jede Seele bestimmt, nachdem sie in das Bestimmte […] herabgestiegen ist. […] Die Seele ist aber nicht frei von Teilen, wie ihre entfaltete Aktivität deutlich macht, die zugleich in Trennung und in Zusammenfassung hervorgeht. Wenn sie […] herabgestiegen ist, dann hat sie Teil an […] der Bestimmung und der Form, und zwar jede einzelne an ihrer eigenen Form. Denn es existiert ja auch bei den Komposita eine individuierte Form […], die als ganze kommt und geht sowie im gesamten Leben des Kompositums dasselbe bleibt, auch wenn die verschiedenen Teile zu verschiedenen Zeiten entstehen und vergehen. […]
[2] Zunächst ist also die Vernunft der Seele doppelt, die eine ist abgetrennt [vom Körper] und aus sich heraus voll von den eigenen Erkenntnisgegenständen. Durch sie findet die Rückwendung der Seele zu sich selbst und die Verbindung mit den höheren Dingen statt. Die andere [Vernunft der Seele] ist die, durch die die Seele sich als ganze zu den sekundären Dingen ausdehnt, indem sie aus dem Verharren in sich selbst heraustritt. Dabei entfernt sie sich entweder […] vollständig […] oder sie ist […] vollendet. […] Denn sie hat in den auf ihr Sein bezüglichen Dispositionen die Erkenntnisgegenstände aufgenommen, die von den seinsmäßigen hervorgehen, so wie es beim Wissenden der Fall ist. […]
[3] Aber die primäre Seele geht nicht so ins Äußere hervor, dass sie nicht auch in sich selbst bliebe. […] Es ist also eine Vernunft, die zuerst unberührt bleibt und dann durch das Hervorbringen […] aus sich selbst in das Äußere ihre Unveränderlichkeit lockert. […] Denn im Hervorbringen entfernt sie sich in gewisser Weise von sich selbst, und weder bleibt sie vollständig in sich selbst, noch ist sie unberührt das, was sie ist, da sie in gewisser Weise auch in Bezug auf ihr Sein aufgebrochen wird – nicht so, als würde sie ganz zerstört werden, und auch nicht, als würde sie nicht auch irgendwie unverändert bleiben, wenn sie nach außen geht, sondern auf eine Weise, die der Mittelstellung der Seele angemessen ist.

Priskian aus Lydien [Pseudo-Simplikios]: In De anima/Kommentar zu Aristoteles’ De anima III 7 (p. 272, 36-273, 9; 225, 22-27 Hayduck)

Priskian erklärt die Funktion des praktischen Geistes und die Bedeutung des Vorstellens dafür
[1] Jetzt geht er [= Aristoteles] zum praktischen Geist über, […] wobei er fordert, dass dieser Geist die Objekte des Verfolgens und Vermeidens manchmal anhand der gegenwärtigen Wahrnehmungsobjekte selbst bestimmt, wenn er […] überlegt, […] was man tun muss. Aber meistens trifft es zu, dass der praktische Geist nachdenkt und überlegt, während er in den Vorstellungen die Abdrücke der Wahrnehmungsobjekte sieht. Denn auch wenn einmal die Wahrnehmungsobjekte gegenwärtig sind, weckt die denkende Seele das Nachdenken über die Handlungen, indem sie sich zu sich selbst zurückwendet […] und gebraucht diese als vorhandene Teile des Schlusses […].
[2] Also sind auch dieses Wahre und Falsche im praktischen Denken, das auch dann nicht ohne Vorstellungskraft aktiv ist, weil für es auch allgemeine Betrachtungen von der Art sind, wie allgemeine Betrachtungen über Einzelnes, z. B. wenn es sagt, dass jede Stadt von guten Gesetzen regiert oder dass jeder Mann ordentlich sein soll oder etwas in der Art. Denn wenn jemand die Objekte des Denkens als Objekte des Denkens betrachtet, dann wird er nicht auf Allgemeines aus dem Bereich der Objekte der Wahrnehmung zurückgreifen.

Priskian aus Lydien [Pseudo-Simplikios]: In De anima/Kommentar zu Aristoteles’ De anima III 7 (p. 268, 29-31; 269, 3-13 Hayduck)

Priskian erläutert, ausgehend von Aristoteles’ Aussagen zum Gemeinsinn, die neuplatonische Deutung der Einheit des denkenden Subjekts
Das Thema der vorliegenden Aussagen [des Aristoteles] ist […], uns von der Sinneswahrnehmung, wie von etwas Bekannterem, hinaufzuführen zu einem bestimmten Denken der Seele, das allgemein das irgendwie Gedachte unterscheidet. […] Es fasst auch alle Handlungen zusammen und erkennt sie, und zwar nicht nur die Gegensätze wie gut und schlecht in Liebesdingen oder bei der Ernährung, sondern auch beim Besitz, bei Furchtbarem und Schrecklichem und in ähnlicher Weise bei allem. Denn das Denkende sagt ja und erklärt: "Ich lebe maßvoll, gerecht, tapfer oder frei", und es kennt den Unterschied zwischen den Lebensweisen, die es sagt, und auch ihre Gemeinschaft miteinander, da es ihr Denken in etwas Ungeteiltem und Untrennbarem vollzieht. Gewiss gibt es auch etwas noch allgemeineres Denkendes in der Seele, das zugleich die praktischen und die theoretischen Gedanken zusammenfasst, und dieses wird auch die Unterschiedenheit und Gemeinsamkeit der praktischen und theoretischen Objekte untereinander, da es wiederum eines, dasselbe und ungeteilt ist und eine Mannigfaltigkeit ungeteilt auffasst.

Ibn Sīnā (Avicenna): Die Seele (Buch der Genesung) V 6 (p. 239 und 243f. Rahman)

Ibn Sīnā beschreibt die Struktur und den Status des menschlichen Intellekts in neuplatonischer Weise
[1] Wir sagen nun: Die Seele denkt, indem sie in sich selbst die von der Materie losgelöste Form des Gedachten auffasst. Und das Sein der losgelösten Form besteht entweder dadurch, dass der Intellekt sie loslöst; oder weil diese Form in sich selbst losgelöst von der Materie ist. […] Und die Seele erfasst formend ihr Wesen, indem sie es zum Intellekt, zum Denkenden und zum Gedachten macht. Und im Hinblick darauf, dass sie diese Formen formt, so macht sie sie nicht so. Sie ist ja in ihrer Substanz ewig im Körper ein Intellekt der Möglichkeit nach, auch wenn sie in bestimmten Gegenständen zum Akt übergeht. […]
[2] Und das Auffassen davon ist das denkende Wissen, indem nur eine Vollendung zustande kommt, wenn [die Objekte] zusammengesetzt und geordnet werden. Und die zweite [Stufe] ist das einfache Wissen, dem es nicht zukommt, dass es in der Seele eine Form dafür gibt. Vielmehr ist es eines, von dem die Formen in das für die Formen Empfängliche ausgehen. Und dies ist das schöpferische Wissen für das, was wir denkendes Wissen nennen, und dessen Prinzip. Und dieses liegt in dem Intellektvermögen, das abgelöst von der Seele und den schöpferischen Intellekten ähnlich ist. […]
[3] Und wisse, dass es in dem von diesem beiden reinen Intellekt keinerlei Vielheit gibt und keine Ordnung von Form zu Form. Sondern er ist das Prinzip für jede Form, die von ihm zur Seele hin ausströmt. Und Du musst glauben, dass so das Sein des rein Abgetrennten ist […]. Und unser Intellekt ist der schöpferische Intellekt für die ihm zukommenden Formen, nicht der der die Formen produziert.

Albertus Magnus: Über die Seele (De anima) III 2, 12 (192, 78–82 und 194, 13-25 Stroick)

Albertus Magnus entscheidet sich in dieser Situation für die Lösung Ibn Sīnās
[1] Nachdem all dies festgehalten wurde, scheint man mit den Peripatetikern sagen zu müssen, dass der mögliche Intellekt unvermischt, abgetrennt und leidensunfähig ist. […] Aber damit klarer wird, wie dies so ist, wollen wir Avicennas Worten folgen, die mehr mit Aristoteles übereinstimmen. […]
[2] So wird nun gesagt, der mögliche Intellekt sei abgetrennt. Unvermischt aber wird er genannt, weil er nicht mit dem Körper so wie die Form eines Körpers vermischt ist, oder so wie eine organische Kraft, die in einem Organ des Körpers tätig ist. […] Der Intellekt ist eine Kraft von etwas wahrhaft Vorhandenem, welches die rationale Seele ist, die, obgleich sie nicht auf die beiden genannten Weisen mit dem Körper verbunden ist, doch Kräfte besitzt, die mit dem Körper vermischt sind.
[3] Aber der Intellekt ist nicht insofern eine Kraft von ihr, als sie mit dem Körper vermischt ist, sondern eher, insofern er ein Abbild des ersten wirkenden und eine solche Seele hervorbringenden Intellekts ist. Und daher ist es unmöglich, dass der Intellekt mit dem Körper vermischt ist, und daher kann er auch nicht durch ein körperliches Werkzeug wirken.