Das Ähnlich-Werden mit Gott als Ziel der platonischen Philosophie:
Sokrates: Deswegen ist es nötig, so schnell wie möglich von hier nach dort zu
fliehen. Die Flucht ist aber das Ähnlichwerden mit Gott, soweit es möglich ist.
Ähnlichwerden besteht aber darin, mit Klugheit gerecht und würdig zu werden. [...] Gott ist niemals auf irgendeine Weise ungerecht, sondern so gerecht wie nur irgend möglich, und nichts ist ihm ähnlicher als jemand von uns, der so gerecht wird wie möglich.
Die Definition des vorbildlichen Gottes als sittlich gut: Sokrates: Gott ist niemals auf irgendeine Weise ungerecht, sondern so gerecht
wie nur irgend möglich, und nichts ist ihm ähnlicher als jemand von uns, der so
gerecht wird wie möglich.
Die Beschreibung des guten Herstellers bzw. „Schöpfers“ der Welt (Antike Philosophie I)<br />
Die Güte Gottes als Grund der Weltordnung ist seit Platon ein klassisches Motiv griechischer philosophischer Theologie (Judentum und Islam)
Timaios: a) Geben wir denn an, aus welchem Grund der Gestalter das Werden und das Weltall gestaltete. Er war gut; in einem Guten erwächst niemals und in keiner Beziehung irgendeine Missgunst. […] Weil nämlich der Gott wollte, dass alles gut und nach Möglichkeit nichts schlecht sei, so nahm er also alles, was sichtbar war und keine Ruhe hielt, sondern in ungehöriger und ordnungsloser Bewegung war, und führte es aus der Unordnung zur Ordnung. [...]
b) Durch Überlegung stellte er nun fest, dass von dem der Natur gemäß Sichtbaren kein ganzes Werk ohne Geist schöner sei als etwas Ganzes, das Geist hat, dass aber Geist unmöglich irgendwem ohne Seele zukommen kann. Wegen dieser Überlegung verfertigte er das All so, dass er Geist in Seele, Seele aber in Körper hineinlegte, damit er der Natur gemäß das schönste und beste Werk zustande brächte.
c) So muss man also gemäß der wahrscheinlichen Rede sagen, dass diese Welt als beseeltes, geistbegabtes Lebewesen und in Wahrheit durch göttliche Vorsehung entstanden ist.
Der bedeutendste lateinische Kirchenvater Augustinus berichtet in seinen ,Bekenntnissen‘ seinen Lebensweg
[1] Groß bist Du Gott, und sehr zu loben. Groß ist Deine Kraft, und Deine Weisheit hat kein Ende. Und der Mensch will Dich loben, irgendein Teil Deiner Schöpfung, und der Mensch, der seine Sterblichkeit herumträgt, der das Zeugnis seiner Sünde umherträgt und das Zeugnis, dass Du ,den Hochmütigen widerstehst‘ (Brief des Jakobus 4, 6).
[2] Und doch will Dich der Mensch loben, irgendein Teil Deiner Schöpfung. Du regst an, dass es Freude bereitet, Dich zu loben, denn Du hast uns auf Dich hin geschaffen, und unruhig ist unser Herz, bis es ruht in Dir. [...]
[3] Aber wer ruft Dich an, der Dich nicht kennt? Denn wer nicht kennt, kann etwas anderes anstelle von etwas anrufen. Oder wirst Du eher angerufen, damit Du gekannt wirst? Wie wird man aber jemand anrufen, an den man nicht geglaubt hat? Oder wie glaubt man ohne Verkündiger? [...] Ich will Dich suchen, Gott, indem ich Dich anrufe, und Dich anrufen, indem ich an Dich glaube.
Anselm von Canterbury (1033-1109) über das Streben des Gläubigen
nach Verständnis:
Herr, ich begehre deine Wahrheit ein wenig zu verstehen, die mein Herz
glaubt und liebt. Denn ich strebe ja nicht zu verstehen, damit ich glaube,
sondern ich glaube, damit ich verstehe. Denn auch dies glaube ich: Wenn ich
nicht zuvor geglaubt habe, werde ich nicht verstehen.
Richard von Sankt Viktor (gest. 1173) über das Streben des Gläubigen nach Verständnis:
Denn einiges von dem, was uns zu glauben aufgetragen ist, scheint nicht nur über die Vernunft hinauszugehen, sondern auch gegen die menschliche Vernunft zu sein, wenn es nicht in einer tiefen und höchst feinen Untersuchung erörtert wird [...]. Zwar sollen wir durch den Glauben eintreten, aber keineswegs sofort am Eingang stehenbleiben, sondern immer weiter zum Inneren und Tieferen des Verständnisses eilen und mit aller Mühe und höchster Sorgfalt darauf achten, dass wir durch tägliches Wachstum zum Verständnis dessen gelangen können, was wir im Glauben festhalten.
Peter Abaelard (1079-1142) über den Glauben:
Drei Dinge sind es, worin, wie ich meine, die Summe des menschlichen Heils besteht, nämlich Glaube, Liebe (caritas) und Sakramente. [...] „Glaube“ ist eine Einschätzung über „nicht erscheinende Dinge“ (Hebr 11, 1), das heißt über solche, die den körperlichen Sinnen nicht unterliegen [...].
Der Philosophie-kundige Arzt Galen hält das jüdische Schöpfungsverständnis aus der Perspektive der antiken Naturphilosophie für lächerlich
Das ist nämlich das, worin sich unsere Meinung, d.h. die Platons und die der anderen bei den Griechen, die die Untersuchungen über die Natur richtig angegangen sind, von der des Mose unterscheidet: Denn ihm genügt es, dass Gott die Materie ordnen will, und sofort ist sie geordnet. Er glaubt nämlich, dass Gott alles möglich ist, selbst wenn er will, dass die Asche ein Pferd oder ein Ochse wird. Wir aber erkennen, dass das nicht so ist, sondern sagen, es gebe Dinge, die natürlicherweise unmöglich sind und dass Gott diese gar nicht erst in Angriff nimmt, sondern dass er aus dem Möglichen auswählt, dass das Beste geschieht.
Peter Abaelard über die Frage, warum man eigentlich nicht über Gott sprechen kann<br />
Dass jede Rede von Menschen weitestgehend an die Naturen der Geschöpfe angepasst ist, wird auch besonders anhand desjenigen Teils eines Satzes deutlich, ohne den nicht gesagt werden kann, dass eine Vollständigkeit des Satzes besteht, aus dem nämlich, der ,Verb‘ genannt wird. Denn dieser Ausdruck dient zur Bezeichnung der Zeit, die von der Welt aus begonnen hat. Wenn wir daher die Bedeutung dieses Teils beachten, wird durch ihn notwendig der Sinn einer jeden Wortverbindung in den Bereich der Zeit hineingezwungen [...]. Wenn wir daher sagen, dass Gott früher ist als die Welt oder vor den Zeiten existiert hat, welcher Sinn vom Vorhergehen Gottes und dem Nachfolgen von diesen kann wahrhaft in diesen Worten sein [...]? Es ist daher nötig, wenn wir irgendwelche Ausdrücke auf die einzigartige Natur Gottes übertragen, dass diese eine gewisse einzigartige Bedeutung oder auch Wortverbindung an sich ziehen und durch das, was alles übersteigt, auch notwendig die eigene Einsetzung übersteigen.
Peter Abaelard wendet sich mit wahrscheinlichen Argumenten an seine Zuhörer
Damit sind, denke ich, genug Gründe angeführt, um die ausgezeichnete Einzigkeit der Gottheit darzulegen. Ich meine, ihnen wird auch leicht jeder Gute zustimmen, der ohne Neid auf jemand die größte Freude an der Empfehlung aller Dinge hat. Wir stützen uns aber eher auf moralisch einleuchtende als auf notwendige Gründe, weil bei den Guten immer das vorzüglich festgehalten wird, das mehr aus moralischem Einleuchten empfohlen wird, und der Vernunftgrund immer stärker ist, der eher zur moralischen Einsicht als zur Notwendigkeit neigt, zumal das, was moralisch einleuchtend ist, durch sich selbst gefällt und uns sofort mit einer bestimmten, ihm eigenen Kraft zu sich hinzieht.
Peter Abaelard über die Grenzen der göttlichen Handlungsmöglichkeiten
[1] Ich denke es ist zu fragen, ob Gott mehr oder besseres tun kann, als er tut, oder ob er auch mit dem, was er tut, auf irgendeine Weise aufhören könnte, so dass er es nämlich niemals täte. [...] [2] Wenn es also a), weil es gut ist, dass etwas getan wird, nicht gut ist, dass es unterlassen wird, und wenn b) Gott nichts tun oder unterlassen kann außer dem, von dem es gut ist, dass er es tut oder unterlässt, c) dann scheint er gewiss nur das tun oder unterlassen zu können, was er tut oder unterlässt, weil es nur bei diesem allein gut ist, dass er es tut oder unterlässt. [...] [3] Oder wer würde ihn nicht, wenn er das unterlässt, von dem gut ist, dass er es tut, und sich von einigem, was zu tun wäre, zurückzieht, als feindlich und ungerecht anklagen?
Thomas von Aquin (ca. 1225-1274) über die unendliche Unbegreifbarkeit Gottes
Die Vernünftigkeit einer Ordnung, die ein Weiser Dingen auferlegt, die von selbst gemacht sind, wird vom Ziel her genommen. Wenn das Ziel also den Dingen proportional angepasst ist, die wegen des Ziels gemacht werden, dann wird die Weisheit des Machenden auf eine festgelegte Ordnung begrenzt. Aber die göttliche Güte ist ein Ziel, das die geschaffenen Dinge jenseits der Proportionalität überschreitet. Daher wird die göttliche Weisheit nicht auf eine Ordnung der Dinge hin in der Weise festgelegt, dass kein anderer Verlauf der Dinge hieraus hervorgehen könnte. Daher muss man schlechthin sagen, dass Gott anderes machen kann als das, was er macht.
Johannes Duns Scotus über Intellekt und Wille in Gott
[1] Jeder Akt des Intellekts, der in Gott einem Willensakt vorausgeht, ist rein naturhaft und formal nicht frei. Infolgedessen ist alles, was vor jedwedem Willensakt gedacht wird, rein naturhaft.[...] [2] Deshalb kommt dem göttlichen Intellekt vor dem Willensakt von solchen Termini lediglich eine neutrale Erkenntnis zu, gerade so, wie mein Intellekt neutral zu dem komplexen Sachverhalt steht, ob die Anzahl der Sterne gerade oder ungerade ist. Wenn nun der Intellekt dem Willen derartige komplexe Sachverhalte darbietet, dann kann der Wille das Zusammenstellen dieser Termini frei wählen oder nicht wählen. [...] [3] Und erst in genau dem Augenblick, da der göttliche Wille ,Petrus‘ und ,Glückseligkeit‘ verbinden will, ist dieser Satz wahr, und folglich kann Petrus vorher die Glückseligkeit nicht erlangen.
Wilhelm von Ockham (ca. 1285-1347) über die absolute Freiheit Gottes
Gott ist niemandem etwas schuldig, es sei denn, er hat es selbst so geordnet; im Hinblick auf seine absolute Macht kann er aber ohne irgendein Unrecht mit seiner Schöpfung das Gegenteil tun,
Johannes Duns Scotus (1265-1308) über die Allmacht Gottes und ihre Implikationen
[1] Ich frage: Kann Gott kraft seiner Allmacht alles Mögliche umittelbar hervorbringen? [2] Es sieht nicht danach aus. Dann [...] nämlich könnte Gott ein Subjekt ohne die ihm eigentümliche Eigenschaft hervorbringen; und somit könnte es ohne eigentümliche Eigenschaft existieren und gewusst werden. Infolgedessen gäbe es im Bereich des Seienden kein Wissen schlechthin. [...] [3] Ich antworte und sage, dass sich zwar, wenn wir den Prinzipien der Philosophen folgen, nicht halten lässt, dass Gott auf Grund seiner Allmacht unmittelbar alles Mögliche hervorbringen kann [...]. Dennoch behaupte ich, dass es sich so verhält, und zwar gemäß dem Glauben, durch welchen wir mit den Philosophen über die Prinzipien unterschiedlicher Meinung sind und infolgedessen auch über die Schlussfolgerung [...] [4] Wenn wir [...] von absoluten möglichen Seienden sprechen, behaupte ich, dass Gott jedwedes Absolute durch sich hervorbringen kann. [...] Notwendigerweise besitzt jedes Absolute, was real von anderem unterschieden ist, eine unterschiedene Seiendheit, die nicht von anderem wesentlich abhängt. Folglich kann es für sich sein und gemacht werden, ohne irgendeine Beziehung auf ein anderes. [...] [5] Wer immer weiß, dass eine absolute Eigenschaft ihrem Subjekt zukommt, weiß das zwar sicher, aber nicht immer oder allgemein. Dann nämlich würde er etwas Falsches wissen, weil die Eigenschaft nicht immer unmittelbar ihrem Subjekt als ihrer Ursache zukommt, der sie ihr Entstehen verdankt. Er weiß aber nur, dass es sich meistens so verhält, denn meistens entsteht eine Eigenschaft aus den Prinzipien ihres Subjekts aber nicht immer.
Die stoische Argumentation für die Herrschaft eines Gottes
Balbus: Was kann nämlich so offen und einsichtig sein, sobald wir zum Himmel
aufgeblickt und das Himmlische betrachtet haben, als dass es irgendein Wesen
von herausragendem Verstand gibt, wodurch dies geleitet wird? [...] Wenn wir
das nicht in unserem jeweiligen Geist erkannt und begriffen hätten, dann bliebe
keine so stabile Meinung bestehen und würde nicht durch die Dauer der Zeit
bestätigt. [...] Wir sehen ja, dass andere erdichtete und leere Meinungen auf die
Dauer verschwinden; denn wer glaubt, es hätte einen Hippokentaur oder eine
Chimäre gegeben? [...] Die erfundenen Meinungen zerstört der Tag, die Urteile
der Natur bestätigt er.
Der Zeus-Hymnos des Stoikers Kleanthes (um 250 v. Chr.)
Ruhmvollster der Unsterblichen, mit vielen Titeln Benannter, ewig alles Beherrschender,
Zeus, Erster Beweger der Natur, der Du mit dem Gesetz alles steuerst,
sei gegrüßt. Dich nämlich anzusprechen geziemt sich für alle Sterblichen. [...]
So nämlich fügtest Du in eins alle Dinge zusammen, die guten mit den schlechten,
so dass für sie alle eine rationale Struktur entsteht, die ewig ist.
Gemieden und außer acht gelassen wird sie von denen, die schlecht sind unter den Sterblichen,
den Unglücklichen, die immer den Besitz von Gütern begehren,
aber Gottes allgemeines Gesetz weder einsehen noch hören;
würden sie es befolgen, so hätten sie ein gutes Leben gemeinsam mit der Einsicht.
Der zum Christentum bekehrte Philosoph Justin erläutert, warum seine Konversion ein philosophischer Akt ist
a) Tryphon: Welche Meinung hast Du aber über Gott und was ist Deine Philosophie? [...]
b) Justin: Ich will Dir sagen, was mir richtig scheint. In Wahrheit ist nämlich die Philosophie das größte Besitztum und das wertvollste bei Gott, zu dem sie allein uns nahebringt und hinführt, und wahrhaft würdevoll sind die, die sich auf die Philosophie konzentrieren. [...] Die Philosophie [...] ist das Wissen um das Seiende und die Erkenntnis des Wahren, das Glücklichsein aber ist der Lohn für dieses Wissen und diese Weisheit.
c) T.: Gott aber nennst Du was? [...]
J.: Das, was immer auf die gleiche Weise und identisch ist und für alles andere die Ursache des Seins ist, dies ist Gott. [...] Aber das Göttliche [...], Väterchen, ist nicht mit den Augen selbst sichtbar, so wie die anderen Lebewesen, sondern allein mit dem Geist auffassbar, so wie es Platon sagt und wie ich von ihm überzeugt werde.
Eusebios, Bischof von Kaisareia, findet in der Bibel Gottes Selbstvezeichung als „der Seiende“
Wenn Moses in den heiligen Mysterien in der Person Gottes das Orakel ausspricht: ,Ich bin der Seiende. Dies sollst Du den Söhnen Israels sagen: Der Seiende hat mich zu Euch geschickt‘ (Exodus = 2 Moses 3, 14) und voraussetzt, dass Gott allein schlechthin seiend ist [...] und wenn wir infolgedessen das All in zwei Teile aufteilen, dass Geistige und das sinnliche Wahrnehmbare [...] – dann sieh, auf welche Weise Platon nicht nur den Verstand, sondern auch den Wortlaut und die Aussagen der Schrift der Juden nachahmt und sich an ihre Lehre anpasst.
Porphyrios über die Vereinigung mit dem Einen
Wenn er sich so durch dieses dämonische Licht besonders in den ersten und jenseitigen Gott mit den Gedanken einführte, auf den von Platon im Symposion gewiesenen Wegen, erschien ihm jener Gott, der weder eine Gestalt noch eine Idee hat, der oberhalb des Geistes und alles Gedachten sitzt. Ihm, sage ich, habe ich, Porphyrios, mich auch einmal angenähert und mit ihm vereint, im 68. Lebensjahr. [...] [Plotin] aber erreichte wohl viermal, während ich bei ihm war, dieses Ziel mit unsagbarer Aktivität.
Die platonische Prinzipenlehre des Numenios von Apameia
Gott anrufend, der sich selbst kennt, wollen wir so beginnen, mit einem Argument den Schatz der Gedanken aufzuzeigen: Beten muss man zwar nun, aber Differenzierung tut not. Der ersten Gott, der in sich selbst besteht, ist einfach, weil er dadurch, dass er mit sich selbst durchgängig zusammensteht, niemals aufteilbar ist. Der zweite Gott aber und der dritte sind einer. Zusammengemischt mit der Materie, die eine Zweiheit ist, einigt er diese, wird aber von ihr aufgetrennt, die sie einen begehrenden Charakter hat und sich im Fluss befindet. Weil er also nicht beim Gedachten ist (dann wäre er nämlich bei sich), weil er auf die Materie schaut, wird er, mit dieser beschäftigt, ohne Blick für sich selbst. Und er berührt das Sinnliche und umhegt es, führt es noch hoch zum eigenen Charakter, nachdem er sich zur Materie hin ausgestreckt hat. [...] Wir stimmen ganz mit uns selbst überein [...], dass der erste Gott untätig in allen Werken und König ist, der Schöpfergott aber herrscht, indem er durch den Himmel schreitet.
So beginnt ein philosophischer Dialog mit Bardaiṣān, dem ,Philosophen der Aramäer‘ (um 200 n. Chr.)
[1] Vor einigen Tagen gingen wir unseren Bruder Šemašgram besuchen. Auch Bardaiṣān kam, um uns dort anzutreffen. Als er ihn umarmt und gesehen hatte, dass es ihm gut ging, fragte er uns: "Worüber spracht Ihr? Denn ich hörte eure Stimme von draußen, als ich hierherkam." Er war es nämlich gewohnt, dann, wenn er uns dabei antraf, dass wir vor ihm über etwas sprachen, zu fragen: "Was spracht Ihr?", um hierüber mit uns zu sprechen.
[2] Wir sagten also zu ihm: "Dieser ʿAvīdā dort sagte zu uns: Wenn es einen Gott gibt, so wie Ihr sagt, und dieser die Menschen gestaltete und hierdurch etwas will, dass euch zu tun befohlen wird, warum gestaltete er die Menschen nicht so, dass sie nicht sündigen können, sondern vielmehr die ganze Zeit das Gute tun?“.
Klärungen zum Verhältnis des Göttlichen zu dem, was am Göttlichen teilhat, finden sich wiederum in der <i>,Elementatio theologica‘<i>
119. Jeder Gott existiert auf die Weise einer mehr-als-seienden Güte, d.h. er ist weder einer Disposition noch dem Sein nach gut [...], sondern auf mehr als seiende Weise [...]
122. Jedes Göttliche sorgt ebenso vorausschauend für das ihm Nachgeordnete wie es dem, wofür es sorgt, transzendent bleibt, weil weder die Sorge sein unvermischtes und einheitliches Überragen lockert noch seine abgetrennte Einheit die vorausschauende Sorge verunklart [...]
123. Jedes Göttliche ist selbst wegen seiner mehr-als-seienden Einheit für das Nachgeordnete unaussagbar und unerkennbar, von dem ausgehend, was an ihm teilhat, ist es aber ergreifbar und erkennbar. Deswegen ist nur das Erste schlechthin unerkennbar, weil an ihm nichts teilhat.
Der christliche Denker Gregor von Nazianz diskutiert die Bedingungen des „Philosophierens über Gott“ <br /><br /> Der kappadokische Vater Gregor von Nazianz bemüht sich, indem er Bedingungen des ,Philosophierens über Gott‘ nennt, dieses als Aktivität einer Elite innerhalb des Christentums darzustellen, die sich – auf eine ähnliche (vom Platonismus inspirierte) Weise, wie es Proklos schildert – auf einen solchen Aufstieg besonders vorbereiten kann
Nicht Sache eines jeden, o ihr Anwesenden, ist das Philosophieren über Gott, nicht eines jeden. Diese Sache ist nicht so wohlfeil und zum niedrig Gehenden gehörig. Ich will hinzufügen: Weder überall, noch für alle, noch alles davon, sondern manchmal, und für bestimmte Leute, und bis zu einem gewissen Grad. [Sie ist] nicht Sache von allen, denn sie gehört den Geübten, den in der Theorie Fortgeschrittenen, die auch hiervor die Seele und den Körper gereinigt haben oder ihn reinigen, um das wenigste zusagen. ,Ein Unreiner nämlich berührt das Reine‘ (Platon, Phaidon 67b) zufällig und ohne Gewissheit, so wie auch die schwache Sehkraft nicht den Sonnenstrahl. [...] Man muss sich nämlich für das Seiende Ruhe nehmen und Gott erkennen. [...] Wer aber soll philosophieren, und bis zu welchem Grad? Soweit es für uns erreichbar ist und soweit die Disposition und Kraft des Hörenden gelangt.
Der christliche Theologe Gregor von Nyssa über die Gotteserkenntnis
Die folgende Entwicklung des Arguments führt die Seele zu etwas Größerem, zur Philosophie über das Seiende. Sie zeigt nämlich, dass alles miteinander verbunden ist und dass die Harmonie des Seienden keine Auflösung kennt, sondern dass es eine Art Zusammenatmen von allem miteinander gibt. [...] Im Sein bleibt aber alles, was durch die Kraft des wahrhaft Seienden beherrscht wird. Das wahrhaft Seiende ist aber die Güte selbst oder irgendeine noch höhere Bezeichnung, die sich vielleicht jemand für die unsagbare Natur ausdenkt.
Augustinus berichtet über seine Bekehrung zur Philosophie als Gottsuche nach der Lektüre von Ciceros <i>Hortensius</i>
[1] Durch die übliche Ordnung des Lernens war ich zu einem Buch eines gewissen Cicero gelangt, dessen Sprache fast alle bewundern, seinen Gehalt hingegen nicht so sehr. Aber dieses Buch von ihm enthält eine Ermunterung zur Philosophie und wird ,Hortensius‘ genannt.
[2] Dieses Buch aber veränderte meine Geisteshaltung und verwandelte meine Bitten, Herr, zu Dir hin und machte meine Gebote und Begierden andere. [...]
[3] Wie sehr brannte ich, mein Gott, wie sehr brannte ich danach, vom Irdischen zu Dir zurückzufliegen und wusste doch nicht, was Du mit mir tatest! Denn „bei Dir ist die Weisheit“ (Ijob 12, 13). Die Liebe zur Weisheit hat aber als griechische Bezeichnung, ;Philosophie‘, zu der mich diese Schrift entbrannte.
[4] Es gibt Leute, die durch Philosophie verführen, indem sie ihre Irrtümer mit diesem großen, verführerischen und in sich guten Namen färben und kolorieren [...], und hierbei wird die heilsmäßige Ermahnung Deines Geistes klar [...]: „Seht zu, dass Euch niemand durch leere Philosophie täuscht“ (Kolosser 2, 8). [...]
[5] Weil mir dieses Apostelwort noch nicht bekannt war, freute ich mich trotzdem allein hierdurch an dieser Ermahnung [zur Philosophie], dass ich [...] die Weisheit selbst, worin sie auch immer bestehe, liebte und suchte [...], und allein das [...] machte mich stutzig, dass der Name Christi dort nicht zu finden war.
Augustinus berichtet, wie er mithilfe platonischer Schriften einen Weg zum christlichen Glauben findet
[1] Du verschafftest mir durch einen bestimmten Menschen, der vor gewaltigem Stolz geschwollen war, bestimmte Bücher der Platoniker, die aus der griechischen Sprache in die lateinische übersetzt waren.
[2] Und dort las ich, dass, zwar nicht mit diesen Worten, aber ganz genau dasselbe mit vielen und vielfältigen Argumenten überzeugend angeraten wird: "Am Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort" (Johannes 1, 1) [...], aber "das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt" (Johannes 1, 13) las ich dort nicht. [...]
[3] Und hierdurch ermahnt, zu mir selbst zurückzukehren, trat ich unter Deiner Führung in mein Innerstes ein und konnte dies, weil "Du mein Helfer geworden bist" (Psalm 29, 11).
[4] Ich trat ein und sah mit irgendeinem Auge meiner Seele oberhalb desselben Auges meiner Seele, oberhalb meines Verstandes ein unveränderliches Licht, nicht das gewöhnliche und für jedes Fleisch sichtbare, noch war es gleichsam von derselben Art, nur größer – so als ob dieses viel, viel heller leuchtet und alles durch seine Größe belegte. Nicht dies war es, sondern etwas von allem, allem weit Verschiedenes.
Augustinus begründet, dass der aristotelische Begriff der „Substanz“ nicht auf Gott angewandt werden darf
[1] Bei den geschaffenen [...] und veränderlichen Dingen kann das, was nicht mit Bezug auf die Substanz ausgesagt wird, nur mit Bezug auf ein Akzidens von ihnen ausgesagt werden. Denn akzidentell kommt ihnen das zu, was entweder verloren oder verringert werden kann, Größen und Qualitäten, und das, was in Bezug auf etwas ausgesagt wird so wie Freundschaften, Nachbarschaften, Dienstverhältnisse, Ähnlichkeiten, Gleichheiten und Ähnliches [...].
[2] Bei Gott aber wird nichts gemäß einem Akzidens ausgesagt, weil nichts an ihm veränderlich ist; und doch wird nicht alles, was ausgesagt wird, mit Bezug auf die Substanz ausgesagt. Denn es wird etwas in Bezug auf etwas ausgesagt [...], weil ein Vater nicht Vater genannt wird, außer weil er einen Sohn hat, und ein Sohn nicht so genannt wird, außer weil er einen Vater hat. [...]
[3] Obwohl es daher einen Unterschied macht, ein Vater zu sein und ein Sohn zu sein, ist die Substanz doch nicht unterschieden, weil dies nicht gemäß der Substanz gesagt wird, sondern gemäß einer Relation, welche Relation aber kein Akzidens ist, denn sie ist nicht veränderlich.
Augustinus schlägt eine neue Begrifflichkeit vor, um das Sein Gottes zu beschreiben, so dass er auf den Substanzbegriff verzichten kann
[1] Es ist [...] schändlich zu sagen, dass Gott vorhanden ist und seiner Güte zugrunde liegt, und dass diese Güte nicht eine Substanz ist, oder besser eine Wesenheit (essentia), und dass Gott selbst nicht seine Güte ist, sondern sie an ihm wie an einem Zugrundeliegenden ist.
[2] Von daher ist klar, dass Gott uneigentlich Substanz genannt wird, damit durch ein gebräuchlicheres Wort ,Wesenheit‘ verstanden wird, was er wahrhaft und spezifisch genannt wird, so dass vielleicht Gott allein Wesenheit genannt werden darf. Er ist es nämlich wahrhaft als Einziger, weil er unveränderlich ist und das dem Mose als seinen Namen verkündete, als er sagte: „Ich bin der, der ich bin, und du sollst zu Ihnen sagen: Der ist, hat mich zu euch geschickt“ (Exodus 3, 14).
[3] Aber trotzdem, gleich ob er Wesenheit genannt wird, wie man ihn spezifisch nennt, oder Substanz, wie man ihn uneigentlich nennt, beides wird er für sich genannt, nicht in Relation zu etwas. [...]
[4] Deshalb ist die Dreifaltigkeit, wenn sie eine einzige Wesenheit ist, auch eine einzige Substanz.
Die negative Theologie nach Pseudo-Dionysios Areopagita (Antike Philosophie II)
[1] Hier [bei Gott] sind die Geheimnisse der Theologie durch die das Licht übersteigende Dunkelheit des mystisch-geheimen Schweigens verdeckt. [...]
[2] Bei ihr muss man, als von der Ursache von allem, alles vom Seienden Aussagbare einerseits zusprechen und bejahen, und alles andererseits, weil er oberhalb von allem ist, in noch höherem Maße verneinen. Und man darf nicht glauben, dass die Verneinungen den Bejahungen widersprechen, sondern dass das, was jenseits von allem Ab- und Zusprechen ist, weit früher als alle Mängel ist.
Paulus von Tarsus über die natürliche Kenntnis Gottes bei jedem Menschen
Denn was man von Gott erkennen kann, ist unter ihnen offenbar. Denn Gott hat es ihnen offenbart. Denn was an ihm unsichtbar ist, wird seit der Schöpfung durch seine Werke als Gedachtes [Luther: „wenn man sie wahrnimmt“; Einheitsübersetzung: „mit Vernunft“] erblickt, seine ewige Kraft und Gottheit, so dass sie unentschuldbar sind, weil sie Gott, obwohl sie ihn erkannten, nicht als Gott lobten. [...] Während sie behaupteten, weise zu sein, wurden sie zu Toren
Abaelard über die Gewissheit aus dem Gewissen
Wenn wir uns selbst richten würden, würden wir von Gott gar nicht mehr gerichtet. Denn Gott überlässt uns unserem Gericht, damit wir das, was in uns zu korrigieren ist, frei richten, da er will, dass wir durch das eigene Gericht sein Gericht vermeiden, zu dem er gleichsam gezwungen hinzutritt. Und sogar irgendein Räuber würde, wenn er auf diese Weise über sich ein Gericht vollziehen könnte, den Richter nicht mehr fürchten, dessen Gericht er selber zuvorgekommen wäre.
Der jüdische Denker Yūsuf al-Baṣīr (9. Jhdt.), begründet, im Einklang auch mit vielen Muslimen, ein rationales Vorgehen auch bei Anerkennung prophetischer Verkündigung
Die Zustimmung zu dem, was die Propheten – der Friede sei mit ihnen – verkündigten, darf nicht zurückgewiesen werden. Deshalb ist die Untersuchung (naẓar) ihrer Wunderzeichen notwendig. Der Charakter, den das Wunderzeichen als ein Hinweis auf Wissen besitzt, ist sein Herabkommen von [Gott] dem Weisen, dessen Absicht es ist, durch dieses Geschehen [den Propheten] zu beglaubigen. [...] Es wäre aber absurd, wenn wir die Bekräftigung hiervon auf den Anspruch des Propheten selbst zurückführen würden, denn das Wissen über seine Richtigkeit hängt ab vom Wissen (ʿilm) über die bestätigende Weisheit [Gottes].
Sergios von Rēšʿaynā (gest. 536), ein Schüler des Ammonios und syrischer Aristoteles-Adaptor erklärt auf Syrisch, was Philosophie ist
Die Philosophie ist eine Ähnlichkeit zu Gott (dumyā ḏ-allāhā). [...]
Und weiter sagen [die Philosophen]: Weil die rationale Seele die Mutter der Wissensformen und auch selbst in zwei Teile geteilt ist, deswegen teilte sich auch die Philosophie, die ihrerseits das Wissen von allem ist, in zwei Teile. [...] Sie sagen nämlich, dass zu diesen Erkenntniskräfte gehören, so wie Verstand, Denken und Meinen, und zu ihnen Lebenskräfte gehören, so wie Begehren, Zornmut und Wollen. Weil also die Philosophie die gesamte Seele reinigt, sagen sie zutreffend, dass auch sie in zwei Teile geteilt ist. Denn durch ihren ersten und theoretischen Teil [S. 342] reinigt sie die Erkenntniskräfte, so dass sie nicht etwas für ein anderes erkennen (= halten) , sondern die Wahrheit und die Bestimmtheit der Dinge erkennen. Durch den anderen, den praktischen Teil wiederum reinigt sie die Lebenskräfte und bereitet sie vor, dass ihre Lebensführung hierin nicht in unnützen Dingen besteht, sondern dass ihre Bewegungen richtig und trefflich erfolgen.
Das Programm der Muʿtaziliten
Gott der Erhabene ist nicht sichtbar. Somit ist der Weg, Ihn zu erkennen, Sein Handeln, im Vergleich zu welchem es uns unmöglich ist, etwas ähnliches wie er zu erzeugen, zum Beispiel Körper und dergleichen mehr. Es ist zwingend, dass wir zuerst das Neuentstanden-Sein (ḥudūṯ) dieser Dinge erkennen und danach deren Abhängigkeit von einem weisen Neuerschaffer (muḥdiṯ) erweisen.
Ein muʿtazilitischer Beweis für die Einzigkeit Gottes
Würde es neben Gott einen zweiten geben, dann müssten dessen Attribute mit Seinen Attributen identisch sein, und zwar deshalb, weil diese auf ihn selbst zurückzuführen sind und nicht auf eine Ursache. Denn der [göttliche] Wille [...] ist nicht etwa bei einer der beiden Gottheiten spezifisch vorhanden und bei der anderen nicht.
Kindīs Beweis Gottes als des Wahren Einen
[1] Da Einheit und Vielheit gemeinsam in jedem der sinnlich wahrnehmbaren Dinge bestehen und dem, was den sinnlich wahrnehmbaren Dingen anhaftet, und die Einheit darin insgesamt ein Eindruck ist, der von irgendwo her kommt und akzidentell, nicht der Natur nach vorhanden ist, und die Vielheit notwendigerweise eine Ansammlung von Einheiten ist, so ist es notwendigerweise so, dass es, wenn es keine Einheit gibt, auch überhaupt keine Vielheit gibt. [...]
[2] Sein zu erhalten besteht genau darin, einem Akt unterzogen zu werden (infiʿāl), so dass existiert, was nicht war. Die Emanation (faiḍ) der Einheit aus dem ersten Wahren Einen (al-wāḥid al-ḥaqq) bedeutet, dass jedes sinnlich wahrnehmbaren Ding [...] Sein erhält, so dass jedes einzelne derartige existiert. [...] Die Ursache des Erhaltens von Sein stammt von dem wahren Einen her, das die Einheit nicht von einem Geber her erhielt, sondern in sich selbst eines ist.
Origenes argumentiert gegen die Determination durch die Sterne und den Demiurgen, d.h. einen zweiten Schöpfer neben Gott
[1] Wenn aber einige von ihnen, um Gott zu entschuldigen [von der Verantwortung für die bösen Taten], sagen, der Gute sei ein anderer und enthalte nicht den Ursprung von diesem, und alles Derartige dem Demiurgen zuschreiben [...], muss man im Hinblick auf sie selbst prüfen, was sie sagen: Sind sie dem Lauf der Sterne unterworfen oder sind sie frei [...] und erhalten nichts von dort als etwas in sie selbst hinein Bewirktes?
[2] Wenn sie nun sagen werden, sie seien den Sternen unterworfen, ist klar, dass die Sterne ihnen dieses Denken geschenkt haben; also wird der Demiurg ihnen durch die Bewegung des Alls das Wort über den erfundenen Gott oberhalb suggeriert haben, was sie nicht wollen.
[3] Wenn sie aber antworten, dass sie sich außerhalb der Gesetze des Demiurgen bewegen, die sich auf die Sterne beziehen, sollen sie versuchen [...], uns etwas Zwingenderes anzugeben, indem sie einen Unterschied benennen zwischen einem individuellen Geist, der dem Werden und dem Schicksal unterliegt, und einem anderen, der hiervon frei ist.
Origenes diskutiert, ob das Vorwissen Gottes eine Gefahr für die Freiheit darstellt
[1] Nun behaupten sie: Wenn Gott von Ewigkeit her erkannt hat, dass dieser [...] dieses bestimmte Unrecht tun wird, die Erkenntnis Gottes aber unfehlbar ist [...], wird sein Unrecht-Tun notwendig gemacht, und es wird unmöglich sein, dass er etwas anderes tut, als Gott vorhergesehen hat. [...]
[2] Diesen muss man antworten, dass Gott, wenn er sich zum Beginn der Weltschöpfung anschickt [...], mit dem Geist alles Geschehende bereist und sieht: Wenn dies geschehen ist, folgt dies, wenn aber dies geschieht, dann ergibt sich des Folgende, bei dessen Zustandekommen sich jenes ereignen wird – und so weiter bis zum Ende der Dinge weiß er, da er es bereist hat, was sich ereignen wird. [...]
[3] Und wenn man sagen muss, dass nicht das Vorwissen der Grund für das Geschehende ist [...], so sagen wir doch etwas ziemlich Paradoxes, aber Wahres: Das, was geschehen wird, ist die Ursache dafür, dass sein Vorwissen so und so ist. Denn es geschieht nicht, weil es vorher erkannt wurde, sondern es wurde erkannt, weil es geschehen sollte.
Mithilfe einer Unterscheidung erklärt Gregor von Rimini, wieso es stets eine Sünde ist, Gott zu hassen
[1] ,Verbot‘ kann auf zwei Weisen verstanden werden, und ebenso ,Gebot‘ und ,Gesetz‘ [...], so dass nämlich einerseits vom indikativischen und andererseits vom imperativischen [Gebot bzw. Gesetz] gesprochen wird.
[2] Indikativisch ist dasjenige, durch das lediglich angezeigt wird, dass etwas nicht zu tun ist, oder etwas anderes, woraus folgt, dass es nicht zu tun ist, wie wenn angezeigt wird, etwas sei ungerecht oder schlecht. [...] Ich nenne es aber indikativisch, weil es im Wortlaut durch ein Verb im Indikativ ausgedrückt wird. [...] Hieraus ist klar, dass jede Erkenntnis, die ein Mensch über das hat, was zu tun oder zu vermeiden ist, irgendwie Gebot oder Verbot genannt wird und folglich eine indikativische oder ausgesprochene Erkenntnis.
[3] Imperativisch nenne ich aber dasjenige, wodurch jemandem befohlen wird, etwas zu tun oder nicht zu tun, und dies wird durch ein Verb im Imperativ ausgedrückt. [...]
[4] Wenn man auf die erste Weise von einem Verbot spricht [...], sage ich [...], dass es unmöglich ist, dass irgendwelche Sünden nicht von Gott verboten sind. [...] Wenn aber von einem Verbot im zweiten Sinn gesprochen wird [...], ist und war es möglich für Gott, niemandem irgendeinen derartigen Befehl zu geben [...]; jedoch würde jemand, wenn denn auch nichts so verboten wäre oder gewesen wäre, immer noch gewiss sündigen [...], wenn er Gott hassen würde.
Innerhalb des Alls schafft der Schöpfer die Zeit als bewegliches Abbild der Ewigkeit
[1] Als der zeugende Vater aber erkannte, dass das All ein bewegtes und lebendes Standbild der ewigen Götter geworden ist, freute er sich und überlegte erfreut, es noch dem Urbild noch ähnlicher zu gestalten. [...]
[2] Die Natur des Lebewesens war nun eine ewige, und dies dem Gezeugten vollständig anzuhaften, war nicht möglich. Er überlegte, ein in Bewegung befindliches Abbild der Ewigkeit zu machen. Als er dann den Himmel ordnete, machte er, während die Ewigkeit in einem blieb, ein der Zahl gemäß voranschreitendes ewiges Abbild, welches er nun „Zeit“ nannte.
[3] Denn da es Tage und Nächte und Monate und Jahre nicht gab, bevor der Himmel entstand, bewerkstelligte er zusammen mit dessen Zusammenstellung ihre Entstehung. All dies sind Teile der Zeit, und das „war“, das „wird sein“ entstandene Formen der Zeit, welche wir nicht zu Recht unaufmerksam auf das ewige Sein übertragen.
René Descartes (1596-1650) erkennt die Gewissheit der Idee Gottes
Bedenke ich nun, dass ich zweifle, also ein unvollständiges, abhängiges Ding bin, so begegnet mir ganz klar und deutlich die Vorstellung von einem unabhängigen und vollständigen Seienden, d.h. von Gott. Und ich schließe allein daraus, dass diese Idee in mir ist […], so eindeutig darauf, dass Gott existiert […], dass ich sicher bin, dass der menschliche Einfallsreichtum nichts Einleuchtenderes, nichts Sichereres erkennen kann. Und schon glaube ich einen Weg zu sehen, auf dem ich von der Betrachtung des wahren Gottes, in dem alle Schätze der Wissenschaften und der Weisheit verborgen sind, zur Erkenntnis der übrigen Dinge zu gelangen.
Petrus Abaelardus (ca. 1079-1142) sieht die Idee Gottes als Grundlage rationaler Auseinandersetzung an
Ich schaute in einer Erscheinung der Nacht – und siehe: drei Männer, die auf unterschiedlichen Wegen kamen, stellten sich vor mich hin. Ich fragte sie gleich nach der Art einer Vision, zu welchem Bekenntnis sie gehörten und warum sie zu mir gekommen seien. ,Menschen sind wir‘, sagten sie, ,die verschiedenen Glaubensrichtungen nachgehen. Zwar bekennen wir alle gleichermaßen, Verehrer eines einzigen Gottes zu sein, doch dienen wir ihm mit einem unterschiedlichen Leben und Glauben. Einer von uns, ein Heide, gehört zu denen, die man Philosophen nennt, und ist mit dem natürlichen Sittengesetz zufrieden. Die anderen zwei aber haben Schriften; von ihnen wird der eine Jude, der andere Christ genannt.
Der Mathematiker und Philosoph Blaise Pascal (1623-1662) stellt den jüdisch-christlichen Gott dem „Gott der Philosophen“ gegenüber
Jahr der Gnade 1654. Montag, den 23. November [...]. Seit ungefähr abends zehneinhalb bis ungefähr eine halbe Stunde nach Mitternacht. FEUER.
„Gott Abrahams, Gott Isaaks, Gott Jakobs“, nicht der Philosophen und Gelehrten. Gewissheit, Gewissheit, Empfinden: Freude, Friede. Gott Jesu Christi. Deum meum et Deum vestrum. (Joh 20, 17) [...] Vergessen von der Welt und von allem, außer Gott. Nur auf den Wegen, die das Evangelium lehrt, ist er zu finden. Größe der menschlichen Seele
„Gerechter Vater, die Welt kennt dich nicht; ich aber kenne dich“.[...]. Ich habe mich von ihm getrennt. Dereliquerunt me fontem aquae vivae. „Mein Gott, hast du mich verlassen?“ Möge ich nicht auf ewig von ihm geschieden sein. „Das ist aber das ewige Leben, dass sie dich, der du allein wahrer Gott bist, und den du gesandt hast, Jesum Christum, erkennen“. [...]
Ich habe mich von ihm getrennt, ich habe ihn geflohen, mich losgesagt von ihm, ihn gekreuzigt. Möge ich nie von ihm geschieden sein. Nur auf den Wegen, die das Evangelium lehrt, kann man ihn bewahren.Vollkommene und liebevolle Entsagung. [...]. Amen.
Johannes Duns Scotus (ca. 1265-1308) erläutert, inwiefern die philosophische Metaphysik über Gott spricht
Über Gott handelt die Metaphysik nicht als primären Gegenstand. Das wird dadurch bewiesen, dass es neben den Einzelwissenschaften auch eine gemeinsame geben muss, in der alles bewiesen wird, was diesen einzelnen gemeinsam ist. Daher muss es neben den Einzelwissenschaften eine gemeinsame über das Seiende geben, in der die Erkenntnis der Eigenschaften des Seienden überliefert wird; diese Erkenntnis wird in den Einzelwissenschaften vorausgesetzt. Wenn es also eine [Wissenschaft] von Gott gibt, gibt es neben dieser eine vom Seienden qua Seiendem, die auf natürliche Weise gewusst wird. [...] Gott aber wird, auch wenn er nicht der primäre Gegenstand der Metaphysik ist, in dieser Wissenschaft doch auf die edelste Weise betrachtet, auf die er in irgendeiner auf natürliche Weise erworbenen Wissenschaft betrachtet werden kann.
Seneca (ca. 1-65 n. Chr.) definiert Gott
Quid est deus? Mens universi. Quid est deus? Quod vides totum et quod non vides totum. Sic demum magnitudo illi sua redditur, qua nihil maius cogitari potest, si solus est omnia, si opus suum et intra et extra tenet. Quid ergo interest inter naturam dei et nostram? Nostri melior pars animus est; in illo nulla pars extra animum est. Totus est ratio, cum interim tantus error mortalia tenet, ut hoc, quo neque formosius est quicquam nec dispositius nec in proposito constantius, existiment fortuitum et casu volubile ideoque tumultuosum inter fulmina nubes tempestates et cetera quibus terrae ac terris vicina pulsantur.
Während die Kappadokier erläutern, warum ein Gott korrekterweise in drei Personen bestehen kann, begründen sie die modernen Begriffe ,Person‘ und ,Individuum‘, wie sich an diesem Text Gregor von Nyssas zeigt
[1] Wenn der Name ,Gott‘ eine Person [wörtl.: Gesicht, Maske] bezeichnen würde, würden wir, wenn wir von drei Personen sprechen, notwendigerweise drei Götter aussagen. Wenn aber der Name ,Gott‘ eine Substanz bezeichnend ist, dann legen wir richtig einen Gott als Dogma fest, weil wir eine Substanz der heiligen Trinität bekennen. [...]
[2] Wenn aber jemand sagen sollte, dass wir Peter und Paul und Barnabas als drei einzelne Substanzen bezeichnen – denn dies sei die eigentümlichere Begriffsverwendung –, mag er wissen, dass wir, wenn wir von einer einzelnen Substanz, d.h. einer speziellen, sprechen, wir nichts anderes bezeichnen wollen als ein Individuum, was dasselbe ist wie eine Person. [...] [3] Aber über die heilige Dreifaltigkeit [...] müssen [...] immer dieselben Personen und nicht jeweils andere ausgesagt werden, weil sie sich gleich und ebenso verhalten und weder eine Hinzufügung zu einer Vierzahl noch eine Veränderung zu einer Zweizahl aufnehmen. Denn weder entsteht aus dem Vater noch aus irgendeiner der [drei göttlichen] Personen eine andere Person oder geht [aus ihm] hervor, noch endet eine dieser drei Personen jemals.
Dion über seine eigene Sendung
Ich scheine dieses [d.i. die Philosophie] nicht von mir aus gewählt zu haben, sondern aus einer Art dämonischen Ansicht. Für die nämlich die Götter Vorsehung ausüben, denen verschaffen sie von selbst gute Ratgeber sowie das Sprechen von geeigneten und nützlichen Worten. Und dies solltet ihr am wenigsten bezweifeln, bei denen das Dämonische am meisten geehrt wird, am meisten seine Kraft zeigt und nicht nur jeden Tag durch Orakelsprüche und Träume. Glaubt also nicht, Gott würde sich nur um Schlafende kümmern und jedem auf eigene Weise das ihm Nützliche anraten, aber wenn ihr wacht, keine Sorge tragen und den Versammelten keinen Orakelspruch zeigen.
Augustinus findet Gott vor allem in sich selbst
Und wie soll ich meinen Gott anrufen, meinen Gott und Herrn, wo ich ihn doch in mich selbst hineinrufen werde, wenn ich ihn anrufen werde? Und welcher Ort ist in mir, wohin mein Gott in mich kommen könnte? [...] Ist denn so, Herr mein Gott, etwas in mir, was Dich fassen würde? Aber Himmel und Erde, die Du geschaffen hast und in denen Du mich geschaffen hast – fassen sie Dich? Oder ist es so, dass deswegen, weil ohne Dich nichts von dem wäre, was ist, alles Dich fasst, was ist? Weil daher auch ich bin, was erstrebe ich, dass Du in mich kommst, der ich nicht wäre, wenn Du nicht in mir wärst?
Die Philosophie zeigt auf, dass Gott das vollendete Glück ist
Dass Gott, der Ursprung aller Dinge, gut ist, billigt ein allgemeiner Begriff des menschlichen Geistes. [...] Die Vernunft zeigt aber, dass Gott so gut ist, dass das vollendete Gut in ihm enthalten ist. [...] Wir haben aber festgestellt, dass das vollendete Gute auch die wahre Glückseligkeit ist; also muss notwendig in dem höchsten Gott auch die wahre Glückseligkeit gelegen sein.
Ibn Ṭufail schildert, wie Ḥayy ibn Yaqẓān aus der Frage nach der Ewigkeit der Welt auf Gott schließt
Sein Zweifel über die Ewigkeit der Welt oder ihr Entstandensein behinderte ihn in keiner Weise: Auf beide Sichtweisen zugleich betrachtete er die Existenz eines Herstellers (wuğūd fā‘il) als richtig, der kein Körper ist, der weder mit einem Körper verbunden noch von ihm abgetrennt, weder in ihm noch außerhalb von ihm – denn Verbundensein, Getrenntsein, In-etwas-Sein und Außerhalbsein gehören alle zu den Eigenschaften von Körpern. – Er aber ist all dem ganz und gar enthoben.
Meister Eckhart über die Natur der Seele
Diu sȇle hȃt zwei ougen, einz inwendic und einz ȗzwendic. Daz inner ouge der sȇle ist, daz in daz wesen sihet und sȋn wesen von gote ȃne allez mitel nimet: daz ist sȋn eigen werk. Daz ȗzer ouge der sȇle ist, daz dȃ gekȇret ist gegen allen crȇatȗren und die merket nȃch bildelȋcher wȋse und nȃch kreftlȋcher wȋse. Welher mensche nȗ in sich selber wirt gekȇret, daz er bekennet got in sȋnem eigenen smacke und in sȋnem eigenem grunde, der mensche ist gevrȋet von allen geschaffenen dingen und ist in im selber beslozzen in einem wȃren slozze der wȃrheit.
Meister Eckhart über die Vernunftnatur Gottes und das Seelenfünklein in uns
[1] Als wir got nemen in dem wesene, sȏ nemen wir in sȋnem vorbürge, wan wesen ist sȋn vorbürge, dȃ er inne wonet. Wȃ ist er denne in sȋnem tempel, dȃ er heilic inne schȋnet? Vernünfticheit ist der tempel gotes. Niergen wonet got eigenlȋcher dan in sȋnem tempel, in vernünfticheit, als der ander meister sprach, daz got ist ein vernünfticheit, diu dȃ lebet in sȋn aleines bekantnisse, in im selber aleine blȋbende, dȃ in nie niht engeruorte, wan er aleine dȃ ist in sȋner stilheit. Got in sȋn selbes bekantnisse bekennet sich selben in im selben.
[2] Nȗ nemen wirz in der sȇle, diu ein tröpfelin hȃt vernünfticheit, ein vünkelȋn, ein zwȋc. [...] Gotes saelicheit liget an der ȋnwertwürkunge der vernünfticheit, dȃ daz wort inneblȋbende ist. Dȃ sol diu sȇle sȋn ein bȋwort und mit gote würken ein werk, in dem ȋnswebenden bekantnisse ze nemenne ir saelicheit in dem selben, dȃ got saelic ist.
Meister Eckhart über die Geburt des Wortes Gottes im Menschen
Hie hȃn ich ȇwiclȋche geruowet und geslȃfen in der verborgenen bekantnisse des ȇwigen vaters, inneblȋbende ungesprochen. Ȗz der lȗterkeit hȃt er mich ȇwiclȋche geborn sȋnen einbornen sun in daz selbe bilde sȋner ȇwigen vaterschaft, daz ich vater sȋ und geber den, von dem ich geborn bin. [...] Jȃ, der in dém liehte ein holz saehe, daz würde ein engel und würde vernünftic, und niht aleine vernünftic, ez würde ein lȗter vernunft in der ȇrsten lȗterkeit, diu da ist ein vülle aller lȗterkeit. Alsȏ tuot got: er gebirt sȋnen einbornen son in daz hoehste teil der sȇle.
Ibn Rušd (lat. Averroes; 1124-1198), muslimischer Richter und der bedeutendste Aristoteliker der arabischen Welt, schildert die Diskussionslage zur Vereinbarkeit von „göttlicher Anordnung und Vorherbestimmung“ (al-qaḍāʾ wa-l-qadar) bis zu seiner Zeit
[284] Das Problem [...] von göttlicher Anordnung und Vorherbestimmung [...] gehört zu den schwierigsten Problemen in Bezug auf das Gesetz. Denn wenn die Argumente der Überlieferung hierüber betrachtet werden, findet sich ein Widerspruch; und ebenso ist es mit den verstandesmäßigen Argumentationen. [285] [...] Was das Buch (= den Koran) betrifft, so gibt es in ihm viele Verse, die in ihrer Allgemeinheit ein Argument dafür sind, dass jede Sache der Vorherbestimmung unterliegt, sowie, dass der Mensch in seinen Handlungen determiniert ist. Aber es gibt hierin ebenfalls viele Verse, die ein Argument dafür darstellen, dass dem Menschen durch seine Handlungen ein Erwerben [von Verdiensten oder von strafwürdigen Taten] zukommt und dass er in seinen Handlungen nicht determiniert ist. [...]
[290] Und deswegen spalteten sich die Muslime wegen dieser Frage in zwei Gruppen: Eine Gruppe, die überzeugt war, dass das Erwerben des Menschen die Ursache für den Ungehorsam und das rechte Handeln ist und dass ihm aufgrund hiervon Strafe und Lohn zugebilligt wird – das ist die Muʿtazila; und eine Gruppe, die vom Gegenteil überzeugt ist, nämlich dass der Mensch in seinen Handlungen determiniert und gezwungen ist – das ist die Ğabriyya (= die Deterministen). [291] Die Ašʿariyya [...] hingegen sagt, dass dem Menschen eine Erwerbung zukomme, dass aber das hierdurch Erworbene und der Erwerbende von Allah geschaffen würden; und dies ergibt keinen Sinn. [...] Denn der Knecht (Allahs) ist dann unbedingt in seinem Erwerben determiniert. [...] [293] Und wenn der Mensch in seinen Handlungen determiniert ist, dann gehören die Gebote zum nicht Möglichen. [...].
[297] Wir sagen: Offensichtlich sieht das Ziel des Gesetzes keine Trennung zwischen diesen [oben in Text 1 genannten] Überzeugungen vor. [...] Folgendes ist nämlich offensichtlich: Gott hat für uns Fähigkeiten geschaffen, durch die wir Gegenteiliges erwerben können. Weil jedoch das Erwerben hiervon nicht vollständig bei uns liegt, es sei denn, die Ursachen treffen günstig ein, die Gott der Herr zum Dienst für uns außerhalb geschaffen hat, und die Hindernisse hierfür werden [dadurch] aufgehoben, deswegen sind die auf uns beziehbaren Handlungen nur durch beide Aspekte zugleich vollständig. (298) [...] Und diese Ursachen [...] bewirken ebenfalls nicht alleine vollständig die Handlungen, deren Vollzug oder Verhinderung wir wünschen, sondern die [äußere] Ursache ist zu schwach dafür, dass wir eines der beiden Gegenteile wollen. Der Wille ist ja nur das Streben, das in uns aufgrund irgendeiner Vorstellung oder eines Urteils über etwas neu entsteht, und dieses Urteil hängt nicht von unserer Wahl ab, sondern es ist etwas, das bei uns aufgrund desjenigen entsteht, was außerhalb von uns ist. [...]
(299) [...] Es ist also nötig, dass unsere Handlungen nach einer festgelegten Ordnung ablaufen, ich meine, dass sie zu festgelegten Zeitpunkten und in einem festgelegten Raum stattfinden. [...] (301) Und die festgelegte Ordnung, die in den inneren und äußeren Ursachen besteht [...], ist das Anordnung und die Vorherbestimmung, die Gott der Erhabene über seine Diener aufgeschrieben hat; sie ist die ,verborgene Tafel‘.
Im Hintergrund steht auch für Scotus die Unendlichkeit Gottes, die er folgendermaßen begründet
Der vollkommene Künstler erkennt jedes zu Wirkende, ehe es entsteht; sonst würde er nicht in vollkommener Weise arbeiten, denn die Erkenntnis ist das Maß, nach dem er arbeitet. [...] Gibt es nicht, o Herr und Gott, unendlich viel Denkbares, und dies ist aktuell in einem Intellekt, der alles denkt? Ein solcher ist der Deine, unser Gott [...]. Also ist auch die Natur, mit der dieser Intellekt identisch ist, eine unendliche. [...] Und in Deinem Intellekt ist zugleich alles aktuell gedacht, was von einem geschaffenen Intellekt nur im Nacheinander zu denken ist.
Ammonios, Sohn des Hermias, ein platonischer Philosophieprofessor in Alexandrien (ca. 435-517), begründet die Zweiteilung der Philosophie
"Die Philosophie ist ein Ähnlichwerden mit Gott gemäß dem dem Menschen möglichen." So hat es nämlich Platon definiert (Theaitet 176b). [...] Nun wird die Philosophie in die theoretische und die praktische eingeteilt. Es ist aber wert zu fragen, aus welchem Grund. [...] Weil wir gesagt haben, die Philosophie sei ein Ähnlichwerden mit Gott, weil Gott aber zweierlei Kräfte hat, die einen alles Seiende erkennenden, die anderen für uns niedriger Stehende Vorsehung treffenden, wird die Philosophie zu Recht in die theoretische und die praktische eingeteilt. [...] Unsere Seele hat ebenfalls zweierlei Kräfte, zum einen erkennende wie Verstand, Denken, Meinen, Vorstellen und sinnlich wahrnehmen, zum anderen lebendige und strebende wie Wollen, Zornmut und Begehren. Der Philosoph nun will alle Teile der Seele schmücken und zur Vollendung führen: Durch das Theoretische wird das Erkennende in uns vollendet, durch das Praktische das Lebendige.
Eine der berühmtesten Lehren dieses Werks ist Boethius’ Erklärung der Ewigkeit als etwas, was von unendlicher Dauer verschieden ist. Unter dieser Bedingung ist Boethius zufolge freies menschliches Handeln mit der göttlichen Vorsehung vereinbar – und eine der großen Fragen des christlichen Denkens gelöst
[1] Was also dem Modus der Zeit unterliegt, selbst wenn es, wie Aristoteles von der Welt glaubte, weder begonnen hat noch enden wird, [...] ist noch nicht so, dass es zu Recht als ewig verstanden werden kann. Denn es umfasst nicht das Ganze zugleich [...], sondern hat das Zukünftige noch nicht, das Vergangene nicht mehr. [...] Denn es ist eine Sache, durch ein unendliches Leben geführt zu werden [...], eine andere, die gesamte Gegenwart des unendlichen Lebens gleichermaßen zu umfassen, was klarerweise dem göttlichen Geist eigentümlich ist.
[2] Wenn die Vorsehung etwas Gegenwärtiges sieht, gibt es dies notwendigerweise, obwohl es keine Naturnotwendigkeit besitzt. Aber Gott betrachtet das Zukünftige, was aus der Freiheit der Entscheidung hervorgeht, als etwas Gegenwärtiges. Dies geschieht also bezogen auf den göttlichen Blick notwendig, im Modus der göttlichen Erkenntnis, verliert aber in sich selbst betrachtet die losgelöste Freiheit der eigenen Natur nicht.
Ibn Ṭufail charakterisiert die unio mystica
Wem eine solche Weise schaut, dem entschwindet seine eigene Wesenheit (ḏāt nafsihi), und es lösen sich auf und entschwinden ebenso die übrigen vielen Wesenheiten [...] außer der Wesenheit des Einen, des Wahren, des notwendig Seienden (al-wāḥid al-ḥaqq al-wāğib al-wuğūd).
Ein Stoiker schildert die Juden als philosophierendes Volk
[1] Ein gewisser Mose nämlich, ein ägyptischer Priester […], ist aus Unzufriedenheit mit den Verhältnissen von dort hierher [nach Syria/Palaestina] gezogen, und mit ihm zogen viele, die das Göttliche verehren. Er sagte nämlich und lehrte, die Ägypter […] dächten nicht richtig, wenn sie das Göttliche in Gestalt wilder und zahmer Tiere abbildeten, aber auch die Griechen täten nicht recht, wenn sie sie als Menschen abbildeten. Denn einzig und allein das, was uns alle und die Erde und das Meer umgibt, sei Gott, das, was wir Himmel und Welt und die Natur der Dinge nennen: Welcher vernünftige Mensch würde es da wagen, dies in einer Gestalt abzubilden, die mit irgendetwas bei uns Ähnlichkeit hat? Nein, man müsse auf alle Herstellung von Kultbildern verzichten […], und die maßvoll und gerecht Lebenden dürften von Gott stets Gutes, irgendein Geschenk und ein Vorzeichen, erwarten, die anderen dürften das nicht.
[2] Er überzeugte mit dieser Rede nicht wenige einsichtsvolle Männer und führte sie herauf zu dem Ort, wo heute die Stadt Jerusalem steht. […] Außerdem berief er sich nicht auf Waffen, sondern auf das Heilige und das Göttliche, indem er behauptete, einen Sitz hierfür zu suchen, und versprach, eine Verehrungsweise und Zeremonien einzuführen, welche denen, die sie praktizierten, weder Kosten noch Ekstasen noch andere fehlgeleitete Handlungen aufbürden würden. […]
[3] Seine Nachfolger behielten dasselbe einige Zeit bei, handelten gerecht und waren wahrhaft gottesfürchtig. Als dann aber in das Priesteramt erst mit Aberglauben behaftete und dann tyrannische Menschen eingesetzt wurden, kam es durch den Aberglauben zur Enthaltung von den Speisen, deren sie sich auch heute noch zu enthalten pflegen, zur Beschneidung […] und ihren übrigen Gebräuchen, und durch die Tyrannei zu Raubzügen. […]
[4] Und das ist Griechen und Barbaren gemeinsam: Da sie politisch sind, leben sie nach einer allgemeinen Anordnung. Sonst ist es ja nicht möglich, dass die Menge in Einklang miteinander ein- und dasselbe tut – darin besteht doch das Zusammenleben in staatlicher Gemeinschaft und jegliche gemeinsame Lebensführung. Eine Anordnung gibt es aber auf zweifache Weise, nämlich entweder von Göttern oder von Menschen. Und die Alten hatten mehr Achtung und Ehrfurcht vor demjenigen, was von den Göttern kommt.
Laut Philon von Alexandrien richtet sich Gott bei der Schöpfung nach einem ewigen Urbild
[1] Da Gott nämlich, weil er Gott ist, von vornherein erkannte, dass ein schönes Abbild niemals ohne ein schönes Vorbild entstehen kann und dass keines von den sinnlich wahrnehmbaren Dingen tadellos sein würde, das nicht einem Urbild und einer geistigen Idee nachgebildet wäre, bildete er, als er diese sichtbare Welt schaffen wollte, vorher die geistige, um dann mit Benutzung eines unkörperlichen und gottähnlichen Vorbildes die körperliche herzustellen [...], die ebenso viele sinnlich wahrnehmbare Arten enthalten sollte, wie in jener gedacht vorhanden waren. [...] Gleichwie nun die in einem Baumeister zuvor entworfene Stadt nicht außerhalb einen Platz hatte, sondern nur der Seele des Handwerkers eingeprägt war, ebenso hat auch die aus den Ideen bestehende Welt keinen andern Ort als den göttlichen Logos, der alles geordnet hat.
[2] Eine Kraft [von ihm] ist auch die weltschöpferische, die als Quelle das wahrhaft Gute hat. Denn wenn jemand die Ursache erforschen will, warum eigentlich dieses All geschaffen wurde, so scheint mir das Ziel nicht zu verfehlen, wer sagt – wie es auch schon einer der Alten getan hat –, dass der Vater und Schöpfer gut ist. Deshalb hat er seine vollkommene Natur nicht dem Sein vorenthalten, das aus sich selbst nichts Schönes ist, aber alles werden kann.
Der christliche Apologet Quintus Septimius Florens Tertullianus (ca. 150-220) fasst die Argumentation seines Gegners Markion zusammen
Oh ihr Hunde [...], die ihr den Gott der Wahrheit anbellt, das sind die Knochen von Argumentationen, die ihr abnagt: "Wenn Gott gut ist, sowie die Zukunft vorherwissend und mächtig genug, das Schlechte abzuwehren, warum hat er es zugelassen, dass der Mensch, und zwar sein eigenes Bild und Gleichnis (Gen. 1, 26) [...], vom Gesetzesgehorsam zum Tode hin abglitt, umschlichen vom Teufel? [...] Aber wenn dies geschah, dann ist es im Gegenteil so aufgelöst, dass man weder an einen guten noch an einen vorherwissenden noch an einen mächtigen Gott glauben darf."
Der Kirchenvater Tertullians sieht die menschliche Freiheit der Entscheidung (libertas arbitrii) als den wichtigsten Grund für die Schöpfung an
Von Natur aus gut ist allein Gott. Denn wer das, was er ist, anfanglos besitzt, hat dies nicht durch ein Einrichten, sondern von Natur aus. [...] Damit also der Mensch sein eigenes Gut besitze, als ein für ihn von Gott freigegebenes, und eine Eigenschaft bzw. in gewissem Sinne eine Natur des Guten entstehe, wurde ihm durch Einrichtung [...] die Freiheit und Macht der Entscheidung zugeschrieben, die bewirkte, dass vom Menschen aus eigenem Antrieb schon ein gleichsam eigentümliches Gut bereitgestellt wurde, weil dies der Gehalt der Güte erforderte, die freiwillig ausgeübt werden musste, nämlich aus der Freiheit der Entscheidung heraus.
Bardaiṣān betont, wie in der alten Kirche üblich, die Freiheit der Menschen als Ursache für das Böse
[1] Bardaiṣān sagte: "[...] Worin also unterscheidet sich der Mensch von der Kithara, auf der ein anderer spielt, oder von dem Wagen, den ein anderer fährt? [...] Sie sind Werkzeuge, gemacht zum Gebrauch dessen, der Wissen besitzt.
[2] In seiner Milde wollte Gott den Menschen nicht so machen, sondern er erhob ihn in Freiheit über viele Dinge und stellte ihn mit den Engeln auf eine Stufe. [...] Denn wenn er so gemacht wäre, dass er nichts Böses tun könnte, so dass er hierdurch nicht schuldig würde, so stammte auch das Gute, das er täte, nicht von ihm her, und er wäre hierdurch nicht gerechtfertigt."
Bardaiṣān von Edessa führt seine Freiheitslehre weiter aus
(1) Den Menschen wurde nichts zu tun befohlen, außer dem, was sie zu tun vermögen. Zwei Gebote wurden uns nämlich vorgelegt: Das eine, dass wir uns von allem, was schlecht ist und von dem wir nicht wollen, dass es von uns geschieht, fernhalten; das andere, dass wir tun, was gut ist, dies lieben und gutheißen, dass es von uns so geschieht. [...]
(2) Ich sage nun: Es gibt je eine Macht für Gott und für die Engel und für die Mächte und für die Regenten und für die Elemente und für die Menschen und für die Tiere; und allen diesen Ordnungen, die ich genannt habe, ist nicht in jeder Hinsicht Macht gegeben [...], damit sie in dem, was sie vermögen, die Güte Gottes erkennen, und in dem, was sie nicht vermögen, erkennen, dass es für sie einen Herrn gibt. [...]
(3) Von uns Menschen stellt man fest, dass wir von Natur aus gleich geleitet werden, und vom Schicksal verschieden, und jeder von der Freiheit, wie er nur will.
Origenes erklärt die Trinität mithilfe eines stark (mittel-)platonisch beeinflussten Modells, bei dem die Personen der Trinität unterschiedlich und unterschiedlich weit in die Welt wirken
[1] Dies von der unkörperlichen Natur auch nur leicht zu vermuten zeugt nicht nur von äußerster Respektlosigkeit, sondern auch von maximaler Dummheit [...]: dass eine substantielle Teilung von einer unkörperlichen Natur begriffen werden kann. Also muss man eher glauben, dass der Vater auf die Weise, wie ein Wollen aus dem Verstand hervorgeht und weder irgendeinen Teil des Verstandes abschneidet noch von ihm abgetrennt und abgeteilt wird, den Sohn gezeugt habe, nämlich sein Bild, so dass er so, wie er selbst von Natur aus unsichtbar ist, auch ein unsichtbares Bild gezeugt hat. [...]
[2] Dass aber das Wirken des Vaters und des Sohnes sich sowohl in den Heiligen als auch in den Sündern findet, wird dadurch klar, dass alle, die vernunftbegabt sind, an Gottes Wort, d.h. an der Vernunft, teilhaben und sie dadurch gleichsam bestimmte ihnen eingegebene Samen der Weisheit und Gerechtigkeit in sich tragen – ,was Christus ist‘. Aus dem aber, der wahrhaft ist, der durch Mose sagte: „Ich bin der, der ich bin“, bezieht alles, was ist, eine Teilhabe [...] Die Teilhabe am Heiligen Geist aber, stellen wir fest, wird nur von den Heiligen besessen.
Die Theologie als Abschluss der philosophischen Ausbildung
Wie könnte ich wohl neben all seinem sonstigen Fleiß und Arbeitseifer seine Lehre und Gewissenhaftigkeit in Bezug auf die Theologie in meiner Rede weiter schildern und in die Grundhaltung dieses Mannes eindringen, mit welcher Einsicht und Vorbereitung er wollte, dass wir alle Inhalte über das Göttliche gründlich studierten, weil er darum besorgt war, dass wir keine Gefahr in Bezug auf das Allernotwendigste liefen, die Erkenntnis der Ursache von allem. Denn er forderte, dass wir Philosophie treiben, indem wir mit ganzer Kraft alle vorhandenen Schriften der alten Philosophen und Dichter lasen [...] außer denen der Atheisten.