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Philosophische Zitate aus Antike und Mittelalter

Thema: Judentum und Islam

132 Zitate zu diesem Thema im Zitatenschatz:

  • Yūsuf al-Baṣīr : Das Buch der Unterscheidung I 2, § 1

    Der jüdische Denker Yūsuf al-Baṣīr (9. Jhdt.), begründet, im Einklang auch mit vielen Muslimen, ein rationales Vorgehen auch bei Anerkennung prophetischer Verkündigung
    Die Zustimmung zu dem, was die Propheten – der Friede sei mit ihnen – verkündigten, darf nicht zurückgewiesen werden. Deshalb ist die Untersuchung (naẓar) ihrer Wunderzeichen notwendig. Der Charakter, den das Wunderzeichen als ein Hinweis auf Wissen besitzt, ist sein Herabkommen von [Gott] dem Weisen, dessen Absicht es ist, durch dieses Geschehen [den Propheten] zu beglaubigen. [...] Es wäre aber absurd, wenn wir die Bekräftigung hiervon auf den Anspruch des Propheten selbst zurückführen würden, denn das Wissen über seine Richtigkeit hängt ab vom Wissen (ʿilm) über die bestätigende Weisheit [Gottes].
  • Averroes : Die entscheidende Abhandlung S. 9 Butterworth; S. 18f. Schupp

    Der Philosoph und Religionsgelehrte Ibn Rušd (Averroes, 1126-1198) vertritt die sachliche Einigkeit von Philosophie und Religion
    Das Wahre steht nicht im Gegensatz zum Wahren, sondern es stimmt damit überein und bezeugt es.
  • Al-Fārābī : Buch der Buchstaben § 108. 110; S. 131, 4-9; 132, 7f

    Al-Fārābī über das Verhältnis von Philosophie und Religion
    Weil durch das Verfahren der apodeiktischen Beweise etwas erst im Anschluss an die Topik (ǧadal) und die sophistischen Schlüsse gewusst wird, ist es nötig dass diese Fähigkeiten, beziehungsweise die auf Meinung beruhende und die verfälschte Philosophie, der methodisch abgesicherten Philosophie (al-falsafa al-yaqīnīya), d.h. der apodeiktisch beweisenden (al-burhānīya), zeitlich vorangehen. Nun folgt die Religion (milla), wenn sie als menschliche verstanden wird, der Philosophie nach, sowohl zeitlich als auch überhaupt, weil sie nur zur Belehrung der großen Menge über die theoretischen und praktischen Dinge dient, welche die Philosophie erforscht, und zwar derart, dass den Menschen das Verständnis hiervon entweder durch Überredung (iqnāʻ) oder durch das Hervorrufen vorgestellter Bilder (taḥyīl) oder durch beides zugleich erreicht. [...] Die Philosophie geht insgesamt der Religion auf dieselbe Weise voran, wie in der Zeit der Benutzer des Werkzeugs dem Werkzeug vorangeht.
  • Philon von Alexandrien: Die Herstellung der Welt Mose zufolge (De opificio mundi secundum Moysem) 1-3

    Philon von Alexandrien (gest. ca. 40 n. Chr.) sieht die Ordnung der Welt in der Philosophie des Mose dargestellt
    Manche Gesetzgeber haben das, was ihnen als gerecht galt, in ungeschminkter und einfacher Form angeordnet; andere haben ihre Ideen in ein schwülstiges Gewand gekleidet und die Volksmassen geblendet, indem sie mit mythischen Erdichtungen die Wahrheit verhüllten. Moses aber hat beides vermieden, das eine, weil es unbedacht, bequem und unphilosophisch ist, das andere, weil es voll Lug und Trug ist. Er hat vielmehr seinen Gesetzen einen sehr schönen und erhabenen Anfang gegeben [...], da er die Weltherstellung schildert, um gleichsam anzudeuten, dass sowohl die Welt mit dem Gesetz als auch das Gesetz mit der Welt im Einklang steht und dass der gesetzestreue Mann ohne weiteres ein Weltbürger ist, da er seine Handlungen nach dem Gesetz der Natur ordnet, nach dem auch die ganze Welt gelenkt wird.
  • Philon von Alexandrien: Die Herstellung der Welt Mose zufolge (De opificio mundi secundum Moysem) 7-9

    Philon von Alexandrien über den Schöpfer als erste Ursache
    Es haben nämlich manche, weil sie die Welt mehr als den Welthersteller bewunderten, jene für ungeworden und ewig erklärt, Gott aber dichteten sie in unwürdiger Weise große Untätigkeit an. [...] Moses aber, der bis zum höchsten Gipfelpunkt der Philosophie vorgedrungen und durch Orakel über die meisten und wichtigsten Ursachen der Natur belehrt worden ist, erkannte sehr wohl, dass unter dem Seienden eines die wirkende Ursache, das andere aber passiv sein muss, und dass jenes Wirkende der ganz reine und lautere Geist des Ganzen ist, der besser ist als Tugend, besser als Wissen, besser als das Gute an sich und das Schöne an sich, dass das Leidende dagegen aus sich heraus unbeseelt und unbeweglich ist, sich aber, nachdem es vom Geist bewegt, gestaltet und beseelt wurde in das vollendetste Werk verwandelte, in diese Welt.
  • Philon von Alexandrien: Die Herstellung der Welt Mose zufolge (De opificio mundi secundum Moysem) 16, 20

    Laut Philon richtet sich Gott bei der Schöpfung nach einem ewigen Urbild
    Da Gott nämlich, weil er Gott ist, von vornherein erkannte, dass ein schönes Abbild niemals ohne ein schönes Vorbild entstehen kann und dass keines von den sinnlich wahrnehmbaren Dingen tadellos sein würde, das nicht einem Urbild und einer geistigen Idee nachgebildet wäre, bildete er, als er diese sichtbare Welt schaffen wollte, vorher die geistige, um dann mit Benutzung eines unkörperlichen und gottähnlichen Vorbildes die körperliche herzustellen [...], die ebenso viele sinnlich wahrnehmbare Arten enthalten sollte, wie in jener gedacht vorhanden waren. [...] Gleichwie nun die in einem Baumeister zuvor entworfene Stadt nicht außerhalb einen Platz hatte, sondern nur der Seele des Handwerkes eingeprägt war, ebenso hat auch die aus den Ideen bestehende Welt keinen andern Ort als den göttlichen Logos, der alles geordnet hat.
  • Philon von Alexandrien: Die Herstellung der Welt Mose zufolge (De opificio mundi secundum Moysem) 21

    Auch für Philon veranlasste Gottes Güte ihn zur Herstellung der Welt
    Eine Kraft [von ihm] ist auch die weltschöpferische, die als Quelle das wahrhaft Gute hat. Denn wenn jemand die Ursache erforschen will, warum eigentlich dieses All geschaffen wurde, so scheint mir das Ziel nicht zu verfehlen, wer sagt – wie es auch schon einer der Alten getan hat –, dass der Vater und Schöpfer gut ist. Deshalb hat er seine vollkommene Natur nicht dem Sein vorenthalten, das aus sich selbst nichts Schönes ist, aber alles werden kann.
  • Agathias : Historien (Agathias) (Historiae) II 30, 3f.; 31, 1f.

    Der Historiker Agathias (6. Jahrhundert) berichtet, wie die letzten Athener Philosophen nach Persien zogen (offensichtlich nach Schließung ihrer Schule im Jahre 529)
    a) Damaskios der Syrer, Simplikios der Kilikier, Eulamios der Phrager, Priskian der Lyder, Hermeias und Diogenes aus Phoenizien und Isidor aus Gaza, alle von ihnen die höchste Blüte [...] der in unserer Zeit Philosophierenden – weil ihnen die bei den Römern [= Byzantinern] überwiegend herrschende Meinung [= das Christentum] nicht gefiel und sie glaubten, dass das persische Staatswesen viel besser sei, hierin durch das von den vielen Besungene überzeugt, dass die Herrschaft bei jenen höchst gerecht und so sei, wie die Aussage Platons es möchte, indem Philosophie und Königsherrschaft zusammen kämen [...] – brachen sofort auf und zogen in fremde und unvermischte Gebiete, um dort fürderhin zu leben. [...]
    b) Weil sie aber, als sie mit dem König [Kosrau] sprachen, in ihrer Hoffnung enttäuscht wurden, weil sie einen Mann vorfanden, sich wie ein Philosophierender gebärdete, aber nichts von dem Erhabeneren wusste, weil er nicht einmal ihrer Meinung war, sondern wieder anderes glaubte, zogen sie, weil sie die Verruchtheit der Vermischungen nicht ertrugen so schnell wie möglich zurück. Gleichwohl liebte sie dieser und forderte sie zum Bleiben auf, sie aber glaubten, es sei besser für sie, nachdem sie nur das römische Gebiet betreten hätten, wenn es sich ergeben sollte, sogar zu sterben, als bei den Persern bleibend die höchsten Geschenke zu erhalten.
  • Priskianos Lydos : Lösungen für Chosroes (Solutiones ad Chosroem ) 41, 1-9; 42, 25-43, 8; 52, 25-53, 2; 63, 24-27

    Die Fragen des Königs Kosrau an den Philosophen Priskian von Lydien
    a) Lösungen des Philosophen Priskian von demjenigen, worüber Kosrau, der König der Perser, fragte. Weil viele und unterschiedliche Sätze infrage stehen [...], ist es notwendig, auf ähnliche Weise einzeln abtrennend, den Fragen in geeigneter Weise Lösungen gegenüberzustellen und für sie [...], soweit es möglich ist, die exzerpierten Bücher der Alten heranzuziehen. [...]
    b) Erstens: Was ist die Natur der Seele, und gibt es in allen Körpern ein und dieselbe oder besteht ein Unterschied? [...] Man muss aber auch wissen, aus welcher Ursache die Unterschiedlichkeit einer Seele stammt. Wenn nämlich der Körper die Seele verwandelt und hierdurch jede Seele sich von der anderen unterscheidet, da scheint es so, dass der Körper die Seele beherrscht. Wenn aber die Seele den Körper verwandelt und die Unterschiedlichkeit der Form aus genau dieser Ursache stammt, da ist es offenbar klar, dass die Seele den Körper beherrscht. [...] Da dies vorliegt, muss man zuerst über die Seele Untersuchungen anstellen. [...] Das zweite Kapitel des Gefragten behandelt den Schlaf und seine Natur [...]: Was ist der Schlaf und von welcher Natur? Und was ist schlafen und was wach sein? [...] Aber auch dies ist zu bedenken: Warum gibt es in jeder Klimazone vier Veränderungen des Sonnenjahrs, Frühling, Sommer, Herbst und Winter? [...].
  • Paul der Perser : Abhandlung über die Logik des Philosophen Aristoteles (Tractatus de opere logico Aristotelis philosophi) 1, 3f.; 9f.; 2, 9-23-3, 3

    Paul der Perser (6. Jhdt.) widmet Kosrau III. eine Einführung in die aristotelische Logik
    [1] „Glückseliger Kosrau, König der Könige, Bester unter den Menschen, Dich grüßt Dein Diener Paul. Die Philosophie (filosofūṯā), das wahre Wissen von allem, ist in Euch, und aus ihr, aus der Philosophie, die in Euch ist, sende ich Euch ein Geschenk. [...] Diese ist besser als alle anderen Geschenke. [...]
    [2] Es zeigt sich aber, dass die Menschen sich gegenseitig bekämpfen und ein jeder dem anderen widerspricht. Denn die einen unter ihnen sagen, es gebe nur einen Gott, andere aber, er sei nicht einzig. [...]. sagen, die Menschen seien frei in ihrem Wollen, die anderen widersprechen dem. Noch vieles dieser Art bringen sie vor und geben ihm Platz in ihren Überlieferungen, aus denen hervorgeht, dass sie einander widersprechen. [...]
    [3] Und hierüber [...] ist es für uns nicht leicht, ja sogar nicht möglich, dass wir eines bevorzugen und das andere verlassen, das eine wählen und das andere zurückweisen. [...] Deswegen wird der Gegenstand dieser Dogmen im Hinblick auf den Glauben und im Hinblick auf das Wissen (īḏaʿtā) untersucht. [...] Der eine ist nun an den Zweifel (pulāǥā) gebunden, das andere ist ohne Zweifel. Jeder Zweifel schafft Spaltung, Abwesenheit des Zweifels aber Einheit. Demnach ist das Wissen als der Glaube und eher zu wählen als dieser.
  • Ammonios Hermeiou: Kommentar zur Eisagoge des Porphyrios (In Isagogen commentarium) Prolegomena, p. 3, 8f.; 11, 6-22

    Ammonios, Sohn des Hermias, ein platonischer Philosophieprofessor in Alexandrien (ca. 435-517), begründet die Zweiteilung der Philosophie
    ,Die Philosophie ist ein Ähnlichwerden mit Gott gemäß dem dem Menschen möglichen‘. So hat es nämlich Platon definiert (Theaitet 176b). [...] Nun wird die Philosophie in die theoretische und die praktische eingeteilt. Es ist aber wert zu fragen, aus welchem Grund. [...] Weil wir gesagt haben, die Philosophie sei ein Ähnlichwerden mit Gott, weil Gott aber zweierlei Kräfte hat, die einen alles Seiende erkennenden, die anderen für uns niedriger Stehende Vorsehung treffenden, wird die Philosophie zu Recht in die theoretische und die praktische eingeteilt. [...] Unsere Seele hat ebenfalls zweierlei Kräfte, zum einen erkennende wie Verstand, Denken, Meinen, Vorstellen und sinnlich wahrnehmen, zum anderen lebendige und strebende wie Wollen, Zornmut und Begehren. Der Philosoph nun will alle Teile der Seele schmücken und zur Vollendung führen: Durch das Theoretische wird das Erkennende in uns vollendet, durch das Praktische das Lebendige.
  • Sergios von Rēšʿaynā : Kommentar an Theodoros zu Aristoteles’ Kategorien I 2f.; Mingana syr. 606, f. 53v-54r = p. 191

    Sergios von Rēšʿaynā (gest. 536), ein Schüler des Ammonios und syrischer Aristoteles-Adaptor erklärt auf Syrisch, was Philosophie ist
    Die Philosophie ist eine Ähnlichkeit zu Gott (dumyā ḏ-allāhā). [...] Und weiter sagen [die Philosophen]: Weil die rationale Seele die Mutter der Wissensformen und auch selbst in zwei Teile geteilt ist, deswegen teilte sich auch die Philosophie, die ihrerseits das Wissen von allem ist, in zwei Teile. [...] Sie sagen nämlich, dass zu diesen Erkenntniskräfte gehören, so wie Verstand, Denken und Meinen, und zu ihnen Lebenskräfte gehören, so wie Begehren, Zornmut und Wollen. Weil also die Philosophie die gesamte Seele reinigt, sagen sie zutreffend, dass auch sie in zwei Teile geteilt ist. Denn durch ihren ersten und theoretischen Teil [S. 342] reinigt sie die Erkenntniskräfte, so dass sie nicht etwas für ein anderes erkennen (= halten) , sondern die Wahrheit und die Bestimmtheit der Dinge erkennen. Durch den anderen, den praktischen Teil wiederum reinigt sie die Lebenskräfte und bereitet sie vor, dass ihre Lebensführung hierin nicht in unnützen Dingen besteht, sondern dass ihre Bewegungen richtig und trefflich erfolgen.
  • Barḥaḏbǝšabbā von Ḥalwān : Ursache der Gründung von Schulen (Causa fundationis scholarum) p. 341, 3-342, 7

    Barḥaḏbšabbā (um 600), ein Lehrer an der christlichen Schule von Nisibis im Perserreich, erklärt die Fähigkeiten unserer Seele
    Diese rationale und erleuchtete Intelligenz ist eine Ähnlichkeit zu Gott ihrem Schöpfer. [...] Im Hinblick darauf, dass unsere Rede auf diese Intelligenz zielt, die in uns ist, wollen wir sehen, wie sie in uns ist, und welches ihre Wohnstätte ist. [...] Es ist dann folglich ihre Ursache und ihr Fundament die Seele, welche in uns gebunden ist. Das, was an Erkenntniskräften (an) ihr ist, sind drei: Verstand, Denken und Meinen. Aus diesen gehen drei andere hervor, und zwar Begehren, Zornmut und Wollen. Die Intelligenz aber steht oberhalb von ihnen allen, wie der weise Wagenlenker, der geschickte Steuermann, der in die Ferne schaut, und sein Schiff, das diese Schätze trägt, fernhält von den Felsen des Irrtums und von den Nebeln der Unkenntnis, indem der erste und theoretische Teil [S. 342] die Erkenntniskräfte reinigt, so dass sie nicht etwas für ein anderes erkennen (= halten) , sondern die Wahrheit und die Bestimmtheit der Dinge erkennen. Durch den anderen, den praktischen Teil wiederum reinigt sie die Lebenskräfte und bereitet sie vor, dass ihre Lebensführung hierin nicht in unnützen Dingen besteht, sondern dass ihre Bewegungen richtig und trefflich erfolgen.
  • Barḥaḏbǝšabbā von Ḥalwān : Ursache der Gründung von Schulen (Causa fundationis scholarum) p. 378, 9-379, 11

    Barḥaḏbšabbā stellt die Bedeutung des christlichen Kirchenvaters Theodor von Mopsuestia heraus, des Begründers der in Nisibis gelehrten Tradition der Kirche des Ostens
    a) Denn bis zu der Zeit, zu der die Gnade diesen Mann zum Existieren und Wohnen unter den Menschen gebracht hatte, waren alle Teile der Lehre, der Erklärungen und der Traditionen der Heiligen Schriften, gleich den verschiedenen Arten, aus denen das Bildnis des Königs der Könige gemacht ist, verteilt und verstreut an jedem Ort, konfus und ungeordnet bei sämtlichen früheren Schriftstellern und katholischen Vätern der Kirche. Nachdem dieser Mensch das Gute vom Bösen unterschieden und sämtliche Schriften und Überlieferungen der Alten durchforscht hatte, da sammelte er, nach Art eines geschickten Arztes, sämtliche [S. 379] Traditionen und Aphorismen, die zerstreut waren, zu einer einzigen Vollkommenheit, setzte sie dem Handwerk und dem Intellekt gemäß zusammen und fertigte aus ihnen ein vollkommenes Heilmittel an Lehre, vollkommen in Tugenden – dasjenige, das die schweren Krankheiten des Nicht-Wissens ausreißt und entfernt von den Meinungen derer, die sich ernsthaft mit seinen Schriften befassen. Denn obwohl es Krankheiten und Leiden in unserem Körper gibt, so gibt es doch unter allen Leiden keines, das böser und bitterer ist für die Seelen der Menschen, als die Krankheit des Nichtwissens.
    b) Und ebenso wie diejenigen, die eine Statue herstellen, jedes einzelne Glied der Gestalt für sich herstellen, sodann eines nach dem anderen zusammen-setzen, wie es die Ordnung des Handwerks erfordert, und eine vollkommene Statue machen, so kombinierte auch der selige Theodor, ordnete und passte ein, und setzte jedes einzelne Glied dieser Lehre in die Ordnung, welche die Wahrheit erfordert, und erstellte aus ihnen durch alle seine Schriften eine vollkommene und wunderbare Gestalt von diesem Wesen, das Herr der Güter ist.
  • Barḥaḏbǝšabbā von Ḥalwān : Ursache der Gründung von Schulen (Causa fundationis scholarum) p. 371, l. 7-10

    Barḥaḏbǝšabbā von Ḥalwān (um 590) erklärt die Leistung Jesu Christi (Antike Philosophie II)<br /> Barḥaḏbšabbā nennt den wahren Vollender der Philosophie (Judentum und Islam)
    Er [Jesus] setzte tragfähige Definitionen der Philosophie (filosofūṯā); so erweckte er die Weisheit, die tot war, belebte die Gottesfurcht, die nichtig war, und zeigte die Wahrheit, die verlorengegangen war: alle Arten von Wissenschaften, gleichsam als unterschiedliche Glieder einer Statue, entwarf und begründete er kurzgefasst in den Ohren der Gläubigen.
  • Ibn Abī ʿUṣaibiʾa: Geschichte der Medizin S. 558f. [= Bd. 2, S. 134f. Müller]

    Al-Fārābī über den Weg der Philosophie von der griechischen Spätantike in die islamischen Länder
    [1] Und so lief die Sache [der Philosophie], bis das Christentum kam, und dann verschwand die Lehre aus Rom und blieb in Alexandrien bestehen [...]. Und die Bischöfe [...] meinten, dass aus den Büchern der Logik bis zum Ende der assertorischen Syllogismen (Analytica priora I 7) gelehrt werden soll [...]. Und der offizielle Umfang der Lehre blieb dieser, und was man von dem Rest untersuchte, war privat, bis nach langer Zeit der Islam kam.
    [2] Da wurde der Unterricht aus Alexandrien nach Antiochien überführt und blieb dort eine lange Zeit, bis ein einziger Lehrer übrigblieb. Von ihm lernten zwei Männer und zogen fort, wobei sie die Bücher mitnahmen. Der eine von ihnen stammte aus Harran und der andere aus Marw. Von dem aus Marw lernten zwei Männer, der eine war Ibrāhīm al-Marwazī, der andere war Yūḥannā ibn Hailān. [...] Und Ibrāhīm al-Marwazī begab sich nach Bagdad. [...].
    [3] Abū Naṣr al-Fārābī berichtet von sich selbst, dass er bei Yūḥannā ibn Ḥailān bis zum Ende des Buches vom Beweis (kitāb al-burhān = Analytica posteriora) lernte.
  • Al-Ğāḥiz : Widerlegung der Christen (Ar-radd ʿalā an-naṣārī) 314f.

    Die Unterscheidung von zeitgenössischen und antiken Griechen nach dem Literaten al-Ğāḥiz (776-869)
    Wenn doch das einfache Volk wüsste, dass die Christen und Byzantiner keine Weisheit und keine Erklärung und keinerlei herausragende Einsicht haben [...], wegen ihrer Abkehr von den Begriffen der Gebildeten und der Erleuchtung durch die Überzeugungen der Philosophen und Weisen! Denn das Buch der Logik und Über Werden und Vergehen und die Meteorologie und die übrigen sind von Aristoteles, und er ist weder ein Byzantiner noch ein Christ. Und das Buch Almagest ist von Ptolemaios, und er ist weder ein Byzantiner noch ein Christ. Und das Buch Euklids ist von Euklid, und er ist weder ein Byzantiner noch ein Christ. Und das Buch der Medizin ist von Galen, und er ist weder ein Byzantiner noch ein Christ. Und ebenso steht es mit den Büchern von Demokrit, Hippokrates und Platon, und von vielen anderen. Und diese Leute sind gewiss aus ihrem Volk verschwunden, und es blieben nur Spuren ihrer Gedanken.
  • Ḥunain ibn Iṣḥāq: Über die seines Wissens übersetzten Bücher Galens und einige der nicht Prooemium; Arab. 2, 14-3, 2; dt. S. 2

    Ḥunain ibn Iṣḥāq, der bedeutendste griechisch-arabische Übersetzer (gest. 873), über das Interesse der Araber an Büchern
    Wir und die übrigen [...] Leser von Büchern auf Syrisch und Arabisch haben das Bedürfnis zu erfahren, welche von jenen Büchern in die syrische und arabische Sprache übersetzt sind und welche nicht übersetzt sind, [...] von welchen von diesen Büchern, so weit sie bis zu diesem Zeitpunkte noch nicht übersetzt sind, eine Handschrift auf Griechisch vorhanden ist, und von welchen von ihnen keine Handschrift vorhanden ist oder nur ein Stück. Denn dies ist etwas, was man braucht, um sich um die Übersetzung der Bücher, die vorhanden sind, zu bemühen, und um die zu suchen, die nicht vorhanden sind.
  • Ḥunain ibn Iṣḥāq: Über die seines Wissens übersetzten Bücher Galens und einige der nicht nr. 115; Arab. 47, 12-17; dt. 38

    Ḥunain ibn Iṣḥāq berichtet über seine Suche nach einem Werk Galens
    Bis zu diesem Zeitpunkt ist keinem von unseren Zeitgenossen eine vollständige Handschrift von Galens Buch „Über den Beweis“ (kitāb al-burhān) auf Griechisch in die Hände gekommen. [...] Ich habe [...], um es zu suchen, die Länder von ganz Mesopotamien und Syrien, Palästina und Ägypten bereist, bis ich nach Alexandrien gelangte, habe aber nichts davon gefunden, außer in Damaskus ungefähr die Hälfte davon, jedoch nicht aufeinanderfolgende und unvollständige Teile.
  • Ibn an-Nadīm : Fihrist S. 251, 25-28

    Ibn an-Nadīm informiert in seinem Werk al-Fihrist über die auf Arabisch erhältlichen Versionen von Aristotelesʼ Metaphysik
    Das Buch der Buchstaben (kitāb al-ẖurūf). Es informiert über das Göttliche Fragen (al-Ilahīyāt). Die Anordnung dieses Buches folgt der Anordnung der Buchstaben der Griechen, deren erster das kleine Alpha (al-alif aṣ-ṣuġrā = ἀλφά ἔλαττον [Aristoteles, Metaphysik, Buch II nach griechischer Überlieferung]) ist, den Isḥāq übersetzte. Alles, was es davon gibt, geht bis zum Buchstaben my. Diesen Buchstaben übersetzte Abū Zakarīyāʾ Yaḥyā ibn ʿAdī. Ferner liegt der Buchstabe Ny auf Griechisch vor, mit dem Kommentar des Alexander [von Aphrodisias]. Diese Buchstaben übersetzte ferner Ustāṯ für al-Kindī; und von ihm gibt es eine Nachricht hierüber. Ferner übersetzte Abū Bišr Mattā das Buch Lam mit dem Kommentar des Alexander […] ins Arabische. Ḥunain ibn Isḥāq übersetzte dieses Buch ins Syrische. Ferner kommentierte Themistios das Buch Lam, und Abū Bišr Mattā übersetzte es mit dem Kommentar des Themistios. Vorher hatte es Šamlī übersetzt. Isḥāq ibn Ḥunain übersetzte mehrere Bücher.
  • Bibel: Jüdisches / Altes Testament: Buch vom reinen Guten (Liber de causis) § 8 [lat. 9]

    Der Liber de causis (9. Jhdt.; im 12. Jhdt. lateinische Übersetzung) über die erste Ursache und ihre Wirkungen
    a) [1] Jeder Intellekt hat seine Dauerhaftigkeit und seinen Bestand durch das reine Gute (al-ḥair al-maḥṣ); dieses ist die erste Ursache (al-ʿilla al-ūlā).
    Die Kraft des Intellekts ist von stärkerer Einheit als die sekundären Dinge [...], ja, der Intellekt umfasst alle Dinge.
    [2] Und der Intellekt ist nur so geworden von seiten der ersten Ursache, welche alle Dinge überragt, weil sie die Ursache des Intellekts, der Seele, der Natur und all der anderen Dinge ist. Die erste Ursache ist weder Intellekt noch Seele noch Natur, sondern sie ist über dem Intellekt, der Seele und der Natur, weil sie Urheberin sämtlicher Dinge ist, mit dem Unterschied, dass sie die Urheberin des Intellekts ist ohne irgendwelche Vermittlung, die Urheberin der Seele, der Natur und aller anderen Dinge hingegen durch die Vermittlung des Intellekts. Das göttliche Wissen ferner ist nicht wie das Wissen des Intellekts noch wie das Wissen der Seele, sondern es ist über dem Wissen des Intellekts und dem Wissen der Seele, weil es der Urheber der Wissensformen ist.
    [3] Die göttliche Kraft ist über jeder Intelligenz-, jeder Seelen und jeder Naturkraft, weil sie die Ursache jeder Kraft ist. Der Intellekt besitzt Schmuck (ḥilya), weil er Dasein (annīya) und Form ist; und ebenso hat auch die Seele Schmuck und die Natur Schmuck. Aber die erste Ursache hat keinen Schmuck, weil sie nur Dasein hat. [4] Und wenn jemand sagt, sie müsse notwendig Schmuck haben, so erwidern wir: Ihr Schmuck ist ihre Unendlichkeit und ihr eigentümliches Wesen ist das reine Gute, welches alles Gute auf den Intellekt und durch die Vermittlung des Intellekts auf alle anderen Dinge ausströmen lässt (mufīḍ).
  • Ibn Abī ʿUṣaibiʾa: Geschichte der Medizin S. 558f

    Al-Fārābī gibt offensichtlich eine verlorene griechische Quelle über die Entstehung des Corpus Aristotelicum wieder
    a) [1] Die Sache der Philosophie war in den Tagen der hellenischen Könige nach dem Tod des Aristoteles in Alexandrien bis zu den letzten Tagen der Frau [= Kleopatra] verbreitet. Und als er starb, ging die Lehre in dieser Weise während der Regierung von 13 Königen durch weiter, und es folgten während der Dauer ihrer Regierung zwölf Lehrer der Philosophie aufeinander, von denen der letzte als Andronikos bekannt war.
    [2] Und der letzte dieser Könige war die Frau, und sie besiegte der König Augustus aus dem Volk der Römer und tötete sie und bemächtigte sich der Herrschaft.
    b) [3] Und als sie für ihn gesichert war, richtete er die Aufmerksamkeit auf die Bibliotheken und die Produktion von Büchern. Und er fand Kopien der Bücher des Aristoteles, die in dessen Tagen und denen des Theophrast kopiert worden war. Und er fand Lehrer und Philosophen, die Bücher über die Themen erarbeitet hatten, über die auch Aristoteles gearbeitet hatte. Und er befahl, dass die Bücher, die in den Tagen des Aristoteles und seiner Schüler kopiert worden waren, kopiert werden sollten und dass auf ihrer Basis Lehre stattfinden solle und dass sie vom Rest getrennt werden sollten. Und er befahl Andronikos die Anordnung (tadbīr = σύνταξις ?) hiervon. Und er befahl ihm, Kopien zu erstellen, die er mit sich nach Rom nehmen solle, sowie Kopien, die er am Ort der Lehre in Alexandrien lassen solle. Und er befahl ihm, dass er einen Gelehrten als Vertreter einsetzen solle, um seine Stelle in Alexandrien einzunehmen, und selbst mit ihm nach Rom fahren solle. Und die Lehre erfolgte an beiden Orten.
  • Yūsuf al-Baṣīr : Das Buch der Unterscheidung Prolog §2 u. 4

    Die Notwendigkeit von Theologie – eine Position aus der jüdischen Muʿtazila
    [Gott] hat unseren Verständen eingepflanzt und verpflichtend gemacht, die Tatsachen zu untersuchen, welche auf sein Bestehen hinweisen und zu dem Wissen über sein Wesen führen. [...] Wer die Untersuchung unterlässt, weil es ihm schwierig erscheint, der verharrt in Untätigkeit, und wer sich damit zufriedengibt, der versündigt sich an seiner Seele.
  • Moses Maimonides: Wegweiser für die Verwirrten (Dux neutrorum sive perplexorum) I 71, § 46 u. 50, S. 180

    Der Jude Moses Maimonides weist auf die historischen Ursprünge des Kalām, d.h. der rationalen Theologie seit frühislamischer Zeit, hin
    Was diese geringe Kleinigkeit anbelangt, die du von Seiten des Kalām zum Thema der Einheit [Gottes] (tawḥīd) und dem, was damit zusammenhängt, bei einigen Geonim und Karäern findest, so übernahmen sie diese Dinge von den Mutakallimūn aus dem Islam. [...] Des Weiteren sollst du wissen: Alles, was die Richtungen des Islam – wozu die Muʿtaziliten und die Ašʿāriten gehören – zu diesen Themen gesagt haben, sind Meinungen, die auf bestimmten Prämissen beruhen. Diese Prämissen sind den Büchern der [christlichen] Griechen und Syrer entnommen, die einen Widerspruch zu den Meinungen der Philosophen aufbrachten und deren Aussagen entkräfteten.
  • Yūsuf al-Baṣīr : Das Buch der Unterscheidung I 2, § 3f.

    Das Programm der Muʿtaziliten
    Gott der Erhabene ist nicht sichtbar. Somit ist der Weg, Ihn zu erkennen, Sein Handeln, im Vergleich zu welchem es uns unmöglich ist, etwas ähnliches wie er zu erzeugen, zum Beispiel Körper und dergleichen mehr. Es ist zwingend, dass wir zuerst das Neuentstanden-Sein (ḥudūṯ) dieser Dinge erkennen und danach deren Abhängigkeit von einem weisen Neuerschaffer (muḥdiṯ) erweisen.
  • Yūsuf al-Baṣīr : Das Buch der Unterscheidung I 1, § 1-3. 5-6

    Einige muʿtazilitische Definitionen von Grundbegriffen
    Die Definition eines Begriffes und sein Wesen (ḥaqīqa) beziehen sich auf dasselbe. Somit lautet die Definition von ,Ding‘ (šayy): ,das, was man wissen kann und worüber man etwas aussagen kann‘. Es macht also keinen Unterschied, ob wir sagen ,Ding‘ oder ,Gewusstes‘. In der Sprache der Mutakallimūn lautet dies ,an-sich‘ (ḏāt). [...] Das ,Ding‘ teilt sich in das ,existierende‘ (mawǧūd) und das ,nicht existierende‘ (maʿdūm). [...] Und das ,Existierende‘ teilt sich in die zwei Teile ,ewig‘ und ,neu entstanden‘ (muḥdaṯ). Das Ewige ist das, dessen Existenz keinen Anfang hat, das Neu-Entstandene hingegen dasjenige, dessen Existenz einen Anfang hat. [...] Das ,Neu-Entstandene‘ unterteilt sich in Atome (ǧawhar) und Akzidenzien. [...] Wo immer sich ein Atom befindet, besetzt es eine Position im Raum.
  • Yūsuf al-Baṣīr : Das Buch der Unterscheidung I 8, § 1. 3b

    Elemente eines muʿtazilitischen Gottesbeweises
    [1] „Über das Bestehen des Neu-Machers. Der Beweis hierfür beruht auf vier Grundsätzen, wovon einer lautet: Es gibt Neu-Entstandenes. Der zweite von ihnen lautet: Dies benötigt uns für seine Neu-Entstehung. Der dritte von ihnen lautet: Die Ursache dafür, dass es uns benötigt, ist sein Sein als Neu-Entstandenes. Der vierte von ihnen lautet: Der Körper hat mit diesen das Neu-Entstandensein gemeinsam, folglich muss er mit ihnen auch das Benötigen eines Herstellers gemeinsam haben. [...]
    [2] Der Unterschied zwischen unserem Aufstehen und der Größe unseres Körpers ist zwingend bekannt. Denn wenn wir nicht aufstehen wollen, dann bleibt das Sitzen bestehen, vorbehaltlich normaler Bedingungen. Anders hingegen bei etwas, das wir zwingend vorfinden, wie etwa die Farbe oder die Körpergröße.
  • Yūsuf al-Baṣīr : Das Buch der Unterscheidung I 20, § 5

    Ein muʿtazilitischer Beweis für die Einzigkeit Gottes
    Würde es neben Gott einen zweiten geben, dann müssten dessen Attribute mit Seinen Attributen identisch sein, und zwar deshalb, weil diese auf ihn selbst zurückzuführen sind und nicht auf eine Ursache. Denn der [göttliche] Wille [...] ist nicht etwa bei einer der beiden Gottheiten spezifisch vorhanden und bei der anderen nicht.
  • Ad-Dārimi : Widerlegung der Ğahmiten 61, 15-17

    Der Sunnit ad-Dārimi [gest. 869] kritisiert die Muʿtaziliten bzw. die ihnen nahestehenden Ğahmiten
    Sie sprachen große Worte von Gott und schmähten ihn auf schändliche Weise, ließen ihn dumm sein und beraubten ihn nach und nach der Attribute, mit denen er beschrieben ist. Schließlich nahmen sie ihm auch sein Vorherwissen (al-ʿilm as-sābiq), die Rede, das Gehör, den Blick, jegliche Sache.
  • Al-Ašʿarī : Die dogmatischen Lehren des Islam 594, 4-9

    Al-Ašʿarī (gest. 935), als Begründer der dominanten Richtung der Ašʿariten eine zentrale Figur der Geschichte des Kalām, referiert eine Gegenposition, welche behauptet, der Koran sei geschaffen
    Der Koran ist ein Akzidens auf ,der wohlverwahrten Tafel‘ [vgl. Stunde 2, Nr. 5]; er subsistiert in der Tafel und kann unmöglich aus der Tafel verschwinden. [...] Er ist also auf der Tafel erschaffen. [...] Wenn ihn jemand aufsagt, dann schafft Gott für ihn dieses Aufsagen in diesem Augenblick als eine Erwerbnis des Aussagenden. Also wird der geschaffene [Koran] in diesem Augenblick in einem zweiten Schöpfungsakt geschaffen.
  • Al-Kindī : Die erste Philosophie (Philosophia prima) IV, S. 181-183

    Kindīs Beweis Gottes als des Wahren Einen
    [1] Da Einheit und Vielheit gemeinsam in jedem der sinnlich wahrnehmbaren Dinge bestehen und dem, was den sinnlich wahrnehmbaren Dingen anhaftet, und die Einheit darin insgesamt ein Eindruck ist, der von irgendwo her kommt und akzidentell, nicht der Natur nach vorhanden ist, und die Vielheit notwendigerweise eine Ansammlung von Einheiten ist, so ist es notwendigerweise so, dass es, wenn es keine Einheit gibt, auch überhaupt keine Vielheit gibt. [...]
    [2] Sein zu erhalten besteht genau darin, einem Akt unterzogen zu werden (infiʿāl), so dass existiert, was nicht war. Die Emanation (faiḍ) der Einheit aus dem ersten Wahren Einen (al-wāḥid al-ḥaqq) bedeutet, dass jedes sinnlich wahrnehmbaren Ding [...] Sein erhält, so dass jedes einzelne derartige existiert. [...] Die Ursache des Erhaltens von Sein stammt von dem wahren Einen her, das die Einheit nicht von einem Geber her erhielt, sondern in sich selbst eines ist.
  • Al-Kindī : Die erste Philosophie (Philosophia prima) II, S. 87-91

    Al-Kindīs Argumente für die Neuentstehung der Welt
    [1] Wenn es einen unendlichen Körper gibt und man einen Körper von endlicher Größe von ihm wegnimmt, dann ist der Rest entweder von endlicher Größe oder von unendlicher Größe. - Wenn der Rest von endlicher Größe ist und man ihm den abgespaltenen Teil von endlicher Größe hinzufügt, dann ist der aus beiden Teilen gemeinsam entstandene Körper von endlicher Größe. Das, was aus beiden Teilen entsteht, ist das, was, bevor man etwas von ihm abgespalten hat von unendlicher Größe war. Es wäre daher endlich und unendlich. Das aber ist ein unmöglicher Widerspruch. - Wenn der Rest allerdings von unendlicher Größe ist und wenn man ihn um das ergänzt, was man zuvor von ihm entfernt hat, so ist es entweder größer als es war [...] oder aber gleich groß. Wenn es größer wäre, dann wäre etwas Unendliches größer als etwas Unendliches. [...] Zwei gleich große Dinge sind solche, bei denen die Distanzen zwischen ihren Enden dieselben sind. Sie sind daher endlich. [...]
    [2] Zeit ist eine Quantität, und es ist daher unmöglich, dass es eine in Aktualität unendliche Zeit gibt. Deshalb hat die Zeit einen endlichen Anfang. Auch die Dinge, die zu etwas Endlichem gehören sind notwendigerweise endlich. Alles, was zum Körper gehört, ob Quantität oder Ort oder Bewegung oder Zeit – die durch Bewegung eingeteilt wird – [...] ist auch endlich, da der Körper endlich ist. Der Körper des Universums ist daher endlich, und auch alles, was dazu gehört, ist endlich. Man kann sich nun vorstellen, dass der Körper des Universums fortwährend ergänzt wird, und man kann sich daher etwas Größeres als ihn vorstellen und dann noch etwas Größeres usw. Was die reine Potentialität angeht, sind solche Ergänzungen unendlich. [...] Das Unendliche existiert daher nur in Potentialität. In Aktualität aber, wie wir bereits erklärt haben, ist es unmöglich, dass etwas unendlich ist.
  • Bibel: Jüdisches / Altes Testament: Buch der Sprichwörter 8, 12. 22–27. 30

    Im biblischen Buch der Sprichwörter stellt die Weisheit sich selbst vor
    Ich, die Weisheit (ḥokmah), verweile bei der Gewitztheit. Ich entdecke Erkenntnis und guten Rat. [...]. Der Herr hat mich geschaffen als Anfang seiner Wege [rēšīt darkō; EHÜ: am Anfang], vor seinen Werken in der Urzeit. Vor der Welt [meʿōlam; LXX vor der Ewigkeit; EHÜ: in frühester Zeit] wurde ich gebildet, vor dem Anfang, vor den Ursprüngen der Erde. Als die Urmeere noch nicht waren, wurde ich geboren; als es die Quellen noch nicht gab, die wasserreichen. Ehe die Berge eingesenkt wurden, vor den Hügeln wurde ich geboren. Noch hatte er die Erde nicht gemacht und die Fluren und alle Schollen des Festlands. Als er den Himmel baute, war ich dabei, als er den Erdkreis abmaß über den Wassern, [...] da war ich als geliebtes Kind bei ihm. Ich war seine Freude Tag für Tag und spielte vor ihm allezeit.
  • Al-Kindī : Die erste Philosophie (Philosophia prima) I, S. 59f. 63. 65

    Al-Kindī über die erste Philosophie und ihre Quellen
    „[1] Den ehrenvollsten und erhabensten Rang in der Philosophie hat die erste Philosophie inne. Damit meine ich das Wissen um das erste Wahre (al-ḥaqq al-awwal), dass die Ursache alles Wahren ist. [...]
    [2] Es ist für uns wie auch für frühere herausragende Philosophen, nicht von unserer Sprache, offensichtlich, dass niemand [...] durch die Anstrengung seines eigenen Strebens das Wahre erreicht. [...] Wenn man aber das Wenige, das jeder, der ein wenig Wahres erreicht hat, zusammennimmt, so ergibt dies eine beträchtliche Menge. [...] Wären [unsere Vorgänger] nicht gewesen, so würden uns – trotz intensiver Forschung während unseres ganzen Lebens – die wahren Prinzipien nicht zuteil, die uns zu den Endpunkten des wahrhaft Gesuchten gelangen lassen. [...]
    [3] Wir dürfen uns nicht schämen, das Wahre und seine Erwerbung zu billigen, woher sie auch kommen mögen, auch wenn sie von Menschen, die anders als wir sind, und von fremden Völkern kommen. Es gibt nämlich nichts, was angemessener für denjenigen wäre, der das Wahre sucht, als das Wahre selbst. Das Wahre, wird durch denjenigen, der es ausspricht oder übermittelt, weder herabgesetzt noch geschmälert.
  • Abū Ḥātim ar-Rāzī: Zeichen der Prophetie 3-4

    Abū Zakarīya ar-Rāzī über die angemessenste göttliche Inspiration
    Das Vorzüglichste in der Weisheit des Weisen und der Gnade des Gnädigen ist, dass er seine gesamten Diener mit dem Wissen (maʿrifa) um das Nützliche und Schädliche inspiriert, sowohl jetzt als auch im Kommenden, ohne die einen den anderen vorzuziehen, damit nicht Kampf und Streitigkeit zwischen ihnen herrsche, so dass sie zugrunde gehen. Das wäre achtsamer, als wenn er einige von ihnen zu Imamen der anderen machte, so dass jede Sekte (firqa) ihrem eigenen Imām die Wahrheit zuspräche und den anderen die Falschheit, bis sie sich gegenseitig mit dem Schwerte ins Gesicht schlügen, Elend verbreiteten und durch Feindschaft und Wettstreit zugrunde richteten. Denn viele Menschen gingen auf diese Weise zugrunde, wie wir sehen.
  • Al-Fārābī : Katalog der Wissenschaften Prolog S. 53f.

    Al-Fārābīs Programm einer Aufzählung der Wissenschaften
    Unsere Absicht in diesem Buch ist es, die bekannten Wissenschaften einzeln aufzuzählen, und einen Überblick darüber zu geben, was jede einzelne von ihnen enthält, und über die Teile einer jeden von ihnen, die Teile hat, sowie über das, was in jedem Teil vorliegt. Wir legen dies in fünf Kapiteln vor. Das erste handelt von der Sprachwissenschaft und ihren Teilen. Das zweite handelt von der Wissenschaft der Logik und ihren Teilen. Das dritte Kapitel handelt von den mathematischen Wissenschaften. Dies sind die Arithmetik, die Geometrie, die Optik, die mathematische Astronomie, die Wissenschaft der Musik, die Wissenschaft von den Gewichten und die technische Erfindungswissenschaft. Das vierte Kapitel handelt von der Naturwissenschaft und ihren Teilen sowie von der göttlichen Wissenschaft (ʿilm al-ilāhī) und ihren Teilen. Das fünfte Kapitel handelt von der politischen Wissenschaft, von der Wissenschaft vom [islamischen] Recht (ʿilm al-fiqh) und von der [rationalen] Theologie (ʿilm al-kalām) [...]. Mit diesem Buch kann jemand zwischen den Wissenschaften einen Vergleich anstellen, so dass er weiß, welche von ihnen besser, nützlicher, wirksamer ist und welche geringer an Wert, weniger zuverlässig und weniger wirksam.
  • Al-Fārābī : Katalog der Wissenschaften II S. 67

    Al-Fārābī über die Leistungen und Grundlagen der Logik
    Die Fertigkeit der Logik (ṣināʿat al-mantiq) liefert insgesamt Regeln, deren Kennzeichen es ist, den Intellekt zu richtig zu machen und den Menschen zum Weg der Korrektheit und zum Wahren hin bei all denjenigen Verstandesgegenständen (al-maʿqūlāt) zu führen, bei denen ein Irrtum auftreten kann. [...] Dies ist so, weil es bei den Verstandesgegenständen Dinge gibt, bei denen er sich überhaupt nicht irren kann, und das sind die, deren Erkenntnis und deren Gewissheit (al-yaqīn) der Mensch gleichsam in seiner Seele angeboren vorfindet, wie z.B. dass das Ganze größer ist als seine Teile.
  • Al-Fārābī : Katalog der Wissenschaften II S. 76

    Al-Fārābī über die Bedeutung der Logik für das Verständnis von Sprache
    [Die Logik] stimmt mit der Grammatik darin überein, dass sie Regeln für Ausdrücke liefert, und sie ist von ihr dadurch unterschieden, dass die Wissenschaft der Grammatik (ʿilm an-naḥw) Regeln liefert, die den Ausdrücken eines bestimmten Volkes eigentümlich sind, während die Wissenschaft der Logik allgemeine Regeln liefert, die den Ausdrücken aller Völker gemeinsam sind.
  • Al-Fārābī : Katalog der Wissenschaften II S. 46-50 bzw. 86-89

    Die Teile der Logik nach al-Fārābī ergeben sich, wie schon im antiken Curriculum, aus bestimmten Büchern des Aristoteles
    a) Es ergeben sich also mit Notwendigkeit acht Teile der Logik, von denen jeder sich in einem Buch befindet. Im ersten werden die Regeln der einfachen Vernunftgehalte und der sie bezeichnenden Aussagen behandelt. Und diese stehen in dem Buch, das Arabisch Kategorien und Griechisch Qategorias heißt. Im zweiten werden die Regeln der einfachen Aussagen behandelt [...]. Und diese stehen in dem Buch, das Arabisch Erklärung und Griechisch Peri Hermeneias heißt. Im dritten werden die Ausdrücke behandelt, durch die die den fünf Techniken gemeinsamen Syllogismen entstehen, und diese stehen in dem Buch, das entweder Arabisch Syllogismus oder Griechisch Erste Analytik heißt. Im vierten werden die Regeln behandelt, mit denen die beweisenden Aussagen geprüft werden, sowie die Regeln der Angelegenheiten, durch welche die Philosophie zusammengesetzt wird; und alles, was hierdurch entsteht, dessen Akte sind besser und ausgezeichneter und vollkommener; und dies heißt auf Arabisch Buch des Beweises (kitāb al-burhān) und auf Griechisch Zweite Analytik.
    b) Im fünften werden die Regeln behandelt, durch welche die dialektischen Aussagen geprüft werden, und wie die dialektische Frage und die dialektische Antwort funktioniert; und überhaupt die Regeln, durch welche die Technik der Dialektik zusammengesetzt wird, und durch diese werden ihre Akte besser, vollkommener und nützlicher. Und dies heißt auf Arabisch Buch der dialektischen Plätze und auf Griechisch Topika. Im sechsten werden [...] die Regeln der Dinge angeführt, deren Merkmal ist, von der Wahrheit wegzuführen. [...] Dieses Buch heißt auf Griechisch Sophistika, und der Sinn davon ist „täuschend“. Im siebten stehen die Regeln, durch welche die rhetorischen Aussagen geprüft und entwickelt werden. [...] Dieses Buch heißt auf Griechisch Rītorikā, d.h. Rhetorik. Im achten stehen die Regeln, durch welche die Verse entwickelt werden. [...] Und dieses Buch heißt Griechisch Poetik.
  • Al-Fārābī : Katalog der Wissenschaften IV S. 120f.

    Abū Naṡr al-Fārābī (ca. 870-950) über die Leistungen der Metaphysik
    Die göttliche Wissenschaft wird in drei Teile eingeteilt: Der erste untersucht das Existierende und die Dinge, die ihnen insofern zukommen, als sie existierend sind. Der zweite erforscht die Prinzipien der Beweise (mabādiʾ-l-barāhīn) in den einzelnen theoretischen Wissenschaften (al-ʿulūm an-naẓarīya). [...] Im dritten Teil wird [all] das Existierende erforscht, das weder Körper noch in Körpern ist. [...] Dann beweist sie, dass dieses in seiner Vielheit vom Geringeren zum Vollkommeneren aufsteigt, bis es schließlich am äußersten Ende des Vollkommenen zu dem Vollkommenen gelangt, demgegenüber es nichts Vollkommeneres geben kann. [...] Dann verdeutlicht sie, dass das, was diese Eigenschaften hat, jenes ist, von dem man überzeugt sein muss, dass es Gott (allah) ist. [...] Dann lehrt sie, auf welche Weise alles Existierende von ihm hervorgebracht wurde und auf welche Weise es von ihm die Existenz erhalten hat. Dann erforscht sie die Ordnungen von allem Existierenden und auf welche Weise dieses diese Ordnungen erhalten hat und in welcher Form jedes Einzelne davon würdig ist, auf der Stufe zu stehen, auf der es steht.
  • Al-Fārābī : Buch der Buchstaben § 111. 113; S. 133, 1-4. 14-16; 134, 12-15

    Al-Fārābī über die Philosophie als (geistige) Elite
    [1] Auch entwickelte sich das Verhältnis der Theologie zur Philosophie so, dass es ebenfalls in gewisser Weise ein dienendes [Verhältnis] dieser gegenüber ist, vermittelt durch die Religion. Denn sie [die Theologie] trägt bei und umfasst nur einen Nachweis dessen, was zuerst in der Philosophie durch Beweise nachgewiesen wurde, insofern es durch den Urheber der Meinung (bādī l-rayy [gemeint ist der Religionsstifter]) in der Masse bekannt gemacht wurde. [...]
    [2] Die Elite schlechthin sind folglich die Philosophen schlechthin, und die übrigen, die für Elite gehalten werden, werden nur deswegen dafür gehalten, weil sie eine Ähnlichkeit mit den Philosophen aufweisen. [...] Als Elite gelten also in erster Linie und insbesondere schlechthin die Philosophen, dann die Topiker (al-ǧadalīyūn) und Sophisten; sodann die Gesetzgeber (wāḍiʿū n-nawāmis), sodann die Theologen und Juristen (al-mutakallimūn wa-l-fuqahāʾ). Und unter der Masse und dem einfachen Volk [...] gibt es jemanden, der mit der politischen Herrschaft betraut wurde, ob es nun gerecht war, dass man ihn betraute oder nicht.
  • Al-Fārābī : Die Erlangung des Glücks 1, S. 49

    Al-Fārābī über die Wege zum Glücklichsein, verstanden als die Eudaimonie im aristotelischen Sinne
    Die menschlichen Dinge, durch deren Vorhandensein bei den Völkern und Städten, diesen hierdurch sowohl das niedrigere Glück im ersten Leben als auch das entferntere Glück im jenseitigen Leben zukommt, gehören zu vier Gattungen: die theoretischen Tugenden (al-faḍāʾil an-naẓarīya), die Verstandestugenden, die ethischen Tugenden und die praktischen Fertigkeiten. Die theoretischen Tugenden sind die Wissenschaften, deren letztes Ziel darin liegt, dass sie die existierenden Dinge, und das was zu ihnen gehört, zu Denkobjekten (maʿqūla) machen, da sie nur durch diese mit Gewissheit erkannt werden.
  • Aristoteles: Nikomachische Ethik (Ethica Nicomachea) X 7, 1177a 14-25

    Aristoteles über die theoretische Tugend als Basis der Eudaimonie (Judentum und Islam)<br /> Aristoteles über die Theorie als beste Möglichkeit, glücklich zu werden (Antike Philosophie I)
    Das, von dem man annimmt, dass man seiner Natur nach herrscht, führt und Einsicht in die schönen und göttlichen Dinge hat, mag es etwas Göttliches sein oder das Göttlichste in uns – seine Tätigkeit gemäß der eigentümlichen Tugend wird das vollendete Glück sein. Dass diese Tätigkeit eine theoretische ist, wurde gesagt. [...] Diese Tätigkeit ist nämlich die höchste, wie auch der Geist von dem in uns Befindlichen wie seine Gegenstände von dem Erkennbaren. Sie ist ferner die kontinuierlichste Tätigkeit, da wir eher kontinuierlich betrachten können als irgendeine Handlung verrichten. [...] Unter den Tätigkeiten gemäß einer Tugend ist weiterhin nach übereinstimmender Auffassung die gemäß der Weisheit die lustvollste.
  • Al-Fārābī : Die Prinzipien der Ansichten der Bewohner der vortrefflichen Stadt I, 1. 5

    Al-Fārābī über das erste Seiende als die eine erste Ursache
    Das erste Seiende (al-mawǧūd al-awwal) ist die erste Ursache für die Existenz von allem übrigen Existierenden. [...] Wenn das Erste in seiner Substanz unteilbar ist, so kann seine Existenz, durch die es sich von allem anderen Seienden unterscheidet, nichts anderes sein als das, wodurch es wesentlich (fī-ḏātihi) ist. Daher besteht der Unterschied zu allem anderen in der Einheit in seinem Wesen.
  • Al-Fārābī : Die Prinzipien der Ansichten der Bewohner der vortrefflichen Stadt I, 6

    Al-Fārābī umschreibt das eine erste Seiende als sich selbst denkenden Intellekt
    [1] Wenn aber eine Sache für sein Sein keine Materie braucht, dann ist sie in ihrer Substanz aktueller Intellekt (ʿaql bi-l fiʿl), und das ist der Status des Ersten. [...] Es ist Denkobjekt (maʿqūl), insofern es Intellekt ist, denn das, dessen Proprium Intellekt ist, dies ist das Denkobjekt, dessen Proprium Intellekt ist, und es benötigt, um Denkobjekt sein zu können, kein anderes Wesen außerhalb seiner selbst, das es denkt, sondern es selbst denkt sein Wesen. [...]
    [2] Der Mensch zum Beispiel, ist ein Denkobjekt, und das, was an ihm Denkobjekt ist, ist kein Denkobjekt in Wirklichkeit, sondern Denkobjekt in Möglichkeit, und wird Denkobjekt in Wirklichkeit, nachdem ein Intellekt es gedacht hat. [...] Der Intellekt, mit dem wir denken, ist nun nicht das, was unsere Substanz ausmacht. Das erste Seiende ist aber nicht so, sondern Intellekt, Denkendes und Denkobjekt haben in seinem Fall einen einzigen Gehalt und ein einziges Wesen und eine einzige unteilbare Substanz.
  • Al-Fārābī : Die Prinzipien der Ansichten der Bewohner der vortrefflichen Stadt II, 1. 2

    Al-Fārābī über die kausale Wirkung der ersten Ursache und die Ordnung der Dinge
    [1] Und seine Existenz [Gottes] (wuǧūd) ist aufgrund seines Wesens (ḏāt), und seine Substanz und seine Existenz hängen zusammen, und aus ihm folgt, dass von ihm her etwas anderes als es da ist. [...]
    [2] Es gibt vielerlei Existierendes, und zusätzlich zu seiner Vielheit ist dieses auch unterschiedlich exzellent. Und die Substanz des Ersten ist die Substanz, aus der jede Existenz so ausströmt, wie diese Existenz ist, sei sie nun vollkommen oder mangelhaft. Und seine Substanz ist ebenfalls die Substanz, von der alles Existierende, wenn es von ihr ausströmt, seinen jeweiligen Rang erhält und von der jedem Seienden sein Anteil, der ihm angemessen ist, an Existenz und Rang im Vergleich zum Ersten zukommt.
  • Al-Fārābī : Die Prinzipien der Ansichten der Bewohner der vortrefflichen Stadt XIII, 3. 5

    Al-Fārābī definiert die Loslösung vom Körper und das Intellektwerden als die Eudaimonie
    [3] Die ersten Denkobjekte sind die, die für alle Menschen gelten, und zwar beispielsweise, dass das Ganze größer ist als der Teil. [...]
    [5] Das Vorhandensein der ersten Denkobjekte beim Menschen bildet seine erste Vollkommenheit. Aber diese Denkobjekte sind ihm nur gegeben, damit er sie dazu verwendet, die letzte Vollkommenheit (al-istikmāl al-aḫir), das Glücklichsein (as-saʿāda), zu erreichen. Denn dieses besteht darin, dass die menschliche Seele an Vollkommenheit in ihrer Existenz bis dahin gelangt, wo sie für ihr Fortbestehen keine Materie benötigt – denn sie wird eines der unkörperlichen Dinge und eine der immateriellen Substanzen –, und dass sie für immer fortwährend in diesem Zustand verbleibt, wobei ihr Rang jedoch unter dem Rang des aktiven Intellekts (al-ʿaql al-faʿʿāl) ist.
  • Al-Fārābī : Die Prinzipien der Ansichten der Bewohner der vortrefflichen Stadt XIII, 6

    In neuplatonischer Tradition wird das ethische Verhalten als der Weg zu diesem Glücklichsein bestimmt
    Dieser Zustand kann nur durch bestimmte willentliche Akte erreicht werden, von denen einige gedankliche, andere körperliche Akte sind [...], und zwar weil von den willentlichen Akten manche das Glücklichsein behindern. Das Glücklichsein ist das Gut, das seinem Wesen nach erstrebt wird, und es wird überhaupt nicht und zu keiner Zeit erstrebt, um durch es etwas anderes zu erreichen, und es gibt nichts anderes über dieses hinaus, Größeres als dieses, das der Mensch erreichen könnte.
  • Al-Fārābī : Die Prinzipien der Ansichten der Bewohner der vortrefflichen Stadt XV, 1

    Al-Fārābī über das Entstehen und die Ziele menschlicher Gemeinschaften
    Jeder einzelne Mensch ist so ausgestattet, dass er für sein Fortbestehen und für das Erreichen der größtmöglichen Vollendung (kamāl) verschiedene Dinge benötigt, die er nicht alle allein sich beschaffen kann. [...] Deswegen kann der Mensch die Vollendung, deretwegen ihm seine natürliche Ausstattung gegeben wurde, nur in Zusammenschlüssen einer größeren Menge von einander Unterstützenden erreichen, in der jeder jeden mit etwas für ihn Notwendigem versorgt. [...] Aus diesem Grund haben sich die Menschen vermehrt und haben sich in der bewohnbaren Zone der Erde niedergelassen, so dass hier menschliche Gemeinschaften (al-iǧtimāʿa al-insānīya) entstanden sind, von denen es vollkommene und unvollkommene gibt.
  • Al-Fārābī : Die Prinzipien der Ansichten der Bewohner der vortrefflichen Stadt XV 7. 8

    Al-Fārābī über den vollkommenen Herrscher
    [1] Der Herrscher der vortrefflichen Stadt (al-madīna al-fāḍila) kann nicht irgendein beliebiger Mensch sein, denn Herrschaft setzt zwei Dinge voraus: Das eine von ihnen ist, dass man durch die Veranlagung und die Natur dazu geeignet ist, und das zweite die willentliche Disposition und den Habitus für die Herrschaft, die sich bei jemandem entwickelt, der von Natur aus zu ihr veranlagt ist. [...]
    [2] Dieser Mensch ist ein Mensch, über den überhaupt kein Mensch herrschen kann. Dieser Mensch ist nur ein Mensch, der vervollkommnet wurde und aktuell Intellekt und Denkobjekt geworden ist, dessen Imaginationsvermögen (al-quwwa al-mutaḫayyila) von Natur aus [...] dazu befähigt ist, entweder im Wachen oder im Schlaf vom aktiven Intellekt (al-ʿaql al-faʿʿāl) die Partikularia [...] und auch die Denkobjekte zu empfangen, indem es sie nachahmt. [...]
    [3] In der Tat erwirbt jeder Mensch, dessen passiver Intellekt durch alle Denkobjekte vervollkommnet wurde sowie aktueller Intellekt und aktuelles Denkobjekt geworden ist [...], einen bestimmten aktuellen Intellekt (ʿaql bi-l-fiʿl), dessen Rang ein Rang über dem passiven Intellekt ist, der vollkommener und mehr von der Materie getrennt ist [...]. Er wird ,erworbener Intellekt‘ (ʿaql al-mustafād) genannt.
  • Al-Fārābī : Die Prinzipien der Ansichten der Bewohner der vortrefflichen Stadt XV 9-11

    Al-Fārābī über den vollkommenen Herrscher als Empfänger von Offenbarung
    [1] Dieser Mensch ist der Mensch, dem der aktive Intellekt innewohnt. Geschieht dies in beiden Teilen seines Vernunftvermögens, nämlich im theoretischen und im praktischen, und dann noch in seinem Imaginationsvermögen, dann ist dieser Mensch jemand, dem eine Offenbarung zuteil werden wird (yūḥā ilaihi), und Allah – er ist hoch und erhaben – wird ihm die Offenbarung (yūḥī ilaihi) vermittels des aktiven Intellekts zuteil werden lassen. [...]
    [2] Auf diese Weise [...] wird er ein Weiser, ein Philosoph (ḥakīm failasūf) und von vollkommener Intelligenz, nämlich durch den göttlichen Intellekt in ihm. Und durch die Emanation von diesem zu seinem Imaginationsvermögen wird er zum Propheten (nabīy). [...]
    [3] Dies ist der Herrscher, über den überhaupt kein anderer Mensch herrschen kann, er ist der Imam (al-imām); er ist der erste Herrscher der vortrefflichen Stadt, er ist der Herrscher der vortrefflichen Nation und der Herrscher der bewohnbaren Erde.
  • Al-Fārābī : Die Prinzipien der Ansichten der Bewohner der vortrefflichen Stadt XV 13f.

    Al-Fārābī über die Kriterien bei der Herrscherwahl
    [1] Wenn es so einen Menschen in der vortrefflichen Stadt gibt [...], dann ist er der Herrscher. Wenn es sich aber ergibt, dass zu einem bestimmten Zeitpunkt kein solcher Mensch zu finden ist, dann werden die Gesetze und Regeln, die dieser Herrscher und seine ihm gleichen Nachfolger festgelegt haben, fortbestehen. [...]
    [2] Und im zweiten Herrscher [...] sollen sechs Bedingungen vorhanden sein: 1. soll er weise sein; 2. soll er die Gesetze und Überlieferungen im Gedächtnis haben; [...] 3. soll er gut im Erfinden von etwas sein, worüber von früher her kein Gesetz im Gedächtnis ist [...]; 4. soll er gut im Überlegen und in der Erfindungskraft sein [...] im Hinblick auf Neues, das auftritt [...]; 5. soll er gut in der Führung durch das Reden sein [...]; 6. soll er eine gute körperliche Konstitution haben. [...]
    [3] Sind alle sechs Bedingungen in ihrer Gesamtheit getrennt und ist die Weisheit bei jemandem vorhanden, und das zweite und dritte bei jemandem, und das vierte bei jemandem und das fünfte bei jemandem und das sechste jemandem, dann werden sie, wenn sie übereinstimmen, ausgezeichnete Herrscher sein. [...]
    [4] Sollte es nicht geschehen, dass es einen Weisen gibt, der mit dem Herrscher verbunden ist, dann wird diese Stadt nach einer Weile unzweifelhaft untergehen.
  • Al-Fārābī : Buch der Buchstaben N.N

    Al-Fārābī über die Ziele von Aristotelesʼ Metaphysik
    Viele Leute haben die vorgefasste Meinung, dass der eigentliche Sinn und Inhalt dieser Schrift der sei, dass in ihr die Lehre von dem Schöpfer, dem Intellekt, der Seele und dem darauf Bezüglichen behandelt würde; ferner, dass die Wissenschaft von der Metaphysik (ʿilm mā baʿd at-tabīʿa) und die von der Einheit Gottes (ʿilm at-tawḥīd) ein und dasselbe sei. [...] Wir behaupten nun, dass ein Teil der Wissenschaften partikulär, ein anderer Teil derselben aber universal sei. [...] Die universale Wissenschaft betrachtet nun das, was allem Existierenden gemeinsam ist, wie die Existenz (wuǧūd) und die Einheit (waḥda), und zwar in ihren Arten und Eigenschaften.
  • Ibn Sīnā (Avicenna): Buch der Genesung Metaphysik I 2 § 12. 17f. p. 13. 15

    Avicenna über den Gegenstand der Metaphysik und ihre Ziele
    [1] Das Existierende qua existierendes (al-mawǧūd bi mā huwa mawǧūd) ist etwas all diesem [verschiedene Formen von Sein, die Gegenstände verschiedener Wissenschaften sind] Gemeinsames, und es muss zum Gegenstand dieser Fertigkeit gemacht werden [...], weil es ohne eine Untersuchung seiner Wesenheit und ohne einen Nachweis seiner selbst auskommt, so dass eine andere Wissenschaft die Aufklärung seines Zustands übernehmen müsste. [...] Diese Wissenschaft untersucht also die Zustände des Existierenden und die Umstände, die ihm zukommen, wie die Teile und die Arten, bis es zu einer Festlegung gelangt, mit der [zum Beispiel] der Gegenstand der Naturwissenschaft neu entsteht, so dass sie ihn dieser übergibt. [...]
    [2] Und dies ist die Wissenschaft (ʿilm), das in dieser Fertigkeit gesucht wird, und es ist die erste Philosophie, weil es das Wissen der ersten Umstände in der Existenz ist – dies sind die erste Ursache und die Umstände in dem Allgemeinen, und die Existenz (wuǧūd) und die Einheit (waḥda) –, und dies ist auch die Weisheit (ḥikma), die das edelste Wissen über das edelste Objekt ist: das edelste Wissen in Bezug auf die Klarheit; über das edelste Objekt in Bezug auf Gott und die Ursachen nach ihm. Es ist also auch die Kenntnis der letzten Ursachen des Universums und auch die Kenntnis Gottes. Und deswegen kommt ihm die Definition ,göttliches Wissen‘ (ʿilm al-īlāhī) zu, der darin besteht, dass es von den Tatsachen, die von der Materie getrennt sind, in Bezug auf die Definition und die Existenz handelt.
  • Ibn Sīnā (Avicenna): Buch der Genesung Metaphysik I 7, § 14 p. 47

    Avicenna über die Notwendigkeit möglicher Existenz
    Was das Mögliche betrifft, so ist hieraus seine Besonderheit klar geworden, und zwar dass es unbedingt eines anderen bedarf, dass es zu einem im Akt existierenden macht. Alles, was im Hinblick auf die Existenz möglich (mumkin al-wuğūd) ist, das ist hinsichtlich seines Wesens ewig ein möglich Existierendes. Aber manchmal stößt es ihm zu, dass seine Existenz durch etwas anderes notwendig wird. Dies stößt ihm nun entweder ewig zu, oder die Notwendigkeit seiner Existenz stammt von einem anderen auf nicht ewige Weise, sondern zu einer Zeit, aber nicht zu einer anderen Zeit.
  • Ibn Sīnā (Avicenna): Buch der Genesung Metaphysik VIII 7 § 3. 6, p. 363. 365

    Avicenna über die Struktur der ersten Ursache als Intellekt
    [1] Und es [das erste Prinzip] liebt sein Wesen, das das Prinzip (mabdaʾ) jeder Ordnung ist und gut ist, insofern es so ist. Dabei wird die Ordnung des Guten (niżām al-ḫair) von ihm akzidentell mitgeliebt. Aber das erste Prinzip wird hierzu nicht von der Liebe bewegt, ja es erfährt von ihr überhaupt keine Wirkung, und es ersehnt und erstrebt nichts. Das ist sein Wille (īrāda), der frei ist vom Mangel, den die Liebe bewirkt, und von der Störung durch das Streben zu einem Ziel hin [...].
    [2] Zu der Menge der Verstandesgegenstände (al-maʿqūlāt) gehört derjenige Verstandesgegenstand, dessen Prinzip das Erste unmittelbar ist. Aber seine Existenz fließt (jafīḍu) primär aus ihm. Und der Verstandesgegenstand, dessen Prinzip das Erste mittelbar ist, dies fließt sekundär aus ihm [...]. Einiges von diesem geht jedoch dem anderen voraus in der Rangfolge des Verursachenden und des Verursachten.
  • Ibn Sīnā (Avicenna): Buch der Genesung De anima I 1 p. 16

    Avicenna erklärt am Beispiel vom fliegenden Menschen, wie man die Seele ganz losgelöst von ihrer Funktion, den Körper zu beleben, denken kann
    Jeder Einzelne von uns soll es sich so vorstellen, als wäre er plötzlich geschaffen und vollendet geschaffen, aber sein Blick abgeschirmt vom Betrachten des Äußeren; und als wäre er so geschaffen, dass er in der Luft fiele oder im Leeren, ohne dass ihm das Vorhandensein der Luft einen Widerstand entgegensetzte, den er wahrnehmen könne, und als bestünde eine Trennung in Bezug auf seine Glieder, so dass sie sich nicht berührten und keinen Kontakt zueinander hätten. Dann soll er bedenken, ob er die Existenz seines Wesens bejaht, so dass er an der Bejahung davon nicht zweifelt, dass sein Wesen existiert, und ob er zugleich damit die Begrenzung seiner Glieder nicht bejaht.
  • Al-Ġazālī : Die Inkohärenz der Philosophen Einleitung § 22. 25f., S. 7. 10

    Al-Ġazālī über seine Ziele und seine Vorgehensweise in der Inkohärenz der Philosophen
    Unser Ziel ist es, diejenigen zu warnen, die eine gute Überzeugung von den Philosophen haben und meinen, ihre Methoden seien frei von Widersprüchen. Dies gehen wir an durch Aufzeigen von Aspekten ihrer Inkohärenz. Deswegen trete ich in die Auseinandersetzung mit den Philosophen nur auf die Weise der Kritik und des Bestreitens ein, nicht auf die Weise von Ansprüchen und Behauptungen. [...] Ja, ihre Behauptung, dass die Beherrschung der logischen Disziplinen unerlässlich ist, trifft zu. Aber die Logik ist nicht auf sie beschränkt; sie ist lediglich die Disziplin, welche wir im Kalām „Buch der Theorie“ nennen, wobei sie zur Einschüchterung deren Bezeichnung zu „Logik“ änderten. [...] Wir werden deutlich zeigen, dass die Philosophen in ihren metaphysischen Wissenschaften nicht erfüllen konnten, was sie in dem Teil der Logik, der über den Beweis geht [d.h. den Analytica posteriora], als Bedingung für die Richtigkeit der Materie des Syllogismus gefordert haben, noch ihre Forderungen über die Schlussfigur eines Syllogismus, die sie im Buch des Syllogismus [d.h. den Analy¬tica priora] vertreten, noch die Postulate, die sie in der Isagoge [des Porphyrios] und in den Kategorien dargelegt haben. Alles dies sind Teile der Logik sowie ihre Einführungen.
  • Al-Ġazālī : Die Inkohärenz der Philosophen XVII § 1, S. 166

    Al-Ġazālī begründet seine Zweifel am Konzept der Kausalität mit der Möglichkeit eines alternativen Modells
    [1] Nach unserer Meinung ist die Verknüpfung (al-iqtirān) zwischen dem, was man gewöhnlich (fī l-ʿāda) für eine Ursache hält, und dem, was man für eine Wirkung hält, nicht notwendig (ḍarūrī). Vielmehr folgt bei zwei Dingen, die nicht miteinander identisch sind und bei denen die Annahme bzw. Bestreitung des einen nicht die Annahme bzw. Bestreitung des anderen einschließt, niemals mit Notwendigkeit (ḍarūra) aus der Existenz des einen die Existenz des anderen bzw. die Nicht-Existenz des einen mit Notwendigkeit aus der Nicht-Existenz des anderen. [...]
    [2] Ihre Verknüpfung kommt zustande, weil Gott – erhaben ist er! – sie aufgrund seiner vorherigen Bestimmung in einer Aufeinanderfolge (ʿalā l-tasāwuq) erschafft, nicht deswegen, weil sie aus sich heraus notwendig und unauflöslich wäre (li-kawnihi ḍarūrīyan fī nafsihi ġayra qābilin li-l-farq). Vielmehr steht es in [Gottes] Macht, die Sattheit ohne das Essen zu schaffen, den Eintritt des Todes ohne einen tiefen Schnitt im Nacken zu erschaffen und das Leben [eines Menschen] trotz dieses tiefen Schnitts andauern zu lassen; das gilt für sämtliche Dinge, die miteinander verknüpft sind. Die falāsifa verneinen diese Möglichkeit und behaupten dies sei unmöglich.
  • Al-Ġazālī : Die Inkohärenz der Philosophen XVII § 5, S. 167

    Al-Ġazālī erklärt, dass man aus Beobachtung nicht auf Kausalität schließen kann
    Was das Feuer betrifft, ein lebloses Wesen, so wirkt es nicht auf [Brennbares]. Denn was ist der Beweis (ad-dalīl), dass es das Wirkende ist? Sie haben keinen anderen Beweis als die Beobachtung des Entstehens einer Flamme bei Kontakt mit dem Feuer. Aber die Beobachtung beweist nur das Entstehen bei ihm, sie beweist nicht das Entstehen durch es und dass es keine andere Ursache als dieses gibt.
  • Al-Ġazālī : Die Inkohärenz der Philosophen I § 6f. 66, S. 13. 27f.

    Die Philosophen leiten die Ewigkeit der Welt aus der Ewigkeit Gottes ab, und al-Ġazālī widerlegt dies
    Sie behaupten, dass das Hervorgehen von etwas Neu Entstehendem (ḥādiṯ) aus etwas Ewigem (qadīm) völlig unmöglich ist. [...] Denn wenn die Zustände des Ewigen gleich bleiben, dann existiert entweder niemals etwas von ihm her, oder es existiert auf die Weise der Ewigkeit. [...] [Al-Ġazālīs Gegenargument:] Nun gibt es aber in der Welt neu entstehende Dinge, und sie haben Ursachen. Aber dass sich das neu Entstehende bis ins Unendliche auf anderes neue Entstehende stützt, das ist absurd. [...] Aber wenn das möglich wäre, dann wäret ihr nicht angewiesen [...] auf die Behauptung von etwas notwendig Existierendem, das die möglichen Dinge begründet. Aber wenn das neu Entstehende ein Ende hat, an dem seine Verkettung endet, so muss dieses Ende ewig sein. Ihr Ausgangspunkt impliziert dann aber unbedingt die Billigung des Hervorgehens von etwas neu Entstehendem aus etwas Ewigem.
  • Al-Ġazālī : Die Inkohärenz der Philosophen I § 67-70, S. 28

    Philosophen leiten die Ewigkeit der Welt aus der Ewigkeit Gottes ab, und al-Ġazālī widerlegt dies
    Wenn sie sagen, [Gegenargument der Philosophen:] ,wir bestreiten nicht das Hervorgehen von irgendetwas neu Entstehendem aus etwas Ewigem, sondern wir bestreiten das Hervorgehen von etwas neu Entstehendem, das ein erstes neu Entstehendes ist, aus etwas Ewigem‘ [...], dann sagen wir: [Neue Entgegnung al-Ġazālīs]: die Frage nach dem Vorhandensein einer Vorbereitung und der Gegebenheit von Zeit und nach all dem, was sich erneuert, bleibt. Entweder geht die Verkettung bis ins Unendliche weiter, oder sie endet bei etwas Ewigem, aus dem ein erstes neu Entstehendes entsteht.
  • Al-Ġazālī : Die Inkohärenz der Philosophen IV § 15-20, S. 81f.

    Avicennas Gottesbeweis aus der Notwendigkeit und al-Ġazālīs Kritik daran
    a) Wenn gesagt wird:
    ,Der entscheidende Beweis (al-burhān al-qātiʿ) für die Unmöglichkeit von Ursachen bis in die Unendlichkeit besteht in der Aussage: ,Jede einzelne der individuellen Ursachen ist in sich entweder möglich oder notwendig. Aber wenn sie notwendig sind, dann brauchen sie keine Ursache. Aber wenn sie möglich sind, dann ist das Ganze (al-kull) durch Möglichkeit charakterisiert. Und jedes Mögliche braucht eine Ursache außerhalb seiner selbst. Also braucht das All eine Ursache außerhalb seiner selbst,‘
    dann sagen wir:
    ,Die Ausdrücke ,möglich‘ und ,notwendig‘ sind unklare Ausdrücke, es sei denn, man versteht unter ,notwendig‘ ,das, dessen Existenz keine Ursache hat‘ und unter ,möglich‘ ,das, dessen Existenz eine Ursache hat‘. Wenn sie aber so verstanden werden, dann kehren wir zu dieser Aussage zurück, so dass wir sagen: Jedes Einzelne ist möglich in dem Sinn, dass es eine Ursache zusätzlich zu sich selbst hat; doch das All ist nicht möglich, und zwar in dem Sinn, dass es keine Ursache zusätzlich zu sich selbst hat, die außerhalb von ihm wäre [folglich ist es notwendig]. Aber wenn ich mit ,möglich‘ etwas anderes meine, als wir darunter gemeint haben, so ist dies unverständlich´.
    b) Wenn dann gesagt wird:
    ,Aber das würde dazu führen, dass das notwendig Existierende (wāǧib al-wuǧūd) die möglich existierenden Dinge für seinen Bestand voraussetzte, und das ist unmöglich‘,
    dann sagen wir:
    ,Wenn ihr mit ,notwendig‘ und ,möglich‘ das meint, was wir genannt haben, ist das genau das Ergebnis. Aber wir geben nicht zu, dass es unmöglich ist. [...] Man kann über jedes Einzelne sagen, dass es eine Ursache hat und doch der Gesamtheit keine Ursache zusprechen. Denn nicht alles, was für die Individuen richtig ist, ist zwingend auch für die Gesamtheit richtig‘.
  • Al-Ġazālī : Die Inkohärenz der Philosophen XX § 25. 46, S. 215. 221 und § 48, S. 222

    Al-Ġazālī verteidigt die Idee einer Auferstehung der Toten und einer Körperlichkeit des Paradieses gegen die philosophische Lehre von der Unsterblichkeit der unköperlichen Seele
    a) [25] Was [im Koran] über die letzten Dinge versprochen wurde, ist, durch die Macht Gottes des Erhabenen, nicht absurd. Also muss man dem klaren Sinn der Rede (ṯāhir al-kalām) folgen, aber in ihrem Inhalt, der augenfällig in ihr steht.
    [26] Und wenn gesagt wird ,Rationale Beweise haben die Unmöglichkeit der Auferweckung der Toten gezeigt‘ [...], dann verlangen wir deren Darlegung.
    [46] [Die Philosophen sagen:] ,Wenn der Körper des auferweckten Menschen aus Stein wäre, aus Saphir, aus Perlen oder aus purer Erde, dann wäre er kein Mensch. Vielmehr kann man ihn sich nicht als Mensch vorstellen, außer er ist in der spezifischen Gestalt eines Menschen geformt, zusammengesetzt aus Knochen, Adern, Fleisch, Knorpeln und Mischungen. [...] Aber dann ist es nicht möglich, dass ein Körper neu entsteht, damit die Seele in ihn zurückgeführt wird, außer durch diese Dinge, und für diese gibt es viele Ursachen. [...] Und die Aussage: ,Es wird ihm doch gesagt ,sei, und er ist‘‘ (kun wajakūn: Koran 40, 68 [vgl. Vorlesung 2]), ist nicht rational nachvollziehbar, weil Erde nicht angesprochen werden kann und ihr Umschlagen (inqilāb) in einen Menschen ohne das Zurückführen durch diese Phasen [d.h. die Entstehung der menschlichen Organe durch natürliche Prozesse] absurd ist.‘ [...]
    b) [Al-Ġazālīs Antwort:] Freilich geben wir zu, dass der Aufstieg durch diese Phasen unabdingbar ist, bevor etwas der Körper eines Menschen entsteht. [...] Aber das ist in einem Moment möglich oder über eine längere Dauer. [...] Aber das ist nicht die Frage, sondern die Untersuchung geht nur darum, ob der Aufstieg durch diese Phasen schlichtweg durch Macht (bi-muǧarrad qudra), ohne etwas Mittleres, oder durch irgendeine Ursache (bi-sabab min al-asbāb) abläuft. Und für uns ist, wie wir erwähnt haben, beides möglich. [...] Die Verbindung von in ihrer Existenz verbundenen Dingen besteht nicht auf die Weise der Notwendigkeit, sondern eine Unterbrechung der gewöhnlichen Abläufe kann vorkommen, so dass diese Dinge durch die Macht Gottes des Erhabenen ohne Existenz ihrer Ursachen zustande kommen.
  • Al-Ġazālī : Der Erretter aus dem Irrtum II, S. 12 Elschazlī = S. 18

    -Ġazālī benennt die wichtigsten Strömungen der Gottsuche in der islamischen Geisteswelt seiner Zeit
    Ich sah dass, die Forscher auf vier Gruppen zurückgeführt werden können:
    1. Die Theologen (al-mutakallimūna): Sie behaupten, Menschen der Meinung und der Theorie zu sein;
    2. Die Bāṭiniten: Sie geben an, sie seien Menschen der Lehre. [...]
    3. Die Philosophen (al-falāsifa): Sie geben an, sie seien Menschen der Logik und des Beweises.
    4. Die Ṣūfīs: Sie behaupten, sie seien Menschen der persönlichen Anwesenheit [bei Gott] sowie Menschen der Schau und Enthüllung.
  • Al-Ġazālī : Der Erretter aus dem Irrtum II, S. 21f. Elschazlī = S. 37f.

    Al-Ġazālī bestreitet, dass ein grundlegender Widerspruch zwischen dem Gebrauch von Logik und der Religion besteht
    Und was die logischen Disziplinen betrifft, so berührt nichts von ihnen die Religion (ad-dīn), weder als Ablehnung noch als Begründung. Sondern sie ist die Theorie über die Methoden der Beweisführungen und der Syllogismen, die Bedingungen der Prämissen des Beweises und die Art und Weise ihrer Zusammensetzung und die Bedingungen der Definition und der Art und Weise ihres Aufbaus. [...] Was hat dies mit den Angelegenheiten der Religion zu tun, so dass man es ablehnen und bestreiten müsste? Ja, wenn man es bestreitet, wird man auf Seiten der Logiker nichts entstehen außer einer schlechten Überzeugung über den Intellekt des Bestreiters, ja auch an seiner Religion, von der er behauptet, dass sie auf dieser Bestreitung beruht.
  • Al-Ġazālī : Der Erretter aus dem Irrtum II, S. 12 Elschazlī = S. 18 Maḥmūd 1968; S. 29 Elschazlī = S. 48; Text korrigiert

    Al-Ġazālī über die Unverzichtbarkeit philosophischer Methodik
    Folgendes herrscht unter den meisten Menschen vor: So oft sie eine Aussage jemandem zuschreiben und beilegen, von dem sie eine gute Überzeugung haben, akzeptieren sie sie, auch wenn sie nichtig ist; und wenn sie sie jemandem zuschreiben, von dem sie eine schlechte Überzeugung haben, lehnen sie sie ab, auch wenn sie wahr ist. Folglich billigen sie immer das Wahre aufgrund der Menschen, und billigen nicht die Menschen aufgrund der Wahrheit. Und dies ist der Gipfel des Irrtums. Dies ist das Übel der Ablehnung [der Philosophie].
  • Al-Ġazālī : Der Erretter aus dem Irrtum IV, S. 40f. Elschazlī = S. 59. 61

    Al-Ġazālī über die Rolle der Mystik für den suchenden Menschen
    Nachdem ich mit den Wissenschaften fertig war, wandte ich mich in meinem Eifer dem Weg der Ṣūfīs zu. Ich erkannte, dass ihr Weg nur durch Wissen und Tätigkeit vollendet wird. Der Ertrag ihrer Tätigkeit besteht darin, die Hindernisse der Seele zu beseitigen [...], bis man hierdurch die Befreiung des Herzens von allem Nicht-Göttlichen erreicht sowie seine Erleuchtung durch das Gedenken an Gott. [...] Deshalb erkannte ich gewiss, dass diese Meister der Zustände [des mystischen Erlebens], nicht Freunde von Worten sind.
  • Ibn Ṭufail : Ḥayy ibn Yaqẓān Auszüge v. S. 7f.

    Ibn Ṭufail erklärt den Unterschied der <i>unio mystica</i> von komplettem (philosophischem) Wissen
    Stell dir einen blind geborenen Menschen vor. [...] Seit es ihn gibt, wuchs er in einer bestimmten Stadt auf, in der er die einzelnen Bewohner [...], die Wege und Straßen der Stadt [...] durch das, was er von den übrigen Erkenntnisvermögen erfährt, ohne Einschränkungen kennt, so dass er sogar ohne Führer in der Stadt umhergeht und jeden, der ihm begegnet, sogleich erkennt. [...] Wenn ihm nun, nachdem er diese Stufe erreicht hat, seine Augen geöffnet werden und er die Sehkraft erlangt, dann wird er [...] nichts anders vorfinden, als es seiner Überzeugung davon entspricht, und nichts wird ihn täuschen [...], außer dass bei alldem zwei besonders wichtige Sachverhalte [...] neu für ihn sind: Erstens die gesteigerte Deutlichkeit und Helligkeit und zweitens die gewaltige Freude.
  • Ibn Ṭufail : Ḥayy ibn Yaqẓān S. 108f.

    Ibn Ṭufail charakterisiert die unio mystica
    Wem eine solche Weise schaut, dem entschwindet seine eigene Wesenheit (ḏāt nafsihi), und es lösen sich auf und entschwinden ebenso die übrigen vielen Wesenheiten [...] außer der Wesenheit des Einen, des Wahren, des notwendig Seienden (al-wāḥid al-ḥaqq al-wāğib al-wuğūd).
  • Ibn Ṭufail : Ḥayy ibn Yaqẓān Auszüge von S. 147-154

    Ibn Ṭufail schildert das Scheitern von Ḥayy ibn Yaqẓāns Versuch
    [1] Da er großes Mitleid mit den Menschen empfand und den Wunsch hatte, ihnen das Heil zu bringen, kam der Wunsch in ihm auf, zu ihnen zu gehen, um ihnen die Wahrheit offenzulegen und zu erklären. [...] Ḥayy ibn Yaqẓān begann also, sie zu unterweisen und ihnen die Geheimnisse der Weisheit (asrār al-ḥikma) zu enthüllen; doch sobald er auch nur ein kleines Stück über den äußeren Wortsinn (aẓ-ẓāhir) hinausging und etwas beschrieb, das nicht mit ihrem Verständnis übereinstimmte, begannen sie sich vor ihm zu verschließen, [...] und in ihren Herzen ärgerten sie sich über ihn. [...]
    [2] Da gab er die Überzeugung auf, dass er sie bekehren könnte, und verlor die Hoffnung, dass sie von ihm etwas annehmen würden. [...] Er riet ihnen, in ihrer gewohnten Weise an den Bestimmungen des [religiösen] Gesetzes (ḥudūd aš-šar‘) und den auf das Äußerliche bezogenen Handlungen festzuhalten, sich so wenig wie möglich in Dinge, die nicht ihre Sache waren, zu vertiefen, den schwerverständlichen Stellen in den heiligen Texten Glauben zu schenken und sie ohne Vorbehalte anzuerkennen. [...]
    [3] Darauf verabschiedeten sich die beiden von ihnen, kehrten zurück zu ihrer Insel und [...] Ḥayy ibn Yaqẓān versuchte in gleicher Weise wie zuvor, sich in die Lage der Erhabenheit [i.e. die unio mystica] zu versetzen.
  • Averroes : Die entscheidende Abhandlung 18-20 = 36-40

    Averroes bestreitet, dass es einen großen Unterschied zwischen Philosophen und anderen Muslimen über die Ewigkeit der Welt gibt
    [18] Die Mutakallimūn [...] und die früheren Weisen (ḥukamāʾ) [...] stimmten darin überein, dass es drei Arten von Existierendem gibt, nämlich zwei Enden und eine Mitte dazwischen. Bei der Benennung der beiden Enden waren sie sich einig, aber bei der Benennung der Mitte unterschieden sie sich.
    Das eine Ende ist ein Existierendes, das aus etwas von ihm selbst Verschiedenem (min šayy ġayrihi) und durch etwas (wa-ʿan šayy) existiert, nämlich durch eine wirkende Ursache und aus Materie, und die Zeit geht ihm – das heißt seiner Existenz – voraus. [...] Das gegenüberliegende Ende ist ein Existierendes, das weder aus etwas noch durch etwas ist und dem die Zeit auch nicht vorangeht. [...] Die Art von Existierendem, die zwischen diesen beiden Enden liegt, ist etwas Existierendes, das nicht aus etwas ist und dem keine Zeit vorausgeht, das aber doch durch etwas existiert, nämlich durch einen Bewirker (fāʿil) – und genau dies ist die Welt insgesamt. Alle sind sich einig, dass der Welt diese drei Attribute zukommen. [...]
    [20] Die Lehren über die Welt weichen also nicht so sehr voneinander ab, dass die einen als Unglaube zu verurteilen sind und die anderen nicht.
  • Averroes : Die Inkohärenz der Inkohärenz Naturw. I, p. 519. 522

    Averroesʼ Zurückweisung von al-Ġazālīs Kritik an der Kausalität
    Was die Bestreitung der Wirkursachen betrifft, die im sinnlich Wahrnehmbaren beobachtet werden, so ist dies eine sophistische Rede (qawl sufisṭānī). [...] Wer die Ursachen aufhebt, der hat den Intellekt aufgehoben. Die Fertigkeit der Logik hat zur Voraussetzung, dass es hier Ursachen und Verursachtes gibt und dass es Erkenntnis von diesem Verursachten in vollkommener Weise nur durch die Erkenntnis ihrer Ursachen gibt. Die Aufhebung dieser Dinge ist vernichtet die Wissenschaft, und hebt sie auf. Und dies bedeutet notwendigerweise, dass es hier überhaupt nichts in wahrhafter Weise Gewusstes (maʿlūm ʿilman ḥaqīqīyan) geben kann, sondern wenn etwas gibt, so wird es gemeint (maṯnūn), und es gibt hier keinen Beweis (burhān) und überhaupt keine Definition.
  • Averroes : Großer Kommentar zu Aristoteles‘ De anima III Abschnitt 5

    Averroes über die notwendige Universalität des Intellekts
    Da nun dies die Definition des materialen Intellekts ist, ist offensichtlich, dass er sich Aristoteles zufolge darin von der ersten Materie unterscheidet, dass er potentiell alle Intentionen der universellen materiellen Formen ist, während die erste Materie potentiell alle konkreten wahrnehmbaren Formen ist, die sie nicht erkennt und nicht erfasst. Der Grund, aus dem diese Natur unterscheidet und erkennt, die erste Materie dagegen weder erkennt noch unterscheidet, ist der, dass die erste Materie unterschiedliche Formen aufnimmt, nämlich individuelle und konkrete, jene dagegen universale aufnimmt. Und daher wird klar, dass diese Natur nichts Konkretes ist, weder ein Körper noch ein Vermögen in einem Körper, denn wenn es so wäre, würde sie die Formen aufnehmen, insofern sie geteilt und konkret sind. Und wenn das der Fall wäre, dann wären die Formen, die in ihr existieren, [nur] potentielle Denkobjekte.
  • Averroes : Großer Kommentar zu Aristoteles‘ De anima III Abschnitt 5, S. 411f.

    Averroes über den Vorteil der Theorie der Universalität des Intellekts
    Wenn das gedachte Objekt bei mir und bei dir in jeder Hinsicht eines wäre, ergäbe sich folgende Konsequenz: Wenn ich irgendein Denkobjekt wüsste, dann wüsstest du es auch – und viele andere Unmöglichkeiten. Wenn wir aber annähmen, es [= das Gedachte] sei vieles, dann wäre die Konsequenz, dass das gedachte Objekt bei mir und bei dir der Art nach eine, dem Individuum nach aber zwei wäre. So hätte das gedachte Objekt ein [weiteres] gedachtes Objekt, und so ginge es fort bis ins Unendliche. Es wäre dann unmöglich, dass ein Schüler vom Lehrer lernt, es sei denn, das Wissen, das im Lehrer ist, sei ein Vermögen, welches das Wissen, das im Schüler ist, erzeugt und erschafft – auf die Weise wie das konkrete Feuer ein anderes ihm der Art nach ähnliches Feuer erzeugt – was unmöglich ist. [...] Wenn wir daher annehmen, das gedachte Objekt, das bei mir und bei dir ist, sei vieles in dem Subjekt, dem gemäß es wahr ist, nämlich als vorgestellte Formen, und eines in dem Subjekt, durch das es Intellekt ist (und das ist der materielle), werden diese Fragen vollkommen gelöst.
  • Moses Maimonides: Wegweiser für die Verwirrten (Dux neutrorum sive perplexorum) I 71 § 43f.

    Maimonides über die ursprüngliche Wissenschaftlichkeit des Judentums und die Gründe für ihr Vergessen
    Die vielen Wissenschaften über den Nachweis (taḥqīq) dieser Dinge, die es in unserer Religion gab, sind im Lauf der Zeit und aufgrund der Herrschaft ungebildeter Religionen über uns verloren gegangen. [Denn ...] es war verboten, etwas von diesen „Geheimnissen der Tora“ niederzuschreiben und den Menschen zugänglich zu machen, sondern sie wurden diese von herausragenden Einzelnen an Einzelne überliefert.
  • Moses Maimonides: Wegweiser für die Verwirrten (Dux neutrorum sive perplexorum) I 71 § 59. 62f.

    Maimonides über die philosophischen Möglichkeiten der Theologie
    [1] Ich stellte fest, dass die Methode aller Mutakallimūn der Art nach eine einzige Methode ist, [...] weil das Prinzip von allen die Nichtbeachtung der Existenz, so wie sie ist, darstellt, da diese eine Gewohnheit sei, zu der im Verstand etwas Verschiedenes möglich sei. [...] Wenn festgestellt wurde, dass die Welt neu entstanden (muḥdaṯ) sei, wurde festgestellt, dass sie einen Hersteller (ṣāniʿ) habe, der sie neu gemacht habe. [...] Nun ist dies kein gültiger Beweis (burhān qatʿī), außer für jemanden, der nicht den Unterschied zwischen dem Beweis, der Dialektik und einem Fehlschluss kennt. [...] Bei all diesen Argumentationen (adilla) gibt es Zweifel, und in ihnen werden Prämissen verwendet, die nicht bewiesen sind.
    [2] Meiner Meinung nach ist das Ziel der Fähigkeit eines argumentativ vorgehenden Gesetzesgelehrten, dass er die Argumentationen (adilla) der Philosophen für die Ewigkeit [der Welt] entkräftet; [...] schließlich weiß jeder scharfsinnige, argumentativ vorgehende Theoretiker, der sich selbst nicht betrügt, dass zu dieser Frage – ich meine bezüglich der Ewigkeit der Welt oder ihres Neugemachtseins – ein gültiger Beweis nicht erbracht werden kann und dass der Verstand vor ihr stehenbleibt.
  • Moses Maimonides: Wegweiser für die Verwirrten (Dux neutrorum sive perplexorum) II 16 [lat. 17] § 212. 214f.

    Die wissenschaftstheoretische Situation des religiösen Menschen, wie sie aus dem Scheitern der Gottesbeweise der Mutakallimūn resultiert, und Maimonides‘ Lösungsansatz
    [1] Die Situation von etwas, worüber es keinen Beweis gibt,
    [Textvariante a)] bleibt bloß dadurch, dass es ein Problem ist, dass hierüber einer der beiden widersprüchlichen Standpunkte vorrangig angenommen wird.
    [Textvariante b)] bleibt bloß wegen seiner Situation als Problem offen, oder es wird hierüber einer der beiden widersprüchlichen Standpunkte vorrangig angenommen.
    [2] Und wenn [...] diese Frage, d.h. die nach der Ewigkeit der oder ihrer Neuentstehung, offen bleibt, dann wird für mich von seiten der Prophetie, welche Dinge klärt, die nicht innerhalb der Möglichkeit der Theorie liegen, der Zugang zu ihr angenommen, so wie wir zeigen wollen, dass die Prophetie nicht abzulehnen ist, und zwar gegebenenfalls selbst nicht nach der Meinung derer, die von der Ewigkeit der Welt überzeugt sind.
    [3] Und nachdem ich die Möglichkeit unserer Behauptung klargemacht habe, gehe ich nun, ebenfalls mittels eines theoretischen Arguments, zu ihrer Überlegenheit über die Gegenposition über.
  • Moses Maimonides: Wegweiser für die Verwirrten (Dux neutrorum sive perplexorum) II 17 § 218. 224

    Maimonides‘ grundsätzliches Gegenargument gegen die aristotelische Position von der Ewigkeit der Welt
    [1] Und in keinerlei Hinsicht gibt es einen Schluss aus der Natur einer Sache nach ihrem Entstehen und ihrem Beendigt-Sein und ihrem gefestigten Wirklichwerden in der Vollendung ihres Zustands auf den Zustand dieser Sache im Zustand der Bewegung zum Entstehen hin.
    [2] Und Aristoteles unternimmt es, uns zu widersprechen und gegen uns einen Nachweis zu führen aus der Natur der gefestigten, vollkommen und wirklichen Existenz im Akt, von der wir ihm zugestehen, dass sie nach der ihrer Verfestigung und Vollendung so ist, ohne dass sie in irgendeiner Hinsicht dem ähnlich wäre, was auf sie im Zustand des Entstehens zutrifft.
  • Moses Maimonides: Wegweiser für die Verwirrten (Dux neutrorum sive perplexorum) I 71 § 65. 68-70

    Maimonides über die Notwendigkeit und Durchführung eines philosophischen Gottesbeweises
    [1] Der richtige Ansatz ist nach meiner Ansicht – und dies ist die Methode des apodeiktischen Beweises, über den es keine Unsicherheit gibt –, dass die Existenz Gottes, seine Einheit und seine Freiheit von Körperlichkeit mit den Methoden der Philosophen nachgewiesen wird, [...] ohne die Entscheidung der Frage zu betrachten, ob die Welt ewig oder neu gemacht ist. [...]
    [2] Ich sage nun: Die Welt ist entweder ewig oder neu entstanden. Wenn sie neu entstanden ist, so hat sie ohne Zweifel einen Schöpfer (muḥdiṯ); und dies ist das erste Gedachte, dass das Neue sich nicht selbst neu entstehen lässt, sondern dass sein Neu-Macher verschieden ist von ihm. Und der Neu-Macher der Welt ist Gott. Und wenn die Welt ewig ist, dann folgt notwendig aus der einen oder anderen Argumentation, dass es dann ein Existierendes gibt, das von allen Körpern der Welt verschieden ist: Es ist kein Körper und keine Kraft in einem Körper, es ist eines, immerwährend und ewig, es hat keine Ursache und eine Veränderung an ihm ist unmöglich. Und dies ist Gott.
  • Moses Maimonides: Wegweiser für die Verwirrten (Dux neutrorum sive perplexorum) III 51, p. 714, 11-715, 5. 11f.; 716, 3-5

    Maimonides erklärt am Ende seines Werkes mit einem Gleichnis, in welchen Stufen man Gott nahe oder von ihm entfernt sein kann und betont den Vorzug des Beweiswissens
    a) [1] Der Sultan ist in seinem Schloss, und zum untertänigen Volk im Ganzen gehören Menschen innerhalb der Stadt und außerhalb der Stadt; und zu denen, die in der Stadt sind, gehören solche, die sich vom Sultan abgewandt und ihre Aufmerksamkeit auf einen anderen Weg gerichtet haben; sowie solche, die das Haus des Sultans anstreben und sich ihm zuwenden; [...] aber bis jetzt haben sie die Mauer des Hauses noch nicht erblickt; und zu denen, die es anstreben, gehören solche, die zum Haus gelangt sind, aber sie gehen rings um es herum, um die Tür zu suchen; [...] und auch dadurch, dass jemand ins Innere des Hauses gelangt, sieht er den König nicht oder spricht mit ihm, sondern nachdem er ins Innere des Hauses gelangt ist, ist für ihn weiteres Bemühen erforderlich, das er leisten muss, und dann ist er unmittelbar beim Sultan zugegen, [...] hört entweder die Worte des Sultans oder spricht mit ihm [...].
    b) Die Erklärung des Gleichnisses: [2] Was die betrifft, die außerhalb der Stadt sind, so sind sie all die menschlichen Personen, die nicht einer Richtung anhängen; [...] und was die betrifft, die in der Stadt sind, sich aber vom Haus des Sultans abgewandt haben, so sind sie Leute mit Meinungen und theoretischen Ansichten, denen jedoch unrichtige Meinungen zu eigen sind; [...] und was die betrifft, die das Haus des Sultans und den Eingang hierzu anstreben, das Haus des Sultans aber nicht erblickt haben, so sind sie die Masse der Leute des [jüdischen] Gesetzes; [...] uns was den betrifft, dem ein Beweis für alles zu eigen ist, was dem Beweis zugänglich ist, und der Gewissheit über die alle göttlichen Dinge erworben hat, über die der Erwerb von Gewissheit möglich ist, und wer der Gewissheit über das nahe ist, worüber nichts anderes als Annäherung an die Gewissheit möglich ist, der ist zusammen mit dem Sultan ins Innere des Hauses gelangt.
  • Thomas von Aquin: Kommentar zum Liber de causis (Super librum de causis expositio) Prooemium, p. 3, 5-9

    Thomas von Aquin erkennt ca. 1272 die Abhängigkeiten der ihm auf Lateinisch vorliegenden Quellen
    Im Arabischen findet sich aber das Buch, das bei den Lateinern ,Über die Ursachen‘ heißt. Es steht fest, dass es aus dem Arabischen übersetzt wurde und auf Griechisch überhaupt nicht vorhanden ist. Daher scheint es von einem der arabischen Philosophen aus dem genannten Buch des Proklos exzerpiert zu sein.
  • Thomas von Aquin: Kommentar zum Liber de causis (Super librum de causis expositio) III; p. 22, 4-7. 13-16; 24, 4-9

    Thomas von Aquin interpretiert die vom Neuplatoniker Proklos stammende Triade Sein-Leben-Intellekt (νοῦς) auf monotheistische Weise
    [1] Einige Leute, die die hier getroffene Aussage ,die erste Ursache schuf das Sein der Seele vermittelt durch den Intellekt‘ (Buch von den Ursachen, Lehrsatz 3) missverstanden, meinten, laut dem Autor dieses Buches seien die Intellekte die Schöpfer der Substanz der Seelen. Aber [...] die Platoniker nahmen an, dass dasjenige, welches das Sein selbst ist, für alles die Ursache der Existenz darstellt, das aber, welches das Leben selbst ist, für alle die Ursache Lebens, das aber, was der Intellekt selbst ist, für alle die Ursache des Denkens. [...]
    [2] Man muss also sagen, dass die Seele von der ersten Ursache, von der sie das Sosein hat, auch die Denkfähigkeit hat. Und das stimmt überein mit der Aussage des Dionysios (Die göttlichen Namen IV 2) [...], dass das Gute selbst, das Sein selbst, das Leben selbst und die Weisheit selbst nichts Verschiedenes sind, sondern ein und dasselbe wie Gott, von dem in die Dinge übergeht, dass sie sowohl sind als auch leben als auch denken.
  • Siger von Brabant: Fragen zum dritten Buch von Aristoteles’ De anima (Quaestiones in tertium De anima) S. 242f

    Ein anonymer Averroist zu Thomas von Aquins Behauptung, jeder einzelne Mensch denke
    Indem etwas Unakzeptables benannt und dieses dort nicht bewiesen wird, indem es anderswo vorausgesetzt, bekannt und zugestanden wird, ist es leicht, viel Unakzeptables zu folgern. Diese aber nehmen an, dass der Mensch eigentümlich denkt, beweisen dies aber nicht. Von dieser Voraussetzung her argumentieren sie. Aber wenn dieses Vorausgesetzte nicht wahr ist, argumentieren sie nicht. Dass der Mensch daher in eigentümlicher Rede denkt, gestehe ich nicht zu. Wenn dies jedoch zugestanden ist, dann weiß ich nicht zu antworten. Aber dies bestreite ich, und zu Recht, daher werde ich leicht antworten.
  • Thomas von Aquin: Die Einheit des Intellekts gegen die Averroisten (De unitate intellectus contra Averroistas) § 266f

    Thomas von Aquin behauptet in der Auseinandersetzung mit den sogenannten Averroisten, diese nähmen eine doppelte Wahrheit an:
    Es ist jedoch größerer Verwunderung oder sogar Entrüstung würdig, dass jemand, der sich als Christ bezeichnet, [...] sagt: „Dies ist das Argument, durch welches die Katholiken ihre Ansicht besitzen“, womit der die Lehre des Glaubens eine Ansicht nennt. [...] Noch schwerwiegender aber ist, was er später sagt: „durch die Vernunft folgere ich notwendig, dass der Intellekt der Zahl nach einer ist; das Gegenteil halte ich aber standhaft durch den Glauben fest“. Also meint er, dass sich der Glaube auf einiges richte, dessen Gegenteil notwendig erschlossen werden kann. Weil aber nur etwas notwendig Wahres notwendig erschlossen werden kann, dessen Gegenteil etwas unmögliches Falsches ist, folgt aus seinem Wort, dass sich der Glaube auf etwas unmögliches Falsches richtet, was auch Gott nicht herstellen kann – dies können die Ohren der Gläubigen nicht ertragen.
  • Albertus Magnus: Die fünfzehn Streitfragen (De quindecim problematibus) Einleitung

    Ein besorgter Dominikaner wendet sich an Albertus Magnus:
    Dem in Christus ehrwürdigen Vater und Herrn Albert [...] Bruder Aegidius aus dem Dominikanerorden. [...] Die Artikel, welche die Pariser Magister, die man als bedeutend in der Philosophie ansieht, in ihren Vorlesungen vortragen, [...] befand ich für wert, dass ihr diese, bereits in vielen Versammlungen bekämpft, durch den Hauch Eures Mundes auslöscht.
    I. Dass der Intellekt aller Menschen der Zahl nach ein und derselbe ist.
    II. Dass die Aussage ,der Mensch denkt’ falsch oder uneigentlich ist.
    III. Dass der menschliche Wille aus Notwendigkeit will und wählt.
    IV. Dass alles, was auf Erden geschieht, der Notwendigkeit der Himmelskörper unterliegt.
    V. Dass die Welt ewig ist. [...]
    VII. Dass die Seele, welche die Form des Menschen ist, insofern er Mensch ist, mit dem Untergang des Körpers untergeht. [...]
    X. Dass Gott einzelnes nicht erkennt.
  • Alberich von Reims: Die Philosophie (Philosophia) S. 29. 32f. [Revue des sciences philosophiques et théologiques 68, 1984]

    Der ,Averroist’ Alberich von Reims (um 1250) über die Vorzüge der Philosophie
    [1] Drei sind es, wie Empedokles sagt, in erster Linie unter der gesamten Vielfalt der Dinge, die das großartigste Geschenk der Großzügigkeit Gottes, nämlich die Philosophie, erleuchten und erheben: die Verachtung des beweglichen Überflusses, das Streben nach der göttlichen Seligkeit und die Erleuchtung des Geistes. [...]
    [2] Denn das Sein des Menschen in seiner höchsten Vollkommenheit oder Vollständigkeit besteht darin, dass er durch die theoretischen Wissenschaften vollkommen ist, wie Averroes im Prolog [zum Kommentar] zum Achten Buch von [Aristoteles‘] Physik sagt. [...]
    [3] Nun werden wir [hierhin] durch ein natürliches Streben gezogen, wie die Göttin der Wissenschaften an ihrem Anfang darlegt: "Alle Menschen" usw. [streben von Natur aus zu wissen] (Metaphysik I 1, 980a 21). Hierzu sagt der Kommentator: "Wir haben ein natürliches Verlangen, die Wahrheit zu wissen". Zu Recht, denn, wie Aristoteles im Zehnten Buch der Nikomachischen Ethik sagt, ist der Mensch nur Intellekt (X 7, 1178a 2-7).
    [4] Dieser Intellekt wird aber, nach dem Zeugnis des genannten Averroes [...] durch die Philosophie vervollständigt. [...] Ihm stimmt Seneca zu, wenn er sagt: "Ohne Bildung" zu leben, "ist Tod und ein Begräbnis des lebenden Menschen" (Seneca, Brief 82, 3).
  • Thomas von Aquin: Über das Seiende und das Wesen (De ente et essentia) I 3

    Thomas von Aquin (1225-1274) bemüht sich, verschiedene Begriffe in Einklang zu bringen:
    Das Substantiv ,essentia‘ wird von den Philosophen in den Begriff ,Washeit‘ abgewandelt. Und eben dies ist, was der Philosoph häufig das ,Was-es-war-Sein‘ nennt, das heißt das, wodurch etwas hat, ein ,was‘ zu sein. Dies heißt aber auch ,Form‘, sofern mit ,Form‘ die ,certitudo‘ eines Dings gemeint ist. Mit noch einem anderen Substantiv heißt es ,Natur‘ [...], sofern nämlich ,Natur‘ all jenes heißt, ,was vom Verstand auf irgendeine Weise erfasst werden kann‘ (Zitat aus Boethius). [...] Das Substantiv ,Natur‘ scheint in dieser Anwendung eher die essentia einer Sache zu bezeichnen, sofern es eine Hinordnung zum eigentlichen Wirken der Sache hat [...]. Das Substantiv ,Washeit‘ hingegen bezieht sich auf das, was durch die Definition bezeichnet wird. Von ,essentia‘ spricht man jedoch, sofern durch es und in ihm das Seiende Sein hat.
  • Manfred (König von Sizilien): Begleitbrief (Epistula) Revue d. sc. philosoph. et théologiques 66, 1982

    Begleitbrief König Manfred von Siziliens (reg. 1250-1266) zu einigen übersetzten Büchern:
    [1] Den allgemeinen Lehrern des Pariser Studiums, die auf den Quadrigen der philosophischen Disziplin sitzen, Manfred, von Gottes Gnaden etc.
    [2] Obwohl uns die mühevolle Masse der Geschäfte häufig hinwegzieht, lassen wir nicht zu, dass irgendein bisschen Zeit, das wir der Beschäftigung mit den vertrauten Dingen entzogen haben, müßig abläuft. Vielmehr investieren wir es voll und ganz gerne in die unbezahlte Einübung des Lesens [...], zum Erwerb der Wissenschaft, ohne die das Leben der Menschen nicht geleitet wird. [...]
    [3] Als wir also einige Bücher [...] aufschlugen [...], kamen uns einige unter die Augen, die [...] entweder ein Fehler dieses Werkes oder eines Menschen noch nicht in die Kenntnis der lateinischsprachigen Welt geführt hatte. Da wir nun wollten, dass die altehrwürdige Autorität solcher Werke bei nicht durch eine mündliche Übersetzung, ohne einen Vorteil für viele, wieder jung wird, haben wir sogleich angeordnet, dass sie durch ausgewählte und beider Sprachen mächtige Männer, unter treuer Bewahrung der Jungfräulichkeit der Worte, übersetzt werden. [...]
    [4] Hier nun haben wir mit Überlegung vorgesehen, vor allem Euch, als den hochberühmten Zöglingen der Philosophie [...], einige Bücher vorzulegen, die das neugierige Studium und die treue Sprache der Übersetzter schon herrichten konnten.
  • Spinoza, Baruch de: Theologisch-politischer Traktat (Tractatus theologico-politicus) XIV, p. 165f.

    Spinoza formuliert die Grundlagen seiner Position zum Verhältnis von Philosophie und Religion
    [1] Übrig ist noch, dass ich schließlich zeige, dass zwischen Glauben bzw. Theologie und Philosophie keine Verbindung und keine Nähe besteht, was ja niemand übersehen kann, der die Zielrichtung und das Fundament dieser beiden Vermögen kennt, welche sich gewiss himmelweit unterscheiden: Die Zielrichtung der Philosophie ist nämlich nichts als die Wahrheit; die des Glaubens aber [...] nichts als Gehorsam und Frömmigkeit.
    [2] Ferner sind die Grundlagen der Philosophie die allgemeinen Begriffe, und diese müssen aus der Natur alleine gesucht werden; die des Glaubens sind aber die Erzählungen und die Sprache, und müssen allein aus der Schrift und der Offenbarung gesucht werden. [...]
    [3] Der Glaube gesteht also jedem Einzelnen die höchste Freiheit zum Philosophieren zu, so dass er ohne Verfehlung über alle beliebigen Dinge meinen kann, was immer will; und sie verurteilt die als Häretiker und Schismatiker, welche Ansichten lehren, um zur Hartnäckigkeit, zum Hass, zu Streit und zu Zorn zu raten; und im Gegenteil hält sie nur die für Gläubige, die zu Gerechtigkeit und Liebe [...] raten.
  • Spinoza, Baruch de: Theologisch-politischer Traktat (Tractatus theologico-politicus) XV, p. 166f.

    Spinoza über die beiden grundsätzlichen Irrtümer beim Vergleich von Philosophie und Glauben
    Wer also sie [die Schrift] selbst an die Philosophie anpassen will, der wird gewiss zu den Propheten vieles, woran sie nicht im Traum dachten, hinzudichten, und ihren Verstand irreführend interpretieren. Wer aber im Gegenteil die Vernunft und Philosophie zur Magd der Theologie macht, der ist gezwungen, die Vorurteile des alten Pöbels gleichsam als göttliche Dinge zuzulassen und durch sie den Verstand zu beschäftigen und blind zu machen; so wahnsinnig wird ein jeder von ihnen sein, und zwar der eine ohne Vernunft, der andere aber mit Vernunft.
  • Spinoza, Baruch de: Theologisch-politischer Traktat (Tractatus theologico-politicus) XV, Auszüge aus p. 167-170

    Spinoza bestimmt, Maimonides korrigierend, die Grenzen der Möglichkeiten der Vernunft in Bezug auf die Religion
    [1] Rabbi Jehuda Alphakar [...] will, dass wir verpflichtet sind, alles, was die Schrift behauptet oder bestreitet, als wahr zu übernehmen oder als falsch zurückzuweisen. [...] Er hätte zeigen müssen [...], dass alle Stellen, die [...] anderen widersprechen, ausgehend von der Natur der Sprache und dem Gehalt der Stelle angemessen metaphorisch erklärt werden können, und ferner, dass die Schrift unbeschädigt in unsere Hände gelangt sei. Aber [...] behauptet Moses direkt, „Gott sei Feuer“ (Dtn 4, 24), und bestreitet direkt, dass Gott irgendeine Ähnlichkeit mit sichtbaren Dingen habe (Dtn 4, 12). [...]
    [2] Deswegen haben wir sowohl diese Meinung als auch die des Maimonides zum Einsturz gebracht. [...] Denn die Kraft der Vernunft [...] erstreckt sich nicht soweit, dass sie festlegen kann, dass die Menschen allein durch Gehorsam ohne eine Einsicht in die Dinge glücklich werden können. Aber die Theologie befiehlt nichts außer [...] Gehorsam, und will weder etwas Vernunftwidriges, noch ist sie dazu befähigt. Denn die Dogmen des Glaubens [...] legt sie nur insoweit fest, wie es für den Gehorsam ausreicht. Wie diese aber genau in ihrem Wahrheitsgehalt zu verstehen sind, das festzulegen überlässt sie der Vernunft, die in Wirklichkeit das Licht des Verstandes ist.
  • Spinoza, Baruch de: Theologisch-politischer Traktat (Tractatus theologico-politicus) XVI, Auszüge aus p. 179

    Für Spinoza ist die Demokratie die eigentliche dem Naturrecht entsprechende Verfassung
    Weil wir schon gezeigt haben, dass das Naturrecht nur durch die Mächtigkeit eines Jeden festgelegt wird [...], kann ohne irgendeinen Widerspruch zum Naturrecht eine Gesellschaft gebildet und jeder Vertrag in höchstem Vertrauen immer eingehalten werden, wenn nun jeder Einzelne die ganze Mächtigkeit, die er besitzt, auf die Gesellschaft überträgt [...], der ein Jeder entweder aus freiem Geist oder aus Furcht vor der höchsten Strafe zu gehorchen verpflichtet sein wird. Das Recht einer solchen Gesellschaft wird Demokratie genannt werden.
  • Spinoza, Baruch de: Theologisch-politischer Traktat (Tractatus theologico-politicus) XX, Auszüge aus p. 231f.

    Spinoza folgert, dass dem Einzelnen im Staat größtmögliche Freiheit zukommen muss
    Hierdurch haben wir gezeigt, dass es
    1. unmöglich ist, den Menschen die Freiheit zu nehmen, das, was sie meinen, zu sagen.
    2. dass diese Freiheit, unter Wahrung des Rechts und der Autorität der höchsten Gewalten, einem jeden zugestanden und von jedem gewahrt werden kann. [...]
    3. dass ein jeder genau diese Freiheit haben kann, unter Wahrung des Friedens der Republik, und dass aus ihr keine Nachteile entstehen, die nicht leicht im Zaum gehalten werden können. [...]
    5. dass die Gesetze, die über theoretische Dinge erlassen werden, völlig nutzlos sind.
  • Mendelssohn, Moses: Ueber die Frage: was heißt aufklären? Mendelssohn Studienausgabe II S. 212

    Moses Mendelssohn charakterisiert die Aufklärung (1784)
    Die Aufklärung, die den Menschen als Mensch interessiert, ist allgemein ohne Unterschied der Stände; die Aufklärung des Menschen als Bürger betrachtet, modificirt sich nach Stand und Beruf.
  • Mendelssohn, Moses: Jerusalem oder ueber religioese Macht und Judentum S. 57-64, Auszüge

    Moses Mendelssohn widerspricht jedem Zwansgsanspruch der Religion
    Der Staat, oder die den Staat vorstellen, werden als eine moralische Person betrachtet, die über diese Rechte zu schalten hat. Der Staat hat also Recht und Gerechtsame auf Güter und Handlungen der Menschen. [...] Nicht also die Kirche! Sie beruhet auf dem Verhältnisse zwischen Gott und Menschen. [...] Gott bedarf unseres Beystandes nicht. [...] Seine Rechte können mit den Unsrigen nie in Streit [...] kommen. [...] Alle menschliche Verträge haben also der Kirche kein Recht auf Gut und Eigentum beylegen können, da sie ihrem Wesen nach auf keins derselben Anspruch machen [...] kann. Ihr kann also niemals ein Zwangsrecht zukommen, und den Mitgliedern kann keine Zwangspflicht gegen dieselbe auferlegt werden. [...] Dieses sind, meinem Bedünken nach, die Gränzen zwischen Staat und Kirche, in so weit sie auf die Handlungen der Menschen Einfluß haben.
  • Mendelssohn, Moses: Jerusalem oder ueber religioese Macht und Judentum S. 30f.

    Moses Mendelssohn erläutert seinen Begriff des Judentums als Vernunftreligion
    Ich erkenne keine andere ewige Wahrheiten als die der menschlichen Vernunft nicht nur begreiflich, sondern durch menschliche Kräfte dargethan und bewährt werden können. [...] Ich halte dies [...] für einen wesentlichen Punkt der jüdischen Religion, und glaube, daß diese Lehre einen charakteristischen Unterschied zwischen ihr und der christlichen Religion ausmache. Um es mit einem Worte zu sagen: Ich glaube, das Judentum wisse von keiner offenbarten Religion in dem Verstande, in welchem dieses von den Christen genommen wird. Die Israeliten haben göttliche Gesetzgebung. Gesetze, Gebote, Befehle, Lebensregeln, Unterricht vom Willen Gottes, wie sie sich zu verhalten haben, um zur zeitlichen und ewigen Glückseligkeit zu gelangen; [...] aber keine Lehrmeinungen, keine Heilswahrheiten, keine allgemeine Vernunftsätze. Diese offenbaret der Ewige uns, wie allen übrigen Menschen, allezeit durch Natur und Sache, nie durch Wort und Schriftzeichen.
  • Mendelssohn, Moses: Jerusalem oder ueber religioese Macht und Judentum S. 32-40, Auszüge

    Moses Mendelssohn unterscheidet zwei Arten von ewigen sowie zeitliche Wahrheiten
    [1] Ewige Wahrheiten [...] sind entweder nothwendig, an und für sich selbst unveränderlich, oder zufällig. [...] Sowohl die nothwendigen als zufälligen Wahrheiten fließen aus einer gemeinschaftlichen Quelle, aus der Quelle aller Wahrheit: jene aus dem Verstande, diese aus dem Willen Gottes. [...] Beispiele der ersten Gattung sind die Sätze der reinen Mathematik und der Vernunftkunst; Beyspiele der letzteren die allgemeine Sätze der Physik und Geisterlehre, die Gesetze der Natur, nach welchen dieses Weltall, Körper und Geisterwelt regiert wird. Außer diesen ewigen Wahrheiten giebt es noch Zeitliche, Geschichtswahrheiten. [...] Von dieser Art sind alle Wahrheiten der Geschichte, in ihrem weitesten Umfange. [...]
    [2] Die [...] nothwendigen Wahrheiten gründen sich auf die Vernunft, d. i. auf unveränderlichen Zusammenhang, und wesentliche Verbindung zwischen den Begriffen. [...] Zu den Wahrheiten der zwoten Classe wird, außer der Vernunft, auch noch Beobachtung erfordert. [...] Hingegen die Geschichtswahrheiten [...] können nur von denjenigen vermittelst der Sinne wahrgenommen werden, die zu der Zeit und an dem Orte zugegen gewesen, als sie sich in der Natur zugetragen haben; von jedem anderen müssen sie auf Autorität und Zeugniß angenommen werden. [...]
    [3] Ich glaube also nicht, daß die Kräfte der menschlichen Vernunft nicht hinreichen, sie von den ewigen Wahrheiten zu überführen, die zur menschlichen Glückseligkeit unentbehrlich sind.
  • Mendelssohn, Moses: Jerusalem oder ueber religioese Macht und Judentum S. 49-52, Auszüge

    Mendelssohns nähere Bestimmungen des Sinns des jüdischen Gesetzes
    [1] Das Judentum rühmt sich keiner ausschließenden Offenbarung ewiger Wahrheiten, die zur Seligkeit unentbehrlich sind. [...] Ein anderes ist geoffenbarte Religion; ein anderes geoffenbarte Gesetzgebung. Die Stimme, die sich an jenem großen Tage, auf Sinai hören ließ, rief nicht: ,ich bin der Ewige, Dein Gott! Das nothwendige, selbständige Wesen, das allmächtig ist und allwissend, das den Menschen in einem zukünftigen Leben vergilt, nach ihrem Thun‘. Dieses ist allgemeine Menschenreligion, nicht Judentum. [...]
    [2] Nein! alles dieses ward vorausgesetzt, ward vielleicht in den Vorbereitungstagen gelehrt, erörtert und durch menschliche ausser Zweifel gesetzt, und nun rief die göttliche Stimme: ,Ich bin der Ewige, dein Gott! der dich aus dem Lande Mizraim geführt, aus der Sklaverey befreit hat u. s. w.‘ Eine Geschichtswahrheit, auf die sich die Gesetzgebung dieses Volks gründen sollte, und Gesetze sollten hier offenbaret werden; Gebote, Verordnungen, keine ewige Religionswahrheiten. [...]
    [3] Wunder und ausserordentliche Zeichen sind nach dem Judentume, keine Beweismittel für oder wider ewige Vernunftwahrheiten. [...] Alle Zeugnisse und Autoritäten können keine ausgemachte Vernunftwahrheit umstoßen.
  • Rosenzweig, Franz: Der Stern der Erlösung I, Einleitung, S. 6-8, 12f., Auszüge

    Franz Rosenzweig begründet seine Annahme, dass die philosophische Welterklärung, insbesondere im Hegel’schen Sinne, der Offenbarung und der Individualität nicht gerecht werden kann
    [1] War die Philosophie denn nicht schon durch jene ihre ,einzige‘ Voraussetzung, sie setze nichts voraus, selbst ganz voller Voraussetzung, ja selber ganz Voraussetzung? [...] Was ihr gegenüber Selbständigkeit beanspruchte, wurde entweder zum Schweigen gebracht oder überhört. Zum Schweigen gebracht wurde die Stimme, welche in einer Offenbarung die jenseits des Denkens entspringende Quelle göttlichen Wissens zu besitzen behauptete. [...]
    [2] Wer hier noch Widerspruch erheben wollte, der mußte einen Archimedespunkt außerhalb jenes wißbaren All unter seinen Füßen spüren. Von einem solchen Archimedespunkt aus bestritt ein Kierkegaard, und er nicht allein, die Hegelsche Einfügung der Offenbarung ins All. Der Punkt war das eigene [...] Bewußtsein der eigenen Sünde und eigenen Erlösung, das einer Auflösung in den Kosmos weder bedürftig noch zugänglich war; nicht zugänglich: denn mochte auch alles an ihm ins Allgemeine zu übersetzen sein, – die Behaftetheit mit Vor- und Zunamen, das Eigene im strengsten und engsten Sinn des Worts blieb übrig, und gerade auf das Eigene kam es an.
    [3] Ein solches Heraustreten dessen, was man [...] als persönliches Leben, Persönlichkeit, Individualität bezeichnet [...], aus dem Bereich des Weltwissens kann auch an diesem selbst nicht spurlos vorübergehen. [...] Unsere Zeit hat es getan [dies Heraustreten philosophisch zu denken versucht]. [...] Der ,Wille‘, die ,Freiheit‘, das ,Unbewußte‘ konnte, was die Vernunft nicht gekonnt hatte: über einer Welt von Zufall walten.
  • Rosenzweig, Franz: Der Stern der Erlösung III, Einleitung: Über die Möglichkeit, das Reich zu erbeten, S. 298, 301, 322-325, Auszüge

    Franz Rosenzweig bemüht sich um eine philosophische Deutung des jüdischen Gebetsverständnisses, indem er die „Stunde“ als den immer wiederkehrenden Augenblick des Gebets deutet, in welchem dem in Gemeinschaft betenden ein erleuchteter Blick auf das Ganze der Schöpfungsordnung eröffnet wird
    [1] Die Liebe handelt so, als ob es im Grunde nicht bloß keinen Gott, sondern sogar keine Welt gäbe. Der Nächste vertritt der Liebe alle Welt und verstellt so dem Auge die Aussicht. Aber das Gebet, indem es um Erleuchtung bittet, sieht – und zwar nicht am Nächsten vorbei, aber über das Nächste hinweg und sieht, soweit sie ihm erleuchtet wird, die ganze Welt. So befreit es die Liebe von der Gebundenheit an den Tastsinn er Hand [...]. Das Gebet stiftet die menschliche Weltordnung.
    [2] Die menschliche Weltordnung – aber auch die göttliche? [...] Wenn [...] das Gebet, indem es dem Beter einen Blick auf die Welt öffnet, sie ihm in besonderer Ordnung zeigt, sollte das irgendwelche Folgen haben für diese eine göttliche Weltordnung selbst? [...] Das Gebet [...] zeigt dem Auge das fernste Ziel; aber weil der Beter auf dem bestimmten Stand-punkt seiner Persönlichkeit steht, so erscheint dies allen gemeinsame fernste Ziel hinter einem Vordergrunde von ganz persönlicher Perspektive. [...]
    [3] Der Augen-blick zeigt dem Auge, so oft es sich öffnet, immer Neues. Das Neue [...] muss ein Nunc stans sein, kein verfliegender also, sondern ein ,stehender‘ Augenblick. Ein solches stehendes Jetzt heißt man, im Unterschied zum Augenblick: Stunde. [...] Indem eine Stunde herum ist, beginnt nicht bloß ,eine neue‘ Stunde, wie ein neuer Augenblick den alten ablöst, sondern es beginnt ,wieder eine‘ Stunde. [...] Nur der Glockenschlag, nicht das Ticken des Pendels stiftet die Stunde. [...] In der alltäglich-allwöchentlich-alljährlichen Wiederholung der Kreise des kultischen Gebets macht der Glaube den Augenblick zur ,Stunde‘, die Zeit aufnahmebereit für die Ewigkeit. [...]
    [4] Wie aber wohnt denn im Gebet diese Kraft zu erzwingen, daß die Ewigkeit der Einladung Folge leistet? [...] Auch der Kult scheint nur das Haus zu bauen, worin Gott Wohnung nehmen kann, aber kann er den hohen Gast wirklich nötigen, einzuziehen? Ja er kanns. Denn die Zeit, die er bereitet zum Besuch der Ewigkeit, ist nicht die Zeit des Einzelnen [...]; sie ist die Zeit aller. [...] Die Erleuchtung, die dem Einzelnen wird, hier kann sie keine andre sein als die, welche allen andern auch geschehen kann. [...] Dies für alle Gemeinsame, über alle Standpunkte der Einzelnen [...] hinaus, kann aber nur eines sein: das Ende aller Dinge, die letzten Dinge.
  • Lévinas, Emmanuel : Gott und die Philosophie (Dieu et la philosophie) S. 95-97

    Emmanuel Lévinas führt die Transzendenz Gottes als Gegenpol zum rational-philosophischen Vorgehen ein
    3. [...] Wenn das Begreifen des biblischen Gottes – die Theologie – nicht das Niveau des philosophischen Denkens erreicht, liegt das [...] daran, dass sie Gott, wenn sie ihn thematisiert, in den Lauf des Seienden einführt, obwohl der Gott der Bibel in unglaublicher Weise [...] das Jenseits des Seienden, die Transzendenz bezeichnet. Und es ist kein Zufall, dass die Geschichte der abendländischen Philosophie eine Zerstörung der Transzendenz war. Die rationale Theologie, grundsätzlich ontologisch, bemüht sich, der Transzendenz im Bereich des Seienden Recht zu verschaffen, indem sie sie durch Adverbien der Höhe ausdrückt, die auf das Wort Sein angewandt werden: Gott soll herausragend oder ausgezeichnet existieren. [...]
    4. Man kann sicherlich auch behaupten, dass der Gott der Bibel keinen Sinn hat, d.h. nicht im eigentlichen Sinn denkbar ist. Das wäre die andere Alternative: ,Der Begriff Gott ist kein problematischer Begriff, er ist überhaupt kein Begriff‘ [...], womit [man] eine stolze Tradition des philosophischen Rationalismus fortsetzt, der sich weigert, die Transzendenz des Gottes Abrahams, Isaaks und Jakobs unter die Begriffe aufzunehmen, ohne die es kein Denken geben kann. [...]
    Sich zu fragen, wie wir es hier zu tun versuchen, ob Gott nicht in einem vernünftigen Diskurs ausgedrückt werden kann, der weder Ontologie noch Glaube ist, das impliziert, den formalen Gegensatz infrage zu stellen, den Jehuda Halevi formulierte und Pascal wiederaufnahm, zwischen dem Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs, auf den sich der Glaube ohne Philosophie beruft, einerseits und dem Gott der Philosophen andererseits; es heißt infrage zu stellen, ob dieser Gegensatz eine Kontradiktion darstellt.
  • Lévinas, Emmanuel : Gott und die Philosophie (Dieu et la philosophie) S. 104-106

    Lévinas über das Unendliche im Denken
    10. In seiner Meditation über die Idee Gottes hat Descartes den außerordentlichen Verlauf eines Denkens, das bis zum Zerbrechen des ,Ich denke‘ geht, mit einer unvergleichlichen Strenge nachgezeichnet. [...] Als Gedachtes (cogitatum) eines Denkens (cogitation), das sie vom ersten Moment an enthält, überschreitet die Idee Gottes, als Bezeichnung des Nicht-Inhaltes schlechthin [...], jegliche Erfassbarkeit. Ihre ,objektive Realität‘ des Gedachten lässt die ,formale Realität‘ des Denkens zusammenstürzen. [...]
    11. Die Aktualität des cogito unterbricht sich so im Gewand der Idee des Unendlichen, durch das Unumfassbare, nicht gedachte, sondern erlittene, das in einem zweiten Moment des Bewusstseins dasjenige trägt, was in einem ersten Moment vorgab, es zu tragen: Nach der Gewissheit des cogito [...] verkündet die dritte Meditation: „in gewisser Weise habe ich in mir die Idee des Unendlichen früher als die des Endlichen, d.h. die Gottes früher als die meiner selbst.
  • Lévinas, Emmanuel : Gott und die Philosophie (Dieu et la philosophie) S. 108-112

    Lévinas über das Unendliche als Fundament der Liebe
    12. Man darf die Idee des Unendlichen oder das Unendliche im Denken nicht als eine Negation des Endlichen durch das Unendliche im Sinne seiner Abstraktion oder seiner logischen Form verstehen; im Gegenteil ist die Idee des Unendlichen oder Unendliche im Denken die eigentümliche und irreduzible Gestalt der Negation des Endlichen. [...] Die Differenz des Unendlichen und des Endlichen ist eine Non-Indifferenz des Unendlichen anstelle des Endlichen und das Geheimnis der Subjektivität. [...]
    Die Idee des Unendlichen versteht sich nicht als die Liebe, die auf der Spitze des Pfeils, der trifft, erwacht, sondern wo das durch das Trauma betäubte Subjekt sich direkt in seiner Immanenz des Seelenzustandes wiederfindet. [...]
  • Lévinas, Emmanuel : Gott und die Philosophie (Dieu et la philosophie) S. 113-119

    Über die beträchlichen ethischen Konsequenzen
    14. Die Liebe ist nicht anders möglich als durch die Idee des Unendlichen – durch das Unendliche, das in mich gesetzt ist, durch das ,mehr‘, welches das ,weniger‘ zerstört und aufweckt, es von der Teleologie abwendet, die Stunde und das Glück des Ziels zerstört. [...] Damit das Desinteresse im Begehren des Unendlichen möglich wird, [...] muss das Begehrenswerte oder Gott im Begehren abgetrennt bleiben; als Begehrenswertes – nah, aber verschieden – Heilig. [...] Die Transzendenz ist ethisch, und die Subjektivität, die letztlich nicht das ,Ich denke‘ ist [...], die nicht die Einheit der ,transzendentalen Apperzeption‘ ist, ist, in Gestalt der Verantwortung für den anderen, Unterwerfung gegenüber dem anderen. [...]
    15. Die biologische menschliche Brüderlichkeit [...] ist kein hinreichender Grund dafür, dass ich für ein getrenntes Seiendes verantwortlich bin. [...] Die Verantwortlichkeit für den anderen kommt von jenseits meiner Freiheit. [...]
    16. ,Jeder von uns ist schuldig vor allen für alle und für alles, und ich mehr als die anderen‘, sagt Dostojewski in den Brüdern Karamasow.
  • Xenophanes: Über die Natur 21B 23

    Der Vorsokratiker Xenophanes (6. Jhdt. v. Chr.) begründet den philosophischen Monotheismus
    Ein einziger Gott ist unter Göttern und Menschen der größte,
    weder dem Körper noch der Einsicht nach dem sterblichen Menschen gleich.
  • Al-Kindī : Die erste Philosophie (Philosophia prima) I, S. 59

    Al-Kindī (ca. 800-866), der Begründer der arabisch-islamischen Philosophie, greift die griechische These von der Philosophie als wertvollster Tätigkeit des Menschen auf:
    Unter den menschlichen Fertigkeiten kommen der erhabenste Rang und die ehrenvollste Stufe der Fertigkeit der Philosophie (falsafa) zu, die als Wissen um die Dinge in ihrer Wahrhaftigkeit (ḥaqīqa) definiert wird, soweit dies dem Menschen möglich ist.
  • Galen: Über den Gebrauch der Körperteile (De usu partium) XI, 14 p. 158f.

    Der Philosophie-kundige Arzt Galen hält das jüdische Schöpfungsverständnis aus der Perspektive der antiken Naturphilosophie für lächerlich
    Das ist nämlich das, worin sich unsere Meinung, d.h. die Platons und die der anderen bei den Griechen, die die Untersuchungen über die Natur richtig angegangen sind, von der des Mose unterscheidet: Denn ihm genügt es, dass Gott die Materie ordnen will, und sofort ist sie geordnet. Er glaubt nämlich, dass Gott alles möglich ist, selbst wenn er will, dass die Asche ein Pferd oder ein Ochse wird. Wir aber erkennen, dass das nicht so ist, sondern sagen, es gebe Dinge, die natürlicherweise unmöglich sind und dass Gott diese gar nicht erst in Angriff nimmt, sondern dass er aus dem Möglichen auswählt, dass das Beste geschieht.
  • Moses Maimonides: Wegweiser für die Verwirrten (Dux neutrorum sive perplexorum) Buch 1, Kapitel 71

    Moses Maimonides (ca. 1135/38-1204), der vielleicht einflussreichste Denker der jüdischen Tradition, benennt eine grundsätzliche Gemeinsamkeit von Christentum, Judentum und Islam:
    Es besteht kein Zweifel, dass es gemeinsame Dinge für uns drei gibt, womit ich die Juden, die Christen und den Islam meine – nämlich die Lehre von dem Neuentstandensein der Welt. Da diese wahr ist, sind auch die Wunder und ähnliche Dinge wahr.
  • Platon: Timaios (Timaeus) 27d-28a; 28c-29b

    Die ontologischen Grundkategorien, die bei der Beschreibung der Weltentstehung zu unterscheiden sind (Antike Philosophie I)<br /> Auch in Platons Timaios wird die Unterscheidung von ewigen Ideen und veränderlicher wahrnehmbarer Welt beibehalten (Judentum und Islam)
    a) Zuerst nun haben wir meiner Meinung nach Folgendes zu unterscheiden: Was ist das stets Seiende und kein Werden Habende, und was das stets Werdende, aber niemals Seiende. Das eine kann durch ein Denken mit rationaler Struktur erkannt werden, ist stets sich selbst gleich, das andere dagegen kann durch eine Meinung mit nicht-rationaler Wahrnehmung gemeint werden, ist werdend und vergehend, nie aber wirklich seiend. [...]
    b) Den Vater und Hersteller dieses Alls zu finden, ist eine Aufgabe, und es ist, hat man ihn gefunden, unmöglich, ihn allen zu verkünden. Dies ist nun wiederum über ihn zu prüfen, auf welches der Urbilder hin der handwerklich Tätige dies gestaltete [...]. Wenn klarerweise diese Welt schön ist und der Gestalter gut, ist klar, dass er auf das ewige hinblickte. Wenn es aber so ist, wie sich nicht einmal auszusprechen gehört, [hat er] auf das gewordene [hingeblickt]. [...] Dies ist also über das Abbild und über sein Urbild anzugeben.
  • Platon: Timaios (Timaeus) 29d-30c

    Die Beschreibung des guten Herstellers bzw. „Schöpfers“ der Welt (Antike Philosophie I)<br /> Die Güte Gottes als Grund der Weltordnung ist seit Platon ein klassisches Motiv griechischer philosophischer Theologie (Judentum und Islam)
    Timaios: a) Geben wir denn an, aus welchem Grund der Gestalter das Werden und das Weltall gestaltete. Er war gut; in einem Guten erwächst niemals und in keiner Beziehung irgendeine Missgunst. […] Weil nämlich der Gott wollte, dass alles gut und nach Möglichkeit nichts schlecht sei, so nahm er also alles, was sichtbar war und keine Ruhe hielt, sondern in ungehöriger und ordnungsloser Bewegung war, und führte es aus der Unordnung zur Ordnung. [...]
    b) Durch Überlegung stellte er nun fest, dass von dem der Natur gemäß Sichtbaren kein ganzes Werk ohne Geist schöner sei als etwas Ganzes, das Geist hat, dass aber Geist unmöglich irgendwem ohne Seele zukommen kann. Wegen dieser Überlegung verfertigte er das All so, dass er Geist in Seele, Seele aber in Körper hineinlegte, damit er der Natur gemäß das schönste und beste Werk zustande brächte.
    c) So muss man also gemäß der wahrscheinlichen Rede sagen, dass diese Welt als beseeltes, geistbegabtes Lebewesen und in Wahrheit durch göttliche Vorsehung entstanden ist.
  • Platon: Timaios (Timaeus) 34b-35a

    Zentral für die Herstellung der Welt ist zunächst die Schaffung der Weltseele, die, wie jede Seele, an der Grenze von göttlicher und körperlicher Welt steht (Antike Philosophie I)<br /> In der Mitte von Platons Weltbild steht die Seele (Judentum und Islam)
    Timaios: Eine Seele setzte er also in die Mitte der Welt, dehnte sie durch alles hindurch aus und deckte von außen den Körper über sie. [...] Er gestaltete die ihrer Entstehung und Vorzüglichkeit nach dem Körper gegenüber frühere und ehrwürdigere Seele als Gebieterin und künftige Beherrscherin des ihr unterworfenen Körpers aus folgenden Bestandteilen und auf folgende Weise: Zwischen dem unteilbaren und immer sich gleich verhaltenden Sein und dem teilbaren, im Bereich der Körper werdenden, mischte er aus beiden in der Mitte eine Form des Seins, zwischen der Natur des Identischen und der des Verschiedenen.
  • Sergios von Rēšʿaynā : Kommentar an Theodoros zu Aristoteles’ Kategorien f. 52rv = p. 168 Hugonnard-Roche, La logique d'Aristote, Paris 2004 [frz.]

    Sergios von Rēšʿaynā (gest. 536) rühmt am Anfang seiner Philosophie-Einführung Aristoteles als den Ordner aller Wissenschaften
    [1] Der Ursprung und Beginn aller Bildung war Aristoteles. [...] Denn bis zu der Zeit, zu der die Natur diesen Mann zum Existieren und Wohnen unter den Menschen gebracht hatte, waren alle Teile der Philosophie und der Bildung wie einfache Heilmittel aufgeteilt und verstreut, konfus und unwissenschaftlich bei sämtlichen Schriftstellern.
    [2] Dieser allein aber sammelte, nach Art eines weisen Arztes, sämtliche Schriften, die zerstreut waren, und setzte sie dem Handwerk und dem Intellekt gemäß zusammen und fertigte sie zu dem vollkommenen Heilmittel seiner Lehre, das die mühevollen und schweren Krankheiten des Nicht-Wissens ausreißt und entfernt aus den Seelen derer, die sich sorgfältig mit seinen Schriften befassen.
    [3] Denn ebenso wie diejenigen, die eine Statue herstellen, jedes einzelne Teil der Gestalt für sich herstellen, und so eines nach dem anderen zusammen¬setzen, wie das Handwerk erfordert, und eine vollkommene Statue machen, so kombinierte auch dieser, ordnete und passte ein, und setzte jedes einzelne Teil der Philosophie in die Ordnung, welche ihre Natur erfordert, und erstellte aus ihnen durch alle seine Schriften eine vollkommene und wunderbare Gestalt des Wissens von allem Seienden.
  • Al-Kindī : Die erste Philosophie (Philosophia prima) IV, S. 161-163

    Kindīs Charakterisierung des wahren Einen
    Dem wahren Einen kommt nicht zu, in Beziehung zu etwas Gattungsverwandtem zu stehen. Und wenn es eine Gattung hätte, käme ihm zu, mit einem Gattungsverwandten in Beziehung zu stehen. Also hat das wahre Eine überhaupt keine Gattung. [...] Das wahre Eine ist daher ewig und ihm kommt niemals und in überhaupt keiner Weise Vielheit zu. Und es wird nicht eines genannt in Bezug zu etwas von ihm Verschiedenem, da es etwas ist, was weder eine Materie hat, durch die es zerteilt werden könnte, noch eine Form, die aus Gattung und Arten zusammengesetzt ist.
  • Ibn Sīnā (Avicenna): Autobiographie (vita) Autobiographie, S. 32-35

    Avicenna über sein Studium von Aristotelesʼ Metaphysik (Judentum und Islam)
    Ich las das Buch der Metaphysik, aber ich verstand nicht, was darin steht, und mir blieb das Ziel seines Verfassers dunkel, bis dass ich die Lektüre vierzigmal wiederholt hatte und es auswendig wusste, wobei ich es trotzdem nicht verstand und nicht das darin liegende Ziel. [...] Eines Tages zur Zeit des Nachmittagsgebets befand ich mich bei den Buchhändlern, als ein Makler herantrat und in seiner Hand einen Band hielt, den er zum Verkauf ausrief. Er reichte ihn mir, aber ich gab ihn angewidert zurück, weil ich meinte, dass diese Wissenschaft zu nichts nutze sei. Er aber sagte mir: „Kaufe ihn doch, sein Besitzer braucht das Geld. Er ist billig, und ich verkaufe ihn Dir für drei Dirham“. So kaufte ich ihn, und siehe da, es war das Buch von Abū Naṣr al-Fārābī Über die Ziele des Buches der Metaphysik. Ich kehrte nach Hause zurück und ging eilends an die Lektüre. Da gingen mir mit einem Male die Ziele dieses Buches auf, denn ich kannte es ja bereits auswendig. Ich freute mich darüber und gab am folgenden Tag ein reichliches Almosen für die Armen aus Dankbarkeit gegen Gott, der erhaben ist.
  • Al-Fārābī : Die Ziele des Buches der Metaphysik 35, 8-10. 21; 36, 8f.

    Al-Fārābī (870-950) über die Ziele von Aristotelesʼ Metaphysik
    Viele Leute haben die vorgefasste Meinung, dass der eigentliche Sinn und Inhalt dieser Schrift der sei, dass in ihr die Lehre von dem Schöpfer, dem Intellekt, der Seele und dem darauf Bezüglichen behandelt würde; ferner, dass die Wissenschaft von der Metaphysik (‘ilmmā ba‘d at-tabī‘a) und die von der Einheit Gottes (‘ilm at-tawḥīd) ein und dasselbe sei. [...] Wir behaupten nun, dass ein Teil der Wissenschaften partikulär, ein anderer Teil derselben aber universal sei. [...] Die universale Wissenschaft betrachtet nun das, was allem Existierenden gemeinsam ist, wie die Existenz (wuǧūd) und die Einheit (waḥda) sowie seine Arten und Eigenschaften.
  • Ibn Sīnā (Avicenna): Buch der Genesung Metaphysik I 5 § 8-11. p. 31f.

    Ibn Sīnā (Avicenna; 980-1037) erklärt den Unterschied von Existenz und Essenz
    [1] ,Existent‘ (mawğūd), ,positiv bestehend‘ und ,wirklich seiend‘ sind synonyme Begriffe, die eine Bedeutung haben – und unzweifelhaft ist ihre Bedeutung in der Seele desjenigen präsent, der dieses Buch liest. ,Ding‘ (šayyʾ) und das, was gleichbedeutend ist, hat gewiss in allen Sprachen eine andere Bedeutung; denn jedes Ding hat eine Wesenheit (ḥaqīqa), durch die es das ist, was es ist (so hat das Dreieck die Wesenheit, ein Dreieck zu sein, und „weiß“ die Wesenheit, weiß zu sein), und diese nennen wir manchmal die „spezifische Existenz“, ohne dass dadurch die Bedeutung „positiv bestehende Existenz“ bezeichnet würde. [...] Es ist klar, dass jedes ,Ding‘ eine spezifische Wesenheit besitzt, nämlich seine Washeit (māhīya). Es ist zugleich bekannt, dass die für jedes ,Ding‘ spezifische Wesenheit verschieden ist von der Existenz, die synonym ist mit positivem Bestehen.
    [2] Der Grund dafür ist folgender: Wenn Du sagst, ,die Wesenheit von diesem oder jenem existiert entweder in den Einzeldingen oder in den Seelen oder absolut genommen, indem letzteres die ersten beiden umschließt‘, dann kommt dem eine bestimmte verständliche Bedeutung zu. Wenn Du aber sagen würdest ,die Wesenheit von diesem oder jenem ist die Wesenheit von diesem oder jenem‘, oder: ,Die Wesenheit von diesem oder jenem ist eine Wesenheit‘, so ist dies eine Tautologie, die keine neue Kenntnis verleiht.
  • Ibn Sīnā (Avicenna): Buch der Genesung Metaphysik I 5 § 22. 24, p. 35f.

    Ibn Sīnā unterscheidet zwischen möglichem und notwendigem Sein
    [1] Es ist für uns gewiss ebenfalls zu schwer, den Inhalt von ,notwendig‘, ,möglich‘ und ,unmöglich‘ durch eine die Wesenheit angebende Definition (taʿrīf muḥaqqiq) zu bestimmen, sondern das geht nur mittels eines Hinweises. Alles, was über die Definition von ihnen in dem gesagt wurde, was dich von den antiken Philosophen erreichte, endet quasi notwendigerweise in einem Zirkel. [...] Wenn sie ,möglich‘ definieren wollten, zogen sie entweder ,notwendig‘ oder ,unmöglich‘ zu seiner Definition heran [...], und wenn sie ,notwendig‘ definieren wollten, zogen sie zu seiner Definition entweder ,möglich‘ oder ,unmöglich‘ heran. [...]
    [2] Aber das erste dieser drei, insofern davon zuerst ein Begriff gebildet wird, ist ,notwendig‘ (wāǧib). Das liegt daran, dass ,notwendig‘ die Festigkeit der Existenz bezeichnet, und die Existenz ist bekannter als die Nicht-Existenz, weil die Existenz in sich selbst erkannt wird, während die Nicht-Existenz irgendwie durch die Existenz erkannt wird.
  • Averroes : Die entscheidende Abhandlung 2-3 = 1-5

    Averroes über die Notwendigkeit philosophischer Forschung laut dem Koran
    [2] Wenn die Tätigkeit der Philosophie nichts weiter ist als die Theorie (naẓar) über das Existierende (al-mawǧūdāt) und seine Betrachtung, insofern es auf den Hersteller verweist [...], und wenn das Gesetz (aš-šarʿ) dazu aufgefordert und angespornt hat, das Existierende zu betrachten, so ist klar, dass das, worauf dieser Name verweist, entweder vom Gesetz vorgeschrieben oder als Auftrag gegeben ist. Dass das Gesetz dazu aufruft, mit dem Intellekt (ʿaql) das Existierende zu betrachten [...], wird klar durch verschiedene Verse aus dem Buch Gottes. [...].
    [3] Und es ist klar, dass diese Form von Theorie, zu welcher das Gesetz aufruft und anspornt, die vollendetste Art der Theorie mittels der vollendetsten Art des Schlusses ist, und diese wird ,Beweis‘ (burhān) genannt.
  • Averroes : Die entscheidende Abhandlung 13f.

    Averroes erklärt den Hintergrund der allegorischen Auslegung von Korantexten, die deren Vereinbarkeit mit der Philosophie sicherstellt, und die Bedingungen für dieses Vorgehen im Einzelfall
    [12] Also wissen wir, die Gemeinschaft der Muslime, in endgültiger Weise, dass die Theorie in Beweisform nicht zu etwas führt, worin das Gesetz widerspricht; das Wahre widerspricht nicht dem Wahren, sondern ist im Einklang mit ihm und bezeugt es.
    [13] [...] Und weil das so ist, so wird, wenn die Theorie zu einer bestimmte Weise der Erkenntnis in Bezug auf irgendein Existierendes führt, dieses Existierende entweder im Gesetz mit Schweigen übergangen, oder es wird Erkenntnis hierüber vermittelt. Und sofern die Gebote etwas mit Schweigen übergehen, so erschließen es die Rechtsgelehrten mittels des gesetzesbezogenen Schlusses. Und wenn es im Text des Gesetzes steht, so ist der äußere Sinn des Textes entweder mit dem übereinstimmend, wozu der Beweis führt, oder verschieden. [...] Und wenn er verschieden ist, dann ist seine Auslegung erforderlich. Und der Gehalt der Auslegung besteht darin, dass die Bedeutung des Ausdrucks von der gegenstandsbezogenen Bedeutung zur übertragenen Bedeutung hin transponiert wird.
  • Moses Maimonides: Wegweiser für die Verwirrten (Dux neutrorum sive perplexorum) I Einl. § 9f.

    Maimonides skizziert den Adressaten des Wegweisers für die Verwirrten und erklärt das Ziel des Werkes:
    a) [1] Das Ziel dieses Buches die Ermahnung eines religiösen Menschen – er ist in seiner Seele demütig geworden, und in seiner Überzeugung verfestigte sich die Richtigkeit unseres Gesetzes (šarīʿa = die Torah) feststeht, so dass er vollkommen ist in Religion und Sitten –, der die philosophischen Wissenschaften betrachtet und ihre Inhalte kennt. Nun leitet ihn der menschliche Intellekt an und lädt ihn ein, sich in seinem Lager niederzulassen, und der äußere Sinn des Gesetzes (ṯawāhir aš-šarīʿa) hält ihn zurück. [...]
    [2] Also bleibt er in Verwirrung und Schrecken: Entweder lässt er sich einladen von seinem Intellekt [...] – und dann wird er meinen, gegen die Grundlagen des Gesetzes fortzuwerfen –, oder soll er bleibt er bei dem, was er von ihm verstanden hat und lässt sich nicht von seinem Intellekt anleiten. Dann [...] wird er trotzdem sehen, dass er sich Schaden zugezogen hat und Verderben in seiner Religion (dīn), und er wird mit diesen eingebildeten Überzeugungen (iʿtiqādāt) zurückbleiben, wobei er durch sie in Angst und Unbehagen ist. [...]
    b) [3] Wenn wir ihm nun diese Allegorien (muṯul) [in der Torah] erklären oder ihn ermahnen, dass dies Allegorien sind, dann wird er zurückfinden und aus dieser Verwirrung gerettet werden. Daher habe ich dieses Buch ,Wegweiser für die Verwirrten‘ genannt.
  • Moses Maimonides: Wegweiser für die Verwirrten (Dux neutrorum sive perplexorum) III 26, p. 570, 12-18

    Maimonides vertritt die Meinung, dass es für jedes Gebot des jüdischen Gesetzes einen rationalen Grund gibt, selbst wenn der nicht immer bekannt ist
    Diejenigen, die Theorie betreiben, [...] sind über unsere Gesetzgebung im Hinblick darauf, was für uns erlassen wurde, verschiedener Meinung. Einerseits gibt es solche, die hierfür überhaupt keine Ursache suchen und sagen, dass alle Gesetze einem reinen Wunsch [Gottes] folgen. Andererseits gibt es solche, die sagen, dass jedes Gebot und Verbot hiervon einer Weisheit oder einer Absicht folgen, in der ein bestimmter Zweck liegt, und dass alle Gesetze eine Ursache haben und im Hinblick auf einen bestimmten Nutzen hierüber gesetzlich angeordnet wurde. Im Hinblick darauf, dass es für sie alle eine Ursache gibt, wobei wir die Ursache für einige von ihnen nicht kennen und der Gehalt der Weisheit uns hierüber unbekannt ist, dies ist die Meinung von uns allen, vom Volk und von der Elite.
  • Moses Maimonides: Wegweiser für die Verwirrten (Dux neutrorum sive perplexorum) III 27-28, p. 575, 2f.; 576, 11f.; 577, 10-16; 578, 8-11

    Theoretische Überlegungen des Maimonides zu den Gesetzen
    „[1] Das Ziel für die Gesamtheit des Gesetzes besteht in zweierlei, nämlich das Gedeihen der Seele und das Gedeihen des Körpers. [...] Das wahre Gesetz [...], d.h. das Gesetz unseres Freundes Mose, ist nur gekommen, um uns zu den beiden Vollkommenheiten zusammen zu verhelfen. [...]
    [2] Du sollst wissen, dass das Gesetz von den richtigen Meinungen, durch die die äußerste Vollkommenheit entsteht, nur ihren Gipfelpunkt angegeben und zum Überzeugtsein von ihnen nur im Allgemeinen aufgefordert hat, und dies ist die Existenz Gottes des Erhabenen, und seine Einheit und sein Wissen und seine Macht und sein Willen und seine Ewigkeit. Und all dies sind die äußersten Gipfelpunkte, die durch Aufteilen und Definieren nicht verdeutlicht werden können, das Äußerste an Wissen aus vielen Meinungen. Und ebenso forderte das Gesetz zu bestimmten Überzeugungen auf, von denen ein Überzeugtsein notwendig ist für den Frieden der Zustände der Stadt, wie zum Beispiel unser Überzeugtsein, dass der Zorn des Erhabenen über den, der ihm nicht gehorcht, heftig wird.
    [3] Für jede Vorschrift [...] ist entweder im Hinblick auf das Gebot in sich selbst oder in seiner Notwendigkeit für die Entfernung von Unrecht oder für den Erwerb edler Sitten die Ursache für diese Vorschrift klar oder der Nutzen offensichtlich.
  • Alberich von Reims: Die Philosophie (Philosophia) N.N.

    Ein Averroist des 13. Jahrhunderts über das philosophische Glück
  • Unbekannt: Koran Sure 1

    In der ersten Sure des Koran (al-fātiḥa) wird die Herrschaft Gottes klar ausgesprochen
    Im Namen Allahs, des Erbarmers, des Barmherzigen! Lob sei Allah, dem Weltenherrn! Dem Erbarmer, dem Barmherzigen! Dem Herrscher am Tage des Gerichts! Dir dienen wir und zu dir rufen wir um Hilfe. Leite uns den rechten Pfad, den Pfad derer, denen du gnädig bist, nicht derer, denen du zürnst, und nicht der Irrenden.
  • Unbekannt: Koran Sure 23, Vers 91 / 92

    Dezidiert betont wird im Koran häufig die absolute Einzigkeit Gottes
    Allah hat sich keine Kinder zugelegt und es gibt keinen Gott außer ihm. Sonst hätte jeder Gott für sich beansprucht, was er erschaffen hatte, und einer hätte sich über den anderen erhoben.
  • Unbekannt: Koran Sure 12, Vers 2-4

    Zentral ist in der Botschaft des Koran, das er in arabischer Sprache vom Himmel herabgesandt wurde
    Dies sind die Verse des deutlichen Buches. Siehe, wir haben es hinabgesandt, in arabischer Sprache vorgetragen, damit ihr es begreift. Wir erzählen dir die schönste der Geschichten, indem wir Dir diesen Koran offenbaren, selbst wenn Du vorher zu den Unkundigen gehörtest.
  • Unbekannt: Koran Sure 56, Verse 77-79 bzw. 78-80

    Im Koran finden sich Hinweise darauf, dass der wahre Koran nicht materiell ist
    Dies ist gewiss ein ehrwürdiger Koran, [die Urschrift ist] in einem wohlverwahrten Buch. Nur die reinen können es berühren.
  • Bibel: Jüdisches / Altes Testament: 2 Mose (Exodus) 1, 1-5. 26

    Der erste der beiden direkt aufeinanderfolgenden (und nicht getrennten) Schöpfungsberichte der jüdischen Bibel (Auszug)
    Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde; die Erde aber war wüst und wirr, Finsternis lag über der Urflut, und Gottes Geist schwebte über dem Wasser. Gott sprach: Es werde Licht. Und es wurde Licht. Gott sah, dass das Licht gut war. Gott schied das Licht von der Finsternis; und Gott nannte das Licht Tag, und die Finsternis nannte er Nacht. Es wurde Abend, und es wurde Morgen: erster Tag. [...] Dann sprach Gott: Lasst uns Menschen machen, als unser Abbild, so wie unsere Gestalt [Vulgata: ad imaginem et similitudinem nostram; EHÜ: als unser Abbild, uns ähnlich; Luther: ein Bild, das uns gleich sei]. Sie sollen herrschen über die Fische des Meeres, über die Vögel des Himmels, über das Vieh, über die ganze Erde und über alle Kriechtiere auf dem Land.
  • Unbekannt: Koran Sure 40, Vers 68 bzw. 69

    Auch der Koran betont die unmittelbare Schöpfermacht Gottes
    Er ist es, der lebendig macht und sterben lässt. Und wenn er ein Ding (amr) beschließt, spricht er nur zu ihm ,seiʻ, und es ist (kun wajakūnu).
  • Unbekannt: Koran šahāda / Kurzbekenntnis der Muslime

    Insbesondere für den Islam spielt die Funktion des Propheten Mohammed eine große Rolle
    Es gibt keinen Gott außer Allah, und Mohammed ist sein Prophet.
  • Bibel: Jüdisches / Altes Testament: 2 Mose (Exodus) 20, 2-7

    Gott spricht am Berg Sinai durch Mose zum Volk Israel und gibt ihm das erste der zehn Gebote
    Ich bin der Herr, dein Gott, der dich aus Ägypten geführt hat, aus dem Sklavenhaus. Du sollst neben mir keine anderen Götter haben. Du sollst dir kein Gottesbild machen und keine Darstellung von irgendetwas am Himmel droben, auf der Erde unten oder im Wasser unter der Erde. [...] Denn ich, der Herr, dein Gott, bin ein eifersüchtiger Gott: Bei denen, die mir feind sind, verfolge ich die Schuld der Väter an der Söhnen, an der dritten und vierten Generation; bei denen, die mich lieben und meine Gebote achten, erweise ich Tausenden meine Huld.