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Philosophische Zitate aus Antike und Mittelalter

Zitatfinder

Duns Scotus, Johannes: Probleme betreffend das Buch der Metaphysik (Quaestiones super librum Metaphysicorum) IX 15, nr. 36

Duns Scotus über den Intellekt als natürliches Vermögen
Der Intellekt fällt in den Bereich der Natur. Er ist nämlich von sich aus determiniert zu denken, und er verfügt nicht darüber, zu denken oder nicht zu denken. [...] Wenn auch [...] eine bestimmte Erkenntnis mit gegenteiligen Erkenntnisgegenständen zu tun haben kann, so ist der Intellekt dennoch nicht in Bezug auf diese Erkenntnis von sich aus unbestimmt. Vielmehr übt er diesen Erkenntnisakt ebenso notwendigerweise aus wie jeden anderen, der sich nur auf einen Erkenntnisgegenstand bezöge.

Bonaventura : Kommentar zu den Sentenzen des Petrus Lombardus II, d. 1 a. 1 q. 2 p. 22

Der Franziskaner Bonaventura erklärt die Unvereinbarkeit von Ewigkeit der Welt und christlicher Schöpfungslehre
Es ist unmöglich, dass etwas, das Sein hat, nachdem es Nicht-Sein hatte, ewig ist, weil dies einen Widerspruch impliziert. Aber die Welt hat Sein nach Nicht-Sein; also ist es unmöglich, dass sie ewig ist. [...] Anzunehmen, die Welt sei ewig oder ewig hervorgebracht, wenn man zugleich animmt, alle Dinge seien aus dem Nichts hervorgebracht, ist vollständig gegen Wahrheit und Vernunft [...], und zwar so sehr gegen die Vernunft, dass ich nicht glauben mag, irgendein Philosoph, wie klein sein Verstand auch sein mag, habe dies je angenommen.

Siger von Brabant: Fragen zum dritten Buch von Aristoteles’ De anima (Quaestiones in tertium De anima) nr. 2 p. 80

Der ,Averroist‘ Siger von Brabant (ca. 1240-1284) bevorzugt Aristoteles’ Position zur Ewigkeit der Welt
Obwohl Aristoteles’ Position [...] nicht notwendig ist, ist sie doch wahrscheinlicher als die Position des Augustinus, weil wir die Neuheit oder Ewigkeit von etwas Geschaffenen durch den Willen des Ersten nicht untersuchen können, da wir die Form seines Willens nicht denken können. Daher ist es nötig, dass wir die Neuheit oder Ewigkeit dieses Geschaffenen von seiner eigenen Natur her untersuchen [...]. Aber all das, was unmittelbar vom Ersten geschaffen wurde ..., hat nicht die eigene Natur, dass es ein neu geschaffenes Sein besitzt. Denn alles, was eine Kraft hat, durch die es in der ganzen Zukunft sein kann, hatte auch eine Kraft, durch die es in der ganzen Vergangenheit sein konnte.

Duns Scotus, Johannes: Autorisierte Mitschrift der Pariser Vorlesung (Reportatio Parisiensis examinata) Buch I, 39.-40. Distinktion, nr. 32f.

Scotus’ Begründungen für seine Thesen
„[1] Wenn etwas, das bewegt wird, insofern es selbst bewegt, mit Notwendigkeit bewegt wird, dann bewegt es mit Notwendigkeit. Eine Erstursache bewegt mit Notwendigkeit [...]. Folglich bewegt und verursacht jede Zweitursache mit Notwendigkeit. [...]
[2] Wenn [...] eine Erstursache [...] in dem früheren Moment auf notwendige und vollkommene Weise verursacht, kann sie folglich die Wirkung nicht nicht hervorbringen. Und so bleibt nichts übrig, was im zweiten Moment eine Zweitursache verursachen könnte, außer sie würde dasselbe zum zweiten Mal verursachen, was nicht denkbar ist

Abaelard, Peter: Theologia ,Scholarium‘ (Theologia ,Scholarium‘) III 27f.

Peter Abaelard über die Grenzen der göttlichen Handlungsmöglichkeiten
[1] Ich denke es ist zu fragen, ob Gott mehr oder besseres tun kann, als er tut, oder ob er auch mit dem, was er tut, auf irgendeine Weise aufhören könnte, so dass er es nämlich niemals täte. [...]
[2] Wenn es also
a), weil es gut ist, dass etwas getan wird, nicht gut ist, dass es unterlassen wird, und wenn
b) Gott nichts tun oder unterlassen kann außer dem, von dem es gut ist, dass er es tut oder unterlässt,
c) dann scheint er gewiss nur das tun oder unterlassen zu können, was er tut oder unterlässt, weil es nur bei diesem allein gut ist, dass er es tut oder unterlässt. [...]
[3] Oder wer würde ihn nicht, wenn er das unterlässt, von dem gut ist, dass er es tut, und sich von einigem, was zu tun wäre, zurückzieht, als feindlich und ungerecht anklagen?

Thomas von Aquin: Summa theologiae I (Summa theologiae) I 25, 5 resp

Thomas von Aquin (ca. 1225-1274) über die unendliche Unbegreifbarkeit Gottes
Die Vernünftigkeit einer Ordnung, die ein Weiser Dingen auferlegt, die von selbst gemacht sind, wird vom Ziel her genommen. Wenn das Ziel also den Dingen proportional angepasst ist, die wegen des Ziels gemacht werden, dann wird die Weisheit des Machenden auf eine festgelegte Ordnung begrenzt. Aber die göttliche Güte ist ein Ziel, das die geschaffenen Dinge jenseits der Proportionalität überschreitet. Daher wird die göttliche Weisheit nicht auf eine Ordnung der Dinge hin in der Weise festgelegt, dass kein anderer Verlauf der Dinge hieraus hervorgehen könnte. Daher muss man schlechthin sagen, dass Gott anderes machen kann als das, was er macht.

Duns Scotus, Johannes: Autorisierte Mitschrift der Pariser Vorlesung (Reportatio Parisiensis examinata) Buch I, 38. Distinktion, nr. 37

Johannes Duns Scotus über Intellekt und Wille in Gott
[1] Jeder Akt des Intellekts, der in Gott einem Willensakt vorausgeht, ist rein naturhaft und formal nicht frei. Infolgedessen ist alles, was vor jedwedem Willensakt gedacht wird, rein naturhaft.[...]
[2] Deshalb kommt dem göttlichen Intellekt vor dem Willensakt von solchen Termini lediglich eine neutrale Erkenntnis zu, gerade so, wie mein Intellekt neutral zu dem komplexen Sachverhalt steht, ob die Anzahl der Sterne gerade oder ungerade ist. Wenn nun der Intellekt dem Willen derartige komplexe Sachverhalte darbietet, dann kann der Wille das Zusammenstellen dieser Termini frei wählen oder nicht wählen. [...]
[3] Und erst in genau dem Augenblick, da der göttliche Wille ,Petrus‘ und ,Glückseligkeit‘ verbinden will, ist dieser Satz wahr, und folglich kann Petrus vorher die Glückseligkeit nicht erlangen.

Duns Scotus, Johannes: Autorisierte Mitschrift der Pariser Vorlesung (Reportatio Parisiensis examinata) Buch I, 42. Distinktion, 2. Frage, Nr. 24 und 27

Johannes Duns Scotus (1265-1308) über die Allmacht Gottes und ihre Implikationen
[1] Ich frage: Kann Gott kraft seiner Allmacht alles Mögliche umittelbar hervorbringen?
[2] Es sieht nicht danach aus. Dann [...] nämlich könnte Gott ein Subjekt ohne die ihm eigentümliche Eigenschaft hervorbringen; und somit könnte es ohne eigentümliche Eigenschaft existieren und gewusst werden. Infolgedessen gäbe es im Bereich des Seienden kein Wissen schlechthin. [...]
[3] Ich antworte und sage, dass sich zwar, wenn wir den Prinzipien der Philosophen folgen, nicht halten lässt, dass Gott auf Grund seiner Allmacht unmittelbar alles Mögliche hervorbringen kann [...]. Dennoch behaupte ich, dass es sich so verhält, und zwar gemäß dem Glauben, durch welchen wir mit den Philosophen über die Prinzipien unterschiedlicher Meinung sind und infolgedessen auch über die Schlussfolgerung [...]
[4] Wenn wir [...] von absoluten möglichen Seienden sprechen, behaupte ich, dass Gott jedwedes Absolute durch sich hervorbringen kann. [...] Notwendigerweise besitzt jedes Absolute, was real von anderem unterschieden ist, eine unterschiedene Seiendheit, die nicht von anderem wesentlich abhängt. Folglich kann es für sich sein und gemacht werden, ohne irgendeine Beziehung auf ein anderes. [...]
[5] Wer immer weiß, dass eine absolute Eigenschaft ihrem Subjekt zukommt, weiß das zwar sicher, aber nicht immer oder allgemein. Dann nämlich würde er etwas Falsches wissen, weil die Eigenschaft nicht immer unmittelbar ihrem Subjekt als ihrer Ursache zukommt, der sie ihr Entstehen verdankt. Er weiß aber nur, dass es sich meistens so verhält, denn meistens entsteht eine Eigenschaft aus den Prinzipien ihres Subjekts aber nicht immer.

Wilhelm von Ockham: Summe der Logik (Summa logicae) I 15

Wilhelm von Ockham (1285-1308) über weitere Implikationen der Schöpfung aus dem Nichts
Dass kein Universale eine extramentale Substanz ist, kann mit Evidenz bewiesen werden. [...] Wenn diese Meinung wahr wäre, dann könnte kein Individuum erschaffen werden, wenn bereits irgendein Individuum existieren würde. Denn es empfinge das Sein nicht vollständig aus dem Nichts, wenn das Universale, das in ihm ist, vorher bereits in einem anderen da war.

Alkuin: Die Würde der Stellung des Menschen (De dignitate conditionis humanae) Kap. I-II, hier nach Patrologia Latina 17, 1105-1106

Alkuin (ca. 735-804) oder ein spätantiker Autor begründet die Würde des Menschen
Die Würde der Stellung des Menschen ist erkennbarerweise so bedeutend, dass [...] der Mensch nach dem Ratschluss der heiligen Trinität und durch eine Tat der göttlichen Majestät geschaffen wurde. [...] Die Seele ist Intellekt, die Seele ist Wille, die Seele ist Erinnerung, doch sind es nicht drei Seelen in einem Körper, sondern eine Seele, die drei Würden hat. Und in diesen dreien realisiert unserer innerer Mensch in seiner Natur auf wunderbare Weise das Bild der Trinität, und aus diesen gleichsam herausragendsten Würden der Seele sind wir gehalten, den Schöpfer zu lieben.

Robert von Melun: Zusammenstellung der Lehrsätze (Sententiae ) Sententiae I, II, [0], 93 und 95; Hs. Brügge 191, f. 175vb

Robert von Melun (ca. 1100-1167) benennt die Freiheit als typisches Merkmal des Menschen
[1] Denn es ist nicht so, wie manche Leute glauben, dass die freie Entscheidung als die Fähigkeit zu definieren ist, sich zum Guten und zum Bösen zu wenden. Denn wenn diese Definition der freien Entscheidung ausreichend wäre, dann hätten weder die gefestigten noch die verdammten Geister freie Entscheidung, weil sich weder die gefestigten Geister zum Bösen wenden können noch die verdammten Geister zum Guten. [...] Die freie Entscheidung ist ein Gut der Schöpfung und eine große Würde der rationalen Natur, ohne die sie überhaupt nicht rational sein könnte.
[2] Aber wenn diese die Teile der freien Entscheidung sind, ohne welche es diese nicht geben kann, kann offensichtlich keine Definition der freien Entscheidung angegeben werden, der gemäß die freie Entscheidung in Gott vorhanden sein kann. Denn in ihm kann es keine Macht zu sündigen geben. Denn er allein tut, bar jeglichen Zwangs und ohne eine Verpflichtung durch irgendeine Rechenschaft, was er tun will, und unterlässt, was er unterlassen will, und daher besteht in ihm nicht nur eine freie Entscheidung, sondern sogar die allerfreieste.

Robert von Melun: Zusammenstellung der Lehrsätze (Sententiae ) Sententiae I, II, [0], 36

Robert von Melun über das Problem der menschlichen Identität
[1] Seele und Fleisch sind nämlich eine Person aus der personalen Vereinigung und nicht aus der substantiellen Identität heraus, so wie auch ein Mensch die menschliche Seele und das menschliche Fleisch ist, weil sich aus ihrer Vereinigung miteinander der Grund ergibt, warum etwas ein Mensch ist und so genannt werden kann.
[2] Es ist aber ein Mensch, der sagt, er diene dem Gesetz Gottes und im Fleisch dem Gesetz der Sünde (Röm 7) [...]. Denn der innere und äußere Mensch ist ein Mensch, weil in der Einheit der Person das zusammenkommt, was ein Mensch ist, über den Verschiedenes ausgesagt wird wegen der verschiedenen Substanzen, die in der Identität der Person in diesem Menschen verbunden sind. [...]
[3] Denn nicht auf falsche Weise wird gesagt, Petrus sei in Rom und im Himmel, sondern wir bitten ihn, der im Himmel existiert, für uns zu beten, wenn wir sagen „Heiliger Petrus, bitte für uns“, und wir verehren ihn, der in Rom liegt, mit der schuldigen Frömmigkeit und sagen, dass der, der im Himmel verherrlicht ist, kein anderer ist als der, der in Rom begraben ruht.

Siger von Brabant: Fragen zum dritten Buch von Aristoteles’ De anima (Quaestiones in tertium De anima) nr. 8

Siger von Brabant vertritt die averroistische These, dass alle Menschen nur einen Intellekt haben
Beachte aber am Beginn der Antwort, dass es dann, wenn der Intellekt durch seine Substanz die Vollendung des Körpers wäre, gar keine Frage wäre, ob die Intellekte sich entsprechend der Menge der verschiedenen Menschen vermehren. Vielmehr ist klar, dass es so ist. Wenn Du also sagst, dass der Intellekt sich wegen der Materien vermehrt, denen er sich anpasst, dann soll gefragt werden, was die Ursache der Anpassung ist. Anscheinend kann es keine andere Erklärung geben als anzunehmen, dass der Intellekt eine Kraft im Körper ist. [...] Und deswegen argumentiert Averroes, [...] dass der Intellekt einer ist, nicht vermehrt gemäß der Vielzahl der individuellen Menschen, weil er so eine Kraft im Körper der verschiedenen Menschen wäre.

Thomas von Aquin: Die Einheit des Intellekts gegen die Averroisten (De unitate intellectus contra Averroistas) Vorrede und Kap. III, nr. 174, 216, 232

Thomas von Aquin argumentiert gegen die These von der Einheit des Intellekts
[1] Wir beabsichtigen aber zu zeigen, dass die genannte Position nicht weniger gegen die Prinzipien der Philosophie ist als gegen die Zeugnisse des Glaubens. [...]
[2] Denn es ist klar, dass dieser einzelne Mensch denkt: Wir würden nämlich niemals über den Intellekt fragen, wenn wir nicht denken würden. Noch stellen wir, wenn wir über den Intellekt fragen, Fragen zu einem anderen Prinzip als dem, womit wir denken. [...]
[3] Wenn also der Intellekt nichts ist, was zu dem einzelnen Menschen gehört, so dass er mit diesem wahrhaft eines ist, [...] wird es in diesem Menschen keinen Willen geben, sondern in einem separaten Intellekt. Und so wird dieser Mensch nicht Herr seines Handelns sein, und kein Akt von ihm wird lobenswert oder tadelnswert sein – und das heißt, die Prinzipien der Moralphilosophie einzureißen.

Mirandola, Giovanni Pico della: Die Würde des Menschen (De dignitate hominis) Anfang, 131r

Giovanni Pico della Mirandola entwirft, auf Grundlagen aus Spätantike und Mittelalter, ein Menschenbild aus der Perspektive der Renaissance <br /><br /> Giovanni Pico della Mirandola betont die Würde des Menschen, welche die Engel neidisch macht (VL Freiheit)
[1] Ehrwürdige Väter! In den Schriften der Araber habe ich gelesen, der Sarrazene Abdallah habe auf die Frage, was auf dieser „Bühne der Welt“ am meisten zu bewundern sei, geantwortet, dass nichts bewundernswerter erscheine als der Mensch. Zu dieser Aussage stimmt das Wort des Hermes Trismegistos: ,Ein großes Wunder, o Asklepios, ist der Mensch‘. […]
[2] Warum sollen wir nicht die Engel selbst und die seligsten Chöre des Himmels mehr bewundern? Endlich habe ich den Eindruck, verstanden zu haben, warum der Mensch das allerglücklichste, ja jeder Bewunderung würdiges Lebewesen ist, und was schließlich der Zustand sei, den er in der Reihung des Alls erhalten hat, der nicht nur den Tieren, sondern den Sternen, sondern den überweltlichen Verständen Neid erregt.

Anonymer Averroist um 1270: Erklärung von De anima III p. 243 Siger von Brabant

Ein anonymer Averroist bestreitet ca. 1270 Thomas’ Grundannahmen
Diese aber nehmen an, dass der Mensch eigentümlich denkt, beweisen dies aber nicht. Von dieser Voraussetzung her argumentieren sie. Aber wenn dieses Vorausgesetzte nicht wahr ist, argumentieren sie nicht. Dass der Mensch daher, eigentümlich gesprochen, denkt, gestehe ich nicht zu. Wenn dies jedoch zugestanden ist, dann weiß ich nicht zu antworten. Aber dies bestreite ich, und zu Recht. Diese aber nehmen an, dass der Mensch eigentümlich denkt, beweisen dies aber nicht. Von dieser Voraussetzung her argumentieren sie. Aber wenn dieses Vorausgesetzte nicht wahr ist, argumentieren sie nicht. Dass der Mensch daher, eigentümlich gesprochen, denkt, gestehe ich nicht zu. Wenn dies jedoch zugestanden ist, dann weiß ich nicht zu antworten. Aber dies bestreite ich, und zu Recht.

Mirandola, Giovanni Pico della: Die Würde des Menschen (De dignitate hominis) 131r

Giovanni Pico della Mirandola beschreibt den Menschen als Bildhauer seiner selbst <br /><br /> Giovanni Pico della Mirandola findet diese Würde in der Freiheit
[1] So beschloss der beste Werkmeister, dass der, dem er nichts Eigenes mehr geben konnte, an allem zugleich teilhätte, was den Einzelnen sonst je für sich zugeteilt war.
[2] Also [...] sprach er zu ihm: ,Keinen festen Ort haben wir Dir zugewiesen und kein eigenes Aussehen, wir haben Dir keine spezielle Gabe verliehen, damit Du, o Adam, den Ort, das Aussehen, die Gaben, die Du Dir wünschst, nach eigenem Ermessen erhalten und besitzen sollst.
[3] Die bestimmte Natur der übrigen Wesen wird von Gesetzen eingegrenzt, die wir vorgeschrieben haben. Du sollst Deine Natur, von keinen Beschränkungen eingegrenzt, nach Deiner Entscheidung, in deren Hand ich Dich gegeben habe, Dir selbst vorschreiben [...], damit Du Dich, gleichsam als entscheidender und ehrenvoller Bildhauer und Gestalter Deiner selbst, in der Weise bildest, die Du lieber willst‘.

Abaelard, Peter: Dialog zwischen einem Juden, einem Philosophen und einem Christen (Collationes) II, nr. 67

Peter Abaelard diskutiert in seinem Dialog das Verhältnis von Ethik und Theologie
a) Christ: Nun brechen wir schließlich, wie ich es auffasse, zum Ziel und zur Vollendung aller Disziplinen auf, die ihr gewöhnlich Ethik, d.h. Morallehre, wir Theologie nennen. Dabei nennen wir sie nämlich nach dem so, zu dessen Erreichen gestrebt wird, d.h. nach Gott, ihr aber nach dem, wodurch dorthin gelangt wird, d.h. nach den guten Sitten, die ihr Tugenden nennt.
Philosoph: Ich stimme dem zu, was auf der Hand liegt, und billige die neue Benennung durch euren Namen durchaus. Weil ihr nämlich das, zu dem hin gelangt wird, für würdiger haltet als das, wodurch der Fortschritt entsteht, und weil angelangt sein glücklicher ist als fortschreiten, ist diese Benennung durch euren Namen ehrenvoller und zieht den Leser vom Ursprung der eigenen Herleitung her ganz besonders an. Wenn sie in der Lehre so herausragt wie im Worte, dann ist ihr, denke ich, keine Disziplin zu vergleichen.
b) Jetzt wollen wir also, wenn es recht ist, dass Du festsetzt, worin die Summe der wahren Ethik besteht und was wir aus dieser Disziplin betrachten sollen und wodurch, wenn es denn erlangt ist, ihre Intention vollendet sein wird. Christ: Wie ich meine, lässt sich die Summe dieser Disziplin darin zusammenfassen, dass sie erklärt, was das höchste Gut ist und auf welchem Weg wir dorthin gelangen können.

Abaelard, Peter: Dialog zwischen einem Juden, einem Philosophen und einem Christen (Collationes) II, nr. 92-94

Peter Abaelard erläutert die philosophische und die christliche Definition des Glücklichseins
a) Philosoph: Diese Glückseligkeit nennt Epikur, wie ich meine, Lust, euer Christus aber ,Königreich der Himmel‘. Was macht es, mit welchem Namen sie benannt wird, solange nur die Sache dieselbe bleibt und bei den Philosophen und den Christen weder die Glückseligkeit verschieden ist noch eine andere Intention des gerechten Lebens vorgegeben wird? Denn so wie ihr, so beabsichtigen auch wir, hier gerecht zu leben, damit wir dort verherrlicht werden, und kämpfen hier gegen Laster, um dort wegen der Verdienste der Tugenden gekrönt zu werden, wenn wir nämlich dieses höchste Gut als Lohn empfangen.
b) Christ: Aber so weit ich sehe, sind hierin sowohl unsere und eure Intention als auch die Verdienste verschieden, und sogar über das höchste Gut haben wir nicht geringfügig unterschiedliche Ansichten.
Philosoph: Das, bitteschön, erkläre mir, wenn Du kannst. c) Niemand nennt zu Recht etwas ,höchstes Gut‘, im Vergleich zu dem etwas Größeres gefunden wird. [...] Aber jede menschliche Glückseligkeit oder Herrlichkeit übersteigt die göttliche klarerweise bei weitem und unaussagbar; also darf keine außer ihr zu Recht ,höchste‘ genannt werden, und außer ihm wird nichts zu Recht ,höchstes Gut‘ genannt.
Philosoph: An dieser Stelle geht es uns nicht um das höchste Gut an sich, sondern um das höchste Gut für den Menschen.
Christ: Aber auch ,höchstes Gut für den Menschen‘ nennen wir nichts zu Recht, im Vergleich zu dem ein größeres Gut für den Menschen gefunden wird.