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Philosophische Zitate aus Antike und Mittelalter

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Ibn Sīnā (Avicenna): Über die Seele Buch der Genesung, I 5 (p. 40f. Rahman)

Ibn Sīnā unterscheidet, Aristoteles folgend, drei grundsätzliche Vermögen der vegetativen Seele
(1) Und die Pflanzenseele hat drei Vermögen. Und das Nährvermögen ist das Vermögen, einen anderen Körper als den Körper, in dem es ist, in eine Ähnlichkeit zu dem Körper, in dem es ist, zu verwandeln, und diesem das anzuhaften, was von jenem ist;
(2) und das Wachstumsvermögen, das das Vermögen ist, zu dem Körper, in dem es ist, durch einen ähnlichen Körper etwas Passendes zu seiner Ausdehnung hinzuzufügen, in Bezug auf die Länge und die Tiefe und die Breite, so dass er die Vollendung des Wachstums erreicht.
(3) Und das generative Vermögen empfängt von dem Körper, in dem es ist, einen Teil, der ihm dem Vermögen nach ähnlich ist. Dann macht es mit ihm durch Aufnahme anderer Körper, die ihm ähnlich sind, durch Herstellung von etwas, das es hervorbringt, etwas, das ihm im Akt ähnlich ist.

Thomas von Aquin: Summa theologiae I-II (Summa theologiae) I-II 78, 2 resp

Alberts Schüler Thomas von Aquin (1224/25-1274) betont die besondere Würde des Fortpflanzungsvermögens in der vegetativen Seele
Es ist […] ein gewisser Unterschied zwischen diesen Vermögen zu beachten. Denn das Nährvermögen und das Wachstumsvermögen haben ihre Wirkung in dem, worin sie sind, weil der mit der Seele vereinte Körper selbst wächst und erhalten wird. […] Aber die generative Kraft hat ihre Wirkung nicht in demselben Körper, sondern in einem anderen, weil nichts sich selbst zeugen kann. Und daher nähert sich die generative Kraft irgendwie der Würde der sinnlichen Seele an, welche eine Tätigkeit in Bezug auf äußere Dinge hat, wenn auch auf herausgehobenere und allgemeinere Weise. Denn das Oberste einer niedrigeren Natur berührt das, was das Niedrigste des Höheren ist, wie durch Dionysios im 7. Kapitel von ,Die göttlichen Namen‘ deutlich ist.

Ibn Sīnā (Avicenna): Über die Seele Buch der Genesung, II 1 (p. 56f. Rahman)

Ibn Sīnā über die unterschiedliche Wirkung des vegetativen Fortpflanzungsvermögens in verschiedenen Wesen
[1] Und das pflanzliche Vermögen, das in den Tieren ist, also der Unterschied, den sie in ihrem Sein vom Allgemeinen haben, ist gerade das Nähr- und Wachstumsvermögen, und es ist vermischt mit der Gestalt und den Elementen zu einer Mischung, die für das Lebewesen passt. Denn ihre Mischung spielt nicht die Rolle des Vermögens, das den Pflanzen und Tieren gemeinsam ist, insofern es gemeinsam ist. […] Es gehört nämlich nicht zur Natur der Elemente und gegensätzlichen Körper, dass sie miteinander verbunden sind, sondern zu ihrer Natur gehört eine Neigung nach verschiedenen Seiten hin.
[2] Und verbunden hat sie nur die spezifische Seele, zum Beispiel in einer Palme eine Palmenseele und bei einer Traube eine Traubenseele und überhaupt die Seele, welche die Form für diese Materie ist. Und wenn es sich um eine Palmenseele handelt, kommt es ihr zusätzlich dazu, eine Palmenseele zu sein, zu, dass sie eine Wachstumsseele ist, und in einer Traube, eine Traubenseele zu sein. Und die Palme braucht nicht eine Pflanzenseele und eine andere Seele, die in dieser Palmenseele wäre. […] Und insofern ist die Pflanzenseele, die in den Tieren ist, also die nach Schöpfung des Tieres, […] in Wirklichkeit keine Pflanzenseele, abgesehen davon, dass man sie eine Pflanzenseele in der Weise nennt, die wir erwähnt haben.

Albertus Magnus: Über die Seele (De anima) II 2, 8 (p. 91f. Kübel)

Albertus Magnus entwickelt, in der Nachfolge der Ärzte Galen und Avicenna, eine ausführliche Theorie der Funktion des Zeugungsvermögens und erläutert die beiden (männlichen und weiblichen) Säfte, die am Zeugungsakt beteiligt sind
[1] Die Samenglieder sind das Organ des Zeugungsvermögens, so wie das Gehirn das Organ der Seelenkraft und das Herz das der Lebenskraft ist. Und die Zeugungskraft, die in den Genitalien liegt, drückt in überschüssiger Nahrung eine formative Kraft ein, die, […] wenn sie am erforderlichen Ort ist, den Samen zu einem organischen Körper formt. […] Dieser Same wird nun vom ganzen Körper abgeschieden, aber besonders vom Gehirn, und […] angezogen durch die Kraft der Hoden wird er zu den Samengefäßen gezogen und dort durch die vorher genannte Kraft informiert.
[2] Und daher ist die Zeugungskraft […] zweifach: eine im Zeugenden, die den Samen durch die Anziehung abscheidet […]. Die andere Zeugungskraft aber ist im Samen, der eine formative Kraft ist, die zwei Werkzeuge, zwei Materien und zwei Werke hat. Eines ihrer Werkzeuge ist die Wärme des Samens, die durch drei Kräfte geformt ist: Eine hat er von der Substanz, insofern sie Wärme ist. […] Die zweite ist eine Himmelskraft, durch welche Kraft er aufgrund des Vermögens des Bewegers des Himmels auf das Leben hinarbeitet. […] Das dritte ist die Kraft der Seele, deren Werkzeug die Wärme selbst ist […].
[3] Die beiden Feuchtigkeiten aber sind die Materien, in denen [das Zeugungsvermögen] das tut. Und zwar ist eine die, die in der Substanz der Samen ist, und das ist die hauptsächliche. Die andere wird angezogen, um ihr hinzugeführt zu werden, und das ist die Feuchtigkeit des Menstruationsbluts, an dessen Stelle das Kind Nahrung sucht, wenn sie von der Gebärmutter getrennt wird. Und diese Feuchtigkeit ist eine Ergänzung, die zur Feuchtigkeit des Samens hinzugefügt wird, um zur Bildung von Gliedern zu genügen.

Albertus Magnus: Über die Tiere (De animalibus) XVI (p. 1098 Stadler)

Albertus Magnus erklärt die Fortpflanzung vor dem Hintergrund seiner gesamten Naturtheorie als Werk der der Natur innewohnenden Intelligenz
[1] Der Körper des Spermas ist der, mit dem und in dem aus dem das Sperma ablassende Tier ein Geistwesen ausgeht. Dieses ist die größte Kraft und das Prinzip für die Seele, die in das empfangene Wesen eingeführt wird, nachdem sie von der Möglichkeit in den Akt überführt wurde.
[2] Und dieses Geistwesen ist vom Körper des Erzeugers getrennt […] und […] ist ein göttliches Ding […], so dass es […] formender praktischer Intellekt genannt wird, so wie die Werkzeuge einer Fertigkeit selbst eine Fertigkeit genannt werden. […] Denn dieser […] ist so, wie wenn die Kraft einer Fertigkeit aus dem Fertiger als ganze in eine Axt eintreten würde, so dass die Axt durch sich selbst in Hölzer und Steine eintreten würde sowie ohne Kontakt und Bewegung durch den Fertiger ein Haus machen würde.
[3] Denn eine solche Axt wäre nicht unterschieden von der Kraft des praktischen Intellekts […], welcher der Hersteller und Vollender der gesamten Natur wäre […]. Denn auf diese Weise wird das Werk der Natur ein Werk der Intelligenz oder des Intellekts genannt.

Albertus Magnus: Frage über die Empfängnis Christi (Quaestio de conceptione Christi) Artikel/articulus 1 (p. 258 und 260 Fries)

Albertus Magnus diskutiert die Rolle Mariens bei der unbefleckten Empfängnis und Geburt Jesu
[1] Es wird gefragt, ob die selige Jungfrau [Maria] den Fötus durch aktive Formung oder nur durch Dienst an der Materie des Körpers geboren hat.
[2] Lösung: […] Die Zeugung Christ stammt effektiv […] in Bezug auf die Formung nur vom Heiligen Geist. Es ist jedoch zu unterscheiden, dass nicht nur die Materie von der seligen Jungfrau her empfangen wird, sondern die spezifische Materie des Körpers Christi mit den Dispositionen. Diese Dispositionen bewegen zur […] Formbarkeit, aber nur als bewegte. Und in der seligen Jungfrau wurden sie vom Heiligen Geist bewegt, in einer anderen Mutter werden sie von der Kraft im Samen des Vaters bewegt.
[3] Und auf diese Weise ist das, was von der Mutter aufgrund einer ihr innewohnenden Kraft abgeschieden wird, auf den Fötus hin tätig. […] Auf andere Weise […] ist sie durch die Kraft der Gebärmutter auf die Verbesserung hin tätig, weil der Fötus durch die Nabelschnur von der Mutter abhängt. […] Und im Hinblick auf diese Tätigkeiten sagt Avicenna, dass die Gebärmutter auf die Verbesserung des Fötus hin tätig ist. […] Und weil es nicht mehr Tätigkeiten einer wahren Mutter im Hinblick auf den Fötus gibt […], ist klar, dass die selige Jungfrau auf allerwahrste Weise die Mutter Christi war.

Aristoteles: Über die Seele (De anima) II 12, 424a 18-28

Aristoteles trifft grundlegende Aussagen über die Sinneswahrnehmung
[1] Im Allgemeinen muss man über jede Sinneswahrnehmung begreifen, dass die Sinneswahrnehmung etwas ist, was die sinnlichen Formen ohne Materie aufnehmen kann, so wie das Wachs das Zeichen des Siegelrings ohne das Eisen und das Gold aufnimmt. Es nimmt aber das goldene oder eiserne Zeichen auf, aber nicht, insofern es Gold oder Eisen ist. Ähnlich erleidet auch die Sinneswahrnehmung durch das, was eine Farbe oder einen Geschmack oder einen Ton aufweist, aber nicht so, dass gesagt wird, sie sei ein jedes davon, sondern als ein derartiges und gemäß dem Gehalt.
[2] Das erste Sinnesorgan ist das, worin sich das so geartete Vermögen befindet. Es ist nun dasselbe [wie das Wahrgenommene], aber das Sein ist verschieden. Denn sonst wäre das Wahrnehmende eine Größe. Aber gewiss ist es weder eine Größe, wahrnehmend zu sein, noch ist die Sinneswahrnehmung eine, sondern [sie ist] ein bestimmter Gehalt und ein Vermögen für jenes.

Aristoteles: Über die Seele (De anima) II 6, 418a 8-22

Aristoteles erläutert das Verhältnis der jeweiligen Sinne zu ihren Objekten
[1] Von einem Sinnesobjekt spricht man auf dreierlei Weise, wobei wir sagen, dass wir zwei an sich wahrnehmen, eine aber akzidentell. Von den zweien ist das eine spezifisch für jeden Sinn, das Allgemeine aber für alle. Ich nenne ,spezifisch‘ das, was nicht mit einem anderen Sinn wahrgenommen werden kann […], so wie der Gesichtssinn auf die Farbe gerichtet ist, das Gehör auf den Ton und der Geschmackssinn auf den Geschmack. Das Tasten hat aber mehrere Differenzen.
[2] Aber jede einzelne urteilt über dieses und täuscht sich nicht darin, dass dies eine Farbe oder ein Ton ist, sondern darin, was das Gefärbte ist und wo es ist, oder was das den Ton Verursachende ist oder wo es ist. Das derartige wird spezifisch für jeden einzelnen [Sinn] genannt. Allgemein sind aber Bewegung, Ruhe, Zahl, Gestalt und Größe. Denn derartiges ist […] allen [Sinnen] gemeinsam. Denn eine Bewegung ist wahrnehmbar für das Tasten und den Gesichtssinn.
[3] Akzidentell wahrnehmbar wird aber etwas genannt, wie wenn das Weiße der Sohn des Diares ist. Denn diesen nimmt man akzidentell war, weil das Weiße, das man wahrnimmt, akzidentell dieses ist. Deswegen erleidet man [in diesem Fall nichts] unter dem Sinnesobjekt als solchem.

Aristoteles: Über die Seele (De anima) II 7, 418a 29-b 2

Auf physikalischer Ebene meint Aristoteles, dass zur Sinneswahrnehmung ein Medium zwischen Organ und wahrgenommenem Objekt erforderlich ist
[1] Das […] Sichtbare ist Farbe. […] Jede Farbe ist aber geeignet, das […] Durchsichtige zu bewegen. […] Deswegen ist es ohne Licht nicht sichtbar. […].
[2] Denn nicht richtig […] spricht Demokrit in der Überzeugung, dass dann, wenn das Medium leer wäre, exakt gesehen würde, selbst wenn ein Maulwurf im Himmel wäre. Denn dies ist unmöglich. Denn das Sehen geschieht, wenn das Wahrnehmungsvermögen etwas erleidet. Durch die gesehene Farbe selbst ist nun ist das unmöglich. Es bleibt also, dass es durch das Medium geschieht, so dass es notwendig ist, dass es irgendein Medium gibt. Wenn aber etwas Leeres entsteht, ist es nicht so, dass exakt, sondern dass überhaupt nichts gesehen wird.

Johannes Philoponos : Kommentar zu Aristoteles’ „Über die Seele“ (In Aristotelis de Anima libros commentaria) II (p. 289 und 297 Hayduck)

Johannes Philoponos möchte als Neuplatoniker die seelische Aktivität nicht bloß als Erleiden verstehen und definiert sie daher neu
[1] Die Sinneswahrnehmung scheint in der Wahrnehmung der Sinnesobjekte verändert zu werden […]. Wenn sie aber verändert wird, erleidet sie auch, denn die Veränderung ist ein Erleiden. […] Aristoteles sagt nicht als seine Ansicht, dass die Sinneswahrnehmung verändert werde und erleide. […] Er wird nämlich zeigen, wenn er darlegt, wie all das über die Seele gesagt wird, dass weder im eigentlichen Sinn gesagt wird, sie verändere sich, noch sie erleide. […]
[2] Die wahrhaft vollendete Aktivität ist das Hervorbringen des Habitus auf einen Schlag, das nicht zusammen mit der Bewegung der Zeit auftritt, sondern sich für jeden Teil gleich verhält. So ist das Hervorbringen des Lichts. Denn gleichzeitig mit dem Erscheinen des Erleuchtenden wird auf einen Schlag jedes Geeignete erleuchtet. […] Das Erleidende […] wird auch irgendwie bewegt, denn das Erleiden geschieht nicht ohne Bewegung. Das Bewegte aber erleidet dabei überhaupt nicht. Denn gewiss ist auch die Ortsbewegung kein Erleiden. Das Erleiden wird nämlich im Verhältnis zum Tun gesagt, das Tun ist aber eine Veränderung der Qualität nach.

Ibn Sīnā (Avicenna): Über die Seele Buch der Genesung, II 2 (p. 58f. Rahman)

Ibn Sīnā betrachtet die Sinneswahrnehmung als ein spezifisches Feld der Abstraktion
(1) Jetzt wollen wir über die Vermögen der Sinneswahrnehmung und des Auffassens sprechen, und wir wollen über das sprechen, was zur allgemeinen Rede darüber gehört. Wir sagen also: Es scheint, dass jedes Auffassen nichts anderes als ein Ergreifen der aufgefassten Form auf eine von mehreren Weisen ist. Wenn sich nun das Auffassen auf eine materielle Sache richtet, so ist es das Ergreifen seiner von der Materie in einer bestimmten Weise losgelösten (muğarradatin = abstractam) Form. Aber es gibt verschiedene Arten der Loslösung (al-tağrīdi = abstractionis), und ihre Stufen sind nicht von gleicher Art.
(2) Der materiellen Form stoßen nun aufgrund der Materie akzidentell Zustände und Lagen zu, die nicht zu ihrem Wesen gehören. […] Zum Beispiel ist die menschliche Form bzw. die menschliche Washeit eine Natur, die nicht notwendigerweise die Individuen der ganzen Art in gleicher Weise umfasst. Sie ist ja der Zahl nach eine Sache, und es stößt ihr akzidentell zu, dass sie in diesem und jenem Individuum besteht, so dass sie sich vervielfältigt. Und das trifft auf sie nicht von Seiten ihrer Menschennatur zu. […] Folglich ist eines der Akzidenzien der Menschheit von Seiten der Materie genau diese Art der Vervielfältigung durch Teilung.

Ibn Sīnā (Avicenna): Über die Seele Buch der Genesung, III 7 (p. 141f. Rahman)

Ibn Sīnā erörtert, wie die Abgabe und Aufnahme einer abstrahierten Form bei der Sinneswahrnehmung genügt
(1) Und wir sagen: In der Seele wird eine Form des Gesehenen aufgenommen, die der Form in diesem ähnelt, aber nicht diese Form selbst ist. Und auch das, was aufgrund von Annäherung wahrgenommen wird, wie das Gerochene und Berührte, erreicht das Wahrnehmende durch diese Form davon. Aber es entsteht in ihm nur etwas dieser Form Ähnliches.
(2) Von denjenigen der Sachen jedoch, die ein Erleiden hervorrufen, gibt es einen Weg durch Berührung. Und unter ihnen muss etwas, wenn die Berührung entsteht, geschädigt werden, damit eine Spur davon zurückgelassen wird.
(3) Und dies ist an diesem Ort derjenige Strahl, der zu dessen Verbindung mit der Form des Gesehenen erforderlich ist. So kann dasjenige, was die Form aufweist, ein Abbild seiner Form, das dem in der Ferne Auswerfenden als schwaches Abbild ähnlich ist, zu etwas von ihm Verschiedenem hin auswerfen, wenn das Licht stark wird.

Ibn Sīnā (Avicenna): Über die Seele Buch der Genesung, II 3 (p. 68 Rahman)

Ibn Sīnā stellt einen Zusammenhang zwischen dem Tastsinn und einer minimalen Bewegungsfähigkeit bei Schalentieren fest
Und was die Bewegung betrifft, so kann jemand sagen: Nahe ist der Tastsinn den Tieren. Und insoweit er die primäre Art der Sinneswahrnehmung ist, insoweit dürfte scheinen, dass er unter den Bewegungskräften als erste Art vorhanden ist. Nun ist es bekannt, dass es von den Tieren welche gibt, die den Tastsinn besitzen und nicht die Fähigkeit zur Bewegung, so wie die Arten der Muscheln. Aber wir sagen, dass die willentliche Bewegung auf zwei Weisen erfolgt, als von Ort zu Ort transportierende Bewegung und als Bewegung des Zusammenziehens und Ausdehnens der Glieder des Tieres. Und wenn es in ihm überhaupt keinen Transport von seinem Ort gibt, so ist es unmöglich, dass das Tier den Tastsinn hat und die Bewegungskraft in ihm gar nicht vorhanden ist. Denn wie soll man wissen, dass es den Tastsinn hat, außer dadurch, dass an ihm eine Art von Abwendung vom Ertasteten und Streben zum Ertasteten gesehen wird?

Albertus Magnus: Über die Seele (De anima) II 3, 1 (p. 96 Kübel)

Albertus Magnus betont die passive Natur des Vermögens der Sinneswahrnehmung
Das Erste aber, was über die Sinneswahrnehmung im Allgemeinen zu betrachten ist, ist, ob sie, da sie zur Gattung der Vermögen gehört, zur Gattung der passiven oder zur Gattung der aktiven Vermögen gehört. Und man muss sagen, dass sie zur Gattung der passiven Vermögen gehört, weil ,Sinneswahrnehmung‘ dem Akt nach ,durch das Bewegtwerden‘ des Organs ,selbst und durch ein Erleiden‘ vom sinnlich wahrgenommenen Objekt besteht, das seine eigenen Form im Sinnesorgan hervorbringt. Denn alles Empfangende ist erleidend. Und weil die Sinneswahrnehmung nicht anders wahrnimmt als, indem sie eine sinnlich wahrnehmbare Form aufnimmt, muss die Sinneswahrnehmung zur Gattung der passiven Vermögen gehören. Denn ,eine bestimmte Veränderung scheint einzutreten‘, wenn die Sinneswahrnehmung die Form dessen aufnimmt, was im Akt sinnlich wahrgenommen wird, obwohl es sich eigentlich nicht um eine Veränderung handelt.

Albertus Magnus: Über die Seele (De anima) II 3, 5 (p. 103 Kübel)

Albert erläutert Aristoteles’ Lehre von den zwei Typen des Sinnesobjekts an sich (siehe Zitat Nummer 966)
[1] Wenn wir sagen, ein Sinnesobjekt werde an sich sinnlich wahrgenommen, wollen wir, dass man das versteht, […] was durch die eigene Natur und Wesenheit Ursache für die Veränderung eines Sinnes ist, weil es das ist, was wesentlich vermag, der Sinneswahrnehmung ein Erleiden zuzufügen. Wir haben nämlich gesagt […], dass nicht jedes beliebige Wirkende jedem beliebigen Erleidenden ein Erleiden zufügt. Sondern es muss eine Übereinstimmung in der Natur zwischen dem spezifisch Wirkenden und dem spezifisch Erleidenden geben. Und daher wollen wir sagen, dass das ein wesenhaftes Sinnesobjekt ist, was sein eigenes Wesen oder die Intention seines Wesens in das Sinnesorgan hineinmalt. […]
[2] Diese aber sind zwei. […] Eines davon ,ist nun spezifisch‘, welches ,einem Sinn‘ so zukommt, dass es nicht einem anderen zukommt. […] ,Ein anderes‘ Wahrgenommenes ist aber, was daher an sich wahrgenommen werden kann, weil seine Intention verbunden mit einem spezifischen Sinnesobjekt in den Sinn eingedrückt werden kann. Und dies ist das unmittelbare Subjekt der wahrgenommenen Form, welches die Größe ist, in der jede sinnliche Qualität wie in einem spezifischen Subjekt liegt.

Albertus Magnus: Über die Seele (De anima) II 3, 6 (p. 104-106 Kübel)

Albertus Magnus diskutiert, die Ursache hinter der Sinneswahrnehmung
[1] Jetzt gilt es zu der Frage zurückzukehren […], ob die äußerlichen Sinnesobjekte irgendeinen identischen Beweger haben, der in ihnen bewirkt, dass sie sinnlich wahrnehmbare Intentionen werden, so wie […] der aktive Intellekt […] die intelligiblen Intentionen bewirkt […]. Es gab aber einige der Modernen […], die dies zugestanden haben.
[2] Wir sagen […], dass es auf keinerlei Weise notwendig ist, dass es eine Ursache für eine Vielheit gibt. […] Das intentionale und geistige Sein ist aber nicht in einem Gehalt in den Sinnesobjekten, weil ein [Sinnesobjekt] viel geistiger ist als das andere. Denn das eine affiziert sowohl das Medium als auch das Organ, indem es gemäß seinem materiellen Sein darauf wirkt, wie etwa bei den Objekten des Tastsinns. […] Und […] geistiger ist das Sein der Farbe im Medium als das des Tons, und wiederum geistiger ist das Sein des Tons im Medium als das des Geruchs. Und deswegen trägt der Wind Farben nicht weg oder bringt sie, macht aber Töne durch Wegtragen durchaus unhörbar. […]
[3] Und daher sage ich, dass die Form des sinnlich Wahrgenommenen sich durch sich selbst im Medium der Sinneswahrnehmung gemäß ihrer sinnlichen Wahrnehmbarkeit erzeugt.

Aristoteles: Über die Seele (De anima) III 12, 426b 13-427a 5

Aristoteles erläutert die Funktion des Gemeinsinns
Weil wir nun sowohl das Weiße als auch das Süße und ein jedes der Sinnesobjekte jeweils im Einzelnen beurteilen, nehmen wir auch mit etwas wahr, dass sie sich unterscheiden; aber notwendigerweise durch Sinneswahrnehmung. Denn es sind Sinnesobjekte. […] Aber beides muss einem Bestimmten offenbar sein – denn in der Weise, wie wenn ich das eine und du das andere erkennen würdest, wären sie offensichtlich voneinander verschieden. Es muss aber dieses Eine sagen, dass sie verschieden sind […]. Dies sagt also ein- und dasselbe [Vermögen]. […] Dass es also nicht möglich ist, Getrenntes mit Getrenntem zu beurteilen, ist klar; dass es auch nicht zu einem getrennten Zeitpunkt geschehen kann, aus Folgendem: […] Zum Beispiel sage ich jetzt, dass es verschieden ist, aber nicht, dass es jetzt verschieden ist. Sondern so sagt man: sowohl jetzt als auch, dass es jetzt [so ist]. Gleichzeitig also. […] Aber gewiss ist es unmöglich, dass dasselbe, insofern es untrennbar ist, gleichzeitig auf gegensätzliche Weisen bewegt wird. […] Es ist nun so, dass es wie etwas Getrenntes getrennte Objekte wahrnimmt, aber auch so, dass es dieses wie etwas Ungetrenntes [tut]. Denn dem Sein nach ist es getrennt, dem Ort und der Zeit nach ungetrennt.

Aristoteles: Über die Seele (De anima) III 3, 427b 15-25

Aristoteles beschreibt das Vorstellen (phantasia) und grenzt es vom Meinen ab
Das Vorstellen […] ist etwas anderes als Sinneswahrnehmung und Denken. Es geschieht nicht ohne Sinneswahrnehmung, und ohne es gibt es kein Vermuten. Dass das Vorstellen nicht dasselbe ist wie das Vermuten, ist klar. Denn dieses Erleiden liegt bei uns, wenn wir wollen (denn es ist möglich, sich etwas vor Augen zu stellen [...]), zu meinen liegt aber nicht bei uns. Denn notwendigerweise ist es richtig oder falsch. Ferner erleiden wir sogleich etwas, sobald wir etwas Schreckliches oder Furchtbares meinen, ähnlich auch bei etwas Mutigem. Beim Vorstellen verhalten wir uns so wie die, die in der Schrift Schreckliches oder Mutiges betrachten.

Aristoteles: Über die Seele (De anima) III 3, 428a 1-16

Aristoteles definiert die Grenzen des Vorstellens näher und betont ihre Passivität und Irrtumsanfälligkeit
[1] Wenn nun das Vorstellen das ist, von dem wir sagen, durch es trete bei uns eine Vorstellung ein […], gibt es ein Vermögen oder einen Habitus, mit dem wir urteilen und richtig oder falsch liegen. Von dieser Art sind Sinneswahrnehmung, Meinen, Wissen, Geist. […] Es wird aber etwas vorgestellt, wenn nichts davon vorhanden ist, zum Beispiel das in den Träumen [Erscheinende].
[2] Sodann ist die Sinneswahrnehmung immer vorhanden, das Vorstellen nicht. Wenn es aber der Aktivität nach dasselbe ist, müsste bei allen Tieren ein Vorstellen vorhanden sein können. Es scheint aber nicht [so zu sein]: wie bei einer Ameise oder einer Biene, nicht aber bei einem Maulwurf.
[3] Ferner sind diese [Sinneswahrnehmungen] nun immer wahr, die meisten Vorstellungen sind aber falsch. Sodann sagen wir auch nicht, wenn wir exakt in Bezug auf ein Wahrnehmungsobjekt aktiv sind, dass dieses von uns als ein Mensch vorgestellt wird, sondern eher, wenn wir nicht klar wahrnehmen.

Aristoteles: Über die Erinnerung und das Gedächtnis (De memoria et reminiscentia) 1, 449b 22-450a 30

Aristoteles sieht auch die Erinnerung als eine Leistung des Vorstellens an und verortet sie daher in der sinnlichen Seele
Wenn man auf die Weise des Erinnerns aktiv ist, sagt man in der Seele Folgendes: "Dieses hörte man früher, nahm es wahr oder dachte es." […] Aber auf das Gegenwärtige richtet sich Sinneswahrnehmung, auf das Zukünftige Erwartung, auf das Geschehene Erinnerung. Deswegen erfolgt jede Erinnerung verbunden mit Zeit. Folglich erinnern sich nur diejenigen Lebewesen, die Zeit wahrnehmen. […] Und [die Erinnerung] an Denkobjekte besteht nicht ohne Vorstellung. […] Folglich muss sie dem Geist akzidentell zukommen, an sich aber dem ersten Wahrnehmungsvermögen. Deswegen ist sie auch bei anderen Lebewesen vorhanden, und nicht nur bei Menschen. […] Denn immer, wenn man mit der Erinnerung aktiv ist […], nimmt man zusätzlich das ,früher‘ wahr. […] Welchem Seelenvermögen die Erinnerung angehört ist klar: dem, welchem auch das Vorstellen [angehört]. Und die Erinnerungsobjekte an sich sind das, wovon es ein Vorstellen gibt, akzidentell aber die, welche nicht ohne ein Vorstellen vorkommen.