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Philosophische Zitate aus Antike und Mittelalter

Thema: Neuplatonismus

51 Zitate zu diesem Thema im Zitatenschatz:

  • Plotin: Enneade IV 8 [6], 6, 1-16

    Πρόοδος (<i>Prohodos</i>) – Das Eine als Quelle der Entstehung von alles Seiendem
    [1] Wenn es nun notwendig ist, dass es nicht nur eines gibt – denn sonst wäre alles in ihm verborgen, ohne eine Gestalt zu haben, und nichts Seiendes würde existieren, während jenes in sich selbst ruht, und es gäbe die Menge dieses Seienden, das vom Ersten gezeugt wurde, nicht [...] – dann war es auf dieselbe Weise auch notwendig, dass nicht nur die Seelen sind, ohne dass das von ihnen Erzeugte erscheint, weil ja jeder Natur dies innewohnt, dass sie das nach ihr Liegende bewirkt und sich entfaltet, so wie ein Same, der aus einem ungeteilten Anfang bis ans sinnlich wahrnehmbare Ziel voranschreitet.
    [2] Dabei bleibt das Frühere immer an seinem eigenen Ort, das nach ihm Kommende [...] schreitet aber weiter, bis zum Letzten hin alles, soweit es möglich ist, gelangt durch eine Fähigkeit [...], die nichts zu sehen vermag, was an ihr keinen Teil hat.
  • Proklos: Platonische Theologie (Theologia Platonica ) I 11 (p. 5-7 Saffrey/Westerink)

    Proklos sieht sich in einer besonders auf Platon zurückgehenden Tradition, in der den menschlichen Seelen göttliche Wahrheiten vermittelt wurden
    [1] Die ganze Philosophie Platons, denke ich, o […] liebster Perikles, beleuchtet gemäß dem gutartigen Willen der Mächtigeren [göttlichen Prinzipien] sowohl den Anfang, der den in ihnen verborgenen Geist und die Wahrheit, die zusammen mit dem Seienden besteht, den Seelen […] aufzeigt, die sich im Werden verändern, soweit sie [= die Wahrheit] diesen zukommt. […] Besonders aber glaube ich, dass die mystische Hinführung, welche das Göttliche selbst behandelt, durch einen Mann aufgezeigt wurde [nämlich Platon], bei dem ich sicher nicht fehl gehe, wenn ich ihn […] einen Anleiter und Hierophanten der wahrhaften kultischen Initiationen nenne.
    [2] Als Ausleger nun der platonischen Schau […], welche auch eine göttliche Natur erhielten, möchte ich Plotin den Ägypter nennen und diejenigen, die von ihm die Theorie empfangen haben, Amelios und Porphyrios, und als dritte, denke ich, diejenigen, die von diesen für uns wie Statuen vollendet wurden, Jamblich und Theodoros, und wer immer nach diesen folgt. […] Von ihnen her stellte der das ganz authentische und reine Licht der Wahrheit der dar, der nächst den Göttern für uns zum Führer zu allem Schönen und Guten der platonischen Philosophie wurde [Proklos’ Lehrer Syrian].
  • Proklos: Platonische Theologie (Theologia Platonica ) I 2 (p. 10f. Saffrey/Westerink)

    Proklos schildert eine typisch spätantike Vorstellung des Aufstiegs der Seele zur ersten Ursache durch mehrere Stufen, welche Teildisziplinen der Philosophie entsprechen
    [1] Der Hörer der vorliegenden Lehren soll geordnet sein durch die ethischen Tugenden und alle unedlen und unstrukturierten Bewegungen durch den Gehalt der Tugend gebunden haben. [...]
    [2] Er soll in allen logischen Zugängen geübt sein und viele unwiderlegbare Gedanken über die Analysen, viele auch über die diesen entgegengesetzten Dihairesen betrachtet haben. [...]
    [3] Drittens soll er neben diesen auch nicht ungeschult in der Physik sein und in deren vielgestaltigen Ansichten, damit er, wenn auch in den Abbildern, auf die richtige Weise die Ursachen des Seienden untersucht hat. [...]
    [4] Fest soll er die Auslegung der göttlichen seligen Lehren berührt haben [...], indem er sich mit unerschüttertem Verstand und der Kraft des unermüdlichen Lebens zum göttlichen Licht hindrängt.
  • Proklos: Theologische Elementarlehre (Elementatio theologica) Proposition 1

    Proklos erläutert die Struktur des neuplatonischen Kosmos in seiner ,Theologischen Elementarlehre‘, die von Anfang an, in Anlehnung an die euklidische Mathematik, dem Schema von These und Begründung folgt
    1. Jede Menge hat irgendwie am Einen teil.
    (a) Denn wenn sie auf keine Weise daran teilhätte, wird weder das Ganze eines sein noch irgendetwas von dem Vielen. Vielmehr wird auch jedes Einzelne von diesem eine Menge sein, und dies bis ins Unendliche. Und von diesem Unendlichen wird wiederum jedes Einzelne eine unendliche Menge sein.
    (b) Denn was auf keine Weise an irgendeinem Einen teilhat, weder selbst in Bezug auf das Ganze, noch in Bezug auf jedes Einzelne von dem, was in ihm ist, das wird schlichtweg unendlich sein und in jeder Hinsicht.
    (c) Denn jedes Einzelne von dem Vielen, was Du auch immer nehmen wirst, wird entweder eines sein oder nicht eines. Und wenn es nicht eines ist, ist es entweder vieles oder nichts. Aber wenn das Einzelne nichts ist, ist auch das daraus Bestehende nichts. Wenn es aber Vieles ist, dann besteht jedes Einzelne aus unendlich vielem Unendlichen. Das ist aber unmöglich.
  • Proklos: Theologische Elementarlehre (Elementatio theologica) Proposition 1 (gekürzt)

    Eine weitere Klärung des Verhältnisses des Einen zum Rest der Wirklichkeit bringt der Zweite Lehrsatz der Platonischen Elementarlehre
    (2) Alles, was am Einen teilhat, ist sowohl Eines als auch nicht Eines.
    (a) Denn wenn es kein An-sich-Eines ist – es hat [dann] nämlich am Einen teil, weil es etwas anderes neben dem Einen ist –, hat es das Eine gemäß der Teilhabe erfahren und es ausgehalten, eines zu werden.
    (b) Wenn nun neben dem Einen nichts besteht, ist es nur eines. Und es ist folglich nicht durch Teilhabe am Einen, sondern An-sich-Eines.
    (c) Wenn aber etwas neben ihm besteht, was nicht eines ist […], ist es also durch dieses nicht Eines, und auch nicht das, was eines ist. Indem es aber zugleich eines ist und am Einen teilhat und deswegen nicht als Eines durch sich selbst besteht, ist es eines und nicht eines.
  • Proklos: Platonische Theologie (Theologia Platonica ) II 6 (p. 40f. Saffrey/Westerink)

    Die Hintergründe der Theorie des Einen und die Struktur des Seienden werden in der ,Platonischen Theologie‘ näher erläutert
    [1] Platon […] überliefert uns zwei Bezeichnungen dieser unaussagbaren Ursache. In der Politeia nennt er sie ,das Gute‘ und zeigt auf, dass sie die Quelle für die Wahrheit ist, die den Geist und das Gedachte vereint. Im Parmenides aber bezeichnet er dieses Prinzip als Eines.
    [2] Von diesen Bezeichnungen nun ist die eine ein Bild für das Hervorgehen des Ganzen, die andere für seine Rückkehr. Denn weil alles deswegen vorhanden ist und aus dem Ersten hervorgeht, nennen wir es, indem wir ,das Eine‘ darauf anwenden, die Ursache für jede Menge und für jedes Hervorgehen. […] Das Gute aber ist das allgemein von allem Seienden Erstrebte, und zu diesem neigt und streckt sich alles seiner Natur nach hin. […]
    [3] Das Einshafte aber und jede Aufteilung Überschreitende an jenem [Einen] erscheint in dem Späteren dyadisch, noch mehr aber triadisch. Denn alles bleibt und geht hervor und kehrt zurück zum Einen. Denn zugleich ist es mit ihm vereint und steht unterhalb seiner transzendenten Einsheit von allem und strebt danach, es zu empfangen.
  • Proklos: Theologische Elementarlehre (Elementatio theologica) § 119. 122f., Leitsätze

    Klärungen zum Verhältnis des Göttlichen zu dem, was am Göttlichen teilhat, finden sich wiederum in der <i>Elementatio theologica</i>
    119. Jeder Gott existiert auf die Weise einer mehr-als-seienden Güte, d.h. er ist weder einer Disposition noch dem Sein nach gut [...], sondern auf mehr als seiende Weise [...]
    122. Jedes Göttliche sorgt ebenso vorausschauend für das ihm Nachgeordnete wie es dem, wofür es sorgt, transzendent bleibt, weil weder die Sorge sein unvermischtes und einheitliches Überragen lockert noch seine abgetrennte Einheit die vorausschauende Sorge verunklart [...]
    123. Jedes Göttliche ist selbst wegen seiner mehr-als-seienden Einheit für das Nachgeordnete unaussagbar und unerkennbar, von dem ausgehend, was an ihm teilhat, ist es aber ergreifbar und erkennbar. Deswegen ist nur das Erste schlechthin unerkennbar, weil an ihm nichts teilhat.
  • Proklos: Theologische Elementarlehre (Elementatio theologica) 189 und 191

    Proklos stellt die Seele als lebensspendende Instanz an der Grenze von Ewigem und Zeitlichem dar
    189. Jede Seele ist an sich lebend.
    Denn wenn sie zu sich selbst zurückgewendet ist, alles zu sich selbst Zurückgewendete aber selbstkonstitutiert, dann ist also auch die Seele selbstkonstituiert und bringt sich selbst ins Bestehen. Aber gewiss ist sie auch Leben und lebendig. […] Denn auch dem, bei dem sie gegenwärtig ist, verleiht sie durch ihr Da-Sein das Leben. Und wenn das Teilhabende geeignet ist, wird es sofort beseelt und lebendig, ohne dass die Seele denken oder wählen würde. […]
    191. Jede Seele, an der etwas teilhat, besitzt das Sein als ewiges, die Aktivität aber auf zeitliche Weise. […]
    Es bleibt also, dass jede Seele in einer Hinsicht ewig ist, in einer anderen aber an der Zeit teilhat. Entweder ist sie dem Sein nach ewig, der Aktivität nach aber an der Zeit teilhabend, oder umgekehrt. Letzteres ist aber unmöglich. Jede Seele, an der etwas teilhat, besitzt das Sein als ewiges, die Aktivität aber auf zeitliche Weise.
  • Proklos: Kommentar zu Platons Timaios (In Timaeum commentaria ) 1 (p. 384, 2-22 Diehl)

    Proklos setzt sich ausführlich mit der These auseinander, die Welt sei ewig, und wertet dabei die Materie zu einem guten Prinzip auf
    [1] Über die Materie an sich könnte jemand fragen, ob sie ungeworden von einer Ursache ist, wie es die Leute um Plutarch und Attikos sagen, oder geworden, und aus welcher Ursache. Aristoteles zeigte nun auf andere Weise, dass sie ungeworden ist […]. Die gegenwärtige Argumentation [in Platons Timaios] behauptet nun, dass sie ewig ist, und untersucht, […] ob man diese zwei Ursachen Platon zufolge annehmen muss, die Materie und Gott. […]
    [2] Dass nämlich nicht der Demiurg [= Schöpfergott im Timaios] zuerst die Materie konstituiert, ist dadurch klar, dass Platon, wenn er fortfährt, sagt, folgende drei Dinge bestünden vor der Entstehung der Welt, das Seiende, der Ort [= die Materie] und das Werden. […] Hierdurch scheint er die Materie gleichsam von vornherein vom Demiurgen gemäß der mütterlichen und väterlichen Eigenheit zu unterscheiden, das Werden aber aus dem Demiurgen und der Materie hervorzubringen.
    [3] Es wurde aber anderswo gezeigt, dass er die erste Unendlichkeit […] an der Spitze des Denkbaren ansiedelte und dort aus deren Erleuchtung bis zum Letzten ausdehnt, so dass ihm zufolge die Materie aus dem Einen und der Unendlichkeit, die vor dem Einen ist, hervorgeht. […] Deswegen ist sie auch irgendwie gut und unendlich, obwohl sie ganz verworren und formlos ist.
  • Proklos: Kommentar zu Platons Timaios (In Timaeum commentaria ) 1, 378, 10-22

    Proklos schreibt die Entstehung des Bösen der Seele zu, insbesondere für sie selbst
    Nur die Seele stellt sich durch das Wählen jeweils zu einer anderen Ordung. Denn jede Wahl führt die Seele entweder herauf oder zieht sie herab. Wenn also die Wahl von der Seele weg erfolgt, ist sie schlecht, wenn sie aber das Wählende in die eigene Ordnung stellt, entspricht sie dem Recht und ist gut. [...] Es gibt also nichts Schlechtes, was nicht auch irgendwie gut ist, sondern alles hat an der Vorsehung teil.
  • Proklos: Kommentar zu Platons Timaios (In Timaeum commentaria ) 1, 378, 22-379, 26

    Proklos erklärt die Möglichkeit, dass die Seele auch das Schlechte wählen kann, durch die mögliche Vollkommenheit des Universums
    [1] Wenn sich einige wundern, aus welchem Grund sie am Anfang hinabgeschickt wurde, obwohl sie eine Schlechtes hervorbringende Ursache [...], muss man ihnen antworten, dass das Hervorgehen des Seienden kontinuierlich ist und keine Leerstelle innerhalb des Seienden geblieben ist. [...]
    [2] Wie aber soll die Kontinuität des Seienden gewahrt werden, wenn das Allgemeine und Selbstbewegte sowie das Einzelne und Fremdbewegte von vornherein bestehen, wir aber das zwischen diesen befindliche, das zwar selbstbewegt, aber zugleich einzeln ist, auslassen würden? [...] So wie das, was für die Einzelnatur schlecht ist, für die allgemeine Natur gut ist, so ist auch das, was für das allgemeine Leben schlecht ist, für das allgemeine Leben gut.
  • Proklos: Vierter Hymnos des Proklos (hymni) .

    Ein Philosophenhymnus des Proklos an alle Götter
    Höret, ihr Götter, die ihr die Ruder der Weisheit hoch haltet,
    die ihr das Feuer berührt, das sterbliche Seelen hinaufführt,
    Lasst sie die Unsterblichen schauen, verlassend die finstere Höhle,
    rein geworden und frei durch unsagbare Weihen und Hymnen.
    Hört, große Retter, und aus hochheiligen Büchern erlaubt mir
    schaun das ehrwürdige Licht, indem ihr den Nebel zerstiebet,
    dass ich unsterblich erkenne den Gott und den Menschen.
    Nicht soll mich im Strom des Vergessens, wo ich von den Seligen fern bin,
    stets ein Dämon besitzen, Verderbliches wirkend,
    noch eine grausame Strafe mit Lebensfesseln einst zwingen
    meine nicht wollende Seele, aus blutigem Stamme gewachsen,
    wogenumtoset umher auf ewig verlassen zu schweifen.
    Sondern, ihr Götter und Herrscher der leuchtenden Weisheit,
    hört mich und lasset erscheinen auf hohem Pfad dem Bedrängten
    Feste und heilige Weihen aus altehrwürdigen Mythen.
  • Boethius, Anicius Manlius Severinus: Der Trost der Philosophie (Consolatio philosophiae ) V, Prosa 6, 6f. 10, 30f

    Eine der berühmtesten Lehren dieses Werks ist Boethius’ Erklärung der Ewigkeit als etwas, was von unendlicher Dauer verschieden ist. Unter dieser Bedingung ist Boethius zufolge freies menschliches Handeln mit der göttlichen Vorsehung vereinbar – und eine der großen Fragen des christlichen Denkens gelöst
    [1] Was also dem Modus der Zeit unterliegt, selbst wenn es, wie Aristoteles von der Welt glaubte, weder begonnen hat noch enden wird, [...] ist noch nicht so, dass es zu Recht als ewig verstanden werden kann. Denn es umfasst nicht das Ganze zugleich [...], sondern hat das Zukünftige noch nicht, das Vergangene nicht mehr. [...] Denn es ist eine Sache, durch ein unendliches Leben geführt zu werden [...], eine andere, die gesamte Gegenwart des unendlichen Lebens gleichermaßen zu umfassen, was klarerweise dem göttlichen Geist eigentümlich ist.
    [2] Wenn die Vorsehung etwas Gegenwärtiges sieht, gibt es dies notwendigerweise, obwohl es keine Naturnotwendigkeit besitzt. Aber Gott betrachtet das Zukünftige, was aus der Freiheit der Entscheidung hervorgeht, als etwas Gegenwärtiges. Dies geschieht also bezogen auf den göttlichen Blick notwendig, im Modus der göttlichen Erkenntnis, verliert aber in sich selbst betrachtet die losgelöste Freiheit der eigenen Natur nicht.
  • Augustinus von Hippo: Bekenntnisse (Confessiones) I 1 (p. 1, 10-169)

    Der bedeutendste lateinische Kirchenvater Augustinus berichtet in seinen <i>Bekenntnissen</i> seinen Lebensweg
    [1] Groß bist Du Gott, und sehr zu loben. Groß ist Deine Kraft, und Deine Weisheit hat kein Ende. Und der Mensch will Dich loben, irgendein Teil Deiner Schöpfung, und der Mensch, der seine Sterblichkeit herumträgt, der das Zeugnis seiner Sünde umherträgt und das Zeugnis, dass Du "den Hochmütigen widerstehst" (Brief des Jakobus 4, 6).
    [2] Und doch will Dich der Mensch loben, irgendein Teil Deiner Schöpfung. Du regst an, dass es Freude bereitet, Dich zu loben, denn Du hast uns auf Dich hin geschaffen, und unruhig ist unser Herz, bis es ruht in Dir. [...]
    [3] Aber wer ruft Dich an, der Dich nicht kennt? Denn wer nicht kennt, kann etwas anderes anstelle von etwas anrufen. Oder wirst Du eher angerufen, damit Du gekannt wirst? Wie wird man aber jemand anrufen, an den man nicht geglaubt hat? Oder wie glaubt man ohne Verkündiger? [...] Ich will Dich suchen, Gott, indem ich Dich anrufe, und Dich anrufen, indem ich an Dich glaube.
  • Augustinus von Hippo: Bekenntnisse (Confessiones) I 2

    Augustinus findet Gott vor allem in sich selbst
    Und wie soll ich meinen Gott anrufen, meinen Gott und Herrn, wo ich ihn doch in mich selbst hineinrufen werde, wenn ich ihn anrufen werde? Und welcher Ort ist in mir, wohin mein Gott in mich kommen könnte? [...] Ist denn so, Herr mein Gott, etwas in mir, was Dich fassen würde? Aber Himmel und Erde, die Du geschaffen hast und in denen Du mich geschaffen hast – fassen sie Dich? Oder ist es so, dass deswegen, weil ohne Dich nichts von dem wäre, was ist, alles Dich fasst, was ist? Weil daher auch ich bin, was erstrebe ich, dass Du in mich kommst, der ich nicht wäre, wenn Du nicht in mir wärst?
  • Augustinus von Hippo: Bekenntnisse (Confessiones) VII 13f. 16

    Augustinus berichtet, wie er mithilfe platonischer Schriften einen Weg zum christlichen Glauben findet
    [1] Du verschafftest mir durch einen bestimmten Menschen, der vor gewaltigem Stolz geschwollen war, bestimmte Bücher der Platoniker, die aus der griechischen Sprache in die lateinische übersetzt waren.
    [2] Und dort las ich, dass, zwar nicht mit diesen Worten, aber ganz genau dasselbe mit vielen und vielfältigen Argumenten überzeugend angeraten wird: "Am Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort" (Johannes 1, 1) [...], aber "das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt" (Johannes 1, 13) las ich dort nicht. [...]
    [3] Und hierdurch ermahnt, zu mir selbst zurückzukehren, trat ich unter Deiner Führung in mein Innerstes ein und konnte dies, weil "Du mein Helfer geworden bist" (Psalm 29, 11).
    [4] Ich trat ein und sah mit irgendeinem Auge meiner Seele oberhalb desselben Auges meiner Seele, oberhalb meines Verstandes ein unveränderliches Licht, nicht das gewöhnliche und für jedes Fleisch sichtbare, noch war es gleichsam von derselben Art, nur größer – so als ob dieses viel, viel heller leuchtet und alles durch seine Größe belegte. Nicht dies war es, sondern etwas von allem, allem weit Verschiedenes.
  • Augustinus von Hippo: Die Dreieinigkeit (De trinitate ) X 19

    Augustinus erklärt den menschlichen Geist als eine Einheit der drei Vermögen Erinnerung, Erkennen und Wollen
    Wir haben also den Geist in der Erinnerung, dem Erkennen und dem Wollen seiner selbst als einen solchen festgestellt, dass von ihm deswegen, weil er als dauerndes Wissen seiner selbst und dauerndes Wollen seiner selbst begriffen wurde, gleichzeitig ebenfalls begriffen wurde, dass er sich an sich selbst dauernd erinnert und sich selbst dauernd erkennt und liebt, obwohl er sich nicht dauernd unterschieden von dem denkt, das nicht das ist, was er selbst ist.
  • Porphyrios von Tyros : Leben Plotins (Vita Plotini) § 10

    Porphyrios von Tyros (ca. 233-301/5), der Biograph Plotins, beschreibt dessen selbstbewusste Haltung gegenüber den Göttern
    Als [Plotins Kollege] Amelios opferfreudig geworden war, bei Neumond sowie an den Festen dort herumging und Plotin aufforderte, mit ihm teilzunehmen, sagte dieser: "Jene müssen zu mir kommen, nicht ich zu ihnen." Aus welcher Einsicht heraus er so große Reden führte, konnten wir weder verstehen, noch wagten wir danach zu fragen.
  • Porphyrios von Tyros : Leben Plotins (Vita Plotini) § 23

    Porphyrios schildert die Vereinigungen Plotins mit dem Einen, das hier “Gott” genannt wird
    Wenn er sich so durch dieses dämonische Licht besonders in den ersten und jenseitigen Gott mit den Gedanken einführte, auf den von Platon im Symposion gewiesenen Wegen, erschien ihm jener Gott, der weder eine Gestalt noch eine Idee hat, der oberhalb des Geistes und alles Gedachten sitzt. Ihm, sage ich, habe ich, Porphyrios, mich auch einmal angenähert und mit ihm vereint, im 68. Lebensjahr. [...] [Plotin] aber erreichte wohl viermal, während ich bei ihm war, dieses Ziel mit unsagbarer Aktivität.
  • Porphyrios von Tyros : Leben Plotins (Vita Plotini) § 14

    Porphyrios berichtet über verschiedene Einflüsse auf Plotins Philosophie
    In seinen Schriften sind auch auf versteckte Weise stoische und peripatetische Lehren untermischt. Besonders häufig verwendet wird Aristoteles Abhandlung Metaphysik. [...] In seinen Vorlesungen wurden von ihm auch die Kommentare verwendet, sowohl von [den Platonikern] Severos, Kronios, Numenios, Gaios oder Attikos, als auch, unter den Peripatetikern, die des Aspasios, des Alexander.
  • Porphyrios von Tyros : Eisagoge (p. 1, 10-15)

    Porphyrios von Tyros enthält sich des Urteils über die Universalien
    Jetzt aber werde ich in Bezug auf die Gattungen und Arten darauf verzichten zu sagen, ob sie vorhanden sind, sei es dass sie nur in bloßen geistigen Auffassungen gegeben sind, sei es dass sie auch vorhandene Körper sind oder unkörperlich, ferner ob sie abtrennbar oder in den sinnlich wahrnehmbaren Dingen oder in Bezug auf sie vorhanden sind. Dieses Thema ist sehr tiefgehend und bedarf einer anderen, größeren Untersuchung.
  • Meyer, Conrad Ferdinand : Der römische Brunnen N.N

    Conrad Ferdinand Meyer (1825-1898), einer der berühmtesten Dichter der Schweiz, entwirft in seinem Gedicht <i>Der römische Brunnen</i> das Bild einer vollkommenen, im Fluss befindlichen Struktur, die an den Neuplatonismus denken lässt
    Auf steigt der Strahl und fallend gießt
    Er voll der Marmorschale Rund,
    Die, sich verschleiernd, überfließt
    In einer zweiten Schale Grund;
    Die zweite gibt, sie wird zu reich,
    Der dritten wallend ihre Flut,
    Und jede nimmt und gibt zugleich
    Und strömt und ruht.
  • Plotin: Enneade I 7 [54], 1, 7-10. 22-27; 2, 1f

    Ἐπιστροφή (<i>epistrophē</i>) – Das Eine bzw. Gute als Ziel für das Streben alles Seienden
    [1] Wenn also etwas nicht in Richtung auf etwas anderes aktiv ist, weil es [selbst] das Beste alles Seienden ist und jenseits des Seienden, die anderen aber in Richtung auf dieses [aktiv sind], dann ist klar, dass dieses das Gute ist, durch das auch den anderen ermöglicht wird, am Guten teilzuhaben. [...] Denn so ist es auch wirklich das, "wonach alles strebt" (Aristoteles, Nikomachische Ethik I 1, 1094a 3).
    [2] Es ist also nötig, dass es selbst feststeht, dass sich aber alles zu ihm zurückwendet, so wie ein Kreis zu dem Zentrum, von dem alle Linien ausgehen. Und ein Beispiel ist die Sonne, die wie ein Zentrum ist im Verhältnis zu dem von ihr stammenden Licht, das an ihr hängt; überall ist es also mit ihr und nicht von ihr abgetrennt. [...]
    [3] Wie aber richtet sich alles andere auf dieses hin? Nun, das Unbeseelte auf die Seele hin, die Seele aber durch den Geist auf dieses hin.
  • Plotin: Enneade III 7, 11, 1-6. 20-39

    Eine Dimension dieser beständigen Dynamik von Hervorgehen, Rückkehr und Feststehen (<i>μονή</i>) ist nach Plotin das Hervorgehen der Zeit aus der Ewigkeit
    [1] Wir müssen uns nun wieder in jene Verfassung erheben, die wir für die Ewigkeit behaupteten, jenes unveränderliche, zugleich ganze und schon unendliche Leben, das gänzlich unwandelbar im Einen ist. [...]
    [2] Man könnte aber über die Zeit in etwa folgendes sagen: Vorher [...] ruhte sie mit diesem im Sein, ohne Zeit zu sein, sondern hielt in jenem auch selbst Ruhe. [...]
    [3] Weil in der Seele eine unruhige Kraft war, [...] hat auch die Seele – indem sie in Nachahmung des Geistigen die sinnliche Welt schuf, die sich nicht in der dortigen Bewegung bewegt, sondern in einer ihr ähnlichen, welche Bild von jener sein möchte – zuerst sich selbst verzeitlicht, anstelle der Ewigkeit die Zeit schaffend; dann aber verlieh sie dem Gewordenen, der Zeit zu dienen. [...] Denn indem die Seele ihre Aktivität immer eine nach der anderen gewährt, dann in der Folge als wieder andere gewährt, erzeugte sie zusammen mit ihrer Tätigkeit das Nacheinander und mit hervor ging mit dem unterschiedlichen Denken nach ihr das, was vorher noch nicht da war.
  • Plotin: Enneade IV 8, 1, 1-11

    Plotin entwickelt eine Grundfrage seiner Philosophie aus der eigenen Erfahrung einer mystischen Vereinigung mit dem Einen und berichtet selbst die Distanz von seinem Körper
    [1] Immer wieder wenn ich aus dem Leib aufwache in mich selbst, bin ich außerhalb des anderen, aber innerhalb von mir selbst, sehe eine wunderbar gewaltige Schönheit [...], verwirkliche höchstes Leben, bin in eins mit dem Göttlichen und auf seinem Fundament gegründet, denn ich bin gelangt zur höchsten Wirksamkeit und habe mich selbst gegründet über allem, was sonst geistig ist:
    [2] Nach diesem Stillestehen im Göttlichen, wenn ich da aus dem Geist herniedersteige ins Überlegen – da frage ich mich: [...] Wie ist einst die Seele in mir in den Leib geraten, die doch das ist, was sie mir als ihr Sein an sich gezeigt hatte?
  • Plotin: Enneade I 1 [53], 7, 1-6. 12-18

    Eine Besonderheit der Philosophie Plotins stellt es dar, im Rahmen seiner Auseinandersetzung mit der Natur des Menschen als erster, die Frage zu stellen, was das ,Ich‘ (bzw. ,Wir‘) ist
    [1] Nun mag es das [aus Körper und Seele] Zusammengesetzte geben, vorausgesetzt, dass die in bestimmter Weise beschaffene Seele durch ihre Gegenwart nicht sich selbst dem Zusammengesetzten bzw. dessen anderem Teil zur Verfügung stellt, sondern aus dem in bestimmter Weise beschaffenen Körper und quasi einer Art Licht, das sie über sich selbst hinaus abgibt, die Natur des Lebewesens als etwas anderes herstellt, dem das sinnliche Wahrnehmen angehört und sonst alle genannten Empfindungen des Lebewesens. [...] Die äußere sinnliche Wahrnehmung ist folglich ein Abbild der Seele, während diese selbst in ihrem Sein wahrhaftiger und in empfindungsfreier Weise ausschließlich Schau von Formen ist. [...]
    [2] Hier sind wir mehr als irgendwo sonst. Was hingegen vor diesen kommt, ist unser; wir, wohlgemerkt, sind das von hier aus gesehen Obere und stehen an der Spitze des Lebewesens.
  • Plotin: Enneade 1, 8 [51], 7, 21-8, 1-3 und 8, 10-13 und 37-42

    Plotin sieht die Materie, das unterste Ende seiner hierarchischen Ordnung des Seienden, als das eigentlich Böse an und alles, was wir als schlecht erleben bzw. tun, letztlich als Wirkung der steten Präsenz der ungeordneten Materie in allen Dingen, die aus dem Einen hervorgehen
    [1] Nun ist aber das, was auf das Erste folgt, mit Notwendigkeit vorhanden; folglich auch das Letzte; dies ist die Materie, die nichts mehr von jenem an sich hat. Und dies ist die Notwendigkeit des Bösen.
    [2] Wenn aber jemand behaupten will, dass wir nicht durch die Materie böse werden – denn weder das Unwissen gehe aus der Materie hervor noch die schlechten Begierden [...] – so wird auch er dennoch gezwungen sein zuzugestehen, dass die Materie das Böse ist. Was nämlich die Qualität in einer Materie tut, tut sie nicht, indem sie sich außerhalb befindet, sowie auch die Gestalt der Axt nichts ohne das Eisen tut. [...]
    [3] Es gelte somit als erstes Böses das Unmaß, das aber, was in Ungemessenheit gerät durch Verähnlichung oder Teilhabe, weil ihm dies nur zustößt, das zweite Böse. [...] So ist die Schlechtigkeit, die eine Unwissenheit und Ungemessenheit in der Seele ist, nur ein zweites Böses und nicht das Böse selbst.
  • Goethe, Johann Wolfgang : Faust I, Z. 634-637

    Reflexion in Goethes Faust
    Dem Herrlichsten, was auch der Geist empfangen,
    drängt immer, fremd und fremder[,] Stoff sich an.
    Wenn wir zum Guten dieser Welt gelangen,
    dann heißt das Bessre Trug und Wahn.
  • Plotin: Enneade I 1 [53], 12, 6-12

    Plotin über die komplexe Natur der Seele
    [1] Die Argumentation, die der Seele Fehlerlosigkeit zuschreibt, setzte sie als Eines, in jeder Hinsicht Einfaches an, wobei es die Seele und das Seele-Sein als identisch bezeichnet, während die Argumentation, die ihr Fehler zuschreibt, eine andere Form von Seele, die die ungeheuren Empfindungen hat, mit ihr verknüpft und ihr hinzusetzt.
    [2] Damit wird die Seele selbst zu etwas Zusammengesetztem, d.h. zu dem, was aus allen Seelenformen zusammen besteht, und ist demnach als ganzes Empfindungen unterworfen. Dieses Zusammengesetzte macht die Fehler, und dieses ist es, was nach Platon Strafe verbüßen muss, nicht das andere [d.h. die Seele als solche].
  • Plotin: Enneade III 2, 4, 36-44

    Plotin erwägt , ob der Fall der Seele, d.h. ihre Verstrickung in die Körperwelt bzw. ihre Wendung zum Schlechten hin, überhaupt auf eine freie Entscheidung zurückgeht
    Die Lebewesen, welche aus sich selber über eine selbstbestimmte Bewegung verfügen, schlagen bald zum Besseren, bald zum Schlechteren aus. Vielleicht lohnt es nicht, die Wendung zum Schlechteren bei jemandem selbst zu suchen. Denn eine kleine Wendung, die zu Beginn geschieht, macht, wenn sie in der Richtung fortgeht, die Verfehlung immer mehr und größer; der Leib ist ja da und notwendigerweise die Begierde. Wurde das Erste und Plötzliche einmal übersehen und nicht wettgemacht, ist sofort eine Wahl dessen zustandegekommen, wohin jemand abgefallen ist. Hierauf folgt gewiss die Vergeltung.
  • Plotin: Enneade VI 9 [9], 3, 1. 37-47. 3-6 (p. 1–38)

    Plotin erklärt die Natur des Einen
    [1] Was könnte das Eine also sein, was für eine Natur könnte es haben? […] Es ist nicht etwas, sondern vor jedem Einzelnen da, und es ist auch nicht seiend. Denn sogar das Seiende hat so etwas wie eine Gestalt, eben die, seiend zu sein, jenes hingegen hat keine Gestalt, auch keine geistig erkennbare. Weil die Natur des Einen nämlich alle Wesen hervorbringt ist es keines von ihnen, […] einförmig in sich selbst, oder vielmehr formlos, da es vor jeder Form da ist, vor der Bewegung, vor dem Stillstand. […]
    [2] Und warum steht es nicht still, wenn es nicht in Bewegung ist? Weil nur bei dem, was ist, eins von beiden oder beides notwendig der Fall ist. […]
    [3] Aber wir haben eine Erkenntnis, das sich auf Formen stützt. Sobald die Seele dagegen ins Formlose gelangt, ist sie nicht mehr in der Lage, es zu umfassen, weil sie hier nicht definiert und quasi geprägt wird von einem variationsreich Prägenden, und so gerät sie ins Rutschen und fürchtet, dass sie gar nichts hat.
  • Simplikios: Aristoteles Physik Kommentar (In Aristotelis Physica commentaria) 144, 25-27

    Der Neuplatoniker Simplikios (um 530) erklärt, warum er Parmenides so ausführlich zitiert
    Gerne möchte ich Parmenides‘ Worte über das seiende Eine zu diesen Erklärungen hinzuschreiben, zumal sie nicht viele sind, wegen der Glaubwürdigkeit des von mir Gesagten und wegen der Seltenheit der Schrift des Parmenides.
  • Simplikios: Aristoteles Physik Kommentar (In Aristotelis Physica commentaria) (p. 1249, 12-17)

    Der neuplatonische Aristoteles-Kommentator Simplikios formuliert Prinzipien für die Etablierung der Harmonie zwischen Platon und Aristoteles
    Folglich besteht der Unterschied zwischen den Philosophen jetzt, wie in den meisten anderen Fällen, nicht in der Sache, sondern nur in der Benennung. Die Ursache dafür ist, glaube ich, häufig, dass Aristoteles den alltäglichen Wortgebrauch bewahren und die Beweise im Ausgang von dem in sinnlicher Wahrnehmung Klaren ausgehend formulieren möchte, während Platon diese häufig geringschätzt, und leichter Hand zur geistigen Betrachtung aufsteigt.
  • Stephanos von Alexandria: Kommentar zu De anima III (In De anima III) (p. 535, 2-16 Hayduck)

    Stephanos von Alexandrien [Pseudo-Philoponos] fasst am Ende der Antike verschiedene Möglichkeiten der Deutung des von Aristoteles in <i>Über die Seele</i> III 5 gemeinten Geistes zusammen
    Die Ausleger [von De anima] begaben sich auf viele und unterschiedliche Wege. […]
    [1] Alexander [von Aphrodisias] nannte die eine Ursache von allem oder den Geist von außen Geist in Aktivität.
    [2] [Proklos’ Schüler] Marinos aber sagte, nicht die eine Ursache von allem sei der Geist in Aktivität, sondern ein daimonischer oder engelhafter. […]
    [3] Plotin aber erkannte, dass der menschliche Geist der Geist in Aktivität ist, einerseits als ewig denkender, andererseits als manchmal denkender. Plotin wird aber von Platon getäuscht, denn als er von jenem erfuhr, dass die Seele immer bewegt ist, glaubte er, Platon sage dies aufgrund des Ewig-Denkens.
    [4] Plutarch [von Athen; gest. 432] glaubt, wie auch wir meinen, nicht, dass es bei uns einen zweifachen Geist gibt, sondern einen einfachen, und diesen einfachen nennt er nicht einen ewig denkenden, sondern einen manchmal denkenden. Plutarch glaubt also, Aristoteles nenne den menschlichen Geist [Geist] in Aktivität, von dem er auch glaubt, er denke manchmal.
  • Johannes Philoponos : Kommentar zu Aristoteles’ „Über die Seele“ (In Aristotelis de Anima libros commentaria) II (p. 289 und 297 Hayduck)

    Johannes Philoponos möchte als Neuplatoniker die seelische Aktivität nicht bloß als Erleiden verstehen und definiert sie daher neu
    [1] Die Sinneswahrnehmung scheint in der Wahrnehmung der Sinnesobjekte verändert zu werden […]. Wenn sie aber verändert wird, erleidet sie auch, denn die Veränderung ist ein Erleiden. […] Aristoteles sagt nicht als seine Ansicht, dass die Sinneswahrnehmung verändert werde und erleide. […] Er wird nämlich zeigen, wenn er darlegt, wie all das über die Seele gesagt wird, dass weder im eigentlichen Sinn gesagt wird, sie verändere sich, noch sie erleide. […]
    [2] Die wahrhaft vollendete Aktivität ist das Hervorbringen des Habitus auf einen Schlag, das nicht zusammen mit der Bewegung der Zeit auftritt, sondern sich für jeden Teil gleich verhält. So ist das Hervorbringen des Lichts. Denn gleichzeitig mit dem Erscheinen des Erleuchtenden wird auf einen Schlag jedes Geeignete erleuchtet. […] Das Erleidende […] wird auch irgendwie bewegt, denn das Erleiden geschieht nicht ohne Bewegung. Das Bewegte aber erleidet dabei überhaupt nicht. Denn gewiss ist auch die Ortsbewegung kein Erleiden. Das Erleiden wird nämlich im Verhältnis zum Tun gesagt, das Tun ist aber eine Veränderung der Qualität nach.
  • Johannes Philoponos : Kommentar zu Aristoteles’ „Über die Seele“ (In Aristotelis de Anima libros commentaria) (p. 12, 24-31)

    Philoponos liefert selbst als Neuplatoniker Argumente für die Unkörperlichkeit der Seele von Seiten ihrer Rolle für den Körper
    Dass nun keine Seele ein Körper sein kann, ist aus folgender Perspektive deutlich. Jeder Körper ist gemäß seiner Natur auflösbar […]. Deswegen braucht er etwas, das ihn zusammenhält. Ist nun dieses Zusammenhaltende, weil es entweder eine Seele ist oder eine andere Kraft, ein Körper oder unkörperlich? Wenn es ein Körper ist, wird es auch selbst wieder etwas Zusammenhaltendes brauchen. Wiederum fragen wir auch über dieses, ob es ein Körper oder unkörperlich ist, und dieses bis ins Unendliche. [Aber das ist absurd.] Also ist es notwendig, dass die zusammenhaltende Kraft der Körper unkörperlich ist. Beim Beseelten ist aber die Seele das die Körper Zusammenhaltende.
  • Al-Fārābī : Die Prinzipien der Ansichten der Bewohner der vortrefflichen Stadt II, 1. 2 (p. 90-94 Walzer)

    Al-Fārābī über die kausale Wirkung der ersten Ursache und die Ordnung der Dinge
    [1] Und seine Existenz [Gottes] (wuǧūd) ist aufgrund seines Wesens (ḏāt), und seine Substanz und seine Existenz hängen zusammen, und aus ihm folgt, dass von ihm her etwas anderes als es da ist. [...]
    [2] Es gibt vielerlei Existierendes, und zusätzlich zu seiner Vielheit ist dieses auch unterschiedlich exzellent. Und die Substanz des Ersten ist die Substanz, aus der jede Existenz so ausströmt, wie diese Existenz ist, sei sie nun vollkommen oder mangelhaft. Und seine Substanz ist ebenfalls die Substanz, von der alles Existierende, wenn es von ihr ausströmt, seinen jeweiligen Rang erhält und von der jedem Seienden sein Anteil, der ihm angemessen ist, an Existenz und Rang im Vergleich zum Ersten zukommt.
  • Ibn Sīnā (Avicenna): Metaphysik (Buch der Genesung) VIII 7 § 3. 6 (p. 363. 365 Cairensis)

    Avicenna erklärt die Struktur der ersten Ursache (bzw. Gottes) als sich selbst denkender Intellekt
    [1] Und es [das erste Prinzip] liebt sein Wesen, das das Prinzip (mabdaʾ) jeder Ordnung ist und gut ist, insofern es so ist. Dabei wird die Ordnung des Guten (niżām al-ḫair) von ihm akzidentell mitgeliebt. Aber das erste Prinzip wird hierzu nicht von der Liebe bewegt, ja es erfährt von ihr überhaupt keine Wirkung, und es ersehnt und erstrebt nichts. Das ist sein Wille (īrāda), der frei ist vom Mangel, den die Liebe bewirkt, und von der Störung durch das Streben zu einem Ziel hin [...].
    [2] Zu der Menge der Verstandesgegenstände (al-maʿqūlāt) gehört derjenige Verstandesgegenstand, dessen Prinzip das Erste unmittelbar ist. Aber seine Existenz fließt (yafīḍu) primär aus ihm. Und der Verstandesgegenstand, dessen Prinzip das Erste mittelbar ist, dies fließt sekundär aus ihm [...]. Einiges von diesem geht jedoch dem anderen voraus in der Rangfolge des Verursachenden und des Verursachten.
  • Ibn Sīnā (Avicenna): Die Seele (Buch der Genesung) I 1 (p. 4 Rahman)

    Ibn Sīnā (Avicenna) beginnt seine Ausführungen mit einem Beweis der Existenz der Seele
    [1] Wir sagen: Das Erste, worüber wir sprechen müssen, ist nun der Beweis für das Sein derjenigen Sache, die wir ,Seele‘ nennen; dann sprechen wir über das, was darauf folgt. Nun sagen wir: Wir sehen gewiss Körper, die sich ernähren, schlafen, Ähnliches gebären, und dieses nicht aufgrund ebendieser Körper. Also bleibt übrig, dass es in ihren Wesenheiten unkörperliche Prinzipien dafür gibt. Und die Sache, aus der diese Akte hervorgehen, und überhaupt alles, was ein Prinzip ist für das Hervorbingen von Tätigkeiten, die nicht auf eine übliche Weise, durch den Willen geschehen, nennen wir Seele.
    [2] Und diese Bezeichnung ist ein Name für diese Sache, nicht, insofern sie eine Substanz ist, sondern von Seiten dessen […], dass sie Prinzip für derartige Aktivitäten ist.
  • Plotin: Enneade V, 1 [10], 2, 1-9

    Als ersten Schritt ihres geistigen Aufstiegs muss die Seele nach Plotin zunächst ihre eigene Stellung über der Körperwelt erkennen
    Dies soll nun zuerst jede Seele bedenken, dass sie alle Lebewesen erschuf, indem sie ihnen Leben einhauchte: die, welche die Erde nährt, und die, welche das Meer, die in der Luft und die göttlichen Sterne am Himmel; sie [schuf] die Sonne, sie diesen gewaltigen Himmel, und sie schmückte sie, und sie leitet sie in Ordnung, das sie eine andere Natur ist als das, was sie schmückt und was sie bewegt und was sie leben lässt. Notwendigerweise ist sie auch edler als dies, da dies entsteht und vergeht, während die Seele das Leben verlässt und anführt, da sie stets sie selbst, "indem sie sich selbst nie verlässt".
  • Plotin: Enneade V, 1 [10], 3, 1f. und 12-21

    Der Übergang der Seele zum Geist
    [1] Nimm nun das Göttlichere als dieses Göttliche, den Nachbarn der Seele nach oben hin, nach dem und aus dem die Seele ist. Denn wenngleich sie eine solche Sache ist, wie das Argument zeigte, ist sie ein Abbild des Geistes. [...]
    [2] Da sie aus dem Geist ist, ist sie denkend, und in den Überlegungen ist ihr Geist, und die Vollendung kommt wiederum aus ihm wie von einem Vater, der den aufzieht, den er weniger vollkommen als sich selbst gezeugt hat. [...] Denn wenn die Seele in den Geist hineinblickt, hat sie in sich und ihr zu eigen das, was sie denkt und aktiv betreibt.
    [3] Und nur dasjenige darf man Aktivitäten der Seele nennen, was sie denkend und was sie von sich aus betreibt. Das Schlechtere aber ist von anderswoher und für eine so beschaffene Seele ein Erleiden. Der Geist also macht sie göttlicher, indem er Vater ist und indem er bei ihr ist.
  • Plotin: Enneade VI 9 [9], 6, 1. 12-17

    Plotin erklärt den Aufstieg vom Geist zum Einen sowie dessen absolute Transzendenz
    In welchem Sinn also sagen wir „Eines“, und in welcher Weise hat man es mit dem Denken in Deckung zu bringen? [...] Wenn Du es Dir als Geist oder Gott denkst, ist es mehr; und wenn Du es wiederum gedanklich auf die Einheit reduzierst, so ist es auch hier in jedem Fall mehr als die Vorstellung, die du dir von ihm gemacht hast, um ihn einheitlicher als dein Denken zu machen. Daher ist es ganz für sich; es gibt keine Eigenschaft, die ihm zukommt. Und im Sinne des sich selbst Genügenden lässt sich auch das ihm zukommende ,Eine‘ denken.
  • Al-Ġazālī : Die Inkohärenz der Philosophen I § 6f. 66 (p. 13. 27f. Marmura)

    Die Philosophen leiten die Ewigkeit der Welt aus der Ewigkeit Gottes ab, und al-Ġazālī widerlegt dies
    Sie behaupten, dass das Hervorgehen von etwas Neu Entstehendem (ḥādiṯ) aus etwas Ewigem (qadīm) völlig unmöglich ist. [...] Denn wenn die Zustände des Ewigen gleich bleiben, dann existiert entweder niemals etwas von ihm her, oder es existiert auf die Weise der Ewigkeit. [...] [Al-Ġazālīs Gegenargument:] Nun gibt es aber in der Welt neu entstehende Dinge, und sie haben Ursachen. Aber dass sich das neu Entstehende bis ins Unendliche auf anderes neue Entstehende stützt, das ist absurd. [...] Aber wenn das möglich wäre, dann wäret ihr nicht angewiesen [...] auf die Behauptung von etwas notwendig Existierendem, das die möglichen Dinge begründet. Aber wenn das neu Entstehende ein Ende hat, an dem seine Verkettung endet, so muss dieses Ende ewig sein. Ihr Ausgangspunkt impliziert dann aber unbedingt die Billigung des Hervorgehens von etwas neu Entstehendem aus etwas Ewigem.
  • Al-Ġazālī : Die Inkohärenz der Philosophen I § 67-70 (p. 28 Marmura)

    Philosophen leiten die Ewigkeit der Welt aus der Ewigkeit Gottes ab, und al-Ġazālī widerlegt dies
    Wenn sie sagen, [Gegenargument der Philosophen:] "Wir bestreiten nicht das Hervorgehen von irgendetwas neu Entstehendem aus etwas Ewigem, sondern wir bestreiten das Hervorgehen von etwas neu Entstehendem, das ein erstes neu Entstehendes ist, aus etwas Ewigem." [...],
    dann sagen wir:
    [Neue Entgegnung al-Ġazālīs]: "Die Frage nach dem Vorhandensein einer Vorbereitung und der Gegebenheit von Zeit und nach all dem, was sich erneuert, bleibt. Entweder geht die Verkettung bis ins Unendliche weiter, oder sie endet bei etwas Ewigem, aus dem ein erstes neu Entstehendes entsteht."
  • Unbekannt: Buch vom reinen Guten (Liber de causis) § 8 [lat. 9]

    Der <i>Liber de causis</i> (9. Jhdt.; im 12. Jhdt. lateinische Übersetzung) präsentiert eine neuplatonische Darstellung der Lehre von der Weltentstehung im monotheistischen Kontext
    [1] Jeder Intellekt hat seine Dauerhaftigkeit und seinen Bestand durch das reine Gute (al-ḥair al-maḥṣ); dieses ist die erste Ursache (al-ʿilla al-ūlā).
    Die Kraft des Intellekts ist von stärkerer Einheit als die sekundären Dinge [...], ja, der Intellekt umfasst alle Dinge.
    Und der Intellekt ist nur so geworden von seiten der ersten Ursache, welche alle Dinge überragt, weil sie die Ursache des Intellekts, der Seele, der Natur und all der anderen Dinge ist. Die erste Ursache ist weder Intellekt noch Seele noch Natur, sondern sie ist über dem Intellekt, der Seele und der Natur, weil sie Urheberin sämtlicher Dinge ist, mit dem Unterschied, dass sie die Urheberin des Intellekts ist ohne irgendwelche Vermittlung, die Urheberin der Seele, der Natur und aller anderen Dinge hingegen durch die Vermittlung des Intellekts. Das göttliche Wissen ferner ist nicht wie das Wissen des Intellekts noch wie das Wissen der Seele, sondern es ist über dem Wissen des Intellekts und dem Wissen der Seele, weil es der Urheber der Wissensformen ist.
    [2] Die göttliche Kraft ist über jeder Intelligenz-, jeder Seelen und jeder Naturkraft, weil sie die Ursache jeder Kraft ist. Der Intellekt besitzt Schmuck (ḥilya), weil er Dasein (annīya) und Form ist; und ebenso hat auch die Seele Schmuck und die Natur Schmuck. Aber die erste Ursache hat keinen Schmuck, weil sie nur Dasein hat.
    Und wenn jemand sagt, sie müsse notwendig Schmuck haben, so erwidern wir: Ihr Schmuck ist ihre Unendlichkeit und ihr eigentümliches Wesen ist das reine Gute, welches alles Gute auf den Intellekt und durch die Vermittlung des Intellekts auf alle anderen Dinge ausströmen lässt (mufīḍ).
  • Agathias : Historien (Agathias) (Historiae) II 30, 3f.; 31, 1f

    Der Historiker Agathias (6. Jahrhundert) berichtet, wie die letzten Athener Philosophen nach Persien zogen (offensichtlich nach Schließung ihrer Schule im Jahre 529)
    [1] Damaskios der Syrer, Simplikios der Kilikier, Eulamios der Phryger, Priskian der Lyder, Hermeias und Diogenes aus Phoenizien und Isidor aus Gaza, alle von ihnen die höchste Blüte [...] der in unserer Zeit Philosophierenden – weil ihnen die bei den Römern [= Byzantinern] überwiegend herrschende Meinung [= das Christentum] nicht gefiel und sie glaubten, dass das persische Staatswesen viel besser sei, hierin durch das von den vielen Besungene überzeugt, dass die Herrschaft bei jenen höchst gerecht und so sei, wie die Aussage Platons es möchte, indem Philosophie und Königsherrschaft zusammen kämen [...] – brachen sofort auf und zogen in fremde und unvermischte Gebiete, um dort fürderhin zu leben. [...]
    [2] Weil sie aber, als sie mit dem König [Chosrau] sprachen, in ihrer Hoffnung enttäuscht wurden, weil sie einen Mann vorfanden, sich wie ein Philosophierender gebärdete, aber nichts von dem Erhabeneren wusste, weil er nicht einmal ihrer Meinung war, sondern wieder anderes glaubte, zogen sie, weil sie die Verruchtheit der Vermischungen nicht ertrugen so schnell wie möglich zurück. Gleichwohl liebte sie dieser und forderte sie zum Bleiben auf, sie aber glaubten, es sei besser für sie, nachdem sie nur das römische Gebiet betreten hätten, wenn es sich ergeben sollte, sogar zu sterben, als bei den Persern bleibend die höchsten Geschenke zu erhalten.
  • Priskian aus Lydien [Pseudo-Simplikios]: In De anima/Kommentar zu Aristoteles’ De anima (p. 1)

    Der neuplatonische Aristoteles-Ausleger Priskian aus Lydien (um 520) erklärt in seinem Kommentar zu Aristoteles’ Schrift <i>Über die Seele</i> (<i>De anima</i>) die Bedeutung des Themas
    Bemühen muss man sich in erster Linie um die Wahrheit über die Sachen selbst, und zwar neben der über die anderen insbesondere um die über die Seele, die für uns von Anfang an vertrauter als alles andere ist; danach auch über das Auffassen dessen, was denen richtig scheint, die den Gipfel des Wissens erreichen.
  • Priskian aus Lydien [Pseudo-Simplikios]: In De anima/Kommentar zu Aristoteles’ De anima (p. 1 Hayduck)

    Der Neuplatoniker Priskian (um 515 n. Chr.) über seine Aufgabe als Kommentator von Aristoteles’ Schrift <i>De anima</i>
    [1] Deswegen denke ich auch, dass man sich mit Bedacht ganz besonders an Aristoteles’ Untersuchung über die Seele halten muss. Gewiss wurden viele und wunderbare Beobachtungen über die Seele auch von Platon angestellt […].
    [2] Seit aber Aristoteles seine Untersuchung über die Seele vollendete, herrscht, wie dem besten Beurteiler der Wahrheit, Jamblich [Platoniker des 4. Jhdts. n. Chr.], scheint, unter denen, die seine Aussagen erklären, große Uneinigkeit, und zwar nicht nur über die Auslegung des aristotelischen Textes, sondern auch ganz besonders über die Sachen selbst.
    [3] Deswegen schien es auch mir gut, die Übereinstimmung des Philosophen mit sich selbst und mit der Wahrheit zu ergründen und zu beschreiben, wobei ich Polemiken gegen andere vermeide, aber in den Zweifelsfällen das Richtige aus Aristoteles’ klaren Lehren und Aussagen nachweise und mich überall, soweit möglich, an die Wahrheit über die Sachen gemäß Jamblichs Darlegung in seinen eigenen Schriften über die Seele halte.
  • Priskian aus Lydien [Pseudo-Simplikios]: In De anima/Kommentar zu Aristoteles’ De anima III 4 (p. 217, 29-218, 2; 218, 42-219, 11 und 219, 36-220, 5 Hayduck)

    Priskian von Lydien (Ps.-Simplikios) erklärt die Einheit, Mannigfaltigkeit und Erschütterbarkeit der Seele
    [1] Denn es gibt für jede rationale Seele einen einzelnen und eigenen Geist, an dem sie Teil hat. Durch ihn wird jede Seele bestimmt, nachdem sie in das Bestimmte […] herabgestiegen ist. […] Die Seele ist aber nicht frei von Teilen, wie ihre entfaltete Aktivität deutlich macht, die zugleich in Trennung und in Zusammenfassung hervorgeht. Wenn sie […] herabgestiegen ist, dann hat sie Teil an […] der Bestimmung und der Form, und zwar jede einzelne an ihrer eigenen Form. Denn es existiert ja auch bei den Komposita eine individuierte Form […], die als ganze kommt und geht sowie im gesamten Leben des Kompositums dasselbe bleibt, auch wenn die verschiedenen Teile zu verschiedenen Zeiten entstehen und vergehen. […]
    [2] Zunächst ist also die Vernunft der Seele doppelt, die eine ist abgetrennt [vom Körper] und aus sich heraus voll von den eigenen Erkenntnisgegenständen. Durch sie findet die Rückwendung der Seele zu sich selbst und die Verbindung mit den höheren Dingen statt. Die andere [Vernunft der Seele] ist die, durch die die Seele sich als ganze zu den sekundären Dingen ausdehnt, indem sie aus dem Verharren in sich selbst heraustritt. Dabei entfernt sie sich entweder […] vollständig […] oder sie ist […] vollendet. […] Denn sie hat in den auf ihr Sein bezüglichen Dispositionen die Erkenntnisgegenstände aufgenommen, die von den seinsmäßigen hervorgehen, so wie es beim Wissenden der Fall ist. […]
    [3] Aber die primäre Seele geht nicht so ins Äußere hervor, dass sie nicht auch in sich selbst bliebe. […] Es ist also eine Vernunft, die zuerst unberührt bleibt und dann durch das Hervorbringen […] aus sich selbst in das Äußere ihre Unveränderlichkeit lockert. […] Denn im Hervorbringen entfernt sie sich in gewisser Weise von sich selbst, und weder bleibt sie vollständig in sich selbst, noch ist sie unberührt das, was sie ist, da sie in gewisser Weise auch in Bezug auf ihr Sein aufgebrochen wird – nicht so, als würde sie ganz zerstört werden, und auch nicht, als würde sie nicht auch irgendwie unverändert bleiben, wenn sie nach außen geht, sondern auf eine Weise, die der Mittelstellung der Seele angemessen ist.
  • Priskian aus Lydien [Pseudo-Simplikios]: In De anima/Kommentar zu Aristoteles’ De anima III 7 (p. 272, 36-273, 9; 225, 22-27 Hayduck)

    Priskian erklärt die Funktion des praktischen Geistes und die Bedeutung des Vorstellens dafür
    [1] Jetzt geht er [= Aristoteles] zum praktischen Geist über, […] wobei er fordert, dass dieser Geist die Objekte des Verfolgens und Vermeidens manchmal anhand der gegenwärtigen Wahrnehmungsobjekte selbst bestimmt, wenn er […] überlegt, […] was man tun muss. Aber meistens trifft es zu, dass der praktische Geist nachdenkt und überlegt, während er in den Vorstellungen die Abdrücke der Wahrnehmungsobjekte sieht. Denn auch wenn einmal die Wahrnehmungsobjekte gegenwärtig sind, weckt die denkende Seele das Nachdenken über die Handlungen, indem sie sich zu sich selbst zurückwendet […] und gebraucht diese als vorhandene Teile des Schlusses […].
    [2] Also sind auch dieses Wahre und Falsche im praktischen Denken, das auch dann nicht ohne Vorstellungskraft aktiv ist, weil für es auch allgemeine Betrachtungen von der Art sind, wie allgemeine Betrachtungen über Einzelnes, z. B. wenn es sagt, dass jede Stadt von guten Gesetzen regiert oder dass jeder Mann ordentlich sein soll oder etwas in der Art. Denn wenn jemand die Objekte des Denkens als Objekte des Denkens betrachtet, dann wird er nicht auf Allgemeines aus dem Bereich der Objekte der Wahrnehmung zurückgreifen.
  • Priskian aus Lydien [Pseudo-Simplikios]: In De anima/Kommentar zu Aristoteles’ De anima III 7 (p. 268, 29-31; 269, 3-13 Hayduck)

    Priskian erläutert, ausgehend von Aristoteles’ Aussagen zum Gemeinsinn, die neuplatonische Deutung der Einheit des denkenden Subjekts
    Das Thema der vorliegenden Aussagen [des Aristoteles] ist […], uns von der Sinneswahrnehmung, wie von etwas Bekannterem, hinaufzuführen zu einem bestimmten Denken der Seele, das allgemein das irgendwie Gedachte unterscheidet. […] Es fasst auch alle Handlungen zusammen und erkennt sie, und zwar nicht nur die Gegensätze wie gut und schlecht in Liebesdingen oder bei der Ernährung, sondern auch beim Besitz, bei Furchtbarem und Schrecklichem und in ähnlicher Weise bei allem. Denn das Denkende sagt ja und erklärt: "Ich lebe maßvoll, gerecht, tapfer oder frei", und es kennt den Unterschied zwischen den Lebensweisen, die es sagt, und auch ihre Gemeinschaft miteinander, da es ihr Denken in etwas Ungeteiltem und Untrennbarem vollzieht. Gewiss gibt es auch etwas noch allgemeineres Denkendes in der Seele, das zugleich die praktischen und die theoretischen Gedanken zusammenfasst, und dieses wird auch die Unterschiedenheit und Gemeinsamkeit der praktischen und theoretischen Objekte untereinander, da es wiederum eines, dasselbe und ungeteilt ist und eine Mannigfaltigkeit ungeteilt auffasst.