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Philosophische Zitate aus Antike und Mittelalter

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Ibn Sīnā (Avicenna): Buch der Genesung Metaphysik I 7, § 14 p. 47

Avicenna über die Notwendigkeit möglicher Existenz
Was das Mögliche betrifft, so ist hieraus seine Besonderheit klar geworden, und zwar dass es unbedingt eines anderen bedarf, dass es zu einem im Akt existierenden macht. Alles, was im Hinblick auf die Existenz möglich (mumkin al-wuğūd) ist, das ist hinsichtlich seines Wesens ewig ein möglich Existierendes. Aber manchmal stößt es ihm zu, dass seine Existenz durch etwas anderes notwendig wird. Dies stößt ihm nun entweder ewig zu, oder die Notwendigkeit seiner Existenz stammt von einem anderen auf nicht ewige Weise, sondern zu einer Zeit, aber nicht zu einer anderen Zeit.

Ibn Sīnā (Avicenna): Buch der Genesung Metaphysik VIII 7 § 3. 6, p. 363. 365

Avicenna über die Struktur der ersten Ursache als Intellekt
[1] Und es [das erste Prinzip] liebt sein Wesen, das das Prinzip (mabdaʾ) jeder Ordnung ist und gut ist, insofern es so ist. Dabei wird die Ordnung des Guten (niżām al-ḫair) von ihm akzidentell mitgeliebt. Aber das erste Prinzip wird hierzu nicht von der Liebe bewegt, ja es erfährt von ihr überhaupt keine Wirkung, und es ersehnt und erstrebt nichts. Das ist sein Wille (īrāda), der frei ist vom Mangel, den die Liebe bewirkt, und von der Störung durch das Streben zu einem Ziel hin [...].
[2] Zu der Menge der Verstandesgegenstände (al-maʿqūlāt) gehört derjenige Verstandesgegenstand, dessen Prinzip das Erste unmittelbar ist. Aber seine Existenz fließt (jafīḍu) primär aus ihm. Und der Verstandesgegenstand, dessen Prinzip das Erste mittelbar ist, dies fließt sekundär aus ihm [...]. Einiges von diesem geht jedoch dem anderen voraus in der Rangfolge des Verursachenden und des Verursachten.

Ibn Sīnā (Avicenna): Buch der Genesung De anima I 1 p. 16

Avicenna erklärt am Beispiel vom fliegenden Menschen, wie man die Seele ganz losgelöst von ihrer Funktion, den Körper zu beleben, denken kann
Jeder Einzelne von uns soll es sich so vorstellen, als wäre er plötzlich geschaffen und vollendet geschaffen, aber sein Blick abgeschirmt vom Betrachten des Äußeren; und als wäre er so geschaffen, dass er in der Luft fiele oder im Leeren, ohne dass ihm das Vorhandensein der Luft einen Widerstand entgegensetzte, den er wahrnehmen könne, und als bestünde eine Trennung in Bezug auf seine Glieder, so dass sie sich nicht berührten und keinen Kontakt zueinander hätten. Dann soll er bedenken, ob er die Existenz seines Wesens bejaht, so dass er an der Bejahung davon nicht zweifelt, dass sein Wesen existiert, und ob er zugleich damit die Begrenzung seiner Glieder nicht bejaht.

Al-Ġazālī : Die Inkohärenz der Philosophen Einleitung § 22. 25f., S. 7. 10

Al-Ġazālī über seine Ziele und seine Vorgehensweise in der Inkohärenz der Philosophen
Unser Ziel ist es, diejenigen zu warnen, die eine gute Überzeugung von den Philosophen haben und meinen, ihre Methoden seien frei von Widersprüchen. Dies gehen wir an durch Aufzeigen von Aspekten ihrer Inkohärenz. Deswegen trete ich in die Auseinandersetzung mit den Philosophen nur auf die Weise der Kritik und des Bestreitens ein, nicht auf die Weise von Ansprüchen und Behauptungen. [...] Ja, ihre Behauptung, dass die Beherrschung der logischen Disziplinen unerlässlich ist, trifft zu. Aber die Logik ist nicht auf sie beschränkt; sie ist lediglich die Disziplin, welche wir im Kalām „Buch der Theorie“ nennen, wobei sie zur Einschüchterung deren Bezeichnung zu „Logik“ änderten. [...] Wir werden deutlich zeigen, dass die Philosophen in ihren metaphysischen Wissenschaften nicht erfüllen konnten, was sie in dem Teil der Logik, der über den Beweis geht [d.h. den Analytica posteriora], als Bedingung für die Richtigkeit der Materie des Syllogismus gefordert haben, noch ihre Forderungen über die Schlussfigur eines Syllogismus, die sie im Buch des Syllogismus [d.h. den Analy¬tica priora] vertreten, noch die Postulate, die sie in der Isagoge [des Porphyrios] und in den Kategorien dargelegt haben. Alles dies sind Teile der Logik sowie ihre Einführungen.

Al-Ġazālī : Die Inkohärenz der Philosophen XVII § 1, S. 166

Al-Ġazālī begründet seine Zweifel am Konzept der Kausalität mit der Möglichkeit eines alternativen Modells
[1] Nach unserer Meinung ist die Verknüpfung (al-iqtirān) zwischen dem, was man gewöhnlich (fī l-ʿāda) für eine Ursache hält, und dem, was man für eine Wirkung hält, nicht notwendig (ḍarūrī). Vielmehr folgt bei zwei Dingen, die nicht miteinander identisch sind und bei denen die Annahme bzw. Bestreitung des einen nicht die Annahme bzw. Bestreitung des anderen einschließt, niemals mit Notwendigkeit (ḍarūra) aus der Existenz des einen die Existenz des anderen bzw. die Nicht-Existenz des einen mit Notwendigkeit aus der Nicht-Existenz des anderen. [...]
[2] Ihre Verknüpfung kommt zustande, weil Gott – erhaben ist er! – sie aufgrund seiner vorherigen Bestimmung in einer Aufeinanderfolge (ʿalā l-tasāwuq) erschafft, nicht deswegen, weil sie aus sich heraus notwendig und unauflöslich wäre (li-kawnihi ḍarūrīyan fī nafsihi ġayra qābilin li-l-farq). Vielmehr steht es in [Gottes] Macht, die Sattheit ohne das Essen zu schaffen, den Eintritt des Todes ohne einen tiefen Schnitt im Nacken zu erschaffen und das Leben [eines Menschen] trotz dieses tiefen Schnitts andauern zu lassen; das gilt für sämtliche Dinge, die miteinander verknüpft sind. Die falāsifa verneinen diese Möglichkeit und behaupten dies sei unmöglich.

Al-Ġazālī : Die Inkohärenz der Philosophen XVII § 5, S. 167

Al-Ġazālī erklärt, dass man aus Beobachtung nicht auf Kausalität schließen kann
Was das Feuer betrifft, ein lebloses Wesen, so wirkt es nicht auf [Brennbares]. Denn was ist der Beweis (ad-dalīl), dass es das Wirkende ist? Sie haben keinen anderen Beweis als die Beobachtung des Entstehens einer Flamme bei Kontakt mit dem Feuer. Aber die Beobachtung beweist nur das Entstehen bei ihm, sie beweist nicht das Entstehen durch es und dass es keine andere Ursache als dieses gibt.

Al-Ġazālī : Die Inkohärenz der Philosophen I § 6f. 66, S. 13. 27f.

Die Philosophen leiten die Ewigkeit der Welt aus der Ewigkeit Gottes ab, und al-Ġazālī widerlegt dies
Sie behaupten, dass das Hervorgehen von etwas Neu Entstehendem (ḥādiṯ) aus etwas Ewigem (qadīm) völlig unmöglich ist. [...] Denn wenn die Zustände des Ewigen gleich bleiben, dann existiert entweder niemals etwas von ihm her, oder es existiert auf die Weise der Ewigkeit. [...] [Al-Ġazālīs Gegenargument:] Nun gibt es aber in der Welt neu entstehende Dinge, und sie haben Ursachen. Aber dass sich das neu Entstehende bis ins Unendliche auf anderes neue Entstehende stützt, das ist absurd. [...] Aber wenn das möglich wäre, dann wäret ihr nicht angewiesen [...] auf die Behauptung von etwas notwendig Existierendem, das die möglichen Dinge begründet. Aber wenn das neu Entstehende ein Ende hat, an dem seine Verkettung endet, so muss dieses Ende ewig sein. Ihr Ausgangspunkt impliziert dann aber unbedingt die Billigung des Hervorgehens von etwas neu Entstehendem aus etwas Ewigem.

Al-Ġazālī : Die Inkohärenz der Philosophen I § 67-70, S. 28

Philosophen leiten die Ewigkeit der Welt aus der Ewigkeit Gottes ab, und al-Ġazālī widerlegt dies
Wenn sie sagen, [Gegenargument der Philosophen:] ,wir bestreiten nicht das Hervorgehen von irgendetwas neu Entstehendem aus etwas Ewigem, sondern wir bestreiten das Hervorgehen von etwas neu Entstehendem, das ein erstes neu Entstehendes ist, aus etwas Ewigem‘ [...], dann sagen wir: [Neue Entgegnung al-Ġazālīs]: die Frage nach dem Vorhandensein einer Vorbereitung und der Gegebenheit von Zeit und nach all dem, was sich erneuert, bleibt. Entweder geht die Verkettung bis ins Unendliche weiter, oder sie endet bei etwas Ewigem, aus dem ein erstes neu Entstehendes entsteht.

Al-Ġazālī : Die Inkohärenz der Philosophen IV § 15-20, S. 81f.

Avicennas Gottesbeweis aus der Notwendigkeit und al-Ġazālīs Kritik daran
a) Wenn gesagt wird:
,Der entscheidende Beweis (al-burhān al-qātiʿ) für die Unmöglichkeit von Ursachen bis in die Unendlichkeit besteht in der Aussage: ,Jede einzelne der individuellen Ursachen ist in sich entweder möglich oder notwendig. Aber wenn sie notwendig sind, dann brauchen sie keine Ursache. Aber wenn sie möglich sind, dann ist das Ganze (al-kull) durch Möglichkeit charakterisiert. Und jedes Mögliche braucht eine Ursache außerhalb seiner selbst. Also braucht das All eine Ursache außerhalb seiner selbst,‘
dann sagen wir:
,Die Ausdrücke ,möglich‘ und ,notwendig‘ sind unklare Ausdrücke, es sei denn, man versteht unter ,notwendig‘ ,das, dessen Existenz keine Ursache hat‘ und unter ,möglich‘ ,das, dessen Existenz eine Ursache hat‘. Wenn sie aber so verstanden werden, dann kehren wir zu dieser Aussage zurück, so dass wir sagen: Jedes Einzelne ist möglich in dem Sinn, dass es eine Ursache zusätzlich zu sich selbst hat; doch das All ist nicht möglich, und zwar in dem Sinn, dass es keine Ursache zusätzlich zu sich selbst hat, die außerhalb von ihm wäre [folglich ist es notwendig]. Aber wenn ich mit ,möglich‘ etwas anderes meine, als wir darunter gemeint haben, so ist dies unverständlich´.
b) Wenn dann gesagt wird:
,Aber das würde dazu führen, dass das notwendig Existierende (wāǧib al-wuǧūd) die möglich existierenden Dinge für seinen Bestand voraussetzte, und das ist unmöglich‘,
dann sagen wir:
,Wenn ihr mit ,notwendig‘ und ,möglich‘ das meint, was wir genannt haben, ist das genau das Ergebnis. Aber wir geben nicht zu, dass es unmöglich ist. [...] Man kann über jedes Einzelne sagen, dass es eine Ursache hat und doch der Gesamtheit keine Ursache zusprechen. Denn nicht alles, was für die Individuen richtig ist, ist zwingend auch für die Gesamtheit richtig‘.

Al-Ġazālī : Die Inkohärenz der Philosophen XX § 25. 46, S. 215. 221 und § 48, S. 222

Al-Ġazālī verteidigt die Idee einer Auferstehung der Toten und einer Körperlichkeit des Paradieses gegen die philosophische Lehre von der Unsterblichkeit der unköperlichen Seele
a) [25] Was [im Koran] über die letzten Dinge versprochen wurde, ist, durch die Macht Gottes des Erhabenen, nicht absurd. Also muss man dem klaren Sinn der Rede (ṯāhir al-kalām) folgen, aber in ihrem Inhalt, der augenfällig in ihr steht.
[26] Und wenn gesagt wird ,Rationale Beweise haben die Unmöglichkeit der Auferweckung der Toten gezeigt‘ [...], dann verlangen wir deren Darlegung.
[46] [Die Philosophen sagen:] ,Wenn der Körper des auferweckten Menschen aus Stein wäre, aus Saphir, aus Perlen oder aus purer Erde, dann wäre er kein Mensch. Vielmehr kann man ihn sich nicht als Mensch vorstellen, außer er ist in der spezifischen Gestalt eines Menschen geformt, zusammengesetzt aus Knochen, Adern, Fleisch, Knorpeln und Mischungen. [...] Aber dann ist es nicht möglich, dass ein Körper neu entsteht, damit die Seele in ihn zurückgeführt wird, außer durch diese Dinge, und für diese gibt es viele Ursachen. [...] Und die Aussage: ,Es wird ihm doch gesagt ,sei, und er ist‘‘ (kun wajakūn: Koran 40, 68 [vgl. Vorlesung 2]), ist nicht rational nachvollziehbar, weil Erde nicht angesprochen werden kann und ihr Umschlagen (inqilāb) in einen Menschen ohne das Zurückführen durch diese Phasen [d.h. die Entstehung der menschlichen Organe durch natürliche Prozesse] absurd ist.‘ [...]
b) [Al-Ġazālīs Antwort:] Freilich geben wir zu, dass der Aufstieg durch diese Phasen unabdingbar ist, bevor etwas der Körper eines Menschen entsteht. [...] Aber das ist in einem Moment möglich oder über eine längere Dauer. [...] Aber das ist nicht die Frage, sondern die Untersuchung geht nur darum, ob der Aufstieg durch diese Phasen schlichtweg durch Macht (bi-muǧarrad qudra), ohne etwas Mittleres, oder durch irgendeine Ursache (bi-sabab min al-asbāb) abläuft. Und für uns ist, wie wir erwähnt haben, beides möglich. [...] Die Verbindung von in ihrer Existenz verbundenen Dingen besteht nicht auf die Weise der Notwendigkeit, sondern eine Unterbrechung der gewöhnlichen Abläufe kann vorkommen, so dass diese Dinge durch die Macht Gottes des Erhabenen ohne Existenz ihrer Ursachen zustande kommen.

Al-Ġazālī : Der Erretter aus dem Irrtum II, S. 12 Elschazlī = S. 18

-Ġazālī benennt die wichtigsten Strömungen der Gottsuche in der islamischen Geisteswelt seiner Zeit
Ich sah dass, die Forscher auf vier Gruppen zurückgeführt werden können:
1. Die Theologen (al-mutakallimūna): Sie behaupten, Menschen der Meinung und der Theorie zu sein;
2. Die Bāṭiniten: Sie geben an, sie seien Menschen der Lehre. [...]
3. Die Philosophen (al-falāsifa): Sie geben an, sie seien Menschen der Logik und des Beweises.
4. Die Ṣūfīs: Sie behaupten, sie seien Menschen der persönlichen Anwesenheit [bei Gott] sowie Menschen der Schau und Enthüllung.

Al-Ġazālī : Der Erretter aus dem Irrtum II, S. 21f. Elschazlī = S. 37f.

Al-Ġazālī bestreitet, dass ein grundlegender Widerspruch zwischen dem Gebrauch von Logik und der Religion besteht
Und was die logischen Disziplinen betrifft, so berührt nichts von ihnen die Religion (ad-dīn), weder als Ablehnung noch als Begründung. Sondern sie ist die Theorie über die Methoden der Beweisführungen und der Syllogismen, die Bedingungen der Prämissen des Beweises und die Art und Weise ihrer Zusammensetzung und die Bedingungen der Definition und der Art und Weise ihres Aufbaus. [...] Was hat dies mit den Angelegenheiten der Religion zu tun, so dass man es ablehnen und bestreiten müsste? Ja, wenn man es bestreitet, wird man auf Seiten der Logiker nichts entstehen außer einer schlechten Überzeugung über den Intellekt des Bestreiters, ja auch an seiner Religion, von der er behauptet, dass sie auf dieser Bestreitung beruht.

Al-Ġazālī : Der Erretter aus dem Irrtum II, S. 12 Elschazlī = S. 18 Maḥmūd 1968; S. 29 Elschazlī = S. 48; Text korrigiert

Al-Ġazālī über die Unverzichtbarkeit philosophischer Methodik
Folgendes herrscht unter den meisten Menschen vor: So oft sie eine Aussage jemandem zuschreiben und beilegen, von dem sie eine gute Überzeugung haben, akzeptieren sie sie, auch wenn sie nichtig ist; und wenn sie sie jemandem zuschreiben, von dem sie eine schlechte Überzeugung haben, lehnen sie sie ab, auch wenn sie wahr ist. Folglich billigen sie immer das Wahre aufgrund der Menschen, und billigen nicht die Menschen aufgrund der Wahrheit. Und dies ist der Gipfel des Irrtums. Dies ist das Übel der Ablehnung [der Philosophie].

Al-Ġazālī : Der Erretter aus dem Irrtum IV, S. 40f. Elschazlī = S. 59. 61

Al-Ġazālī über die Rolle der Mystik für den suchenden Menschen
Nachdem ich mit den Wissenschaften fertig war, wandte ich mich in meinem Eifer dem Weg der Ṣūfīs zu. Ich erkannte, dass ihr Weg nur durch Wissen und Tätigkeit vollendet wird. Der Ertrag ihrer Tätigkeit besteht darin, die Hindernisse der Seele zu beseitigen [...], bis man hierdurch die Befreiung des Herzens von allem Nicht-Göttlichen erreicht sowie seine Erleuchtung durch das Gedenken an Gott. [...] Deshalb erkannte ich gewiss, dass diese Meister der Zustände [des mystischen Erlebens], nicht Freunde von Worten sind.

Ibn Ṭufail : Ḥayy ibn Yaqẓān Auszüge v. S. 7f

Ibn Ṭufail erklärt den Unterschied der <i>unio mystica</i> von komplettem (philosophischem) Wissen
Stell dir einen blind geborenen Menschen vor. [...] Seit es ihn gibt, wuchs er in einer bestimmten Stadt auf, in der er die einzelnen Bewohner [...], die Wege und Straßen der Stadt [...] durch das, was er von den übrigen Erkenntnisvermögen erfährt, ohne Einschränkungen kennt, so dass er sogar ohne Führer in der Stadt umhergeht und jeden, der ihm begegnet, sogleich erkennt. [...] Wenn ihm nun, nachdem er diese Stufe erreicht hat, seine Augen geöffnet werden und er die Sehkraft erlangt, dann wird er [...] nichts anders vorfinden, als es seiner Überzeugung davon entspricht, und nichts wird ihn täuschen [...], außer dass bei alldem zwei besonders wichtige Sachverhalte [...] neu für ihn sind: Erstens die gesteigerte Deutlichkeit und Helligkeit und zweitens die gewaltige Freude.

Ibn Ṭufail : Ḥayy ibn Yaqẓān S. 108f

Ibn Ṭufail charakterisiert die unio mystica
Wem eine solche Weise schaut, dem entschwindet seine eigene Wesenheit (ḏāt nafsihi), und es lösen sich auf und entschwinden ebenso die übrigen vielen Wesenheiten [...] außer der Wesenheit des Einen, des Wahren, des notwendig Seienden (al-wāḥid al-ḥaqq al-wāğib al-wuğūd).

Ibn Ṭufail : Ḥayy ibn Yaqẓān Auszüge von S. 147-154

Ibn Ṭufail schildert das Scheitern von Ḥayy ibn Yaqẓāns Versuch, sein philosophisches Wissen den religiösen Menschen zu erklären
[1] Da er großes Mitleid mit den Menschen empfand und den Wunsch hatte, ihnen das Heil zu bringen, kam der Wunsch in ihm auf, zu ihnen zu gehen, um ihnen die Wahrheit offenzulegen und zu erklären. [...] Ḥayy ibn Yaqẓān begann also, sie zu unterweisen und ihnen die Geheimnisse der Weisheit (asrār al-ḥikma) zu enthüllen; doch sobald er auch nur ein kleines Stück über den äußeren Wortsinn (aẓ-ẓāhir) hinausging und etwas beschrieb, das nicht mit ihrem Verständnis übereinstimmte, begannen sie sich vor ihm zu verschließen, [...] und in ihren Herzen ärgerten sie sich über ihn. [...]
[2] Da gab er die Überzeugung auf, dass er sie bekehren könnte, und verlor die Hoffnung, dass sie von ihm etwas annehmen würden. [...] Er riet ihnen, in ihrer gewohnten Weise an den Bestimmungen des [religiösen] Gesetzes (ḥudūd aš-šar‘) und den auf das Äußerliche bezogenen Handlungen festzuhalten, sich so wenig wie möglich in Dinge, die nicht ihre Sache waren, zu vertiefen, den schwerverständlichen Stellen in den heiligen Texten Glauben zu schenken und sie ohne Vorbehalte anzuerkennen. [...]
[3] Darauf verabschiedeten sich die beiden von ihnen, kehrten zurück zu ihrer Insel und [...] Ḥayy ibn Yaqẓān versuchte in gleicher Weise wie zuvor, sich in die Lage der Erhabenheit [i.e. die unio mystica] zu versetzen.

Averroes : Die entscheidende Abhandlung 18-20 = 36-40

Averroes bestreitet, dass es einen großen Unterschied zwischen Philosophen und anderen Muslimen über die Ewigkeit der Welt gibt
[18] Die Mutakallimūn [...] und die früheren Weisen (ḥukamāʾ) [...] stimmten darin überein, dass es drei Arten von Existierendem gibt, nämlich zwei Enden und eine Mitte dazwischen. Bei der Benennung der beiden Enden waren sie sich einig, aber bei der Benennung der Mitte unterschieden sie sich.
Das eine Ende ist ein Existierendes, das aus etwas von ihm selbst Verschiedenem (min šayy ġayrihi) und durch etwas (wa-ʿan šayy) existiert, nämlich durch eine wirkende Ursache und aus Materie, und die Zeit geht ihm – das heißt seiner Existenz – voraus. [...] Das gegenüberliegende Ende ist ein Existierendes, das weder aus etwas noch durch etwas ist und dem die Zeit auch nicht vorangeht. [...] Die Art von Existierendem, die zwischen diesen beiden Enden liegt, ist etwas Existierendes, das nicht aus etwas ist und dem keine Zeit vorausgeht, das aber doch durch etwas existiert, nämlich durch einen Bewirker (fāʿil) – und genau dies ist die Welt insgesamt. Alle sind sich einig, dass der Welt diese drei Attribute zukommen. [...]
[20] Die Lehren über die Welt weichen also nicht so sehr voneinander ab, dass die einen als Unglaube zu verurteilen sind und die anderen nicht.

Averroes : Die Inkohärenz der Inkohärenz Naturw. I, p. 519. 522

Averroesʼ Zurückweisung von al-Ġazālīs Kritik an der Kausalität
Was die Bestreitung der Wirkursachen betrifft, die im sinnlich Wahrnehmbaren beobachtet werden, so ist dies eine sophistische Rede (qawl sufisṭānī). [...] Wer die Ursachen aufhebt, der hat den Intellekt aufgehoben. Die Fertigkeit der Logik hat zur Voraussetzung, dass es hier Ursachen und Verursachtes gibt und dass es Erkenntnis von diesem Verursachten in vollkommener Weise nur durch die Erkenntnis ihrer Ursachen gibt. Die Aufhebung dieser Dinge ist vernichtet die Wissenschaft, und hebt sie auf. Und dies bedeutet notwendigerweise, dass es hier überhaupt nichts in wahrhafter Weise Gewusstes (maʿlūm ʿilman ḥaqīqīyan) geben kann, sondern wenn etwas gibt, so wird es gemeint (maṯnūn), und es gibt hier keinen Beweis (burhān) und überhaupt keine Definition.

Averroes : Großer Kommentar zu Aristoteles‘ De anima III Abschnitt 5

Averroes über die notwendige Universalität des Intellekts
Da nun dies die Definition des materialen Intellekts ist, ist offensichtlich, dass er sich Aristoteles zufolge darin von der ersten Materie unterscheidet, dass er potentiell alle Intentionen der universellen materiellen Formen ist, während die erste Materie potentiell alle konkreten wahrnehmbaren Formen ist, die sie nicht erkennt und nicht erfasst. Der Grund, aus dem diese Natur unterscheidet und erkennt, die erste Materie dagegen weder erkennt noch unterscheidet, ist der, dass die erste Materie unterschiedliche Formen aufnimmt, nämlich individuelle und konkrete, jene dagegen universale aufnimmt. Und daher wird klar, dass diese Natur nichts Konkretes ist, weder ein Körper noch ein Vermögen in einem Körper, denn wenn es so wäre, würde sie die Formen aufnehmen, insofern sie geteilt und konkret sind. Und wenn das der Fall wäre, dann wären die Formen, die in ihr existieren, [nur] potentielle Denkobjekte.