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Philosophische Zitate aus Antike und Mittelalter

Thema: Philosophie und Religion

36 Zitate zu diesem Thema im Zitatenschatz:

  • Zacharias Rhetor (Scholastikos): Ammonios oder Diskussion über die Herstellung der Welt (Ammonius sive De opificio mundi disputatio) (Zeile 92-110 Minniti Colonna)

    Der Bischof Zacharias berichtet über die Diskussionen, die er als Student in Alexandria mit seinem Lehrer, dem neuplatonischen Philosophen Ammonios, Sohn des Hermias, geführt hat.
    Einst befanden ich und einige andere der Studenten des (Philosophen) Ammonios, welche sich auf die „Physikvorlesung“ konzentrierten, im Vorlesungssaal, zur Frühlingszeit, wenn der Südwind sehr angenehm und kraftvoll weht, wenn der gewaltige Fluss gefällig mit seinen Wellen Ägypten bespült und die ägyptischen Äcker befeuchtet.
    Ammonios aber erklärte und verdeutlichte uns, so wie die Ausleger von Orakelsprüchen, die Weisheit des Aristoteles, wobei er ganz nach Sophistenart hochmütig auf einem hohen Sessel saß.
    Und als ein Wort über den Himmel vorüberfloss [...], bildete er folgende Prämisse: „Scheint der Himmel eine schöne Sache zu sein oder nicht?“ „Eine schöne“, sagte ich. [...]
    „Wenn nun“, sprach dieser, „der Himmel schön ist, und der Vater und Schöpfer dieses Alls gut ist, wie können die Christen behaupten, dass nicht das Schöne mit dem Guten die gesamte Ewigkeit verbunden sei?“
  • Ibn Rušd (Averroes): Die entscheidende Abhandlung (p. 9 Butterworth; p. 18f. Schupp)

    Der Philosoph und Religionsgelehrte Ibn Rušd (Averroes, 1126-1198) vertritt die sachliche Einigkeit von Philosophie und Religion
    Das Wahre steht nicht im Gegensatz zum Wahren, sondern es stimmt damit überein und bezeugt es.
  • Al-Fārābī : Buch der Buchstaben § 108. 110 (p. 131, 4-9; 132, 7f. Mahdi)

    Al-Fārābī über das Verhältnis der verschiedenen Formen der Philosophie zur Religion
    Weil durch das Verfahren der apodeiktischen Beweise etwas erst im Anschluss an die Topik (ǧadal) und die sophistischen Schlüsse gewusst wird, ist es nötig dass diese Fähigkeiten, beziehungsweise die auf Meinung beruhende und die verfälschte Philosophie, der methodisch abgesicherten Philosophie (al-falsafa al-yaqīnīya), d.h. der apodeiktisch beweisenden (al-burhānīya), zeitlich vorangehen. Nun folgt die Religion (milla), wenn sie als menschliche verstanden wird, der Philosophie nach, sowohl zeitlich als auch überhaupt, weil sie nur zur Belehrung der großen Menge über die theoretischen und praktischen Dinge dient, welche die Philosophie erforscht, und zwar derart, dass den Menschen das Verständnis hiervon entweder durch Überredung (iqnāʻ) oder durch das Hervorrufen vorgestellter Bilder (taḥyīl) oder durch beides zugleich erreicht. [...] Die Philosophie geht insgesamt der Religion auf dieselbe Weise voran, wie in der Zeit der Benutzer des Werkzeugs dem Werkzeug vorangeht.
  • Spinoza, Baruch de: Theologisch-politischer Traktat (Tractatus theologico-politicus) XIV (p. 443 = Erstdruck p. 165f.)

    Spinoza formuliert die Grundlagen seiner Position zum Verhältnis von Philosophie und Religion
    [1] Übrig ist noch, dass ich schließlich zeige, dass zwischen Glauben bzw. Theologie und Philosophie keine Verbindung und keine Nähe besteht, was ja niemand übersehen kann, der die Zielrichtung und das Fundament dieser beiden Vermögen kennt, welche sich gewiss himmelweit unterscheiden: Die Zielrichtung der Philosophie ist nämlich nichts als die Wahrheit; die des Glaubens aber [...] nichts als Gehorsam und Frömmigkeit.
    [2] Ferner sind die Grundlagen der Philosophie die allgemeinen Begriffe, und diese müssen aus der Natur alleine gesucht werden; die des Glaubens sind aber die Erzählungen und die Sprache, und müssen allein aus der Schrift und der Offenbarung gesucht werden. [...]
    [3] Der Glaube gesteht also jedem Einzelnen die höchste Freiheit zum Philosophieren zu, so dass er ohne Verfehlung über alle beliebigen Dinge meinen kann, was immer will; und sie verurteilt die als Häretiker und Schismatiker, welche Ansichten lehren, um zur Hartnäckigkeit, zum Hass, zu Streit und zu Zorn zu raten; und im Gegenteil hält sie nur die für Gläubige, die zu Gerechtigkeit und Liebe [...] raten.
  • Laktanz: Die göttlichen Einrichtungen (Institutiones divinae) IV 4, 1f. (p. 320 Heck/Wlosok)

    Der christliche Apologet Laktanz (ca. 250-320) betont die Verbindung von Religion und Weisheit, dem Ziel der Philosophie
    Es tritt zutage, wie Weisheit und Religion miteinander verbunden sind. Die Weisheit, die Liebe fordert, blickt auf die Söhne, die Religion, die Furcht fordert, auf die Sklaven. [...] Weil aber Gott, der einer ist, sowohl die Rolle des Vaters als auch die des Herrn einnimmt, müssen wir ihn sowohl lieben, weil wir Söhne sind, als auch fürchten, weil wir Sklaven sind. Also kann weder die Religion von der Weisheit getrennt werden, noch die Weisheit von der Religion abgegrenzt, den es ist derselbe Gott, der erkannt werden muss, was der Weisheit zukommt, und verehrt, was der Religion zukommt.
  • Albertus Magnus: Über die Nikomachische Ethik (Super Ethica) X 16, quaestio 6 (Coloniensis 14, 2, 774, 51-775, 12)

    Der Dominikaner-Mönch und begeisterte Aristoteliker Albertus Magnus sieht innerhalb des Christentums einen Platz für die philosophische Glücksvorstellung des Averroes
    [1] Die theologische Kontemplation stimmt in einer Hinsicht mit der philosophischen überein und unterscheidet sich in einer anderen; daher sind beide nicht schlechthin identisch.
    [2] Sie stimmt nämlich darin überein, dass es auch in der theologischen einen Einblick auf bestimmte geistige Dinge durch den Intellekt gibt, die ohne ein Hindernis durch die Leidenschaften von Seiten des Subjekts und durch einen Zweifel von Seiten des Glaubens darauf hingeordnet ist, in Gott zu ruhen, worin die höchste Glückseligkeit besteht.
    [3] Sie unterscheidet sich aber im Habitus, im Ziel und im Objekt. Und zwar im Habitus, weil die theologische durch ein Licht betrachtet, das von Gott eingegeben wurde, aber der Philosoph durch den erworbenen Habitus der Weisheit; im Ziel, weil die theologische das letzte Ziel in der Betrachtung Gottes im Himmel ansetzt, aber der Philosoph in einer Vision, durch die er ein Stück weit in diesem Leben gesehen wird; zudem im Objekt [...] im Hinblick auf die Art und Weise, denn der Philosoph betrachtet Gott, insofern er ihn als eine bestimmte Konklusion aus einem Beweis besitzt, aber der Theologe betrachtet ihn als etwas, was oberhalb von Vernunft und Intellekt existiert.
  • Ibn Ṭufail : Ḥayy ibn Yaqẓān (Auszüge von p. 147-154)

    Ibn Ṭufail schildert das Scheitern von Ḥayy ibn Yaqẓāns Versuch, sein philosophisches Wissen den religiösen Menschen zu erklären
    [1] Da er großes Mitleid mit den Menschen empfand und den Wunsch hatte, ihnen das Heil zu bringen, kam der Wunsch in ihm auf, zu ihnen zu gehen, um ihnen die Wahrheit offenzulegen und zu erklären. [...] Ḥayy ibn Yaqẓān begann also, sie zu unterweisen und ihnen die Geheimnisse der Weisheit (asrār al-ḥikma) zu enthüllen; doch sobald er auch nur ein kleines Stück über den äußeren Wortsinn (aẓ-ẓāhir) hinausging und etwas beschrieb, das nicht mit ihrem Verständnis übereinstimmte, begannen sie sich vor ihm zu verschließen, [...] und in ihren Herzen ärgerten sie sich über ihn. [...]
    [2] Da gab er die Überzeugung auf, dass er sie bekehren könnte, und verlor die Hoffnung, dass sie von ihm etwas annehmen würden. [...] Er riet ihnen, in ihrer gewohnten Weise an den Bestimmungen des [religiösen] Gesetzes (ḥudūd aš-šar‘) und den auf das Äußerliche bezogenen Handlungen festzuhalten, sich so wenig wie möglich in Dinge, die nicht ihre Sache waren, zu vertiefen, den schwerverständlichen Stellen in den heiligen Texten Glauben zu schenken und sie ohne Vorbehalte anzuerkennen. [...]
    [3] Darauf verabschiedeten sich die beiden von ihnen, kehrten zurück zu ihrer Insel und [...] Ḥayy ibn Yaqẓān versuchte in gleicher Weise wie zuvor, sich in die Lage der Erhabenheit [i.e. die unio mystica] zu versetzen.
  • Ibn Ṭufail : Ḥayy ibn Yaqẓān (Auszüge v. p. 7f. Gauthier)

    Ibn Ṭufail erklärt den Unterschied der <i>unio mystica</i> von komplettem (philosophischem) Wissen
    Stell dir einen blind geborenen Menschen vor. [...] Seit es ihn gibt, wuchs er in einer bestimmten Stadt auf, in der er die einzelnen Bewohner [...], die Wege und Straßen der Stadt [...] durch das, was er von den übrigen Erkenntnisvermögen erfährt, ohne Einschränkungen kennt, so dass er sogar ohne Führer in der Stadt umhergeht und jeden, der ihm begegnet, sogleich erkennt. [...] Wenn ihm nun, nachdem er diese Stufe erreicht hat, seine Augen geöffnet werden und er die Sehkraft erlangt, dann wird er [...] nichts anders vorfinden, als es seiner Überzeugung davon entspricht, und nichts wird ihn täuschen [...], außer dass bei alldem zwei besonders wichtige Sachverhalte [...] neu für ihn sind: Erstens die gesteigerte Deutlichkeit und Helligkeit und zweitens die gewaltige Freude.
  • Ibn Ṭufail : Ḥayy ibn Yaqẓān (p. 108f. Gauthier)

    Ibn Ṭufail charakterisiert die unio mystica
    Wem eine solche Schau zuteil wird, dem widerfährt das völlige Verschwinden des Wesens seiner selbst (ḏāt nafsihi), die Auflösung und das Entwerden und ebenso das der übrigen vielen Wesen [...]. Es bleibt einzig das Wesen des Einen, des Wahren, des notwendig Seienden (al-wāḥid al-ḥaqq al-wāğib al-wuğūd).
  • Ibn Ṭufail : Ḥayy ibn Yaqẓān (Auszüge von p. 86)

    Ibn Ṭufail schildert, wie Ḥayy ibn Yaqẓān aus der Frage nach der Ewigkeit der Welt auf Gott schließt
    Sein Zweifel über die Ewigkeit der Welt oder ihr Entstandensein behinderte ihn in keiner Weise: Auf beide Sichtweisen zugleich betrachtete er die Existenz eines Herstellers (wuğūd fā‘il) als richtig, der kein Körper ist, der weder mit einem Körper verbunden noch von ihm abgetrennt, weder in ihm noch außerhalb von ihm – denn Verbundensein, Getrenntsein, In-etwas-Sein und Außerhalbsein gehören alle zu den Eigenschaften von Körpern. – Er aber ist all dem ganz und gar enthoben.
  • Ibn Ṭufail : Ḥayy ibn Yaqẓān (Auszüge von p. 135 f.)

    Ibn Ṭufail charakterisiert die religiösen Menschen in Ḥayy ibn Yaqẓāns Umgebung
    Auf einer Insel in der Nähe jener Insel [...] hatte sich eine von den wahren Religionsgemeinschaften (milla min al-milāl aṣ-ṣaḥīḥa) niedergelassen, die von einem der früheren Propheten [...] gestiftet worden war. Es war eine Religion, welche alles wahrhaft Existierende (ğamī‛ al-mawğūdāt al-ḥaqīqīya) in Gleichnissen (amṯāl) nachbildete.
  • Justin der Märtyrer: Dialog mit Tryphon (Dialogus cum Tryphone) 8, 1

    Der christliche Philosoph Justin der Märtyrer (ca. 100-165) beschreibt seine Erfahrung der Verbindung von wahrer Erkenntnis und Liebe zur Weisheit und berichtet über seine Bekehrung zum Christentum
    Da entzündete sich mir auf einmal ein Feuer in meiner Seele, und mich ergriff Liebe zu den Propheten und zu den Leuten, die Christus’ Freunde sind. Als ich seine Argumente mit mir selbst diskutierte, fand ich, dass nur diese Philosophie zuverlässig und von Nutzen ist. So bin ich nun auch dadurch Philosoph.
  • Porphyrios von Tyros : Leben Plotins (Vita Plotini) § 10

    Porphyrios von Tyros (ca. 233-301/5), der Biograph Plotins, beschreibt dessen selbstbewusste Haltung gegenüber den Göttern
    Als [Plotins Kollege] Amelios opferfreudig geworden war, bei Neumond sowie an den Festen dort herumging und Plotin aufforderte, mit ihm teilzunehmen, sagte dieser: "Jene müssen zu mir kommen, nicht ich zu ihnen." Aus welcher Einsicht heraus er so große Reden führte, konnten wir weder verstehen, noch wagten wir danach zu fragen.
  • Porphyrios von Tyros : Leben Plotins (Vita Plotini) § 23

    Porphyrios schildert die Vereinigungen Plotins mit dem Einen, das hier “Gott” genannt wird
    Wenn er sich so durch dieses dämonische Licht besonders in den ersten und jenseitigen Gott mit den Gedanken einführte, auf den von Platon im Symposion gewiesenen Wegen, erschien ihm jener Gott, der weder eine Gestalt noch eine Idee hat, der oberhalb des Geistes und alles Gedachten sitzt. Ihm, sage ich, habe ich, Porphyrios, mich auch einmal angenähert und mit ihm vereint, im 68. Lebensjahr. [...] [Plotin] aber erreichte wohl viermal, während ich bei ihm war, dieses Ziel mit unsagbarer Aktivität.
  • Al-Fārābī : Buch der Buchstaben § 111. 113 (p. 133, 1-4. 14-16; 134, 12-15 Mahdi)

    Al-Fārābī erklärt die Vertreter der Philosophie zur geistigen Elite des islamisch geprägten Umfelds, auch im Vergleich zur rationalen Theologie (<i>kalām</i>)
    [1] Auch entwickelte sich das Verhältnis der Theologie zur Philosophie so, dass es ebenfalls in gewisser Weise ein dienendes [Verhältnis] dieser gegenüber ist, vermittelt durch die Religion. Denn sie [die Theologie] trägt bei und umfasst nur einen Nachweis dessen, was zuerst in der Philosophie durch Beweise nachgewiesen wurde, insofern es durch den Urheber der Meinung (bādī l-rayy [gemeint ist der Religionsstifter]) in der Masse bekannt gemacht wurde. [...]
    [2] Die Elite schlechthin sind folglich die Philosophen schlechthin, und die übrigen, die für Elite gehalten werden, werden nur deswegen dafür gehalten, weil sie eine Ähnlichkeit mit den Philosophen aufweisen. [...] Als Elite gelten also in erster Linie und insbesondere schlechthin die Philosophen, dann die Topiker (al-ǧadalīyūn) und Sophisten; sodann die Gesetzgeber (wāḍiʿū n-nawāmis), sodann die Theologen und Juristen (al-mutakallimūn wa-l-fuqahāʾ). Und unter der Masse und dem einfachen Volk [...] gibt es jemanden, der mit der politischen Herrschaft betraut wurde, ob es nun gerecht war, dass man ihn betraute oder nicht.
  • Ibn Sīnā (Avicenna): Autobiographie (vita) (p. 28, 3-30, 2 Gohlmann)

    Ibn Sīnā (Avicenna) berichtet über Hilfsmittel zu philosophischer Kreativität
    Und aufgrund von denjenigen Fragen, über die ich unsicher war [...], suchte ich wiederholt die Moschee auf, betete und flehte zum Schöpfer des Alls. [...] Sooft mich der Schlaf überwältigte oder ich eine Schwäche verspürte, wandte ich mich ab, um einen Becher Wein zu trinken, auf dass meine Fähigkeit mir wiederkehrt. Wenn ich bei einer Frage in Verlegenheit war [...], pflegte ich deswegen die Moschee aufzusuchen und zum Schöpfer des Alls zu beten und zu flehen. [...] Wenn mich der Schlaf übermannen wollte oder ich eine Schwäche verspürte, wandte ich mich einem Becher Wein zu, um wieder zu Kräften zu kommen.
  • Al-Ġazālī : Der Erretter aus dem Irrtum II (p. 21f. Elschazlī = p. 37f. Maḥmūd)

    Al-Ġazālī bestreitet, dass ein grundlegender Widerspruch zwischen dem Gebrauch von Logik und der Religion besteht
    Und was die logischen Disziplinen betrifft, so berührt nichts von ihnen die Religion (ad-dīn), weder als Ablehnung noch als Begründung. Sondern sie ist die Theorie über die Methoden der Beweisführungen und der Syllogismen, die Bedingungen der Prämissen des Beweises und die Art und Weise ihrer Zusammensetzung und die Bedingungen der Definition und der Art und Weise ihres Aufbaus. [...] Was hat dies mit den Angelegenheiten der Religion zu tun, so dass man es ablehnen und bestreiten müsste? Ja, wenn man es bestreitet, wird man auf Seiten der Logiker nichts entstehen außer einer schlechten Überzeugung über den Intellekt des Bestreiters, ja auch an seiner Religion, von der er behauptet, dass sie auf dieser Bestreitung beruht.
  • Ibn Rušd (Averroes): Die entscheidende Abhandlung 2-3 = 1-5

    Averroes über die Notwendigkeit philosophischer Forschung laut dem <i>Koran</i>
    Wenn die Tätigkeit der Philosophie nichts weiter ist als die Theorie (naẓar) über das Existierende (al-mawǧūdāt) und seine Betrachtung, insofern es auf den Hersteller verweist [...], und wenn das Gesetz (aš-šarʿ) dazu aufgefordert und angespornt hat, das Existierende zu betrachten, so ist klar, dass das, worauf dieser Name verweist, entweder vom Gesetz vorgeschrieben oder als Auftrag gegeben ist. Dass das Gesetz dazu aufruft, mit dem Intellekt (ʿaql) das Existierende zu betrachten [...], wird klar durch verschiedene Verse aus dem Buch Gottes. [...].
    Und es ist klar, dass diese Form von Theorie, zu welcher das Gesetz aufruft und anspornt, die vollendetste Art der Theorie mittels der vollendetsten Art des Schlusses ist, und diese wird ,Beweis‘ (burhān) genannt.
  • Ibn Rušd (Averroes): Die entscheidende Abhandlung 13f

    Averroes erklärt den Hintergrund der allegorischen Auslegung von Korantexten, die deren Vereinbarkeit mit der Philosophie sicherstellt, und die Bedingungen für dieses Vorgehen im Einzelfall
    [12] Also wissen wir, die Gemeinschaft der Muslime, in endgültiger Weise, dass die Theorie in Beweisform nicht zu etwas führt, worin das Gesetz widerspricht; das Wahre widerspricht nicht dem Wahren, sondern ist im Einklang mit ihm und bezeugt es.
    [13] [...] Und weil das so ist, so wird, wenn die Theorie zu einer bestimmte Weise der Erkenntnis in Bezug auf irgendein Existierendes führt, dieses Existierende entweder im Gesetz mit Schweigen übergangen, oder es wird Erkenntnis hierüber vermittelt. Und sofern die Gebote etwas mit Schweigen übergehen, so erschließen es die Rechtsgelehrten mittels des gesetzesbezogenen Schlusses. Und wenn es im Text des Gesetzes steht, so ist der äußere Sinn des Textes entweder mit dem übereinstimmend, wozu der Beweis führt, oder verschieden. [...] Und wenn er verschieden ist, dann ist seine Auslegung erforderlich. Und der Gehalt der Auslegung besteht darin, dass die Bedeutung des Ausdrucks von der gegenstandsbezogenen Bedeutung zur übertragenen Bedeutung hin transponiert wird.
  • Ibn Rušd (Averroes): Die entscheidende Abhandlung 18-20 = 36-40

    Averroes bestreitet, dass es einen großen Unterschied zwischen Philosophen und anderen Muslimen über die Ewigkeit der Welt gibt
    [18] Die Mutakallimūn [...] und die früheren Weisen (ḥukamāʾ) [...] stimmten darin überein, dass es drei Arten von Existierendem gibt, nämlich zwei Enden und eine Mitte dazwischen. Bei der Benennung der beiden Enden waren sie sich einig, aber bei der Benennung der Mitte unterschieden sie sich.
    Das eine Ende ist ein Existierendes, das aus etwas von ihm selbst Verschiedenem (min šayy ġayrihi) und durch etwas (wa-ʿan šayy) existiert, nämlich durch eine wirkende Ursache und aus Materie, und die Zeit geht ihm – das heißt seiner Existenz – voraus. [...] Das gegenüberliegende Ende ist ein Existierendes, das weder aus etwas noch durch etwas ist und dem die Zeit auch nicht vorangeht. [...] Die Art von Existierendem, die zwischen diesen beiden Enden liegt, ist etwas Existierendes, das nicht aus etwas ist und dem keine Zeit vorausgeht, das aber doch durch etwas existiert, nämlich durch einen Bewirker (fāʿil) – und genau dies ist die Welt insgesamt. Alle sind sich einig, dass der Welt diese drei Attribute zukommen. [...]
    [20] Die Lehren über die Welt weichen also nicht so sehr voneinander ab, dass die einen als Unglaube zu verurteilen sind und die anderen nicht.
  • Moses Maimonides: Wegweiser für die Verwirrten (Dux neutrorum sive perplexorum) I Einl. § 9f

    Maimonides skizziert den Adressaten des <i>Wegweisers für die Verwirrten</i> und erklärt das Ziel des Werkes
    [1] Das Ziel dieses Buches die Ermahnung eines religiösen Menschen – er ist in seiner Seele demütig geworden, und in seiner Überzeugung verfestigte sich die Richtigkeit unseres Gesetzes (šarīʿa = die Torah) feststeht, so dass er vollkommen ist in Religion und Sitten –, der die philosophischen Wissenschaften betrachtet und ihre Inhalte kennt. Nun leitet ihn der menschliche Intellekt an und lädt ihn ein, sich in seinem Lager niederzulassen, und der äußere Sinn des Gesetzes (ṯawāhir aš-šarīʿa) hält ihn zurück. [...]
    [2] Also bleibt er in Verwirrung und Schrecken: Entweder lässt er sich einladen von seinem Intellekt [...] – und dann wird er meinen, gegen die Grundlagen des Gesetzes fortzuwerfen –, oder soll er bleibt er bei dem, was er von ihm verstanden hat und lässt sich nicht von seinem Intellekt anleiten. Dann [...] wird er trotzdem sehen, dass er sich Schaden zugezogen hat und Verderben in seiner Religion (dīn), und er wird mit diesen eingebildeten Überzeugungen (iʿtiqādāt) zurückbleiben, wobei er durch sie in Angst und Unbehagen ist. [...]
    [3] Wenn wir ihm nun diese Allegorien (muṯul) [in der Torah] erklären oder ihn ermahnen, dass dies Allegorien sind, dann wird er zurückfinden und aus dieser Verwirrung gerettet werden. Daher habe ich dieses Buch Wegweiser für die Verwirrten genannt.
  • Moses Maimonides: Wegweiser für die Verwirrten (Dux neutrorum sive perplexorum) III 26, p. 570, 12-18

    Maimonides vertritt die Meinung, dass es für jedes Gebot des jüdischen Gesetzes einen rationalen Grund gibt, selbst wenn der nicht immer bekannt ist
    Diejenigen, die Theorie betreiben, [...] sind über unsere Gesetzgebung im Hinblick darauf, was für uns erlassen wurde, verschiedener Meinung. Einerseits gibt es solche, die hierfür überhaupt keine Ursache suchen und sagen, dass alle Gesetze einem reinen Wunsch [Gottes] folgen. Andererseits gibt es solche, die sagen, dass jedes Gebot und Verbot hiervon einer Weisheit oder einer Absicht folgen, in der ein bestimmter Zweck liegt, und dass alle Gesetze eine Ursache haben und im Hinblick auf einen bestimmten Nutzen hierüber gesetzlich angeordnet wurde. Im Hinblick darauf, dass es für sie alle eine Ursache gibt, wobei wir die Ursache für einige von ihnen nicht kennen und der Gehalt der Weisheit uns hierüber unbekannt ist, dies ist die Meinung von uns allen, vom Volk und von der Elite.
  • Moses Maimonides: Wegweiser für die Verwirrten (Dux neutrorum sive perplexorum) III 27-28, p. 575, 2f.; 576, 11f.; 577, 10-16; 578, 8-11

    Theoretische Überlegungen des Maimonides zu den Gesetzen
    [1] Das Ziel für die Gesamtheit des Gesetzes besteht in zweierlei, nämlich das Gedeihen der Seele und das Gedeihen des Körpers. [...] Das wahre Gesetz [...], d.h. das Gesetz unseres Freundes Mose, ist nur gekommen, um uns zu den beiden Vollkommenheiten zusammen zu verhelfen. [...]
    [2] Du sollst wissen, dass das Gesetz von den richtigen Meinungen, durch die die äußerste Vollkommenheit entsteht, nur ihren Gipfelpunkt angegeben und zum Überzeugtsein von ihnen nur im Allgemeinen aufgefordert hat, und dies ist die Existenz Gottes des Erhabenen, und seine Einheit und sein Wissen und seine Macht und sein Willen und seine Ewigkeit. Und all dies sind die äußersten Gipfelpunkte, die durch Aufteilen und Definieren nicht verdeutlicht werden können, das Äußerste an Wissen aus vielen Meinungen. Und ebenso forderte das Gesetz zu bestimmten Überzeugungen auf, von denen ein Überzeugtsein notwendig ist für den Frieden der Zustände der Stadt, wie zum Beispiel unser Überzeugtsein, dass der Zorn des Erhabenen über den, der ihm nicht gehorcht, heftig wird.
    [3] Für jede Vorschrift [...] ist entweder im Hinblick auf das Gebot in sich selbst oder in seiner Notwendigkeit für die Entfernung von Unrecht oder für den Erwerb edler Sitten die Ursache für diese Vorschrift klar oder der Nutzen offensichtlich.
  • Moses Maimonides: Wegweiser für die Verwirrten (Dux neutrorum sive perplexorum) I 71, § 46 u. 50 (p. 180 Atay)

    Der Jude Moses Maimonides weist auf die historischen Ursprünge des Kalām, d.h. der rationalen Theologie seit frühislamischer Zeit, hin
    Was diese geringe Kleinigkeit anbelangt, die du von Seiten des Kalām zum Thema der Einheit [Gottes] (tawḥīd) und dem, was damit zusammenhängt, bei einigen Geonim und Karäern findest, so übernahmen sie diese Dinge von den Mutakallimūn aus dem Islam. [...] Des Weiteren sollst du wissen: Alles, was die Richtungen des Islam – wozu die Muʿtaziliten und die Ašʿāriten gehören – zu diesen Themen gesagt haben, sind Meinungen, die auf bestimmten Prämissen beruhen. Diese Prämissen sind den Büchern der [christlichen] Griechen und Syrer entnommen, die einen Widerspruch zu den Meinungen der Philosophen aufbrachten und deren Aussagen entkräfteten.
  • Moses Maimonides: Wegweiser für die Verwirrten (Dux neutrorum sive perplexorum) I 71 § 43f

    Maimonides über die ursprüngliche Wissenschaftlichkeit des Judentums und die Gründe für ihr Vergessen
    Die vielen Wissenschaften über den Nachweis (taḥqīq) dieser Dinge, die es in unserer Religion gab, sind im Lauf der Zeit und aufgrund der Herrschaft ungebildeter Religionen über uns verloren gegangen. [Denn ...] es war verboten, etwas von diesen „Geheimnissen der Tora“ niederzuschreiben und den Menschen zugänglich zu machen, sondern sie wurden diese von herausragenden Einzelnen an Einzelne überliefert.
  • Moses Maimonides: Wegweiser für die Verwirrten (Dux neutrorum sive perplexorum) I 71 § 59. 62f

    Maimonides über die philosophischen Möglichkeiten der Theologie
    [1] Ich stellte fest, dass die Methode aller Mutakallimūn der Art nach eine einzige Methode ist, [...] weil das Prinzip von allen die Nichtbeachtung der Existenz, so wie sie ist, darstellt, da diese eine Gewohnheit sei, zu der im Verstand etwas Verschiedenes möglich sei. [...] Wenn festgestellt wurde, dass die Welt neu entstanden (muḥdaṯ) sei, wurde festgestellt, dass sie einen Hersteller (ṣāniʿ) habe, der sie neu gemacht habe. [...] Nun ist dies kein gültiger Beweis (burhān qatʿī), außer für jemanden, der nicht den Unterschied zwischen dem Beweis, der Dialektik und einem Fehlschluss kennt. [...] Bei all diesen Argumentationen (adilla) gibt es Zweifel, und in ihnen werden Prämissen verwendet, die nicht bewiesen sind.
    [2] Meiner Meinung nach ist das Ziel der Fähigkeit eines argumentativ vorgehenden Gesetzesgelehrten, dass er die Argumentationen (adilla) der Philosophen für die Ewigkeit [der Welt] entkräftet; [...] schließlich weiß jeder scharfsinnige, argumentativ vorgehende Theoretiker, der sich selbst nicht betrügt, dass zu dieser Frage – ich meine bezüglich der Ewigkeit der Welt oder ihres Neugemachtseins – ein gültiger Beweis nicht erbracht werden kann und dass der Verstand vor ihr stehenbleibt.
  • Moses Maimonides: Wegweiser für die Verwirrten (Dux neutrorum sive perplexorum) II 16 [lat. 17] § 212. 214f

    Die wissenschaftstheoretische Situation des religiösen Menschen, wie sie aus dem Scheitern der Gottesbeweise der Mutakallimūn resultiert, und Maimonides‘ Lösungsansatz
    [1] Die Situation von etwas, worüber es keinen Beweis gibt,
    [Textvariante a)] bleibt bloß dadurch, dass es ein Problem ist, dass hierüber einer der beiden widersprüchlichen Standpunkte vorrangig angenommen wird.
    [Textvariante b)] bleibt bloß wegen seiner Situation als Problem offen, oder es wird hierüber einer der beiden widersprüchlichen Standpunkte vorrangig angenommen.
    [2] Und wenn [...] diese Frage, d.h. die nach der Ewigkeit der oder ihrer Neuentstehung, offen bleibt, dann wird für mich von seiten der Prophetie, welche Dinge klärt, die nicht innerhalb der Möglichkeit der Theorie liegen, der Zugang zu ihr angenommen, so wie wir zeigen wollen, dass die Prophetie nicht abzulehnen ist, und zwar gegebenenfalls selbst nicht nach der Meinung derer, die von der Ewigkeit der Welt überzeugt sind.
    [3] Und nachdem ich die Möglichkeit unserer Behauptung klargemacht habe, gehe ich nun, ebenfalls mittels eines theoretischen Arguments, zu ihrer Überlegenheit über die Gegenposition über.
  • Moses Maimonides: Wegweiser für die Verwirrten (Dux neutrorum sive perplexorum) II 17 § 218. 224

    Maimonides‘ grundsätzliches Gegenargument gegen die aristotelische Position von der Ewigkeit der Welt
    [1] Und in keinerlei Hinsicht gibt es einen Schluss aus der Natur einer Sache nach ihrem Entstehen und ihrem Beendigt-Sein und ihrem gefestigten Wirklichwerden in der Vollendung ihres Zustands auf den Zustand dieser Sache im Zustand der Bewegung zum Entstehen hin.
    [2] Und Aristoteles unternimmt es, uns zu widersprechen und gegen uns einen Nachweis zu führen aus der Natur der gefestigten, vollkommen und wirklichen Existenz im Akt, von der wir ihm zugestehen, dass sie nach der ihrer Verfestigung und Vollendung so ist, ohne dass sie in irgendeiner Hinsicht dem ähnlich wäre, was auf sie im Zustand des Entstehens zutrifft.
  • Moses Maimonides: Wegweiser für die Verwirrten (Dux neutrorum sive perplexorum) I 71 § 65. 68-70

    Maimonides über die Notwendigkeit und Durchführung eines philosophischen Gottesbeweises
    [1] Der richtige Ansatz ist nach meiner Ansicht – und dies ist die Methode des apodeiktischen Beweises, über den es keine Unsicherheit gibt –, dass die Existenz Gottes, seine Einheit und seine Freiheit von Körperlichkeit mit den Methoden der Philosophen nachgewiesen wird, [...] ohne die Entscheidung der Frage zu betrachten, ob die Welt ewig oder neu gemacht ist. [...]
    [2] Ich sage nun: Die Welt ist entweder ewig oder neu entstanden. Wenn sie neu entstanden ist, so hat sie ohne Zweifel einen Schöpfer (muḥdiṯ); und dies ist das erste Gedachte, dass das Neue sich nicht selbst neu entstehen lässt, sondern dass sein Neu-Macher verschieden ist von ihm. Und der Neu-Macher der Welt ist Gott. Und wenn die Welt ewig ist, dann folgt notwendig aus der einen oder anderen Argumentation, dass es dann ein Existierendes gibt, das von allen Körpern der Welt verschieden ist: Es ist kein Körper und keine Kraft in einem Körper, es ist eines, immerwährend und ewig, es hat keine Ursache und eine Veränderung an ihm ist unmöglich. Und dies ist Gott.
  • Moses Maimonides: Wegweiser für die Verwirrten (Dux neutrorum sive perplexorum) III 51, p. 714, 11-715, 5. 11f.; 716, 3-5

    Maimonides erklärt am Ende seines Werkes mit einem Gleichnis, in welchen Stufen man Gott nahe oder von ihm entfernt sein kann und betont den Vorzug des Beweiswissens
    [1] Der Sultan ist in seinem Schloss, und zum untertänigen Volk im Ganzen gehören Menschen innerhalb der Stadt und außerhalb der Stadt; und zu denen, die in der Stadt sind, gehören solche, die sich vom Sultan abgewandt und ihre Aufmerksamkeit auf einen anderen Weg gerichtet haben; sowie solche, die das Haus des Sultans anstreben und sich ihm zuwenden; [...] aber bis jetzt haben sie die Mauer des Hauses noch nicht erblickt; und zu denen, die es anstreben, gehören solche, die zum Haus gelangt sind, aber sie gehen rings um es herum, um die Tür zu suchen; [...] und auch dadurch, dass jemand ins Innere des Hauses gelangt, sieht er den König nicht oder spricht mit ihm, sondern nachdem er ins Innere des Hauses gelangt ist, ist für ihn weiteres Bemühen erforderlich, das er leisten muss, und dann ist er unmittelbar beim Sultan zugegen, [...] hört entweder die Worte des Sultans oder spricht mit ihm [...].
    Die Erklärung des Gleichnisses: [2] Was die betrifft, die außerhalb der Stadt sind, so sind sie all die menschlichen Personen, die nicht einer Richtung anhängen; [...] und was die betrifft, die in der Stadt sind, sich aber vom Haus des Sultans abgewandt haben, so sind sie Leute mit Meinungen und theoretischen Ansichten, denen jedoch unrichtige Meinungen zu eigen sind; [...] und was die betrifft, die das Haus des Sultans und den Eingang hierzu anstreben, das Haus des Sultans aber nicht erblickt haben, so sind sie die Masse der Leute des [jüdischen] Gesetzes; [...] und was den betrifft, dem ein Beweis für alles zu eigen ist, was dem Beweis zugänglich ist, und der Gewissheit über die alle göttlichen Dinge erworben hat, über die der Erwerb von Gewissheit möglich ist, und wer der Gewissheit über das nahe ist, worüber nichts anderes als Annäherung an die Gewissheit möglich ist, der ist zusammen mit dem Sultan ins Innere des Hauses gelangt.
  • Spinoza, Baruch de: Theologisch-politischer Traktat (Tractatus theologico-politicus) XV (p. 444f. = Erstdruck p. 166f.)

    Spinoza über die beiden grundsätzlichen Irrtümer beim Vergleich von Philosophie und Glauben
    Wer also sie [die Schrift] selbst an die Philosophie anpassen will, der wird gewiss zu den Propheten vieles, woran sie nicht im Traum dachten, hinzudichten, und ihren Verstand irreführend interpretieren. Wer aber im Gegenteil die Vernunft und Philosophie zur Magd der Theologie macht, der ist gezwungen, die Vorurteile des alten Pöbels gleichsam als göttliche Dinge zuzulassen und durch sie den Verstand zu beschäftigen und blind zu machen; so wahnsinnig wird ein jeder von ihnen sein, und zwar der eine ohne Vernunft, der andere aber mit Vernunft.
  • Spinoza, Baruch de: Theologisch-politischer Traktat (Tractatus theologico-politicus) XV (Auszüge aus p. 444-455 = Erstruck p. 167-170)

    Spinoza bestimmt, Maimonides korrigierend, die Grenzen der Möglichkeiten der Vernunft in Bezug auf die Religion
    [1] Rabbi Jehuda Alphakar [...] will, dass wir verpflichtet sind, alles, was die Schrift behauptet oder bestreitet, als wahr zu übernehmen oder als falsch zurückzuweisen. [...] Er hätte zeigen müssen [...], dass alle Stellen, die [...] anderen widersprechen, ausgehend von der Natur der Sprache und dem Gehalt der Stelle angemessen metaphorisch erklärt werden können, und ferner, dass die Schrift unbeschädigt in unsere Hände gelangt sei. Aber [...] behauptet Moses direkt, „Gott sei Feuer“ (Dtn 4, 24), und bestreitet direkt, dass Gott irgendeine Ähnlichkeit mit sichtbaren Dingen habe (Dtn 4, 12). [...]
    [2] Deswegen haben wir sowohl diese Meinung als auch die des Maimonides zum Einsturz gebracht. [...] Denn die Kraft der Vernunft [...] erstreckt sich nicht soweit, dass sie festlegen kann, dass die Menschen allein durch Gehorsam ohne eine Einsicht in die Dinge glücklich werden können. Aber die Theologie befiehlt nichts außer [...] Gehorsam, und will weder etwas Vernunftwidriges, noch ist sie dazu befähigt. Denn die Dogmen des Glaubens [...] legt sie nur insoweit fest, wie es für den Gehorsam ausreicht. Wie diese aber genau in ihrem Wahrheitsgehalt zu verstehen sind, das festzulegen überlässt sie der Vernunft, die in Wirklichkeit das Licht des Verstandes ist.
  • Mendelssohn, Moses: Jerusalem oder ueber religioese Macht und Judentum (Auszüge aus p. 172-174 = 2. Abschnitt, p. 32-41; II Bd. 8, 161-164)

    Moses Mendelssohn unterscheidet zwei Arten von ewigen sowie zeitliche Wahrheiten
    [1] Ewige Wahrheiten [...] sind entweder nothwendig, an und für sich selbst unveränderlich, oder zufällig. [...] Sowohl die nothwendigen als zufälligen Wahrheiten fließen aus einer gemeinschaftlichen Quelle, aus der Quelle aller Wahrheit: jene aus dem Verstande, diese aus dem Willen Gottes. [...] Beispiele der ersten Gattung sind die Sätze der reinen Mathematik und der Vernunftkunst; Beyspiele der letzteren die allgemeine Sätze der Physik und Geisterlehre, die Gesetze der Natur, nach welchen dieses Weltall, Körper und Geisterwelt regiert wird. Außer diesen ewigen Wahrheiten giebt es noch Zeitliche, Geschichtswahrheiten. [...] Von dieser Art sind alle Wahrheiten der Geschichte, in ihrem weitesten Umfange. [...]
    [2] Die [...] nothwendigen Wahrheiten gründen sich auf die Vernunft, d. i. auf unveränderlichen Zusammenhang, und wesentliche Verbindung zwischen den Begriffen. [...] Zu den Wahrheiten der zwoten Classe wird, außer der Vernunft, auch noch Beobachtung erfordert. [...] Hingegen die Geschichtswahrheiten [...] können nur von denjenigen vermittelst der Sinne wahrgenommen werden, die zu der Zeit und an dem Orte zugegen gewesen, als sie sich in der Natur zugetragen haben; von jedem anderen müssen sie auf Autorität und Zeugniß angenommen werden. [...]
    [3] Ich glaube also nicht, daß die Kräfte der menschlichen Vernunft nicht hinreichen, sie von den ewigen Wahrheiten zu überführen, die zur menschlichen Glückseligkeit unentbehrlich sind.
  • Rosenzweig, Franz: Der Stern der Erlösung I, Einleitung (p. 6-8, 12f., Auszüge)

    Franz Rosenzweig begründet seine Annahme, dass die philosophische Welterklärung, insbesondere im Hegel’schen Sinne, der Offenbarung und der Individualität nicht gerecht werden kann
    [1] War die Philosophie denn nicht schon durch jene ihre ,einzige‘ Voraussetzung, sie setze nichts voraus, selbst ganz voller Voraussetzung, ja selber ganz Voraussetzung? [...] Was ihr gegenüber Selbständigkeit beanspruchte, wurde entweder zum Schweigen gebracht oder überhört. Zum Schweigen gebracht wurde die Stimme, welche in einer Offenbarung die jenseits des Denkens entspringende Quelle göttlichen Wissens zu besitzen behauptete. [...]
    [2] Wer hier noch Widerspruch erheben wollte, der mußte einen Archimedespunkt außerhalb jenes wißbaren All unter seinen Füßen spüren. Von einem solchen Archimedespunkt aus bestritt ein Kierkegaard, und er nicht allein, die Hegelsche Einfügung der Offenbarung ins All. Der Punkt war das eigene [...] Bewußtsein der eigenen Sünde und eigenen Erlösung, das einer Auflösung in den Kosmos weder bedürftig noch zugänglich war; nicht zugänglich: denn mochte auch alles an ihm ins Allgemeine zu übersetzen sein, – die Behaftetheit mit Vor- und Zunamen, das Eigene im strengsten und engsten Sinn des Worts blieb übrig, und gerade auf das Eigene kam es an.
    [3] Ein solches Heraustreten dessen, was man [...] als persönliches Leben, Persönlichkeit, Individualität bezeichnet [...], aus dem Bereich des Weltwissens kann auch an diesem selbst nicht spurlos vorübergehen. [...] Unsere Zeit hat es getan [dies Heraustreten philosophisch zu denken versucht]. [...] Der ,Wille‘, die ,Freiheit‘, das ,Unbewußte‘ konnte, was die Vernunft nicht gekonnt hatte: über einer Welt von Zufall walten.
  • Galen: Über den Gebrauch der Körperteile (De usu partium) XI, 14 p. 158f

    Der Philosophie-kundige Arzt Galen hält das jüdische Schöpfungsverständnis aus der Perspektive der antiken Naturphilosophie für lächerlich
    Das ist nämlich das, worin sich unsere Meinung, d.h. die Platons und die der anderen bei den Griechen, die die Untersuchungen über die Natur richtig angegangen sind, von der des Mose unterscheidet: Denn ihm genügt es, dass Gott die Materie ordnen will, und sofort ist sie geordnet. Er glaubt nämlich, dass Gott alles möglich ist, selbst wenn er will, dass die Asche ein Pferd oder ein Ochse wird. Wir aber erkennen, dass das nicht so ist, sondern sagen, es gebe Dinge, die natürlicherweise unmöglich sind und dass Gott diese gar nicht erst in Angriff nimmt, sondern dass er aus dem Möglichen auswählt, dass das Beste geschieht.
  • Boethius von Dakien: Über die Ewigkeit der Welt (De aeternitate mundi) (p. 142f., 146f.)

    Boethius von Dakien (fl. um 1270) bemüht sich, die Unentscheidbarkeit der Frage nach der Ewigkeit der Welt als philosophisches Projekt nachzuweisen
    [1] Nun sagt der Naturphilosoph nur aufgrund der Betrachtung der Kräfte der natürlichen Ursachen, die Welt und die erste Bewegung seien aus ihnen heraus nicht neu. Der christliche Glaube sagt aber aufgrund der Betrachtung einer höheren Ursache als die Natur, die Welt könne aus ihr heraus neu sein. Daher widersprechen sie sich in nichts.
    [2] Und aus dem Gesagten lässt sich ein Syllogismus aufstellen:
    [3] (a) Es gibt keine Frage, deren schlüssige Beantwortung durch die Vernunft gezeigt werden kann, die der Philosoph nicht erörtern und entscheiden darf, soweit das durch die Vernunft möglich ist. […]
    (b) Kein Philosoph aber kann durch die Vernunft zeigen, dass die erste Bewegung und die Welt neu sind, weil es […] weder der Naturphilosoph noch der Mathematiker noch der Theologe kann.
    (c1) Also kann durch keine menschliche Vernunft gezeigt werden, dass die erste Bewegung und die Welt neu sind.
    (c2) Es kann aber auch nicht gezeigt werden, dass sie ewig sind. Denn wer das bewiese, müsste die Form des göttlichen Willens beweisen – aber wer sollte ihn erforschen?