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Philosophische Zitate aus Antike und Mittelalter

Thema: Wege des Ichs

124 Zitate zu diesem Thema im Zitatenschatz:

  • Hölderlin, Friedrich : Die Abendphantasie .

    Eine Ode aus dem Jahr 1799
    Vor seiner Hütte ruhig im Schatten sitzt
    Der Pflüger; dem Genügsamen raucht sein Herd.
    Gastfreundlich tönt dem Wandrer im
    Friedlichen Dorfe die Abendglocke.

    Wohl kehren itzt die Schiffer zum Hafen auch,
    In fernen Städten fröhlich verrauscht des Markts
    Geschäftger Lärm; in stiller Laube
    Glänzt das gesellige Mahl den Freunden.

    Wohin denn ich? Es leben die Sterblichen
    Von Lohn und Arbeit; wechselnd in Müh und Ruh
    Ist alles freudig; warum schläft denn
    Nimmer nur mir in der Brust der Stachel?

    Am Abendhimmel blüht ein Frühling auf;
    Unzählig blühn die Rosen, und ruhig scheint
    Die goldene Welt; o dorthin nimmt mich,
    Purpurne Wolken! und möge droben

    In Licht und Luft zerrinnen mir Lieb und Leid! -
    Doch, wie verscheucht von töriger Bitte, flieht
    Der Zauber; dunkel wirds, und einsam
    Unter dem Himmel, wie immer, bin ich. -

    Komm du nun, sanfter Schlummer! zu viel begehrt
    Das Herz; doch endlich, Jugend! verglühst du ja,
    Du ruhelose, träumerische!
    Friedlich und heiter ist dann das Alter.
  • Hadot, Pierre: Qu’est-ce que la philosophie antique S.19

    Pierre Hadots These zur antiken Philosophie
  • Platon: Das Gastmahl / Symposion (convivium) 204ab

    Platons klassische Definition der Philosophie
    Diotima: Kein Gott philosophiert oder begehrt, weise zu werden, er ist es ja, noch auch, wenn sonst jemand weise ist, philosophiert dieser. Ebensowenig philosophieren auch die Unverständigen oder streben, weise zu werden. Denn das ist eben das Arge am Unverstande, dass er, ohne schön und gut und vernünftig zu sein, doch sich selbst ganz genug zu sein dünkt. [...]
    Sokrates: Wer also, Diotima, sprach ich, sind denn die Philosophierenden, wenn es weder die Weisen sind noch die Unverständigen?
    Diotima: Das muss ja schon, sagte sie, jedem Kinde deutlich sein, dass es die zwischen beiden sind, zu denen auch Eros gehören wird. Denn die Weisheit gehört zu den Schönsten, und Eros ist Liebe zum Schönen; so dass Eros notwendig philosophisch ist und als philosophischer zwischen den Weisen und den Unverständigen in der Mitte steht.
  • Dion von Prusa: Rede, Über die Philosophen (Oratio 70) .

    Der Philosoph und Rhetor Dion von Prusa über die Besonderheiten des Philosophen
    Natürlich gibt es gewisse Worte, die man hören muss, wenn man sich mit Philosophie beschäftigt, Kenntnisse, die man sich aneignen muss, eine Lebensweise, die man führen muss, und überhaupt ist das Leben des Philosophen ganz anders als dasjenige der meisten Menschen. Der Philosoph strebt nach Wahrheit, Klugheit, nach Pflege und Verehrung der Götter und, weit entfernt von Prahlerei, Trug und Prunk, nach Wohlgeratenheit und Besonnenheit der eigenen Seele. Auch die Kleidung des Philosophen ist ja anders als diejenige der gewöhnlichen Leute, auch seine Gepflogenheiten bei Tisch, im Gymnasion, beim Baden und seine übrige Lebensweise.
  • Unbekannt: Leben des Secundus (Vita Secundi) S. 70-72

    Beliebt und in vielen Sprachen verfügbar war in der Spätantike die Erzählung vom Philosophen Secundus vor dem als gerecht geltenden Kaiser Hadrian
    [1] [Kaiser] Hadrian, der sich davon überzeugen wollte, dass [der Philosoph] Secundus das [von ihm freiwillig gelobte] Schweigegebot streng befolgte, stand auf und entbot ihm, als er kam, als erster seinen Gruß. Secundus aber bewahrte sein gewöhnliches Schweigen. Daraufhin sprach Hadrian zu ihm: ,Sprich, Philosoph, damit wir Dich kennenlernen; denn es ist unmöglich, deine Weisheit zu erfassen, wenn Du schweigst‘. Secundus aber schwieg weiterhin. Da sprach Hadrian zu ihm: ,Secundus, bevor ich zu Dir kam, war es richtig, dass Du schwiegst, denn Du hattest keinen Zuhörer, der bedeutender war als Du selbst, noch jemanden, der in der Lage gewesen wäre, auf gleicher Ebene Worte zu wechseln. Nun aber bin ich hier und fordere, dass Du sprichst‘ [...].

    [2] Doch Secundus war weder von Scham berührt noch von Furcht vor dem Herrscher erfüllt. Da verlor Hadrian schließlich die Fassung, verlangte nach einem Tribunen und befahl diesem: ,Bringe den Philosophen dazu, das Wort an mich zu richten‘. Der Tribun aber erklärte ihm [...]: ,Es mag möglich sein, Löwen, Panther und andere Tiere dazu zu bringen, mit Menschen stimme zu sprechen, jedoch nicht einen Philosophen gegen seinen Willen‘.
  • Platon: Apologie des Sokrates (apologia Socratis) 21b

    Sokrates über sein Nichtwissen
    Sokrates: Ich bin mir weder im Großen noch im Kleinen einer besonderen Weisheit bewusst.
  • Platon: Apologie des Sokrates (apologia Socratis) 28e - 29a

    Sokrates (ca. 469-399 v. Chr.) rechtfertigt in einer Verteidigungsrede vor der Gerichtsversammlung der Athener Bürger sein kritisches Fragen als Gehorsam gegenüber einer höheren Autorität als der staatlichen
    Ich hätte also Arges getan, ihr Athener [...], wenn ich da, wo der Gott mich hinstellte, wie ich es doch glaubte und annahm, dass ich philosophierend leben solle und in Prüfung meiner selbst und anderer, den Tod oder irgendetwas anderes fürchtend, aus der Ordnung gewichen wäre.
  • Platon: Der Staat (Platon) (De re publica) V 473c-e

    Das Ideal des Philosophenkönigtums
    Wenn nicht [...] entweder die Philosophen Könige werden in den Staaten oder die jetzt so genannten Könige und Regenten aufrichtig und gründlich philosophieren und also beides zusammenfällt, die politische Gewalt und die Philosophie [...], eher gibt es keine Erholung von dem Übel für die Staaten [...] und ich denke auch nicht das menschliche Geschlecht, noch kann jemals zuvor diese Staatsform gedeihen [...], die wir jetzt im Wort durchgegangen sind.
  • Cicero: Gespräche in Tuskulum (Tusculanae disputationes ) V 10

    Über die Bedeutung des Sokrates für die antike Philosophie
    Sokrates aber rief als erster die Philosophie vom Himmel herunter, siedelte sie in Städten an, führte sie auch in Häuser ein und zwang sie, nach dem Leben und den Sitten sowie guten und schlechten Dingen zu fragen.
  • Platon: Apologie des Sokrates (apologia Socratis) 40b-e

    Sokrates nennt zwei mögliche Todesvorstellungen sowie die Vorzüge der ersten Alternative
    [1] Mir scheint nämlich dieses Ereignis etwas Gutes geworden zu sein, und unmöglich können wir Recht haben, wenn wir annehmen, der Tod sei etwas Schlechtes. [...] Denn eins von beiden ist das Totsein, entweder soviel als nichts sein noch irgendeine Empfindung von irgendetwas haben, wenn man tot ist; oder, wie gesagt wird, es ist ein Wechsel und ein Umzug der Seele von hier an einen anderen Ort.
    [2] Und ist es nun gar keine Empfindung, sondern wie ein Schlaf, in welchem der Schlafende auch nicht einmal einen Traum hat, so ist der Tod gewiss ein wunderbarer Gewinn; denn ich glaube, wenn jemand einer solchen Nacht, in welcher er so fest geschlafen, dass er nicht mal einen Traum gehabt, alle übrigen Tage und Nächte seines Lebens gegenüberstellen und nach reiflicher Überlegung sagen sollte, wieviel Tage er angenehmer und besser als diese Nacht in seinem Leben gelebt hat [...], er würde finden, dass diese sehr leicht zu zählen sind gegen die übrigen Tage und Nächte.
  • Platon: Apologie des Sokrates (apologia Socratis) 40e-41a

    Sokrates erläutert die Vorzüge einer möglichen Todesvorstellung
    Ist aber der Tod andererseits wie eine Auswanderung von hier an einen anderen Ort und ist das wahr, was gesagt wird, dass alle Gestorbenen dort sind, was für ein größeres Gut könnte es wohl geben als dieses, o ihr Richter? Denn wenn einer in der Unterwelt angelangt ist, befreit von den hiesigen, sich so nennenden Richtern, und dort die wahren Richter antrifft, von denen ja gesagt wird, dass sie dort Recht sprechen – Minos, Radamanthys, Aiakos und Triptolemos sowie die anderen Halbgötter, die in ihrem Leben gerecht gewesen sind –, wäre das wohl eine schlechte Übersiedlung?
  • Platon: Phaidon (Phaedo) 58e

    Sokrates‘ eigener Tod wird geschildert
    Mir erging es dabei ganz erstaunlich. Bedauern berührte mich nämlich nicht wie einem, der beim Tod eines Freundes anwesend ist. Denn glückselig erschien mir der Mann, o Echekrates, in seinem Benehmen und seinen Reden, wie furchtlos und edel er endete, so dass ich vertraute, er gehe auch in die Unterwelt nicht ohne göttliche Schickung, sondern auch dort werde er sich wohl befinden, wenn jemals einer sonst. Darum berührte mich nun weder irgendein Bedauern, wie man doch denken sollte bei einem solchen Trauerfall, noch auch waren wir fröhlich, wie in unseren philosophischen Beschäftigungen [...], sondern in einem gar nicht festzulegenden Empfinden befand ich mich, das aus Lust zugleich und Trauer zusammengesetzt war.
  • Platon: Der Staat (Platon) (De re publica) VI 484b-d

    Platons Argument dafür, dass Philosophen herrschen sollen
    [1] Sokrates: ,Wo nun die Philosophen die sind, welche das sich immer gleich und auf dieselbe Weise Verhaltende erfassen können, keine Philosophen aber die, welche dies nicht können, sondern immer unter dem Vielen und auf allerlei Weise sich Verhaltenden umherirren – welche beiden müssen nun Herrscher des Staates sind?‘ [...]
    Glaukon: ,Und wie [...] sollte das nicht klar sein?‘
    [2] Sokrates: ,Glaubst Du also, dass sich die irgendwie von Blinden unterscheiden, denen in der Tat die Erkenntnis eines jeden Seienden fehlt und die kein klares Urbild in der Seele haben, und die folglich nicht in der Lage sind – so wie Maler, die auf das Wahrste sehen und von dorther alles, auf das Genaueste achtgebend, übertragen – auch das hier Gesetzliche in Bezug auf das Schöne, das Gerechte und das Gute zu begründen, wenn es denn begründet werden muss, und das bereits Feststehende bewahrend zu erhalten? [...] Sollen wir also eher diese als Wächter einsetzen oder die, die jedes einzelne Seiende erkannt haben [...] und auch in keinem anderen Teil der Tugend nachstehen?‘
    Glaukon: ,Absurd wäre es freilich [...], andere zu wählen‘.
  • Platon: Der Staat (Platon) (De re publica) VI 485c-e

    Platon über die Eigenschaften des wahren Philosophen
    [1] Sokrates: ,Ganz notwendig wird, wer in irgendetwas von Natur verliebt ist, alles seinem Lieblingsgegenstande Verwandte und Angehörige auch lieben‘.
    Glaukon: ,Richtig‘. [...]
    Sokrates: ,Könntest Du nun etwas der Weisheit Verwandteres finden als die Wahrheit?‘
    Glaukon: ,Wie sollte ich?‘ [...]
    Sokrates: ,Kann also wohl dieselbe Natur weisheitsliebend/philosophisch sein die Lüge liebend?‘
    Glaukon: ,Doch wohl keineswegs‘
    [2] Sokrates: ,Der in der Tat das Lernen Liebende muss also gleich von Jugend an möglichst nach aller Wahrheit streben‘.
    Glaukon: ,Allerdings ja‘.
    Sokrates: ,Aber bei wem sich die Begierden sehr nach einem einzigen hinneigen, bei dem, wissen wir, sind sie nach anderen Seiten hin desto schwächer. [...] Bei wem sie also nach Kenntnissen und allem dergleichen hinströmen, bei dem gehen sie, denke ich, auf die Freude, welche der Seele an sich zukommt, und halten sich dagegen von den durch den Leib vermittelten Freuden zurück, wenn jemand nicht zum Schein, sondern wahrhaft philosophisch ist. [...] Mäßig ist also ein solcher und keineswegs habsüchtig‘.
  • Platon: Theaitetos (Theaetetus) 174a

    Platon über die unpraktische Natur des Philosophen
    Es wird erzählt, dass Thales, [...] als er astronomische Beobachtungen anstellte und dabei nach oben blickte, in einen Brunnen gefallen sei und dass eine witzige, reizende thrakische Magd ihn verspottet habe: Er strenge sich an, die Dinge im Himmel zu erkennen, das aber, was ihm vor Augen und vor den Füßen liege, bleibe ihm verborgen. Derselbe Spott richtet sich reichlich gegen alle, welche auf die Weise der Philosophie leben. Denn in der Tat, so jemandem bleibt der Nächste und der Nachbar verborgen, nicht nur, was er tut, sondern beinahe auch, ob er ein Mensch ist oder irgendein anderes Geschöpf. Aber was genau der Mensch ist und was dieser Natur als Unterschied von den anderen im Hinblick auf das Tun und Erleiden zukommt, das untersucht er und lässt es sich Mühe kosten, es zu erforschen.
  • Platon: Theaitetos (Theaetetus) 176ab

    Das Ähnlich-Werden mit Gott als Ziel der platonischen Philosophie:
    Sokrates: Deswegen ist es nötig, so schnell wie möglich von hier nach dort zu fliehen. Die Flucht ist aber das Ähnlichwerden mit Gott, soweit es möglich ist. Ähnlichwerden besteht aber darin, mit Klugheit gerecht und würdig zu werden. [...] Gott ist niemals auf irgendeine Weise ungerecht, sondern so gerecht wie nur irgend möglich, und nichts ist ihm ähnlicher als jemand von uns, der so gerecht wird wie möglich.
  • Platon: Das Gastmahl / Symposion (convivium) 204e-205a

    Diotima erklärt das Gute als das der Glückseligkeit Zuträgliche:
    Sprich, Sokrates, wer das Gute liebt, was liebt der?
    Dass es ihm zuteil werde, sagte ich.
    Und was wird folglich der werden, dem das Gute zuteil wird?
    Das kann ich leichter beantworten, sagte ich, er wird glückselig werden.
    Durch den Besitz des Guten, sagte sie, sind die Glückseligen glückselig. Und hier bedarf es keiner weiteren Frage mehr, weshalb doch der glückselig sein will, der es will, sondern die Antwort scheint vollendet zu sein.
  • Platon: Das Gastmahl / Symposion (convivium) 210c-e

    Diotimas Schilderung des mystischen Aufstiegs:
    Diotima: Nach den Unternehmungen aber muss er weiter zu den Arten des Wissens gehen, damit er auch die Schönheit der Arten des Wissens schaut und, in Anbetracht des Blicks auf vielerlei Schönes, nicht mehr nur auf eines […], viele schöne und prachtvolle Reden und Gedanken in einer unermesslichen Philosophie erzeugt, bis er, hierin gestärkt und gewachsen, ein einziges solches Wissen erblickt, das sich auf ein Schönes der folgenden Art bezieht.
    Hier aber, sprach Diotima, bemühe dich möglichst stark auf mich zu achten: Wer nämlich bis hierhin zu den Objekten der Liebe hin erzogen wurde, dass er das einzelne Schöne der Reihe nach und richtig schaut sowie zum höchsten Objekt der Liebe geht, der schaut ganz plötzlich ein Schönes von einer wunderbaren Natur, genau dasjenige, Sokrates, auf das alle vorherigen Mühen abzielten.
  • Aristoteles: Nikomachische Ethik (Ethica Nicomachea) I 5, 1097a 30-b 5

    Aristoteles‘ Definition des Glücks bzw. der Eudaimonie als Ziel allen Handelns:
    Wir nennen [...] vollendet schlechthin dasjenige, was immer als solches und nie um etwas anderen willen gewählt wird. Von dieser Art scheint aber am meisten das Glück zu sein. Dieses nämlich wählen wir immer um seiner selbst willen und niemals um etwas anderen willen, während wir Ehre, Lust, Geist und jede Tugend zwar um ihrer selbst willen wählen [...], aber auch des Glücks wegen, weil wir annehmen, dass wir durch sie glücklich sein werden.
  • Aristoteles: Nikomachische Ethik (Ethica Nicomachea) I 6, 1098a 12-18

    Aristoteles sogenanntes Ergon-Argument bildet die Grundlage seiner Ethik
    Wir nehmen aber als Funktion [ergon] des Menschen [...] eine Tätigkeit der Seele und mit Vernunft verbundene Handlungen an, als diejenige des guten Mannes aber dasselbe in guter und schöner Weise, wobei ein jedes entsprechend der eigentümlichen Tugend gut verrichtet wird. Wenn es sich so verhält, dann erweist sich das Gut für den Menschen als eine Tätigkeit der Seele gemäß der Tugend, und wenn es mehrere Tugenden gibt, gemäß der besten und vollendetsten.
  • Aristoteles: Nikomachische Ethik (Ethica Nicomachea) X 7, 1177a 14-25

    Aristoteles über die theoretische Tugend als Basis der Eudaimonie (Judentum und Islam)<br /> Aristoteles über die Theorie als beste Möglichkeit, glücklich zu werden (Antike Philosophie I)
    Das, von dem man annimmt, dass man seiner Natur nach herrscht, führt und Einsicht in die schönen und göttlichen Dinge hat, mag es etwas Göttliches sein oder das Göttlichste in uns – seine Tätigkeit gemäß der eigentümlichen Tugend wird das vollendete Glück sein. Dass diese Tätigkeit eine theoretische ist, wurde gesagt. [...] Diese Tätigkeit ist nämlich die höchste, wie auch der Geist von dem in uns Befindlichen wie seine Gegenstände von dem Erkennbaren. Sie ist ferner die kontinuierlichste Tätigkeit, da wir eher kontinuierlich betrachten können als irgendeine Handlung verrichten. [...] Unter den Tätigkeiten gemäß einer Tugend ist weiterhin nach übereinstimmender Auffassung die gemäß der Weisheit die lustvollste.
  • Aristoteles: Nikomachische Ethik (Ethica Nicomachea) X 8, 1178a 9-14

    Aristoteles über die Tugenden als zweitbeste Möglichkeit, glücklich zu werden
    An zweiter Stelle [ist] dasjenige Leben [glückselig], das der sonstigen Tugend gemäß ist. Denn die dieser entsprechenden Tätigkeiten sind menschlicher Art. Gerechtes, Tapferes und die übrigen den Tugenden entsprechenden [Handlungen] üben wir gegeneinander im geschäftlichen Verkehr, in Notlagen, in Handlungen aller Art und bei den Emotionen dadurch aus, dass wir allem so viel zumessen, wie ihm gebührt. Dies sind aber alles offenbar menschliche Dinge.
  • Platon: Brief 7 (Epistula 7) 330de

    Platons Überlegungen zum Erteilen politischer Ratschläge
    [1] Wer einem Mann raten will, der krank ist und für seine Gesundheit schädliche Lebensgewohnheiten hat, der darf wohl nicht anders handeln, als dass er erst seine Lebensweise zu ändern sucht und ihm erst dann, wenn er ihm folgen will, weitere Hinweise gibt. Will er es aber nicht, so halte ich nur den, der diese Behandlung sofort aufgibt, für einen Mann und einen Arzt, den jedoch, der trotzdem dabei bleibt, für unmännlich und nicht fachgerecht.
    [2] Dasselbe gilt auch für einen Stadtstaat, ob nun einer sein Herr ist oder mehrere: Wenn seine Verfassung sich auf dem rechten Weg befindet und dann Rat eingeholt würde über etwas, was ihr förderlich wäre, würde, wer Verstand hat, solche Leute beraten; andere jedoch, die sich ganz außerhalb der rechten Verfassung befinden und gar nicht auf ihre Spur kommen wollen, dem Berater aber vorweg sagen, er solle die Verfassung in Ruhe lassen und nicht verändern, ja er müsse sterben, wenn er sie verändere – wenn diese Leute beföhlen, ihrem Wollen und ihren Begierden dienend zu raten, auf welche Weise sie für alle Zukunft am leichtesten und schnellsten zu allem kämen; wer sich darauf einlässt, solche Ratschläge zu erteilen, den halte ich für unmännlich, wer sich nicht darauf einlässt, für einen Mann.
  • Cicero: Das höchste Gut und das höchste Übel (De finibus bonorum et malorum) 5, 15

    Cicero erklärt die Bedeutung des Glücks bzw. der Eudaimonie als Lebensziel, die für jede philosophische Schule der hellenistischen Zeit gelten soll
    Unser Lucius handelt also klug, wenn er in erster Linie vom höchsten Gut hören will; denn wenn dieses festgelegt ist, ist in der Philosophie alles festgelegt. Denn wenn in den übrigen Dingen etwas entweder ausgelassen oder nicht gewusst wird, bringt das keinen Nachteil mit sich, der die Bedeutung von jedem dieser Sachen überschreitet, von denen etwas vernachlässigt wurde; wenn aber das höchste Gut unbekannt ist, dann muss notwendigerweise der Gehalt des Lebens unbekannt sein. Daraus folgt ein solcher Irrtum, dass man nicht wissen kann, in welchen Hafen man sich zurückzieht.
  • Cicero: Das höchste Gut und das höchste Übel (De finibus bonorum et malorum) 5, 17f.

    Cicero referiert die Einteilung der philosophischen Meinungen über das Glück bzw. letzte Ziel, die Karneades, der bedeutendste Vertreter des akademisch-skeptischen Platonismus, aufgrund der Situation der hellenistischen Zeit gegeben hatte
    Was es aber ist, dass so bewegt und von Natur aus so seit der ersten Entstehung erstrebt wird, steht nicht fest, und hierüber herrscht unter den Philosophen [...] größte Uneinigkeit. [...] Einige meinen, das primäre Streben und das primäre Vermeiden von Schmerz richte sich auf die Lust. Andere als sie erstreben das, was sie Primäres der Natur nach nennen, wozu sie Unversehrtheit rechnen [...]. Diesem ähnlich ist das Primäre in den Seelen, wie die Funken und Samen der Tugenden.
  • Aristoteles: Nikomachische Ethik (Ethica Nicomachea) I 1, 1094b 12-22

    Aristoteles erklärt die Grenzen, die eine ethische Reflexion haben muss
    Genauigkeit darf man nämlich nicht bei allen Aussagen auf im gleichen Grade suchen, so wie man es auch bei handwerklich Hergestelltem nicht macht. Das an sich Gute/Schöne und Gerechte, das die politische [Wissenschaft] untersucht, enthält viele Unterschiede und Verirrungen, so dass es anscheinend nur einem Gesetz folgt, aber nicht der Natur. Eine solche Verirrung weisen auch die guten Dinge auf, weil der Mehrheit [der Menschen] aus ihnen Schäden zustoßen. Denn schon einige sind an Reichtum zugrunde gegangen, andere an Tapferkeit. Angemessen ist es also, wenn man über derartiges und aufgrund von derartigem spricht, grob und umrisshaft auf die Wahrheit hinzuweisen und sich, wenn man über das, was in den allermeisten Fällen so ist, und aufgrund von derartigem spricht, auch mit derartigem zu begnügen
  • Aristoteles: Nikomachische Ethik (Ethica Nicomachea) II 6, 1106b 36-1107a 2

    Aristoteles’ Definition der ethischen Tugend
    Die [ethische] Tugend ist also eine die Vorzugswahl bestimmte Disposition, die in der Mitte in Bezug auf uns liegt, die bestimmt ist durch die Vernunft, d.h. so, wie der Kluge sie wohl bestimmt.
  • Aristoteles: Nikomachische Ethik (Ethica Nicomachea) VI 5, 1140b 1-6. 21-25. 1142b 26f

    Die Unterscheidung der Klugheit von den anderen dianoetischen Tugenden
    Folglich wird die Klugheit weder ein Wissen noch eine Fertigkeit sein: kein Wissen, weil jeder Gegenstand des Handelns sich verändern kann, keine Fertigkeit, weil Handeln und Machen zu unterschiedlichen Gattungen gehören. Es bleibt also, dass sie eine mit Vernunft verbundene wahre, handlungsleitende Disposition im Hinblick auf das Gute und Schlechte für den Menschen ist. [...] Nun gibt es allerdings für eine Fertigkeit eine Tugend, für die Klugheit hingegen nicht. Bei einer Fertigkeit würde man auch den, der freiwillig einen Fehler macht, vorziehen, bei der Klugheit weniger, wie auch bei den Tugenden. Es ist also deutlich, dass sie eine Tugend ist und keine Fertigkeit. [...] Nun bezieht sich der Geist auf die Definition, für die es kein Argument gibt, die [Klugheit] aber auf das Äußerste, von dem es kein Wissen gibt, sondern Wahrnehmung.
  • Eusebios von Kaisareia: Die Vorbereitung auf das Evangelium (Praeparatio Evangelica) 15, 14, 1; = LS 45G. 46G

    Eusebios zitert einen Überblick über die stoische Physik aus einem verlorenen Werk des Aristotetelikers Aristokles von Messene:
    Als das Urelement des Seienden sieht Zenon das Feuer an, ebenso wie Heraklit, als dessen Prinzipien die Materie und Gott, so wie Platon. Aber er sagt, dass sie beide Körper seien, sowohl das Wirkende als auch das der Wirkung Unterliegende, während Platon sagt, die erste bewirkende Ursache sei unkörperlich [...]. Dann aber, zu gewissen vom Schicksal festgelegten Zeiten, verbrenne die gesamte Welt und werde dann wieder neu durchgeordnet. Das erste Feuer sei nun wie ein Same, der die Gehalte und die Ursachen des Vergangenen, des Gegenwärtigen und des Zukünftigen enthalte. Deren Verbindung und Ordnung sei ein Schicksal, ein Wissen, eine Wahrheit und ein Gesetz für das Seiende, dem weder zu entlaufen noch zu entfliehen ist. Auf diese Weise werde alles im Kosmos mehr als gut verwaltet, so wie in der am besten geordneten Stadt.
  • Diogenes Laertios: Diogenes Laertios VII, 85-88 = Long/Sedley 57A, 63C = Stoicorum Veterum Fragmenta III 178

    Chrysipp (bzw. die Stoiker) über menschliche und kosmische Vernunft <br /><br /> Der Philosophiehistoriker Diogenes Laertios (um 200 n. Chr. ?) erklärt den Zusammenhang von stoischer Ethik und Theologie (VL <i> Gott und die Welt </i>)
    Die Stoiker sagen, dass der primäre Impuls für jedes Lebewesen die Selbsterhaltung ist, weil dieses der Natur von Anfang an zu eigen ist, wie Chrysipp sagt [...], wobei er das primär Eigentümliche für jedes Lebewesen dessen eigene Verfasstheit und das Bewusstsein von ihr nennt [...]. Und weil den rationalen Wesen die Vernunft gemäß einer vollendeteren Anleitung gegeben ist, ist für diese das Leben nach der Vernunft zu Recht der Natur entsprechend. [...] Deswegen gab [...] Zenon [...] als Ziel das Leben in Übereinstimmung mit der Vernunft an, d.h. das Leben gemäß der Tugend. Denn zu dieser leitet uns die Natur. [...] Das Leben in der Nachfolge der Natur [...] bezieht sich [nach Chrysipp] sowohl auf die eigene als auch auf die aller Dinge, wobei wir nichts tun, was das allgemeine Gesetz üblicherweise verbietet, d.h. die rechte Vernunft, die durch alles hindurchgeht, die dasselbe ist wie Zeus, der der Beherrscher des gesamten Haushalts des Seienden ist.
  • Diogenes Laertios: Diogenes Laertios 7, 127

    Es steht im Zusammenhang mit dem Gesagten, dass die Tugendbegriffe der Aristoteliker und Stoiker sich deutlich unterscheiden
    [Die Stoiker] halten es für richtig, dass es nichts gibt zwischen Tugend und Schlechtigkeit, während die Peripatetiker sagen, zwischen Tugend und Schlechtigkeit sei der Fortschritt. Denn, sagen [die Stoiker], so wie das Holz gerade oder krumm sein muss, so ist es auch mit dem Gerechten oder Ungerechten, denn es gibt nichts mehr oder weniger Gerechtes, und bei den übrigen [Tugenden] ist es ebenso. Allerdings sei die Tugend [...] wegen ihrer selbst wählbar. Denn wir schämen uns über das, was wir schlecht tun, so als ob wir nur das sittlich Gute/Schöne für gut halten. Und sie sei hinreichend für die Eudaimonie.
  • Plutarch von Chaironeia: Die ethische Tugend (De virtute morali) 441A-D

    Die stoische Definition der Tugend als Habitus des Intellekts (Antike Philosophie I)
    a) Auch Zenon [...] von Kition definiert die Klugheit als Gerechtigkeit beim Verteilen, als Maßhalten beim Wählen, als Tapferkeit beim Ertragen. Zur Verteidigung behaupten die Stoiker, hierbei werde das Wissen von Zenon Klugheit genannt. [...] Diese alle aber nehmen gemeinsam an und glauben, dass die Tugend eine bestimmte Disposition des Hegemonikon der Seele sei und eine Fähigkeit, die durch die Vernunft entstanden ist, ja die vielmehr Vernunft ist, die übereinstimmend, fest und unveränderlich besteht.
    b) Denn das zu Emotionen neigende und nicht Rationale sei durch keinen Unterschied und keine Natur vom rationalen unterschieden, sondern es handle es sich um denselben Seelenteil, den sie ja Verstand beziehungsweise Hegemonikon nennen. Er wandle und verändere sich ganz in den Emotionen und den Veränderungen im Habitus oder in der Disposition und werde Schlechtigkeit oder Tugend. Er habe nichts nicht Rationales in sich, sondern werde [nur] nicht rational genannt, solange er durch das stark und herrschend gewordene Hinzutreten eines Impulses entgegen der wählenden Vernunft zu etwas Sinnlosem hingetragen werde.
  • Cicero: Das höchste Gut und das höchste Übel (De finibus bonorum et malorum) 5, 95

    Cicero referiert den Glücksbegriff der aristotelischen bzw. peripatetischen Schule
    Das ist also unser Argument, das Dir uneinheitlich scheint, [...] dass dort, wo die Tugend ist sowie große und in höchstem Maße lobenswerte, aus Tugend vollbrachte Taten, Elend und Leid nicht bestehen kann, aber sehr wohl Mühe und Belastung. Ich sage ohne Zweifel, dass alle Weisen glückselig sind, es aber doch geschehen kann, dass einer glückseliger ist als der andere.
  • Alkuin: Lehrbuch der Grundsätze Platons S. 152f.

    Alkinous über den Begriff und das Ziel der Philosophie
    Die Lehre der wichtigsten Dogmata Platons ist gewiss die folgende: Die Philosophie ist ein Streben nach Weisheit bzw. die Loslösung und Hinüberführung der Seele vom Körper weg, indem wir uns zum Geistigen und wahrhaft Seienden hinwenden. [...] Der Philosoph muss zunächst zu den Fächern geeignet sein, die ihn der Erkenntnis des geistigen, nicht umherirrenden und veränderlichen Seins annähern und zu ihr hinführen können, sodann muss er zur Wahrheit Liebe empfinden und Lüge keinesfalls akzeptieren, ferner von Natur aus mäßig sein. [...] Da es zweierlei Lebensweisen gibt, die theoretische und die praktische [...], ist die theoretische Lebensweise ehrwürdig, die praktische hingegen nachgeordnet und notwendig.
  • Aspasios : Kommentar zur Nikomachischen Ethik Prooemium, p. 1, l. 3-11

    Aspasios, ein Aristoteles-Kommentator aus der Kaiserzeit, über die Ziele des Lebens
    Insofern es unmöglich ist, sittlich gut zu leben, ohne mäßig und gerecht zu sein [...], insofern erscheinen die Politik und Ethik notwendig und deswegen früher zu sein [...]; insofern aber die Weisheit über die ehrwürdigsten und göttlichsten Dinge handelt und die Werke der Natur sowie noch andere viel bessere und stärkere Dinge als die von Natur aus Bestehenden betrachtet, auf welche sich die Erste Philosophie theoretisch richtet, insofern muss man gewiss die theoretische [Philosophie] früher und ehrwürdiger nennen.
  • Plotin: Enneade I 5 (36), 10, 15-22

    Der Vorrang des theoretischen Glücks vor dem praktischen bei Plotin
    Denn auch die Rettung des Vaterlands kann gewiss auch durch einen unvollkommenen Menschen geschehen, und das, was an der Rettung des Vaterlands freudvoll ist, kommt ihm gewiss auch dann zu, wenn ein anderer so handelt. Nicht dies ist ja das, was die Freude des Glücklichen bewirkt, sondern der Habitus bewirkt sowohl die Eudaimonie als auch, wenn etwas durch sie freudvoll ist. Den Zustand der Eudaimonie in den Handlungen anzusetzen ist Sache von jemandem, der sie in den Dingen außerhalb der Tugend und der Seele ansetzt. Denn die Aktivität der Seele besteht im Denken (ἐν τῷ φρονῆσαι) und darin, in sich selbst so aktiv zu sein.
  • Porphyrios von Tyros : An Markella (Ad Marcellam ) 31

    Epikur betont den Zwecke der Philosophie, dem Menschen zu einem guten Leben zu verhelfen
    Leer ist die Lehre eines Philosophen, durch die kein menschliches Erleiden geheilt wird. Denn so wie die Medizin keinen Nutzen hat, wenn sie nicht die Krankheiten der Körper heilt, so hat auch die Philosophie keinen, wenn sie nicht das Erleiden der Seele entfernt.
  • Lukrez (Titus Lucretius Carus): Über die Natur der Dinge (De rerum natura) II, 216-224

    Lukrez erklärt die Lehre von der Bahnabweichung der Atome
    Dies noch wünsch ich hierbei dir recht zur Kenntnis zu bringen:
    Wenn sich die Körper im Leeren mit senkrechtem Falle bewegen,
    durch ihr eigen Gewicht, so würden sie wohl in der Regel
    irgendwo und –wann ein wenig zur Seite getrieben,
    doch nur so, dass man sprechen kann von geänderter Richtung.
    Wichen sie nicht so ab, dann würden wie Tropfen des Regens
    gradaus alle hinab in die Tiefen des Leeren versinken.
    Keine Begegnung und Stoß erführen alsdann die Atome,
    niemals hätte daher die Natur mit der Schöpfung begonnen.
  • Epikur: Brief an Menoikeus (Epistula ad Menoecum) 127-132 = LS 21B

    Epikurs Theorie der Unterscheidung verschiedener Freuden
    (1) Von den Begierden sind die einen natürlich, die anderen leer. Und von den natürlichen sind die einen notwendig, die anderen nur natürlich. Von den notwendigen wiederum sind die einen notwendig zum Glück, andere notwendig zur störungsfreien Funktion des Körpers und die dritten notwendig zum Leben selbst. (2) Denn eine unbeirrte Betrachtung hiervon weiß jedes Wählen und Meiden auf die Gesundheit des Körpers und die Freiheit der Seele von Verwirrung zurückzubeziehen. [...] Um dessentwillen nämlich tun wir alles, damit wir weder Schmerzen erleiden noch Verwirrung empfinden. (3) Eben deswegen [...] erkennen wir die Freude als das erste und verwandte Gut [...], und wir kehren zu ihr zurück, indem wir jedes Gut anhand der Empfindung als Richtmaß beurteilen.
    (4) Aber wir übergehen gelegentlich viele Freuden, wenn aus ihnen mehr Unangenehmes für uns folgt; auch halten wir viele Schmerzen für besser als Freuden, wenn daraus für uns eine größere Freude folgt. [...] (5) Wenn wir also sagen, die Freude sei das Ziel, meinen wir damit nicht die Lüste der Hemmungslosen und jene, die im Genuss bestehen [...], sondern: weder Schmerz im Körper noch Erschütterung in der Seele zu empfinden. Denn nicht Trinken und Gelage [...] bringen das freudvolle Leben hervor, (6) sondern die nüchterne Überlegung, welche sowohl die Ursachen jeden Wählens und Meinens aufspürt als auch die Meinungen ausmerzt, aufgrund derer die Seelen besonders große Verwirrung befällt. Der Anfang für all dies und das größte Gute ist die Klugheit [...], aus der alle übrigen Tugenden hervorgehen.
  • Cicero: Das höchste Gut und das höchste Übel (De finibus bonorum et malorum) I 37

    Eine epikureische Definition der Freude bzw. Lust
    Jetzt werde ich erklären, was und wie beschaffen die Freude in sich ist. [...] Die Freude, der wir nachgehen, ist nämlich nicht bloß die, die durch irgendeine Annehmlichkeit unsere Natur bewegt und deren sinnliche Wahrnehmung von einem gewissen Wohlbefinden begleitet ist. Als die größte Freude sehen wir vielmehr diejenige an, die wahrgenommen wird, wenn einmal aller Schmerz verschwunden ist. Da wir nämlich, wenn wir von Schmerz befreit werden, uns eben über die Befreiung und das Lossein von von aller Beschwernis freuen und da alles, worüber wir uns freuen, Freude ist – ebenso wie alles das Schmerz ist, was uns wehtut – deswegen wird zu Recht jede Befreiung von Schmerz als Freude bezeichnet.
  • Epikur: Brief an Menoikeus (Epistula ad Menoecum) 124f.

    Epikur über die Gründe dafür, den Tod nicht zu fürchten
    Gewöhne dich ferner daran zu glauben, der Tod sei nichts, was uns betrifft. Denn alles Gute und Schlechte liegt in der Sinneswahrnehmung. Der Tod aber ist eine Beraubung der Sinneswahrnehmung. [...] Das Schrecklichste alles Schlechten, der Tod, betrifft uns also überhaupt nicht, denn wenn wir sind, ist der Tod nicht da, wenn der Tod da ist, sind wir nicht.
  • Lukrez (Titus Lucretius Carus): Über die Natur der Dinge (De rerum natura) I 62-79

    Lukrez referiert Epikurs Umgang mit der Religion
    Als das Leben der Menschen darnieder schmählich auf Erden
    lag, zusammengeduckt unter lastender Angst vor den Göttern,
    welche das Haupt aus des Himmels Gevierten prahlerisch streckte
    droben mit schauriger Fratze herab den Sterblichen dräuend,
    erst hat ein Grieche gewagt, die sterblichen Augen dagegen
    aufzuheben und aufzutreten als erster dagegen;
    den nicht das Raunen von Göttern noch Blitze bezwangen noch drohend
    donnernd der Himmel; nein, nur umso mehr noch den scharfen
    Mut seines Geistes reizte, dass aufzubrechen die dichten
    Riegel zum Tor der Natur als erster er glühend begehrte.
    Also siegte die Kraft des lebendigen Geistes, und weiter
    schritt er hinaus die flammumlohten Mauern des Weltballs,
    und das unendliche All durchstreift’ er männlichen Sinnes;
    bringt als Sieger darum zurück von dort die Erkenntnis,
    was zu entstehen vermag und was nicht, und wie einem jeden
    schließlich die Macht ist beschränkt und im Grunde verhaftet der Grenzstein.
    Drum liegt die Furcht vor den Göttern unter dem Fuß und zur Rache
    wird sie zerstampft, uns hebt der Sieg empor bis zum Himmel.
  • Sextos Empirikos: Pyrrhonische Hypotyposen (Pyrrhoneae Hypotyposes) I 1, p. 4 Mau

    Die Einteilung der Philosophie nach den pyrrhonischen Skeptikern
    (1) Auch bei dem, auf philosophische Weise gesucht wird, sagen die einen, sie hätten etwas Wahres gefunden, die anderen behaupteten, es sei nicht möglich, so etwas begriffen zu haben, die dritten suchen noch. [...] Daher nimmt man zu Recht drei Hauptströmungen der Philosophie an, die dogmatische, die akademische und die skeptische. [...]
    (2)Bei nichts von dem, was wir sagen werden, sind wir fest überzeugt, dass es sich so verhält, wie wir sagen, sondern wir werden entsprechend dem, was uns jetzt der Fall zu sein scheint, über jeden Punkt darstellend Aussagen machen.
  • Ainesidemos : Referat des byzantinischen Patriarchen Photios (Bibliotheca codicum ) 212, 169b

    Ainesidemos, der Begründer des kaiserzeitlichen Pyrrhonismus, über die Glückseligkeit als Resultat der Skepsis
    Deswegen wüssten weder die Pyrrhoneer noch die anderen die Wahrheit in den Dingen, aber die, die nach einer anderen Richtung philosophierten, wüssten alles andere nicht und [..] auch eben dieses nicht, dass nichts von dem, was sie begriffen zu haben meinen, tatsächlich begriffen wurde. Der Philosoph im Sinne des Pyrrhon ist aber im Hinblick auf das andere glückselig, und er ist darin weise, ganz genau zu wissen, dass nichts von ihm in zuverlässiger Weise begriffen wurde.
  • Sextos Empirikos: Pyrrhonische Hypotyposen (Pyrrhoneae Hypotyposes) I 4. 12, p. 5. 11

    Die Entwicklung der Urteilsenthaltung (epochē) nach Sextos Empirikos
    [1] Das skeptische Vermögen stellt das Erscheinende und das Gedachte auf jedwede Weise einander gegenüber. Von ihr ausgehend gelangen wir wegen der gleichen Kraft in den einander widersprechenden Sachverhalten und Argumenten zuerst zur Urteilsenthaltung, dann zur Ataraxie [...]
    [2] Was über den Bildhauer Apelles gesagt wird, das geschah auch dem Skeptiker. Man sagt nämlich, dieser habe ein Pferd gemalt und wollte den Schaum des Pferdes im Bild nachahmen. Es sei ihm aber so misslungen, dass er aufgab und den Schwamm in den er die Farben des Pinsels ausdrückte, auf das Bild warf. Als dieser aber traf, habe er eine Nachahmung des Schaums des Pferdes gebildet.
    [3] Auch die Skeptiker hofften also, die Ataraxie dadurch zu erlangen, dass sie die Ungleichheit des Erscheinenden und Gedachten beurteilten; erst als sie dies nicht tun konnten, enthielten sie sich des Urteils. Als sie sich seiner enthielten, folgte die Ataraxie dem zufällig so wie ein Schatten dem Körper.
  • Diogenes Laertios: Leben der Philosophen (Vitae philosophorum) 6, 10f.

    Das kynische Glücksideal des Antisthenes
    [Antisthenes] bewies, dass die Tugend lehrbar ist. Diejenigen seien adlig, die tugendhaft seien. Die Tugend sei in sich hinreichend/autark zum Glück, sie benötige nichts außer sokratischer Kraft. Die Tugend gehöre zu den Werken, sie benötige weder viele Worte noch Lehren. Und der Weise sei in sich hinreichend/autark. Ihm gehöre alles, was den anderen gehöre. Das schlechte Ansehen sei gut und gleich der Bemühung. Der Weise führe sein Leben nicht gemäß den gegeben Gesetzen, sondern nach demjenigen der Tugend. Er solle heiraten, um Kinder zu zeugen und mit den wohlgestaltetsten Frauen zusammenkommen. Und er solle lieben. Denn der Weise allein wisse, was man lieben müsse.
  • Diogenes Laertios: Leben der Philosophen (Vitae philosophorum) 6, 6. 69. 39

    Das Verhältnis des Kynikers zur Philosophie
    Auf die Frage, was er durch die Philosophie gewinne, antwortete er: ,Fähig zu werden, mit mir selbst Gemeinschaft zu pflegen‘. [...] Zu jemandem, der sagte: ,Nichts wissend philosophierst Du‘ antwortete er: ,Wenn ich Weisheit auch nur vortäusche, ist das schon ein philosophieren‘. Zu dem, der ihm seinen Sohn vorstellte und sagte, wie äußerst wohlgeraten und hervorragend in den Sitten er sei, sagte er ,Was braucht er mich?‘ [...] Zu jemandem, der sagte: ,Viele loben Dich‘, meinte er: ,Was habe ich Schlechtes getan?‘ [...] Gegenüber jemandem, der sagte, es gebe keine Bewegung, stand er auf und ging umher. [...]
  • Diogenes Laertios: Leben der Philosophen (Vitae philosophorum) 6, 69

    Die kynische Lebensführung in der Öffentlichkeit wird am Beispiel von Anekdoten/Chrien über den eigentlichen Schulgründer Diogenes von Sinope (ca. 413-323 v. Chr.) dargestellt
    Er war es gewohnt, alles in der Öffentlichkeit zu tun, auch die Dinge der Demeter und die der Aphrodite [d.h. die auf Nahrung und Liebe bezüglichen]. Und er brachte Syllogismen wie den folgenden auf: ,Wenn das Mittagessen nichts Absurdes ist, ist auch auf dem Marktplatz nichts Absurdes. Das Mittagessen ist aber nichts Absurdes. Also ist es auch auf dem Marktplatz nichts Absurdes‘.
  • Diogenes Laertios: Leben der Philosophen (Vitae philosophorum) 6, 69. 6. 8

    Politische Aspekte der kynischen Lebensführung
    Auf die Frage, was das Schönste unter den Menschen sei, antwortete er: ,Offene Rede‘. [...] Wenn Brüder einig seien, dann sei das Zusammenleben fester als jede Mauer. [...] Er riet den Athenern, die Esel durch Abstimmung zu Pferden zu erklären. Als sie das absurd fanden, sagte er: ,Aber bei Euch wird man auch Feldherr nur durch Handauflegung, ohne etwas gelernt zu haben‘.
  • Diogenes Laertios: Leben der Philosophen (Vitae philosophorum) 6, 6. 39

    Beispiele für kynische Chrien (= Anekdoten mit lehrhaftem Charakter)
    Als Antisthenes vorgeworfen wurde, mit schlechten Menschen zusammenzusein, sagte er: ,Auch die Ärzte sind zusammen mit den Kranken, bekommen aber kein Fieber‘ [...] Als ein verderbter Eunuch auf sein Haus geschrieben hatte ,Nichts Schlechtes komme herein‘, sagte er ,Wo nun soll der Hausherr eintreten?‘
  • Seneca: Brief an Lucilius (Epistula ad Lucilium ) 6, 1

    Seneca über die Veränderung als Grundbedingung des philosophischen Lebens
    Ich bemerke, Lucilius, dass ich nicht nur verbessert, sondern verwandelt werde; und ich verspreche nicht oder hoffe, dass nichts in mir übrig ist, was verändert werden muss. [...] Genau dies ist ja ein Zeichen für einen zum Besseren hingeführten Geist, dass er seine Fehler sieht, die er bisher nicht kannte.
  • Seneca: Brief an Lucilius (Epistula ad Lucilium ) 64, 5f.

    Die Erreichbarkeit der Tugend nach Seneca
    Denn auch dies zeichnet Sextius aus, dass er Dir gewiss sowohl die Größe des glücklichen Lebens zeigen als auch keine Verzweiflung an seiner Möglichkeit bewirken wird. Du wirst wissen, dass dieses ganz oben steht, aber dem, der will, zugänglich ist. Dasselbe wird Dir die Tugend selbst darbieten, dass Du sie bewunderst und dennoch erhoffst.
  • Seneca: Brief an Lucilius (Epistula ad Lucilium ) 1, 1

    Der Anfang von Senecas Briefen an Lucilius
    Mach es so, mein lieber Lucilius: befreie Dich für Dich und bewahre und sammle die Zeit, die bis jetzt entweder weggenommen oder heimlich entrissen wurde oder entfiel.
  • Seneca: Brief an Lucilius (Epistula ad Lucilium ) 6, 5f.

    Seneca über die Bedeutung des gemeinsamen Lebens für den Philosophen
    Eine lebendige Stimme und das gemeinsame Leben nützen Dir mehr als eine Rede; Du musst zu einer gegenwärtigen Sache kommen, erstens weil die Menschen eher den Augen als den Ohren glauben, zweitens weil der Weg durch Vorschriften lang ist, durch Beispiele kurz und effektiv. Kleanthes hätte Zenon nicht nachgeahmt, wenn er ihn nur gehört hätte: Er nahm an seinem Leben teil, schaute seine Geheimnisse, beobachtete ihn, ob er nach seiner Regel lebte.
  • Philon von Alexandrien: Wer der Erbe der göttlichen Dinge ist (Quis rerum divinarum heres) § 253

    Die geistige Übung und ihre Stufen nach dem Zeugnis des Philon von Alexandrien
    Alles Essbare der Askese stellte er dar, das Suchen, das Prüfen, das Lesen, das Hören, die Aufmerksamkeit, die Selbstbeherrschung, die Gleichgültigkeit gegenüber dem Gleichgültigen.
  • Epiktet : Erörterungen (Dissertationes) IV 12, 1. 7-10

    Epiktet über die Notwendigkeit der konstanten Aufmerksamkeit
    Wenn du für einen Moment von der Aufmerksamkeit abrückst, bilde Dir nicht ein, dass Du sie, sobald Du willst, wieder aufnehmen kannst, sondern dies soll Dir zur Hand sein, dass sich Deine Angelegenheiten durch die heutige Verfehlung in Bezug auf die Zukunft schlechter verhalten. [...] – Worauf muss ich also aufmerksam sein? – In erster Linie auf die allgemeinen [Grundsätze]. Sie musst Du zur Hand haben und ohne sie darfst Du weder schlafen, noch aufstehen, noch trinken, noch essen, noch mit Menschen zusammenkommen. Denn niemand ist Herr einer fremden Entscheidung, in dieser [Entscheidung] allein aber liegen das Gute und das Schlechte. Niemand ist der Herr darüber, mit etwas Gutes anzutun oder mir etwas Schlechtes anzufügen, sondern ich selbst habe in dieser Hinsicht allein Gewalt über mich. Wenn mir dies also gewiss ist, was soll sich über Äußerlichkeiten verwirrt sein? Welcher Tyrann ist dann schrecklich, welche Krankheit, welche Armut, welches Hindernis?
  • Seneca: Die Wohltaten (De beneficiis) VII 2, 4

    Seneca über die Konzentration des Weisen auf die Gegenwart
    Dieser [Weise] freut sich über das Gegenwärtige, er hängt nicht vom Zukünftigen ab; denn wer dem Unsicheren zugeneigt ist, der hat nichts Festes. Losgelöst von großen und den Verstand beunruhigenden Sorgen hofft oder wünscht [der Weise] nichts, noch setzt er sich dem Zweifel aus, mit dem Seinen zufrieden.
  • Seneca: Brief an Lucilius (Epistula ad Lucilium ) 24, 2

    Seneca über die praemeditatio malorum (das gedankliche Vorwegnehmen von Schlechtem)
    Wenn Du jede Sorge ablegen willst, dann stelle Dir all das als geschehend vor, von dem Du fürchtest, es könnte geschehen. Und was auch immer dieses Übel ist, vermesse es für Dich und schätze Deine Furcht: Du wirst gewiss erkennen, dass das, was Du fürchtest, entweder nicht groß oder nicht lang andauernd ist.
  • Seneca: Der Zorn (De ira) III 36, 1. 3, Auszüge

    Seneca über die abendliche Gewissensprüfung (Antike Philosophie II)<br /> Geistliche Übungen bei Seneca (Gesetz und Gewissen)
    Sextius tat dies, dass er zum Abschluss des Tages, wenn er sich zur nächtlichen Ruhe zurückzog, seinen Geist fragte: ,Welchen deiner Fehler hast Du heute geheilt? Welchem Laster bist Du entgegengetreten? An welchem Teil bist Du nun besser?‘ [...] Der Geist wurde entweder gelobt oder ermahnt und als Betrachter und heimlicher Beurteiler seiner selbst erkannte er seine Sitten. Ich nutze diese Fähigkeit täglich und spreche bei mir selbst Recht. Wenn das Licht aus dem Gesichtskreis verschwunden und meine Gattin, die meine Sitte schon kennt, still geworden ist, prüfe ich meinen ganzen Tag und ermesse meine Taten und Worte; nichts verberge ich vor mir selbst, nichts umgehe ich.
  • Seneca: Brief an Lucilius (Epistula ad Lucilium ) 20, 8f.

    Seneca über das als-ob als Grundprinzip der philosophischen Entwicklung
    ,Wir sollen einen guten Menschen lieben und uns ihn immer vor Augen halten, damit auf diese Leise so leben, als ob er zuschauen würde‘. Das, mein lieber Lucilius, hat Epikur vorgeschrieben; er gab uns einen Wächter und Erzieher, und zwar zu Recht: Ein großer Teil der Vergehen wird aufgehoben, wenn ein Zeuge denen zur Seite steht, die auf dem Weg zum Vergehen sind.
  • Seneca: Brief an Lucilius (Epistula ad Lucilium ) 68, 1f.

    Seneca über den gesellschaftlichen Nutzen des Rückzugs aus der Öffentlichkeit
    Verberge Dich in Muße, aber verberge auch die Muße selbst; du kannst wissen, dass Du, wenn Du dies tun wirst, wenn schon nicht einer Vorschrift, so doch dem Vorbild der Stoiker folgst. Aber Du tust es auch aus einer Vorschrift: Das wirst Du bei Dir und bei dem Du willst billigen. Weder schicken wir jemanden zu jedem Staat, noch tun wir dies immer, noch endlos; außerdem ist der Weise, wenn wir ihm einen Staat geben, der seiner würdig ist, nämlich die Welt, auch dann, wenn er sich zurückgezogen hat, nicht außerhalb eines Staates, sondern vielleicht geht er, wenn er eine Ecke verlassen hat, in Größeres und Weiteres über.
  • Gregor Thaumaturgos : Dankrede an Origenes (Oratio prosphonetica ad Origenem ) VI 73-76

    Gregor Thaumaturgos über seinen Empfang bei bei seinem Lehrer Origenes
    Er hat uns vom ersten Tag an aufgenommen; es war in Wahrheit mein erster, mein wertvollster Tag von allen, wenn ich so sagen darf; [...] als wir fortzulaufen versuchten, dachte er sich Kunstgriffe aller Art aus, um uns an sich zubinden, verwickelte uns in Unterhaltungen [...] und bot alle seine Kräfte auf. Er pries die Philosophie und die Liebhaber der Philosophie mit großen Lobreden und vielen passenden Worten, indem er sagte, nur diejenigen würden in Wahrheit ein Leben nach den Regeln der Vernunft führen, die sich bemühten, auf rechte Weise zu leben. Sie müssten zuerst sich selbst erkennen, wer sie sind, und dann dasjenige wahrhaft Gute, das der Mensch erstreben, und das wirklich Schlechte, das er meiden soll. Er tadelte die Unwissenheit und alle Unwissenden.
  • Gregor Thaumaturgos : Dankrede an Origenes (Oratio prosphonetica ad Origenem ) VI 81. 83

    Zu Beginn der Ausbildung schließt Origenes Freundschaft mit seinen Schülern, wie Gregor Thaumaturgos berichtet
    Er schleuderte auch noch den Stachel der Freundschaft auf uns, gegen den man nicht leicht ankämpfen kann, weil er scharf und sehr zielsicher ist, [den Stachel] seiner Gewandtheit und guten Gesinnung, die uns schon allein durch seine Worte als sehr freundlich zu erkennen gab, wenn er uns ansprach und sich mit uns unterhielt. [...] Wie ein Funke, der mitten auf unsere Seele übersprang, wurde [die Liebe] zu dem heiligen, lieblichsten Wort selbst entzündet und angefacht, das wegen seiner unsagbaren Schönheit alle Menschen am mächtigsten anzieht, und zugleich die Liebe zu diesem Mann, seinem Freund und Fürsprecher.
  • Gregor Thaumaturgos : Dankrede an Origenes (Oratio prosphonetica ad Origenem ) VII 102-VIII 109

    Gregor schildert die Dialektik beziehungsweise Logik als ersten Teil der philosophischen Ausbildung bei Origenes
    Bei allem [...] stimmten wir den ersten besten Meinungen zu, von welcher Art sie auch sein mochten, auch wenn sie möglicherweise falsch waren, und widersprachen oft, auch wenn vielleicht etwas Wahres geäußert wurde. Auch darüber belehrte er uns durch [...] vielfältig nuancierte Worte. Vielfältig ist nämlich dieser Teil der Philosophie, der daran gewöhnt, nicht blindlings und auch nicht aufs Geratewohl Zeugnisse zu verwerfen oder sie umgekehrt abzunicken, sondern nicht nur das, was deutlich sichtbar ist [...] und hervorsticht, genau zu untersuchen, das manchmal trügerisch und sophistisch erdacht ist, sondern auch das Innere sollten wir gründlich erforschen und jedes Einzelne ,rundherum abklopfen, ob‘ an dem Klang ,nicht vielleicht vielleicht etwas Schlechtes‘ sei (Platon, Philebos 55c). Erst wenn wir uns davon selbst überzeugt hätten, lehrte er uns, sollten wir auf solche Weise auch dem Äußeren zustimmen und über jedes Einzelne unsere Meinung sagen. So wurde der urteilsfähige Teil unserer Seele auf die Weise der Logik ausgebildet [...]; dies [die Logik] sei das Notwendigste für alle [...] Menschen, die irgendeine Lebensweise wählen. [...] Und natürlich kann nur die Dialektik diese Gattung richtigstellen.
  • Gregor Thaumaturgos : Dankrede an Origenes (Oratio prosphonetica ad Origenem ) VIII 110-114

    Gregor über Origenes’ Unterricht in der Naturphilosophie/Physik
    [1] Durch andere Wissenschaften, die naturwissenschaftlichen, erläuterte er jedes einzelne Seiende und zerlegte ihn sehr genau in seine einfachsten Elemente; dann flocht er noch die Natur des Alls, eines jeden seiner einzelnen Teile und den vielgestaltigen Wechsel und die Veränderung der Dinge in der Welt in seine Rede ein, [...] die er teils gelernt, teils selbst herausgefunden hatte über die heilige Ordnung des Alls und die untadelige Natur; so weckte er in unseren Seelen anstelle eines vernunftlosen ein vernünftiges Staunen. Dieses Wissen lehrt die bei allen sehr beliebte Physiologie.
    [2] Was soll ich über die heiligen Wissenschaften sagen, die [...] Geometrie und die [...] Astronomie? Jede einzelne prägte er unseren Seelen durch Lehre ein, [...] die eine als Grundlage schlechthin für alles [...], nämlich die Geometrie [...]; er führte uns aber auch durch die Astronomie hinauf bis zu den höchsten Dingen, wie durch eine Leiter, die bis zum Himmel ragt.
  • Gregor Thaumaturgos : Dankrede an Origenes (Oratio prosphonetica ad Origenem ) IX 115-117

    Gregor über die Ethik als Höhepunkt der Philosophie
    Das aber, das von allem das Wichtigste ist und um dessentwillen sich die gesamte Gruppe der Philosophen anstrengt, die [...] aus einer langen Beschäftigung mit allen anderen Lehrgebieten und mit der Philosophie edle Früchte erntet, sind die göttlichen Tugenden, die das Ethos betreffen, aus denen die Antriebe der Seele in einen unerschütterlichen und gefestigten Zustand versetzt werden. Er wollte uns sowohl frei von Leid als auch unempfindlich gegen alles Übel, ausgeglichen, gefestigt sowie wahrhaft gottähnlich und selig machen. Hierum bemühte er sich mit eigenen Worten über unseren Charakter und unser Verhalten, die beruhigend und weise, aber auch sehr zwingend waren. Und nicht nur durch Worte, sondern in gewisser Weise bereits auch durch Taten lenkte er unsere Antriebe, und zwar durch die Betrachtung und Prüfung der Antriebe und Leidenschaften der Seele.
  • Gregor Thaumaturgos : Dankrede an Origenes (Oratio prosphonetica ad Origenem ) XIII 150f.

    Die Theologie als Abschluss der philosophischen Ausbildung
    Wie könnte ich wohl neben all seinem sonstigen Fleiß und Arbeitseifer seine Lehre und Gewissenhaftigkeit in Bezug auf die Theologie in meiner Rede weiter schildern und in die Grundhaltung dieses Mannes eindringen, mit welcher Einsicht und Vorbereitung er wollte, dass wir alle Inhalte über das Göttliche gründlich studierten, weil er darum besorgt war, dass wir keine Gefahr in Bezug auf das Allernotwendigste liefen, die Erkenntnis der Ursache von allem. Denn er forderte, dass wir Philosophie treiben, indem wir mit ganzer Kraft alle vorhandenen Schriften der alten Philosophen und Dichter lasen [...] außer denen der Atheisten.
  • Justin: Dialog mit dem Tryphon (Dialogus cum Tryphone ) 2, 3-5

    Justin, Philosoph und Märtyrer, über seine Erfahrungen mit philosophischen Lehrern
    Ich übergab mit am Anfang einem Stoiker. Nachdem ich einige Zeit mit ihm verbracht hatte, trennte ich mich von ihm, weil ich nichts weiter über Gott erfuhr (er wusste darüber selbst nichts, und dieser Lehrinhalt schien ihm nicht notwendig), und ging zu einem anderen, einem sogenannten Peripatetiker, wie er glaubte, einem schlauen. Nachdem er mit mir an den ersten Tagen zufrieden war, forderte er, den Lohn festzulegen, damit der Unterricht für uns nicht nutzlos würde. Deswegen verließ ich ihn, da ich ihn überhaupt nicht für einen Philosophen hielt. Da meine Seele aber vor Begierde brannte, das Spezifische und Herausragende der Philosophie zu hören, ging ich zu einem sehr angesehenen Pythagoreer. [...] ,Wie steht’s?‘ sagte er, ,Hattest Du Kontakt mit Musik, Astronomie und Geometrie? [...]‘ Nachdem er diese Fächer sehr gelobt hatte und sie notwendig nannte, schickte er mich weg, weil ich zugab, mich darin nicht auszukennen. Ich war also nachvollziehbarerweise traurig und gab die Hoffnung auf.
  • Lukian von Samosata: Hermotimos (Hermotimos) 2

    Lukian von Samosata schildert die Ziele des stoischen Philosophieschülers Hermotimos
    Lykinos: Wenn ich mich nicht irre, müssen es jetzt doch schon bald 20 Jahre sein, dass ich dich mit nichts anderem mehr beschäftigt sehe als mit deinen Lehrern, deinen Büchern und deinen Vorlesungsmitschriften? [...]
    Hermotimos: Die Tugend wohnt weit weg [...], und der Pfad, der zu ihr führt, ist lang, steil und steinig – und nicht wenig schweißtreibend für die Wanderer! [...]
    L.: Und – noch nicht genug geschwitzt, noch nicht genug gewandert?
    H.: Nein, nein, und nochmals nein. Nichts würde mich ja vom völligen Glück trennen, wäre ich erst auf dem Gipfel.
  • Lukian von Samosata: Hermotimos (Hermotimos) 2. 6f.

    Hermotimos’ Weg und seine Schwierigkeiten
    Ich will leben und wenigstens einen Tag die Glückseligkeit genießen, wenn ich ein Weiser geworden bin.
    L.: Und das genügt dir, ein Tag? Für soviel Mühe?
    H.: Egal wieviel! Es wird mir genügen.
    L.: Und was ist nun mit den Verhältnissen oben auf dem Gipfel? Dass Glück herrscht und die Dinge so sind, dass man dafür alles ertragen muss, woher weißt du das? Denn du bist ja selbst noch nicht hinaufgestiegen?
    H.: Da vertraue ich meinem Lehrer. [...]
    L.: Bei den Göttern! Was hat er Dir darüber erzählt? Wie ist es dort? Und was herrscht dort für ein Glück? [...]
    H.: Weisheit und Tapferkeit und das an sich Gute und Gerechte sowie das sichere Wissen von allem, wie es sich verhält. [...] Wer sich vollendet und die Tugend erlangt, der ist nicht mehr Sklave des Zorns, der Angst der Triebe, der kennt auch keinen Kummer mehr, ja jegliche Emotionen sind ihm fremd.
  • Lukian von Samosata: Hermotimos (Hermotimos) 11 f.

    Mögliche Gründe für das Ausfallen des Philosophieunterichts nach Lukian
    L.: An der Tür hing ein Täfelchen, darauf stand in großen Buchstaben ,Heute wird nicht philosophiert‘. Es hieß, [dein Lehrer] habe den Abend bei dem wohlbekannten Euphrates gefeiert, der zum Geburtstag seiner Tochter einlud. Während des Symposions habe er viel philosophiert, sich mit dem Peripatetiker Euthydemos angelegt und sei mit ihm über einen der üblichen Punkte, wo sie den Stoikern widersprechen, in die Haare geraten. [...]
    H.: Wer hat denn gewonnen, Lykinos, mein Lehrer oder Euthydemos? [...]
    L.: Am Anfang, sagt man, stand es noch unentschieden, aber am Ende war der Sieg Eurer, und der alte Mann war turmhoch überlegen. Euthydemos, heißt es, ist dabei allerdings nicht ohne Blutvergießen nach Hause gekommen, sondern mit einem gewaltigen Loch im Kopf. Denn er war frech und spitzfindig und wollte sich nicht überzeugen lassen, er gab sich wohl auch nur wenige Blößen, und da packte Dein Lehrer, der Gute, seinen Pokal, einen wahren Nestorbecher, und drosch ihm, er lag ja neben ihm, damit auf den Kopf – und so siege er.
    H.: Jawoll! Genau so muss man mit Leuten umgehen, die den Besseren nicht weichen wollen.
  • Lukian von Samosata: Hermotimos (Hermotimos) 46f.

    Lukian über die Aporie der philosophisch Wahrheitssuchenden
    L.: Kannst Du mir jemand nennen, der jeden Weg in der Philosophie versucht hat, der die Lehre des Pythagoras, des Platon, des Aristoteles, des Chrysipp des Epikur und der übrigen kennt und deshalb schließlich aus all den vielen Wegen einen Weg gewählt hat, weil er ihn für den richtigen erachtete und, da er ihn ausprobiert hat, weiß, dass er allein zum Glück führt? Wenn wir so einen finden, dann hat unsere Not ein Ende.
    H.: Nicht einfach, Lykinos, so einen Mann zu finden.
  • Lukian von Samosata: Hermotimos (Hermotimos) 71-73

    Lukian präsentiert das philosophische Glücksideal als Chimäre
    H.: Was hast du mir angetan, Lykinos! Mein Schatz – nichts als Kohlen! Und so viele Jahre, so viel Mühe – verschenkt!
    L.: Aber, Hermotimos, du wirst weit weniger traurig sein, wenn du dir klarmachst, dass du nicht der einzige bist, dem das erhoffte Glück versagt bleibt, sondern dass alle sozusagen um des Esels Schatten kämpfen. [...] Du aber, mein Lieber, mach das nicht an mir fest. Ich habe eben einfach nur nicht weggeschaut, als du Schätze ausgegraben hast, geflogen bist und dich übernatürlichen Ansichten verschrieben und unerfüllbaren Hoffnungen hingegeben hast. Ich bin dein Freund, und deswegen, konnte ich nicht mit ansehen, wie du dein ganzes Leben einem Traum nachhängst, einem angenehmen Traum vielleicht, aber doch nur einem Traum. Vielmehr verlange ich von dir, dass du aufstehst und das Alltägliche erledigst, was dich außerdem dazu bringen wird, für den Rest des Lebens deine Aufmerksamkeit auf diese die Allgemeinheit betreffenden Dinge zu richten. Denn was du jedenfalls bis jetzt getan und gedacht hast, ist kaum zu unterscheiden von den Kentauren, den Chimären und den Gorgonen und all den anderen Hirngespinsten [...]. Und doch glaubt die Masse an sie.
  • Dion von Prusa: Rede an die Bewohner von Alexandrien (Oratio 32 ad Alexandrinos) § 9

    Dion von Prusa über das Auftreten der Philosophen seiner Zeit
    Das gilt noch mehr für die sogenannten Philosophen. Die einen von ihnen gehen überhaupt nicht unters Volk und wollen kein Risiko eingehen; vielleicht haben sie es aufgegeben, die Masse besser zu machen. Die in den sogenannten Hörsälen üben viel das Reden, wozu sie vertraglich an sie gebundene und gewöhnte Hörer annehmen. Von den sogenannten Kynikern gibt es in der Stadt keine kleine Menge. [...] Diese sammeln sich auf den Kreuzungen und Straßen, an den Eingängen der Heiligtümer und täuschen Kinder, Seeleute und derartigen Pöbel, wobei sie Scherze, viel Klatsch und die üblichen Marktantworten zusammennehmen. Gutes richten sie folglich gar nicht aus, aber denkbar viel Übel, wobei sie die Unverständigen daran gewöhnen über die Philosophen zu lachen, so als ob man Kinder daran gewöhnte, ihre Lehrer zu verachten.
  • Dion von Prusa: Rede an die Bewohner von Alexandrien (Oratio 32 ad Alexandrinos) § 12

    Dion über seine eigene Sendung
    Ich scheine dieses [d.i. die Philosophie] nicht von mir aus gewählt zu haben, sondern aus einer Art dämonischen Ansicht. Für die nämlich die Götter Vorsehung ausüben, denen verschaffen sie von selbst gute Ratgeber sowie das Sprechen von geeigneten und nützlichen Worten. Und dies solltet ihr am wenigsten bezweifeln, bei denen das Dämonische am meisten geehrt wird, am meisten seine Kraft zeigt und nicht nur jeden Tag durch Orakelsprüche und Träume. Glaubt also nicht, Gott würde sich nur um Schlafende kümmern und jedem auf eigene Weise das ihm Nützliche anraten, aber wenn ihr wacht, keine Sorge tragen und den Versammelten keinen Orakelspruch zeigen.
  • Dion von Prusa: Rede über die Verweigerung eines Amtes (Oratio 49 De recusatione magistratus) § 3f.

    Dion von Prusa über die politische Aufgabe des Philosophen
    ὁ δὲ τῷ ὄντι φιλόσοφος οὐκ ἄλλο τι φανήσεται διαπονούμενος ἢ ὅπως ἄρχειν καλῶς δυνήσεται καὶ αὑτοῦ καὶ οἰκίας καὶ πόλεως τῆς μεγίστης καὶ συλλήβδην ἁπάντων ἀνθρώπων, ἂν ἐπιτρέπωσι, καὶ αὐτὸς μὲν οὐ προσδεήσεται οὐδενὸς ἄρχοντος ἀλλ’ ἢ τοῦ λόγου καὶ τοῦ θεοῦ, τῶν δὲ ἄλλων ἀνθρώπων ἐπιμελεῖσθαι καὶ φροντίζειν ἱκανὸς ἔσται. καὶ τοῦτο οὐδὲ τοὺς βασιλέας αὐτοὺς λέληθεν οὐδὲ τῶν ἐν ταῖς δυναστείαις ὅσοι μὴ τελέως ἄφρονες. τῶν γὰρ πεπαιδευμένων ἐν τοῖς μεγίστοις δέονται συμβούλους σφίσι γίγνεσθαι, καὶ τοῖς ἄλλοις προστάττοντες αὐτοὶ παρ’ ἐκείνων προστάγματα λαμβάνουσιν ἃ δεῖ πράττειν καὶ τίνων ἀπέχεσθαι.
  • Dion von Prusa: Rede über die Verweigerung eines Amtes (Oratio 49 De recusatione magistratus) § 13f.

    Dion von Prusa lobt und verweigert die politische Verantwortung
    ἀλλὰ τοῦ γε ὄντως φιλοσόφου τὸ ἔργον οὐχ ἕτερόν ἐστιν ἢ ἀρχὴ ἀνθρώπων. ὅστις δὲ ὀκνεῖ τὴν αὑτοῦ πόλιν ἑκοῦσαν καὶ ἐπικαλουμένην διοικεῖν, οὐ φάσκων ἱκανὸς εἶναι, ὅμοιός ἐστιν ὥσπερ εἴ τις τὸ μὲν ἑαυτοῦ σῶμα θεραπεύειν μὴ θέλοι, ἀξιῶν ἰατρὸς εἶναι, ἄλλους δὲ ἀνθρώπους ἰατρεύοι προθύμως ἀργύριον ἢ τιμὰς λαμβάνων. [...] ‘οὐκοῦν τό γε ἀκόλουθόν ἐστι τοῖς λόγοις τούτοις ἄρχειν αὐτὸν βουλομένων ἡμῶν’. ἀλλ’ εὖ ἴστε ὅτι εἰ μή τι ἦν ἀδύνατον, οὐκ ἂν περιέμενον ὥστε ὑμᾶς ἀξιοῦν, ἀλλ’ αὐτὸς ἂν ἠξίουν καὶ παρεκάλουν.
  • Porphyrios von Tyros : Leben Plotins (Vita Plotini) § 10

    Porphyrios von Tyros (ca. 233-301/5) Plotins Selbstbewusstsein gegenüber den Göttern
    Als [Plotins Kollege] Amelios opferfreudig geworden war, bei Neumond sowie an den Festen dort herumging und Plotin aufforderte, mit ihm teilzunehmen, sagte dieser: ,Jene müssen zu mir kommen, nicht ich zu ihnen.‘ Aus welcher Einsicht heraus er so große Reden führte, konnten wir weder verstehen, noch wagten wir danach zu fragen.
  • Porphyrios von Tyros : Leben Plotins (Vita Plotini) § 23

    Porphyrios über die Vereinigung mit dem Einen
    Wenn er sich so durch dieses dämonische Licht besonders in den ersten und jenseitigen Gott mit den Gedanken einführte, auf den von Platon im Symposion gewiesenen Wegen, erschien ihm jener Gott, der weder eine Gestalt noch eine Idee hat, der oberhalb des Geistes und alles Gedachten sitzt. Ihm, sage ich, habe ich, Porphyrios, mich auch einmal angenähert und mit ihm vereint, im 68. Lebensjahr. [...] [Plotin] aber erreichte wohl viermal, während ich bei ihm war, dieses Ziel mit unsagbarer Aktivität.
  • Marinos von Neapolis: Proklos oder das Glück (Proclus sive de beatitudine) § 2

    Marinos möchte Proklos als den glücklichsten Menschen beschreiben
    Ich möchte die Rede beginnen [...], indem ich das Glück als, glaube ich, Fundament des seligen Mannes als das würdigste der Rede angebe. Ja, ich glaube, dass er der glücklichste Menschen geworden ist, die schon in langer Zeit vorher gelobt wurden, ich meine nicht nur auf die Weise des Glücks der Weisen, wenn er dieses auch in herausragender Weise besaß, auch nicht, als sei ihm die Tugend hinreichend zum guten Leben gewesen, auch nicht im Hinblick auf den bei der Masse gelobten Wohlstand, obwohl das Schicksal ihm auch diesen gut verschafft hatte [...]. Ich möchte beschreiben, dass ihm ein vollkommenes und in jeder Hinsicht makelloses Glück von beiden Seiten zur Verfügung stand. Nachdem wir die Tugenden zunächst in natürliche, ethische und politische, sowie dann die höheren, die kathartischen und theoretischen, auch die sogenannten theurgischen aufgeteilt haben, wobei wir die noch höheren verschweigen, weil sie schon übermenschlich geordnet sind, werden wir von den natürlicheren den Anfang machen.
  • Marinos von Neapolis: Proklos oder das Glück (Proclus sive de beatitudine) § 13

    Marinos über Proklos‘ Ausbildung bei seinem zweiten Lehrer Syrian
    [Syrian], der ihn übernahm, nützte ihm nicht nur noch mehr in Bezug auf die Lehren, sondern hatte ihn auch zum Hausgenossen sowohl des übrigen als auch des philosophischen Lebens. [...] In nicht einmal zwei ganzen Jahren las er mit ihm zusammen alle Abhandlungen des Aristoteles, die logischen, ethischen, politischen und physischen, sowie die über diese hinausgehende theologische Wissenschaft. Als er hinreichend durch sie geführt worden war, so wie durch Vorweihen und kleine Mysterien, führte [Syrian] ihn in die Mystagogie Platons der Ordnung nach ein. [...] Und die bei ihm zu findenden wahrhaft göttlichen Weihen ließ er ihn schauen mit den ungetrübten Augen der Seele und der unbefleckten Aussicht des Geistes, [...] so dass er in seinem 28. Lebensjahr vieles andere und besonders die subtilen und von Wissen ächzenden Kommentare zum Timaios schrieb. Durch diese Führung wurde sein Charakter noch mehr geschmückt, indem er mit dem Wissen die Tugenden erwarb.
  • Marinos von Neapolis: Proklos oder das Glück (Proclus sive de beatitudine) § 13

    Marinos über die politischen Tugenden und Aktivitäten des Proklos
    Gewiss übernahm er auch die politischen [Tugenden] aus Aristoteles‘ politischen Schriften sowie Platons Nomoi und Politeia. Damit aber nicht der Eindruck entsteht, dass in diesem Bereich nur Lehre gewesen sei, er aber keine Arbeit berührt habe, forderte er, da er – wegen seiner Beschäftigung mit dem Höheren – an politischem Handeln gehindert wurde, Archiadas, den Liebling der Götter hierzu auf, indem er ihn lehrte und unterwies in den politischen Tugenden und Methoden. [...] Auch der Philosoph [Proklos] selbst befasste sich manchmal mit politischem Ratschluss, wenn der den allgemeinen Versammlungen über die Stadt [Athen] beiwohnte, verständig Ansichten äußerte sowie bei Treffen mit den Herrschenden diese nicht nur zu gerechten Dingen aufforderte, sondern sie durch philosophischen Freimut auf gewisse Weise zwang, jedem Einzelnen das Angemessene zuzuteilen.
  • Proklos : Vierter Hymnos des Proklos (hymni) .

    Ein Philosophenhymnus des Proklos an alle Götter
    Höret, ihr Götter, die ihr die Ruder der Weisheit hoch haltet,
    die ihr das Feuer berührt, das sterbliche Seelen hinaufführt,
    Lasst sie die Unsterblichen schauen, verlassend die finstere Höhle,
    rein geworden und frei durch unsagbare Weihen und Hymnen.
    Hört, große Retter, und aus hochheiligen Büchern erlaubt mir
    zu schaun das ehrwürdige Licht, indem ihr den Nebel zerstiebet,
    dass ich unsterblich erkenne den Gott und den Menschen.
    Nicht soll mich im Strom des Vergessens, wo ich von den Seligen fern bin,
    stets ein Dämon besitzen, Verderbliches wirkend,
    noch eine grausame Strafe mit Lebensfesseln einst zwingen
    meine nicht wollende Seele, aus blutigem Stamme gewachsen,
    wogenumtoset umher auf ewig verlassen zu schweifen.
    Sondern, ihr Götter und Herrscher der leuchtenden Weisheit,
    hört mich und lasset erscheinen auf hohem Pfad dem Bedrängten
    Feste und heilige Weihen aus alterhwürdigen Mythen.
  • Augustinus von Hippo: Bekenntnisse (Confessiones) VIII 10f.

    Augustinus erlebt in sich den Kampf zweier Willen, als er sich taufen lassen will
    Mein Wollen hielt der Feind gefangen und hatte mir daraus eine Kette gemacht und mich gefesselt. Deswegen wurde aus dem verdrehten Willen das Begehren, und während dem Begehren gedient wird, wurde es zur Gewohnheit, und während der Gewohnheit nicht widerstanden wird, wurde es zur Notwendigkeit. [...] Der neue Wille aber, der bei mir zu sein begonnen hatte, dass ich Dich einfach so verehrte und Dich genießen wollte, Gott, sichere Heiterkeit, war noch nicht geeignet, den alten zu überwinden, der durch Alter gefestigt war. So traten meine beiden Willen [...] in Konflikt miteinander und zerstreuten in ihrer Zwietracht meine Seele. So verstand ich an mir selbst als Beispiel, was ich gelesen hatte, wie ,das Fleisch gegen den Geist begehrte und der Geist gegen das Fleisch‘ (Galater 5, 17).
  • Augustinus von Hippo: Bekenntnisse (Confessiones) I 1

    Augustinus über die Grundlagen seines Strebens zu Gott
    Groß bist Du Gott, und sehr zu loben. Groß ist Deine Kraft, und Deine Weisheit hat kein Ende. Und der Mensch will Dich loben, irgendein Teil Deiner Schöpfung, und der Mensch, der seine Sterblichkeit herumträgt, der das Zeugnis seiner Sünde umherträgt und das Zeugnis, dass Du ,den Hochmütigen widerstehst‘ (Jakobus 4, 6). Und doch will Dich der Mensch loben, irgendein Teil Deiner Schöpfung. Du regst an, dass es Freude bereitet, Dich zu loben, denn Du hast uns auf Dich hin geschaffen, und unruhig ist unser Herz, bis es ruht in Dir. [...] Aber wer ruft Dich an, der Dich nicht kennt? Denn wer nicht kennt, kann etwas anderes anstelle von etwas anrufen. Oder wirst Du eher angerufen, damit Du gekannt wirst? Wie wird man aber jemand anrufen, an den man nicht geglaubt hat? Oder wie glaubt man ohne Verkündiger? [...] Ich will Dich suchen, Gott, indem ich Dich anrufe, und Dich anrufen, indem ich an Dich glaube.
  • Augustinus von Hippo: Bekenntnisse (Confessiones) I 2

    Augustinus über das Ich als den Ort Gottes
    Und wie soll ich meinen Gott anrufen, meinen Gott und Herrn, wo ich ihn doch in mich selbst hineinrufen werde, wenn ich ihn anrufen werde? Und welcher Ort ist in mir, wohin mein Gott in mich kommen könnte? [...] Ist denn so, Herr mein Gott, etwas in mir, was Dich fassen würde? Aber Himmel und Erde, die Du geschaffen hast und in denen Du mich geschaffen hast – fassen sie Dich? Oder ist es so, dass deswegen, weil ohne Dich nichts von dem wäre, was ist, alles Dich fasst, was ist? Weil daher auch ich bin, was erstrebe ich, dass Du in mich kommst, der ich nicht wäre, wenn Du nicht in mir wärst?
  • Augustinus von Hippo: Bekenntnisse (Confessiones) II 9

    Augustinus beschreibt die absolute Verkommenheit seines Willens als Jugendlicher
    Gewiss, o Herr, bestraft dein Gesetz den Diebstahl, und das Gesetz, das in die Herzen der Menschen geschrieben ist, welches nicht einmal die Ungerechtigkeit selbst zerstört. [...] Und ich wollte einen Diebstahl begehen, und ich beging ihn, von keiner Not gezwungen, es sei denn von Armut und Überdruss an Gerechtigkeit und durch die Mästung mit Ungerechtigkeit. Denn ich habe etwas gestohlen, was ich im Übermaß hatte und auch viel besser, und ich wollte auch nicht das genießen, was ich durch den Diebstahl erstrebte, sondern den Diebstahl selbst und die Sünde. In der Nachbarschaft unseres Weinbergs stand ein Birnbaum, beladen mit Früchten, die weder durch Form noch durch Geruch anlockten. Um ihn leerzuschütteln und abzuernten brachen wir verruchten jungen Kerle in einer windlosen Nacht auf [...] und trugen von dort gewaltige Lasten fort, nicht als unsere eigene Speise, sondern eher, um sie den Schweinen vorzuwerfen. Selbst wenn wir etwas davon aßen, so geschah von uns doch nur etwas, das deswegen gefiel, weil es sich nicht gehörte. [...] Schau mein Herz an: Was suchte es dort, so dass ich freiwillig schlecht war und es keinen Grund für meine Schlechtigkeit gab als eben Schlechtigkeit?
  • Augustinus von Hippo: Bekenntnisse (Confessiones) III 7f.

    Augustinus berichtet über seine Bekehrung zur Philosophie als Gottsuche nach der Lektüre von Ciceros Hortensius
    a) Durch die übliche Ordnung des Lernens war ich zu einem Buch eines gewissen Cicero gelangt, dessen Sprache fast alle bewundern, seinen Gehalt hingegen nicht so sehr. Aber dieses Buch von ihm enthält eine Ermunterung zur Philosophie und wird ,Hortensius‘ genannt. Dieses Buch aber veränderte meine Geisteshaltung und verwandelte meine Bitten, Herr, zu Dir hin und machte meine Gebote und Begierden andere.
    b) Wie sehr brannte ich, mein Gott, wie sehr brannte ich danach, vom Irdischen zu Dir zurückzufliegen und wusste doch nicht, was Du mit mir tatest! Denn ,bei Dir ist die Weisheit‘ (Ijob 12, 13). Die Liebe zur Weisheit hat aber als griechische Bezeichnung ;Philosophie‘, zu der mich diese Schrift entbrannte. Es gibt Leute, die durch Philosophie verführen, indem sie ihre Irrtümer mit diesem großen, verführerischen und in sich guten Namen färben und kolorieren [...], und hierbei wird die heilsmäßige Ermahnung Deines Geistes klar [...]: ,Seht zu, dass Euch niemand durch leere Philosophie täuscht‘ (Kolosser 2, 8). [...] Weil mir dieses Apostelwort noch nicht bekannt war, freute ich mich an dieser Ermahnung daran, dass ich [...] die Weisheit selbst, worin sie auch immer bestehe, liebe und suche [...], und allein das [...] machte mich stutzig, dass der Name Christi dort nicht zu finden war.
  • Augustinus von Hippo: Bekenntnisse (Confessiones) VII 13f. 16

    Augustinus findet durch platonische Schriften einen Weg zum göttlichen Licht in sich selbst
    a) Du verschafftest mit durch einen bestimmten Menschen, der vor gewaltigem Stolz geschwollen war, bestimmte Bücher der Platoniker, die aus der griechischen Sprache in die lateinische übersetzt waren. Und dort las ich, dass, zwar nicht mit diesen Worten, aber ganz genau dasselbe mit vielen und vielfältigen Argumenten überzeugend angeraten wird: ,Am Anfang war das Wort* , und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort‘ (Johannes 1, 1) [...], aber ,das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt‘ (Johannes 1, 13) las ich dort nicht.
    b) Und hierdurch ermahnt, zu mir selbst zurückzukehren, trat ich unter Deiner Führung in mein Innerstes ein und konnte dies, weil ,Du mein Helfer geworden bist‘ (Psalm 29, 11). Ich trat ein und sah mit irgendeinem Auge meiner Seele oberhalb desselben Auges meiner Seele, oberhalb meines Verstandes ein unveränderliches Licht, nicht das gewöhnliche und für jedes Fleisch sichtbare, noch war es gleichsam von derselben Art, nur größer – so als ob dieses viel, viel heller leuchtet und alles durch seine Größe belegte. Nicht dies war es, sondern etwas von allem, allem weit Verschiedenes.
  • Abaelard, Peter: Leidensgeschichte (Historia calamitatum) p. 63-65

    Peter Abaelard (1079-1142) über seinen Weg zur Philosophie:
    [1] Da mein Vater mich, den Erstgeborenen, besonders ins Herz geschlossen hatte, achtete er sehr sorgfältig auf meine Erziehung. Je schneller und leichter ich im Studium der Schriften vorankam, desto größer wurde meine Begeisterung für sie. Diese Liebe ging so weit, dass ich auf den Glanz ritterlichen Ruhmes samt meinem Erbe und den Vorrechten der Erstgeburt zugunsten meiner Brüder verzichtete und vom Gefolge des Mars ganz Abschied nahm, um im Schoß der Minerva aufgezogen zu werden.
    [2] Da ich die Bewaffnung mit dialektischen Argumenten allen Zeugnissen der Philosophie vorzog, vertauschte ich die anderen Waffen mit diesen und zog die Konflikte des Streitgesprächs allen allen Kriegstrophäen vor. Also wurde ich, indem ich disputierend durch verschiedene Provinzen zog – überall hin, wo ich von einer Blüte dieser Technik gehört hatte –, zu einem Nachahmer der Peripatetiker.
    [3] Schließlich kam ich nach Paris, wo diese Disziplin schon länger einen großen Aufschwung genommen hatte, zu Wilhelm von Champeaux, meinem Lehrer, der damals in diesem Fach an Können und Ansehen herausragte. Ich blieb einige Zeit bei ihm und war ihm zunächst willkommen. Später wurde ich ihm außerordentlich lästig, da ich manche seiner Ansichten zu widerlegen versuchte, immer wieder argumentative Angriffe gegen ihn führte und manchmal im Streitgespräch überlegen erschien. [...]
    [4] Hier nahm die Serie meiner Schicksalsschläge, die bis heute andauert ihren Anfang. Je mehr sich mein Ruhm ausbreitete, desto stärker loderte der Neid anderer.
  • Abaelard, Peter: Leidensgeschichte (Historia calamitatum) p. 72f. 79f

    Peter Abaelard über persönliche Ablenkungen und ihre Folgen:
    Unter dem Vorwand des Unterrichts gaben wir uns ganz der Liebe hin. Die wissenschaftliche Lektüre bot uns jene stillen Rückzugsmöglichkeiten, die sich die Liebe wünschte. Waren die Bücher aufgeschlagen, wurden mehr Worte über die Liebe als über den Lesestoff gewechselt, gab es mehr Küsse als Sätze, wanderten die Hände öfter zum Busen als zu den Büchern [...]. Der Onkel und seine Verwandten hörten davon [...]. Zutiefst entrüstet verschworen sie sich gegen mich. Eines Nachts [...] bestachen sie einen meiner Diener mit Geld und rächten sich an mir durch eine besonders grausame und schmachvolle Strafe, von der die Welt mit größtem Erstaunen hörte: Sie schnitten mir die Körperteile ab, mit denen ich begangen hatte, was sie beklagten. [...] Am meisten marterten mich [...] meine Studenten mit ihrem unerträglichen Geklage und Gejammere. Ich litt viel mehr unter ihrem Mitleid als am Leid aufgrund der Wunde, und ich fühlte mehr das Erröten als den Schlag. [...] Mir ging durch den Kopf, wie groß der Ruhm war, in dem ich eben noch gestanden hatte; wie schnell er durch diesen blamablen Fall verringert, ja ganz ausgelöscht worden war; wie gerecht das Urteil Gottes, das mich an jenem Teil des Körpers bestrafen ließ, mit dem ich Schuld auf mich geladen hatte.
  • Sergios von Rēšʿaynā : Kommentar an Theodoros zu Aristoteles’ Kategorien f. 52rv = p. 168 Hugonnard-Roche, La logique d'Aristote, Paris 2004 [frz.]

    Sergios von Rēšʿaynā (gest. 536) rühmt am Anfang seiner Philosophie-Einführung Aristoteles als den Ordner aller Wissenschaften
    [1] Der Ursprung und Beginn aller Bildung war Aristoteles. [...] Denn bis zu der Zeit, zu der die Natur diesen Mann zum Existieren und Wohnen unter den Menschen gebracht hatte, waren alle Teile der Philosophie und der Bildung wie einfache Heilmittel aufgeteilt und verstreut, konfus und unwissenschaftlich bei sämtlichen Schriftstellern.
    [2] Dieser allein aber sammelte, nach Art eines weisen Arztes, sämtliche Schriften, die zerstreut waren, und setzte sie dem Handwerk und dem Intellekt gemäß zusammen und fertigte sie zu dem vollkommenen Heilmittel seiner Lehre, das die mühevollen und schweren Krankheiten des Nicht-Wissens ausreißt und entfernt aus den Seelen derer, die sich sorgfältig mit seinen Schriften befassen.
    [3] Denn ebenso wie diejenigen, die eine Statue herstellen, jedes einzelne Teil der Gestalt für sich herstellen, und so eines nach dem anderen zusammen¬setzen, wie das Handwerk erfordert, und eine vollkommene Statue machen, so kombinierte auch dieser, ordnete und passte ein, und setzte jedes einzelne Teil der Philosophie in die Ordnung, welche ihre Natur erfordert, und erstellte aus ihnen durch alle seine Schriften eine vollkommene und wunderbare Gestalt des Wissens von allem Seienden.
  • Sergios von Rēšʿaynā : Kommentar an Theodoros zu Aristoteles’ Kategorien I 2f.; Mingana syr. 606, f. 53v-54r = p. 191

    Sergios von Rēšʿaynā (gest. 536), ein Schüler des Ammonios und syrischer Aristoteles-Adaptor erklärt auf Syrisch, was Philosophie ist
    Die Philosophie ist eine Ähnlichkeit zu Gott (dumyā ḏ-allāhā). [...] Und weiter sagen [die Philosophen]: Weil die rationale Seele die Mutter der Wissensformen und auch selbst in zwei Teile geteilt ist, deswegen teilte sich auch die Philosophie, die ihrerseits das Wissen von allem ist, in zwei Teile. [...] Sie sagen nämlich, dass zu diesen Erkenntniskräfte gehören, so wie Verstand, Denken und Meinen, und zu ihnen Lebenskräfte gehören, so wie Begehren, Zornmut und Wollen. Weil also die Philosophie die gesamte Seele reinigt, sagen sie zutreffend, dass auch sie in zwei Teile geteilt ist. Denn durch ihren ersten und theoretischen Teil [S. 342] reinigt sie die Erkenntniskräfte, so dass sie nicht etwas für ein anderes erkennen (= halten) , sondern die Wahrheit und die Bestimmtheit der Dinge erkennen. Durch den anderen, den praktischen Teil wiederum reinigt sie die Lebenskräfte und bereitet sie vor, dass ihre Lebensführung hierin nicht in unnützen Dingen besteht, sondern dass ihre Bewegungen richtig und trefflich erfolgen.
  • Aspasios : Kommentar zur Nikomachischen Ethik p. 1, 1-11

    Möglich wird die aristotelische Ausformulierung einer platonischen Position, indem man an die Vorstellung älterer Aristoteliker anschließt, z.B. dem platonisierenden Aspasios in seinem Kommentar zur Nikomachischen Ethik
    Die Behandlung der Sitten, und insbesondere die Politik, ist im Hinblick auf die Notwendigkeit früher als die theoretische Philosophie, im Hinblick auf die Ehrwürdigkeit später. Denn insofern es unmöglich ist, gut zu leben, wenn man nicht besonnen und gerecht ist und überhaupt gut verfasst im Hinblick auf den Charakter und die Leidenschaften der Seele in eine gewisse Symmetrie gebracht hat, insofern erscheint die Politik und Ethik notwendig und deswegen früher zu sein [...]. Insofern aber die Weisheit über das Ehrwürdigste und Göttlichste handelt und die Werke der Natur betrachtet sowie noch Weiteres, viel Besseres und Bedeutenderes als das, was aus der Natur existiert (dies betrachtet die Erste Philosophie), insofern wird die theoretische Philosophie früher und ehrwürdiger genannt werden.
  • Al-Fārābī : Die Prinzipien der Ansichten der Bewohner der vortrefflichen Stadt XIII, 3. 5

    Al-Fārābī definiert die Loslösung vom Körper und das Intellektwerden als die Eudaimonie
    [3] Die ersten Denkobjekte sind die, die für alle Menschen gelten, und zwar beispielsweise, dass das Ganze größer ist als der Teil. [...]
    [5] Das Vorhandensein der ersten Denkobjekte beim Menschen bildet seine erste Vollkommenheit. Aber diese Denkobjekte sind ihm nur gegeben, damit er sie dazu verwendet, die letzte Vollkommenheit (al-istikmāl al-aḫir), das Glücklichsein (as-saʿāda), zu erreichen. Denn dieses besteht darin, dass die menschliche Seele an Vollkommenheit in ihrer Existenz bis dahin gelangt, wo sie für ihr Fortbestehen keine Materie benötigt – denn sie wird eines der unkörperlichen Dinge und eine der immateriellen Substanzen –, und dass sie für immer fortwährend in diesem Zustand verbleibt, wobei ihr Rang jedoch unter dem Rang des aktiven Intellekts (al-ʿaql al-faʿʿāl) ist.
  • Al-Fārābī : Die Prinzipien der Ansichten der Bewohner der vortrefflichen Stadt XIII, 6

    In neuplatonischer Tradition wird das ethische Verhalten als der Weg zu diesem Glücklichsein bestimmt
    Dieser Zustand kann nur durch bestimmte willentliche Akte erreicht werden, von denen einige gedankliche, andere körperliche Akte sind [...], und zwar weil von den willentlichen Akten manche das Glücklichsein behindern. Das Glücklichsein ist das Gut, das seinem Wesen nach erstrebt wird, und es wird überhaupt nicht und zu keiner Zeit erstrebt, um durch es etwas anderes zu erreichen, und es gibt nichts anderes über dieses hinaus, Größeres als dieses, das der Mensch erreichen könnte.
  • Al-Fārābī : Die Prinzipien der Ansichten der Bewohner der vortrefflichen Stadt XV 7. 8

    Al-Fārābī über den vollkommenen Herrscher
    [1] Der Herrscher der vortrefflichen Stadt (al-madīna al-fāḍila) kann nicht irgendein beliebiger Mensch sein, denn Herrschaft setzt zwei Dinge voraus: Das eine von ihnen ist, dass man durch die Veranlagung und die Natur dazu geeignet ist, und das zweite die willentliche Disposition und den Habitus für die Herrschaft, die sich bei jemandem entwickelt, der von Natur aus zu ihr veranlagt ist. [...]
    [2] Dieser Mensch ist ein Mensch, über den überhaupt kein Mensch herrschen kann. Dieser Mensch ist nur ein Mensch, der vervollkommnet wurde und aktuell Intellekt und Denkobjekt geworden ist, dessen Imaginationsvermögen (al-quwwa al-mutaḫayyila) von Natur aus [...] dazu befähigt ist, entweder im Wachen oder im Schlaf vom aktiven Intellekt (al-ʿaql al-faʿʿāl) die Partikularia [...] und auch die Denkobjekte zu empfangen, indem es sie nachahmt. [...]
    [3] In der Tat erwirbt jeder Mensch, dessen passiver Intellekt durch alle Denkobjekte vervollkommnet wurde sowie aktueller Intellekt und aktuelles Denkobjekt geworden ist [...], einen bestimmten aktuellen Intellekt (ʿaql bi-l-fiʿl), dessen Rang ein Rang über dem passiven Intellekt ist, der vollkommener und mehr von der Materie getrennt ist [...]. Er wird ,erworbener Intellekt‘ (ʿaql al-mustafād) genannt.
  • Al-Fārābī : Die Prinzipien der Ansichten der Bewohner der vortrefflichen Stadt XV 9-11

    Al-Fārābī über den vollkommenen Herrscher als Empfänger von Offenbarung
    [1] Dieser Mensch ist der Mensch, dem der aktive Intellekt innewohnt. Geschieht dies in beiden Teilen seines Vernunftvermögens, nämlich im theoretischen und im praktischen, und dann noch in seinem Imaginationsvermögen, dann ist dieser Mensch jemand, dem eine Offenbarung zuteil werden wird (yūḥā ilaihi), und Allah – er ist hoch und erhaben – wird ihm die Offenbarung (yūḥī ilaihi) vermittels des aktiven Intellekts zuteil werden lassen. [...]
    [2] Auf diese Weise [...] wird er ein Weiser, ein Philosoph (ḥakīm failasūf) und von vollkommener Intelligenz, nämlich durch den göttlichen Intellekt in ihm. Und durch die Emanation von diesem zu seinem Imaginationsvermögen wird er zum Propheten (nabīy). [...]
    [3] Dies ist der Herrscher, über den überhaupt kein anderer Mensch herrschen kann, er ist der Imam (al-imām); er ist der erste Herrscher der vortrefflichen Stadt, er ist der Herrscher der vortrefflichen Nation und der Herrscher der bewohnbaren Erde.
  • Averroes : Kommentar zu Aristoteles’ Physik (In Aristotelis Physicam commentarium) N.N.

    Der arabische Aristoteliker Ibn Rušd/Averroes fasst in seinem Kommentar zur aristotelischen Physik, der ins Lateinische übersetzt wurde, noch einmal das aristotelische Curriculum zusammen
    Der Nutzen dieses Buchs ist ein Teil des Nutzens der theoretischen Wissenschaft: und in der Wissenschaft, welche die willentlichen Handlungen betrachtet, wurde erklärt, dass das Sein des Menschen gemäß seiner letzten Vervollkommnung und seine vollkommene Substanz ist, dass er durch die theoretische Wissenschaft vervollkommnet wird; und diese Haltung ist für ihn die letzte Glückseligkeit und das ewige Leben. [...] Und Alexander erklärte im Prooem zu diesem Buch, wie die Wissenschaft von diesen Tugenden auf die theoretische Wissenschaft folgt. [...] Das Verhältnis dieses Buches zu allen theoretischen Wissenschaften, nämlich der Vergleich der Wissenschaft von der Natur, entspricht dem Verhältnis eines Teils zum Ganzen: denn die Wissenschaften sind auf zweierlei Weise: eine wird wegen der Übung aufgezählt, wie die Mathematik, die andere wegen der Vervollkommnung, deretwegen diese ist, und dies ist die Wissenschaft von der Natur und die göttliche [Wissenschaft].
  • Albertus Magnus: Super Ethica X 16, quaestio 6

    Der Dominikaner-Mönch und begeisterte Aristoteliker Albertus Magnus sieht innerhalb des Christentums einen Platz für die philosophische Glücksvorstellung des Averroes
    [1] Die theologische Kontemplation stimmt in einer Hinsicht mit der philosophischen überein und unterscheidet sich in einer anderen; daher sind beide nicht schlechthin identisch.
    [2] Sie stimmt nämlich darin überein, dass es auch in der theologischen einen Einblick auf bestimmte geistige Dinge durch den Intellekt gibt, die ohne ein Hindernis durch die Leidenschaften von Seiten des Subjekts und durch einen Zweifel von Seiten des Glaubens darauf hingeordnet ist, in Gott zu ruhen, worin die höchste Glückseligkeit besteht.
    [3] Sie unterscheidet sich aber im Habitus, im Ziel und im Objekt. Und zwar im Habitus, weil die theologische durch ein Licht betrachtet, das von Gott eingegeben wurde, aber der Philosoph durch den erworbenen Habitus der Weisheit; im Ziel, weil die theologische das letzte Ziel in der Betrachtung Gottes im Himmel ansetzt, aber der Philosoph in einer Vision, durch die er ein Stück weit in diesem Leben gesehen wird; zudem im Objekt [...] im Hinblick auf die Art und Weise, denn der Philosoph betrachtet Gott, insofern er ihn als eine bestimmte Konklusion aus einem Beweis besitzt, aber der Theologe betrachtet ihn als etwas, was oberhalb von Vernunft und Intellekt existiert.
  • Boethius von Dakien: Über das höchste Gut (De summo bono) p. 369, 1-8. 11-14

    Boethius von Dakien, Philosophiedozent an der Artistenfakultät der Universität Paris, vertritt aktiv das philosophische Glücksideal im lateinischen Mittelalter
    [1] Weil es für jede Art des Seienden irgendein mögliches höchstes Gut gibt, und der Mensch eine Art des Seienden ist, muss irgendein höchstes Gut für den Menschen möglich sein. Ich meine nicht das höchste Gut schlechthin, sondern das höchste für ihn [...].
    [2] Was aber dieses höchste Gut ist, das dem Menschen möglich ist, wollen wir durch die Vernunft untersuchen.
    [3] Das höchste Gut, das dem Menschen möglich, steht ihm gemäß seiner besten Tugend zu. [...] Die beste Tugend des Menschen aber sind die Vernunft und der Intellekt; denn die höchste menschliche Lebensführung besteht sowohl im Nachdenken als auch im Handeln. Also steht das höchste Gut, das dem Menschen möglich ist, ihm gemäß dem Intellekt zu.
  • Boethius, Anicius Manlius Severinus: Der Trost der Philosophie (Consolatio philosophiae ) I Prosa 4

    Boethius berichtet der Philosophie über die Gründe für seine Verhaftung
    Du hast doch durch Platons Mund diesen Satz bekräftigt: ,Glücklich würden die Staaten sein, wenn entweder Philosophen sie regierten oder ihre Regenten sich der Philosophie befleißigten‘. [...] Dieser Autorität bin ich gefolgt und, was ich von dir in abgeschiedener Muße gelernt hatte, habe ich in die Praxis der Staatsverwaltung zu übertragen gesucht. Du und Gott, der dich dem Geiste der Weisen eingab, seid gewiss, nichts anderes hat mich zum Amte geführt als das gemeinsame Bemühen um alle Güter. Daher jene schwere unversöhnliche Zwietracht mit den Unredlichen, daher – hierin besteht die Freiheit des Gewissens – meine stete Geringschätzung einer Beleidigung der Mächtigen, um das Recht zu bewahren.
  • Boethius, Anicius Manlius Severinus: Der Trost der Philosophie (Consolatio philosophiae ) I Prosa 1. 3

    Boethius schildert, wie er die Philosophie erkannte
    a) Es schien mir, als ob über mir eine Frau hinzuträte von höchst ehrwürdigem Antlitz, mit funkelnden und über das gewöhnliche Vermögen der Menschen durchdringenden Augen. [...] Ihr Wuchs war von wechselnder Größe; denn bald zog sie sich zum gewöhnlichen Maß der Menschen zusammen, bald schien sie mit dem Scheitel den Himmel zu berühren.
    b) Als sie die poetischen Musen, die mein Lager umstanden und meiner Tränenflut Worte liehen, erblickte, sprach sie etwas erregt und mit finster flammenden Blicken [...]: ,Wer hat diesen Dirnen der Bühne den Zutritt zu diesem Kranken erlaubt, die seinen Schmerz nicht nur mit keiner Arznei lindern, sondern ihn obendrein mit süßem Gifte nähren? [...] Wenn eure Schmeicheleien einen Uneingeweihten [...] ablenkten, so würde ich das mit mehr Gleichmut ertragen. [...] Doch ist dieser nicht mit den Studien der Eleaten und Akademiker erzogen worden? Drum verschwindet besser, ihr Sirenen, die ihr süß seid bis zum Verderben, überlasst ihn meinen Musen zur Pflege und zur Heilung. [...] So gescholten ging jener Chor [...] traurig über die Schwelle hinaus. [...] Als die Nebel der Traurigkeit auf keine andere Weise aufgelöst waren, sog ich den Anblick des Himmels ein und [...] erblickte, als ich die Augen auf sie richtete und meinen Blick auf sie heftete, meine alte Nährerin [...], die Philosophie.
  • Boethius, Anicius Manlius Severinus: Der Trost der Philosophie (Consolatio philosophiae ) II Prosa 1

    Die Philosophie erklärt Boethius, dass sein Unglück auf falsche Präferenzen zurückgeht
    [1] Was also ist es, o Mensch, was dich in Schmerz und Trauer gestürzt hat? Etwas ganz Neues und Ungewohntes, glaube ich, hast du gesehen. Du meinst, das Glück (fortuna) habe sich dir gegenüber gewandelt: du irrst!
    [2] Dies sind immer seine Sitten, dies ist seine Natur. Es hat vielmehr gerade in seiner Veränderlichkeit dir gegenüber seine ihm eigentümliche Beständigkeit bewahrt. [...].
    [3] Denn eben sie, die dir jetzt Anlass zu so großer Trauer gibt, hätte dir zur Beruhigung dienen müssen. [...] Es darf nicht genügen, nur zu schauen, was vor den Augen liegt; die Klugheit ermisst den Ausgang der Dinge. [...] Schließlich musst du mit Gleichmut ertragen, was innerhalb des Bereiches des Glückes geschieht.
  • Boethius, Anicius Manlius Severinus: Der Trost der Philosophie (Consolatio philosophiae ) III Prosa 3. 8

    Die Philosophie erklärt Boethius die unvollkommenen Güter
    [1] Erwäge nun, ob die Menschen durch das, wodurch sie Glück zu erreichen hoffen, zum festgesetzten Ziel zu gelangen vermögen. [...] Ich frage zuerst dich selbst, der du noch eben in Reichtum schwammst: Hat unter jenem Überfluss von Schätzen deinen Geist niemals Angst getrübt, die aus irgendeinem Unrecht erwuchs? – In der Tat, sagte ich, kann ich mich nicht erinnern, jemals so freien Geistes gewesen zu sein, dass mich nicht irgendeine Sorge geängstigt hätte. [...]
    [2] Aus alledem dürfen wir zusammenfassend sagen: Das, was weder die Güter, die es verspricht, beschaffen kann, noch durch die Vereinigung aller Güter vollendet ist, führt weder als Weg zum Glück noch macht es die Menschen glücklich.
  • Boethius, Anicius Manlius Severinus: Der Trost der Philosophie (Consolatio philosophiae ) III Prosa 10

    Die Philosophie zeigt auf, dass Gott das vollendete Glück ist
    Dass Gott, der Ursprung aller Dinge, gut ist, billigt ein allgemeiner Begriff des menschlichen Geistes. [...] Die Vernunft zeigt aber, dass Gott so gut ist, dass das vollendete Gut in ihm enthalten ist. [...] Wir haben aber festgestellt, dass das vollendete Gute auch die wahre Glückseligkeit ist; also muss notwendig in dem höchsten Gott auch die wahre Glückseligkeit gelegen sein.
  • Boethius, Anicius Manlius Severinus: Der Trost der Philosophie (Consolatio philosophiae ) V, Prosa 6, 6f. 10

    Boethius erklärt den Begriff der Ewigkeit im Gegensatz zur unendlichen Dauer
    Was also dem Modus der Zeit unterliegt, selbst wenn es, wie Aristoteles von der Welt glaubte, weder begonnen hat noch enden wird, [...] ist noch nicht so, dass es zu Recht als ewig verstanden werden kann. Denn es umfasst nicht das Ganze zugleich [...], sondern hat das Zukünftige noch nicht, das Vergangene nicht mehr. [...] Denn es ist eine Sache, durch ein unendliches Leben geführt zu werden [...], eine andere, die gesamte Gegenwart des unendlichen Lebens gleichermaßen zu umfassen, was klarerweise dem göttlichen Geist eigentümlich ist.
  • Boethius, Anicius Manlius Severinus: Der Trost der Philosophie (Consolatio philosophiae ) V, Prosa 6, 30f.

    Der Blick Gottes auf die Welt lässt Boethius zufolge freies menschliches Handeln möglich sein
    Wenn die Für-Sehung etwas Gegenwärtiges sieht, gibt es dies notwendigerweise, obwohl es keine Naturnotwendigkeit besitzt. Aber Gott betrachtet das Zukünftige, was aus der Freiheit der Entscheidung hervorgeht, als etwas Gegenwärtiges. Dies geschieht also bezogen auf den göttlichen Blick notwendig, im Modus der göttlichen Erkenntnis, aber in sich selbst betrachtet tritt es von der absoluten Freiheit seiner Natur nicht zurück.
  • Ibn Ṭufail : Ḥayy ibn Yaqẓān Auszüge v. S. 7f.

    Ibn Ṭufail erklärt den Unterschied der <i>unio mystica</i> von komplettem (philosophischem) Wissen
    Stell dir einen blind geborenen Menschen vor. [...] Seit es ihn gibt, wuchs er in einer bestimmten Stadt auf, in der er die einzelnen Bewohner [...], die Wege und Straßen der Stadt [...] durch das, was er von den übrigen Erkenntnisvermögen erfährt, ohne Einschränkungen kennt, so dass er sogar ohne Führer in der Stadt umhergeht und jeden, der ihm begegnet, sogleich erkennt. [...] Wenn ihm nun, nachdem er diese Stufe erreicht hat, seine Augen geöffnet werden und er die Sehkraft erlangt, dann wird er [...] nichts anders vorfinden, als es seiner Überzeugung davon entspricht, und nichts wird ihn täuschen [...], außer dass bei alldem zwei besonders wichtige Sachverhalte [...] neu für ihn sind: Erstens die gesteigerte Deutlichkeit und Helligkeit und zweitens die gewaltige Freude.
  • Ibn Ṭufail : Ḥayy ibn Yaqẓān S. 108f.

    Ibn Ṭufail charakterisiert die unio mystica
    Wem eine solche Weise schaut, dem entschwindet seine eigene Wesenheit (ḏāt nafsihi), und es lösen sich auf und entschwinden ebenso die übrigen vielen Wesenheiten [...] außer der Wesenheit des Einen, des Wahren, des notwendig Seienden (al-wāḥid al-ḥaqq al-wāğib al-wuğūd).
  • Ibn Ṭufail : Ḥayy ibn Yaqẓān Auszüge von S. 86

    Ibn Ṭufail schildert, wie Ḥayy ibn Yaqẓān aus der Frage nach der Ewigkeit der Welt auf Gott schließt
    Sein Zweifel über die Ewigkeit der Welt oder ihr Entstandensein behinderte ihn in keiner Weise: Auf beide Sichtweisen zugleich betrachtete er die Existenz eines Herstellers (wuğūd fā‘il) als richtig, der kein Körper ist, der weder mit einem Körper verbunden noch von ihm abgetrennt, weder in ihm noch außerhalb von ihm – denn Verbundensein, Getrenntsein, In-etwas-Sein und Außerhalbsein gehören alle zu den Eigenschaften von Körpern. – Er aber ist all dem ganz und gar enthoben.
  • Ibn Ṭufail : Ḥayy ibn Yaqẓān Auszüge von S. 135 f.

    Ibn Ṭufail charakterisiert die religiösen Menschen in Ḥayy ibn Yaqẓāns Umgebung
    Auf einer Insel in der Nähe jener Insel [...] hatte sich eine von den wahren Religionsgemeinschaften (milla min al-milāl aṣ-ṣaḥīḥa) niedergelassen, die von einem der früheren Propheten [...] gestiftet worden war. Es war eine Religion, welche alles wahrhaft Existierende (ğamī‛ al-mawğūdāt al-ḥaqīqīya) in Gleichnissen (amṯāl) nachbildete.
  • Ibn Ṭufail : Ḥayy ibn Yaqẓān Auszüge von S. 147-154

    Ibn Ṭufail schildert das Scheitern von Ḥayy ibn Yaqẓāns Versuch
    [1] Da er großes Mitleid mit den Menschen empfand und den Wunsch hatte, ihnen das Heil zu bringen, kam der Wunsch in ihm auf, zu ihnen zu gehen, um ihnen die Wahrheit offenzulegen und zu erklären. [...] Ḥayy ibn Yaqẓān begann also, sie zu unterweisen und ihnen die Geheimnisse der Weisheit (asrār al-ḥikma) zu enthüllen; doch sobald er auch nur ein kleines Stück über den äußeren Wortsinn (aẓ-ẓāhir) hinausging und etwas beschrieb, das nicht mit ihrem Verständnis übereinstimmte, begannen sie sich vor ihm zu verschließen, [...] und in ihren Herzen ärgerten sie sich über ihn. [...]
    [2] Da gab er die Überzeugung auf, dass er sie bekehren könnte, und verlor die Hoffnung, dass sie von ihm etwas annehmen würden. [...] Er riet ihnen, in ihrer gewohnten Weise an den Bestimmungen des [religiösen] Gesetzes (ḥudūd aš-šar‘) und den auf das Äußerliche bezogenen Handlungen festzuhalten, sich so wenig wie möglich in Dinge, die nicht ihre Sache waren, zu vertiefen, den schwerverständlichen Stellen in den heiligen Texten Glauben zu schenken und sie ohne Vorbehalte anzuerkennen. [...]
    [3] Darauf verabschiedeten sich die beiden von ihnen, kehrten zurück zu ihrer Insel und [...] Ḥayy ibn Yaqẓān versuchte in gleicher Weise wie zuvor, sich in die Lage der Erhabenheit [i.e. die unio mystica] zu versetzen.
  • Meister Eckhart : Deutsche Predigt 10 (11), S. 165, 4-12

    Meister Eckhart über die Natur der Seele
    Diu sȇle hȃt zwei ougen, einz inwendic und einz ȗzwendic. Daz inner ouge der sȇle ist, daz in daz wesen sihet und sȋn wesen von gote ȃne allez mitel nimet: daz ist sȋn eigen werk. Daz ȗzer ouge der sȇle ist, daz dȃ gekȇret ist gegen allen crȇatȗren und die merket nȃch bildelȋcher wȋse und nȃch kreftlȋcher wȋse. Welher mensche nȗ in sich selber wirt gekȇret, daz er bekennet got in sȋnem eigenen smacke und in sȋnem eigenem grunde, der mensche ist gevrȋet von allen geschaffenen dingen und ist in im selber beslozzen in einem wȃren slozze der wȃrheit.
  • Meister Eckhart : Deutsche Predigt 9 (10), S. 150, 1-151, 2; 158, 4-7

    Meister Eckhart über die Vernunftnatur Gottes und das Seelenfünklein in uns
    [1] Als wir got nemen in dem wesene, sȏ nemen wir in sȋnem vorbürge, wan wesen ist sȋn vorbürge, dȃ er inne wonet. Wȃ ist er denne in sȋnem tempel, dȃ er heilic inne schȋnet? Vernünfticheit ist der tempel gotes. Niergen wonet got eigenlȋcher dan in sȋnem tempel, in vernünfticheit, als der ander meister sprach, daz got ist ein vernünfticheit, diu dȃ lebet in sȋn aleines bekantnisse, in im selber aleine blȋbende, dȃ in nie niht engeruorte, wan er aleine dȃ ist in sȋner stilheit. Got in sȋn selbes bekantnisse bekennet sich selben in im selben.
    [2] Nȗ nemen wirz in der sȇle, diu ein tröpfelin hȃt vernünfticheit, ein vünkelȋn, ein zwȋc. [...] Gotes saelicheit liget an der ȋnwertwürkunge der vernünfticheit, dȃ daz wort inneblȋbende ist. Dȃ sol diu sȇle sȋn ein bȋwort und mit gote würken ein werk, in dem ȋnswebenden bekantnisse ze nemenne ir saelicheit in dem selben, dȃ got saelic ist.
  • Meister Eckhart : Deutsche Predigt 22 (23), S. 382, 6-383, 7

    Meister Eckhart über die Geburt des Wortes Gottes im Menschen
    Hie hȃn ich ȇwiclȋche geruowet und geslȃfen in der verborgenen bekantnisse des ȇwigen vaters, inneblȋbende ungesprochen. Ȗz der lȗterkeit hȃt er mich ȇwiclȋche geborn sȋnen einbornen sun in daz selbe bilde sȋner ȇwigen vaterschaft, daz ich vater sȋ und geber den, von dem ich geborn bin. [...] Jȃ, der in dém liehte ein holz saehe, daz würde ein engel und würde vernünftic, und niht aleine vernünftic, ez würde ein lȗter vernunft in der ȇrsten lȗterkeit, diu da ist ein vülle aller lȗterkeit. Alsȏ tuot got: er gebirt sȋnen einbornen son in daz hoehste teil der sȇle.
  • Meister Eckhart : Buch der göttlichen Tröstung S. 60, 25-61, 9

    Meister Eckhart über die Belehrung aller Menschen
    Ein heidenischer meister, Senecȃ, sprichet: man sol von grȏzen und von hȏhen dingen mit grȏzen und mit hȏhen sinnen sprechen und mit erhabenen sȇlen. Ouch sol man sprechen, daz man sȏgetȃne lȇre niht ensol sprechen noch schrȋben ungelȇrten. Dar zuo spriche ich: ensol man niht lȇren ungelȇrte liute, sȏ enwirt niemer nieman gelȇret, sȏ enmac nieman lȇren noch schrȋben. Wan dar umbe lȇret man die ungelȇrten, daz sie werden von ungelȇret gelȇret. [...] Dar umbe ist der arzȃt, daz er die siechen gesunt mache. [...] Sant Johannes sprichet daz heilige ȇwangelium allen geloubigen und ouch allen ungeloubigen, daz sie geloubic werden, und doch beginnet er daz ȇwangelium von dem hoehsten, daz kein mensche von gote hie gesprechen mac.
  • Descartes, René: Meditationen über die Erste Philosophie (Meditationes de prima philosophia ) I, Anfang

    René Descartes leitet seine Meditationen ein
    Schon vor Jahren bemerkte ich, wie viel Falsches ich von Jugend auf als wahr hingenommen hatte und wie zweifelhaft alles ist, was ich später darauf gründete. [...] Darum habe ich so lange gezögert, dass ich schließlich eine Schuld tragen würde, dass ich die Zeit, die mir zum Handeln noch übrig ist, mit Überlegen vergeuden würde. Da trifft es sich günstig, dass ich heute meinen Verstand von allen Sorgen losgelöst und mir ungestörte Muße verschafft habe. Ich ziehe mich also allein zurück und will ernst frei diesem Umsturz aller meiner Meinungen Zeit einräumen.
  • Descartes, René: Meditationen über die Erste Philosophie (Meditationes de prima philosophia ) VI, Ende

    René Descartes über die Gründe des Irrtums der Menschen
    Denn daraus, dass Gott kein Betrüger ist, folgt, dass ich in solchen Dingen überhaupt nicht getäuscht werde. Allerdings lässt uns die Notwendigkeit der Alltagstätigkeiten nicht immer die Zeit zu einer so genauen Prüfung, und deshalb muss man gestehen, dass das menschliche Leben im Hinblick auf Einzeldinge oft Irrtümern unterliegt, und die Schwäche unserer Natur ist anzuerkennen.
  • Foucault, Michel : Die Regierung des Selbst und der anderen (Le gouvernement de soi et des autres) S.321, 322

    Michel Foucault über die Philosophie als <i>parrhēsia</i>, als Wahrsprechen
    Ich glaube, dass man die Geschichte der Philosophie [...] als eine Folge von Episoden und Formen – wiederkehrenden und sich wandelnden Formen – des Wahrsprechens betreiben kann. [...] Beginnt die Philosophie nicht unablässig als unablässig neu zu gewinnende parrhēsia? Und ist, in dieser Hinsicht, die Philosophie nicht ein einzigartiges und den abendländischen Gesellschaften eigentümliches Phänomen?
  • Foucault, Michel : Die Regierung des Selbst und der anderen (Le gouvernement de soi et des autres) S. 314, 315

    Michel Foucault über politische und philosophische parrhēsia
    [1] Nicht die ganze Philosophie, nicht die Philosophie seit ihren Anfängen, nicht die Philosophie in jeder Hinsicht ist eine Tochter der parrhēsia, sondern es ist die Philosophie, verstanden als freier Mut, die Wahrheit zu sagen und, indem man so mutig die Wahrheit sagt, einen Einfluss auf die anderen zu nehmen, um sie richtig zu führen, und zwar in einem Spiel, das vom Parrhesiasten verlangt, ein Risiko einzugehen, das ihn in Lebensgefahr bringen kann. [...]
    [2] Erstens muss die Tatsache, dass die antike Philosophie eine Lebensform war, im allgemeinen Rahmen dieser parrhesiastischen Funktion gedeutet werden. [...] Zweitens scheint mir, dass die Philosophie während ihrer ganzen Geschichte in der antiken Kultur [...] auch deshalb parrhēsia ist, weil sie sich beständig an die gerichtet hat, die regieren.
  • Tranströmer, Tomas: Molokai .

    Molokai
    Wir stehen am Steilhang, und unter uns in der Tiefe schimmern die Dächer der Leprastation.
    Den Abstieg schaffen wir, doch nie kommen wir über die Steilhänge zurück vorm Dunkelwerden.
    Drum kehren wir durch den Wald zurück, gehn zwischen Bäumen mit langen blauen Nadeln.
    Hier ist es still, eine Stille, wie wenn der Habicht kommt.
    Es ist ein Wald, der alles verzeiht, doch nichts vergisst.
    Damien, in Liebe, wählte das Leben und die Vergessenheit.
    Er bekam Tod und Ruhm.
    Doch wir sehen diese Ereignisse von der falschen Seite: einen Steinhaufen statt des Gesichts der Sphinx.
  • Boethius von Dakien: Über das höchste Gut (De summo bono) S. 374, 135-139. 374, 149-375, 164

    ...
  • Alberich von Reims: Die Philosophie (Philosophia) S. 29. 32f. [Revue des sciences philosophiques et théologiques 68, 1984]

    Der ,Averroist’ Alberich von Reims (um 1250) über die Vorzüge der Philosophie
    [1] Drei sind es, wie Empedokles sagt, in erster Linie unter der gesamten Vielfalt der Dinge, die das großartigste Geschenk der Großzügigkeit Gottes, nämlich die Philosophie, erleuchten und erheben: die Verachtung des beweglichen Überflusses, das Streben nach der göttlichen Seligkeit und die Erleuchtung des Geistes. [...]
    [2] Denn das Sein des Menschen in seiner höchsten Vollkommenheit oder Vollständigkeit besteht darin, dass er durch die theoretischen Wissenschaften vollkommen ist, wie Averroes im Prolog [zum Kommentar] zum Achten Buch von [Aristoteles‘] Physik sagt. [...]
    [3] Nun werden wir [hierhin] durch ein natürliches Streben gezogen, wie die Göttin der Wissenschaften an ihrem Anfang darlegt: "Alle Menschen" usw. [streben von Natur aus zu wissen] (Metaphysik I 1, 980a 21). Hierzu sagt der Kommentator: "Wir haben ein natürliches Verlangen, die Wahrheit zu wissen". Zu Recht, denn, wie Aristoteles im Zehnten Buch der Nikomachischen Ethik sagt, ist der Mensch nur Intellekt (X 7, 1178a 2-7).
    [4] Dieser Intellekt wird aber, nach dem Zeugnis des genannten Averroes [...] durch die Philosophie vervollständigt. [...] Ihm stimmt Seneca zu, wenn er sagt: "Ohne Bildung" zu leben, "ist Tod und ein Begräbnis des lebenden Menschen" (Seneca, Brief 82, 3).