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Philosophische Zitate aus Antike und Mittelalter

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Johannes Philoponos : Kommentar zu Aristoteles’ „Über die Seele“ (In Aristotelis de Anima libros commentaria) II (p. 289 und 297 Hayduck)

Johannes Philoponos möchte als Neuplatoniker die seelische Aktivität nicht bloß als Erleiden verstehen und definiert sie daher neu
[1] Die Sinneswahrnehmung scheint in der Wahrnehmung der Sinnesobjekte verändert zu werden […]. Wenn sie aber verändert wird, erleidet sie auch, denn die Veränderung ist ein Erleiden. […] Aristoteles sagt nicht als seine Ansicht, dass die Sinneswahrnehmung verändert werde und erleide. […] Er wird nämlich zeigen, wenn er darlegt, wie all das über die Seele gesagt wird, dass weder im eigentlichen Sinn gesagt wird, sie verändere sich, noch sie erleide. […]
[2] Die wahrhaft vollendete Aktivität ist das Hervorbringen des Habitus auf einen Schlag, das nicht zusammen mit der Bewegung der Zeit auftritt, sondern sich für jeden Teil gleich verhält. So ist das Hervorbringen des Lichts. Denn gleichzeitig mit dem Erscheinen des Erleuchtenden wird auf einen Schlag jedes Geeignete erleuchtet. […] Das Erleidende […] wird auch irgendwie bewegt, denn das Erleiden geschieht nicht ohne Bewegung. Das Bewegte aber erleidet dabei überhaupt nicht. Denn gewiss ist auch die Ortsbewegung kein Erleiden. Das Erleiden wird nämlich im Verhältnis zum Tun gesagt, das Tun ist aber eine Veränderung der Qualität nach.

Ibn Sīnā (Avicenna): Die Seele (Buch der Genesung) II 2 (p. 58f. Rahman)

Ibn Sīnā betrachtet die Sinneswahrnehmung als ein spezifisches Feld der Abstraktion
[1] Jetzt wollen wir über die Vermögen der Sinneswahrnehmung und des Auffassens sprechen, und wir wollen über das sprechen, was zur allgemeinen Rede darüber gehört. Wir sagen also: Es scheint, dass jedes Auffassen nichts anderes als ein Ergreifen der aufgefassten Form auf eine von mehreren Weisen ist. Wenn sich nun das Auffassen auf eine materielle Sache richtet, so ist es das Ergreifen seiner von der Materie in einer bestimmten Weise losgelösten (muğarradatin = abstractam) Form. Aber es gibt verschiedene Arten der Loslösung (al-tağrīdi = abstractionis), und ihre Stufen sind nicht von gleicher Art.
[2] Der materiellen Form stoßen nun aufgrund der Materie akzidentell Zustände und Lagen zu, die nicht zu ihrem Wesen gehören. […] Zum Beispiel ist die menschliche Form bzw. die menschliche Washeit eine Natur, die nicht notwendigerweise die Individuen der ganzen Art in gleicher Weise umfasst. Sie ist ja der Zahl nach eine Sache, und es stößt ihr akzidentell zu, dass sie in diesem und jenem Individuum besteht, so dass sie sich vervielfältigt. Und das trifft auf sie nicht von Seiten ihrer Menschennatur zu. […] Folglich ist eines der Akzidenzien der Menschheit von Seiten der Materie genau diese Art der Vervielfältigung durch Teilung.

Ibn Sīnā (Avicenna): Die Seele (Buch der Genesung) III 7 (p. 141f. Rahman)

Ibn Sīnā erörtert, wie die Abgabe und Aufnahme einer abstrahierten Form bei der Sinneswahrnehmung genügt
[1] Und wir sagen: In der Seele wird eine Form des Gesehenen aufgenommen, die der Form in diesem ähnelt, aber nicht diese Form selbst ist. Und auch das, was aufgrund von Annäherung wahrgenommen wird, wie das Gerochene und Berührte, erreicht das Wahrnehmende durch diese Form davon. Aber es entsteht in ihm nur etwas dieser Form Ähnliches.
[2] Von denjenigen der Sachen jedoch, die ein Erleiden hervorrufen, gibt es einen Weg durch Berührung. Und unter ihnen muss etwas, wenn die Berührung entsteht, geschädigt werden, damit eine Spur davon zurückgelassen wird.
[3] Und dies ist an diesem Ort derjenige Strahl, der zu dessen Verbindung mit der Form des Gesehenen erforderlich ist. So kann dasjenige, was die Form aufweist, ein Abbild seiner Form, das dem in der Ferne Auswerfenden als schwaches Abbild ähnlich ist, zu etwas von ihm Verschiedenem hin auswerfen, wenn das Licht stark wird.

Ibn Sīnā (Avicenna): Die Seele (Buch der Genesung) II 3 (p. 68 Rahman)

Ibn Sīnā stellt einen Zusammenhang zwischen dem Tastsinn und einer minimalen Bewegungsfähigkeit bei Schalentieren fest
Und was die Bewegung betrifft, so kann jemand sagen: Nahe ist der Tastsinn den Tieren. Und insoweit er die primäre Art der Sinneswahrnehmung ist, insoweit dürfte scheinen, dass er unter den Bewegungskräften als erste Art vorhanden ist. Nun ist es bekannt, dass es von den Tieren welche gibt, die den Tastsinn besitzen und nicht die Fähigkeit zur Bewegung, so wie die Arten der Muscheln. Aber wir sagen, dass die willentliche Bewegung auf zwei Weisen erfolgt, als von Ort zu Ort transportierende Bewegung und als Bewegung des Zusammenziehens und Ausdehnens der Glieder des Tieres. Und wenn es in ihm überhaupt keinen Transport von seinem Ort gibt, so ist es unmöglich, dass das Tier den Tastsinn hat und die Bewegungskraft in ihm gar nicht vorhanden ist. Denn wie soll man wissen, dass es den Tastsinn hat, außer dadurch, dass an ihm eine Art von Abwendung vom Ertasteten und Streben zum Ertasteten gesehen wird?

Albertus Magnus: Über die Seele (De anima) II 3, 1 (p. 96 Kübel)

Albertus Magnus betont die passive Natur des Vermögens der Sinneswahrnehmung
Das Erste aber, was über die Sinneswahrnehmung im Allgemeinen zu betrachten ist, ist, ob sie, da sie zur Gattung der Vermögen gehört, zur Gattung der passiven oder zur Gattung der aktiven Vermögen gehört. Und man muss sagen, dass sie zur Gattung der passiven Vermögen gehört, weil ,Sinneswahrnehmung‘ dem Akt nach ,durch das Bewegtwerden‘ des Organs ,selbst und durch ein Erleiden‘ vom sinnlich wahrgenommenen Objekt besteht, das seine eigenen Form im Sinnesorgan hervorbringt. Denn alles Empfangende ist erleidend. Und weil die Sinneswahrnehmung nicht anders wahrnimmt als, indem sie eine sinnlich wahrnehmbare Form aufnimmt, muss die Sinneswahrnehmung zur Gattung der passiven Vermögen gehören. Denn ,eine bestimmte Veränderung scheint einzutreten‘, wenn die Sinneswahrnehmung die Form dessen aufnimmt, was im Akt sinnlich wahrgenommen wird, obwohl es sich eigentlich nicht um eine Veränderung handelt.

Albertus Magnus: Über die Seele (De anima) II 3, 5 (p. 103 Kübel)

Albert erläutert Aristoteles’ Lehre von den zwei Typen des Sinnesobjekts an sich (siehe Zitat Nummer 966)
[1] Wenn wir sagen, ein Sinnesobjekt werde an sich sinnlich wahrgenommen, wollen wir, dass man das versteht, […] was durch die eigene Natur und Wesenheit Ursache für die Veränderung eines Sinnes ist, weil es das ist, was wesentlich vermag, der Sinneswahrnehmung ein Erleiden zuzufügen. Wir haben nämlich gesagt […], dass nicht jedes beliebige Wirkende jedem beliebigen Erleidenden ein Erleiden zufügt. Sondern es muss eine Übereinstimmung in der Natur zwischen dem spezifisch Wirkenden und dem spezifisch Erleidenden geben. Und daher wollen wir sagen, dass das ein wesenhaftes Sinnesobjekt ist, was sein eigenes Wesen oder die Intention seines Wesens in das Sinnesorgan hineinmalt. […]
[2] Diese aber sind zwei. […] Eines davon ,ist nun spezifisch‘, welches ,einem Sinn‘ so zukommt, dass es nicht einem anderen zukommt. […] ,Ein anderes‘ Wahrgenommenes ist aber, was daher an sich wahrgenommen werden kann, weil seine Intention verbunden mit einem spezifischen Sinnesobjekt in den Sinn eingedrückt werden kann. Und dies ist das unmittelbare Subjekt der wahrgenommenen Form, welches die Größe ist, in der jede sinnliche Qualität wie in einem spezifischen Subjekt liegt.

Albertus Magnus: Über die Seele (De anima) II 3, 6 (p. 104-106 Kübel)

Albertus Magnus diskutiert, die Ursache hinter der Sinneswahrnehmung
[1] Jetzt gilt es zu der Frage zurückzukehren […], ob die äußerlichen Sinnesobjekte irgendeinen identischen Beweger haben, der in ihnen bewirkt, dass sie sinnlich wahrnehmbare Intentionen werden, so wie […] der aktive Intellekt […] die intelligiblen Intentionen bewirkt […]. Es gab aber einige der Modernen […], die dies zugestanden haben.
[2] Wir sagen […], dass es auf keinerlei Weise notwendig ist, dass es eine Ursache für eine Vielheit gibt. […] Das intentionale und geistige Sein ist aber nicht in einem Gehalt in den Sinnesobjekten, weil ein [Sinnesobjekt] viel geistiger ist als das andere. Denn das eine affiziert sowohl das Medium als auch das Organ, indem es gemäß seinem materiellen Sein darauf wirkt, wie etwa bei den Objekten des Tastsinns. […] Und […] geistiger ist das Sein der Farbe im Medium als das des Tons, und wiederum geistiger ist das Sein des Tons im Medium als das des Geruchs. Und deswegen trägt der Wind Farben nicht weg oder bringt sie, macht aber Töne durch Wegtragen durchaus unhörbar. […]
[3] Und daher sage ich, dass die Form des sinnlich Wahrgenommenen sich durch sich selbst im Medium der Sinneswahrnehmung gemäß ihrer sinnlichen Wahrnehmbarkeit erzeugt.

Aristoteles: Über die Seele (De anima) II 12, 426b 13-427a 5

Aristoteles erläutert die Funktion des Gemeinsinns
Weil wir nun sowohl das Weiße als auch das Süße und ein jedes der Sinnesobjekte jeweils im Einzelnen beurteilen, nehmen wir auch mit etwas wahr, dass sie sich unterscheiden; aber notwendigerweise durch Sinneswahrnehmung. Denn es sind Sinnesobjekte. […] Aber beides muss einem Bestimmten offenbar sein – denn in der Weise, wie wenn ich das eine und du das andere erkennen würdest, wären sie offensichtlich voneinander verschieden. Es muss aber dieses Eine sagen, dass sie verschieden sind […]. Dies sagt also ein- und dasselbe [Vermögen]. […] Dass es also nicht möglich ist, Getrenntes mit Getrenntem zu beurteilen, ist klar; dass es auch nicht zu einem getrennten Zeitpunkt geschehen kann, aus Folgendem: […] Zum Beispiel sage ich jetzt, dass es verschieden ist, aber nicht, dass es jetzt verschieden ist. Sondern so sagt man: sowohl jetzt als auch, dass es jetzt [so ist]. Gleichzeitig also. […] Aber gewiss ist es unmöglich, dass dasselbe, insofern es untrennbar ist, gleichzeitig auf gegensätzliche Weisen bewegt wird. […] Es ist nun so, dass es wie etwas Getrenntes getrennte Objekte wahrnimmt, aber auch so, dass es dieses wie etwas Ungetrenntes [tut]. Denn dem Sein nach ist es getrennt, dem Ort und der Zeit nach ungetrennt.

Aristoteles: Über die Seele (De anima) III 3, 427b 15-25

Aristoteles beschreibt das Vorstellen (phantasia) und grenzt es vom Meinen ab
Das Vorstellen […] ist etwas anderes als Sinneswahrnehmung und Denken. Es geschieht nicht ohne Sinneswahrnehmung, und ohne es gibt es kein Vermuten. Dass das Vorstellen nicht dasselbe ist wie das Vermuten, ist klar. Denn dieses Erleiden liegt bei uns, wenn wir wollen (denn es ist möglich, sich etwas vor Augen zu stellen [...]), zu meinen liegt aber nicht bei uns. Denn notwendigerweise ist es richtig oder falsch. Ferner erleiden wir sogleich etwas, sobald wir etwas Schreckliches oder Furchtbares meinen, ähnlich auch bei etwas Mutigem. Beim Vorstellen verhalten wir uns so wie die, die in der Schrift Schreckliches oder Mutiges betrachten.

Aristoteles: Über die Seele (De anima) III 3, 428a 1-16

Aristoteles definiert die Grenzen des Vorstellens näher und betont ihre Passivität und Irrtumsanfälligkeit
[1] Wenn nun das Vorstellen das ist, von dem wir sagen, durch es trete bei uns eine Vorstellung ein […], gibt es ein Vermögen oder einen Habitus, mit dem wir urteilen und richtig oder falsch liegen. Von dieser Art sind Sinneswahrnehmung, Meinen, Wissen, Geist. […] Es wird aber etwas vorgestellt, wenn nichts davon vorhanden ist, zum Beispiel das in den Träumen [Erscheinende].
[2] Sodann ist die Sinneswahrnehmung immer vorhanden, das Vorstellen nicht. Wenn es aber der Aktivität nach dasselbe ist, müsste bei allen Tieren ein Vorstellen vorhanden sein können. Es scheint aber nicht [so zu sein]: wie bei einer Ameise oder einer Biene, nicht aber bei einem Maulwurf.
[3] Ferner sind diese [Sinneswahrnehmungen] nun immer wahr, die meisten Vorstellungen sind aber falsch. Sodann sagen wir auch nicht, wenn wir exakt in Bezug auf ein Wahrnehmungsobjekt aktiv sind, dass dieses von uns als ein Mensch vorgestellt wird, sondern eher, wenn wir nicht klar wahrnehmen.

Aristoteles: Über die Erinnerung und das Gedächtnis (De memoria et reminiscentia) 1, 449b 22-450a 30

Aristoteles sieht auch die Erinnerung als eine Leistung des Vorstellens an und verortet sie daher in der sinnlichen Seele
Wenn man auf die Weise des Erinnerns aktiv ist, sagt man in der Seele Folgendes: "Dieses hörte man früher, nahm es wahr oder dachte es." […] Aber auf das Gegenwärtige richtet sich Sinneswahrnehmung, auf das Zukünftige Erwartung, auf das Geschehene Erinnerung. Deswegen erfolgt jede Erinnerung verbunden mit Zeit. Folglich erinnern sich nur diejenigen Lebewesen, die Zeit wahrnehmen. […] Und [die Erinnerung] an Denkobjekte besteht nicht ohne Vorstellung. […] Folglich muss sie dem Geist akzidentell zukommen, an sich aber dem ersten Wahrnehmungsvermögen. Deswegen ist sie auch bei anderen Lebewesen vorhanden, und nicht nur bei Menschen. […] Denn immer, wenn man mit der Erinnerung aktiv ist […], nimmt man zusätzlich das ,früher‘ wahr. […] Welchem Seelenvermögen die Erinnerung angehört ist klar: dem, welchem auch das Vorstellen [angehört]. Und die Erinnerungsobjekte an sich sind das, wovon es ein Vorstellen gibt, akzidentell aber die, welche nicht ohne ein Vorstellen vorkommen.

Stephanos von Alexandria: Kommentar zu De anima III (In De anima III) (p. 495, 22-29 Hayduck)

Stephanos von Alexandria (um 600) unterscheidet aufgrund einer Reflexion über Aristoteles‘ Aussagen zu Tieren zwei Typen des Vorstellens
Aber gewiss haben auch die Bienen ein Vorstellen. Denn sie kennen ihre Bienenstöcke und lassen dort ihren Honig zurück. Wenn also die Evidenz lehrt, dass sie ein Vorstellen haben, wie kann Aristoteles sagen, dass sie kein Vorstellen haben? Das ist die Frage. Auf sie antworten wir, dass das Vorstellen auf zwei Weisen vorkommt, das eine als erinnerndes, das andere als lernfähiges, durch das wir lernen. Dieses hat auch der Papagei, denn durch es lernt er die menschlichen Worte. Welches Vorstellen spricht also Aristoteles den genannten Lebewesen ab? Und wir sagen: nicht das erinnernde, sondern das lernfähige.

Stephanos von Alexandria: Kommentar zu De anima III (In De anima III) (p. 507, 35-508, 7 und 509, 13-22 Hayduck)

Ein weiterer Aspekt, den Stephanos einführt, betrifft die Fähigkeit des Vorstellens, aufgefasste Formen zu kombinieren
[1] Wie nun? Fingiert das Vorstellen nicht manches, was die Sinneswahrnehmung nicht kennt? […]. Folglich fingiert das Vorstellen auch, was die Sinneswahrnehmung nicht kennt und ist ohne Sinneswahrnehmung aktiv. Das ist die Frage. Wir sagen dazu: Auch wenn es fingiert, nimmt es die Ausgangspunkte wieder aus der Sinneswahrnehmung. Denn weil jemand den Bock und den Hirsch je für sich gesehen hat, nahm es diese Ausgangspunkte, die einfach sind, von der Sinneswahrnehmung und fingierte das Zusammengesetzte. Wenn es einen zum Himmel reichenden Menschen fingiert, so sah es doch vorher einen einzelnen Menschen. […]
[2] Wie kann Aristoteles nun sagen, dass das Vorstellen in Bezug auf die Wahrnehmungsobjekte an sich immer wahr ist, nachdem er gesagt hatte, dass das Vorstellen nicht immer wahr ist […]? Und dies ist die Frage. Dazu ist zu sagen, dass das Vorstellen auf zwei Weisen geschieht, die eine, die nur die Formen aufnimmt und wie etwas Aufnehmendes ist, die andere, die sich ausmalt, was sie will. Die die Formen aufnehmende ist nun immer richtig […]. Die sich ausmalende, was sie will, ist die Falsches Angebende. Denn weil sie sich nicht-Seiendes ausmalt, ist sie falsch.

Ibn Sīnā (Avicenna): Die Seele (Buch der Genesung) IV 1 (p. 165f. Rahman)

Ibn Sīnā ergänzt den Gemeinsinn und die Formen des Vorstellens weiter und fasst sie zur Gruppe der fünf inneren Sinne zusammen
[1] Nun wissen wir aber in unserer Natur, dass wir Sinnesobjekte nicht gemäß der Form, die wir außen sehen, untereinander kombinieren und voneinander unterscheiden. […] Es ist also nötig, dass es in uns eine Kraft gibt, durch die wir dies tun. Sie wird, wenn der Intellekt sie verwendet, Denkkraft genannt, und, wenn ein tierisches Vermögen sie verwendet, Vorstellungskraft.
[2] Ferner urteilen wir bisweilen über Sinnesobjekte durch Intentionen, deren Naturen zum Teil gar nicht sinnlich wahrnehmbar sind, […] so wie Feindschaft, Schlechtigkeit und Abneigung, welche das Schaf in der Form des Wolfs wahrnimmt, und überhaupt die Intention, die es vor ihm fliehen lässt, sowie die Eintracht, die es bei seiner Gefährtin wahrnimmt. […] Es handelt sich um Dinge, welche die tierische Seele wahrnimmt, ohne dass die Sinneswahrnehmung auf irgendetwas davon hinweist. Also ist das Vermögen, durch welches dies aufgefasst wird, eine andere Kraft und wird Einschätzungskraft genannt (al-wahm = aestimatio).

Ibn Rušd (Averroes): Großer Kommentar zu Aristoteles‘ De anima III 6 (p. 415, 59-61; 416, 75-78 Crawford)

Eine etwas von Avicenna verschiedene Perspektive führt Ibn Rušd (Averroes; 1126-1198) in seinem Großen Kommentar zu De anima ein
Das Denkvermögen ist bei Aristoteles eine individuell unterscheidende Kraft, insofern nämlich, als sie etwas nicht anders als individuell unterscheidet, nicht universell. […] Obwohl der Mensch also streng genommen ein Denkvermögen hat, impliziert das nicht, dass diese Kraft eine rationale Unterscheidungskraft ist. Die nämlich unterscheidet universale, keine individuellen Intentionen.

Bibel: Jüdisches / Altes Testament: 1 Mose (Genesis) I 1, 6 (8, 76–9, 61 Geyer)

Albertus Magnus stellt in differenzierter Weise die geistigen Leistungen der Tiere heraus
[1] "Die Tiere […] werden als Sinneswahrnehmung besitzende" erzeugt. […] "Bei einigen aber […] entsteht" eine Erinnerung an früher aufgenommene Sinnesobjekte. Und weil die Erinnerung nicht nur ein Schatz und eine Aufhäufung sinnlicher Formen […] ist, sondern auch der Intentionen des Angemessenen und Unangemessenen, des Guten und Schlechten, des Freundlichen und Feindlichen und von derartigem […], "sind einige der Tiere klug", die durch die Erinnerung eine Lebensführung haben, "andere aber", die nur an Sinneswahrnehmung stark sind, sind nicht klug.
[2] Ich nenne die mit Erinnerung begabten [Wesen] nicht gemäß der vollständigen Vernunft der Klugheit klug, die ein aktiver Habitus mit einer wahren Vernunfteinsicht über das ist, was bei uns liegt. […] Sondern […] sie gebrauchen die Erinnerung anstelle von Vernunft […]. Das Zeichen dafür ist, dass sie von entfernten Orten […] zu den eigenen Behausungen und Stöcken zurückkehren.
[3] Manche Tiere sehen wir am Gehör teilhaben und […] "belehrbarer" sein als die, welche nicht die Fähigkeit haben, sich an derartiges Gehörtes zu erinnern. […] Hier […] nennen wir Lernen eine Erziehung, die durch sinnliche Zeichen geschieht, so wie die Hunde, Affen und Papageien durch Winke und derartiges erzogen werden. […] Mehrere Tiere scheinen in bestimmten leichten freien Fertigkeiten gelehrt zu werden, so wie das Springen und […] Tanzen und derartiges, aber wenige in den mechanischen Fertigkeiten. Denn ein Affe ahmt manchmal manches Mechanische aufgrund seines Zugangs zur Ähnlichkeit mit dem Menschen nach.

Albertus Magnus: Über die Seele (De anima) II 4, 7 (157, 86–100 Stroick)

Albertus Magnus betont die Leistung, die das Vorstellen namentlich in Verbindung mit dem Erinnern vollbringt
Dieses Vorstellen […] ist eine größere Kraft, als die sinnliche Seele sie hat. Und es ist das Äußerste der sinnlichen Kraft und wird von der Masse unter den Menschen Denkvermögen genannt, obwohl das Denken eigentlich der Vernunft angehört. Dieses Vorstellen trägt aber sehr viel bei zur Erinnerung an das, was vergessen wurde, indem es die Intentionen zu den Formen und die Formen zur Intention hin bewegt. Denn dadurch entsteht eine Ähnlichkeit zu etwas, was vorher gewusst, und dadurch wird es vergessen. […] Diese ist auch die, welche das Geistige dem Körperlichen angleicht. Denn die geistigen Einteilungen von einem in Vieles gleicht es der Einteilung eines Baums in viele Zweige an, so wie es vorkommt, wenn wir den Baum des Porphyrios erstellen.

Thomas von Aquin: Summa theologiae I (Summa theologiae) 78, 4, s.c. and resp

Thomas von Aquin listet die fünf inneren Sinne nach Avicenna auf, nimmt jedoch eine Umstellung vor
[1] Avicenna erläutert in seinem Buch „Über die Seele“ fünf innere Sinnesvermögen, nämlich den Gemeinsinn, die Phantasia, die Vorstellungskraft, die Einschätzungskraft und die Erinnerungskraft. […]
[2] Die, die in anderen Lebewesen natürliche Einschätzungskraft genannt wird, wird beim Menschen [jedoch] Denkvermögen genannt. […] Sie wird auch partikuläre Vernunft genannt.

Thomas von Aquin: Kommentar zu Aristoteles’ Metaphysik (Sententia libri Metaphysicorum) I 1. § 16 und 18f

Thomas von Aquin entwickelt auf der Grundlage der Theorie der inneren Sinne eine Theorie erfahrungsgestützten Handelns
So wie sich die Erfahrung zur partikulären Vernunft verhält […], so die Fertigkeit zur universalen Vernunft. […] So nämlich wie aus verschiedenen Erinnerungen ein Erfahrungswissen entsteht, ebenso entsteht aus verschiedenen aufgefassten Erfahrungen eine allgemeine Annahme bezüglich ähnlicher Fälle. […] Weil ein Mensch, der dank seiner Erkenntnis erfahren hat, dass diese Arznei Sokrates und Platon, die an einer bestimmten Erkrankung leiden, und in vielen ähnlichen Fällen hilft, so gehört dies, worum immer es sich handelt, zur Erfahrung. Wenn dagegen jemand erfährt, dass etwas allen an einer bestimmten Krankheit Leidenden und in einer Verfassung Befindlichen hilft […], gehört dies schon zur Fertigkeit.

Stephanos von Alexandria: Kommentar zu De anima III (In De anima III) (p. 535, 2-16 Hayduck)

Stephanos von Alexandrien [Pseudo-Philoponos] fasst am Ende der Antike verschiedene Möglichkeiten der Deutung des von Aristoteles in Über die Seele III 5 gemeinten Geistes zusammen
Die Ausleger [von De anima] begaben sich auf viele und unterschiedliche Wege. […]
[1] Alexander [von Aphrodisias] nannte die eine Ursache von allem oder den Geist von außen Geist in Aktivität.
[2] [Proklos’ Schüler] Marinos aber sagte, nicht die eine Ursache von allem sei der Geist in Aktivität, sondern ein daimonischer oder engelhafter. […]
[3] Plotin aber erkannte, dass der menschliche Geist der Geist in Aktivität ist, einerseits als ewig denkender, andererseits als manchmal denkender. Plotin wird aber von Platon getäuscht, denn als er von jenem erfuhr, dass die Seele immer bewegt ist, glaubte er, Platon sage dies aufgrund des Ewig-Denkens.
[4] Plutarch [von Athen; gest. 432] glaubt, wie auch wir meinen, nicht, dass es bei uns einen zweifachen Geist gibt, sondern einen einfachen, und diesen einfachen nennt er nicht einen ewig denkenden, sondern einen manchmal denkenden. Plutarch glaubt also, Aristoteles nenne den menschlichen Geist [Geist] in Aktivität, von dem er auch glaubt, er denke manchmal.