Eine Schlüsselszene für das lateinische Christentum Erzengel Gabriel: „Ein jedes Wort ist von Gott her nicht unmöglich.“ Maria sprach: „Siehe, ich bin die Magd des Herrn, mir geschehe nach Deinem Wort [...]. Selig, die geglaubt hat.“
Die hebräische Bibel stellt Abraham als den ersten Gläubigen dar:
Abraham vertraute (Hebr.)/glaubte (Lat./Griech.) dem Herrn, und er rechnete es ihm als Gerechtigkeit an (Hebr.)/es wurde ihm (von ihm: im Griech. möglich) zur Gerechtigkeit hin gedacht/gerechnet (Griech./Lat.).
Eine programmatische Aussage Jesu zum Glauben:
Denn, amen, ich sage Euch, wenn ihr Glauben habt wie ein Senfkorn, dann werdet ihr diesem Berg sagen: Rücke von hier weg dorthin, und er wird wegrücken. Und nichts wird Euch unmöglich sein.
Besonders dezidiert wird die Bedeutung des Glaubens vom Apostel Paulus (gest. 63 n. Chr.) vertreten, mit großem Einfluss vor allem auf die lateinische Glaubenstradition:
Jetzt ist aber unabhängig vom Gesetz die Gerechtigkeit Gottes [...] offenbar geworden, und zwar die Gerechtigkeit Gottes durch den Glauben an Jesus Christus für alle Glaubenden; es gibt ja keinen Unterschied. Denn alle haben gesündigt. [...] Dem, der arbeitet, wird der Lohn nicht aus Gnade angerechnet, sondern aus Schuldigkeit, dem aber, der nicht arbeitet, aber glaubt [...], wird sein Glaube als Gerechtigkeit angerechnet.
Der bedeutendste lateinische Kirchenvater Augustinus berichtet in seinen ,Bekenntnissen‘ seinen Lebensweg
[1] Groß bist Du Gott, und sehr zu loben. Groß ist Deine Kraft, und Deine Weisheit hat kein Ende. Und der Mensch will Dich loben, irgendein Teil Deiner Schöpfung, und der Mensch, der seine Sterblichkeit herumträgt, der das Zeugnis seiner Sünde umherträgt und das Zeugnis, dass Du ,den Hochmütigen widerstehst‘ (Brief des Jakobus 4, 6).
[2] Und doch will Dich der Mensch loben, irgendein Teil Deiner Schöpfung. Du regst an, dass es Freude bereitet, Dich zu loben, denn Du hast uns auf Dich hin geschaffen, und unruhig ist unser Herz, bis es ruht in Dir. [...]
[3] Aber wer ruft Dich an, der Dich nicht kennt? Denn wer nicht kennt, kann etwas anderes anstelle von etwas anrufen. Oder wirst Du eher angerufen, damit Du gekannt wirst? Wie wird man aber jemand anrufen, an den man nicht geglaubt hat? Oder wie glaubt man ohne Verkündiger? [...] Ich will Dich suchen, Gott, indem ich Dich anrufe, und Dich anrufen, indem ich an Dich glaube.
Anselm von Canterbury (1033-1109) über das Streben des Gläubigen
nach Verständnis:
Herr, ich begehre deine Wahrheit ein wenig zu verstehen, die mein Herz
glaubt und liebt. Denn ich strebe ja nicht zu verstehen, damit ich glaube,
sondern ich glaube, damit ich verstehe. Denn auch dies glaube ich: Wenn ich
nicht zuvor geglaubt habe, werde ich nicht verstehen.
Der Philosophie-kundige Arzt Galen hält das jüdische Schöpfungsverständnis aus der Perspektive der antiken Naturphilosophie für lächerlich
Das ist nämlich das, worin sich unsere Meinung, d.h. die Platons und die der anderen bei den Griechen, die die Untersuchungen über die Natur richtig angegangen sind, von der des Mose unterscheidet: Denn ihm genügt es, dass Gott die Materie ordnen will, und sofort ist sie geordnet. Er glaubt nämlich, dass Gott alles möglich ist, selbst wenn er will, dass die Asche ein Pferd oder ein Ochse wird. Wir aber erkennen, dass das nicht so ist, sondern sagen, es gebe Dinge, die natürlicherweise unmöglich sind und dass Gott diese gar nicht erst in Angriff nimmt, sondern dass er aus dem Möglichen auswählt, dass das Beste geschieht.
Der Apostel Paulus berichtet über die Zerrissenheit seines eigenen Wollens
Denn ich weiß, dass in mir, das heißt in meinem Fleisch, das Gute nicht wohnt. Denn das Wollen des Schönen ist bei mir vorhanden, das Ausführen aber nicht. Denn nicht, was ich will, tue ich, das Gute, sondern was ich nicht will, das Schlechte, dies mache ich. Wenn ich aber das tue, was ich nicht will, dann führe nicht mehr ich dieses aus, sondern die Sünde, die in mir wohnt. Ich finde also das Gesetz, da ich ja das Schöne tun will, weil bei mir das Schlechte vorhanden ist. Denn ich habe dem inneren Menschen nach Freude am Gesetz Gottes, aber ich sehe ein anderes Gesetz in meinen Gliedern, das dem Gesetz meiner Vernunft widerstreitet und mich in dem Gesetz der Sünde, das in meinen Gliedern ist, gefangennimmt.
Richard von Sankt Viktor (gest. 1173) über das Streben des Gläubigen nach Verständnis:
Denn einiges von dem, was uns zu glauben aufgetragen ist, scheint nicht nur über die Vernunft hinauszugehen, sondern auch gegen die menschliche Vernunft zu sein, wenn es nicht in einer tiefen und höchst feinen Untersuchung erörtert wird [...]. Zwar sollen wir durch den Glauben eintreten, aber keineswegs sofort am Eingang stehenbleiben, sondern immer weiter zum Inneren und Tieferen des Verständnisses eilen und mit aller Mühe und höchster Sorgfalt darauf achten, dass wir durch tägliches Wachstum zum Verständnis dessen gelangen können, was wir im Glauben festhalten.
Peter Abaelard (1079-1142) über den Glauben:
Drei Dinge sind es, worin, wie ich meine, die Summe des menschlichen Heils besteht, nämlich Glaube, Liebe (caritas) und Sakramente. [...] „Glaube“ ist eine Einschätzung über „nicht erscheinende Dinge“ (Hebr 11, 1), das heißt über solche, die den körperlichen Sinnen nicht unterliegen [...].
Bernhard von Clairvaux’ (ca. 1090-1153) Kritik an Abaelards
Glaubensbegriff:
Abaelard bezeichnet ganz am Beginn seiner „Theologie“ – oder eher „Dummheits-Logie“ (stultilogia) – den Glauben als eine Meinung. So kann es darin gewissermaßen jedem freistehen zu denken und zu sagen, was ihm beliebt [...]. Aber fern sei es, dass in unserem Glauben [...] irgendetwas aufgrund einer zweifelhaften Meinung auf unsicheren Füßen steht, dass sich nicht vielmehr jeder Glaubensinhalt auf sichere und feste Wahrheit stützt [...]. Diese Ansichten mögen bei den Akademikern [d.h. den skeptischen Philosophen] bleiben, deren Eigenheit es ist, an allem zu zweifeln und nichts zu wissen.
Peter Abaelard über das Verhältnis von Vernunft und Autorität:
Nach dem Zeugnis des seligen Augustinus ist es bei allem angebracht, die Autorität der menschlichen Vernunft voranzustellen; insbesondere aber bei
dem, was sich auf Gott bezieht, stützen wir uns auf Autorität sicherer als auf menschliche Begabung.
Siger von Brabant (ca. 1240-1284) über das Projekt der Philosophie:
Denn wir hier suchen hier nur die Intention der Philosophen und vor allem die des Aristoteles, auch wenn vielleicht ein Philosoph anders gedacht hat, als sich die Wahrheit und Weisheit verhält, [...] wenn wir philosophisch vorgehen.
Thomas von Aquin (ca. 1225-1274) über das Projekt der Philosophie
Das Studium der Philosophie dient nicht dazu, dass gewusst wird, was Menschen gedacht haben, sondern wie sich die Wahrheit der Dinge verhält.
Johannes Duns Scotus (1265-1308) über die Allmacht Gottes und ihre Implikationen
[1] Ich frage: Kann Gott kraft seiner Allmacht alles Mögliche umittelbar hervorbringen? [2] Es sieht nicht danach aus. Dann [...] nämlich könnte Gott ein Subjekt ohne die ihm eigentümliche Eigenschaft hervorbringen; und somit könnte es ohne eigentümliche Eigenschaft existieren und gewusst werden. Infolgedessen gäbe es im Bereich des Seienden kein Wissen schlechthin. [...] [3] Ich antworte und sage, dass sich zwar, wenn wir den Prinzipien der Philosophen folgen, nicht halten lässt, dass Gott auf Grund seiner Allmacht unmittelbar alles Mögliche hervorbringen kann [...]. Dennoch behaupte ich, dass es sich so verhält, und zwar gemäß dem Glauben, durch welchen wir mit den Philosophen über die Prinzipien unterschiedlicher Meinung sind und infolgedessen auch über die Schlussfolgerung [...] [4] Wenn wir [...] von absoluten möglichen Seienden sprechen, behaupte ich, dass Gott jedwedes Absolute durch sich hervorbringen kann. [...] Notwendigerweise besitzt jedes Absolute, was real von anderem unterschieden ist, eine unterschiedene Seiendheit, die nicht von anderem wesentlich abhängt. Folglich kann es für sich sein und gemacht werden, ohne irgendeine Beziehung auf ein anderes. [...] [5] Wer immer weiß, dass eine absolute Eigenschaft ihrem Subjekt zukommt, weiß das zwar sicher, aber nicht immer oder allgemein. Dann nämlich würde er etwas Falsches wissen, weil die Eigenschaft nicht immer unmittelbar ihrem Subjekt als ihrer Ursache zukommt, der sie ihr Entstehen verdankt. Er weiß aber nur, dass es sich meistens so verhält, denn meistens entsteht eine Eigenschaft aus den Prinzipien ihres Subjekts aber nicht immer.
Ibn Sīnā (Avicenna; 980-1037) berichtet, wie er philosophische Probleme angeht:
Und aufgrund von denjenigen Fragen, über die ich unsicher war [...], suchte
ich wiederholt die Moschee auf, betete und flehte zum Schöpfer des Alls.
[...] Sooft mich der Schlaf überwältigte oder ich eine Schwäche verspürte,
wandte ich mich ab, um einen Becher Wein zu trinken, auf dass meine
Fähigkeit mir wiederkehrt.
Wenn ich bei einer Frage in Verlegenheit war [...], pflegte ich deswegen die Moschee aufzusuchen und zum Schöpfer des Alls zu beten und zu flehen. [...] Wenn mich der Schlaf übermannen wollte oder ich eine Schwäche verspürte, wandte ich mich einem Becher Wein zu, um wieder zu Kräften zu kommen.
Peter Abaelard (1079-1142) über seinen Weg zur Philosophie:
[1] Da mein Vater mich, den Erstgeborenen, besonders ins Herz geschlossen hatte, achtete er sehr sorgfältig auf meine Erziehung. Je schneller und leichter ich im Studium der Schriften vorankam, desto größer wurde meine Begeisterung für sie. Diese Liebe ging so weit, dass ich auf den Glanz ritterlichen Ruhmes samt meinem Erbe und den Vorrechten der Erstgeburt zugunsten meiner Brüder verzichtete und vom Gefolge des Mars ganz Abschied nahm, um im Schoß der Minerva aufgezogen zu werden.
[2] Da ich die Bewaffnung mit dialektischen Argumenten allen Zeugnissen der Philosophie vorzog, vertauschte ich die anderen Waffen mit diesen und zog die Konflikte des Streitgesprächs allen allen Kriegstrophäen vor. Also wurde ich, indem ich disputierend durch verschiedene Provinzen zog – überall hin, wo ich von einer Blüte dieser Technik gehört hatte –, zu einem Nachahmer der Peripatetiker.
[3] Schließlich kam ich nach Paris, wo diese Disziplin schon länger einen großen Aufschwung genommen hatte, zu Wilhelm von Champeaux, meinem Lehrer, der damals in diesem Fach an Können und Ansehen herausragte. Ich blieb einige Zeit bei ihm und war ihm zunächst willkommen. Später wurde ich ihm außerordentlich lästig, da ich manche seiner Ansichten zu widerlegen versuchte, immer wieder argumentative Angriffe gegen ihn führte und manchmal im Streitgespräch überlegen erschien. [...]
[4] Hier nahm die Serie meiner Schicksalsschläge, die bis heute andauert ihren Anfang. Je mehr sich mein Ruhm ausbreitete, desto stärker loderte der Neid anderer.
Peter Abaelard über persönliche Ablenkungen und ihre Folgen:
Unter dem Vorwand des Unterrichts gaben wir uns ganz der Liebe hin. Die wissenschaftliche Lektüre bot uns jene stillen Rückzugsmöglichkeiten, die sich die Liebe wünschte. Waren die Bücher aufgeschlagen, wurden mehr Worte über die Liebe als über den Lesestoff gewechselt, gab es mehr Küsse als Sätze, wanderten die Hände öfter zum Busen als zu den Büchern [...]. Der Onkel und seine Verwandten hörten davon [...]. Zutiefst entrüstet verschworen sie sich gegen mich. Eines Nachts [...] bestachen sie einen meiner Diener mit Geld und rächten sich an mir durch eine besonders grausame und schmachvolle Strafe, von der die Welt mit größtem Erstaunen hörte: Sie schnitten mir die Körperteile ab, mit denen ich begangen hatte, was sie beklagten. [...] Am meisten marterten mich [...] meine Studenten mit ihrem unerträglichen Geklage und Gejammere. Ich litt viel mehr unter ihrem Mitleid als am Leid aufgrund der Wunde, und ich fühlte mehr das Erröten als den Schlag. [...] Mir ging durch den Kopf, wie groß der Ruhm war, in dem ich eben noch gestanden hatte; wie schnell er durch diesen blamablen Fall verringert, ja ganz ausgelöscht worden war; wie gerecht das Urteil Gottes, das mich an jenem Teil des Körpers bestrafen ließ, mit dem ich Schuld auf mich geladen hatte.
Auch Heloissa fällt es schwer, mit dem Geschehenen fertig zu werden:
Wie kann etwas Buße für Sünden genannt werden, wenn der Verstand, obwohl die Züchtigung des Körpers sehr groß ist, weiterhin den Willen zur Sünde behält und in den alten Begierden entbrennt? Denn es ist leicht, dass sich jemand beim Bekennen von Sünden selbst anklagt oder auch in äußerer Buße den Körper züchtigt; äußerst schwierig ist es aber, den Geist von den Begierden der größten Lüste loszureißen.
Begleitbrief König Manfred von Siziliens (reg. 1250-1266) zu einigen übersetzten Büchern:
[1] Den allgemeinen Lehrern des Pariser Studiums, die auf den Quadrigen der philosophischen Disziplin sitzen, Manfred, von Gottes Gnaden etc.
[2] Obwohl uns die mühevolle Masse der Geschäfte häufig hinwegzieht, lassen wir nicht zu, dass irgendein bisschen Zeit, das wir der Beschäftigung mit den vertrauten Dingen entzogen haben, müßig abläuft. Vielmehr investieren wir es voll und ganz gerne in die unbezahlte Einübung des Lesens [...], zum Erwerb der Wissenschaft, ohne die das Leben der Menschen nicht geleitet wird. [...]
[3] Als wir also einige Bücher [...] aufschlugen [...], kamen uns einige unter die Augen, die [...] entweder ein Fehler dieses Werkes oder eines Menschen noch nicht in die Kenntnis der lateinischsprachigen Welt geführt hatte. Da wir nun wollten, dass die altehrwürdige Autorität solcher Werke bei nicht durch eine mündliche Übersetzung, ohne einen Vorteil für viele, wieder jung wird, haben wir sogleich angeordnet, dass sie durch ausgewählte und beider Sprachen mächtige Männer, unter treuer Bewahrung der Jungfräulichkeit der Worte, übersetzt werden. [...]
[4] Hier nun haben wir mit Überlegung vorgesehen, vor allem Euch, als den hochberühmten Zöglingen der Philosophie [...], einige Bücher vorzulegen, die das neugierige Studium und die treue Sprache der Übersetzter schon herrichten konnten.
Albertus Magnus über sein Projekt, die aristotelische Wissenschaft den Lateinern bekannt zu machen:
[1] Unsere Intention in der Naturwissenschaft ist es, nach unserer Fähigkeit den Brüdern aus unserem Orden Genüge zu tun, die von uns schon seit vielen Jahren fordern, dass wir für sie ein Buch über die Physik zusammenstellen, in dem sie die Naturwissenschaft vollständig besitzen und durch das sie die Bücher des Aristoteles kompetent verstehen können. [...]
[2] Unsere Vorgehensweise in diesem Werk wird aber darin bestehen, Aristoteles’ Anordnung und Meinung zu folgen und zu ihrer Erklärung und ihrem Beweis das zu sagen, was uns notwendig scheint, aber so, dass sein Text nicht erwähnt wird. Und außerdem werden wir Exkurse anstellen, die auftretende Probleme benennen und ergänzen. [...]
[3] Weil es aber drei wesentliche Teile der realen Philosophie gibt – ich meine derjenigen, die nicht durch unsere Tätigkeit in unseren Werken in uns verursacht wird, so wie die Moralwissenschaft – [...], nämlich Naturphilosophie oder Physik, Metaphysik und Mathematik, ist es unsere Absicht, alle drei Teile, den Lateinern verständlich zu machen.
Der ,Averroist’ Alberich von Reims (um 1250) über die Vorzüge der Philosophie
[1] Drei sind es, wie Empedokles sagt, in erster Linie unter der gesamten Vielfalt der Dinge, die das großartigste Geschenk der Großzügigkeit Gottes, nämlich die Philosophie, erleuchten und erheben: die Verachtung des beweglichen Überflusses, das Streben nach der göttlichen Seligkeit und die Erleuchtung des Geistes. [...]
[2] Denn das Sein des Menschen in seiner höchsten Vollkommenheit oder Vollständigkeit besteht darin, dass er durch die theoretischen Wissenschaften vollkommen ist, wie Averroes im Prolog [zum Kommentar] zum Achten Buch von [Aristoteles‘] Physik sagt. [...]
[3] Nun werden wir [hierhin] durch ein natürliches Streben gezogen, wie die Göttin der Wissenschaften an ihrem Anfang darlegt: "Alle Menschen" usw. [streben von Natur aus zu wissen] (Metaphysik I 1, 980a 21). Hierzu sagt der Kommentator: "Wir haben ein natürliches Verlangen, die Wahrheit zu wissen". Zu Recht, denn, wie Aristoteles im Zehnten Buch der Nikomachischen Ethik sagt, ist der Mensch nur Intellekt (X 7, 1178a 2-7).
[4] Dieser Intellekt wird aber, nach dem Zeugnis des genannten Averroes [...] durch die Philosophie vervollständigt. [...] Ihm stimmt Seneca zu, wenn er sagt: "Ohne Bildung" zu leben, "ist Tod und ein Begräbnis des lebenden Menschen" (Seneca, Brief 82, 3).
Ein besorgter Dominikaner wendet sich an Albertus Magnus:
Dem in Christus ehrwürdigen Vater und Herrn Albert [...] Bruder Aegidius aus dem Dominikanerorden. [...] Die Artikel, welche die Pariser Magister, die man als bedeutend in der Philosophie ansieht, in ihren Vorlesungen vortragen, [...] befand ich für wert, dass ihr diese, bereits in vielen Versammlungen bekämpft, durch den Hauch Eures Mundes auslöscht.
I. Dass der Intellekt aller Menschen der Zahl nach ein und derselbe ist.
II. Dass die Aussage ,der Mensch denkt’ falsch oder uneigentlich ist.
III. Dass der menschliche Wille aus Notwendigkeit will und wählt.
IV. Dass alles, was auf Erden geschieht, der Notwendigkeit der Himmelskörper unterliegt.
V. Dass die Welt ewig ist. [...]
VII. Dass die Seele, welche die Form des Menschen ist, insofern er Mensch ist, mit dem Untergang des Körpers untergeht. [...]
X. Dass Gott einzelnes nicht erkennt.
Thomas von Aquin über die Philosophie als Magd der Theologie:
Diese Wissenschaft [die Theologie] kann etwas von den philosophischen
Disziplinen übernehmen, aber nicht, weil sie sie notwendig bräuchte. [...]
Denn sie übernimmt ihre Prinzipien nicht von anderen Wissenschaften,
sondern unmittelbar von Gott durch Offenbarung. Und daher übernimmt sie
nichts von anderen Wissenschaften so wie von höheren, sondern sie
gebraucht sie wie niedrigere und Mägde.
Nikolaus von Kues widmet dem Kardinal Giuliano Cesarini seine Schrift De docta ignorantia/Über die gelehrte Unwissenheit:
[1] Mit Recht magst Du, der schon oft seine hohen Geistesgaben unter Beweis gestellt hat, Dich wundern, warum ich beim allzu kühnen Versuch, meine laienhaften Stümpereien darzulegen, gerade Dein Urteil anrufe
[2] – als ob Du, den [...] hochwichtige öffentliche Aufgaben voll in Anspruch nehmen, überhaupt dafür Zeit erübrigen könntest,
[3] und als ob Du, trotz Deiner herausragenden Kenntnis aller lateinischen Schriftsteller, die bis jetzt berühmt wurden, und jetzt auch der griechischen, von der Neuheit des Titels vielleicht zu meinem allzu ungeschickten Gedanken angezogen werden könntest. Schließlich ist Dir doch schon längst bekannt, was für ein Talent ich habe.
Johannes von Salisbury (ca. 1115-1180) über ein Diktum des Bernhard von Chartres (gest. nach 1124):
[1] Bernhard von Chartres sagte, wir seien so wie Zwerge, die auf den
Schultern von Riesen sitzen, so dass wir mehr als sie und Entfernteres sehen
können, allerdings nicht wegen der Schärfe des eigenen Sehvermögens oder
der Größe des Körpers, sondern weil wir durch die Größe der Riesen in die
Höhe geführt und erhoben werden. [...]
[2] Denn wer ist mit dem zufrieden, was etwa Aristoteles in der Hermeneutik
sagt? Wer fügt nicht etwas anderswoher Genommenes hinzu? Denn alle
stellen die Summe der gesamten Kunst zusammen und überliefern sie in
leichten Worten. Sie bekleiden nämlich die Absichten der Autoren gleichwie
in täglichem Kult, der auf gewisse Weise festlicher ist, wenn er durch die
Würde des Alters klarer herausgestellt wird.
Sergios von Rēšʿaynā (gest. 536) rühmt am Anfang seiner Philosophie-Einführung Aristoteles als den Ordner aller Wissenschaften
[1] Der Ursprung und Beginn aller Bildung war Aristoteles. [...] Denn bis zu der Zeit, zu der die Natur diesen Mann zum Existieren und Wohnen unter den Menschen gebracht hatte, waren alle Teile der Philosophie und der Bildung wie einfache Heilmittel aufgeteilt und verstreut, konfus und unwissenschaftlich bei sämtlichen Schriftstellern.
[2] Dieser allein aber sammelte, nach Art eines weisen Arztes, sämtliche Schriften, die zerstreut waren, und setzte sie dem Handwerk und dem Intellekt gemäß zusammen und fertigte sie zu dem vollkommenen Heilmittel seiner Lehre, das die mühevollen und schweren Krankheiten des Nicht-Wissens ausreißt und entfernt aus den Seelen derer, die sich sorgfältig mit seinen Schriften befassen.
[3] Denn ebenso wie diejenigen, die eine Statue herstellen, jedes einzelne Teil der Gestalt für sich herstellen, und so eines nach dem anderen zusammensetzen, wie das Handwerk erfordert, und eine vollkommene Statue machen, so kombinierte auch dieser, ordnete und passte ein, und setzte jedes einzelne Teil der Philosophie in die Ordnung, welche ihre Natur erfordert, und erstellte aus ihnen durch alle seine Schriften eine vollkommene und wunderbare Gestalt des Wissens von allem Seienden.
Avicenna über sein Studium von Aristotelesʼ Metaphysik (Judentum und Islam)
Ich las das Buch der Metaphysik, aber ich verstand nicht, was darin steht, und mir blieb das Ziel seines Verfassers dunkel, bis dass ich die Lektüre vierzigmal wiederholt hatte und es auswendig wusste, wobei ich es trotzdem nicht verstand und nicht das darin liegende Ziel. [...] Eines Tages zur Zeit des Nachmittagsgebets befand ich mich bei den Buchhändlern, als ein Makler herantrat und in seiner Hand einen Band hielt, den er zum Verkauf ausrief. Er reichte ihn mir, aber ich gab ihn angewidert zurück, weil ich meinte, dass diese Wissenschaft zu nichts nutze sei. Er aber sagte mir: „Kaufe ihn doch, sein Besitzer braucht das Geld. Er ist billig, und ich verkaufe ihn Dir für drei Dirham“. So kaufte ich ihn, und siehe da, es war das Buch von Abū Naṣr al-Fārābī Über die Ziele des Buches der Metaphysik. Ich kehrte nach Hause zurück und ging eilends an die Lektüre. Da gingen mir mit einem Male die Ziele dieses Buches auf, denn ich kannte es ja bereits auswendig. Ich freute mich darüber und gab am folgenden Tag ein reichliches Almosen für die Armen aus Dankbarkeit gegen Gott, der erhaben ist.
Peter Abaelard (1079-1142) über Probleme und Prinzipien der Texthermeneutik
Bei einer so großen Fülle von Worten erscheinen einige Aussagen, auch von Heiligen, nicht nur voneinander verschieden, sondern sogar einander entgegengesetzt. Trotzdem dürfen wir nicht leichtfertig über die richten, durch die selbst die Welt gerichtet werden soll, wie geschrieben steht: "Die Heiligen werden über die Völker richten" (Weisheit 3, 8). [...] Wir sollen daher unsere eigene Schwachheit bedenken und eher glauben, dass uns die Gnade beim Verstehen fehle, als dass sie ihnen beim Schreiben gefehlt habe. [...] Was ist also daran erstaunlich, wenn uns in Abwesenheit des Heiligen Geistes, durch den dies geschrieben und diktiert wurde [...], uns das Verständnis hiervon fehlt?
Peter Abaelard über Prinzipien der Hermeneutik
Zum Verständnis zu gelangen, hindert uns [1.] besonders eine ungewöhnliche Ausdrucksweise und meistens die verschiedene Bedeutung derselben Worte, wenn dasselbe Wort mal in dieser, mal in jener Bedeutung verwendet wird. [...] [2.] Auch dies gilt es sorgfältig zu beachten, dass wir nicht, wenn uns einiges von den Worten der Heiligen entgegengehalten wird, als stehe es im Widerspruch oder sei von der Wahrheit entfernt, durch die Aufschrift eines falschen Titels oder durch eine Verderbnis des Textes selbst getäuscht werden. [...] [3.] Wenn daher gelegentlich in den Schriften der Heiligen etwas von der Wahrheit Abweichendes aufscheint, ist es respektvoll, der Bescheidenheit entsprechend sowie eine Pflicht der Liebe, die "alles glaubt, alles hofft, alles aushält" (1 Korinther 13, 7) und nicht leichthin bei denen, die sie umschließt, Fehler vermutet, dass wir annehmen, diese Schriftstelle sei entweder nicht treu interpretiert worden oder verdorben, oder dass wir bekennen, dass wir sie nicht verstehen. [...] Der sorgfältige Leser wird sich bemühen, auf alle genannten Weisen die Streitpunkte in den Schriften der Heiligen aufzulösen. Aber wenn der Streitpunkt einmal so deutlich ist, dass er durch kein Vernunftargument gelöst werden kann, dann müssen die Autoritäten verglichen werden, und die, die stärker bezeugt und besser bestätigt ist, ist in erster Linie festzuhalten.
Thomas von Aquin (1225-1274) bemüht sich, verschiedene Begriffe in Einklang zu bringen:
Das Substantiv ,essentia‘ wird von den Philosophen in den Begriff ,Washeit‘ abgewandelt. Und eben dies ist, was der Philosoph häufig das ,Was-es-war-Sein‘ nennt, das heißt das, wodurch etwas hat, ein ,was‘ zu sein. Dies heißt aber auch ,Form‘, sofern mit ,Form‘ die ,certitudo‘ eines Dings gemeint ist. Mit noch einem anderen Substantiv heißt es ,Natur‘ [...], sofern nämlich ,Natur‘ all jenes heißt, ,was vom Verstand auf irgendeine Weise erfasst werden kann‘ (Zitat aus Boethius). [...] Das Substantiv ,Natur‘ scheint in dieser Anwendung eher die essentia einer Sache zu bezeichnen, sofern es eine Hinordnung zum eigentlichen Wirken der Sache hat [...]. Das Substantiv ,Washeit‘ hingegen bezieht sich auf das, was durch die Definition bezeichnet wird. Von ,essentia‘ spricht man jedoch, sofern durch es und in ihm das Seiende Sein hat.
Thomas von Aquin behauptet in der Auseinandersetzung mit den sogenannten Averroisten, diese nähmen eine doppelte Wahrheit an:
Es ist jedoch größerer Verwunderung oder sogar Entrüstung würdig, dass jemand, der sich als Christ bezeichnet, [...] sagt: „Dies ist das Argument, durch welches die Katholiken ihre Ansicht besitzen“, womit der die Lehre des Glaubens eine Ansicht nennt. [...]
Noch schwerwiegender aber ist, was er später sagt: „durch die Vernunft folgere ich notwendig, dass der Intellekt der Zahl nach einer ist; das Gegenteil halte ich aber standhaft durch den Glauben fest“. Also meint er, dass sich der Glaube auf einiges richte, dessen Gegenteil notwendig erschlossen werden kann. Weil aber nur etwas notwendig Wahres notwendig erschlossen werden kann, dessen Gegenteil etwas unmögliches Falsches ist, folgt aus seinem Wort, dass sich der Glaube auf etwas unmögliches Falsches richtet, was auch Gott nicht herstellen kann – dies können die Ohren der Gläubigen nicht ertragen.
Moses Maimonides (ca. 1135/38-1204), der vielleicht einflussreichste Denker der jüdischen Tradition, benennt eine grundsätzliche Gemeinsamkeit von Christentum, Judentum und Islam:
Es besteht kein Zweifel, dass es gemeinsame Dinge für uns drei gibt, womit ich die Juden, die Christen und den Islam meine – nämlich die Lehre von dem Neuentstandensein der Welt. Da diese wahr ist, sind auch die Wunder und ähnliche Dinge wahr.
Thomas von Aquin erkennt ca. 1272 die Abhängigkeiten der ihm auf Lateinisch vorliegenden Quellen
Im Arabischen findet sich aber das Buch, das bei den Lateinern ,Über die Ursachen‘ heißt. Es steht fest, dass es aus dem Arabischen übersetzt wurde und auf Griechisch überhaupt nicht vorhanden ist. Daher scheint es von einem der arabischen Philosophen aus dem genannten Buch des Proklos exzerpiert zu sein.
Thomas von Aquin interpretiert den Liber de causis mit der lateinischen Proklos-Übersetzung des Wilhelm von Moerbeke:
Bis jetzt hat der Autor dieses Buches die drei Stufen der höheren Seienden unterschieden, von denen eines […] Gott ist, das andere […] der Intellekt ist, das dritte aber die Seele ist. Jetzt beabsichtigt er zu zeigen, wie das dritte einerseits an dem teilhat, was zum ersten gehört, und andererseits an dem, was zum zweiten gehört, und sagt: "Jede edle Seele hat drei Tätigkeiten; denn zu ihren Tätigkeiten gehört die seelische und die geistige Tätigkeit sowie die göttliche Tätigkeit". Welche aber ,edle Seele‘ genannt wird, kann aus den Worten des Proklos verstanden werden, der diese Proposition als 201. Mit den folgenden Worten anführt: "Alles göttlichen Seelen haben dreierlei Tätigkeiten: diese nun als Seelen, weitere aber als solche, die den göttlichen Intellekt aufnehmen, diese aber als aus den Göttern heraus genommene". Daraus ist offensichtlich, dass hier die göttliche Seele ,edle Seele‘ genannt wird.
Boethius über die Notwendigkeit der Logik für die Philosophie
Es sind zweierlei Dinge, auf welche die Kraft der schlussfolgernden Seele alle Mühe aufwendet, nämlich das eine, dass sie mit einer sicheren untersuchenden Vernunft die Naturen der Dinge erkennt, das zweite aber, dass sie zunächst zur Wissenschaft gelangt. [...] Nicht alles nämlich, was der sprachliche Diskurs erfunden hat, das steht auch von Natur aus fest. Daher mussten sich die täuschen, die die Natur der Dinge ohne Beachtung der Wissenschaft über die Erörterung untersuchten. Denn wenn jemand nicht zuerst zur Wissenschaft darüber gelangt, welche Schlussfolgerung einen wahren Pfad der Erörterung einhält, und erkennt, welche vertrauenswürdig und welche verdächtig sein kann, kann die unverfälschte Wahrheit der Dinge durch Schlussfolgern nicht gefunden werden.
Peter Abaelard (1079-1142) über den Aufbau der Logik
Beim Schreiben einer Logik ist die folgende Anordnung notwendig: Weil Argumentationen aus Aussagesätzen bestehen und Aussagesätze aus Aussagen, muss der, der auf vollkommene Weise eine Logik schreibt, zuerst über einfache Aussagen, dann über Aussagesätze schreiben und zuletzt bei den Argumentationen das Ziel der Logik vollenden.
Die Aufteilung der Logik nach dem Aristoteles-Kommentator Elias aus Alexandrien (nach 550)
[1] Die Logik wird auch selbst in drei aufgeteilt, in dasjenige vor dem Beweis bzw. der Methode und in den Beweis selbst und dasjenige, was den Beweis vortäuscht.
[2] Und dasjenige vor der Methode und dem Beweis sind die Kategorien, die Hermeneutik und die Analytica priora, die Methode des Beweises selbst lehren die Analytica posteriora, dasjenige, was den Beweis selbst vortäuscht, sind die Topik, die Rhetorischen Techniken, die Sophistischen Widerlegungen und die Poetik.
[3] Denn es gibt fünf Arten von Syllogismen: den beweisenden, den dialektischen, den rhetorischen, den sophistischen und den poetischen.
Wilhelm von Ockham über den Aufbau der Logik
Zur Verfolgung der Geschlossenheit der logischen Untersuchung ist von den Termini als vom Frühesten der Anfang zu nehmen, dann wird die Untersuchung von den Aussagesätzen, schließlich die von den Syllogismen und anderen Gattungen der Argumentation folgen.
Peter Abaelard über die Kernpunkte des Universalienstreits
Als ich damals zu Wilhelm von Champeaux zurückgekehrt war [...], zwang ich ihn im Rahmen anderer Streitgespräche mit vollkommen überzeugenden Argumenten, seine alte Auffassung über die Universalien zu ändern, ja sogar zu widerlegen. Diese These zur Allgemeinheit der Universalien besagte, dass eine im Wesen identische Sache ganz und zugleich allen ihr zugehörigen Einzeldingen innewohne, zwischen denen es keinen Unterschied im Wesen, sondern nur eine Variation in der Menge der Akzidenzien gebe. Er hat diese seine These dahingehend korrigiert, dass er nicht mehr von einer ,im Wesen‘ identischen Sache, sondern von einer ,indifferent‘ identischen Sache sprach. Und weil bei den Dialektikern das Universalienproblem [...] immer herausragend ist [...], ist deswegen, weil er diese These korrigierte, seine Vorlesung auf eine solche Missachtung gestoßen, dass er Schwierigkeiten hatte, zu den übrigen Gebieten der Logik zugelassen zu werden.
Porphyrios von Tyros enthält sich des Urteils über die Universalien
Jetzt aber werde ich in Bezug auf die Gattungen und Arten darauf verzichten zu sagen, ob sie vorhanden sind, sei es dass sie nur in bloßen geistigen Auffassungen gegeben sind, sei es dass sie auch vorhandene Körper sind oder unkörperlich, ferner ob sie abtrennbar oder in den sinnlich wahrnehmbaren Dingen oder in Bezug auf sie vorhanden sind. Dieses Thema ist sehr tiefgehend und bedarf einer anderen, größeren Untersuchung.
Wilhelm von Ockham über das Verhältnis sprachlicher und nichtsprachlicher Zeichen:
Ich sage aber nicht deswegen, gesprochene Worte seien Zeichen [...], weil die gesprochenen Worte die Konzepte der Seele in erster Linie und eigentlich repräsentieren würden, sondern weil die gesprochenen Worte eingesetzt werden, um genau dasselbe zu bezeichnen, was durch die Konzepte des Geistes bezeichnet wird. Das geschieht so, dass ein Konzept etwas von Natur aus in erster Linie bezeichnet und in zweiter Linie das gesprochene Wort eben dasselbe bezeichnet.
Walter Burley vertritt gegen Ockham die allgemeine Bedeutung bestimmter Substantive
Das Substantiv ,Mensch‘ bezeichnet etwas in erster Linie, und es bezeichnet in erster Linie weder Sokrates noch Platon. Denn jemand, der dieses gesprochene Wort hören würde und wüsste, was durch dieses gesprochene Wort bezeichnet werden soll, der würde bestimmt und unterschieden Sokrates erkennen – was falsch ist. Also bezeichnet dieses Substantiv ,Mensch‘ nicht in erster Linie etwas Einzelnes; also bezeichnet es etwas Allgemeines; und dieses Allgemeine ist eine Art.
Wilhelm von Ockham präsentiert seine Fictum-Theorie über Allgemeinbegriffe:
Eine Erkenntnis, die etwas Einzelnes erfasst, bildet etwas ähnliches Einzelnes nach. Dieses so nachgebildete Einzelne existiert nirgendwo real, nicht mehr als eine Burg, die ein Künstler nachbildet, real existiert, bevor er sie herstellt. Und aus diesem Grund kann es in einem Aussagesatz für ein Ding supponieren.
Wilhelm von Ockham präsentiert seine Qualitas-mentis-Theorie der Universalien
Jedes Universale [...] ist nichts anderes als ein Erkenntnisakt. Die Erkenntnis, durch die ich einen Menschen erkenne, ist ein natürliches Zeichen für Menschen, ebenso natürlich, wie das Seufzen ein Zeichen für Schwäche, Trauer oder Schmerz ist. Und es ist ein solches Zeichen, das in mentalen Aussagesätzen für Menschen stehen kann.
Raimundus Lullus wird aufgefordert, das beste Buch der Welt zu schreiben
Auf einmal – er selbst wusste nicht wie, aber Gott weiß es – ergriff Lullus’ Herz eine Art heftige und erfüllende Anweisung des Verstandes, er werde später gegen die Irrtümer der Ungläubigen ein Buch verfassen, das beste der Welt.
Peter Abaelard über die Frage, warum man eigentlich nicht über Gott sprechen kann<br />
Dass jede Rede von Menschen weitestgehend an die Naturen der Geschöpfe angepasst ist, wird auch besonders anhand desjenigen Teils eines Satzes deutlich, ohne den nicht gesagt werden kann, dass eine Vollständigkeit des Satzes besteht, aus dem nämlich, der ,Verb‘ genannt wird. Denn dieser Ausdruck dient zur Bezeichnung der Zeit, die von der Welt aus begonnen hat. Wenn wir daher die Bedeutung dieses Teils beachten, wird durch ihn notwendig der Sinn einer jeden Wortverbindung in den Bereich der Zeit hineingezwungen [...]. Wenn wir daher sagen, dass Gott früher ist als die Welt oder vor den Zeiten existiert hat, welcher Sinn vom Vorhergehen Gottes und dem Nachfolgen von diesen kann wahrhaft in diesen Worten sein [...]? Es ist daher nötig, wenn wir irgendwelche Ausdrücke auf die einzigartige Natur Gottes übertragen, dass diese eine gewisse einzigartige Bedeutung oder auch Wortverbindung an sich ziehen und durch das, was alles übersteigt, auch notwendig die eigene Einsetzung übersteigen.
Nikolaus von Kues über die Methodik negativer Theologie
Die heilige Unwissenheit hat uns gelehrt, dass Gott unaussagbar ist, und zwar weil er unendlich größer ist als alles, was sich benennen lässt [...]. Daraus erhellt, dass in theologischen Angelegenheiten Verneinungen wahr und Bejahungen unzureichend sind. Trotzdem sind die negativen Aussagen umso wahrer, je mehr sie Unvollkommenheiten vom Allervollkommensten entfernen, so wie es wahrer ist, dass Gott kein Stein ist, als dass er kein Leben oder kein Denken ist [...]. Bei den bejahenden Aussagen gilt das Umgekehrte. Denn die Aussage, die von Gott Denken und Leben bejaht, ist wahrer als die, die ihn Erde, Stein oder Körper nennt.
Anselm von Canterbury über die Aufgabe, notwendige Argumente für den Glauben zu finden
Wenn es nichts Festes gibt, scheint dies den Ungläubigen nicht als Erklärung zu dafür genügen, warum wir glauben müssen, Gott habe das, was wir sagen, erleiden wollen. [...] Also ist die vernünftige Festigkeit der Wahrheit zu zeigen, d.h. die Notwendigkeit, die beweist, dass Gott sich zu dem, was wir predigen, erniedrigen musste oder konnte.
Peter Abaelard wendet sich mit wahrscheinlichen Argumenten an seine Zuhörer
Damit sind, denke ich, genug Gründe angeführt, um die ausgezeichnete Einzigkeit der Gottheit darzulegen. Ich meine, ihnen wird auch leicht jeder Gute zustimmen, der ohne Neid auf jemand die größte Freude an der Empfehlung aller Dinge hat. Wir stützen uns aber eher auf moralisch einleuchtende als auf notwendige Gründe, weil bei den Guten immer das vorzüglich festgehalten wird, das mehr aus moralischem Einleuchten empfohlen wird, und der Vernunftgrund immer stärker ist, der eher zur moralischen Einsicht als zur Notwendigkeit neigt, zumal das, was moralisch einleuchtend ist, durch sich selbst gefällt und uns sofort mit einer bestimmten, ihm eigenen Kraft zu sich hinzieht.
Peter Abaelards wahrscheinliches Argument für Gottes Existenz
Es steht fest, dass das, das von sich selbst her ist, von Natur aus würdiger ist als das, was von einem anderen her ist. Und es besteht keine Diskussion darüber, dass alles, was zu Vernunft und Verständnis fähig ist, über alle anderen hervorragt. [...] Es steht aber fest, dass der Mensch, obwohl er vernünftig ist, keineswegs zur eigenen Leitung fähig ist, da er nicht vermag, sich selbst im Meer dieses Lebens so zu leiten, wie er will. Noch viel weniger ist es also angemessen, dass das eigener Leitung anvertraut ist, was mit Sicherheit keine Vernunft hat, mit der es sich leiten könnte. Das aber ist die Welt [...]. Und ich denke, dass durch diese oder ähnliche Vernunftgründe deutlich ist, dass alles, was in der Welt ist, einen Schöpfer oder Leiter hat. Den nennen wir Gott.
Thomas von Aquin (1225-1274) über die fünf Wege, Gott zu beweisen (der zweite Weg)
[1] Dass es Gott gibt, kann auf fünf Wegen bewiesen werden. [...]
[2] Der zweite Weg ergibt sich aus dem Konzept der Wirkursache. Denn wir finden, dass es in den sinnlich wahrnehmbaren Dingen eine Ordnung von Wirkursachen gibt. Aber wird nicht gefunden und ist auch nicht möglich, dass etwas die Wirkursache seiner selbst ist. Denn das wäre es früher als es selbst, und das ist unmöglich. [...] Wenn es nichts Erstes bei den Wirkursachen gibt, wird es auch nichts letztes und nichts Mittleres geben. Aber wenn in den Wirkursachen ins Unendliche gegangen wird, wird es keine erste Wirkursache geben. Und so wird es keine letzte Wirkung geben, mittlere Wirkursachen. Was offensichtlich falsch ist. [...].
Thomas von Aquin über den dritten Weg des Gottesbeweises
Der dritte Weg wird aus dem Möglichen und Notwendigen genommen und funktioniert folgendermaßen: Wir finden nämlich in den Dingen einige, die möglich sind, d.h. sein und nicht sein können [...]. Was nicht sein kann, ist zu manchmal nicht. [...] Was nicht ist, beginnt nicht zu sein, es sei denn durch irgendetwas, das ist. [...] Also ist es notwendig etwas anzunehmen, dass in sich notwendig ist, ohne dass es eine Ursache für die Notwendigkeit woanders her hat. [...] Das nennen alle ,Gott‘.
Nikolaus von Kues über die Einheit und Dreiheit des Denkens
Die Einheit der Vernunft ist, wie wir sehen, nichts anderes als Erkennendes, Erkennbares und Erkennen. Willst Du Dich nun vom Erkennenden zum Größten wenden und sagen, das Größte ist in vollkommenster Weise Erkennendes, und fügst Du dabei nicht hinzu, dass es auch in vollkommenster Weise Erkennbares und in vollkommenster Weise Erkennen ist, so bildest Du keinen richtigen Begriff einer größten und vollkommensten Einheit. [...] Denn Einheit ist nichts anderes als Dreiheit
Überlegungen zur Logik und Ontologie (Konzept der „Wesensrelation“ statt der Substanz) bei Peter Abaelard
Auf diese Weise lässt sich dann leicht an einzelnen Sachen aufweisen, dass die Sache an Zahl und wesenhaft eine bleibt und ihr doch mehrere spezifische Eigenschaften innewohnen, denen entsprechend Dinge von ihrer Definition her, nicht an Zahl verschieden sind, und dieselbe Sache in ihrem Sinn verschiedene Vokabeln zugewiesen bekommt. Zum Beispiel ist dieser Mensch eine Substanz, ein Körper, etwas Beseeltes und zur Sinneswahrnehmung Fähiges, das heißt „ein vernünftiges und sterbliches Lebewesen“, das heißt ein Mensch, und vielleicht weiß und lockig und unterliegt anderen Akzidentien, die er empfängt. Und obwohl in ihm an Zahl und wesenhaft die Substanz dasselbe ist wie der Körper, das Beseelte und das Übrige, ist doch das alles in seinen spezifischen Eigenschaften voneinander verschieden und dementsprechend mit verschiedenen Definitionen zu belegen. [...] Auf diese Weise lässt sich also an einzelnen Sachen bei einer bleibenden Wesenheit unzählig viel seinen spezifischen Eigenschaften nach voneinander Verschiedenes aufweisen; was ist dann erstaunlich daran, wenn bei einer bleibenden göttlichen Wesenheit verschiedene spezifische Eigenschaften in ihm bestehen, denen entsprechend drei Personen unterschieden werden können?
Fortentwicklung der Persondefinitionen im 12. Jahrhundert durch Richard von Sankt Viktor
Eine personale spezifische Eigenschaft nennen wir die, durch welche jeder Einzelne von allen anderen verschieden ist. Denn niemals nennen wir etwas anderes ,Person‘ als jemand Einzelnen, der von allen übrigen durch eine einzigartige spezifische Eigenschaft verschieden ist. Wenn Du also behauptest, eine personale spezifische Eigenschaft sei mitteilbar, ist das dasselbe, als würdest Du sagen, eine Person könnte zwei sein. [...] Hieraus ergibt sich für uns klarerweise [...], dass eine personale spezifische Eigenschaft überhaupt nicht mitteilbar ist.
Richard von Sankt Viktor
Vielleicht lachst Du, wenn Du dies hörst oder liest, aber ich will lieber, dass Du lachst, als dass Du nicht richtig verstehst, was ich sagen will, und es unbedacht verspottest.
Augustinus findet Gott vor allem in sich selbst
Und wie soll ich meinen Gott anrufen, meinen Gott und Herrn, wo ich ihn doch in mich selbst hineinrufen werde, wenn ich ihn anrufen werde? Und welcher Ort ist in mir, wohin mein Gott in mich kommen könnte? [...] Ist denn so, Herr mein Gott, etwas in mir, was Dich fassen würde? Aber Himmel und Erde, die Du geschaffen hast und in denen Du mich geschaffen hast – fassen sie Dich? Oder ist es so, dass deswegen, weil ohne Dich nichts von dem wäre, was ist, alles Dich fasst, was ist? Weil daher auch ich bin, was erstrebe ich, dass Du in mich kommst, der ich nicht wäre, wenn Du nicht in mir wärst?