Platon über den Körper als Grab für die Seele Sokrates: Vielleicht sind wir auch in Wirklichkeit gestorben. Das habe ich auch
schon von einem der Weisen gehört, dass wir jetzt gestorben sind und dass unser
Körper für uns ein Grab ist, dass aber der Teil der Seele, in dem sich die
Begierden befinden, wie ein Herauf-Überzeugt-Werden und ein Zurückfallen
von oben nach unten ist.
Platon vergleicht die menschliche Seele mit einem Wagen Sokrates: Die Seele gleiche der zusammengewachsenen Kraft eines gefiederten
Gespanns und eines Wagenlenkers. Die Pferde und Wagenlenker der Götter sind
nun alle selbst gut und von guter Abkunft, bei den anderen aber vermischt. Und
bei uns steuert zuerst der Lenker das Gespann. Sodann ist bei ihm eines der
Pferde schön und gut und von ebensolcher Abkunft, das andere aber von
entgegengesetzter Abkunft und Beschaffenheit. Schwierig und mühsam ist daher
notwendigerweise bei uns die Lenkung.
Diotimas Schilderung des mystischen Aufstiegs zum Schönen Diotima: Nach den Unternehmungen aber muss er weiter zu den Arten des
Wissens gehen, damit er auch die Schönheit der Arten des Wissens schaut und,
in Anbetracht des Blicks auf vielerlei Schönes, nicht mehr nur auf eines […],
viele schöne und prachtvolle Reden und Gedanken in einer unermesslichen
Philosophie erzeugt, bis er, hierin gestärkt und gewachsen, ein einziges solches
Wissen erblickt, das sich auf ein Schönes der folgenden Art bezieht.
Hier aber, sprach Diotima, bemühe dich möglichst stark auf mich zu achten:
Wer nämlich bis hierhin zu den Objekten der Liebe hin erzogen wurde, dass er
das einzelne Schöne der Reihe nach und richtig schaut sowie zum höchsten
Objekt der Liebe geht, der schaut ganz plötzlich ein Schönes von einer
wunderbaren Natur, genau dasjenige, Sokrates, auf das alle vorherigen Mühen
abzielten.
Platon im Theaitet über die Erkenntnisgegenstände für die Seele
Sokrates: Es wäre schlimm, mein Junge, wenn eine ganze Reihe
Wahrnehmungen in uns wie in einem hölzernen Pferd nebeneinanderlägen, dies
alles aber nicht in irgendeine Form, magst du sie nun Seele oder was immer
nennen, zusammenliefen, mittels derer wir durch diese wie durch Werkzeuge all
das wahrnehmen, was wahrnehmbar ist. […]. Und sage mir: das, wodurch du
Warmes, Hartes, Leichtes und Süßes wahrnimmst, rechnest du all das nicht dem
Körper zu? Oder etwas anderem?
Theaitet: Keinem anderen.
Albertus Magnus über das Verhältnis von Natur, Seele und Bewegung
[1] Weil aber jede Bewegung von einem Gegenteil in ein Gegenteil erfolgt und weil etwas, das sich von einem Gegenteil in ein Gegenteil bewegt, notwendigerweise irgendwann ruht, daher kann die Natur nicht die Ursache für eine unendliche Bewegung sein. [...] Deswegen ist die Natur die Ursache und das Prinzip für das Bewegen und Ruhen. [...]
[2] Nun bewegt auch die Seele, aber nicht als nächste [Ursache]. Denn wenngleich die Pflanzenseele auf [nur] eine Weise und gleichsam notwendig bewegt, so bewegt sie doch nicht als nächste [Ursache], sondern vermittelt durch erste Qualitäten.
[3] Die Natur aber ist das erste [...] Bewegende, das heißt das Nächste von Seiten des Bewegbaren, obwohl sie nicht immer das erste in der Weise ist, dass es vor ihr kein anderes Bewegendes gäbe. Denn das Bewegende, vor dem es kein anderes gibt, ist nicht die Natur [...], sondern eine Intelligenz höherer und erster Ordnung oder die erste Ursache.
Albertus Magnus über den Unterschied von Seele und Natur
Die Philosophen, die über die Natur der Seele disputieren, sehen den Unterschied zwischen der Seele und der Natur darin, dass die Natur an sich nur auf eines hin ausgerichtet ist, indes die Seele an sich Mehreres zu wirken und auch Gegensätzliches sowie Widersprüchliches zu wählen fähig ist.
Eine stoische Begründung für die Körperlichkeit der Seele
Nichts Unkörperliches wird zusammen mit einem Körper affiziert und kein Körper
mit etwas Unkörperlichem, sondern ein Körper mit einem Körper. Nun wird
die Seele aber zusammen mit einem kranken und verletzten Körper affiziert,
und der Körper mit der Seele; er wird ja rot, wenn sie sich schämt, und bleich,
wenn sie sich fürchtet. Also ist die Seele ein Körper.
Der Philosophiehistoriker Diogenes Laertios (3. Jh.) über die Teile der Philosophie
Sie sagen, die der Philosophie entsprechende Struktur sei dreiteilig. Eines von ihr sei nämlich naturphilosophisch, ein anderes ethisch, ein drittes logisch. [...] Sie vergleichen aber die Philosophie mit einem Lebewesen, wobei sie die Logik mit den Knochen und Nerven gleichsetzen, die Ethik mit den fleischlichen Teilen, die Physik aber mit der Seele. Oder auch mit einem Ei: Das Äußere sei die Logik, das danach die Ethik, das Innerste die Physik.
Die nötige Selbsterkenntnis der Seele nach Plotin
Dies soll nun zuerst jede Seele bedenken, dass sie alle Lebewesen erschuf, indem sie ihnen Leben einhauchte: die, welche die Erde nährt, und die, welche das Meer, die in der Luft und die göttlichen Sterne am Himmel; sie [schuf] die Sonne, sie diesen gewaltigen Himmel, und sie schmückte sie, und sie leitet sie in Ordnung, das sie eine andere Natur ist als das, was sie schmückt und was sie bewegt und was sie leben lässt. Notwendigerweise ist sie auch edler als dies, da dies entsteht und vergeht, während die Seele das Leben verlässt und anführt, da sie stets sie selbst, "indem sie sich selbst nie verlässt".
Der Übergang der Seele zum Geist
[1] Nimm nun das Göttlichere als dieses Göttliche, den Nachbarn der Seele nach oben hin, nach dem und aus dem die Seele ist. Denn wenngleich sie eine solche Sache ist, wie das Argument zeigte, ist sie ein Abbild des Geistes. [...]
[2] Da sie aus dem Geist ist, ist sie denkend, und in den Überlegungen ist ihr Geist, und die Vollendung kommt wiederum aus ihm wie von einem Vater, der den aufzieht, den er weniger vollkommen als sich selbst gezeugt hat. [...] Denn wenn die Seele in den Geist hineinblickt, hat sie in sich und ihr zu eigen das, was sie denkt und aktiv betreibt.
[3] Und nur dasjenige darf man Aktivitäten der Seele nennen, was sie denkend und was sie von sich aus betreibt. Das Schlechtere aber ist von anderswoher und für eine so beschaffene Seele ein Erleiden. Der Geist also macht sie göttlicher, indem er Vater ist und indem er bei ihr ist.
Ἐπιστροφή (<i>epistrophē</i>) – Das Eine bzw. Gute als Ziel für das Streben alles Seienden
[1] Wenn also etwas nicht in Richtung auf etwas anderes aktiv ist, weil es [selbst] das Beste alles Seienden ist und jenseits des Seienden, die anderen aber in Richtung auf dieses [aktiv sind], dann ist klar, dass dieses das Gute ist, durch das auch den anderen ermöglicht wird, am Guten teilzuhaben. [...] Denn so ist es auch wirklich das, "wonach alles strebt" (Aristoteles, Nikomachische Ethik I 1, 1094a 3).
[2] Es ist also nötig, dass es selbst feststeht, dass sich aber alles zu ihm zurückwendet, so wie ein Kreis zu dem Zentrum, von dem alle Linien ausgehen. Und ein Beispiel ist die Sonne, die wie ein Zentrum ist im Verhältnis zu dem von ihr stammenden Licht, das an ihr hängt; überall ist es also mit ihr und nicht von ihr abgetrennt. [...]
[3] Wie aber richtet sich alles andere auf dieses hin? Nun, das Unbeseelte auf die Seele hin, die Seele aber durch den Geist auf dieses hin.
Eine Dimension dieser beständigen Dynamik von Hervorgehen, Rückkehr und Feststehen (<i>μονή</i>) ist nach Plotin das Hervorgehen der Zeit aus der Ewigkeit
[1] Wir müssen uns nun wieder in jene Verfassung erheben, die wir für die Ewigkeit behaupteten, jenes unveränderliche, zugleich ganze und schon unendliche Leben, das gänzlich unwandelbar im Einen ist. [...]
[2] Man könnte aber über die Zeit in etwa folgendes sagen: Vorher [...] ruhte sie mit diesem im Sein, ohne Zeit zu sein, sondern hielt in jenem auch selbst Ruhe. [...]
[3] Weil in der Seele eine unruhige Kraft war, [...] hat auch die Seele – indem sie in Nachahmung des Geistigen die sinnliche Welt schuf, die sich nicht in der dortigen Bewegung bewegt, sondern in einer ihr ähnlichen, welche Bild von jener sein möchte – zuerst sich selbst verzeitlicht, anstelle der Ewigkeit die Zeit schaffend; dann aber verlieh sie dem Gewordenen, der Zeit zu dienen. [...] Denn indem die Seele ihre Aktivität immer eine nach der anderen gewährt, dann in der Folge als wieder andere gewährt, erzeugte sie zusammen mit ihrer Tätigkeit das Nacheinander und mit hervor ging mit dem unterschiedlichen Denken nach ihr das, was vorher noch nicht da war.
Plotin entwickelt eine Grundfrage seiner Philosophie aus der eigenen Erfahrung einer mystischen Vereinigung mit dem Einen und berichtet selbst die Distanz von seinem Körper
[1] Immer wieder wenn ich aus dem Leib aufwache in mich selbst, bin ich außerhalb des anderen, aber innerhalb von mir selbst, sehe eine wunderbar gewaltige Schönheit [...], verwirkliche höchstes Leben, bin in eins mit dem Göttlichen und auf seinem Fundament gegründet, denn ich bin gelangt zur höchsten Wirksamkeit und habe mich selbst gegründet über allem, was sonst geistig ist:
[2] Nach diesem Stillestehen im Göttlichen, wenn ich da aus dem Geist herniedersteige ins Überlegen – da frage ich mich: [...] Wie ist einst die Seele in mir in den Leib geraten, die doch das ist, was sie mir als ihr Sein an sich gezeigt hatte?
Eine Besonderheit der Philosophie Plotins stellt es dar, im Rahmen seiner Auseinandersetzung mit der Natur des Menschen als erster, die Frage zu stellen, was das ,Ich‘ (bzw. ,Wir‘) ist
[1] Nun mag es das [aus Körper und Seele] Zusammengesetzte geben, vorausgesetzt, dass die in bestimmter Weise beschaffene Seele durch ihre Gegenwart nicht sich selbst dem Zusammengesetzten bzw. dessen anderem Teil zur Verfügung stellt, sondern aus dem in bestimmter Weise beschaffenen Körper und quasi einer Art Licht, das sie über sich selbst hinaus abgibt, die Natur des Lebewesens als etwas anderes herstellt, dem das sinnliche Wahrnehmen angehört und sonst alle genannten Empfindungen des Lebewesens. [...] Die äußere sinnliche Wahrnehmung ist folglich ein Abbild der Seele, während diese selbst in ihrem Sein wahrhaftiger und in empfindungsfreier Weise ausschließlich Schau von Formen ist. [...]
[2] Hier sind wir mehr als irgendwo sonst. Was hingegen vor diesen kommt, ist unser; wir, wohlgemerkt, sind das von hier aus gesehen Obere und stehen an der Spitze des Lebewesens.
Plotin über die komplexe Natur der Seele
[1] Die Argumentation, die der Seele Fehlerlosigkeit zuschreibt, setzte sie als Eines, in jeder Hinsicht Einfaches an, wobei es die Seele und das Seele-Sein als identisch bezeichnet, während die Argumentation, die ihr Fehler zuschreibt, eine andere Form von Seele, die die ungeheuren Empfindungen hat, mit ihr verknüpft und ihr hinzusetzt.
[2] Damit wird die Seele selbst zu etwas Zusammengesetztem, d.h. zu dem, was aus allen Seelenformen zusammen besteht, und ist demnach als ganzes Empfindungen unterworfen. Dieses Zusammengesetzte macht die Fehler, und dieses ist es, was nach Platon Strafe verbüßen muss, nicht das andere [d.h. die Seele als solche].
Plotin erwägt , ob der Fall der Seele, d.h. ihre Verstrickung in die Körperwelt bzw. ihre Wendung zum Schlechten hin, überhaupt auf eine freie Entscheidung zurückgeht
Die Lebewesen, welche aus sich selber über eine selbstbestimmte Bewegung verfügen, schlagen bald zum Besseren, bald zum Schlechteren aus. Vielleicht lohnt es nicht, die Wendung zum Schlechteren bei jemandem selbst zu suchen. Denn eine kleine Wendung, die zu Beginn geschieht, macht, wenn sie in der Richtung fortgeht, die Verfehlung immer mehr und größer; der Leib ist ja da und notwendigerweise die Begierde. Wurde das Erste und Plötzliche einmal übersehen und nicht wettgemacht, ist sofort eine Wahl dessen zustandegekommen, wohin jemand abgefallen ist. Hierauf folgt gewiss die Vergeltung.
Johannes Philoponos fasst seine Impetus-Theorie knapp zusammen
Konnte Gott denn nicht dem Mond, der Sonne und den übrigen Sternen, als er sie schuf, eine Bewegungskraft eingeben, wie den schweren und leichten Körpern ihre Bewegungstendenzen und allen Lebewesen die Bewegungen von der ihnen innewohnenden Seele?
Philon von Alexandrien vergleicht die Wirkung des Gewissens mit einem Gerichtshof der Gedanken
Denn die jeder Seele angeborene und mit ihr lebende Prüfung, die nicht gewohnt ist, etwas Unrechtes zuzulassen, die immer eine das schlechte Hassende und die Tugend liebende Natur zeigt, ist Ankläger und Richter zugleich; wenn sie einmal geweckt ist, beschuldigt sie als Ankläger, klagt an und beschämt; als Richter hinwiederum belehrt sie, erteilt Zurechtweisung, mahnt zur Umkehr. Und hat sie überreden können, dann ist sie erfreut und ausgesöhnt; konnte sie das aber nicht, dann kämpft sie unversöhnlich und lässt weder am Tag noch in der Nacht ab, sondern versetzt unheilbare Stiche und Wunden, bis sie das elende und fluchwürdige Leben vernichtet hat.
Origenes über die anklagenden Gedanken
Dann ist zu schauen, wie an dem Tag, an dem Gott das Verborgene der Menschen richten wird, die Gedanken die Seele entweder anklagen oder verteidigen werden [...]. Denn wenn wir entweder Gutes oder Böses denken, dann bleiben in unserem Herz, wie im Wachs, gewisse Abdrücke und Zeichen sowohl der guten als auch der schlechten Gedanken zurück. Jetzt liegen sie im Verborgenen der Brust, aber man sagt, dass sie an jenem Tag enthüllt werden von niemand anderem als dem, der allein das Verborgene der Menschen wissen kann. Auch unser Gewissen wird mit bezeugen, dass die Ursachen dieser Zeichen und Abdrücke Gott nicht verborgen bleiben.
Hieronymus (in der Nachfolge des Origenes) über die vierte Kraft der Seele
Als viertes setzen sie die Kraft an, die über und außerhalb dieser drei ist, welche die Griechen syneidesis/synderesis nennen. Dieser Funke des Gewissens wird auch in der Brust Kains nicht ausgelöscht, nachdem er aus dem Paradies vertrieben wurde. Durch ihn fühlen wir, dass wir sündigen, weil wir von Begierden oder vom Zorn besiegt und bisweilen durch eine Ähnlichkeit der Vernunft selbst getäuscht wurden. Sie schreibt man insbesondere dem Adler zu, der sich mit den drei anderen Seelenvermögen nicht vermischt, sondern die drei irrenden korrigiert.
Augustinus nennt die Weltordnung auch das natürliche Gesetz und erklärt, warum nur besonders verrohte Menschen andere Menschen töten dürfen
[1] Aus dieser unsagbaren und erhabenen Verwaltung der Dinge, die durch die göttliche Vorsehung geschieht, ist das Naturgesetz in die rationale Seele gleichsam eingeschrieben, damit in der Führung dieses Lebens und in den irdischen Sitten die Menschen Abbilder solcher Verteilungen bewahren.
[2] Von daher erklärt es sich, dass ein Richter es für seiner Stellung unwürdig und verwerflich hält, einen Verurteilten zu töten. Auf seinen Befehl hin tut dies der Henker, der wegen seiner Begierde in seiner Amtsstellung den Platz in der Ordnung innehat, dass derjenige den durch das Maß der Gesetze Verurteilten tötet, der auch einen Unschuldigen mit der ihm eigenen Grausamkeit töten könnte.
Die Fragen des Königs Kosrau an den Philosophen Priskian von Lydien
[1] Lösungen des Philosophen Priskian von demjenigen, worüber Kosrau, der König der Perser, fragte.
Weil viele und unterschiedliche Sätze infrage stehen [...], ist es notwendig, auf ähnliche Weise einzeln abtrennend, den Fragen in geeigneter Weise Lösungen gegenüberzustellen und für sie [...], soweit es möglich ist, die exzerpierten Bücher der Alten heranzuziehen. [...]
[2] Erstens: Was ist die Natur der Seele, und gibt es in allen Körpern ein und dieselbe oder besteht ein Unterschied? [...] Man muss aber auch wissen, aus welcher Ursache die Unterschiedlichkeit einer Seele stammt. Wenn nämlich der Körper die Seele verwandelt und hierdurch jede Seele sich von der anderen unterscheidet, da scheint es so, dass der Körper die Seele beherrscht. Wenn aber die Seele den Körper verwandelt und die Unterschiedlichkeit der Form aus genau dieser Ursache stammt, da ist es offenbar klar, dass die Seele den Körper beherrscht. [...] Da dies vorliegt, muss man zuerst über die Seele Untersuchungen anstellen. [...]
Das zweite Kapitel des Gefragten behandelt den Schlaf und seine Natur [...]: Was ist der Schlaf und von welcher Natur? Und was ist schlafen und was wach sein? [...]
Aber auch dies ist zu bedenken: Warum gibt es in jeder Klimazone vier Veränderungen des Sonnenjahrs, Frühling, Sommer, Herbst und Winter? [...].
Al-Ġazālī verteidigt die Idee einer Auferstehung der Toten und einer Körperlichkeit des Paradieses gegen die philosophische Lehre von der Unsterblichkeit der unköperlichen Seele
[1] (25) Was [im Koran] über die letzten Dinge versprochen wurde, ist, durch die Macht Gottes des Erhabenen, nicht absurd. Also muss man dem klaren Sinn der Rede (ṯāhir al-kalām) folgen, aber in ihrem Inhalt, der augenfällig in ihr steht. (26) Und wenn gesagt wird "Rationale Beweise haben die Unmöglichkeit der Auferweckung der Toten gezeigt" [...], dann verlangen wir deren Darlegung.
(46) [Die Philosophen sagen:] "Wenn der Körper des auferweckten Menschen aus Stein wäre, aus Saphir, aus Perlen oder aus purer Erde, dann wäre er kein Mensch." Vielmehr kann man ihn sich nicht als Mensch vorstellen, außer er ist in der spezifischen Gestalt eines Menschen geformt, zusammengesetzt aus Knochen, Adern, Fleisch, Knorpeln und Mischungen. [...] Aber dann ist es nicht möglich, dass ein Körper neu entsteht, damit die Seele in ihn zurückgeführt wird, außer durch diese Dinge, und für diese gibt es viele Ursachen. [...] Und die Aussage: "Es wird ihm doch gesagt ,sei, und er ist‘" (kun wajakūn: Koran 40, 68 [vgl. Vorlesung 2]), ist nicht rational nachvollziehbar, weil Erde nicht angesprochen werden kann und ihr Umschlagen (inqilāb) in einen Menschen ohne das Zurückführen durch diese Phasen [d.h. die Entstehung der menschlichen Organe durch natürliche Prozesse] absurd ist. [...]
[2] (48) [Al-Ġazālīs Antwort:] Freilich geben wir zu, dass der Aufstieg durch diese Phasen unabdingbar ist, bevor etwas der Körper eines Menschen entsteht. [...] Aber das ist in einem Moment möglich oder über eine längere Dauer. [...] Aber das ist nicht die Frage, sondern die Untersuchung geht nur darum, ob der Aufstieg durch diese Phasen schlichtweg durch Macht (bi-muǧarrad qudra), ohne etwas Mittleres, oder durch irgendeine Ursache (bi-sabab min al-asbāb) abläuft. Und für uns ist, wie wir erwähnt haben, beides möglich. [...] Die Verbindung von in ihrer Existenz verbundenen Dingen besteht nicht auf die Weise der Notwendigkeit, sondern eine Unterbrechung der gewöhnlichen Abläufe kann vorkommen, so dass diese Dinge durch die Macht Gottes des Erhabenen ohne Existenz ihrer Ursachen zustande kommen.
Xenophanes spottet über Pythagoras
Sie sagen, dass Pythagoras einmal vorbeikam,
als ein Hündchen geschlagen wurde, dieses bemitleidete und sprach:
"Hör auf, schlag nicht mehr, denn es ist die Seele eines Freundes.
Als ich ihre Stimme hörte, habe ich sie sofort erkannt."
Platon erklärt, warum die Seele die Ursache des Guten und Schlechten sein muss
[1] Werden wir wohl richtig und in entscheidender Weise ganz wahr und vollkommen sagen, dass die Seele bei uns früher entstanden ist als der Körper, der Körper aber als zweites und späteres, von Natur aus Beherrschtes, während die Seele herrscht? [...] – Ganz gewiss. – Das Verhalten, die Sitten, die Wollensregungen, Gedanken, wahren Meinungen, Besorgnisse und Erinnerungen sind also früher als die Länge, Breite, Tiefe und Kraft der Körper entstanden, wenn die Seele früher ist als der Körper? – Notwendigerweise. –
[…]
[2] Ist es also auch notwendig, dem sich daraus Ergebenden zuzustimmen, dass die Seele die Ursache für das Gute und Schlechte, in sich Gute und Hässliche, Gerechte und Ungerechte und aller Gegensätze ist, wenn wir sie als Ursache von allem ansetzen?
Proklos schreibt die Entstehung des Bösen der Seele zu, insbesondere für sie selbst
Nur die Seele stellt sich durch das Wählen jeweils zu einer anderen Ordung. Denn jede Wahl führt die Seele entweder herauf oder zieht sie herab. Wenn also die Wahl von der Seele weg erfolgt, ist sie schlecht, wenn sie aber das Wählende in die eigene Ordnung stellt, entspricht sie dem Recht und ist gut. [...] Es gibt also nichts Schlechtes, was nicht auch irgendwie gut ist, sondern alles hat an der Vorsehung teil.
Proklos erklärt die Möglichkeit, dass die Seele auch das Schlechte wählen kann, durch die mögliche Vollkommenheit des Universums
[1] Wenn sich einige wundern, aus welchem Grund sie am Anfang hinabgeschickt wurde, obwohl sie eine Schlechtes hervorbringende Ursache [...], muss man ihnen antworten, dass das Hervorgehen des Seienden kontinuierlich ist und keine Leerstelle innerhalb des Seienden geblieben ist. [...]
[2] Wie aber soll die Kontinuität des Seienden gewahrt werden, wenn das Allgemeine und Selbstbewegte sowie das Einzelne und Fremdbewegte von vornherein bestehen, wir aber das zwischen diesen befindliche, das zwar selbstbewegt, aber zugleich einzeln ist, auslassen würden? [...] So wie das, was für die Einzelnatur schlecht ist, für die allgemeine Natur gut ist, so ist auch das, was für das allgemeine Leben schlecht ist, für das allgemeine Leben gut.
Bernhard unterscheidet insgesamt drei Arten von Freiheit, von denen die Wahlfreiheit des Willens die niedrigste ist
Dies Streben haben wir also […] mit den Tieren gemeinsam; die Zustimmung des Willens unterscheidet uns aber. […] Sie ist nämlich ein Habitus der Seele, der frei über sich selbst verfügt (liber sui). Sie wird nämlich nicht erzwungen, nicht erpresst. Sie ist Sache des Willens, nicht der Notwendigkeit. […]
Wo aber der Wille ist, dort ist Freiheit, [...] aber [...] nicht durch jene Freiheit, von der der Apostel [Paulus] sagt: "Wo der Geist des Herrn ist, dort ist Freiheit" (2 Korinther 3, 17). Diese ist nämlich die Freiheit von der Sünde. [...] Es gibt weiterhin eine Freiheit vom Elend, von der der Apostel wiederum sagt: "auch das Geschöpf wird von der Knechtschaft der Verderbnis zur Freiheit der Ehre der Söhne Gottes befreit werden".
Zentral für die Herstellung der Welt ist zunächst die Schaffung der Weltseele, die, wie jede Seele, an der Grenze von göttlicher und körperlicher Welt steht Timaios: Eine Seele setzte er also in die Mitte der Welt, dehnte sie durch alles hindurch aus und deckte von außen den Körper über sie. [...] Er gestaltete die ihrer Entstehung und Vorzüglichkeit nach dem Körper gegenüber frühere und ehrwürdigere Seele als Gebieterin und künftige Beherrscherin des ihr unterworfenen Körpers aus folgenden Bestandteilen und auf folgende Weise: Zwischen dem unteilbaren und immer sich gleich verhaltenden Sein und dem teilbaren, im Bereich der Körper werdenden, mischte er aus beiden in der Mitte eine Form des Seins, zwischen der Natur des Identischen und der des Verschiedenen.
Aristoteles über die Verbindung von Zeit und Seele
Ob es wohl Zeit gäbe, wenn es keine Seele gäbe, könnte jemand fragen. Denn wenn es unmöglich sei, dass es das Zählende gebe, sei es auch unmöglich, dass es etwas Zählbares gebe, so dass es klar sei, dass es auch keine Zahl gebe. Denn die Zahl sei entweder dass Zählende oder das Gezählte.
Wenn aber nichts anderes von Natur aus zählen kann als die Seele oder der Geist der Seele, dann ist es unmöglich, dass es Zeit gibt, wenn es die Seele nicht gibt – aber doch das, was die Zeit als seiendes ist, so wie wenn es Bewegung ohne Seele geben kann. Das Früher oder Später liegt in der Bewegung; Zeit aber ist dies, insofern es zählbar ist.
Plotin erklärt das Verhältnis der Seele zum Geist, wie das „Wir“ sich zum reinen, überindividuellen Geist – dem Ort der platonischen Ideen – verhält
[1] Und wie verhalten wir uns zum Geist? [...] Nun: Auch diesen haben wir, und zwar oberhalb von uns. Wir haben ihn aber entweder gemeinsam oder jeder für sich allein [...]: gemeinsam, weil er unteilbar und eins und überall derselbe ist, für sich allein, weil ihn trotzdem jeder in seiner ersten Seele ganz besitzt.
[2] Mithin besitzen wir auch die Formen auf zwei Arten, in der Seele quasi entwickelt und quasi voneinander separat, im Geist dagegen alle auf einmal.
[3] Und den Gott, inwiefern besitzen wir ihn? Nun: insofern er auf der geistig erkennbaren Natur, d.h. auf dem wirklichen Sein, aufsitzt; und wir sind von dort aus gesehen das dritte [nämlich hinter dem Gott und dem Geist].
Meister Eckhart über die Natur der Seele
Diu sȇle hȃt zwei ougen, einz inwendic und einz ȗzwendic. Daz inner ouge der sȇle ist, daz in daz wesen sihet und sȋn wesen von gote ȃne allez mitel nimet: daz ist sȋn eigen werk. Daz ȗzer ouge der sȇle ist, daz dȃ gekȇret ist gegen allen crȇatȗren und die merket nȃch bildelȋcher wȋse und nȃch kreftlȋcher wȋse. Welher mensche nȗ in sich selber wirt gekȇret, daz er bekennet got in sȋnem eigenen smacke und in sȋnem eigenem grunde, der mensche ist gevrȋet von allen geschaffenen dingen und ist in im selber beslozzen in einem wȃren slozze der wȃrheit.
Gregor von Nyssa begegnet in seinem Dialog <i>Über die Seele und die Auferstehung</i> seiner Schwester Makrina als tröstender Lehrerin
[1] Und ich sagte: "Wie kann man dies unter den Menschen richtig aufnehmen, wo doch in einem jeden eine Art natürliches Misstrauen gegenüber dem Tod besteht und wo die, welche Sterbende sehen, den Anblick nicht wohlmeinend aufnehmen und die, denen der Tod naht, ihn fliehen, soweit es möglich ist?" […]
[2] "Was aber", sagte die Lehrerin, "scheint Dir selbst an genau diesem, dem Tod, am meisten betrüblich?" Gregor: Wenn wir […] vom Ausgang der Seele hören, sehen wir das übrig Gebliebene und wissen doch über das von ihm Getrennte nicht, was es der Natur nach ist und wohin es herübergeschritten ist, da weder Erde, noch Luft, noch Wasser, noch irgendein anderes Element in ihm die Kraft erkennen lässt, die den Körper verlassen hat.
Im Horizont des Auferstehungsglaubens betont Gregor die bleibende Verbindung der unkörperlichen Entitäten Gott und Seele mit den Elementen Makrina: Nun haben wir keinen Zweifel daran, dass die unsagbare Weisheit Gottes, welche im All die göttliche Natur und Kraft widerspiegelt, in allem Seienden ist, so dass alles im Sein bleibt: Obwohl die göttliche Wesenheit, wenn Du nach dem Logos ihrer Natur fragst, unendlich weit entfernt ist von dem, was sich in der Schöpfung zeigt und gedacht wird, so besteht doch Einigkeit, dass dieses der Natur nach Entfernte in ihnen ist. Ebenso ist es keineswegs unglaubwürdig, dass auch die Wesenheit der Seele, die von sich aus etwas ganz anderes ist […] nicht in verhindernder Weise gegenüber dem Sein des im Kosmos auf die Weise der Elemente Betrachteten besteht, das ihr gemäß dem Logos der Natur nicht zukommt.
Proklos stellt die Seele als lebensspendende Instanz an der Grenze von Ewigem und Zeitlichem dar
189. Jede Seele ist an sich lebend.
Denn wenn sie zu sich selbst zurückgewendet ist, alles zu sich selbst Zurückgewendete aber selbstkonstitutiert, dann ist also auch die Seele selbstkonstituiert und bringt sich selbst ins Bestehen. Aber gewiss ist sie auch Leben und lebendig. […] Denn auch dem, bei dem sie gegenwärtig ist, verleiht sie durch ihr Da-Sein das Leben. Und wenn das Teilhabende geeignet ist, wird es sofort beseelt und lebendig, ohne dass die Seele denken oder wählen würde. […]
191. Jede Seele, an der etwas teilhat, besitzt das Sein als ewiges, die Aktivität aber auf zeitliche Weise. […]
Es bleibt also, dass jede Seele in einer Hinsicht ewig ist, in einer anderen aber an der Zeit teilhat. Entweder ist sie dem Sein nach ewig, der Aktivität nach aber an der Zeit teilhabend, oder umgekehrt. Letzteres ist aber unmöglich. Jede Seele, an der etwas teilhat, besitzt das Sein als ewiges, die Aktivität aber auf zeitliche Weise.
Proklos‘ Erklärung des Bösen unterscheidet sich deutlich von der Plotins, insofern hier die Aktivität der Dämonen und Seelen, nicht aber die indirekte Wirkung der Materie betont wird
[1] Die Wirkursachen des Bösen sind also diejenigen, die sich selbst ins Böse führen, wie die Daimonen und die Seelen, die ihnen in einer Wahl gehorchen. [...] Also ist das Böse an sich untätig und machtlos. [...]
[2] Aber so wie sie nach Bösem streben, das ihnen gut scheint und wie für sie das Böse etwas scheinbar Gewolltes ist – das sagen wir wegen der Beimischung von Gutem – so gibt es auch auf scheinbare Weise im Bösen Kraft und Aktivität, freilich nicht an sich und auch nicht qua Böses, sondern von dem Äußeren her, an dem es als Zusatz besteht.
Barḥaḏbšabbā (um 600), ein Lehrer an der christlichen Schule von Nisibis im Perserreich, erklärt die Fähigkeiten unserer Seele und führt die Gedanken des Platon, Origenes und Ammonios zusammen
[1] Diese rationale und erleuchtete Intelligenz [in uns] ist eine Ähnlichkeit zu Gott ihrem Schöpfer. [...] Im Hinblick darauf, dass unsere Rede auf diese Intelligenz zielt, die in uns ist, wollen wir sehen, wie sie in uns ist, und welches ihre Wohnstätte ist. [...]
[2] Es ist dann folglich ihre Ursache und ihr Fundament die Seele, welche in uns gebunden ist. Das, was an Erkenntniskräften (an) ihr ist, sind drei: Verstand, Denken und Meinen. Aus diesen gehen drei andere hervor, und zwar Begehren, Zornmut und Wollen.
[3] Die Intelligenz aber steht oberhalb von ihnen allen, wie der weise Wagenlenker, der geschickte Steuermann, der in die Ferne schaut, und sein Schiff, das diese Schätze trägt, fernhält von den Felsen des Irrtums und von den Nebeln der Unkenntnis, indem der erste und theoretische Teil die Erkenntniskräfte reinigt, so dass sie nicht etwas für ein anderes erkennen, sondern die Wahrheit und die Bestimmtheit der Dinge erkennen. Durch den anderen, den praktischen Teil wiederum reinigt sie die Lebenskräfte und bereitet sie vor, dass ihre Lebensführung hierin nicht in unnützen Dingen besteht, sondern dass ihre Bewegungen richtig und trefflich erfolgen.
Sergios von Rēšʿaynā (gest. 536), ein Schüler des Ammonios und syrischer Aristoteles-Adaptor erklärt auf Syrisch, was Philosophie ist
Die Philosophie ist eine Ähnlichkeit zu Gott (dumyā ḏ-allāhā). [...]
Und weiter sagen [die Philosophen]: Weil die rationale Seele die Mutter der Wissensformen und auch selbst in zwei Teile geteilt ist, deswegen teilte sich auch die Philosophie, die ihrerseits das Wissen von allem ist, in zwei Teile. [...] Sie sagen nämlich, dass zu diesen Erkenntniskräfte gehören, so wie Verstand, Denken und Meinen, und zu ihnen Lebenskräfte gehören, so wie Begehren, Zornmut und Wollen. Weil also die Philosophie die gesamte Seele reinigt, sagen sie zutreffend, dass auch sie in zwei Teile geteilt ist. Denn durch ihren ersten und theoretischen Teil [S. 342] reinigt sie die Erkenntniskräfte, so dass sie nicht etwas für ein anderes erkennen (= halten) , sondern die Wahrheit und die Bestimmtheit der Dinge erkennen. Durch den anderen, den praktischen Teil wiederum reinigt sie die Lebenskräfte und bereitet sie vor, dass ihre Lebensführung hierin nicht in unnützen Dingen besteht, sondern dass ihre Bewegungen richtig und trefflich erfolgen.
Ammonios, Sohn des Hermias, ein platonischer Philosophieprofessor in Alexandrien (ca. 435-517) und Lehrer des Philoponos, begründet die Zweiteilung der Philosophie und systematisiert die Lehre von den Seelenvermögen in folgender Weise
[1] "Die Philosophie ist ein Ähnlichwerden mit Gott gemäß dem dem Menschen möglichen." So hat es nämlich Platon definiert (Theaitet 176b). [...] Nun wird die Philosophie in die theoretische und die praktische eingeteilt. Es ist aber wert zu fragen, aus welchem Grund. [...]
[2] Weil wir gesagt haben, die Philosophie sei ein Ähnlichwerden mit Gott, weil Gott aber zweierlei Kräfte hat, die einen alles Seiende erkennenden, die anderen für uns niedriger Stehende Vorsehung treffenden, wird die Philosophie zu Recht in die theoretische und die praktische eingeteilt. [...]
[3] Unsere Seele hat ebenfalls zweierlei Kräfte, zum einen erkennende wie Verstand, Denken, Meinen, Vorstellen und sinnlich wahrnehmen, zum anderen lebendige und strebende wie Wollen, Zornmut und Begehren. Der Philosoph nun will alle Teile der Seele schmücken und zur Vollendung führen: Durch das Theoretische wird das Erkennende in uns vollendet, durch das Praktische das Lebendige.
Augustinus über die Übereinstimmungen und Unterschiede von philosophischer und christlicher Seelenlehre
[1] Einzeln haben Platon und Porphyrios einiges gesagt, durch das sie, wenn sie sich untereinander hätten austauschen können, wohl Christen geworden wären. Platon sagte, die Seelen könnten nicht ewig ohne Körper bestehen. Daher sagte er, auch die Seelen der Weisen würden nach einer beliebig langen Zeit doch zu den Körpern zurückkehren. Porphyrios aber sagte, die allergereinigeste Seele werde, nachdem sie zum Vater zurückgekehrt sei, niemals zu diesen Übeln der Welt zurückkehren.
[2] Aber wenn Platon das, was er an Wahrem schaute, dem Porphyrios mitgeteilt hätte, dass auch die allergereinigtesten Seelen der Gerechten und Weisen zu menschlichen Körpern zurückkehren würden; und wenn wiederum Porphyrios Platon das Wahre, was er sah, mitgeteilt hätte, dass nämlich die heiligen Seelen niemals in das Elend eines vergänglichen Körpers zurückkehrten, so dass nicht jeder dies Einzelne, sondern beide auch einzeln beides sagen würden – dann, glaube ich, sähen sie bereits die Konsequenz, dass die Seelen sowohl zu den Körpern zurückkehrten als auch solche Körper erhielten, in denen sie glückselig und ewig leben könnten.
Augustinus erklärt den menschlichen Geist als eine Einheit der drei Vermögen Erinnerung, Erkennen und Wollen
Wir haben also den Geist in der Erinnerung, dem Erkennen und dem Wollen seiner selbst als einen solchen festgestellt, dass von ihm deswegen, weil er als dauerndes Wissen seiner selbst und dauerndes Wollen seiner selbst begriffen wurde, gleichzeitig ebenfalls begriffen wurde, dass er sich an sich selbst dauernd erinnert und sich selbst dauernd erkennt und liebt, obwohl er sich nicht dauernd unterschieden von dem denkt, das nicht das ist, was er selbst ist.
Der Kirchenvater Origenes deutet Paulus‘ Aussagen im <i>Römerbrief</i> als Theorie der Freiheit des Gewissens (<i>libertas conscientiae</i>)
[1] Und der Apostel [Paulus] sagt, dass diejenigen das Zeugnis eines gesunden Gewissens besitzen, die das in die Herzen eingeschriebene Gesetz einhalten. Daher scheint es notwendig zu erörtern, was dasjenige sei, das der Apostel Gewissen nennt; ob es eine andere Substanz ist als das Herz oder die Seele. Denn von diesem Gewissen wird auch anderswo [in der Bibel] gesagt, dass es tadelt und nicht getadelt wird und den Menschen richtet, selbst aber nicht gerichtet wird. [...]
[2] Weil ich also bei ihm [diesem Vermögen] eine so große Freiheit sehe, dass es sich immer an den guten Taten freut und über sie jubelt, für die schlechten aber nicht angeklagt wird, sondern die Seele, der es anhängt, tadelt und anklagt, meine ich, dass es der Geist ist, von dem der Apostel sagt, er sei mit der Seele [...] verbunden wie ein Erzieher und Leiter, um sie über das Bessere zu ermahnen und über die Schuld zu strafen und anzuklagen.
Platon entwickelt die These, dass man am Anfang der Weltentstehung eine erste Bewegung annehmen muss und weist die Seele als das Selbstbewegte auf
[1] Wenn alles zugleich Gewordene irgendwie feststünde, so wie es die meisten der derartigen [atheistischen Materialisten] zu behaupten wagen, welche erste Bewegung von den genannten [Arten der Bewegung] muss in ihm notwendigerweise zuerst entstehen? Gewiss die, die sich selbst bewegt. Denn durch etwas anderes wird sie sich vorher wohl nicht verändern, wenn keine vorherige Veränderung in ihr wäre. […]
[2] Das, dessen Name ,Seele‘ lautet, welchen Gehalt hat dies? Haben wir einen anderen als den gerade genannten, nämlich die Bewegung, die sich selbst zu bewegen vermag? [...] Wenn sich das aber so verhält, sehnen wir uns dann noch danach, dass nicht hinreichend gezeigt ist, dass die Seele, das erste Werden und die Bewegung des entstandenen und in Zukunft Seienden und von allem, was einander nicht entgegensteht, dasselbe ist, weil ja deutlich wurde, dass sie für alles die Ursache für jegliche Veränderung und Bewegung ist?
Der neuplatonische Philosoph Porphyrios von Tyros (233-301/5) benennt Pythagoras als den Erfinder der Seelenwanderungslehre
Am meisten wurden jedoch folgende Lehren bei allen bekannt: erstens, dass er behauptete, die Seele sei unsterblich; zweitens dass sie sich in andere Gattungen von Lebewesen hinein verändere; außerdem, dass das Entstehende nach gewissen Zeitumläufen erneut entstehe und dass nichts schlechthin neu sei; schließlich, dass man alles Entstehende, das beseelt ist, als verwandt betrachten muss. Es wird überliefert, dass Pythagoras als erster diese Dogmen nach Griechenland einführte.
Chrysipp (3. Jh. v. Chr.) definiert den Tod
Denn weil der Tod die Trennung der Seele vom Körper ist, die Seele des Kosmos sich aber nicht trennt, sondern fortlaufend wächst, bis sie ihre Materie aufgebraucht hat, kann man nicht sagen, dass der Kosmos stirbt.
Gregor von Nyssa (ca. 335/40-394), einer der besten Philosophen unter den griechischen Kirchenvätern, erläutert den Anlass seines Dialogs mit seiner Schwester Makrina
[1] Als der unter den Heiligen große Basileios das menschliche Leben zu Gott hin verließ und den Kirchen ein allgemeiner Ansturm der Trauer zustieß, aber die Schwester und Lehrerin noch im Leben zugegen war, da ging ich eifrig zu ihr, um mit ihr zusammen zu sein angesichts des Unglücks, das den Bruder betraf; und schmerzbeladen war mir die Seele, überreich an Leid wegen dieses großen Verlustes, und ich suchte einen Gefährten der Tränen, der dieselbe Last der Trauer trug wie ich.
[2] Als wir einander vor Augen standen, da wärmte mir die Lehrerin, als sie vor den Augen erschien, das Leiden auf, denn auch sie wurde schon von der Schwäche zum Tode hingehalten. Sie aber, die mir, auf die Weise der Meister der Reitkunst, eingegeben hatte, ein wenig von der Wucht des Leides fortgetragen zu werden, ging danach daran, dies zu begrenzen, indem sie mit dem Wort, wie mit einem Zügel, durch das eigene Nachdenken das Ungeordnete der Seele wiederherstellte, und von ihr wurde das Apostelwort vorgebracht, man brauche nicht über die Entschlafenen zu trauern, denn dieses Leiden passe nur zu denen, die keine Hoffnung haben.
Gregors/Makrinas Argument für die Unsterblichkeit der Seele mithilfe der Lehre vom Menschen als Mikrokosmos/Kleine Welt
Von den Weisen wird gesagt, der Mensch sei ein kleiner Kosmos, der in sich die Elemente umfasse, durch die das All vollständig ist. Wenn aber diese Aussage richtig ist, und so scheint es zu sein, dann dürften wir wohl keine weitere Unterstützung brauchen, um es für uns gewiss zu machen, was wir über die Seele angenommen haben.
Gregors/Makrinas Argument für die Unsterblichkeit der Seele
[1] Wir haben aber angenommen, sie (= die Seele) bestehe für sich selbst in einer abgehobenen und eigentümlichen Natur neben der körperlichen Schwerfälligkeit.
[2] Es ist so, wie wenn wir den ganzen Kosmos durch die sinnliche Wahrnehmung erkennen und durch genau diese Aktivität der Wahrnehmung zur Einsicht in die Tatsache [= die Idee] und das Denken jenseits der Sinneswahrnehmung geführt werden: Das Auge wird uns zum Erklärer der mit vielen Vermögen versehenen Weisheit [Gottes], die durch das All eingesehen wird. [...]
[3] Genauso haben wir, wenn wir auf den Kosmos in uns blicken, keine geringen Anregungen dazu, um durch das Erscheinende auch das Verborgene aufzufinden. Verborgen ist aber das, was, da es in sich selbst geistig und ohne Gestalt ist, die sinnliche Auffassung flieht.
Johannes Philoponos gibt einen Überblick über den antiken Diskussionsstand zur Frage nach der Abtrennbarkeit aus neuplatonischer Perspektive
[1] Und von denen, die [die Seele] nicht abtrennbar nannten, sagten manche, sie sei das Verhältnis der Mischung [der Elemente], wie zum Beispiel: Wenn doppelt so viel Feuer mit Wasser vermischt wird […] oder etwas derartiges, macht das die Seele. […] Andere aber [sagten, sie sei] die Mischung selbst, andere, eine Entelechie. Entelechie aber ist die Vollendung, das heißt die Form für das Zugrundeliegende.
[2] Von denen, die behaupteten, sie sei abtrennbar, sagten manche, die gesamte Seele sei abtrennbar, die rationale, die nicht rationale und die pflanzliche, zum Beispiel [der Mittelplatoniker] Numenios [2. Jhdt. n. Chr.], durch einige Aussagen Platons getäuscht, der im Phaidros sagt "jede Seele ist unsterblich" [245c], wobei er dort gewiss ein Argument über die menschliche Seele entfaltet. […] Die anderen aber [sagten, jede sei] nicht abtrennbar und deswegen sterblich, wie [der Aristoteliker] Alexander von Aphrodisias [um 200 n. Chr.]. […]
[3] Sowohl Platon als auch Aristoteles scheint es so, dass weder jede Seele vom Körper abtrennbar sei, noch jede nicht abtrennbar, sondern die rationale abtrennbar, die übrige aber nicht abtrennbar.
Stephanos von Alexandria (um 600) unterscheidet aufgrund einer Reflexion über Aristoteles‘ Aussagen zu Tieren zwei Typen des Vorstellens
Aber gewiss haben auch die Bienen ein Vorstellen. Denn sie kennen ihre Bienenstöcke und lassen dort ihren Honig zurück. Wenn also die Evidenz lehrt, dass sie ein Vorstellen haben, wie kann Aristoteles sagen, dass sie kein Vorstellen haben? Das ist die Frage. Auf sie antworten wir, dass das Vorstellen auf zwei Weisen vorkommt, das eine als erinnerndes, das andere als lernfähiges, durch das wir lernen. Dieses hat auch der Papagei, denn durch es lernt er die menschlichen Worte. Welches Vorstellen spricht also Aristoteles den genannten Lebewesen ab? Und wir sagen: nicht das erinnernde, sondern das lernfähige.
Ein weiterer Aspekt, den Stephanos einführt, betrifft die Fähigkeit des Vorstellens, aufgefasste Formen zu kombinieren
[1] Wie nun? Fingiert das Vorstellen nicht manches, was die Sinneswahrnehmung nicht kennt? […]. Folglich fingiert das Vorstellen auch, was die Sinneswahrnehmung nicht kennt und ist ohne Sinneswahrnehmung aktiv. Das ist die Frage. Wir sagen dazu: Auch wenn es fingiert, nimmt es die Ausgangspunkte wieder aus der Sinneswahrnehmung. Denn weil jemand den Bock und den Hirsch je für sich gesehen hat, nahm es diese Ausgangspunkte, die einfach sind, von der Sinneswahrnehmung und fingierte das Zusammengesetzte. Wenn es einen zum Himmel reichenden Menschen fingiert, so sah es doch vorher einen einzelnen Menschen. […]
[2] Wie kann Aristoteles nun sagen, dass das Vorstellen in Bezug auf die Wahrnehmungsobjekte an sich immer wahr ist, nachdem er gesagt hatte, dass das Vorstellen nicht immer wahr ist […]? Und dies ist die Frage. Dazu ist zu sagen, dass das Vorstellen auf zwei Weisen geschieht, die eine, die nur die Formen aufnimmt und wie etwas Aufnehmendes ist, die andere, die sich ausmalt, was sie will. Die die Formen aufnehmende ist nun immer richtig […]. Die sich ausmalende, was sie will, ist die Falsches Angebende. Denn weil sie sich nicht-Seiendes ausmalt, ist sie falsch.
Der neuplatonische Ausleger Johannes Philoponos (ca. 500-573) formuliert eine aristotelische Grundfrage über die Seele
Die einen sagen, dass die Seele im Allgemeinen unkörperlich sei, die anderen, sie sei ein Körper. […] Von denen, die meinen, sie sei unkörperlich, meinen einige, sie sei abtrennbar, andere, sie sei nicht abtrennbar.
Philoponos liefert selbst als Neuplatoniker Argumente für die Unkörperlichkeit der Seele von Seiten ihrer Rolle für den Körper
Dass nun keine Seele ein Körper sein kann, ist aus folgender Perspektive deutlich. Jeder Körper ist gemäß seiner Natur auflösbar […]. Deswegen braucht er etwas, das ihn zusammenhält. Ist nun dieses Zusammenhaltende, weil es entweder eine Seele ist oder eine andere Kraft, ein Körper oder unkörperlich? Wenn es ein Körper ist, wird es auch selbst wieder etwas Zusammenhaltendes brauchen. Wiederum fragen wir auch über dieses, ob es ein Körper oder unkörperlich ist, und dieses bis ins Unendliche. [Aber das ist absurd.] Also ist es notwendig, dass die zusammenhaltende Kraft der Körper unkörperlich ist. Beim Beseelten ist aber die Seele das die Körper Zusammenhaltende.
Philoponos argumentiert für die Unkörperlichkeit der Seele von der Sinneswahrnehmung her
Das niedrigste der Erkenntnisvermögen der Seele ist die Sinneswahrnehmung […]. Wenn nun das niedrigste unkörperlich ist, umso mehr die höheren. […] Aristoteles sagt, dass kein Körper gleichzeitig mit dem gleichen Teil Gegensätzliches auffassen kann. […] Die Sinneswahrnehmung fasst aber Gegenteiliges gleichzeitig auf. […] Wie nun fasst das Sehvermögen gleichzeitig Gegenteiliges auf? Mit dem gleichen Teil, oder mit einem anderen das Schwarze, mit einem anderen das Weiße? […] Das Urteilende muss ja nun Eines und dasselbe sein. […] Die Sinneswahrnehmung greift also ohne Teile zu, und ist deswegen […] unkörperlich.
Ibn Sīnā/Avicenna (908-1037) betont die Bedeutung der Lehre von der Seele für die Naturwissenschaft
[1] Und weil die Pflanzen und die Tiere als Substanzen in ihrem Wesen durch Form, nämlich die Seele, und Materie, nämlich den Körper und seine Glieder, konstituiert werden, und weil das Erste, worin das Wissen über etwas besteht, das ist, was von Seiten seiner Form kommt, hielten wir es für gut, zuerst über die Seele zu sprechen.
[2] Und dass wir das Wissen über die Seele nicht Stück für Stück darlegen, so dass wir zuerst über die Pflanzenseele und die Pflanzen, so dann über die Tierseele und die Tiere, und dann über die menschliche Seele und den Menschen sprechen, das liegt nur an zwei Gründen:
- Einer davon ist, dass dieses stückweise Vorgehen, das eines nach dem anderen in den Blick nimmt, zu dem gehört, was das Erlangen von Wissen über die Seele schwierig macht; und
- der zweite, dass […] dadurch unvermeidlich die Seelenvermögen abgetrennt werden, deren Art und deren Gattungen je für sich behandelt werden.
Ibn Sīnā erklärt, in neuplatonischer Tradition, die Rolle der Seele als eine abgetrennte Vollendung der Körpers
[1] Nun ist klar, dass die Seele nicht ein Körper ist, sondern ein Teil des Lebewesens und der Pflanze, der eine Form oder wie eine Form oder wie eine Vollendung ist […].
[2] Ferner ist jede Form eine Vollendung, und nicht jede Vollendung eine Form. Der König ist ja die Vollendung der Stadt, und der Kapitän die Vollendung des Schiffs, und doch sind sie keine Formen der Stadt und des Schiffs. Und eine Vollendung, die wesenhaft [von der Materie] abgetrennt ist, ist nicht wirklich eine Form für die Materie und in der Materie. […] Und man ist sich einig, dass diese Sache im Verhältnis zur Materie Form ist, und im Verhältnis zum Kompositum [aus dem Körper und seiner inhärenten Form] Ziel und Vollendung sowie im Verhältnis zur Bewegung Wirkursache und Bewegungskraft.
[3] Und wenn das so ist, dann benötigt die Form eine Beziehung zu einer von der Substanz, die ihretwegen wirklich ist, entfernten Sache und zu einer Sache, kraft derer die an sich in Möglichkeit befindliche Sache wirklich ist. […]
[4] Also ist von daher klar, dass wir, wenn wir zur Erklärung der Seele sagen, dass sie eine Vollendung ist, auf ihren Gehalt hinweisen, der zugleich alle Arten von Seele umfasst.
Ibn Sīnā (Avicenna) beginnt seine Ausführungen mit einem Beweis der Existenz der Seele
[1] Wir sagen: Das Erste, worüber wir sprechen müssen, ist nun der Beweis für das Sein derjenigen Sache, die wir ,Seele‘ nennen; dann sprechen wir über das, was darauf folgt. Nun sagen wir: Wir sehen gewiss Körper, die sich ernähren, schlafen, Ähnliches gebären, und dieses nicht aufgrund ebendieser Körper. Also bleibt übrig, dass es in ihren Wesenheiten unkörperliche Prinzipien dafür gibt. Und die Sache, aus der diese Akte hervorgehen, und überhaupt alles, was ein Prinzip ist für das Hervorbingen von Tätigkeiten, die nicht auf eine übliche Weise, durch den Willen geschehen, nennen wir Seele.
[2] Und diese Bezeichnung ist ein Name für diese Sache, nicht, insofern sie eine Substanz ist, sondern von Seiten dessen […], dass sie Prinzip für derartige Aktivitäten ist.
Ibn Sīnā (Avicenna) erklärt am Beispiel vom fliegenden Menschen, dass man die Seele ganz losgelöst von ihrer Funktion, den Körper zu beleben, denken kann
Jeder Einzelne von uns soll es sich so vorstellen, als wäre er plötzlich geschaffen und vollendet geschaffen, aber sein Blick abgeschirmt vom Betrachten des Äußeren; und als wäre er so geschaffen, dass er in der Luft fiele oder im Leeren, ohne dass ihm das Vorhandensein der Luft einen Widerstand entgegensetzte, den er wahrnehmen könne, und als bestünde eine Trennung in Bezug auf seine Glieder, so dass sie sich nicht berührten und keinen Kontakt zueinander hätten. Dann soll er bedenken, ob er die Existenz seines Wesens bejaht, so dass er an der Bejahung davon nicht zweifelt, dass sein Wesen existiert, und ob er zugleich damit die Begrenzung seiner Glieder nicht bejaht.
Ibn Sīnā betont die Rolle des Intellekts (<i>al-ʿaql</i>), differenziert das Phänomen weiter auf und führt innere Sinne wie das Einschätzungsvermögen ein
[1] Bedenke nun und betrachte die Lage dieser Vermögen, wie einige über andere herrschen und wie einige anderen dienen.
[2] Dann musst Du den erworbenen Intellekt als Herrscher ansetzen, und alle dienen ihm, und er ist der äußerste Gipfel. Sodann dient dem Intellekt im Akt der habituelle Intellekt, und der materielle Intellekt dient, insofern es in ihm Aufnahmebereitschaft gibt, dem habituellen Intellekt. Sodann dient der praktische Intellekt all diesen, weil die körperliche Zusammensetzung […] wegen der Vollendung, Reinigung und Läuterung des theoretischen Intellekts erfolgt. Und der praktische Intellekt leitet diese Zusammensetzung.
[3] Sodann dient dem praktischen Intellekt das Einschätzungsvermögen, und diesem dienen zwei Vermögen, das ihm vorhergehende und das ihm nachfolgende Vermögen. Dabei ist das Vermögen, das ihm nachfolgt, dasjenige, das aufbewahrt, was das Einschätzungsvermögen erbracht hat, also das Gedächtnis. Und das Vermögen, das ihm vorhergeht, sind alle dem Lebewesen zukommenden Vermögen.
Ibn Sīnā reflektiert die von Aristoteles genannten Bedingungen für die Feststellung von Teilen bzw. unterschiedlichen Vermögen der Seele
[1] Und unser Ziel ist jetzt, die Vermögen bekanntzumachen, von denen die Akte ausgehen, sowie, ob es für jede Art von Akt ein spezifisches Vermögen geben muss oder ob das nicht so sein muss. […] Wir sagen also erstens: Ein Vermögen, insofern es wesentlich ein Vermögen und primär ist, ist ein Vermögen zu einer gewissen Sache, und es ist unmöglich, dass es Prinzip einer anderen, davon verschiedenen Sache ist. Denn insofern etwas ein Vermögen zu etwas ist, ist es Prinzip davon. […].
[2] Nun sind die Vermögen, insofern sie Vermögen sind, dem ersten Zweck nach Prinzipien für bestimmte Akte. Aber es ist möglich, dass ein einzelnes Vermögen dem zweiten Zweck nach Prinzip für viele Akte ist, insofern diese wie Zweige sind. […] Zum Beispiel ist der Gesichtssinn primär nur ein Vermögen zur Auffassung einer Qualität, in der sich der Körper befindet […], und dies ist die Farbe. Sodann ist die Farbe weiß und schwarz.
Ibn Sīnā unterscheidet, Aristoteles folgend, drei grundsätzliche Vermögen der vegetativen Seele
[1] Und die Pflanzenseele hat drei Vermögen. Und das Nährvermögen ist das Vermögen, einen anderen Körper als den Körper, in dem es ist, in eine Ähnlichkeit zu dem Körper, in dem es ist, zu verwandeln, und diesem das anzuhaften, was von jenem ist;
[2] und das Wachstumsvermögen, das das Vermögen ist, zu dem Körper, in dem es ist, durch einen ähnlichen Körper etwas Passendes zu seiner Ausdehnung hinzuzufügen, in Bezug auf die Länge und die Tiefe und die Breite, so dass er die Vollendung des Wachstums erreicht.
[3] Und das Fortpflanzungsvermögen empfängt von dem Körper, in dem es ist, einen Teil, der ihm dem Vermögen nach ähnlich ist. Dann macht es mit ihm durch Aufnahme anderer Körper, die ihm ähnlich sind, durch Herstellung von etwas, das es hervorbringt, etwas, das ihm im Akt ähnlich ist.
Ibn Sīnā über die unterschiedliche Wirkung des vegetativen Fortpflanzungsvermögens in verschiedenen Wesen
[1] Und das pflanzliche Vermögen, das in den Tieren ist, also der Unterschied, den sie in ihrem Sein vom Allgemeinen haben, ist gerade das Nähr- und Wachstumsvermögen, und es ist vermischt mit der Gestalt und den Elementen zu einer Mischung, die für das Lebewesen passt. Denn ihre Mischung spielt nicht die Rolle des Vermögens, das den Pflanzen und Tieren gemeinsam ist, insofern es gemeinsam ist. […] Es gehört nämlich nicht zur Natur der Elemente und gegensätzlichen Körper, dass sie miteinander verbunden sind, sondern zu ihrer Natur gehört eine Neigung nach verschiedenen Seiten hin.
[2] Und verbunden hat sie nur die spezifische Seele, zum Beispiel in einer Palme eine Palmenseele und bei einer Traube eine Traubenseele und überhaupt die Seele, welche die Form für diese Materie ist. Und wenn es sich um eine Palmenseele handelt, kommt es ihr zusätzlich dazu, eine Palmenseele zu sein, zu, dass sie eine Wachstumsseele ist, und in einer Traube, eine Traubenseele zu sein. Und die Palme braucht nicht eine Pflanzenseele und eine andere Seele, die in dieser Palmenseele wäre. […] Und insofern ist die Pflanzenseele, die in den Tieren ist, also die nach Schöpfung des Tieres, […] in Wirklichkeit keine Pflanzenseele, abgesehen davon, dass man sie eine Pflanzenseele in der Weise nennt, die wir erwähnt haben.
Ibn Sīnā betrachtet die Sinneswahrnehmung als ein spezifisches Feld der Abstraktion
[1] Jetzt wollen wir über die Vermögen der Sinneswahrnehmung und des Auffassens sprechen, und wir wollen über das sprechen, was zur allgemeinen Rede darüber gehört. Wir sagen also: Es scheint, dass jedes Auffassen nichts anderes als ein Ergreifen der aufgefassten Form auf eine von mehreren Weisen ist. Wenn sich nun das Auffassen auf eine materielle Sache richtet, so ist es das Ergreifen seiner von der Materie in einer bestimmten Weise losgelösten (muğarradatin = abstractam) Form. Aber es gibt verschiedene Arten der Loslösung (al-tağrīdi = abstractionis), und ihre Stufen sind nicht von gleicher Art.
[2] Der materiellen Form stoßen nun aufgrund der Materie akzidentell Zustände und Lagen zu, die nicht zu ihrem Wesen gehören. […] Zum Beispiel ist die menschliche Form bzw. die menschliche Washeit eine Natur, die nicht notwendigerweise die Individuen der ganzen Art in gleicher Weise umfasst. Sie ist ja der Zahl nach eine Sache, und es stößt ihr akzidentell zu, dass sie in diesem und jenem Individuum besteht, so dass sie sich vervielfältigt. Und das trifft auf sie nicht von Seiten ihrer Menschennatur zu. […] Folglich ist eines der Akzidenzien der Menschheit von Seiten der Materie genau diese Art der Vervielfältigung durch Teilung.
Ibn Sīnā erörtert, wie die Abgabe und Aufnahme einer abstrahierten Form bei der Sinneswahrnehmung genügt
[1] Und wir sagen: In der Seele wird eine Form des Gesehenen aufgenommen, die der Form in diesem ähnelt, aber nicht diese Form selbst ist. Und auch das, was aufgrund von Annäherung wahrgenommen wird, wie das Gerochene und Berührte, erreicht das Wahrnehmende durch diese Form davon. Aber es entsteht in ihm nur etwas dieser Form Ähnliches.
[2] Von denjenigen der Sachen jedoch, die ein Erleiden hervorrufen, gibt es einen Weg durch Berührung. Und unter ihnen muss etwas, wenn die Berührung entsteht, geschädigt werden, damit eine Spur davon zurückgelassen wird.
[3] Und dies ist an diesem Ort derjenige Strahl, der zu dessen Verbindung mit der Form des Gesehenen erforderlich ist. So kann dasjenige, was die Form aufweist, ein Abbild seiner Form, das dem in der Ferne Auswerfenden als schwaches Abbild ähnlich ist, zu etwas von ihm Verschiedenem hin auswerfen, wenn das Licht stark wird.
Ibn Sīnā stellt einen Zusammenhang zwischen dem Tastsinn und einer minimalen Bewegungsfähigkeit bei Schalentieren fest
Und was die Bewegung betrifft, so kann jemand sagen: Nahe ist der Tastsinn den Tieren. Und insoweit er die primäre Art der Sinneswahrnehmung ist, insoweit dürfte scheinen, dass er unter den Bewegungskräften als erste Art vorhanden ist. Nun ist es bekannt, dass es von den Tieren welche gibt, die den Tastsinn besitzen und nicht die Fähigkeit zur Bewegung, so wie die Arten der Muscheln. Aber wir sagen, dass die willentliche Bewegung auf zwei Weisen erfolgt, als von Ort zu Ort transportierende Bewegung und als Bewegung des Zusammenziehens und Ausdehnens der Glieder des Tieres. Und wenn es in ihm überhaupt keinen Transport von seinem Ort gibt, so ist es unmöglich, dass das Tier den Tastsinn hat und die Bewegungskraft in ihm gar nicht vorhanden ist. Denn wie soll man wissen, dass es den Tastsinn hat, außer dadurch, dass an ihm eine Art von Abwendung vom Ertasteten und Streben zum Ertasteten gesehen wird?
Ibn Sīnā ergänzt den Gemeinsinn und die Formen des Vorstellens weiter und fasst sie zur Gruppe der fünf inneren Sinne zusammen
[1] Nun wissen wir aber in unserer Natur, dass wir Sinnesobjekte nicht gemäß der Form, die wir außen sehen, untereinander kombinieren und voneinander unterscheiden. […] Es ist also nötig, dass es in uns eine Kraft gibt, durch die wir dies tun. Sie wird, wenn der Intellekt sie verwendet, Denkkraft genannt, und, wenn ein tierisches Vermögen sie verwendet, Vorstellungskraft.
[2] Ferner urteilen wir bisweilen über Sinnesobjekte durch Intentionen, deren Naturen zum Teil gar nicht sinnlich wahrnehmbar sind, […] so wie Feindschaft, Schlechtigkeit und Abneigung, welche das Schaf in der Form des Wolfs wahrnimmt, und überhaupt die Intention, die es vor ihm fliehen lässt, sowie die Eintracht, die es bei seiner Gefährtin wahrnimmt. […] Es handelt sich um Dinge, welche die tierische Seele wahrnimmt, ohne dass die Sinneswahrnehmung auf irgendetwas davon hinweist. Also ist das Vermögen, durch welches dies aufgefasst wird, eine andere Kraft und wird Einschätzungskraft genannt (al-wahm = aestimatio).