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Philosophische Zitate aus Antike und Mittelalter

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Spinoza, Baruch de: Theologisch-politischer Traktat (Tractatus theologico-politicus) XV (p. 444f. = Erstdruck p. 166f.)

Spinoza über die beiden grundsätzlichen Irrtümer beim Vergleich von Philosophie und Glauben
Wer also sie [die Schrift] selbst an die Philosophie anpassen will, der wird gewiss zu den Propheten vieles, woran sie nicht im Traum dachten, hinzudichten, und ihren Verstand irreführend interpretieren. Wer aber im Gegenteil die Vernunft und Philosophie zur Magd der Theologie macht, der ist gezwungen, die Vorurteile des alten Pöbels gleichsam als göttliche Dinge zuzulassen und durch sie den Verstand zu beschäftigen und blind zu machen; so wahnsinnig wird ein jeder von ihnen sein, und zwar der eine ohne Vernunft, der andere aber mit Vernunft.

Spinoza, Baruch de: Theologisch-politischer Traktat (Tractatus theologico-politicus) XV (Auszüge aus p. 444-455 = Erstruck p. 167-170)

Spinoza bestimmt, Maimonides korrigierend, die Grenzen der Möglichkeiten der Vernunft in Bezug auf die Religion
[1] Rabbi Jehuda Alphakar [...] will, dass wir verpflichtet sind, alles, was die Schrift behauptet oder bestreitet, als wahr zu übernehmen oder als falsch zurückzuweisen. [...] Er hätte zeigen müssen [...], dass alle Stellen, die [...] anderen widersprechen, ausgehend von der Natur der Sprache und dem Gehalt der Stelle angemessen metaphorisch erklärt werden können, und ferner, dass die Schrift unbeschädigt in unsere Hände gelangt sei. Aber [...] behauptet Moses direkt, „Gott sei Feuer“ (Dtn 4, 24), und bestreitet direkt, dass Gott irgendeine Ähnlichkeit mit sichtbaren Dingen habe (Dtn 4, 12). [...]
[2] Deswegen haben wir sowohl diese Meinung als auch die des Maimonides zum Einsturz gebracht. [...] Denn die Kraft der Vernunft [...] erstreckt sich nicht soweit, dass sie festlegen kann, dass die Menschen allein durch Gehorsam ohne eine Einsicht in die Dinge glücklich werden können. Aber die Theologie befiehlt nichts außer [...] Gehorsam, und will weder etwas Vernunftwidriges, noch ist sie dazu befähigt. Denn die Dogmen des Glaubens [...] legt sie nur insoweit fest, wie es für den Gehorsam ausreicht. Wie diese aber genau in ihrem Wahrheitsgehalt zu verstehen sind, das festzulegen überlässt sie der Vernunft, die in Wirklichkeit das Licht des Verstandes ist.

Spinoza, Baruch de: Theologisch-politischer Traktat (Tractatus theologico-politicus) XVI (Auszüge aus p. 476f. = Erstdruck p. 179)

Für Spinoza ist die Demokratie die eigentliche dem Naturrecht entsprechende Verfassung
Weil wir schon gezeigt haben, dass das Naturrecht nur durch die Mächtigkeit eines Jeden festgelegt wird [...], kann ohne irgendeinen Widerspruch zum Naturrecht eine Gesellschaft gebildet und jeder Vertrag in höchstem Vertrauen immer eingehalten werden, wenn nun jeder Einzelne die ganze Mächtigkeit, die er besitzt, auf die Gesellschaft überträgt [...], der ein Jeder entweder aus freiem Geist oder aus Furcht vor der höchsten Strafe zu gehorchen verpflichtet sein wird. Das Recht einer solchen Gesellschaft wird Demokratie genannt werden.

Spinoza, Baruch de: Theologisch-politischer Traktat (Tractatus theologico-politicus) XX (Auszüge aus p. 618f. = Erstdruck p. 232f.)

Spinoza folgert, dass dem Einzelnen im Staat größtmögliche Freiheit zukommen muss
Hierdurch haben wir gezeigt, dass es
1. unmöglich ist, den Menschen die Freiheit zu nehmen, das, was sie meinen, zu sagen.
2. dass diese Freiheit, unter Wahrung des Rechts und der Autorität der höchsten Gewalten, einem jeden zugestanden und von jedem gewahrt werden kann. [...]
3. dass ein jeder genau diese Freiheit haben kann, unter Wahrung des Friedens der Republik, und dass aus ihr keine Nachteile entstehen, die nicht leicht im Zaum gehalten werden können. [...]
5. dass die Gesetze, die über theoretische Dinge erlassen werden, völlig nutzlos sind.

Mendelssohn, Moses: Jerusalem oder ueber religioese Macht und Judentum (Auszüge aus p. 150-152 = p. 58-64; II Bd. 8, 127-130)

Moses Mendelssohn widerspricht jedem Zwansgsanspruch der Religion
Der Staat, oder die den Staat vorstellen, werden als eine moralische Person betrachtet, die über diese Rechte zu schalten hat. Der Staat hat also Recht und Gerechtsame auf Güter und Handlungen der Menschen. [...] Nicht also die Kirche! Sie beruhet auf dem Verhältnisse zwischen Gott und Menschen. [...] Gott bedarf unseres Beystandes nicht. [...] Seine Rechte können mit den Unsrigen nie in Streit [...] kommen. [...] Alle menschliche Verträge haben also der Kirche kein Recht auf Gut und Eigentum beylegen können, da sie ihrem Wesen nach auf keins derselben Anspruch machen [...] kann. Ihr kann also niemals ein Zwangsrecht zukommen, und den Mitgliedern kann keine Zwangspflicht gegen dieselbe auferlegt werden. [...] Dieses sind, meinem Bedünken nach, die Gränzen zwischen Staat und Kirche, in so weit sie auf die Handlungen der Menschen Einfluß haben.

Mendelssohn, Moses: Jerusalem oder ueber religioese Macht und Judentum (p. 171f. = 2. Abschnitt, p. 30f.; Bd. 8, 156-157f.)

Moses Mendelssohn erläutert seinen Begriff des Judentums als Vernunftreligion
Ich erkenne keine andere ewige Wahrheiten als die der menschlichen Vernunft nicht nur begreiflich, sondern durch menschliche Kräfte dargethan und bewährt werden können. [...] Ich halte dies [...] für einen wesentlichen Punkt der jüdischen Religion, und glaube, daß diese Lehre einen charakteristischen Unterschied zwischen ihr und der christlichen Religion ausmache. Um es mit einem Worte zu sagen: Ich glaube, das Judentum wisse von keiner offenbarten Religion in dem Verstande, in welchem dieses von den Christen genommen wird. Die Israeliten haben göttliche Gesetzgebung. Gesetze, Gebote, Befehle, Lebensregeln, Unterricht vom Willen Gottes, wie sie sich zu verhalten haben, um zur zeitlichen und ewigen Glückseligkeit zu gelangen; [...] aber keine Lehrmeinungen, keine Heilswahrheiten, keine allgemeine Vernunftsätze. Diese offenbaret der Ewige uns, wie allen übrigen Menschen, allezeit durch Natur und Sache, nie durch Wort und Schriftzeichen.

Mendelssohn, Moses: Jerusalem oder ueber religioese Macht und Judentum (Auszüge aus p. 172-174 = 2. Abschnitt, p. 32-41; II Bd. 8, 161-164)

Moses Mendelssohn unterscheidet zwei Arten von ewigen sowie zeitliche Wahrheiten
[1] Ewige Wahrheiten [...] sind entweder nothwendig, an und für sich selbst unveränderlich, oder zufällig. [...] Sowohl die nothwendigen als zufälligen Wahrheiten fließen aus einer gemeinschaftlichen Quelle, aus der Quelle aller Wahrheit: jene aus dem Verstande, diese aus dem Willen Gottes. [...] Beispiele der ersten Gattung sind die Sätze der reinen Mathematik und der Vernunftkunst; Beyspiele der letzteren die allgemeine Sätze der Physik und Geisterlehre, die Gesetze der Natur, nach welchen dieses Weltall, Körper und Geisterwelt regiert wird. Außer diesen ewigen Wahrheiten giebt es noch Zeitliche, Geschichtswahrheiten. [...] Von dieser Art sind alle Wahrheiten der Geschichte, in ihrem weitesten Umfange. [...]
[2] Die [...] nothwendigen Wahrheiten gründen sich auf die Vernunft, d. i. auf unveränderlichen Zusammenhang, und wesentliche Verbindung zwischen den Begriffen. [...] Zu den Wahrheiten der zwoten Classe wird, außer der Vernunft, auch noch Beobachtung erfordert. [...] Hingegen die Geschichtswahrheiten [...] können nur von denjenigen vermittelst der Sinne wahrgenommen werden, die zu der Zeit und an dem Orte zugegen gewesen, als sie sich in der Natur zugetragen haben; von jedem anderen müssen sie auf Autorität und Zeugniß angenommen werden. [...]
[3] Ich glaube also nicht, daß die Kräfte der menschlichen Vernunft nicht hinreichen, sie von den ewigen Wahrheiten zu überführen, die zur menschlichen Glückseligkeit unentbehrlich sind.

Mendelssohn, Moses: Jerusalem oder ueber religioese Macht und Judentum (Auszüge aus p. 177-178 = 2. Abschnitt, p. 49-52; II Bd. 8, 165-166)

Mendelssohn führt seine rationale Erklärung der jüdischen Religion näher aus
[1] Das Judentum rühmt sich keiner ausschließenden Offenbarung ewiger Wahrheiten, die zur Seligkeit unentbehrlich sind. [...] Ein anderes ist geoffenbarte Religion; ein anderes geoffenbarte Gesetzgebung. Die Stimme, die sich an jenem großen Tage, auf Sinai hören ließ, rief nicht: "Ich bin der Ewige, Dein Gott! Das nothwendige, selbständige Wesen, das allmächtig ist und allwissend, das den Menschen in einem zukünftigen Leben vergilt, nach ihrem Thun." Dieses ist allgemeine Menschenreligion, nicht Judentum. [...]
[2] Nein! alles dieses ward vorausgesetzt, ward vielleicht in den Vorbereitungstagen gelehrt, erörtert und durch menschliche ausser Zweifel gesetzt, und nun rief die göttliche Stimme: "Ich bin der Ewige, dein Gott! der dich aus dem Lande Mizraim [= Ägypten] geführt, aus der Sklaverey befreit hat u. s. w." Eine Geschichtswahrheit, auf die sich die Gesetzgebung dieses Volks gründen sollte, und Gesetze sollten hier offenbaret werden; Gebote, Verordnungen, keine ewige Religionswahrheiten. [...]
[3] Wunder und ausserordentliche Zeichen sind nach dem Judentume, keine Beweismittel für oder wider ewige Vernunftwahrheiten. [...] Alle Zeugnisse und Autoritäten können keine ausgemachte Vernunftwahrheit umstoßen.

Rosenzweig, Franz: Der Stern der Erlösung I, Einleitung (p. 6-8, 12f., Auszüge)

Franz Rosenzweig begründet seine Annahme, dass die philosophische Welterklärung, insbesondere im Hegel’schen Sinne, der Offenbarung und der Individualität nicht gerecht werden kann
[1] War die Philosophie denn nicht schon durch jene ihre ,einzige‘ Voraussetzung, sie setze nichts voraus, selbst ganz voller Voraussetzung, ja selber ganz Voraussetzung? [...] Was ihr gegenüber Selbständigkeit beanspruchte, wurde entweder zum Schweigen gebracht oder überhört. Zum Schweigen gebracht wurde die Stimme, welche in einer Offenbarung die jenseits des Denkens entspringende Quelle göttlichen Wissens zu besitzen behauptete. [...]
[2] Wer hier noch Widerspruch erheben wollte, der mußte einen Archimedespunkt außerhalb jenes wißbaren All unter seinen Füßen spüren. Von einem solchen Archimedespunkt aus bestritt ein Kierkegaard, und er nicht allein, die Hegelsche Einfügung der Offenbarung ins All. Der Punkt war das eigene [...] Bewußtsein der eigenen Sünde und eigenen Erlösung, das einer Auflösung in den Kosmos weder bedürftig noch zugänglich war; nicht zugänglich: denn mochte auch alles an ihm ins Allgemeine zu übersetzen sein, – die Behaftetheit mit Vor- und Zunamen, das Eigene im strengsten und engsten Sinn des Worts blieb übrig, und gerade auf das Eigene kam es an.
[3] Ein solches Heraustreten dessen, was man [...] als persönliches Leben, Persönlichkeit, Individualität bezeichnet [...], aus dem Bereich des Weltwissens kann auch an diesem selbst nicht spurlos vorübergehen. [...] Unsere Zeit hat es getan [dies Heraustreten philosophisch zu denken versucht]. [...] Der ,Wille‘, die ,Freiheit‘, das ,Unbewußte‘ konnte, was die Vernunft nicht gekonnt hatte: über einer Welt von Zufall walten.

Rosenzweig, Franz: Der Stern der Erlösung III, Einleitung: Über die Möglichkeit, das Reich zu erbeten (p. 298, 301, 322-325, Auszüge)

Franz Rosenzweig bemüht sich um eine philosophische Deutung des jüdischen Gebetsverständnisses
[1] Die Liebe handelt so, als ob es im Grunde nicht bloß keinen Gott, sondern sogar keine Welt gäbe. Der Nächste vertritt der Liebe alle Welt und verstellt so dem Auge die Aussicht. Aber das Gebet, indem es um Erleuchtung bittet, sieht – und zwar nicht am Nächsten vorbei, aber über das Nächste hinweg und sieht, soweit sie ihm erleuchtet wird, die ganze Welt. So befreit es die Liebe von der Gebundenheit an den Tastsinn er Hand [...]. Das Gebet stiftet die menschliche Weltordnung.
[2] Die menschliche Weltordnung – aber auch die göttliche? [...] Wenn [...] das Gebet, indem es dem Beter einen Blick auf die Welt öffnet, sie ihm in besonderer Ordnung zeigt, sollte das irgendwelche Folgen haben für diese eine göttliche Weltordnung selbst? [...] Das Gebet [...] zeigt dem Auge das fernste Ziel; aber weil der Beter auf dem bestimmten Stand-punkt seiner Persönlichkeit steht, so erscheint dies allen gemeinsame fernste Ziel hinter einem Vordergrunde von ganz persönlicher Perspektive. [...]
[3] Der Augen-blick zeigt dem Auge, so oft es sich öffnet, immer Neues. Das Neue [...] muss ein Nunc stans sein, kein verfliegender also, sondern ein ,stehender‘ Augenblick. Ein solches stehendes Jetzt heißt man, im Unterschied zum Augenblick: Stunde. [...] Indem eine Stunde herum ist, beginnt nicht bloß ,eine neue‘ Stunde, wie ein neuer Augenblick den alten ablöst, sondern es beginnt ,wieder eine‘ Stunde. [...] Nur der Glockenschlag, nicht das Ticken des Pendels stiftet die Stunde. [...] In der alltäglich-allwöchentlich-alljährlichen Wiederholung der Kreise des kultischen Gebets macht der Glaube den Augenblick zur ,Stunde‘, die Zeit aufnahmebereit für die Ewigkeit. [...]
[4] Wie aber wohnt denn im Gebet diese Kraft zu erzwingen, daß die Ewigkeit der Einladung Folge leistet? [...] Auch der Kult scheint nur das Haus zu bauen, worin Gott Wohnung nehmen kann, aber kann er den hohen Gast wirklich nötigen, einzuziehen? Ja er kanns. Denn die Zeit, die er bereitet zum Besuch der Ewigkeit, ist nicht die Zeit des Einzelnen [...]; sie ist die Zeit aller. [...] Die Erleuchtung, die dem Einzelnen wird, hier kann sie keine andre sein als die, welche allen andern auch geschehen kann. [...] Dies für alle Gemeinsame, über alle Standpunkte der Einzelnen [...] hinaus, kann aber nur eines sein: das Ende aller Dinge, die letzten Dinge.

Lévinas, Emmanuel : Gott und die Philosophie (Dieu et la philosophie) (p. 95-97)

Emmanuel Lévinas führt die Transzendenz Gottes als Gegenpol zum rational-philosophischen Vorgehen ein
3. [...] Wenn das Begreifen des biblischen Gottes – die Theologie – nicht das Niveau des philosophischen Denkens erreicht, liegt das [...] daran, dass sie Gott, wenn sie ihn thematisiert, in den Lauf des Seienden einführt, obwohl der Gott der Bibel in unglaublicher Weise [...] das Jenseits des Seienden, die Transzendenz bezeichnet. Und es ist kein Zufall, dass die Geschichte der abendländischen Philosophie eine Zerstörung der Transzendenz war. Die rationale Theologie, grundsätzlich ontologisch, bemüht sich, der Transzendenz im Bereich des Seienden Recht zu verschaffen, indem sie sie durch Adverbien der Höhe ausdrückt, die auf das Wort Sein angewandt werden: Gott soll herausragend oder ausgezeichnet existieren. [...]
4. Man kann sicherlich auch behaupten, dass der Gott der Bibel keinen Sinn hat, d.h. nicht im eigentlichen Sinn denkbar ist. Das wäre die andere Alternative: "Der Begriff Gott ist kein problematischer Begriff, er ist überhaupt kein Begriff" [...], womit [man] eine stolze Tradition des philosophischen Rationalismus fortsetzt, der sich weigert, die Transzendenz des Gottes Abrahams, Isaaks und Jakobs unter die Begriffe aufzunehmen, ohne die es kein Denken geben kann. [...]
Sich zu fragen, wie wir es hier zu tun versuchen, ob Gott nicht in einem vernünftigen Diskurs ausgedrückt werden kann, der weder Ontologie noch Glaube ist, das impliziert, den formalen Gegensatz infrage zu stellen, den Jehuda Halevi formulierte und Pascal wiederaufnahm, zwischen dem Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs, auf den sich der Glaube ohne Philosophie beruft, einerseits und dem Gott der Philosophen andererseits; es heißt infrage zu stellen, ob dieser Gegensatz eine Kontradiktion darstellt.

Lévinas, Emmanuel : Gott und die Philosophie (Dieu et la philosophie) (p. 104-106)

Lévinas über das Unendliche im Denken
10. In seiner Meditation über die Idee Gottes hat Descartes den außerordentlichen Verlauf eines Denkens, das bis zum Zerbrechen des 'Ich denke' geht, mit einer unvergleichlichen Strenge nachgezeichnet. [...] Als Gedachtes (cogitatum) eines Denkens (cogitation), das sie vom ersten Moment an enthält, überschreitet die Idee Gottes, als Bezeichnung des Nicht-Inhaltes schlechthin [...], jegliche Erfassbarkeit. Ihre "objektive Realität" des Gedachten lässt die "formale Realität" des Denkens zusammenstürzen. [...]
11. Die Aktualität des cogito unterbricht sich so im Gewand der Idee des Unendlichen, durch das Unumfassbare, nicht gedachte, sondern erlittene, das in einem zweiten Moment des Bewusstseins dasjenige trägt, was in einem ersten Moment vorgab, es zu tragen: Nach der Gewissheit des cogito [...] verkündet die dritte Meditation: "in gewisser Weise habe ich in mir die Idee des Unendlichen früher als die des Endlichen, d.h. die Gottes früher als die meiner selbst."

Lévinas, Emmanuel : Gott und die Philosophie (Dieu et la philosophie) (p. 108-112)

Lévinas über das Unendliche als Fundament der Liebe
12. Man darf die Idee des Unendlichen oder das Unendliche im Denken nicht als eine Negation des Endlichen durch das Unendliche im Sinne seiner Abstraktion oder seiner logischen Form verstehen; im Gegenteil ist die Idee des Unendlichen oder Unendliche im Denken die eigentümliche und irreduzible Gestalt der Negation des Endlichen. [...] Die Differenz des Unendlichen und des Endlichen ist eine Non-Indifferenz des Unendlichen anstelle des Endlichen und das Geheimnis der Subjektivität. [...]
Die Idee des Unendlichen versteht sich nicht als die Liebe, die auf der Spitze des Pfeils, der trifft, erwacht, sondern wo das durch das Trauma betäubte Subjekt sich direkt in seiner Immanenz des Seelenzustandes wiederfindet. [...]

Lévinas, Emmanuel : Gott und die Philosophie (Dieu et la philosophie) (p. 113-119)

Über die beträchlichen ethischen Konsequenzen
14. Die Liebe ist nicht anders möglich als durch die Idee des Unendlichen – durch das Unendliche, das in mich gesetzt ist, durch das "mehr", welches das "weniger" zerstört und aufweckt, es von der Teleologie abwendet, die Stunde und das Glück des Ziels zerstört. [...] Damit das Desinteresse im Begehren des Unendlichen möglich wird, [...] muss das Begehrenswerte oder Gott im Begehren abgetrennt bleiben; als Begehrenswertes – nah, aber verschieden – Heilig. [...] Die Transzendenz ist ethisch, und die Subjektivität, die letztlich nicht das "Ich denke" ist [...], die nicht die Einheit der "transzendentalen Apperzeption" ist, ist, in Gestalt der Verantwortung für den anderen, Unterwerfung gegenüber dem anderen. [...]
15. Die biologische menschliche Brüderlichkeit [...] ist kein hinreichender Grund dafür, dass ich für ein getrenntes Seiendes verantwortlich bin. [...] Die Verantwortlichkeit für den anderen kommt von jenseits meiner Freiheit. [...]
16. "Jeder von uns ist schuldig vor allen für alle und für alles, und ich mehr als die anderen", sagt Dostojewski in den Brüdern Karamasow.

Xenophanes: Fragmente Über die Natur; 21B 23

Der Vorsokratiker Xenophanes (6. Jhdt. v. Chr.) begründet den philosophischen Monotheismus
Ein einziger Gott ist unter Göttern und Menschen der größte,
weder dem Körper noch der Einsicht nach dem sterblichen Menschen gleich.

Al-Fārābī : Die Harmonie zwischen Platon und Aristoteles (Leiden 1892, p. 2)

Der arabische Philosoph Abū Naṣr al-Fārābī (ca. 870-950, Autorschaft umstritten) sieht Platon und Aristoteles als Begründer der Philosophie
Jene beiden Weisen haben nun die Philosophie begründet, ihre Anfangsgründe und Prinzipien errichtet, und auch die Ausläufer und Verzweigungen derselben vollständig dargestellt. Auf ihnen beiden beruht das Vertrauen im Großen und Kleinen, und man nimmt zu ihnen bei Wichtigem und Unwichtigem seine Zuflucht. Nur was in einem Wissenszweige von ihnen ausging, das ist eine Grundlage, auf die man sich deshalb stützen kann, weil sie von jedem Flecken und Schmutz frei ist.

Brecht, Bertolt: Leben des Galilei 4. Szene

Bertolt Brecht stellt die Anerkennung des neuzeitlichen Weltbildes als Problem der Aristoteles-Rezeption dar
Der Philosoph: Das Weltbild des göttlichen Aristoteles mit seinen mystisch musizierenden Sphären und kristallenen Gewölben und den Kreisläufen seiner Himmelskörper und dem Schiefenwinkel der Sonnenbahn und den Geheimnissen der Satellitentafeln und dem Sternenreichtum des Katalogs der südlichen Halbkugel und der erleuchteten Konstruktion des celestialen Globus ist ein Gebäude von solcher Ordnung und Schönheit, dass wir wohl zögern sollten, diese Harmonie zu stören. […]
Galilei: Ich stelle mein Fernrohr zur Verfügung, dass man sich überzeugen kann, und man zitiert Aristoteles. Der Mann hatte kein Fernrohr! […]
Der Philosoph: Wenn hier Aristoteles in den Kot gezogen werden soll, eine Autorität, welche nicht nur die gesamte Wissenschaft der Antike, sondern auch die Hohen Kirchenväter selbst anerkannten, so scheint jedenfalls mir eine Fortsetzung der Diskussion überflüssig. Unsachliche Diskussionen lehne ich ab. Basta.

Elias aus Alexandrien : Kommentar zu den Kategorien (In Categorias commentarium) (p. 122, 25-123 Busse)

Der Aristoteles-Kommentator (6./7. Jhdt.) betont die Verpflichtung des Auslegers auf die Wahrheit
Der Ausleger soll zugleich Ausleger und Wissender sein. […] Er darf sich nicht entsprechend den Texten, die er auslegt, verändern, so wie Schauspieler auf der Bühne verschiedene Rollen annehmen, weil sie verschiedene Charaktere darzustellen haben, d.h. wenn er Aristoteles’ Werke auslegt, darf er kein Aristoteliker werden und sagen, dass es nie einen so großen Philosophen gegeben habe, und wenn er Platonisches auslegt, darf er nicht Platoniker werden und sagen, dass es nie einen Philosophen vom Range Platons gegeben habe […], sondern überall soll er sagen: "Ein Freund ist mir der Mann, ein Freund auch die Wahrheit, von beiden gegebenen Freunden ist mir die Wahrheit lieber."

Al-Fārābī : Die Harmonie zwischen Platon und Aristoteles (p. 4-6)

Abū Naṣr al-Fārābī (?) betont die Relevanz der Übereinstimmung von Platon und Aristoteles
Weil nun aber der mit Vernunft Begabte ein Ding nach dem anderen […] sich vorstellt, wegen des Ähnelns der Kennzeichen, durch das man auf den Zustand des Dings hingeführt wird, so ist es nötig, dass viele verschiedene Denker übereinstimmen. So oft dies aber der Fall ist, gibt es keinen stärkeren Beweis und keine größere Gewissheit als diese. […] Nun finden wir, dass die unterschiedlichen Ansichten in der Voranstellung dieser beiden Philosophen übereinstimmen. […] Da sich dies nun so verhält, bleibt nur übrig, dass in der Erkenntnis derer, die von jenen beiden meinen, es herrsche zwischen beiden in den Grundlehren ein Widerspruch, ein Fehler liege.