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Philosophische Zitate aus Antike und Mittelalter

Thema: Tod und Sterben

103 Zitate zu diesem Thema im Zitatenschatz:

  • Homer : Odyssee Odyssee XI, 204-224

    Homer berichtet über Odysseus’ Besuch in der Unterwelt
    Also sprach der Schatten. Ich aber, aufs tiefste erschüttert,
    Wollte liebend die Seele der toten Mutter umarmen.
    Dreimal stürzte ich vor und wollte sie zärtlich umfassen,
    Dreimal zerrann sie mir unter den Händen, als wär es ein Schatten
    Oder ein Traum. Mir wuchs der Schmerz im Herzen noch ärger;
    Und so rief ich ihr die geflügelten Worte hinüber:
    "Meine Mutter, was meidest du meine sehnenden Arme?
    Könnten wir nicht im Hades mit liebenden Händen einander
    zärtlich umschlingen und uns durch herbe Klage erleichern?
    Sandte mir etwa gar die hehre Persephoneia
    Nur ein trügerisch Bild, dass ich noch bitterer seufze?"
    Also sprach ich; da gab die würdige Mutter zur Antwort:
    "Weh mir, teures Kind, unseligster unter den Menschen,
    Nein, es täuscht’ dich nicht Zeus’ Tochter Persephoneia,
    Dies ist das Schicksal der Menschen, sobald sie dem Tode erliegen,
    Denn dann halten Gebeine und Sehnen nicht länger zusammen,
    Sondern die mächtige Kraft des lodernden Feuers vernichtet
    Alles, sobald der Geist die bleichen Gebeine verlassen;
    Aber die Seele fliegt dahin wie ein flatterndes Traumbild."
  • Anaximander: Fragmente zitiert bei Simplikios; 12 A 9

    Anaximander über Entstehen und Vergehen
    Woraus die seienden Dinge ihr Entstehen haben, dorthin findet auch ihr Vergehen statt, wie es in Ordnung ist, denn sie leisten einander Recht und Strafe für das Unrecht, gemäß der zeitlichen Ordnung.
  • Platon: Phaidon (Phaedo) 58e

    Sokrates‘ eigener Tod wird geschildert
    Mir erging es dabei ganz erstaunlich. Bedauern berührte mich nämlich nicht wie einem, der beim Tod eines Freundes anwesend ist. Denn glückselig erschien mir der Mann, o Echekrates, in seinem Benehmen und seinen Reden, wie furchtlos und edel er endete, so dass ich vertraute, er gehe auch in die Unterwelt nicht ohne göttliche Schickung, sondern auch dort werde er sich wohl befinden, wenn jemals einer sonst. Darum berührte mich nun weder irgendein Bedauern, wie man doch denken sollte bei einem solchen Trauerfall, noch auch waren wir fröhlich, wie in unseren philosophischen Beschäftigungen [...], sondern in einem gar nicht festzulegenden Empfinden befand ich mich, das aus Lust zugleich und Trauer zusammengesetzt war.
  • Unbekannt: Deutsches Volkslied -

    Ein katholisches Kirchenlied aus dem dreißigjährigen Krieg (1637)
    Es ist ein Schnitter, heißt der Tod
    Hat Gwalt vom großen Gott:
    Heut wetzt er das Messer,
    es schneidt schon viel besser,
    bald wird er drein schneiden,
    wir müssen´s nur leiden.
    Hüt dich, schöns Blümelein!

    Was heut noch grün und frisch da steht,
    wird morgen weggemäht:
    die edel Narzissen,
    die englischen Schlüsseln,
    die schön Hyazinthen,
    die türkischen Binden.
    Hüt dich, schöns Blümelein!

    Viel hunderttausend ungezählt,
    was unter die Sichel fällt:
    rot Rosen, weiß Lilien,
    beid´ wird er austilgen,
    ihr Kaiserkronen,
    man wird euch nicht schonen.
    Hüt dich schöns Blümelein!

    Trutz, Tod, komm her, ich fürcht dich nit,
    komm her und tu ein´n Schnitt!
    Wenn er mich verletzet,
    so werd ich versetzet,
    ich will es erwarten,
    in himmlischen Garten.
    Freu dich, schöns Blümelein!
  • Günther, Johann Christian: Lyrik -

    Der Jenaer Student und Barockdichter Johann Christian Günther (1695-1723) wendet sich an seine Geliebte
    Als er der Phillis einen Ring mit einem Totenkopf überreichte

    Erschrick nicht vor dem Liebeszeichen,
    Es träget unser künftig Bild,
    Vor dem nur die allein erbleichen,
    Bei welchen die Vernunft nichts gilt.
    Wie schickt sich aber Eis und Flammen?
    Wie reimt sich Lieb und Tod zusammen?
    Es schickt und reimt sich gar zu schön,
    Denn beide sind von gleicher Stärke
    Und spielen ihre Wunderwerke
    Mit allen, die auf Erden gehn.

    Ich gebe dir dies Pfand zur Lehre:
    Das Gold bedeutet feste Treu,
    Der Ring, daß uns die Zeit verehre,
    Die Täubchen, wie vergnügt man sei;
    Der Kopf erinnert dich des Lebens,
    Im Grab ist aller Wunsch vergebens,
    Drum lieb und lebe, weil man kann,
    Wer weiß, wie bald wir wandern müssen!
    Das Leben steckt im treuen Küssen,
    Ach, fang den Augenblick noch an!
  • Horaz (Quintus Horatius Flaccus): Gedicht I 4

    Der lateinische Dichter Horaz (65-8 v. Chr.) über den Tod
    Schmelzend weichet der scharfe Winter dem holden Lenz und Zephyr,
    Die Hebel ziehn vom Strand die trocknen Kiele;
    Nicht mehr freut sich die Herde des Stalls, noch der Ack’rer des Feuers,
    Und Silberreif umglänzt nicht mehr die Wiesen.
    [...]
    Jetzo ziemt es mit grüner Myrthe das blanke Haupt zu kränzen,
    Mit Blumen, die der lockern Erd’ entsprießen;
    Jetzo ziemt es auch in den Schatten des Hains dem Faun zu opfern,
    Er heisch' ein Lämmchen, oder forder’ ein Böckchen.

    Schäferhütten und Königsschlösser betritt mit gleichem Fuße
    Der blasse Tod. O Sestius, Beglückter!
    Kurz ist des Lebens Dauer, verbiet’ uns den Anfang langer Hoffnung,
    Bald schließt dich Nacht ein, Fabelschatten bald und

    Pluto’s öde Behausung. Ach! Wann du dorthin bist gewandert,
    So wirst du nicht durchs Los mehr Gastmahlskönig,
    Noch ergötzt dich der zärtliche Lycidas, welchem jeder Jüngling
    Jetzt glüht und bald das Herz der Mädchen lodert.
  • Platon: Phaidon (Phaedo) 64a. 67de

    Platon (427-347 v. Chr.) charakterisiert die Philosophie als Sorge um das rechte Sterben
    Diejenigen, die sich auf rechte Art mit der Philosophie befassen, dürften gewiss, vor den anderen verborgen, nach gar nichts anderem streben, als zu sterben und tot zu sein [...] und [...] danach, die Seele [vom Körper] zu lösen, und genau dies ist die Sorge der Philosophen, die Lösung und Abtrennung der Seele vom Körper. Oder etwa nicht?
    Simmias: Anscheinend.
    Sokrates: Dann wäre es also, wie ich am Anfang sagte, lächerlich, wenn ein Mann, der sich im Leben darauf ausrichtet, so zu leben, dass er am Sterben möglichst nah ist, dann, wenn ihm genau dies zustößt, zu erschrecken?
    Simmias: Lächerlich. Was sonst?
    Sokrates: In Wahrheit also, sagte Sokrates, o Simmias, sorgen sich die wahrhaft Philosophierenden darum zu sterben, und das Sterben ist für sie von allen Menschen am wenigsten schrecklich.
  • Cicero: Gespräche in Tuskulum (Tusculanae disputationes ) I 75

    Marcus Tullius Cicero (106-43 v. Chr.) zitiert Platons Charakterisierung der Philosophie als Sorge um den Tod
    Das ganze Leben der Philosophen ist, wie Platon sagt, eine Vorbereitung auf den Tod. [...] Deswegen wollen wir uns darauf vorbereiten, glaube mir, und uns von den Körpern lösen, das heißt uns daran gewöhnen zu sterben.
  • Tauracek, Bernhard: Philosophieren: Sterben lernen? 11, Anm. 1

    Bernhard Tauracek über Georg Scherer
    Scherers Schrift [...] ist in seinen Kapiteln über die Vorsokratiker, Platon und Epikur [...] so sehr von der hier vertretenen Deutung verschieden, dass man schließen könnte, es gebe jeweils zwei nicht miteinander identische Denker namens Platon und namens Epikur.
  • Heraklit von Ephesos: Fragmente Über die Natur; 22 B 48

    Ein Beispiel für Heraklits Sprachkunst
    Der Name des Bogens ist Leben [bios], sein Werk Tod.
  • Heraklit von Ephesos: Fragmente Über die Natur; 22 B 53

    Ein klassisches Zitat Heraklits
    Krieg ist von allem der Vater, von allem der König.
  • Heraklit von Ephesos: Fragmente Über die Natur; 22 B 62

    Heraklit über Sterbliche und Unsterbliche
    Unsterbliche sind sterblich, Sterbliche sind unsterblich, indem sie den Tod von jenen leben, das Leben von jenen sterben.
  • Heraklit von Ephesos: Fragmente Über die Natur; 22 B 30

    Heraklit über die Natur des Kosmos
    Diesen Kosmos, denselben für alles, schuf weder einer der Götter noch der Menschen, sondern er war immer, ist und wird sein: Feuer, ewig lebendig, die Maße berührend, die Maße verlassend.
  • Heraklit von Ephesos: Fragmente Über die Natur; 22 B 113

    Heraklit über das Denken
    Allen [oder: Allem] ist das Denken gemeinsam.
  • Epikur: Brief an Menoikeus (Epistula ad Menoecum) 124f

    Epikur über die Gründe dafür, den Tod nicht zu fürchten
    Gewöhne dich ferner daran zu glauben, der Tod sei nichts, was uns betrifft. Denn alles Gute und Schlechte liegt in der Sinneswahrnehmung. Der Tod aber ist eine Beraubung der Sinneswahrnehmung. [...] Das Schrecklichste alles Schlechten, der Tod, betrifft uns also überhaupt nicht, denn wenn wir sind, ist der Tod nicht da, wenn der Tod da ist, sind wir nicht.
  • Unbekannt: Goldplättchen aus Thurioi Mansfeld I, Pythagoras nr. 76

    Inschrift eines orphischen Goldplättchens (um 350 v. Chr.)
    ,Ich komme als reine [Seele ?] von reinen, Königin der Unterwelt [Persephone],
    Eukles [Hades] und Eubouleus [Herrscher der Unterwelt] und ihr anderen unsterblichen Götter;
    denn auch ich rühme mich, euer seliger Nachkomme zu sein.
    Doch das Todeslos hat mich bezwungen und der Schleuderer mit dem Blitz.
    Dem leidbeschwerten, mühevollen Kreis [der Wiedergeburten] bin ich entflohen,
    mit schnellen Füßen habe ich den ersehnten Siegeskranz errungen.
    Die Herrscherin, die Königin der Unterwelt, hat mich adoptiert‘.
    [Ritueller Ruf:] ,Glücklicher und Seliger du – ein Gott wirst du sein statt ein Mensch‘.
    ,Wie ein Böcklein habe ich mich auf die Milch gestürzt‘ [bin neu geboren].
  • Herodot von Halikarnass(os) : Historien (Herodot) 2, 123 = DK 14.1

    Herodot (6. Jhdt.), einer der ältesten griechischen Historiker überhaupt, berichtet über die angebliche Herkunft der Seelenwanderungslehre aus Ägypten (das hier für orientalische Weisheit im Allgemeinen steht)
    Die Ägypter haben auch als erste die Ansicht vertreten, dass die Seele des Menschen unsterblich ist und dass sie, wenn der Leib vergeht, immer wieder in ein anderes Lebewesen, das geboren wird, eingeht; wenn sie alle Lebewesen des Festlandes, des Wassers und der Luft durchwandert habe, gehe sie wieder in den Leib eines Menschen, der geboren werde, ein. Ihr Durchgang dauere 3000 Jahre. Es gibt Griechen, welche diese Lehren verwendet haben, die einen früher, die anderen später, als ob es sich um ihre eigene Erfindung handle. Ich kenne ihre Namen, schreibe sie aber nicht auf.
  • Porphyrios von Tyros : Leben des Pythagoras (Vita pythagorica) 19 = DK 14.8a

    Der neuplatonische Philosoph Porphyrios von Tyros (233-301/5) benennt Pythagoras als den Erfinder der Seelenwanderungslehre
    Am meisten wurden jedoch folgende Lehren bei allen bekannt: erstens, dass er behauptete, die Seele sei unsterblich; zweitens dass sie sich in andere Gattungen von Lebewesen hinein verändere; außerdem, dass das Entstehende nach gewissen Zeitumläufen erneut entstehe und dass nichts schlechthin neu sei; schließlich, dass man alles Entstehende, das beseelt ist, als verwandt betrachten muss. Es wird überliefert, dass Pythagoras als erster diese Dogmen nach Griechenland einführte.
  • Xenophanes: Fragmente Über die Natur; 21 B 7

    Xenophanes spottet über Pythagoras
    Sie sagen, dass Pythagoras einmal vorbeikam,
    als ein Hündchen geschlagen wurde, dieses bemitleidete und sprach:
    "Hör auf, schlag nicht mehr, denn es ist die Seele eines Freundes.
    Als ich ihre Stimme hörte, habe ich sie sofort erkannt."
  • Cicero: Gespräche in Tuskulum (Tusculanae disputationes ) V 10

    Über die Bedeutung des Sokrates für die antike Philosophie
    Sokrates aber rief als erster die Philosophie vom Himmel herunter, siedelte sie in Städten an, führte sie auch in Häuser ein und zwang sie, nach dem Leben und den Sitten sowie guten und schlechten Dingen zu fragen.
  • Platon: Euthyphron 5a-8d, Auszüge

    Sokrates diskutiert mit Euthyphron über die Frömmigkeit
    Sokrates: So sage also, was meinst du ist fromm und was ruchlos. [...]
    Euthyphron: Was also den Göttern lieb ist, ist fromm; was nicht lieb, ruchlos. [...]
    Sokrates: So komm denn, lass uns betrachten, was wir sagen. Was den Göttern lieb ist und der den Göttern liebe Mensch ist fromm und das den Göttern Verhasste und der ihnen Verhasste sind ruchlos. [...] Ferner auch, dass die Götter entzweit sind und uneins untereinander, o Euthyphron, und dass es Feindschaft unter ihnen gibt gegeneinander, auch das wurde gesagt.
    Euthyphron: Das wurde freilich gesagt, o Sokrates. [...]
    Sokrates: Also auch von den Göttern, du teurer Euthyphron, halten andere anderes für gerecht nach deiner Rede und für edel und schlecht und für gut und böse? Denn sie würden ja nicht in Zwietracht miteinander sein, wenn sie nicht im Streit wären über diese Gegenstände, nicht wahr? [...]
    Euthyphron: Das scheint so.
    Sokrates: Also wäre ein und dasselbe auch fromm und ruchlos nach deiner Rede?
  • Platon: Apologie des Sokrates (apologia Socratis) 40c-41a

    Sokrates nennt zwei mögliche Todesvorstellungen sowie die Vorzüge der ersten Alternative
    [1] Mir scheint nämlich dieses Ereignis etwas Gutes geworden zu sein, und unmöglich können wir Recht haben, wenn wir annehmen, der Tod sei etwas Schlechtes. [...] Denn eins von beiden ist das Totsein, entweder soviel als nichts sein noch irgendeine Empfindung von irgendetwas haben, wenn man tot ist; oder, wie gesagt wird, es ist ein Wechsel und ein Umzug der Seele von hier an einen anderen Ort.
    [2] Und ist es nun gar keine Empfindung, sondern wie ein Schlaf, in welchem der Schlafende auch nicht einmal einen Traum hat, so ist der Tod gewiss ein wunderbarer Gewinn; denn ich glaube, wenn jemand einer solchen Nacht, in welcher er so fest geschlafen, dass er nicht mal einen Traum gehabt, alle übrigen Tage und Nächte seines Lebens gegenüberstellen und nach reiflicher Überlegung sagen sollte, wieviel Tage er angenehmer und besser als diese Nacht in seinem Leben gelebt hat [...], er würde finden, dass diese sehr leicht zu zählen sind gegen die übrigen Tage und Nächte.
    [3] Ist aber der Tod andererseits wie eine Auswanderung von hier an einen anderen Ort und ist das wahr, was gesagt wird, dass alle Gestorbenen dort sind, was für ein größeres Gut könnte es wohl geben als dieses, o ihr Richter? Denn wenn einer in der Unterwelt angelangt ist, befreit von den hiesigen, sich so nennenden Richtern, und dort die wahren Richter antrifft […], wäre das wohl eine schlechte Übersiedlung?
  • Platon: Kriton (Crito) 51cd, 52e/53a, 54bd

    Sokrates begründet die Ablehnung einer Flucht mit einer Berufung auf sein Verhältnis zu den Gesetzen
    'Überlege also, o Sokrates,' würden die Gesetze vielleicht weiter sagen, 'wenn wir dies wahr gesprochen hätten, dass es dann nicht gerecht ist, was du uns jetzt antun willst. Denn wir, die wir dich zur Welt gebracht, auferzogen, unterrichtet und alles in sich Gute, was nur in unserem Vermögen stand, dir und jedem Bürger mitgeteilt haben, wir gestatten zugleich [...] jedem Athener, der will, daß [...] er das Seinige nehmen und fortgehen dürfe, wohin er nur will. [...] Du aber hast weder Lakedaimon vorgezogen noch Kreta [...] noch irgendeinen anderen von den griechischen Staaten. [...] So vorzüglich vor allen Athenern hat dir die Stadt gefallen und wir, die Gesetze, offensichtlich also auch. [...] Und jetzt willst dem Versprochenen nicht treu bleiben? [...] Aber, Sokrates, gehorche uns, deinen Erziehern und achte weder die Kinder noch das Leben noch irgend etwas anderes höher als das Gerechte, damit du, wenn du in die Unterwelt kommst, dies alles den dortigen Herrschern zu deiner Verteidigung anführen kannst.' [...] Merke wohl, lieber Freund Kriton, dass ich dies zu hören glaube, wie die, welche das Ohrenklingen habe, die Flöte zu hören glauben.
  • Platon: Phaidon (Phaedo) 81cd

    In der Darstellung im Phaidon erscheinen viele für Platon (vielleicht nicht für Sokrates) typische Ideen, z.B. im Hinblick auf die Seele
    Sokrates: Wenn eine Seele aber, meine ich, befleckt und unrein von dem Leibe scheidet, weil sie eben immer mit dem Leibe verkehrt und ihn gepflegt und geliebt hat und von ihm bezaubert gewesen ist und von den Lüsten und Begierden, so dass sie auch glaubte, es sei überhaupt gar nichts anderes wahr als das Körperliche, was man betastet und sieht, isst und trinkt und zur Liebe gebraucht, und weil sie gewohnt gewesen ist, das für die Augen Dunkle und Unsichtbare, der Vernunft hingegen Fassliche und mit Weisheitsliebe zu Ergreifende zu hassen, zu scheuen und zu fürchten, meinst du, dass eine so beschaffene Seele sich rein für sich absondern kann?
    Kebes: Nicht im mindesten. [...]
    Sokrates: Und, o Freund, man muss doch glauben, dies sei unbeholfen und schwerfällig, irdisch und sichtbar, so dass auch die Seele, die es an sich hat, schwerfällig ist und wieder zurückgezogen wird in die sichtbare Gegend aus Furcht vor dem Unsichtbaren und dem Hades, wie man sagt, an den Denkmälern und Gräbern umherschleichend, an denen daher auch allerlei dunkle Erscheinungen von Seelen gesehen worden sind.
  • Platon: Gorgias (Gorgias) 524b

    Eine Definition des Todes
    Der Tod ist, wie mir scheint, nichts anderes als die Lösung zweier Dinge voneinander, der Seele und des Körpers. Wenn sie sich aber voneinander gelöst haben, dann hat jedes von beiden um nicht viel weniger die Lage, die es hatte, als der Mensch lebte, der Körper seine Natur und sämtliche deutlichen Sorgen und Empfindungen.
  • Platon: Phaidon (Phaedo) 72e

    Eine klassische Formulierung der Anamnesis- (Wiedererinnerungs-)Lehre
    Sokrates: Unser Lernen ist nichts anderes als Wiedererinnerung, und auch hiernach müssen wir in einer früheren Zeit gelernt haben, wessen wir uns jetzt erinnern. Das ist aber unmöglich, wenn unsere Seele nicht schon war, ehe sie in unsere menschliche Gestalt kam.
  • Platon: Phaidon (Phaedo) 75b

    Platon nähert sich der Ideenlehre an über den Strukturbegriff ,gleich‘
    Sokrates: Ehe wir also anfangen zu sehen oder zu hören oder die anderen Sinne zu gebrauchen, mussten wir schon irgendwoher die Erkenntnis bekommen haben des Gleichen, was es ist, wenn wir doch das Gleiche in den Wahrnehmungen so auf jenes beziehen sollten, dass dergleichen alles zwar strebt zu sein wie jenes, aber doch immer schlechter ist.
  • Platon: Phaidon (Phaedo) 75cd. 76de

    Platon geht von der Idee des Gleichen zu denjenigen des Schönen und Guten über
    [1] Und es ist uns ja jetzt nicht mehr von dem Gleichen die Rede als auch von dem Schönen selbst und dem Guten selbst und dem Rechten und Frommen und, wie ich sage, von allem, was wir bezeichnen als ,dies selbst, was es ist‘ in unseren Fragen, wenn wir fragen, und in unseren Antworten, wenn wir antworten. [...]
    [2] Wenn das etwas ist, was wir immer im Mund führen, das Schöne und Gute und jegliches Sein dieser Art, und hierauf alles, was uns durch die Sinne erreicht, beziehen als auf ein vorher Gehabtes, was wir als uns Gehöriges wieder auffinden, und diese Dinge damit vergleichen, so muss notwendig, ebenso wie dieses ist, so auch unsere Seele sein, auch ehe wir noch geboren worden sind.
  • Platon: Phaidon (Phaedo) 61d-e

    Platon reflektiert den Sinn von Mythen
    Nun ziemt es sich ja vielleicht am besten, dass der, der dorthin übersiedeln soll, über die Übersiedlung nachdenkt und in Mythen darüber spricht, wie wir sie zu sein annehmen. Was soll jemand auch sonst in der Zeit bis zum Sonnenuntergang tun?
  • Platon: Gorgias (Gorgias) 524d-525a. 526bc

    Das gerechte Gericht im Jenseitsmythos des Gorgias
    [1] Gut sichtbar ist alles an der Seele, wenn sie vom Leibe entkleidet ist, sowohl was ihr von Natur eignete als auch die Veränderungen, welche der Mensch durch sein Bestreben um dies und jenes Ding hatte. Wenn sie nun vor den Richter kommen, und zwar die aus Asien vor den Rhadamanthys, so stellt Rhadamanthys sie vor sich hin und beschaut die Seele eines jeden. ohne zu wissen, wessen Seele es ist, aber oft [...] findet er nichts Gesundes an der Seele, sondern durchgepeitscht findet er sie und voller Schwielen von Meineid und Ungerechtigkeit, all das, was jede einzelne Handlung dieses Menschen der Seele aufgeprägt hat. [...]
    [2] Wenn also dieser Rhadamanthys so jemanden ergriffen hat, so weiß er weiter gar nichts von ihm, weder wer noch aus welchem Geschlecht er ist, sondern nur, dass er böse ist. Und sowie er dies gesehen hat, schickt er ihn nach dem Tartaros und gibt an, ob er ihn für heilbar oder ob er ihn für unheilbar hält, worauf dann jener nach seiner Ankunft das Gebührende leiden muss. Erblickt er aber bisweilen eine andere Seele, die würdig und mit Wahrheit gelebt hat, eines für sich lebenden Mannes oder sonst eines, der das Seinige getan hat, [...] so freut er sich und sendet sie zu den Inseln der Seligen.
  • Platon: Phaidon (Phaedo) 62ab

    Die Bindung an die Götter als Argument gegen die Selbsttötung
    Und für die es nun besser wäre zu sterben, da kommt es Dir vielleicht erstaunlich vor, dass es für diese Menschen nicht recht sein sollte, sich selbst wohlzutun, sondern sie einen anderen Wohltäter erwarten sollen. [...] Aber es hat doch wieder einigen Grund. Denn was darüber in den Geheimnissen [der Pythagoreer oder der Orphiker] gesagt wird, dass wir Menschen in einer Art Gefängnis sind und man sich aus dieser nicht selbst losmachen und davonlaufen dürfe, das erscheint mir doch als eine gewichtige Rede und gar nicht leicht zu durchschauen. Wie denn auch folgendes, o Kebes, mir ganz richtig gesprochen zu sein scheint, dass die Götter unsere Hüter und wir Menschen eines der Besitztümer der Götter sind.
  • Platon: Die Gesetze (Platon) (Nomoi) IX, 873cd

    Die Strafe für den Selbsttöter in Platons Nomoi
    Was soll aber einer erleiden, welcher den tötet, der ihm von allen der vertrauteste und, wie man sagt, der Liebste ist? Ich meine den, der sich selbst tötet und gewaltsam das ihm vom Schicksal bestimmte Lebenslos verkürzt, ohne dass es der Staat durch einen Richterspruch angeordnet hat und ohne dass er durch ein über die Maßen qualvolles unentrinnbares Unglück, das ihn ereilte, dazu gezwungen ist und auch ohne dass er von einer ausweglosen und unentrinnbaren Schmach bedrückt wird, die ihm das Leben verleidet, sondern der aus Schlaffheit und unmännlicher Feigheit an sich selbst ein ungerechtes Gericht vollzieht.
  • Aristoteles: Nikomachische Ethik (Ethica Nicomachea) I 10, 1100a 5-8

    Aristoteles über das Schicksal als Grenze des tugendhaften Glücks
    Es gibt ja viele Veränderungen im Leben und viele Zufälle, und der am meisten Glückselige kann im Alter in großes Unglück geraten, wie die trojanischen Sagen von Priamos erzählen. Wer aber ein solches Schicksal hat und elend stirbt, den wird niemand glücklich nennen.
  • Aristoteles: Nikomachische Ethik (Ethica Nicomachea) I 11, 1100a 10-13

    Aristoteles stellt die Frage, ob wir jemandem vor dem Tod glücklich nennen dürfen
    Dürfen wir also auch sonst keinen Menschen glückselig nennen, solange er lebt, müssen wir vielmehr nach Solons Auffassung auf das Ende sehen? Aber auch wenn man diesen Satz annehmen muss, ist jemand dann auch wirklich glücklich, wenn er tot ist?
  • Aristoteles: Nikomachische Ethik (Ethica Nicomachea) I 11, 1101a 14-2

    Aristoteles schlägt eine Auflösung des Dilemmas vor
    Warum soll man also nicht sagen, dass derjenige glücklich ist, der im Sinne einer Tugend, die ein abschließendes Ziel ist, aktiv ist und mit äußeren Gütern hinreichend ausgestattet ist, und zwar nicht nur über irgendeine Zeitspanne hinweg, sondern während eines ganzen Lebens? Oder müssen wir hinzufügen: wer so leben und der Rede entsprechend sterben wird? Denn die Zukunft ist uns ja nicht sichtbar, aber die Glückseligkeit halten wir schlechthin und in jeder Hinsicht für etwas, das ein Ziel, d.h. ein abschließendes, ist. Wenn das zutrifft, werden wir diejenigen unter den Lebenden selig nennen können, die die erwähnten Dinge haben und künftig haben werden, selig aber als Menschen.
  • Aristoteles: Über die Seele (De anima) II 1, 412a 11-b 9

    Aristoteles’ umrisshafte Definition von Seele
    [1] Substanzen scheinen in erster Linie die Körper zu sein, und von diesen die natürlichen. […] Von den natürlichen haben manche Leben, manche aber nicht. Leben nennen wir Ernährung, Wachstum und Schrumpfen durch sich selbst. Folglich ist jeder natürliche Körper, der am Leben Anteil hat, eine Substanz […] als zusammengesetzte. Weil auch das so Beschaffene ein Körper ist, nämlich einer, der Leben hat, ist die Seele folglich kein Körper. […]
    [2] Die [Seele als] Substanz ist aber Entelechie […] für einen so beschaffenen Körper. Diese wird aber auf zweierlei Weise ausgesagt, zum einen so wie ein Wissen, zum anderen so wie ein Betrachten. Nun ist klar, dass sie wie ein Wissen [so ist]. Denn dadurch, dass die Seele vorhanden ist, gibt es Schlaf und Wachsein. Das Wachsein verhält sich aber analog zum Betrachten, der Schlaf zum Haben und nicht Aktiv-Sein. […] Wenn man nun etwas Gemeinsames über jede Seele sagen muss, ist sie gewisse eine erste Entelechie eines natürlichen organischen Körpers.
    [3] Wenn man nun etwas Gemeinsames von jeder Seele sagen soll, so ist sie wohl die erste Vollendung eines natürlichen, organischen Körpers. Daher darf man auch nicht fragen, ob die Seele und der Körper eines sind, ebenso wenig wie bei dem Wachs und der Figur oder überhaupt der Materie von irgendetwas und dem, dessen Materie sie ist. Denn da das Eine und das Sein in mehrfacher Bedeutung ausgesagt werden, ist die Vollendung beides in entscheidender Bedeutung.
  • Aristoteles: Über die Seele (De anima) II 1, 413a 3-10

    Aristoteles fragt sich nach der Abtrennbarkeit der Seele
    Dass aber die Seele nicht abtrennbar vom Körper ist, oder zumindest gewisse Teile von ihr, wenn sie von Natur aus Teile hat, erweist sich deutlich. [...] Indes bei einigen Teilen spricht nichts dagegen [, dass sie abtrennbar sind], weil sie von keinem Körper Entelechie sind. Ferner ist unklar, ob die Seele so Entelechie für den Körper ist wie der Schiffer für das Schiff. Dass die Seele also nicht abtrennbar vom Körper ist, oder Teile von ihr, wenn sie von Natur aus geteilt ist, ist nicht zweifelhaft. […] Allerdings hindert bei einigen [Teilen] nichts daran, weil sie keine Entelechien von irgendeinem Körper sind. Ferner ist zweifelhaft, ob die Seele so Entelechie des Körpers ist wie der Schiffer für das Schiff.
  • Aristoteles: Über die Seele (De anima) III 5, 430a 20-25

    Aristoteles erwägt die Unvergänglichkeit des Geistes
    Wissen ist dasselbe wie das Ding. Das Wissen in Möglichkeit aber ist bei einem Gegenstand der Zeit nach früher, im Ganzen aber [auch] nicht der Zeit. Er denkt ja zeitweise und denkt zeitweise nicht. Aber nur abgetrennt ist er das, was er ist, und nur dies ist unsterblich und ewig. Aber wir haben keine Erinnerung [daran], weil dies frei von Erleiden ist; der erleidensfähige Geist ist hingegen vergänglich, und ohne diesen denkt man nichts.
  • Eusebios von Kaisareia: Die Vorbereitung auf das Evangelium (Praeparatio Evangelica) 15, 14, 1; = LS 45G. 46G

    Eusebios zitert einen groben Überblick über die stoische Physik aus einem verlorenen Werk des Aristotetelikers Aristokles von Messene (1. Jh. n. Chr.)
    [1] Als das Urelement des Seienden sieht Zenon das Feuer an, ebenso wie Heraklit, als dessen Prinzipien die Materie und Gott, so wie Platon. Aber er sagt, dass sie beide Körper seien, sowohl das Wirkende als auch das der Wirkung Unterliegende, während Platon sagt, die erste bewirkende Ursache sei unkörperlich [...] Dann aber, zu gewissen vom Schicksal festgelegten Zeiten, verbrenne die gesamte Welt und werde dann wieder neu durchgeordnet.
    [2] Das erste Feuer sei nun wie ein Same, der die Gehalte und die Ursachen des Vergangenen, des Gegenwärtigen und des Zukünftigen enthalte. Deren Verbindung und Ordnung sei ein Schicksal, ein Wissen, eine Wahrheit und ein Gesetz für das Seiende, dem weder zu entlaufen noch zu entfliehen ist. Auf diese Weise werde alles im Kosmos mehr als gut verwaltet, so wie in der am besten geordneten Stadt.
  • Chrysipp von Soloi: Fragmente Long-Sedley 46E

    Chrysipp (3. Jh. v. Chr.) definiert den Tod
    Denn weil der Tod die Trennung der Seele vom Körper ist, die Seele des Kosmos sich aber nicht trennt, sondern fortlaufend wächst, bis sie ihre Materie aufgebraucht hat, kann man nicht sagen, dass der Kosmos stirbt.
  • Sextos Empirikos: Gegen die Mathematiker (Adversus mathematicos) VII, 234

    Die stoische Definition der Seele
    Die Stoiker sagen nämlich, man spreche auf zweierlei Weise von Seele, nämlich von dem, was die ganze Mischung zusammenhalte, und genauerhin vom Leitvermögen. Denn wenn wir sagen, der Mensch bestehe aus Seele und Körper, oder der Tod sei eine Trennung der Seele vom Körper, dann meinen wir eigentlich das Leitvermögen.
  • Epiktet : Encheiridion (Enchiridion) 5a

    Epiktet (2. Jh. n. Chr.) charakterisiert die Haltung des Stoikers zum Tod
    Nicht die Dinge verwirren die Menschen, sondern die Ansichten über die Dinge. Zum Beispiel ist der Tod nichts Erschreckendes, denn sonst wäre er auch Sokrates so erschienen. Aber die Ansicht über den Tod, dass er erschreckend ist, sie ist das Erschreckende. Wenn wir also gehindert, verwirrt oder betrübt werden, dann wollen wir nicht mehr jemand anderen beschuldigen, sondern uns selbst, das heißt unsere Ansichten.
  • Lukrez (Titus Lucretius Carus): Über die Natur der Dinge (De rerum natura) III, 425-439

    Lukrez
    Erstens: Da ich bewiesen habe, dass die Seele ein feines Gebilde aus winzigen Körperchen ist und aus viel kleineren primären Partikeln als die feuchte Flüssigkeit des Wassers oder Nebel oder Rauch – sie überragt diese nämlich weit an Beweglichkeit und lässt sich durch den Stoß einer viel feineren Ursache in Bewegung versetzen, da sie ja schon durch die Bilder von Rauch und Nebel in Bewegung gerät, wenn wir etwa in Schlaf versunken sehen, wie Altäre ihre Hitze zum Himmel empor ausatmen und Rauch aufsteigen lassen; denn das erscheint uns zweifellos als Bilder – nun also, wenn Krüge zerspringen und du die Flüssigkeit nach allen Seiten wegfließen und die Feuchtigkeit sich verbreiten siehst und wenn Nebel und Rauch sich in die Luft verflüchtigen, dann glaube, dass auch die Seele zerfließt und viel rascher untergeht und sich schneller in die Urkörper auflöst, sobald sie von den Gliedern des Menschen einmal getrennt ist und sich von ihnen entfernt.
  • Lukrez (Titus Lucretius Carus): Über die Natur der Dinge (De rerum natura) III 445-462

    Der römische Dichter Lukrez formuliert die epikureische Lehre vom Tod
    Zweitens beobachten wir, wie der Verstand zusammen mit dem Körper geboren wird, zusammen mit ihm wächst und zusammen mit ihm altert.
    [...]
    Wenn von dort ein Alter mit robuster Kraft erreicht ist, ist auch ihr Urteilsvermögen größer und hat die Kraft des Geistes zugenommen. [...] Später, wenn der Körper bereits von den starken Kräften des Alters gebrochen ist und bei ermüdeten Kräften die Glieder zusammensinken, dann lahmt die Einsicht, faselt die Zunge, der Verstand; alles lässt uns im Stich und fehlt uns zur selben Zeit. Also ist es auch angemessen, dass die gesamte Natur der Seele sich wie Rauch in die Höhen der Luft auflöst. [...] Es kommt hinzu: Wir sehen, dass ebenso, wie der Körper selbst schreckliche Krankheiten und starke Schmerzen in sich aufnimmt, so auch der Geist schlimme Sorgen, Trauer und Furcht erlebt; dass er auch am Untergang teilhat, ist angemessen.
  • Epikur: Brief an Menoikeus (Epistula ad Menoecum) 127-132 = LS 21B

    Epikurs Theorie der Unterscheidung verschiedener Freuden
    (1) Von den Begierden sind die einen natürlich, die anderen leer. Und von den natürlichen sind die einen notwendig, die anderen nur natürlich. Von den notwendigen wiederum sind die einen notwendig zum Glück, andere notwendig zur störungsfreien Funktion des Körpers und die dritten notwendig zum Leben selbst.
    (2) Denn eine unbeirrte Betrachtung hiervon weiß jedes Wählen und Meiden auf die Gesundheit des Körpers und die Freiheit der Seele von Verwirrung zurückzubeziehen. [...] Um dessentwillen nämlich tun wir alles, damit wir weder Schmerzen erleiden noch Verwirrung empfinden.
    (3) Eben deswegen [...] erkennen wir die Freude als das erste und verwandte Gut [...], und wir kehren zu ihr zurück, indem wir jedes Gut anhand der Empfindung als Richtmaß beurteilen.
    (4) Aber wir übergehen gelegentlich viele Freuden, wenn aus ihnen mehr Unangenehmes für uns folgt; auch halten wir viele Schmerzen für besser als Freuden, wenn daraus für uns eine größere Freude folgt. [...]
    (5) Wenn wir also sagen, die Freude sei das Ziel, meinen wir damit nicht die Lüste der Hemmungslosen und jene, die im Genuss bestehen [...], sondern: weder Schmerz im Körper noch Erschütterung in der Seele zu empfinden. Denn nicht Trinken und Gelage [...] bringen das freudvolle Leben hervor,
    (6) sondern die nüchterne Überlegung, welche sowohl die Ursachen jeden Wählens und Meinens aufspürt als auch die Meinungen ausmerzt, aufgrund derer die Seelen besonders große Verwirrung befällt. Der Anfang für all dies und das größte Gute ist die Klugheit [...], aus der alle übrigen Tugenden hervorgehen.
  • Cicero: Das höchste Gut und das höchste Übel (De finibus bonorum et malorum) I 37

    Eine epikureische Definition der Freude bzw. Lust
    Jetzt werde ich erklären, was und wie beschaffen die Freude in sich ist. [...] Die Freude, der wir nachgehen, ist nämlich nicht bloß die, die durch irgendeine Annehmlichkeit unsere Natur bewegt und deren sinnliche Wahrnehmung von einem gewissen Wohlbefinden begleitet ist. Als die größte Freude sehen wir vielmehr diejenige an, die wahrgenommen wird, wenn einmal aller Schmerz verschwunden ist. Da wir nämlich, wenn wir von Schmerz befreit werden, uns eben über die Befreiung und das Lossein von von aller Beschwernis freuen und da alles, worüber wir uns freuen, Freude ist – ebenso wie alles das Schmerz ist, was uns wehtut – deswegen wird zu Recht jede Befreiung von Schmerz als Freude bezeichnet.
  • Lukrez (Titus Lucretius Carus): Über die Natur der Dinge (De rerum natura) I 62-79

    Lukrez referiert Epikurs Umgang mit der Religion
    Als das Leben der Menschen darnieder schmählich auf Erden
    lag, zusammengeduckt unter lastender Angst vor den Göttern,
    welche das Haupt aus des Himmels Gevierten prahlerisch streckte
    droben mit schauriger Fratze herab den Sterblichen dräuend,
    erst hat ein Grieche gewagt, die sterblichen Augen dagegen
    aufzuheben und aufzutreten als erster dagegen;
    den nicht das Raunen von Göttern noch Blitze bezwangen noch drohend
    donnernd der Himmel; nein, nur umso mehr noch den scharfen
    Mut seines Geistes reizte, dass aufzubrechen die dichten
    Riegel zum Tor der Natur als erster er glühend begehrte.
    Also siegte die Kraft des lebendigen Geistes, und weiter
    schritt er hinaus die flammumlohten Mauern des Weltballs,
    und das unendliche All durchstreift’ er männlichen Sinnes;
    bringt als Sieger darum zurück von dort die Erkenntnis,
    was zu entstehen vermag und was nicht, und wie einem jeden
    schließlich die Macht ist beschränkt und im Grunde verhaftet der Grenzstein.
    Drum liegt die Furcht vor den Göttern unter dem Fuß und zur Rache
    wird sie zerstampft, uns hebt der Sieg empor bis zum Himmel.
  • Lukrez (Titus Lucretius Carus): Über die Natur der Dinge (De rerum natura) I 110-117. 131

    Lukrez
    Jetzt ist nirgends ein Grund zu trotzen, nirgends Vermögen,
    da man ewige Strafen im Tod ja zu fürchten gezwungen.
    Weiß man doch nicht, wie beschaffen es ist, das Wesen der Seele,
    ob sie geboren ist oder im Gegenteil schlüpft in Gebornes
    und ob zugleich mit uns sie stirbt, im Tode zerfallen,
    oder des Orkus Dunkel aufsucht und mächtige Höhlen
    oder auf göttliche Art in andere Tiere sich einstiehlt,
    wie unser Ennius sang [...]
    muss man sehen, woraus des Lebens besteht und der Seele Wesen.
  • Titus Livius: Römische Geschichte (Von der Gründung der Stadt an – 142 Bücher) (Ab urbe condita libri CXLII) I 58

    Der römische Historiker Livius schildert die Reaktion der Lucretia auf ihre Vergewaltigung als ein Vorbild römischer Tugend
    Als (der Vergewaltiger) sah, dass sie hart blieb und sich nicht einmal durch die Gefahr des Todes beugen ließ, fügte er zur Furcht die Schande hinzu: Neben ihren Leichnam werde er einen nackten ermordeten Sklaven legen, damit man sage, sie sei in schändlichem Ehebruch getötet worden. Als die Begierde mit diesem Schrecken die standhafte Keuschheit besiegt hatte [...], sagte sie ihrem Gatten auf die Frage ,Geht es Dir gut‘: ,Überhaupt nicht. Was ist gut an einer Frau, wenn sie die Keuschheit verloren hat? [...] Aber ansonsten ist nur der Körper verletzt, der Geist unschuldig. Das wird der Tod bezeugen. Aber versprecht mir mit Eurer Rechten, dass der Ehebrecher nicht straffrei ausgehen wird. [...] Ihr werdet sehen, was er verdient hat; ich befreie mich nicht von der Strafe, auch wenn ich frei von Schuld bin. Keine unkeusche Frau soll fürderhin nach dem Beispiel der Lucretia leben‘. Sie richtete das Messer, das sie unter dem Gewand verborgen hatte, auf das Herz und fiel, um zu sterben, vornübergebeugt in die Verwundung.
  • Valerius Maximus: Denkwürdigkeiten (Neun Bücher erinnernswerter Taten und Aussprüche) (Memorabilia) V 8, 5

    Eine Erzählung des römischen Geschichtenerzählers Valerius Maximus
    Er berichtet, dass ein Vater, als er seinen Sohn traf, der sich der Rebellion Catilinas angeschlossen hat: „ihn mitten auf dem Wege anhält und mit dem Tode bestraft, nachdem er zuvor gesagt hatte, er habe ihn nicht für Catilina gegen das Vaterland, sondern für das Vaterland gegen Catilina gezeugt."
  • Plutarch von Chaironeia: Leben des Cato Uticensis (Cato minor) 70-72, gekürzt

    Der Historiker und Philosoph Plutarch von Chaironeia berichtet über den Tod des jüngeren Cato, nachdem der Sieg seines Gegners Caesar unausweischlich schien
    Nachdem Cato das Essen aufgelöst hatte [...] und ins Haus gegangen war [...], nahm er von den Dialogen Platons denjenigen über die Seele in die Hand [= den Phaidon]. Als er den größten Teil des Buches durchgelesen hatte, blickte er nach oben. Sobald er dort sein Schwert nicht hängen sah (während er noch aß, hatte es nämlich sein Sohn heimlich fortgenommen) [...], fragte er, wer dieses Werkzeug weggenommen hatte [...], solange bis sein weinender Sohn mit den Freunden hereinkam und, nach vorne gefallen, klagte und bettelte. [...] Aber unter Tränen gingen sie fort, und das Schwert wurde hereingebracht. [...] Als Cato sah, dass seine Spitze fest und seine Schneide scharf war, sagte er "nun gehöre ich mir selbst", legte das Schwert beiseite, las das Buch weiter und las es, wie man sagt, zweimal ganz durch. Nachdem er dann tief geschlafen hatte [...], stieß er sich das Schwert unter die Brust [...]. Aber in einem unglücklichen Sterben fiel er aus dem Bett heraus und machte Lärm. [...] Als Cato sich wieder erholte und zu sich kam, stieß er den Arzt zur Seite, riss sich mit den Händen die Gedärme heraus, öffnete die Wunde weiter und starb. [...] Als Caesar von seinem Tod erfuhr, soll er gesagt haben: "Oh Cato, ich missgönne Dir deinen Tod. Denn auch du hättest mir Deine Rettung missgönnt."
  • Cicero: Das höchste Gut und das höchste Übel (De finibus bonorum et malorum) I 1,1-1,2; 10,4; 11,1-11,2

    Cicero über die Vorzüge des Philosophierens in Anbetracht der kritischen Haltung vieler Römer
    Ich wusste durchaus, Brutus, als wir das, was die Philosophen mit höchsten Talenten und einer ausgezeichneten Lehre auf Griechisch behandelten, auf Latein niederschrieben, dass diese unsere Arbeit sich verschiedenen Tadel zuziehen werde. Denn einigen [...] missfällt dies im Ganzen, zu philosophieren. [...] Weil ich nun meiner Meinung nach die Schutzfunktion, in die ich vom römischen Volk eingesetzt wurde, in äußeren Werken, Arbeiten und Gefahren nicht verlassen habe, muss ich gewiss, soweit ich kann, auch daran arbeiten, dass durch mein Werk, meinen Fleiß und meine Arbeit meine Mitbürger gelehrter sind. [...] Und doch wird der, der sich angewöhnt zu lesen, was wir über die Philosophie niederschreiben, zu dem Urteil kommen, dass diesem nichts zur Lektüre vorzuziehen ist. Was muss man nämlich im Leben so sehr erstreben als überhaupt alles in der Philosophie, ganz besonders aber das, was im vorliegenden Werk gesucht wird: Was ist das Ziel, was das Äußerste, was das Letzte, auf das alle Ratschläge zum guten Leben und zum richtigen Handeln zu beziehen sind?
  • Cicero: Gespräche in Tuskulum (Tusculanae disputationes ) I 9

    Cicero fasst das Denken derer zusammen, die den Tod fürchten, um sie dann zu widerlegen
    Ich glaube, dass der Tod ein Übel ist. – Für die, die tot sind, oder für die, die sterben müssen? – Für beide. – Also ist er etwas Elendes, weil er ein Übel ist. – Gewiss. – Also sind sowohl die elend, denen es schon zustieß zu sterben, als auch die, denen es noch zustoßen wird. – Das glaube ich. – Also ist niemand nicht elend. – Ganz und gar niemand.
  • Cicero: Gespräche in Tuskulum (Tusculanae disputationes ) I 15f

    Das Ziel von Ciceros Argument
    Da du mich gezwungen hast zuzugestehen, dass die, die tot sind, nicht elend sind, überzeuge mich davon, wenn du kannst, nicht einmal mehr den, der sterben muss, für elend zu halten. – Dies ist gewiss keine große Sache, aber ich setze zu Größerem an. – Wie soll das keine große Sache sein? Und was ist zudem dieses Größere? – Deswegen weil, da es ja nach dem Tod kein Übel gibt, nicht einmal der Tod selbst ein Übel ist. [...] So ist es auch gewiss kein Übel, sterben zu müssen; das heißt nämlich, zu etwas gelangen zu müssen, von dem wir zugestehen, dass es kein Übel ist. – [...] Aber was ist das, wovon du sagst, dass du zu Größerem ansetzt? – Zu lehren, wenn ich kann, dass der Tod nicht nur kein Übel ist, sondern sogar ein Gut ist.
  • Cicero: Gespräche in Tuskulum (Tusculanae disputationes ) I 24

    Der Schluss von Ciceros Diskussion darüber, ob der Tod ein Übel ist
    Nach all diesen Meinungen kann nichts nach dem Tod irgendjemanden berühren. Denn zugleich mit dem Leben geht die Empfindung verloren; für jemanden, der nichts empfindet, ist aber nichts von irgendeiner Richtung von Bedeutung. Die Meinungen der übrigen bringen Hoffnung, wenn es dich eventuell erfreut, dass Seelen, nachdem sie die Körper verlassen haben, in den Himmel gleichsam als ihre Heimat gelangen können.
  • Cicero: Gespräche in Tuskulum (Tusculanae disputationes ) I 88

    Cicero erklärt, warum Tote nichts brauchen
    Dies ist genau zu prüfen, was es heißt ,zu brauchen‘, damit keinerlei Irrtum in dem Wort zurückbleibt. ,Brauchen‘ heißt also dies: das nicht besitzen, was du haben willst. [...] Auf andere Weise wird nämlich auch ,brauchen‘ gesagt, wenn du etwas nicht hast und merkst, dass du es nicht hast. [...]. (So) wird ,brauchen‘ im Tod nicht gesagt, und dies wäre daher nicht traurig. ,Etwas Gutes zu brauchen‘ wird von dem gesagt, was ein Übel ist. Aber nicht einmal ein Lebender braucht etwas Gutes, wenn er es nicht benötigt. Aber bei einem Lebenden kann man doch meinen, dass du Königsherrschaft brauchst [...], aber bei einem Toten kann man das nicht einmal meinen. Denn zu brauchen ist eine Sache von jemandem, der empfindet; aber Empfindung gibt es beim Toten nicht. Also gibt es beim Toten auch kein Brauchen.
  • Cicero: Cato der Ältere über das Alter (Cato maior de senectute) 66f

    Cicero über die Haltung eines alten Menschen gegenüber dem Tod
    Wie erbärmlich ist ein Greis, der in einem so langen Leben nicht erkannt hat, dass der Tod zu verachten ist! [...] Wer ist so dumm, selbst wenn er jung ist, dass es für ihn ausgemacht ist, dass er bis zum Abend leben wird? Dieses Alter hat doch vielmehr deutlich mehr Todesfälle als unseres: junge Leute werden leichter krank, ihre Krankheiten verlaufen schwerer, sie werden mit mehr Mühe geheilt; daher erreichen nur wenige das Greisenalter. [...] - Aber ein junger Mensch hofft doch, er werde lange leben, was ein Greis nicht ebenso hoffen kann. – Er hofft ohne Verstand. Denn was ist dümmer als, Ungewisses für gewiss zu halten, Falsches für Wahres? – Aber auch der Greis hat durchaus nicht, was er hofft. – Aber seine Lage ist insofern besser als die des jungen, als er das, was jener erhofft, bereits erlangt hat: der eine will lange leben, der andere hat lange gelebt.
  • Cicero: Der Staat (Cicero) (De re publica) VI 13f

    Cicero über die Hoffnung des Staatsmanns nach dem Tod (Sprecher ist der im Traum erschienen ältere Scipio Africanus, Adressat sein Sohn, der jüngere Scipio Africanus)
    Aber, Africanus, damit du umso eifriger darauf achtest, den Staat zu beschützen, halte dir folgendes vor Augen: Allen, die ihr Vaterland schützten, es unterstützten und vergrößerten, ist im Himmel ein Ort bestimmt, wo die Seligen die unendliche Ewigkeit genießen; nichts nämlich von dem, was auf Erden geschieht, ist dem obersten Gott angenehmer als die dem Recht gemäß erfolgten Versammlungen und Zusammenschlüsse von Menschen, die Staaten (civitates) genannt werden; deren Lenker und Erhalter, die von hier aufgebrochen sind, kehren hierhin zurück. [...] Es leben diejenigen, die aus den Fesseln der Körper wie aus einem Kerker herausgeflogen sind; hingegen ist euer sogenanntes Leben Tod.
  • Cicero: Der Staat (Cicero) (De re publica) VI 20. 25

    Cicero über die Bedeutungslosigkeit irdischen Ruhms
    Denn welche Berühmtheit in der Rede der Menschen oder welchen Erwerb von Ruhm kannst du erreichen? Du siehst: Auf der Erde wohnt man an spärlichen und engen Orten, und in diese gleichsam Flecken, an denen gewohnt wird, sind gewaltige Einsamkeiten eingestreut. [...] Wenn du daher an der Rückkehr an diesen Ort zweifelst, in der es für große und hervorragende Männer alles gibt, wieviel ist letztlich dieser Ruhm bei den Menschen wert, der sich kaum auf die knappe Zeitspanne eines einzigen Jahres erstrecken kann? Wenn du daher nach oben blicken sowie diesen Sitz und die ewige Wohnstatt betrachten solltest, dann hast du dich weder den Reden der Masse hingegeben noch die Hoffnung in deinen Angelegenheiten auf menschliche Löhne gesetzt.
  • Seneca: Brief an Lucilius (Epistula ad Lucilium ) 70, 6

    Seneca über das Verhältnis des Menschen zum Tod und seine Maxime über das Sterben
    Schneller oder langsamer zu sterben tut nichts zur Sache; gut oder schlecht zu sterben, das tut etwas zur Sache. Gut zu sterben heißt aber, die Gefahr, schlecht zu leben, zu fliehen.
  • Seneca: Die Kürze des Lebens (De brevitate vitae) 1, 1-4

    Seneca plädiert für eine rechte Verwendung der Lebenszeit
    Der größte Teil der Sterblichen, Paulinus, beklagt sich über die Schlechtigkeit der Natur, dass wir für eine kurze Dauer geboren werden, dass die Räume der uns gegebenen Zeit so schnell, so rasch fortlaufen, und zwar soweit, dass, mit Ausnahme von wenigen, das Leben die übrigen bei der Ausrüstung des Lebens selbst zurücklässt. [...] Wir haben keine kurze Zeit, sondern wir verlieren viel davon. Das Leben ist lang genug [...], wenn denn das ganze richtig angelegt würde. [...] Wir haben kein kurzes Leben empfangen, sondern wir machen es so, wir haben keinen Mangel daran, sondern verschwenden es. So wie reiche und königliche Geldmittel da, wo sie an einen schlechten Herrn gelangt sind, in einem Augenblick verstreut werden, während vergleichsweise geringen, wenn sie einem guten Wächter anvertraut sind, durch Gebrauch wachsen, so gefällt unser Lebensalter demjenigen sehr, der es gut verwaltet.
  • Seneca: Die Kürze des Lebens (De brevitate vitae) 20, 5

    Seneca klagt über einen falschen Umgang mit dem Tod
    Inzwischen, während sie beraubt werden und berauben, während einer die Ruhe des anderen stört, während sie füreinander elend sind, ist ihr Leben ohne Frucht, ohne Lust, ohne jeglichen Fortschritt des Geistes: Niemand hat den Tod im Blick, niemand ist ohne Pläne, die alle Hoffnungen überschreiten, ja einige verwalten sogar das, was jenseits des Lebens liegt, große, aufwändige Gräber, Widmungen öffentlicher Gebäude, Festspiele für den Scheiterhaufen, prachtvolle Leichenfeiern. Aber, beim Herkules, ihre Leichenzüge müssen bei Fackeln und Kerzen geführt werden, so als hätten sie ganz kurz gelebt [Fackeln und Kerzen kamen bei Begräbnissen von Kindern zur Anwendung].
  • Seneca: Brief an Lucilius (Epistula ad Lucilium ) 82, 9. 19f

    Seneca über eine falsche philosophische Weise, den Tod zu behandeln
    Unser Zenon gebraucht folgenden Schluss: "Kein Übel ist rühmlich. Der Tod ist aber rühmlich. Also ist der Tod kein Übel." Geschafft! Ich bin frei von Furcht. Hiernach werde ich nicht zögern, meinen Nacken [der Axt] entgegenzustrecken. [...] Ich persönlich führe so etwas nicht auf ein Gesetz der Dialektik zurück. [...] Diese ganze Art und Weise ist, denke ich, auszutreiben, durch die jemand, der gefragt wird, sich selbst zu umschreiben meint und, wenn es zum Bekenntnis kommt, eine Sache antwortet, eine andere denkt. Für die Wahrheit muss man einfacher vorgehen, gegen die Furcht tapferer. [...] Ich möchte lieber [...] überzeugen als auferlegen. Wenn jemand für Frauen und Kinder ein Heer zur Schlacht herausführen will, wie soll er dann ermahnt werden, den Tod zu erleiden?
  • Seneca: Brief an Lucilius (Epistula ad Lucilium ) 82, 9. 21

    Seneca führt die Spartaner in den Thermopylen als Beispiel für ein rechtes Sterben an
    Ich zeige dir die Spartaner, die im Engpass der Thermopylen standen: Weder erhoffen sie den Sieg noch die Rückkehr [...]. Wie ermahnst Du sie, so dass sie den Niedergang des ganzen Volkes aufnehmen, indem sie ihre Körper entgegenstellen, und eher aus dem Leben als von ihrer Position weichen? Sagst Du "was schlecht ist, ist nicht rühmlich; der Tod ist rühmlich; also ist der Tod nicht schlecht"? [...] Aber Leonidas [...] sagte: "Frühstückt so, Mitkämpfer, wie wenn ihr in der Unterwelt zu Abend esst."
  • Seneca: Brief an Lucilius (Epistula ad Lucilium ) 70, 4f

    Seneca empfiehlt für den Weisen die Erwägung, sich selbst das Leben zu nehmen
    Der Weise wird leben, solange er muss, nicht solange er kann. Er wird sehen, wo er leben wird, mit wem, wie, was er tun wird. Er bedenkt immer, wie sein Leben, nicht wie lange es ist. Wenn viel Beschwerliches, die Ruhe Störendes geschieht, entfernt er sich selbst. Und er macht dies nicht nur unter äußerstem Zwang, sondern sobald das Schicksal beginnt, ihm verdächtig zu sein, zieht er sorgfältig in Betracht, ob nicht von hier zu scheiden sei.
  • Seneca: Brief an Lucilius (Epistula ad Lucilium ) 70, 11

    Seneca betont, dass es sich nur um einen konkreten Entschluss handeln kann
    Du wirst daher nicht ganz allgemein feststellen können, ob der Tod, wenn ihn eine äußere Gewalt befiehlt, zu ergreifen oder zu erwarten ist. Denn es gibt Vieles, was in jede Richtung ziehen kann. [...] So wie ich ein Schiff wähle, wenn ich segeln will, und ein Haus, wenn ich [irgendwo] wohnen will, so auch einen Tod, wenn ich aus dem Leben scheiden will.
  • Seneca: Brief an Lucilius (Epistula ad Lucilium ) 70, 14f

    Die Freiwilligkeit des Todes als Zeichen der Freiheit nach Seneca
    Du wirst auch Bekenner der Weisheit finden, die bestreiten, dass man seinem eigenen Leben Gewalt antun darf, und es für schändlich erachten, zum Töter seiner selbst zu werden: Der Tod sei zu erwarten, den die Natur beschlossen habe. Wer das sagt, sieht nicht, dass er den Weg der Freiheit verschließt: Nichts hat das ewige Gesetz besser gemacht als uns einen Eingang ins Leben zu geben, aber viele Ausgänge. [...] Dies ist das Einzige, warum wir uns über das Leben nicht beschweren können: Es hält niemanden zurück.
  • Tacitus (Publius Cornelius Tacitus) : Annalen (Annales ) XV 60-61

    Der römische Historiker Tacitus berichtet über Senecas Tod auf Befehl Kaiser Neros
    Es folgte die Ermordung von Annaeus Seneca, dem Kaiser besonders willkommen, nicht etwa, weil er von dessen unleugbarer Beteiligung an der Verschwörung erfahren hätte, sondern er wollte mit dem Schwert wüten, wo das Gift keinen Erfolg hatte. [...] Er fragte [den Bericht erstattenden Tribunen], ob Seneca einen freiwilligen Tod vorbereite. Da bestätigte der Tribun, dass er keine Zeichen von Furcht, keinerlei Betrübnis in seinen Worten oder seiner Haltung erkennen konnte. Also wurde ihm befohlen zurückzukehren und den Tod anzuordnen.
  • Paulus von Tarsus (Apostel): Römerbrief (Pauli epistula ad Romanos) 1, 19-22

    Paulus von Tarsus über die natürliche Kenntnis Gottes bei jedem Menschen
    Denn was man von Gott erkennen kann, ist unter ihnen offenbar. Denn Gott hat es ihnen offenbart. Denn was an ihm unsichtbar ist, wird seit der Schöpfung durch seine Werke als Gedachtes [Luther: „wenn man sie wahrnimmt“; Einheitsübersetzung: „mit Vernunft“] erblickt, seine ewige Kraft und Gottheit, so dass sie unentschuldbar sind, weil sie Gott, obwohl sie ihn erkannten, nicht als Gott lobten. [...] Während sie behaupteten, weise zu sein, wurden sie zu Toren.
  • Justin der Märtyrer: Dialog mit Tryphon (Dialogus cum Tryphone) 8, 1

    Der christliche Philosoph Justin der Märtyrer (ca. 100-165) beschreibt seine Erfahrung der Verbindung von wahrer Erkenntnis und Liebe zur Weisheit und berichtet über seine Bekehrung zum Christentum
    Da entzündete sich mir auf einmal ein Feuer in meiner Seele, und mich ergriff Liebe zu den Propheten und zu den Leuten, die Christus’ Freunde sind. Als ich seine Argumente mit mir selbst diskutierte, fand ich, dass nur diese Philosophie zuverlässig und von Nutzen ist. So bin ich nun auch dadurch Philosoph.
  • Laktanz: Die göttlichen Einrichtungen (Institutiones divinae) IV, 3, 4. 7

    Der römische Apologet Lactantius (ca. 250-320) plädiert für die Einheit von Religion und Philosophie
    Weil Philosophie und Kult der Götter getrennt und weitab geschieden sind, weil andere Leute Bekenner der Weisheit sind, durch welche man keinen Zugang zu den Göttern gewinnt, andere Vorsteher des Kultes, durch die man nicht weise zu sein lernt, ist klar, dass weder die eine eine wahre Weisheit noch der andere ein wahrer Kult ist. [...] Wo also wird die Weisheit mit dem Kult verbunden? Genau dort, wo ein einziger Gott verehrt wird, wo das Leben und jede Handlung auf ein Haupt und eine Summe bezogen werden, da sind schließlich die Lehrer der Weisheit dieselben wie die Priester Gottes.
  • Bibel: Neues Testament: Evangelium nach Markus (Evangelium Marci) 14, 34-36

    Das Markusevangelium (um 60 n. Chr.) berichtet über Christi Ängste vor seinem Tod
    Und Jesus sprach zu ihnen [seinen Schülern Petrus, Johannes und Jakobus]: "Meine Seele ist betrübt bis an den Tod; bleibet hier und wachet!" Und er ging ein wenig weiter, warf sich auf die Erde und betete, dass, wenn es möglich wäre, die Stunde an ihm vorüberginge, und sprach: "Abba, Vater, alles ist dir möglich. Nimm diesen Kelch von mir! Aber nicht, was ich will, sondern was du willst." Und er kam und fand sie schlafend.
  • Bibel: Neues Testament: Evangelium nach Markus (Evangelium Marci) 15, 34-38

    Das Markusevangelium schildert den Tod Jesu Christi
    Und zu der neunten Stunde rief Jesus mit lauter Stimme: "Eli, Eli, lema sabachtani", das heißt übersetzt: "Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?" Und einige, die dabeistanden, sprachen, als sie das hörten: "Siehe, er ruft den Elija." Da lief einer, füllte einen Schwamm mit Essig, steckte ihn auf ein Rohr, gab ihm zu trinken und sprach: "Lasst uns doch sehen, ob Elija kommt und ihn herabnimmt." Aber Jesus schrie mit lauter Stimme auf und verschied.
  • Bibel: Neues Testament: Evangelium nach Johannes (euangelion kata Iōannēn) 20, 24-29

    Das Johannesevangelium (vermutlich ca. 90/100 n. Chr.) erzählt vom ,ungläubigen Thomas‘
    Thomas aber, der Zwilling genannt wird, einer der Zwölf, war nicht bei ihnen, als Jesus kam. Da sagten die anderen Schüler zu ihm: "Wir haben den Herrn gesehen." Er aber sprach zu ihnen: "Wenn ich nicht an seinen Händen die Male der Nägel sehe und wenn ich meinen Finger nicht in die Male der Nägel und meine Hand nicht in seine Seite lege, glaube ich das nicht." Und nach acht Tagen waren seine Schüler abermals drinnen versammelt, und Thomas war bei ihnen. Da kommt Jesus, als die Türen verschlossen waren, und stellt sich in die Mitte und sagte: "Friede sei mit euch." Danach spricht er zu Thomas: "Reiche deinen Finger her und sieh meine Hände und reiche deine Hand her und lege sie in meine Seite, und sei nicht ungläubig, sondern gläubig. Thomas antwortete und sprach zu ihm: "Mein Herr und mein Gott." Da spricht Jesus zu ihm: "Weil du mich gesehen hast, Thomas, glaubst du. Selig sind die, die nicht sehen und doch glauben."
  • Paulus von Tarsus (Apostel): 1. Korintherbrief 15, 35-43. 50-53

    Der Apostel Paulus beantwortet Fragen zur Auferstehung der Toten
    Es könnte aber jemand fragen: Wie werden die Toten aufgeweckt? Mit was für einem Körper kommen sie? Du Narr: Was du säst, wird nicht lebendig gemacht, wenn es nicht stirbt. Und wenn du etwas säst, dann säst du nicht den Körper, der werden soll, sondern ein bloßes Korn, sei es von Weizen oder etwas anderem. Gott aber gibt ihm einen Körper, wie er gewollt hat, einem jeden Samen einen eigenen Leib. Nicht alles Fleisch ist das gleiche Fleisch, sondern ein Fleisch haben die Menschen, ein anderes das Vieh, ein anderes die Vögel, ein anderes die Fische. Und es gibt himmlische Körper und irdische Körper; aber ein anderes Ansehen haben die himmlischen Körper, ein anderes die irdischen Körper. Ein anderes Ansehen hat die Sonne, ein anderes Ansehen hat der Mond, ein anderes Ansehen haben die Sterne. Denn ein Stern unterscheidet sich vom andern im Ansehen. So ist auch die Auferstehung der Toten. Es wird gesät in Vergänglichkeit, es wird auferweckt in Unvergänglichkeit. [...] Es wird gesät ein seelischer Leib, es wird auferweckt ein geistiger Leib.
  • Paulus von Tarsus (Apostel): 1. Korintherbrief 15, 51-53

    Der Apostel Paulus deutet in apokalyptischer Weise das Endgericht an
    Seht ich sage euch ein Geheimnis: Wir werden nicht alle entschlafen, wir werden aber alle verwandelt werden; plötzlich, in einem Augenblick, mit der letzten Posaune. Denn es wird die Posaune erschallen, und die Toten werden als unvergängliche auferweckt werden, und wir werden verwandelt werden. Denn dies Vergängliche muss sich die Unvergänglichkeit anziehen, und dies Sterbliche muss die Unsterblichkeit anziehen.
  • Bibel: Neues Testament: Offenbarung des Johannes (Apokalypse) (Apocalypsis Johannis Apostoli) 21, 1. 3-4

    Die Offenbarung des Johannes (Apokalypse) kündigt die neue Welt an
    Und ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde; denn der erste Himmel und die erste Erde sind vergangen, und das Meer ist nicht mehr. [...] Und ich hörte eine laute Stimme von dem Thron her, die sprach: Siehe da, das Zelt Gottes unter den Menschen! Und er wird bei ihnen wohnen, [...] und Gott selbst wird mit ihnen sein, [...] und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein; das Erste ist ja vergangen.
  • Cassius Dio, Lucius: Römische Geschichte (Historiae Romanae) 69, 8, 3

    Der Kaiser Hadrian (Kaiser 117-138) lässt, wie der Historiker Cassius Dio (gest. 235) berichtet, seinen Hofphilosophen sterben
    Im selben Jahr (119 n. Chr.) [...] starb der Philosoph Euphrates freiwillig, da ihm auch [Hadrian] erlaubte, wegen des Alters und der Krankheit Schierling zu trinken.
  • Flavius Philostratus: Leben des Apollonios von Tyana (Vita Apollonii) 7, 13f

    Flavius Philostratus (ca. 170-245) inszeniert eine philosophische Diskussion über das Sterben
    [1] Damis: Ich sage nun, man muss so für die Philosophie sterben wie für Heiligtümer und Mauern und Gräber, denn für die Rettung derartiger Dinge begrüßten es viele und berühmte Männer zu sterben; wenn aber die Philosophie zerstört wird, würde weder ich sterben noch irgendjemand, der sie [...] liebt. [...]
    [2] Apollonios von Tyana: Ein weiser Mann soll für die Dinge sterben, die Du genannt hast, aber auch ein nicht Weiser könnte hierfür sterben: Denn das Sterben für die Freiheit wird vom Gesetz angeordnet, dasjenige für die Verwandten und Freunde und Kinder hat die Natur festgelegt – Natur und Gesetz unterwerfen aber alle Menschen, die Natur die Freiwilligen, das Gesetz die Unfreiwilligen. Für die Weisen ist es aber typischer, für das zu sterben, um das sie sich bemühten.
    [3] Worum sie sich nämlich selbst, ohne dass ein Gesetz es befahl, ohne dass die Natur es anlegte, unter Kraft und Kühnheit kümmerten, für dieses soll, wenn es jemand löst, das Feuer auf den Weisen kommen, soll die Axt kommen, so dass ihn nichts davon besiegt, nichts zu irgendeiner Lüge herüberzieht, sondern er festhält, was er weiß, dass nichts besser ist, als worin er eingeweiht wurde.
  • Epiktet : Erörterungen (Dissertationes) IV, 7, 1-4. 6

    Der Stoiker Epiktet (ca. 50-138) gibt eine Anleitung zum philosophischen Sterben und spricht dies den Christen ab
    [1] Was macht den Tyrannen furchterregend? – Die Lanzenträger [...] und ihre Schwerter. [...] – Wenn nun jemand die Lanzenträger wahrnimmt sowie, dass sie Schwerter haben, jedoch genau deswegen auf ihn zugeht, weil er aus irgendeinem Grund sterben will [...], dann fürchtet er die Lanzenträger doch nicht? – Er will ja genau das, weswegen sie furchterregend sind. – Wenn nun jemand, der im Ganzen weder sterben noch leben will, sondern das, was ihm gegeben wird, auf ihn zugeht, was hindert ihn, ohne Furcht auf ihn zuzugehen? – Nichts. [...]
    [2] Auch durch Wahnsinn kann jemand so hierauf eingestellt sein, oder durch Gewöhnung, so wie die Galiläer [d.h. die Christen]. Denn niemand kann durch Vernunft und Beweis lernen, dass Gott alles in der Welt geschaffen hat, sowie die ganze Welt, ungehindert und in sich vollkommen.
  • Justin der Märtyrer: Zweite Apologie (apologia minor) 12, 1

    Justin (ca. 100-165) berichtet über seine Erfahrungen mit den christlichen Märtyrern
    Denn auch ich selbst, der ich mich an Platons Lehren erfreute, hörte, dass die Christen verleumdet werden, sah aber, dass sie gegenüber dem Tod und allem, was als schrecklich gilt, furchtlos waren – da begriff ich, dass es unmöglich ist, dass sie in Schlechtigkeit und Selbstliebe existieren.
  • Laktanz: Die göttlichen Einrichtungen (Institutiones divinae) V, 13, 12-15

    Laktanz vergleicht die christlichen Märtyrer mit den Philosophen
    Unsere Kinder und Frauen aber, um von den Männern zu schweigen, besiegen ihre Folterer durch Schweigen, und nicht einmal das Feuer kann ihnen ein Stöhnen entlocken. [...] Sieh: das schwache Geschlecht und das zarte Alter lässt sich am ganzen Körper zerfleischen und verbrennen, nicht aus Zwang – denn sie können es vermeiden, wenn sie wollen, sondern aus Willen, weil sie Gott vertrauen. Das ist die wahre Tugend, zu deren Lob sich auch die Philosophen nicht durch die Sache, sondern durch Lehre Worte rühmen, indem sie ausführen: Nichts passt so gut zur Würde und Standhaftigkeit eines weisen Mannes, als durch keinerlei Schrecken von seinem Urteil und Vorsatz abgebracht werden zu können [...], auf dass er nicht durch Todesfurcht oder heftigen Schmerz bezwungen etwas Ungerechtes tut.
  • Augustinus von Hippo: Der Gottesstaat (De civitate dei) 13, 4

    Augustinus (354-430), der wichtigste lateinische Kirchenvater, lobt die christlichen Märtyrer
    Durch die Kraft und den Kampf des Glaubens [...] ließ sich auch die Furcht vor dem Tod überwinden, was bei den heiligen Märtyrern hervorragend zutage trat. [...] Früher [d.h. vor der Erlösung durch Christus] wurde dem Menschen gesagt: "du wirst sterben, wenn du sündigst"; jetzt wird dem Märtyrer gesagt: "stirb, damit du nicht sündigst". Früher wurde gesagt: "wenn ihr das Gebot übertretet, dann werdet ihr im Tode sterben"; jetzt wird gesagt: "wenn ihr den Tod verweigert, dann übertretet ihr das Gebot". [...] So ging durch die unsagbare Barmherzigkeit Gottes selbst die Strafe für die Laster in die Waffen der Tugend ein.
  • Augustinus von Hippo: Der Gottesstaat (De civitate dei) I 22; 19, 4

    Augustinus lehnt das römische Ideal einer Selbsttötung aus Geistesgröße ab
    [1] Und alle die, die dies [den Tod] sich selbst zufügten, sind vielleicht für ihre Geistesgröße zu bewundern, aber jedenfalls nicht für die Gesundheit ihrer Weisheit zu loben. Wenn du die Vernunft sorgfältiger zu Rate ziehst, wird man dies freilich nicht einmal zu Recht Geistesgröße nennen können, wenn sich jeder, der entweder irgendwelche Härten oder fremde Sünden nicht ertragen kann, selbst umbringt. [...]
    [2] Wie soll das kein Übel sein, was das Gut der Tapferkeit besiegt [...], so dass diese dasselbe Leben zugleich glückselig nennt und davon überzeugt, es zu verlassen? [...] Hat, bitte, dieser Cato sich eher aus Geduld oder aus Ungeduld umgebracht? Das hätte er nämlich nicht getan, wenn er Caesars Sieg geduldig ertragen hätte. [...] Es liegt eine große Kraft in den Übeln, durch die der Sinn der Natur besiegt wird, durch den man den Tod auf jede Weise, mit allen Kräften und Bemühungen meidet, und zwar so besiegt wird, dass der, der gemieden wurde, gewünscht, erstrebt und [...] vom Menschen sich selbst zugefügt wird. Es liegt eine große Kraft in den Übeln, die die Tapferkeit zum Mörder machen.
  • Augustinus von Hippo: Der Gottesstaat (De civitate dei) 1, 19

    Augustinus, ein scharfer Kritiker der Selbsttötung, setzt sich mit dem Fall der Lucretia auseinander, die sich nach einer Vergewaltigung selbst tötete
    [1] ,Es klingt wundersam: [...] Da waren zwei, und nur einer ließ den Ehebruch zu‘. [...] Ich rufe Euch an, römische Gesetze und Richter. [...] Wenn [...] Euch [...] bewiesen würde, dass eine [...] keusche und unschuldige Frau getötet wurde, würdet ihr nicht den, der das getan hätte, mit angemessener Strenge bestrafen? Das hat diese Lucretia getan: sie, sie, die so hochgelobte Lucretia hat die unschuldige, die keusche, die vergewaltigte Lucretia getötet. [...]
    [2] Vielleicht deswegen [...], weil sie keine unschuldige, sondern eine mit schlechtem Gewissen tötete? Was ist denn, wenn sie – was sie allein wissen konnte – dem jungen Mann, der sie allerdings gewaltsam angriff, auch durch ihre eigene Begierde verführt zustimmte und dies, als Strafe gegen sich selbst, so sehr bereute, dass sie meinte, es müsse mit dem Tode gesühnt werden?
  • Augustinus von Hippo: Der Gottesstaat (De civitate dei) I 26

    Augustinus über die Freiheit des Gewissens gegenüber dem Worte Gottes
    a) Aber sie [die heidnischen Kritiker] sagen nun, zur Zeit der Verfolgung haben sich doch einige heilige Frauen, um die Verfolger ihrer Keuschheit zu vermeiden, in einen Fluss geworfen, der sie wegreißen und umbringen sollte und sind auf diese Weise gestorben. Ihre Martyrien werden nun in der katholischen Kirche regelmäßig mit großartiger Verehrung begangen.
    b) Über diese [heiligen Frauen] wage ich nicht, ein sicheres Urteil auszusprechen. [...] Denn was ist, wenn sie dies nicht aufgrund einer menschlichen Täuschung taten, sondern auf göttlichen Befehl hin, nicht irrend, sondern gehorchend? [...] Denn auch ein Soldat ist, wenn er im Gehorsam gegenüber einer staatlichen Gewalt, unter welche er legitimerweise gestellt ist, einen Menschen tötet, durch kein Gesetz seines Staates des Mordes schuldig, sondern ist vielmehr, wenn er es nicht getan hätte, schuldig des Verlassens und der Verachtung eines Befehls. Aber wenn er es aus eigenem Antrieb und eigener Urheberschaft getan hätte, dann unterfiele er dem Verbrechen des Vergießens menschlichen Blutes. [...]
    Aber wenn das bei dem Befehl eines Feldherrn so ist, um wie viel mehr bei einem Befehl des Schöpfers! Wer also hört, man dürfe sich nicht töten, soll dies doch tun, wenn der befohlen hat, dessen Befehle nicht missachtet werden dürfen. Er soll lediglich darauf achten, dass der göttliche Befehl durch keine Unsicherheit schwankt! Wir begegnen dem Gewissen durch das Ohr, das Urteil über das Verborgene maßen wir uns nicht an. "Niemand weiß, was im Menschen getant wird, außer der Geist des Menschen, der in ihm wohnt (1 Korinther 2, 11)."
  • Porphyrios von Tyros : Leben Plotins (Vita Plotini) § 10

    Porphyrios von Tyros (ca. 233-301/5), der Biograph Plotins, beschreibt dessen selbstbewusste Haltung gegenüber den Göttern
    Als [Plotins Kollege] Amelios opferfreudig geworden war, bei Neumond sowie an den Festen dort herumging und Plotin aufforderte, mit ihm teilzunehmen, sagte dieser: "Jene müssen zu mir kommen, nicht ich zu ihnen." Aus welcher Einsicht heraus er so große Reden führte, konnten wir weder verstehen, noch wagten wir danach zu fragen.
  • Porphyrios von Tyros : Leben Plotins (Vita Plotini) § 23

    Porphyrios schildert die Vereinigungen Plotins mit dem Einen, das hier “Gott” genannt wird
    Wenn er sich so durch dieses dämonische Licht besonders in den ersten und jenseitigen Gott mit den Gedanken einführte, auf den von Platon im Symposion gewiesenen Wegen, erschien ihm jener Gott, der weder eine Gestalt noch eine Idee hat, der oberhalb des Geistes und alles Gedachten sitzt. Ihm, sage ich, habe ich, Porphyrios, mich auch einmal angenähert und mit ihm vereint, im 68. Lebensjahr. [...] [Plotin] aber erreichte wohl viermal, während ich bei ihm war, dieses Ziel mit unsagbarer Aktivität.
  • Plotin: Enneade IV 8, 1, 1-11

    Plotin entwickelt eine Grundfrage seiner Philosophie aus der eigenen Erfahrung einer mystischen Vereinigung mit dem Einen und berichtet selbst die Distanz von seinem Körper
    a) Immer wieder wenn ich aus dem Leib aufwache in mich selbst, bin ich außerhalb des anderen, aber innerhalb von mir selbst, sehe eine wunderbar gewaltige Schönheit [...], verwirkliche höchstes Leben, bin in eins mit dem Göttlichen und auf seinem Fundament gegründet, denn ich bin gelangt zur höchsten Wirksamkeit und habe mich selbst gegründet über allem, was sonst geistig ist:
    b) Nach diesem Stillestehen im Göttlichen, wenn ich da aus dem Geist herniedersteige ins Überlegen – da frage ich mich: [...] Wie ist einst die Seele in mir in den Leib geraten, die doch das ist, was sie mir als ihr Sein an sich gezeigt hatte?
  • Plotin: Enneade I 1 [53], Titel

    Plotin stellt als erster ausdrücklich die Frage, was der Mensch ist
    Was das Lebewesen, d.h. was der Mensch ist
  • Plotin: Enneade V 1, 2, 1-9

    Die nötige Selbsterkenntnis der Seele nach Plotin
    Dies soll nun zuerst jede Seele bedenken, dass sie alle Lebewesen erschuf, indem sie ihnen Leben einhauchte: die, welche die Erde nährt, und die, welche das Meer, die in der Luft und die göttlichen Sterne am Himmel; sie [schuf] die Sonne, sie diesen gewaltigen Himmel, und sie schmückte sie, und sie leitet sie in Ordnung, das sie eine andere Natur ist als das, was sie schmückt und was sie bewegt und was sie leben lässt. Notwendigerweise ist sie auch edler als dies, da dies entsteht und vergeht, während die Seele das Leben verlässt und anführt, da sie stets sie selbst, "indem sie sich selbst nie verlässt".
  • Plotin: Enneade I 1 [53], 10, 4-7

    Bei Plotin ergibt sich ein komplexer Status des „Wir“, d.h. der Person, unter der Bedingung einer Trennung von Seele und Körper, wie sie schon Platon annahm
    Denn auch von dem, was der Körper erleidet, sagen wir, dass wir es erleiden. Das „Wir“ ist also etwas Zweifaches – entweder es wird das Lebewesen mit dazugerechnet, oder es ist nur das, was bereits über diesem steht. D.h. das Tier ist der mit Leben versehene Körper; der wahre Mensch ist dagegen etwas anderes.
  • Plotin: Enneade I 1 [53], 8, 1-10

    Plotin erklärt das Verhältnis der Seele zum Geist, wie das „Wir“ sich zum reinen, überindividuellen Geist – dem Ort der platonischen Ideen – verhält
    a) Und wie verhalten wir uns zum Geist? [...] Nun: Auch diesen haben wir, und zwar oberhalb von uns. Wir haben ihn aber entweder gemeinsam oder jeder für sich allein [...]: gemeinsam, weil er unteilbar und eins und überall derselbe ist, für sich allein, weil ihn trotzdem jeder in seiner ersten Seele ganz besitzt.
    b) Mithin besitzen wir auch die Formen auf zwei Arten, in der Seele quasi entwickelt und quasi voneinander separat, im Geist dagegen alle auf einmal.
    c) Und den Gott, inwiefern besitzen wir ihn? Nun: insofern er auf der geistig erkennbaren Natur, d.h. auf dem wirklichen Sein, aufsitzt; und wir sind von dort aus gesehen das dritte [nämlich hinter dem Gott und dem Geist].
  • Plotin: Enneade 1, 8 [51], 7, 21-8, 1-3 und 8, 10-13 und 37-42

    Plotin sieht die Materie, das unterste Ende seiner hierarchischen Ordnung des Seienden, als das eigentlich Böse an und alles, was wir als schlecht erleben bzw. tun, letztlich als Wirkung der steten Präsenz der ungeordneten Materie in allen Dingen, die aus dem Einen hervorgehen
    a) Nun ist aber das, was auf das Erste folgt, mit Notwendigkeit vorhanden; folglich auch das Letzte; dies ist die Materie, die nichts mehr von jenem an sich hat. Und dies ist die Notwendigkeit des Bösen.
    b) Wenn aber jemand behaupten will, dass wir nicht durch die Materie böse werden – denn weder das Unwissen gehe aus der Materie hervor noch die schlechten Begierden [...] – so wird auch er dennoch gezwungen sein zuzugestehen, dass die Materie das Böse ist. Was nämlich die Qualität in einer Materie tut, tut sie nicht, indem sie sich außerhalb befindet, sowie auch die Gestalt der Axt nichts ohne das Eisen tut. [...]
    c) Es gelte somit als erstes Böses das Unmaß, das aber, was in Ungemessenheit gerät durch Verähnlichung oder Teilhabe, weil ihm dies nur zustößt, das zweite Böse. [...] So ist die Schlechtigkeit, die eine Unwissenheit und Ungemessenheit in der Seele ist, nur ein zweites Böses und nicht das Böse selbst.
  • Plotin: Enneade III 2, 4, 36-44

    Plotin erwägt , ob der Fall der Seele, d.h. ihre Verstrickung in die Körperwelt bzw. ihre Wendung zum Schlechten hin, überhaupt auf eine freie Entscheidung zurückgeht
    Die Lebewesen, welche aus sich selber über eine selbstbestimmte Bewegung verfügen, schlagen bald zum Besseren, bald zum Schlechteren aus. Vielleicht lohnt es nicht, die Wendung zum Schlechteren bei jemandem selbst zu suchen. Denn eine kleine Wendung, die zu Beginn geschieht, macht, wenn sie in der Richtung fortgeht, die Verfehlung immer mehr und größer; der Leib ist ja da und notwendigerweise die Begierde. Wurde das Erste und Plötzliche einmal übersehen und nicht wettgemacht, ist sofort eine Wahl dessen zustandegekommen, wohin jemand abgefallen ist. Hierauf folgt gewiss die Vergeltung.
  • Origenes: Über die Prinzipien (De principiis) 3, 6, 5

    Origenes, der berühmteste griechische Kirchenvater (ca. 185-254), über die Vernichtung des Todes
    Darum heißt es denn auch, "der letzte Feind", welcher "der Tod" genannt wird, werde vernichtet [vgl. 1 Kor 15, 26]; es gibt also keine "Traurigkeit" mehr, wo der Tod nicht ist [vgl. Offb 21, 4], und keine Verschiedenheit, wo kein Feind ist. Dass "der letzte Feind vernichtet werde", ist so zu verstehen, dass nicht seine Substanz, die von Gott geschaffen ist, vergeht, sondern dass seine feindliche Willensrichtung, die nicht aus Gott, sondern aus ihm hervorging, untergeht. [...] Denn dem Allmächtigen "ist nichts unmöglich" [vgl. Ijob 42, 2], und nichts ist für den eigenen Schöpfer unheilbar. Denn er hat alles geschaffen, damit es sei, und was geschaffen ist, damit es sei, kann nicht nicht sein.
  • Origenes: Über die Prinzipien (De principiis) 3, 6, 5f

    Eine spezifische und kontroverse Lehre des Origenes betrifft die langsame Wiederherstellung aller Dinge
    [1] So meinen die Törichten und die Ungläubigen, unser Fleisch vergehe nach dem Tode in der Weise, dass es nichts von seiner Substanz übrig behalte; wir aber, die wir an seine Auferstehung glauben, verstehen, dass im Tod nur eine Umwandlung des Fleisches geschieht, seine Substanz aber, das steht fest, bleibt und wird durch den Willen des Schöpfers zu einer bestimmten Zeit wieder zum Leben bereitet [...].
    [2] In diesen Zustand, so ist anzunehmen, wird all unsere körperliche Substanz überführt werden, zu der Zeit, wenn alles wiederhergestellt wird, so dass es eines ist, und wenn Gott "alles in allem" sein wird. Dies muss man aber nicht als ein plötzliches Geschehen verstehen, sondern als ein allmähliches, stufenweises [...], wobei der Besserungsprozess langsam einen nach dem anderen erfasst; einige eilen voraus und streben rascher zur Höhe, andere folgen in kurzem Abstande, und wieder andere weit hinten.
  • Augustinus von Hippo: Der Gottesstaat (De civitate dei) 22, 27

    Augustinus über die Übereinstimmungen und Unterschiede von philosophischer und christlicher Seelenlehre
    [1] Einzeln haben Platon und Porphyrios einiges gesagt, durch das sie, wenn sie sich untereinander hätten austauschen können, wohl Christen geworden wären. Platon sagte, die Seelen könnten nicht ewig ohne Körper bestehen. Daher sagte er, auch die Seelen der Weisen würden nach einer beliebig langen Zeit doch zu den Körpern zurückkehren. Porphyrios aber sagte, die allergereinigeste Seele werde, nachdem sie zum Vater zurückgekehrt sei, niemals zu diesen Übeln der Welt zurückkehren.
    [2] Aber wenn Platon das, was er an Wahrem schaute, dem Porphyrios mitgeteilt hätte, dass auch die allergereinigtesten Seelen der Gerechten und Weisen zu menschlichen Körpern zurückkehren würden; und wenn wiederum Porphyrios Platon das Wahre, was er sah, mitgeteilt hätte, dass nämlich die heiligen Seelen niemals in das Elend eines vergänglichen Körpers zurückkehrten, so dass nicht jeder dies Einzelne, sondern beide auch einzeln beides sagen würden – dann, glaube ich, sähen sie bereits die Konsequenz, dass die Seelen sowohl zu den Körpern zurückkehrten als auch solche Körper erhielten, in denen sie glückselig und ewig leben könnten.
  • Gregor von Nyssa: Über die Seele und die Auferstehung (De anima et resurrectione) (p. 12 Migne/p. 83 Spira)

    Gregor von Nyssa (ca. 335/40-394), einer der besten Philosophen unter den griechischen Kirchenvätern, erläutert den Anlass seines Dialogs mit seiner Schwester Makrina
    a) Als der unter den Heiligen große Basileios das menschliche Leben zu Gott hin verließ und den Kirchen ein allgemeiner Ansturm der Trauer zustieß, aber die Schwester und Lehrerin noch im Leben zugegen war, da ging ich eifrig zu ihr, um mit ihr zusammen zu sein angesichts des Unglücks, das den Bruder betraf; und schmerzbeladen war mir die Seele, überreich an Leid wegen dieses großen Verlustes, und ich suchte einen Gefährten der Tränen, der dieselbe Last der Trauer trug wie ich.
    b) Als wir einander vor Augen standen, da wärmte mir die Lehrerin, als sie vor den Augen erschien, das Leiden auf, denn auch sie wurde schon von der Schwäche zum Tode hingehalten. Sie aber, die mir, auf die Weise der Meister der Reitkunst, eingegeben hatte, ein wenig von der Wucht des Leides fortgetragen zu werden, ging danach daran, dies zu begrenzen, indem sie mit dem Wort, wie mit einem Zügel, durch das eigene Nachdenken das Ungeordnete der Seele wiederherstellte, und von ihr wurde das Apostelwort vorgebracht, man brauche nicht über die Entschlafenen zu trauern, denn dieses Leiden passe nur zu denen, die keine Hoffnung haben.
  • Gregor von Nyssa: Über die Seele und die Auferstehung (De anima et resurrectione) S. 28

    Gregors/Makrinas Argument für die Unsterblichkeit der Seele mithilfe der Lehre vom Menschen als Mikrokosmos/Kleine Welt
    Von den Weisen wird gesagt, der Mensch sei ein kleiner Kosmos, der in sich die Elemente umfasse, durch die das All vollständig ist. Wenn aber diese Aussage richtig ist, und so scheint es zu sein, dann dürften wir wohl keine weitere Unterstützung brauchen, um es für uns gewiss zu machen, was wir über die Seele angenommen haben.
  • Gregor von Nyssa: Über die Seele und die Auferstehung (De anima et resurrectione) S. 28

    Gregors/Makrinas Argument für die Unsterblichkeit der Seele
    [1] Wir haben aber angenommen, sie (= die Seele) bestehe für sich selbst in einer abgehobenen und eigentümlichen Natur neben der körperlichen Schwerfälligkeit.
    [2] Es ist so, wie wenn wir den ganzen Kosmos durch die sinnliche Wahrnehmung erkennen und durch genau diese Aktivität der Wahrnehmung zur Einsicht in die Tatsache [= die Idee] und das Denken jenseits der Sinneswahrnehmung geführt werden: Das Auge wird uns zum Erklärer der mit vielen Vermögen versehenen Weisheit [Gottes], die durch das All eingesehen wird. [...]
    [3] Genauso haben wir, wenn wir auf den Kosmos in uns blicken, keine geringen Anregungen dazu, um durch das Erscheinende auch das Verborgene aufzufinden. Verborgen ist aber das, was, da es in sich selbst geistig und ohne Gestalt ist, die sinnliche Auffassung flieht.
  • Manfred von Sizilien (König von Sizilien): Buch vom Apfel (Übersetzung) (Liber de pomo) Prologus c und d [72f.]

    In der Einleitung zu seiner Übersetzung des Buchs vom Apfel berichtet Manfred von Sizilien (gest. 1266) von dessen Nutzen und Geschichte
    [1] Wir, Manfred, Sohn [...] des Kaisers Friedrich [II., gest. 1250] und allgemeiner Stellvertreter des Königs Konrad II. in Sizilien, unterlagen den Zufällen der menschlichen Schwäche, als die Beschwerde einer schweren Krankheit uns so sehr quälte, dass man keineswegs glaubte, wir könnten weiterleben. Aber da wir die theologisch-philosophischen Überlieferungen, welche uns am Kaiserhof [...] unseres Vaters eine Schar ehrwürdiger Lehrer gelehrt hatte, [...] fest im Geist trugen, waren wir über unser Hinscheiden nicht so sehr besorgt, wie es die Meinung jener [d.h. der Umstehenden] war. [...]
    [2] Unter diesen [Überlieferungen] begegnete uns ein [richtiger wäre: ein angebliches] Buch des Aristoteles, der Ersten der Philosophen, von ihm am Ende seines Lebens herausgegeben, welches Über den Apfel genannt wird. Darin beweist er, dass die Weisen […] über das Ende nicht besorgt sind, sondern mit Freude zum Preis der Vollkommenheit eilen. […]
    [3] Dieses Buch war unter den Christen nicht aufzufinden, daher haben wir es auf Hebräisch gelesen, aus dem Arabischen übersetzt […]. Deshalb haben wir es, als die Gesundheit wiederhergestellt war, für die Bildung vieler aus der hebräischen Sprache in die lateinische übersetzt.
  • Manfred von Sizilien (König von Sizilien): Buch vom Apfel (Übersetzung) (Liber de pomo) § 2, 4, 7-10, 15f

    Die Lehre der Philosophie und die Furcht vor dem Tod nach dem Liber de pomo
    [1] Es lebte zu jener Zeit ein gewisser Weiser […], und sein Name war Aristoteles. […] Und als er den Zeiten des Todes nahekam […], kamen alle Weisen zusammen. […] Aristoteles aber lachte sie aus und sagte: "Denkt nicht, dass ich mich freue, weil ich hoffe, aus allzu großer Schwäche hinauszukommen. […] Gäbe es nicht diesen Apfel, den ich in meiner Hand halte und dessen Geruch mich stärkt, […] hätte ich schon meinen letzten Atemzug getan." […]
    [2] Einer der Weisen aber […] antwortete ihm […] mit den Worten: […] "Stärke unser Herz, so wie Du Dein Herz gestärkt hast, auf dass wir lernen, den Tag des Todes nicht zu fürchten […]."
    [3] Aristoteles antwortete ihm […]: "In erster Linie werde ich Euch fragen, ob ihr die Wissenschaft der Philosophie bekennt und an sie glaubt? […] Freut Ihr anderen Euch darüber, ob ihr die Wissenschaft begriffen und gelernt habt und empfindet Schmerz über das, was ihr von ihr weder erlernen noch verstehen konntet?" – Sie sagten: "Ja." – […]
    [4] [Antwort des Melion, welche von Aristoteles gebilligt wird:] Alle Menschen irrten zuerst […] bis zur Ankunft des Noah. […] Und nach Noah wurde Abraham geboren, der der Weiseste von allen war, und […] begriff, dass seine ganze Generation in den Irrtum lief. […] Und jemand, der diese Stufe erreicht, kann angemessenerweise den Tod erstreben. […] Aber ich habe diese hohe Stufe noch nicht erreicht, […] weil es nicht möglich ist, dass ich dieses Wissen erreichte.