Perkams-Zitatenschatz.de

Philosophische Zitate aus Antike und Mittelalter

Thema: Antike Philosophie II

138 Zitate zu diesem Thema im Zitatenschatz:

  • Proklos : Platonische Theologie (Theologia Platonica ) I 2

    Der Aufstieg des Philosophen nach Proklos <br /><br />Proklos schildert eine typisch spätantike Vorstellung des Aufstiegs der Seele zur ersten Ursache durch mehrere Stufen, welche Teildisziplinen der Philosophie entsprechen
    [1] Der Hörer der vorliegenden Lehren soll geordnet sein durch die ethischen Tugenden und alle unedlen und unstrukturierten Bewegungen durch den Gehalt der Tugend gebunden haben. [...]
    [2] Er soll in allen logischen Zugängen geübt sein und viele unwiderlegbare Gedanken über die Analysen, viele auch über die diesen entgegengesetzten Dihairesen betrachtet haben. [...]
    [3] Drittens soll er neben diesen auch nicht ungeschult in der Physik sein und in deren vielgestaltigen Ansichten, damit er, wenn auch in den Abbildern, auf die richtige Weise die Ursachen des Seienden untersucht hat. [...]
    [4] Fest soll er die Auslegung der göttlichen seligen Lehren berührt haben [...], indem er sich mit unerschüttertem Verstand und der Kraft des unermüdlichen Lebens zum göttlichen Licht hindrängt.
  • Proklos : Theologische Elementarlehre (Elementatio theologica) § 119. 122f., Leitsätze

    Strukturmomente der Theologie nach Proklos
    119. Jeder Gott existiert auf die Weise einer mehr-als-seienden Güte, d.h. er ist weder einer Disposition noch dem Sein nach gut [...], sondern auf mehr als seiende Weise [...]
    122. Jedes Göttliche sorgt ebenso vorausschauend für das ihm Nachgeordnete wie es dem, wofür es sorgt, transzendent bleibt, weil weder die Sorge sein unvermischtes und einheitliches Überragen lockert noch seine abgetrennte Einheit die vorausschauende Sorge verunklart [...]
    123. Jedes Göttliche ist selbst wegen seiner mehr-als-seienden Einheit für das Nachgeordnete unaussagbar und unerkennbar, von dem, was an ihm teilhat, ist es aber ergreifbar und erkennbar. Deswegen ist nur das Erste schlechthin unerkennbar, weil an ihm nichts teilhat.
  • Proklos : Die Existenz des Bösen (De malorum subsistentia) III, § 48/IV, § 54

    Proklos‘ Erklärung des Bösen unterscheidet sich deutlich von der Plotins, insofern hier die Aktivität der Dämonen und Seelen, nicht aber die indirekte Wirkung der Materie betont wird
    [1] Die Wirkursachen des Bösen sind also diejenigen, die sich selbst ins Böse führt, wie die Dämonen und die Seelen, die ihnen aus freier Wahl gehorchen. [...] Also ist das Böse an sich untätig und machtlos. [...]
    [2] Aber so wie sie nach Bösem streben, das ihnen gut scheint und wie für sie das Böse etwas scheinbar Gewolltes ist – das sagen wir wegen der Beimischung von Guten – so gibt es auch auf scheinbare Weise im Bösen Kraft und Aktivität, freilich nicht an sich und auch nicht qua Böses, sondern von dem Äußeren her, an dem es als Zusatz besteht.
  • Proklos : Vierter Hymnos des Proklos (hymni) .

    Ein Philosophenhymnus des Proklos an alle Götter
    Höret, ihr Götter, die ihr die Ruder der Weisheit hoch haltet,
    die ihr das Feuer berührt, das sterbliche Seelen hinaufführt,
    Lasst sie die Unsterblichen schauen, verlassend die finstere Höhle,
    rein geworden und frei durch unsagbare Weihen und Hymnen.
    Hört, große Retter, und aus hochheiligen Büchern erlaubt mir
    zu schaun das ehrwürdige Licht, indem ihr den Nebel zerstiebet,
    dass ich unsterblich erkenne den Gott und den Menschen.
    Nicht soll mich im Strom des Vergessens, wo ich von den Seligen fern bin,
    stets ein Dämon besitzen, Verderbliches wirkend,
    noch eine grausame Strafe mit Lebensfesseln einst zwingen
    meine nicht wollende Seele, aus blutigem Stamme gewachsen,
    wogenumtoset umher auf ewig verlassen zu schweifen.
    Sondern, ihr Götter und Herrscher der leuchtenden Weisheit,
    hört mich und lasset erscheinen auf hohem Pfad dem Bedrängten
    Feste und heilige Weihen aus alterhwürdigen Mythen.
  • Gregor von Nazianz: Oratio 27 (Orationes) Sources chrétiennes 250, 76f.

    Der christliche Denker Gregor von Nazianz diskutiert die Bedingungen des „Philosophierens über Gott“ <br /><br /> Der kappadokische Vater Gregor von Nazianz bemüht sich, indem er Bedingungen des ,Philosophierens über Gott‘ nennt, dieses als Aktivität einer Elite innerhalb des Christentums darzustellen, die sich – auf eine ähnliche (vom Platonismus inspirierte) Weise, wie es Proklos schildert – auf einen solchen Aufstieg besonders vorbereiten kann
    Nicht Sache eines jeden, o ihr Anwesenden, ist das Philosophieren über Gott, nicht eines jeden. Diese Sache ist nicht so wohlfeil und zum niedrig Gehenden gehörig. Ich will hinzufügen: Weder überall, noch für alle, noch alles davon, sondern manchmal, und für bestimmte Leute, und bis zu einem gewissen Grad. [Sie ist] nicht Sache von allen, denn sie gehört den Geübten, den in der Theorie Fortgeschrittenen, die auch hiervor die Seele und den Körper gereinigt haben oder ihn reinigen, um das wenigste zusagen. ,Ein Unreiner nämlich berührt das Reine‘ (Platon, Phaidon 67b) zufällig und ohne Gewissheit, so wie auch die schwache Sehkraft nicht den Sonnenstrahl. [...] Man muss sich nämlich für das Seiende Ruhe nehmen und Gott erkennen. [...] Wer aber soll philosophieren, und bis zu welchem Grad? Soweit es für uns erreichbar ist und soweit die Disposition und Kraft des Hörenden gelangt.
  • Gregor von Nyssa: Predigten zum Buch Kohelet (Homiliae in Ecclesiasten) Gregorii Nysseni Opera 7, p. 406

    Der christliche Theologe Gregor von Nyssa über die Gotteserkenntnis <br /><br /> Gregor von Nyssa, der als der bedeutendste Denker unter den Kappadokiern gilt, entwickelt – in einer Interpretation des biblischen ,Prediger Salomos‘ – christliche Vorstellungen einer mystischen Gotteserkenntnis, in der sich die Ideen von Gott als dem Seienden und als dem Über-Seienden verbinden
    Die folgende Entwicklung des Arguments führt die Seele zu etwas Größerem, zur Philosophie über das Seiende. Sie zeigt nämlich, dass alles miteinander verbunden ist und dass die Harmonie des Seienden keine Auflösung kennt, sondern dass es eine Art Zusammenatmen von allem miteinander gibt. [...] Im Sein bleibt aber alles, was durch die Kraft des wahrhaft Seienden beherrscht wird. Das wahrhaft Seiende ist aber die Güte selbst oder irgendeine noch höhere Bezeichnung, die sich vielleicht jemand für die unsagbare Natur ausdenkt.
  • Evagrios Pontikos : Gnostikos (Gnostikos) Capita 1-3

    Evagrios Pontikos (ca. 345-399) definiert das Christentum <br /><br /> Evagrios Pontikos, der die philosophische Darstellung des Christentums bei Origenes und den Kappadokiern für das Mönchstum aufarbeitet, regt seine Leser an, das Christentum als Verbindung philosophischer Disziplinen zu begreifen
    1. Das Christentum ist die Lehre von unserem Erlöser Christus, die aus der praktischen, der physischen und der theologischen Disziplin besteht.
    2. Das ,Königreich der Himmel‘ (Matthäus 13, 11) ist die Leidensfreiheit der Seele verbunden mit wahrer Erkenntnis alles Seienden.
    3. Das ,Königreich Gottes‘ (Markus 4, 11)* ist die Erkenntnis der heiligen Trinität, die mit der Zusammenstellung des Geistes gemeinsam ausgedehnt ist und seine Unzerstörbarkeit überragt.

    *Beide Bibelstellen sind exakte Parallelen, an denen die Evangelisten nur andere Ausdrücke für das Reich Gottes wählen.
  • Augustinus von Hippo: Bekenntnisse (Confessiones) I 1

    Augustinus über die Grundlagen seines Strebens zu Gott
    Groß bist Du Gott, und sehr zu loben. Groß ist Deine Kraft, und Deine Weisheit hat kein Ende. Und der Mensch will Dich loben, irgendein Teil Deiner Schöpfung, und der Mensch, der seine Sterblichkeit herumträgt, der das Zeugnis seiner Sünde umherträgt und das Zeugnis, dass Du ,den Hochmütigen widerstehst‘ (Jakobus 4, 6). Und doch will Dich der Mensch loben, irgendein Teil Deiner Schöpfung. Du regst an, dass es Freude bereitet, Dich zu loben, denn Du hast uns auf Dich hin geschaffen, und unruhig ist unser Herz, bis es ruht in Dir. [...] Aber wer ruft Dich an, der Dich nicht kennt? Denn wer nicht kennt, kann etwas anderes anstelle von etwas anrufen. Oder wirst Du eher angerufen, damit Du gekannt wirst? Wie wird man aber jemand anrufen, an den man nicht geglaubt hat? Oder wie glaubt man ohne Verkündiger? [...] Ich will Dich suchen, Gott, indem ich Dich anrufe, und Dich anrufen, indem ich an Dich glaube.
  • Augustinus von Hippo: Bekenntnisse (Confessiones) III 7f.

    Augustinus berichtet über seine Bekehrung zur Philosophie als Gottsuche nach der Lektüre von Ciceros Hortensius
    a) Durch die übliche Ordnung des Lernens war ich zu einem Buch eines gewissen Cicero gelangt, dessen Sprache fast alle bewundern, seinen Gehalt hingegen nicht so sehr. Aber dieses Buch von ihm enthält eine Ermunterung zur Philosophie und wird ,Hortensius‘ genannt. Dieses Buch aber veränderte meine Geisteshaltung und verwandelte meine Bitten, Herr, zu Dir hin und machte meine Gebote und Begierden andere.
    b) Wie sehr brannte ich, mein Gott, wie sehr brannte ich danach, vom Irdischen zu Dir zurückzufliegen und wusste doch nicht, was Du mit mir tatest! Denn ,bei Dir ist die Weisheit‘ (Ijob 12, 13). Die Liebe zur Weisheit hat aber als griechische Bezeichnung ;Philosophie‘, zu der mich diese Schrift entbrannte. Es gibt Leute, die durch Philosophie verführen, indem sie ihre Irrtümer mit diesem großen, verführerischen und in sich guten Namen färben und kolorieren [...], und hierbei wird die heilsmäßige Ermahnung Deines Geistes klar [...]: ,Seht zu, dass Euch niemand durch leere Philosophie täuscht‘ (Kolosser 2, 8). [...] Weil mir dieses Apostelwort noch nicht bekannt war, freute ich mich an dieser Ermahnung daran, dass ich [...] die Weisheit selbst, worin sie auch immer bestehe, liebe und suche [...], und allein das [...] machte mich stutzig, dass der Name Christi dort nicht zu finden war.
  • Augustinus von Hippo: Bekenntnisse (Confessiones) VII 13f. 16

    Augustinus findet durch platonische Schriften einen Weg zum göttlichen Licht in sich selbst
    a) Du verschafftest mit durch einen bestimmten Menschen, der vor gewaltigem Stolz geschwollen war, bestimmte Bücher der Platoniker, die aus der griechischen Sprache in die lateinische übersetzt waren. Und dort las ich, dass, zwar nicht mit diesen Worten, aber ganz genau dasselbe mit vielen und vielfältigen Argumenten überzeugend angeraten wird: ,Am Anfang war das Wort* , und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort‘ (Johannes 1, 1) [...], aber ,das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt‘ (Johannes 1, 13) las ich dort nicht.
    b) Und hierdurch ermahnt, zu mir selbst zurückzukehren, trat ich unter Deiner Führung in mein Innerstes ein und konnte dies, weil ,Du mein Helfer geworden bist‘ (Psalm 29, 11). Ich trat ein und sah mit irgendeinem Auge meiner Seele oberhalb desselben Auges meiner Seele, oberhalb meines Verstandes ein unveränderliches Licht, nicht das gewöhnliche und für jedes Fleisch sichtbare, noch war es gleichsam von derselben Art, nur größer – so als ob dieses viel, viel heller leuchtet und alles durch seine Größe belegte. Nicht dies war es, sondern etwas von allem, allem weit Verschiedenes.
  • Augustinus von Hippo: Die freie Entscheidung (De libero arbitrio ) 2, 20f.; p. 239, 6-240, 16 Green

    Augustinus über die Evidenz des eigenen Seins <br /><br /> Typisch für Augustinus sind Reflexionen, die aus der eigenen Selbsterfahrung auf notwendige ontologische Folgen schließen. In diesem Sinne nimmt er bereits in der Frühschrift De libero arbitrio (Die freie Entscheidung) Descartes’ Cogito-Argument vorweg. In dem er die drei neuplatonischen Grundbegriffe Sein, Leben und Denken/Erkennen aus der Selbsterfahrung ableitet, könnte man meinen, das Denken werde nicht, wie bei Descartes, direkt, sondern erst im dritten Schritt bewiesen – aber ist es nicht in der Erfahrung der eigenen Irrtumsfähigkeit bereits enthalten?
    Augustinus: Zuerst frage ich dich, um vom Offensichtlichsten den Anfang zu nehmen, ob du selbst bist. Oder fürchtest du vielleicht, dass du in dieser Frage getäuscht wirst? Denn wenn Du nicht wärest, könntest du deswegen überhaupt nicht getäuscht werden.
    Evodius: Schreite ruhig zum Weiteren voran.
    A.: Weil also offensichtlich ist, dass du bist, und es dir nicht anders klar wäre, wenn Du nicht lebtest, ist auch dies klar, dass du lebst. Erkennst du, dass diese zwei am allerwahrsten sind?
    E.: Ganz und gar verstehe ich das.
    A.: Also ist auch dieses dritte offensichtlich, d.h. dass du erkennst.
  • Augustinus von Hippo: Die freie Entscheidung (De libero arbitrio ) I 82f. 86

    Augustinus entwickelt das Konzept eines guten Willens
    Augustinus: Ich frage Dich, ob es in uns irgendeinen Willen gibt.
    Evodius: [...] Es kann nicht bestritten werden, dass wir einen Willen haben. [...]
    A. Sage auch [...], ob Du meinst, dass Du auch einen guten Willen hast.
    E. Was ist ein guter Wille?
    A. [...] Sieh nur, ob Du ein richtiges und ehrbares Leben nicht anstrebst [...] oder etwa zu bestreiten wagst, dass wir, wenn dies wollen, einen guten Willen haben. [...] Was nämlich liegt so sehr im Willen wie der Wille selbst? Ein jeder, der diesen als guten hat, hat gewiss das, was allen irdischen Königreichen und allen Lüsten des Körpers lange vorzuziehen ist.
  • Augustinus von Hippo: Der Gottesstaat (De civitate dei) XII 6, p. 518, 30-519, 24

    Augustinus fragt nach der Ursache für den bösen Willen der gefallenen Engel
    Gewiss, ist der Anfang jeder Sünde der Stolz‘ (Jesus Sirach/Ecclesiasticus 10, 13). Die gefallenen Engel wollten also ihre Tapferkeit nicht für Gott bewahren, und die, die noch mehr wären, wenn sie dem angehängt hätten, der am höchsten ist, sie zogen das vor, was weniger ist, indem sie sich selbst ihm vorzogen. [...] Wenn für diesen schlechten Willen nun überhaupt eine Ursache gesucht wird, dann wird nichts gefunden. [...] Denn wenn es irgendein Ding ist, dann hat dies entweder einen Willen oder es hat keinen; wenn es einen hat, dann entweder einen guten oder einen schlechten [...]. Da soll ein guter Wille zur Ursache der Sünde werden – etwas Absurderes lässt sich nicht vorstellen. Wenn aber das Ding, von dem man annimmt, es bewirke den bösen Willen, auch selbst einen bösen Willen hat, [...] dann untersuche ich die Ursache für diesen bösen Willen. [...] Aber dieser erste ist einer, den keiner bewirkt hat.
  • Augustinus von Hippo: Bekenntnisse (Confessiones) II 9

    Augustinus beschreibt die absolute Verkommenheit seines Willens als Jugendlicher
    Gewiss, o Herr, bestraft dein Gesetz den Diebstahl, und das Gesetz, das in die Herzen der Menschen geschrieben ist, welches nicht einmal die Ungerechtigkeit selbst zerstört. [...] Und ich wollte einen Diebstahl begehen, und ich beging ihn, von keiner Not gezwungen, es sei denn von Armut und Überdruss an Gerechtigkeit und durch die Mästung mit Ungerechtigkeit. Denn ich habe etwas gestohlen, was ich im Übermaß hatte und auch viel besser, und ich wollte auch nicht das genießen, was ich durch den Diebstahl erstrebte, sondern den Diebstahl selbst und die Sünde. In der Nachbarschaft unseres Weinbergs stand ein Birnbaum, beladen mit Früchten, die weder durch Form noch durch Geruch anlockten. Um ihn leerzuschütteln und abzuernten brachen wir verruchten jungen Kerle in einer windlosen Nacht auf [...] und trugen von dort gewaltige Lasten fort, nicht als unsere eigene Speise, sondern eher, um sie den Schweinen vorzuwerfen. Selbst wenn wir etwas davon aßen, so geschah von uns doch nur etwas, das deswegen gefiel, weil es sich nicht gehörte. [...] Schau mein Herz an: Was suchte es dort, so dass ich freiwillig schlecht war und es keinen Grund für meine Schlechtigkeit gab als eben Schlechtigkeit?
  • Augustinus von Hippo: Bekenntnisse (Confessiones) VIII 10f.

    Augustinus erlebt in sich den Kampf zweier Willen, als er sich taufen lassen will
    Mein Wollen hielt der Feind gefangen und hatte mir daraus eine Kette gemacht und mich gefesselt. Deswegen wurde aus dem verdrehten Willen das Begehren, und während dem Begehren gedient wird, wurde es zur Gewohnheit, und während der Gewohnheit nicht widerstanden wird, wurde es zur Notwendigkeit. [...] Der neue Wille aber, der bei mir zu sein begonnen hatte, dass ich Dich einfach so verehrte und Dich genießen wollte, Gott, sichere Heiterkeit, war noch nicht geeignet, den alten zu überwinden, der durch Alter gefestigt war. So traten meine beiden Willen [...] in Konflikt miteinander und zerstreuten in ihrer Zwietracht meine Seele. So verstand ich an mir selbst als Beispiel, was ich gelesen hatte, wie ,das Fleisch gegen den Geist begehrte und der Geist gegen das Fleisch‘ (Galater 5, 17).
  • Augustinus von Hippo: Verschiedene Fragen an Simplikian (De diversis quaestionibus ad Simplicianum ) I 15

    Augustinus erläutert, wie die für das gute Handeln notwendige Gnade Gottes im Menschen wirkt
    Das Gesetz vergrößert die Begierde durch das Verbot und verpflichtet den durch Übertretung Schuldigen, indem es befiehlt, was die Menschen aus Schwäche nicht erfüllen können, wenn sie sich nicht aus Frömmigkeit zur Gnade Gottes bekehren; daher wird von denen gesagt, sie seien unter dem Gesetz, die dieses beherrscht; es beherrscht aber die, die es bestraft; es bestraft aber alle Übertreter. Ganz allgemein übertreten die das Gesetz, die es angenommen haben, wenn sie nicht durch Gnade bekommen, das zu können, was es befiehlt. So kommt es, dass es die nicht beherrscht, die unter der Gnade stehen, es in Liebe erfüllen.
  • Augustinus von Hippo: Die Dreieinigkeit (De trinitate ) V 6

    Augustinus erklärt, warum die Personen der Trinität weder Substanzen noch Akzidenzien im Sinne von Aristoteles‘ Kategorienlehre sind
    (1) Bei den geschaffenen [...] und veränderlichen Dingen kann das, was nicht mit Bezug auf die Substanz ausgesagt wird, nur mit Bezug auf ein Akzidens von ihnen ausgesagt werden. Denn akzidentell kommt ihnen als das zu, was entweder verloren oder verringert werden kann, Größen und Qualitäten, und das, was wegen einer Beziehung ausgesagt wird so wie Freundschaften, Nachbarschaften, Dienstverhältnisse, Ähnlichkeiten, Gleichheiten und Ähnliches [...]. (2) Bei Gott aber wird nichts mit Bezug auf ein Akzidens ausgesagt, weil nichts an ihm veränderlich ist; und doch wird nicht alles, was ausgesagt wird, mit Bezug auf die Substanz ausgesagt. Denn es wird eine Beziehung ausgesagt [...], weil ein Vater nicht Vater genannt wird, außer weil er einen Sohn hat, und ein Sohn nicht so genannt wird, außer weil er einen Vater hat. [...] Obwohl es daher einen Unterschied macht, ein Vater zu sein und ein Sohn zu sein, ist die Substanz doch nicht unterschieden, weil dies nicht mit Bezug auf die Substanz gesagt wird, sondern mit Bezug auf die Beziehung, welche Beziehung aber kein Akzidens ist, denn sie ist nicht veränderlich.
  • Augustinus von Hippo: Die Dreieinigkeit (De trinitate ) V 10

    Augustinus schlägt eine neue Begrifflichkeit für Gott vor, um auf den Substanzbegriff verzichten zu können
    (1) Es ist [...] schändlich zu sagen, dass Gott vorhanden ist und seiner Güte zugrunde liegt, und dass diese Güte nicht eine Substanz ist, oder besser eine Wesenheit, und dass Gott selbst nicht seine Güte ist, sondern sie an ihm wie an einem Zugrundeliegenden ist.
    (2) Von daher ist klar, dass Gott uneigentlich Substanz genannt wird, damit durch ein gebräuchlicheres Wort ,Wesenheit‘ verstanden wird, was er wahrhaft und spezifisch genannt wird, so dass vielleicht Gott allein Wesenheit genannt werden darf. Er ist es nämlich wahrhaft als Einziger, weil er unveränderlich ist und das dem Mose als seinen Namen verkündete, als er sagte: „Ich bin der, der ich bin, und du sollst zu Ihnen sagen: Der ist, hat mich zu euch geschickt“ (Exodus 3, 14). Aber trotzdem, gleich ob er Wesenheit genannt wird, wie man ihn spezifisch nennt, oder Substanz, wie man ihn uneigentlich nennt, beides wird er für sich genannt, nicht in Beziehung auf etwas. [...]
    (3) Deshalb ist die Dreifaltigkeit, wenn sie eine einzige Wesenheit ist, auch eine einzige Substanz.
  • Augustinus von Hippo: Die Dreieinigkeit (De trinitate ) X 19

    Augustinus erklärt den menschlichen Geist als Einheit von Erinnerung, Erkennen und Wollen <br /><br /> Augustinus’ widerholte Versuche, die relationale Einheit der Trinität zu erklären, entwickelt sich zu einer neuplatonisch inspirierten Strukturanalogie zwischen menschlichem und göttlichem Geist, bei der ersterer als Einheit der drei Grundvollzüge Erinnerung, Erkennen und Wollen charakterisiert wird
    Wir haben also den Geist in der Erinnerung, dem Erkennen und dem Wollen seiner selbst als einen solchen festgestellt, dass von ihm deswegen, weil er als dauerndes Wissen seiner selbst und dauerndes Wollen seiner selbst begriffen wurde, gleichzeitig ebenfalls begriffen wurde, dass er sich an sich selbst dauernd erinnert und sich selbst dauernd erkennt und liebt, obwohl er sich nicht dauernd unterschieden von dem denkt, das nicht das ist, was er selbst ist.
  • Augustinus von Hippo: Bekenntnisse (Confessiones) 11, 36-38

    Augustinus‘ Erklärung der Zeit als Aufspaltung von seiten des Geistes (distentio animi)
    In Dir also, mein Geist, messe ich die Zeiten. [...] Wer bestreitet also, dass Zukünftiges noch nicht ist? Und doch ist im Geist bereits die Erwartung des Zukünftigen. Und wer bestreitet, dass das Vergangene nicht mehr ist? Und doch ist die Erinnerung an das Vergangene noch im Geist. Und wer bestreitet, dass die Gegenwart keine Ausdehnung hat, weil sie im Moment vergeht? Und doch dauert die Aufmerksamkeit an, durch die das, was da sein wird, zum Fort-Sein hin eilt. [...] Ich will ein Lied vortragen, das ich kenne. Bevor ich beginne, richtet sich meine Erwartung auf das Ganze. Habe ich begonnen, dann erstreckt sich auch meine Erinnerung über das, was ich aus jener in die Vergangenheit abgelegt habe. Das Leben dieser meiner Tätigkeit spaltet sich dann auf in die Erinnerung, weil ich bereits vorgetragen habe, und die Erwartung, weil ich noch weiter vortragen werde. [...] Was so mit dem ganzen Lied geschieht, das wiederholt sich mit seinen einzelnen Abschnitten und in seinen einzelnen Silben.
  • Boethius, Anicius Manlius Severinus: Gegen Eutyches und Nestorius (Contra Eutychen et Nestorium ) 3, p. 214, 168-173

    Boethius (480-524) definiert den Begriff ,Person‘
    Wenn es daher eine Person nur unter den Substanzen gibt, und zwar unter den vernunftbegabten, und wenn jede Substanz eine Natur ist und wenn sie nicht in Allgemeinem, sondern in Einzelnem besteht, so ist die Definition von Person gefunden: ,eine einzelne Substanz der rationalen Natur‘. Mit dieser Definition haben wir aber diejenige bezeichnet, die die Griechen Hypostase nennen.
  • Boethius, Anicius Manlius Severinus: Der Trost der Philosophie (Consolatio philosophiae ) I Prosa 1. 3

    Boethius schildert, wie er die Philosophie erkannte
    a) Es schien mir, als ob über mir eine Frau hinzuträte von höchst ehrwürdigem Antlitz, mit funkelnden und über das gewöhnliche Vermögen der Menschen durchdringenden Augen. [...] Ihr Wuchs war von wechselnder Größe; denn bald zog sie sich zum gewöhnlichen Maß der Menschen zusammen, bald schien sie mit dem Scheitel den Himmel zu berühren.
    b) Als sie die poetischen Musen, die mein Lager umstanden und meiner Tränenflut Worte liehen, erblickte, sprach sie etwas erregt und mit finster flammenden Blicken [...]: ,Wer hat diesen Dirnen der Bühne den Zutritt zu diesem Kranken erlaubt, die seinen Schmerz nicht nur mit keiner Arznei lindern, sondern ihn obendrein mit süßem Gifte nähren? [...] Wenn eure Schmeicheleien einen Uneingeweihten [...] ablenkten, so würde ich das mit mehr Gleichmut ertragen. [...] Doch ist dieser nicht mit den Studien der Eleaten und Akademiker erzogen worden? Drum verschwindet besser, ihr Sirenen, die ihr süß seid bis zum Verderben, überlasst ihn meinen Musen zur Pflege und zur Heilung. [...] So gescholten ging jener Chor [...] traurig über die Schwelle hinaus. [...] Als die Nebel der Traurigkeit auf keine andere Weise aufgelöst waren, sog ich den Anblick des Himmels ein und [...] erblickte, als ich die Augen auf sie richtete und meinen Blick auf sie heftete, meine alte Nährerin [...], die Philosophie.
  • Boethius, Anicius Manlius Severinus: Der Trost der Philosophie (Consolatio philosophiae ) V, Prosa 6, 6f. 10

    Boethius erklärt den Begriff der Ewigkeit im Gegensatz zur unendlichen Dauer
    Was also dem Modus der Zeit unterliegt, selbst wenn es, wie Aristoteles von der Welt glaubte, weder begonnen hat noch enden wird, [...] ist noch nicht so, dass es zu Recht als ewig verstanden werden kann. Denn es umfasst nicht das Ganze zugleich [...], sondern hat das Zukünftige noch nicht, das Vergangene nicht mehr. [...] Denn es ist eine Sache, durch ein unendliches Leben geführt zu werden [...], eine andere, die gesamte Gegenwart des unendlichen Lebens gleichermaßen zu umfassen, was klarerweise dem göttlichen Geist eigentümlich ist.
  • Boethius, Anicius Manlius Severinus: Der Trost der Philosophie (Consolatio philosophiae ) V, Prosa 6, 30f.

    Der Blick Gottes auf die Welt lässt Boethius zufolge freies menschliches Handeln möglich sein
    Wenn die Für-Sehung etwas Gegenwärtiges sieht, gibt es dies notwendigerweise, obwohl es keine Naturnotwendigkeit besitzt. Aber Gott betrachtet das Zukünftige, was aus der Freiheit der Entscheidung hervorgeht, als etwas Gegenwärtiges. Dies geschieht also bezogen auf den göttlichen Blick notwendig, im Modus der göttlichen Erkenntnis, aber in sich selbst betrachtet tritt es von der absoluten Freiheit seiner Natur nicht zurück.
  • Johannes Philoponos : Kommentar zu Aristoteles’ Meteorologie (in Aristotelis Meteorologicorum librum primum comm) p. 17, 11-16

    Johannes Philoponos (ca. 500-575) wendet ein Unendlichkeits-Paradox gegen Aristoteles ein
    Wenn die Vergangenheit unendlich ist, dann wächst das Unendliche notwendigerweise, wenn das Spätere hinzukommt, und es hört nicht mehr auf zu wachsen, wenn die Zeit ins Unendliche fortschreitet. Wenn es also schon unmöglich ist, dass das Unendliche geworden ist, wie Aristoteles gezeigt hat, dann ist es noch viel unmöglicher, dass etwas Größeres und Unendlicheres entsteht.
  • Johannes Philoponos : Die Schöpfung der Welt (De opificio mundi) 28, 21-29, 3

    Johannes Philoponos nimmt eine Selbstbewegungskraft von Körpern an (Impetus-Theorie)
    Konnte Gott denn nicht dem Mond, der Sonne und den übrigen Sternen, als er sie schuf, eine Bewegungskraft eingeben, wie den schweren und leichten Körpern ihre Bewegungstendenzen und allen Lebewesen die Bewegungen von der ihnen innewohnenden Seele?
  • Pseudo-Dionysios Areopagita : Mystische Theologie (De mystica theologia ) I 1. 2 [141, 3-142, 2; 143, 3-7 Ritter]

    Die negative Theologie nach Pseudo-Dionysios Areopagita (Antike Philosophie II)
    Bei Gott sind die Geheimnisse der Theologie durch die das Licht übersteigende Dunkelheit des mystisch-geheimen Schweigens verdeckt. [...] Bei ihm muss man, als von der Ursache von allem, alles vom Seienden Aussagbare einerseits zusprechen und bejahen, und alles andererseits, weil er oberhalb von allem ist, in noch höherem Maße verneinen. Und man darf nicht glauben, dass die Verneinungen den Bejahungen widersprechen, sondern dass das, was jenseits von allem Ab- und Zusprechen ist, jenseits von allen Unvollkommenheiten ist.
  • Barḥaḏbǝšabbā von Ḥalwān : Ursache der Gründung von Schulen (Causa fundationis scholarum) p. 371, l. 7-10

    Barḥaḏbǝšabbā von Ḥalwān (um 590) erklärt die Leistung Jesu Christi (Antike Philosophie II)<br /> Barḥaḏbšabbā nennt den wahren Vollender der Philosophie (Judentum und Islam)
    Er [Jesus] setzte tragfähige Definitionen der Philosophie (filosofūṯā); so erweckte er die Weisheit, die tot war, belebte die Gottesfurcht, die nichtig war, und zeigte die Wahrheit, die verlorengegangen war: alle Arten von Wissenschaften, gleichsam als unterschiedliche Glieder einer Statue, entwarf und begründete er kurzgefasst in den Ohren der Gläubigen.
  • Barḥaḏbǝšabbā von Ḥalwān : Ursache der Gründung von Schulen (Causa fundationis scholarum) p. 334, l. 7-15

    Barḥaḏbǝšabbā von Ḥalwān beweist Gott aus der Notwendigkeit einer ewigen Ursache heraus
    Denn auch wenn dieses Wort ‚es ist‘ (īṯāw) für die Gesamtheit (gāwā) und für das Spezifische (īḥīdāyā) gleich ist, so ist es doch in eigentlicher Weise für Gott allein treffend und passend. Denn alles was ,ist‘, ist entweder geworden (hāwyā = γενητόν) oder nicht geworden (lā hāwyā = ἀγένητον). Und so wie bei dem, was geworden ist, das was war, früher ist, als das, was ,ist‘ – indem es die Ursache von diesem ist –, ebenso ist auch bei dem, was ,ist‘, ohne geworden zu sein, das ewige Sein (īṯyā mettōmāyā) früher als das, was ,ist‘ – indem es die Ursache von dem ist, was ist. Denn wenn es kein ewiges Sein ist und es doch ,ist‘, dann ist es geworden. Wenn dies wahr ist, dann hat es einen Ursprung und empfängt von etwas anderem das Gewordensein, und es hat mit allem, was geworden ist, diese beiden (Aspekte) gemein, zum einen den, dass es geworden ist, und zum anderen den, dass ,es ist‘. Wenn es absurd ist, dies für den jenseitigen Bereich zu denken, folgt daraus, dass er (= Gott) ,ist‘, weil er Sein ist, während die Schöpfung ,ist‘, weil sie geworden ist und einen Ursprung hat.
  • Sergios von Rēšʿaynā : Traktat über die Ursachen des Alls nach der Meinung des Aristoteles S. 143

    Sergios von Rēš‘aynā (gest. 536) fordert bei mangelndem Verstehen zu weiterer Forschung offener Rede auf
    Wenn Dir also, o mein Lieber, etwas in der Untersuchung dessen, was gesagt wurde, weiteren Studiums und weiterer Forschung zu bedürfen scheint, die gründlicher ist als diese, darf man nicht, wegen dem bisschen Schwierigkeit, das sich hierin zeigt, aufgeben und den Freimut (parhesīyā) über die ganze Lehre (dōgmā) fallenlassen. [...] Denn in jeder Hinsicht ist entweder die Lösung etwas von größerer Kraft als das von uns Gesagte, oder die Schwierigkeit der Sachen selbst, über die wir sprechen wollen, oder die Schwäche unserer eigenen Natur hindern uns an einem genauen und unstreitigen Wissen über die Dinge. Und doch ist es deswegen für uns nicht angemessen, dass wir die ganze Wissenschaft der Philosophie (julpānā ḏǝfilosofūṯā) verachten oder die Hand auf den Mund legen und ganz schweigen. Sondern es ist eine Pflicht, dass wir das, was unser Verstand (mellǝṯā = logos), während wir forschen, findet, dass es wahrer ist als das andere, darlegen und beginnen hierüber zu forschen wie über die Wahrheit.
  • Sextos Empirikos: Pyrrhonische Hypotyposen (Pyrrhoneae Hypotyposes) I 164 - 169

    Die fünf Tropen des Agrippa nach Sextos Empirikos
    Die Pyrrhoneer meinen, jede philosophische Behauptung anhand so genannter Tropen widerlegen zu können, z.B. anhand der fünf Tropen des Agrippa, die Sextos Empirikos referiert:
    Die jüngeren Skeptiker [der frühen Kaiserzeit] überliefern fünf Tropen der Urteilsenthaltung [...]
    (1) Der aus der Uneinigkeit ist der, demgemäß wir im Leben und bei den Philosophen über den vorgelegten Gegenstand ein unentscheidbarer Streit entstanden ist. [...]
    (2) Der aus dem Fallen ins Unendliche ist der, bei dem wir sagen, dass das zur Bestätigung der vorgelegten Sache Angeführte einer anderen Bestätigung bedarf, und dieses wieder einer anderen, und bis ins Unendliche. [...]
    (3) Der aber von der Relation [...], dem zufolge das Vorliegende dem Urteilenden gegenüber [...] so oder so scheint, wir uns aber darüber, wie es der Natur nach ist, des Urteils enthalten. [...]
    (4) Der von der Hypothese her liegt dann vor, wenn die Dogmatiker, ins Unendliche zurückgeworfen, von etwas beginnen, was sie nicht begründen, sondern dies einfach und unbewiesen als Zugeständnis zu akzeptieren fordern.
    (5) Der gegenseitige Tropos ergibt sich, wenn das zur Bestätigung der gesuchten Sache Erforderliche selbst Bedarf nach Bestätigung durch das Gesuchte hat.
  • Sextos Empirikos: Pyrrhonische Hypotyposen (Pyrrhoneae Hypotyposes) III 9-11, Auszüge

    Eine pyrrhoneische Argumentation zur Existenz Gottes (Antike Philosophie I)<br /> Eine Argumentation zur Existenz Gottes, zeigt wie die pyrrhoneischen Skeptiker einzelne Streitfragen behandeln (können) (Antike Philosophie II)
    [1] Wer sagt, es gebe Gott, der meint entweder, a) er übe eine Vorsehung über das im Kosmos Vorhandene aus oder b) er übe keine Vorsehung aus,
    [2] und wenn a) eine Vorsehung ausübe, dann a1) über alles oder a2) über einiges.
    [Gegen a] Aber wenn er über alles eine Vorsehung ausüben würde, dann gäbe es gewiss weder etwas Schlechtes noch Schlechtigkeit im Kosmos. [...] Wenn er aber über einiges Vorsehung ausübt, warum übt er sie dann über einiges aus, über anderes nicht? [...]
    [Gegen b] Wenn er aber über nichts eine Vorsehung besitzt und es weder ein Werk noch eine Wirkung von ihm gibt, wird niemand sagen können, wie er darauf kommt, dass es Gott gibt.
  • Bardaiṣān: Buch der Gesetze der Völker § 4-6

    Bardaiṣān betont, dass die Suche nach Wissen angemessener ist als ein bloßer Glaube
    [1] Bardaiṣān sagte: ,Verständig sprichst Du. Aber wisse, dass der, der recht fragt und überzeugt werden will und sich ohne Streit auf den Weg der Wahrheit begibt, nicht schuldig ist und sich nicht schämen muss, denn er bereitet [...] dem, der gefragt wird, Freude‘. [...]
    [2] ‘Avīdā sagte: ,[...] Meine Brüder [...] wollten mich nicht überzeugen, sondern sie sagten: Glauben musst Du, und Du kannst alles erkennen! Aber ich kann nicht glauben, wenn ich nicht überzeugt werde‘. [...].
  • Bardaiṣān: Buch der Gesetze der Völker §8

    Als Antwort auf die Frage betont Bardaiṣān, typisch für die alte Kirche, den zentralen Wert der menschlichen Handlungsfreiheit in der Schöpfung der Welt
    [1] Bardaiṣān sagte: ,[...] Worin also unterscheidet sich der Mensch von der Kithara, auf der ein anderer spielt, oder von dem Wagen, den ein anderer fährt? [...] Sie sind Werkzeuge, gemacht zum Gebrauch dessen, der Wissen besitzt.
    [2] In seiner Milde wollte Gott den Menschen nicht so machen, sondern er erhob ihn in Freiheit über viele Dinge und stellte ihn mit den Engeln auf eine Stufe. [...] Denn wenn er so gemacht wäre, dass er nichts Böses tun könnte, so dass er hierdurch nicht schuldig würde, so stammte auch das Gute, das er täte, nicht von ihm her, und er wäre hierdurch nicht gerechtfertigt‘.
  • Themistios : 2. Rede an Konstantios (Oratio secunda ad Constantium) 30bc. 32cd

    Der platonisierende Redner Themistios (ca. 317-388) über wahre Philosophie:
    Nehmt Ihr vielleicht an, dass jemand ein Philosoph ist, wenn er herauf und herunter über logische Schlüsse spricht und in der Lage ist, jedwede Argumente zu überprüfen, die verborgenen offenzulegen, und zwar sowohl affirmative als auch negative, [...] deren Verständnis schwer, deren Kenntnis aber nutzlos ist? [...] Oder vielleicht eher, dass der ein Philosoph ist, der die Tugend gründlich behandelt und die Kühnheit und die Tapferkeit – wobei er auf einem Bettchen vor drei oder vier jungen Kindern sitzt und vor Schwäche nicht einmal in der Lage ist, aus seinem Häuschen heraus zu blicken? [...] Mir genügt es demgegenüber, den Gipfel der Philosophie zu bezeugen [...]. Denn der Hauptpunkt für Platon sowie das Ende und der Gipfel aller Worte ist dies, dass die Philosophie nichts anderes ist als das Ähnlichwerden mit Gott, soweit es einem Menschen möglich ist.
  • Aristoteles: Nikomachische Ethik (Ethica Nicomachea) I 5, 1097a 30-b 5

    Aristoteles‘ Definition des Glücks bzw. der Eudaimonie als Ziel allen Handelns:
    Wir nennen [...] vollendet schlechthin dasjenige, was immer als solches und nie um etwas anderen willen gewählt wird. Von dieser Art scheint aber am meisten das Glück zu sein. Dieses nämlich wählen wir immer um seiner selbst willen und niemals um etwas anderen willen, während wir Ehre, Lust, Geist und jede Tugend zwar um ihrer selbst willen wählen [...], aber auch des Glücks wegen, weil wir annehmen, dass wir durch sie glücklich sein werden.
  • Hegel, Georg Wilhelm Friedrich : Phänomenologie des Geistes S. 21

    Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770-1831) über die Notwendigkeit, die Philosophie als System darzustellen:
    Unter mancherlei Folgerungen, die aus dem Gesagten fließen, kann diese herausgehoben werden, daß das Wissen nur als Wissenschafft oder als System wirklich ist, und dargestellt werden kann. Daß ferner ein sogenannter Grundsatz oder Princip der Philosophie, wenn es wahr ist, schon deswegen auch falsch ist, weil er Grundsatz oder Princip ist. [...] Mangelhaft [...] ist er, weil nur das Allgemeine oder Princip, der Anfang, ist.
  • Olympiodoros der Jüngere: Kommentar zu Platons Gorgias (Olymiodor) 12, 1

    Die Stoiker definieren die Philosophie als System
    Zenon aber sagt: „Eine Fertigkeit ist eine Zusammenstellung (systēma) von Aufgefasstem, die zusammen auf ein brauchbares Ziel der Lebensführungen hin ausgeübt werden.
  • Diogenes Laertios: Leben der Philosophen (Vitae philosophorum) 7, 39f.

    Der Philosophiehistoriker Diogenes Laertios (3. Jh.) über die Teile der Philosophie
    Sie sagen, die der Philosophie entsprechende Struktur sei dreiteilig. Eines von ihr sei nämlich naturphilosophisch, ein anderes ethisch, ein drittes logisch. [...] Sie vergleichen aber die Philosophie mit einem Lebewesen, wobei sie die Logik mit den Knochen und Nerven gleichsetzen, die Ethik mit den fleischlichen Teilen, die Physik aber mit der Seele. Oder auch mit einem Ei: Das Äußere sei die Logik, das danach die Ethik, das Innerste die Physik
  • Alkuin: Lehrbuch der Grundsätze Platons 153, 25-30

    Der Platoniker Alkinous (2. Jh.) erklärt in platonisch-aristotelischer Terminologie ein stoisches Dreierschema
    Bemühen des Philosophien scheint Platon zufolge in dreierlei zu bestehen: In der Schau des Seienden, im Handeln in Bezug auf in sich gute Dinge und in der Theorie der Vernunft selbst. Die Erkenntnis des Seienden wird aber theoretisch genannt, die über das beim Handeln Richtige praktisch, schließlich die auf die Vernunft bezogene dialektisch
  • Origenes: Kommentar zum Hohelied (In Canticum canticorum, prooemium) S. 75, 6-23

    Der Kirchenvater Origenes (ca. 185-254; Alexandria und Palästina) erläutert die Teile der Philosophie
    Die allgemeinen Disziplinen, durch die man zum Wissen der Dinge gelangt, sind drei, die die Griechen [i.e. die paganen Philosophen] Ethik, Physik und Enoptik nannten [...]. Einige der Griechen setzten die Logik [...] an die vierte Stelle. Andere sagten, sie sei nicht eigenständig, sondern den drei Disziplinen, die wir oben genannt haben, eingefügt und verbunden [...]. Ethik aber wird die genannt, durch die eine ehrbare Lebensweise angepasst wird und Regeln, die zur Tugend hinneigen, vorbereitet werden. Naturwissenschaft wird die genannt, in der die Natur jeder Sache erörtert wird, damit nichts im Leben gegen die Natur getan wird, sondern ein jedes dem Zweck zugeführt wird, zudem es vom Schöpfer hergestellt wurde. Enoptik wird die genannt, durch die wir, wenn wir das Sichtbare überstiegen haben, etwas vom Göttlichen und Himmlischen betrachten und allein mit dem Geist anschauen
  • Cicero: Das höchste Gut und das höchste Übel (De finibus bonorum et malorum) 3, 74

    Cicero bewundert das System der stoischen Philosophie
    Cato [der in diesem Dialog die stoische Position vertritt]: Aber ich merke schon, dass ich länger gesprochen habe, als das gegenwärtige Thema verlangte. Aber die bewundernswerte Zusammenstellung (compositio = systēma?) der Lehre und die unglaubliche Ordnung der Dinge zog mich fort – bewunderst Du sie nicht, bei den unsterblichen Göttern? Was nämlich kann entweder in der Natur, im Vergleich zu der nichts geeigneter ist, nichts besser ausgearbeitet, oder in den menschgemachten Werken gefunden werden, das so zusammengesetzt und zusammengefügt und aneinander angepasst ist? Welches Spätere passt nicht zum Vorhergehenden? Was folgt, was nicht einem Früheren entspricht? Wo ist nicht das eine so mit dem anderen verbunden, dass dann, wenn Du einen Buchstaben veränderst, alles ins Rutschen kommt? Und doch gibt es nichts, was verändert werden kann!
  • Aristoteles: Nikomachische Ethik (Ethica Nicomachea) I 1, 1094b 12-22

    Aristoteles erklärt die Grenzen, die eine ethische Reflexion haben muss
    Genauigkeit darf man nämlich nicht bei allen Aussagen auf im gleichen Grade suchen, so wie man es auch bei handwerklich Hergestelltem nicht macht. Das an sich Gute/Schöne und Gerechte, das die politische [Wissenschaft] untersucht, enthält viele Unterschiede und Verirrungen, so dass es anscheinend nur einem Gesetz folgt, aber nicht der Natur. Eine solche Verirrung weisen auch die guten Dinge auf, weil der Mehrheit [der Menschen] aus ihnen Schäden zustoßen. Denn schon einige sind an Reichtum zugrunde gegangen, andere an Tapferkeit. Angemessen ist es also, wenn man über derartiges und aufgrund von derartigem spricht, grob und umrisshaft auf die Wahrheit hinzuweisen und sich, wenn man über das, was in den allermeisten Fällen so ist, und aufgrund von derartigem spricht, auch mit derartigem zu begnügen
  • Lukian von Samosata: Hermotimos (Hermotimos) 11f.

    Lukian von Samosata über die philosophische Diskussionskultur der Kaiserzeit
    Lykinos: Es heißt, [dein stoischer Lehrer] habe den Abend bei dem wohlbekannten Euphrates gefeiert, der zum Geburtstag seiner Tochter einlud. Während des Symposions habe er viel philosophiert, sich mit dem Peripatetiker Euthydemos angelegt und sei mit ihm über einen der üblichen Punkte, wo sie den Stoikern widersprechen, in die Haare geraten. [...]
    Hermotiomos: Wer hat denn gewonnen, Lykinos? [...]
    L.: Am Anfang, sagt man, stand es noch unentschieden, aber am Ende war der Sieg Eurer, und der alte Mann war turmhoch überlegen. Euthydemos, heißt es [...] war frech und spitzfindig und wollte sich nicht überzeugen lassen, er gab sich wohl auch nur wenige Blößen, und da packte Dein Lehrer, der Gute, seinen Pokal, einen wahren Nestorbecher, und drosch ihm, er lag ja neben ihm, damit auf den Kopf – und so siege er.
    H.: Jawoll! Genau so muss man mit Leuten umgehen, die den Besseren nicht weichen wollen.
  • Cicero: Akademische Abhandlungen Lucullus (Lucullus/Academicorum ) II § 7

    Cicero beschreibt seine philosophische, der akademischen Skepsis entstammende philosophische Methodik
    Weil wir aber gegen alle das zu vertreten pflegen, was richtig scheint, können nicht vermeiden, dass andere mit uns anderer Meinung sind – obwohl unsere Sache leicht ist, die wir ohne jedes Zufriedensein die Wahrheit suchen [..] Und auch unsere Erörterungen machen nichts anderes, außer dass sie, durch Argumente für beide Seiten, etwas herausbringen und gleichsam herausdrücken, was entweder wahr ist oder sich hieran so nah wie möglich annähert.
  • Zeller, Eduard: Die Philosophie der Griechen in ihrer geschichtlichen Entwicklung 3, 1 S.547f.

    Der hegelianische Philosophiehistoriker Eduard Zeller (1814-1908) erklärt die posthellenistische Philosophie insgesamt für einen „Ekklektizismus“
    Diejenige Form der Philosophie, welche um den Anfang den Anfang unserer Periode [d.h. am Ende des Hellenismus] hervortrag, hatte sich im Laufe des 3. und 2. Jahrhunderts [vor Christi Geburt] in ihren drei Hauptzweigen [Stoiker, Epikureer, Skeptiker] vollendet. [...] Sobald dagegen der wissenschaftliche Geist ermattet, und ein längerer Zeitraum ohne neue Schöpfungen nur durch die Verhandlungen zwischen den verschiedenen Schulen ausgefüllt wird, so wird das natürliche Ergebnis dieser Verhandlungen, die teilweise Vermischung der streitenden Parteien, in weiterem Umfang hervortreten, und die gesamte Philosophie wird jene eklektische Haltung einnehmen, die in ihrer allgemeinen Ausbreitung immer das Vorzeichen entweder einer tiefgreifenden Umwälzung oder des wissenschaftlichen Verfalls ist. Eben dieses war der Fall, in dem sich die griechische Philosophie in den letzten Jahrhunderten v. Chr. befand.
  • Cousin, Viktor : Kurs über die Geschichte der modernen Philosophie 1-2 12

    Der französische Philosophiehistoriker Victor Cousin (1792-1867) lobt ein nicht systemorientiertes Denken
    Das, was ich empfehle, ist derjenige aufgeklärte Eklektizismus, der, indem er alle Lehren mit Gerechtigkeit, ja sogar mit Wohlwollen beurteilt, ihnen das entnimmt, was sie an Gemeinsamem und an Wahrem enthalten, und das vernachlässigt, was sie an Entgegengesetztem und an Falschem enthalten.
  • Epikur: Gültige Sentenzen (Ratae sententiae) 24 = LS 17B

    Epikur verweist auf die sinnliche Wahrnehmung des Gegenwärtigen als zentrales Wahrheitskriterium
    Solltest Du irgendeine Sinneswahrnehmung verwerfen und das aufgrund einer Erwartung Gemeinte nicht von dem unterscheiden, was durch die Sinneswahrnehmung, durch die Gefühle und jede vorstellende Fokussierung des Denkens schon gegenwärtig ist, wirst du auch die übrigen Sinneswahrnehmungen mit leerem Meinen vermengen, so dass du das Kriterium insgesamt verwirfst. Und wenn Du jede erst noch erwartete Evidenz in deinen vermutungsweise gebildeten Begriffen und das, was keine Bestätigung , als sicher behandelst, dann wirst du das Trügerische nicht ausschließen, so dass du jede Meinungsverschiedenheit und jede Entscheidung über richtig und unrichtig aufgehoben hast.
  • Epikur: Brief an Pythokles (Epistola ad Pythoclem) § 86-88 = LS 18 C

    Eine Beobachtung wird Epikur zufolge durch Analogieschluss plausibel
    (1) Naturtheorie soll man [...] nicht mit leeren Forderungen und gehaltlosen Festsetzungen treffen, sondern so, wie die Phänomene das erfordern. Denn unser Leben bedarf nicht des Unverstandes und leerer Meinung, sondern dessen, dass wir unbesorgt leben. [...] Alles geht ohne Erschütterung vonstatten, sobald man das, was über die Dinge plausibel ausgesagt wird, in der gehörigen Weise stehen lässt. Wenn jemand jedoch das eine zugesteht und das andere verwirft, obwohl es mit den Phänomenen ebenso konsistent ist, verlässt er klarerweise ganz die Naturtheorie und verfällt dem Mythos. (2) Zeichen, die auf das hindeuten, was mit den Himmelskörpern geschieht, finden sich bei bestimmten Phänomenen unseres Erfahrungsbereichs, die, so wie sind, geschaut werden, und nicht bei den Phänomenen in den Himmelskörpern; die könnten nämlich auf mehrerlei Weise geschehen.
  • Sextos Empirikos: Gegen die Mathematiker (Adversus mathematicos) 7, 211- 216 = LS 18 A

    Epikur erläutert Grundlagen der Anerkennung von Meinungen
    Von den Meinungen sind nun nach Epikur die einen wahr und die anderen falsch. Wahr sind die, die durch die Evidenz bestätigt werden, und die, die durch sie ein Nicht-Gegenzeugnis erhalten. Falsch sind dagegen die Meinungen, die durch die Evidenz ein Gegenzeugnis, und die, die durch sie eine Nicht-Bestätigung erhalten. Eine Bestätigung ist ein Auffassen dessen, dass das, was man meint, so ist, wie man meinte, dass es sei, durch Evidenz. Zum Beispiel: Wenn Platon aus der Ferne herankommt, schätze ich zunächst und meine, dass es Platon ist; wenn er nähergekommen ist, gibt es ein stärkeres Zeugnis, dass es Platon ist; und wenn die Entfernung überbrückt ist, wird es auch durch die Evidenz selbst bestätigt. [...] Genauso steht auch die Nicht-Bestätigung der Bestätigung entgegen. Dabei handelt es sich um eine Konfrontation durch die Evidenz der Tatsache, dass das Gemeinte in Wirklichkeit nicht so ist, wie man meinte, dass es sei. Zum Beispiel: Wenn von weitem jemand herankommt, und wir schätzen aus der Entfernung, dass es Platon ist, aber wenn die Entfernung überbrückt ist, erkennen wir durch Evidenz, dass es nicht Platon ist. [...] Somit sind Bestätigung und Nicht-Gegenzeugnis das Kriterium dafür, dass etwas wahr ist, die Nicht-Bestätigung und das Gegenzeugnis hingegen das Kriterium dafür, dass etwas falsch ist.
  • Diogenes Laertios: Leben der Philosophen (Vitae philosophorum) 10, 33 = LS 17E

    Ein Vorbegriff (prolēpsis) macht für Epikur erst die Erkenntnis möglich
    Der Vorbegriff ist, so sagen die Epikureer, sozusagen ein Auffassen oder eine richtige Meinung oder ein Begriff oder ein allgemeines innewohnendes Denken – d.h. eine Erinnerung – dessen, was uns häufig von außen erschienen ist, wie z.B. ,so etwas ist ein Mensch‘. Denn sobald das Wort ,Mensch‘ geäußert wird, wird sofort mittels eines Vorbegriffs auch sein Umriss gedacht, sofern Sinneswahrnehmungen vorangehen. Was also jeder Bezeichnung ursprünglich zugrunde liegt, ist evident. Und wir würden das Gesuchte gar nicht suchen, wenn wir davon kein Vorwissen hätten, wie z.B. bei ,Ist das in der Ferne Stehende ein Pferd oder ein Rind?‘ Denn irgendwann vorher muss man mittels eines Vorbegriffs die Form eines Pferds oder die eines Rinds kennengelernt haben.
  • Epikur: Brief an Herodotos (Epistula ad Herodotum) 75f. = LS 19A

    Der natürliche Ursprung von Sprache nach Epikur
    Ferner müssen wir annehmen, dass sogar die Natur von den Tatsachen selbst in vielfacher und vielerlei Hinsicht belehrt und gezwungen worden ist und dass ihre Lektionen dann später vom Verstand genauer ausgearbeitet und mit neuen Entdeckungen erweitert worden sind, bei den einen schneller, bei den anderen langsamer. [...] Daher sind auch die Bezeichnungen ursprünglich nicht durch Einsetzung entstanden. Sondern in jedem Erfolg erfuhren die Naturen der Menschen eigene Empfindungen und nahmen eigene Vorstellungen auf und sandten daher auf jeweils eigene Weise den von den einzelnen Empfindungen und Vorstellungen verursachten Luftstrom aus, so wie die Völker sich eben von Ort zu Ort unterscheiden.
  • Epikur: Brief an Herodotos (Epistula ad Herodotum) 39-41 = LS 5A. 8A

    Epikur über die Atome und das Leere als Grundlage der Wirklichkeit
    (1) Aber gewiss besteht die Gesamtheit der Dinge aus . Denn dass es Körper gibt, bezeugt überall die Sinneswahrnehmung selbst, in deren Folge es [...] nötig ist, dass Unklare durch vernünftige Erwägung zu beurteilen. [...] (2) Wenn es aber nicht gäbe, was wir ,Leeres‘, ,Raum‘ und ,nicht berührbare Natur‘ nennen, dann hätten die Körper nichts, wo sie sein oder durch was hindurch sie sich in der Weise bewegen könnten, wie es zu sein scheint. [...] (3) Von den Körpern sind einige Zusammensetzungen und andere das, woraus solche Zusammensetzungen bestehen. Diese sind unteilbar (atoma) und unveränderlich, wenn ausgeschlossen sein soll, dass alles zu nicht-Seiendem vergehen wird, sie vielmehr stark genug sind, die Auflösungen in den Zusammensetzungen zu überdauern. [...] Die Prinzipien müssen also notwendig unteilbare Körper sein.
  • Lukrez (Titus Lucretius Carus): Über die Natur der Dinge (De rerum natura) II, 216-224

    Lukrez erklärt die Lehre von der Bahnabweichung der Atome
    Dies noch wünsch ich hierbei dir recht zur Kenntnis zu bringen:
    Wenn sich die Körper im Leeren mit senkrechtem Falle bewegen,
    durch ihr eigen Gewicht, so würden sie wohl in der Regel
    irgendwo und –wann ein wenig zur Seite getrieben,
    doch nur so, dass man sprechen kann von geänderter Richtung.
    Wichen sie nicht so ab, dann würden wie Tropfen des Regens
    gradaus alle hinab in die Tiefen des Leeren versinken.
    Keine Begegnung und Stoß erführen alsdann die Atome,
    niemals hätte daher die Natur mit der Schöpfung begonnen.
  • Cicero: Das Wesen der Götter (De natura deorum) I 50-53 = LS 13H

    Ein Epikureer erklärt einem Stoiker die Selbständigkeit des Kosmos und die Untätigkeit der Götter
    Und ihr pflegt uns zu fragen, Balbus, welches das Leben der Götter ist. [...] Gewiss dasjenige, im Vergleich zu dem nichts Glückseligeres [...] gedacht werden kann. Denn er treibt nichts [...] und bewegt keinerlei Werke, [...] während der Eure völlig überarbeitet ist. Denn falls (1.) die Welt selbst Gott ist – was kann weniger Ruhe haben als etwas, das sich ohne die geringste Unterbrechung [...] um eine Achse dreht [...]. Oder falls (2.) Gott jemand innerhalb der Welt ist, der regiert, der steuert [...] sowie die Annehmlichkeiten und das Leben der Menschen beschützt, dann ist er gewiss in beschwerliche und anstrengende Aufgaben verstrickt. [...] [Epikur] lehrte uns nämlich [...], dass die Welt durch die Natur hervorgebracht worden ist und dass es dazu überhaupt keiner kunstfertigen Herstellung bedurfte [...] Eben weil ihr nicht seht, wie die Natur das ohne einen Geist zustandebringen konnte, nehmt ihr wie die tragischen Dichter, weil ihr keine Lösung des Arguments entwickeln könnt, Eure Zuflucht zu einem Gott
  • Cicero: Das höchste Gut und das höchste Übel (De finibus bonorum et malorum) 5, 15. 17f.

    Cicero referiert die Einteilung der Ziele der Philosophie nach dem Skeptiker Karneades
    Unser Lucius handelt also klug, wenn er in erster Linie vom höchsten Gut hören will; denn wenn dieses festgelegt ist, ist in der Philosophie alles festgelegt. [...] Wenn das höchste Gut unbekannt ist, dann muss notwendigerweise der Gehalt des Lebens unbekannt sein. [...] Was es aber ist, dass so bewegt und von Natur aus so seit der ersten Entstehung erstrebt wird, steht nicht fest, und hierüber herrscht unter den Philosophen [...] größte Uneinigkeit. [...] Einige meinen, das primäre Streben und das primäre Vermeiden von Schmerz richte sich auf die Lust. Andere als sie erstreben das, was sie Primäres der Natur nach nennen, wozu sie Unversehrtheit rechnen [...]. Diesem ähnlich ist das Primäre in den Seelen, wie die Funken und Samen der Tugenden.
  • Aristoteles: Nikomachische Ethik (Ethica Nicomachea) X 5, 1175b 24-29. 1176a 3-19

    Aristoteles’ Gründe dafür, die Freude nicht für den Inhalt der Eudaimonie zu halten
    Jeder Aktivität ist eine eigentümliche Freude zugeordnet; die der tugendhaften [Aktivität] zugeordnete [Freude] ist tugendhaft, die der verwerflichen [zugeordnete] schlecht. Denn auch die Begierde nach Edlem ist lobenswert, die nach Schändlichem tadelnswert. [...] Es scheint aber jedem Lebewesen eine eigentümliche Freude zugeordnet zu sein, so wie auch eine Tätigkeit. [...] Denn für die Esel ist die Nahrung freudvoller als Gold. [...] Bei den Menschen freilich gibt es keine geringen Unterschiede. Denn dasselbe erfreut den einen und bereitet dem anderen Leid und ist für die einen leidvoll und verhasst, für die anderen aber freudvoll und willkommen. [...] Es ist für den Fieberkranken nicht dasselbe wie für den Gesunden. [...] Wenn dies richtig ist [...] und das Maß von allem die Tugend und der gute [Mensch] als solcher sind, so wird auch Freude sein, was ihm so scheint, und freudvoll, voran er Vergnügen hat.
  • Cicero: Das höchste Gut und das höchste Übel (De finibus bonorum et malorum) I 30 = LS 21A

    Die Verbindung der Freude mit der menschlichen Natur nach Epikur
    Jedes Lebewesen strebt, sobald es geboren ist, nach Genuss, freut sich daran als an dem höchsten Gut und verschmäht Schmerz als das größte Übel und weist ihn von sich, soweit es kann; dies tut es, wenn es noch nicht verdorben ist, dadurch, dass seine Natur selbst unverfälscht und integer urteilt. Deshalb bestreitet [Epikur], dass ein Argument oder eine Erörterung darüber benötige, weshalb der Genuss anzustreben und der Schmerz zu meiden sei. Er ist der Meinung, dass man diese Dinge ebenso merkt wie, dass Feuer heiß, der Schnee weiß und der Honig süß ist. [...] Weil nämlich nichts mehr übrig ist, wenn man vom Menschen die Sinne abzieht, muss notwendig von der Natur selbst beurteilt werden, was ihr gemäß oder was wider die Natur ist. Was nimmt sie nun wahr oder urteilt sie, was anzustreben oder zu meiden ist, außer Genuss und Schmerz.
  • Cicero: Gespräche in Tuskulum (Tusculanae disputationes ) 3, 41f. = LS 21L

    Epikurs Begründung und Erklärung des Vorrangs der Freude (wörtlich zitiert von Cicero)
    Ich für meinen Teil kann nichts als das Gute begreifen, wenn ich die Genüsse abziehe, die man durch den Geschmack wahrnimmt, die abziehe, die durch das Liebesleben vermittelt werden, die abziehe, die durch das Hören von Gesängen entstehen, und auch die abziehe, die sich beim Wahrnehmen von Gestalten als angenehme Bewegungen durch die Augen bilden, oder auch alle Genüsse, welche sonst noch von irgendeiner Sinneswahrnehmung im ganzen Menschen hervorgebracht werden. Man kann aber sicherlich nicht sagen, dass nur die Freude des Geistes ein Gut sei. Denn einen freudigen Geist erkenne ich an der Erwartung all der Dinge, die ich eben erwähnt habe – dass sie ihrer Natur nach so sind, dass er, wenn er sie sich aneignet, vom Schmerz frei ist. [...] Männer, die man weise nannte, habe ich oft gefragt, was sie an Gütern denn noch übrig ließen, wenn sie all jenes abzögen, außer sie wollten bloß leere Worte verbreiten. Ich habe nichts von ihnen erfahren können. Wenn sie weiter von Tugenden und Weisheiten schwatzen wollen, werden sie von nichts anderem reden als dem Weg, auf dem eben die Genüsse hervorgebracht werden, von denen ich oben sprach.
  • Epikur: Brief an Menoikeus (Epistula ad Menoecum) 127-132 = LS 21B

    Epikurs Theorie der Unterscheidung verschiedener Freuden
    (1) Von den Begierden sind die einen natürlich, die anderen leer. Und von den natürlichen sind die einen notwendig, die anderen nur natürlich. Von den notwendigen wiederum sind die einen notwendig zum Glück, andere notwendig zur störungsfreien Funktion des Körpers und die dritten notwendig zum Leben selbst. (2) Denn eine unbeirrte Betrachtung hiervon weiß jedes Wählen und Meiden auf die Gesundheit des Körpers und die Freiheit der Seele von Verwirrung zurückzubeziehen. [...] Um dessentwillen nämlich tun wir alles, damit wir weder Schmerzen erleiden noch Verwirrung empfinden. (3) Eben deswegen [...] erkennen wir die Freude als das erste und verwandte Gut [...], und wir kehren zu ihr zurück, indem wir jedes Gut anhand der Empfindung als Richtmaß beurteilen.
    (4) Aber wir übergehen gelegentlich viele Freuden, wenn aus ihnen mehr Unangenehmes für uns folgt; auch halten wir viele Schmerzen für besser als Freuden, wenn daraus für uns eine größere Freude folgt. [...] (5) Wenn wir also sagen, die Freude sei das Ziel, meinen wir damit nicht die Lüste der Hemmungslosen und jene, die im Genuss bestehen [...], sondern: weder Schmerz im Körper noch Erschütterung in der Seele zu empfinden. Denn nicht Trinken und Gelage [...] bringen das freudvolle Leben hervor, (6) sondern die nüchterne Überlegung, welche sowohl die Ursachen jeden Wählens und Meinens aufspürt als auch die Meinungen ausmerzt, aufgrund derer die Seelen besonders große Verwirrung befällt. Der Anfang für all dies und das größte Gute ist die Klugheit [...], aus der alle übrigen Tugenden hervorgehen.
  • Cicero: Das höchste Gut und das höchste Übel (De finibus bonorum et malorum) I 37

    Eine epikureische Definition der Freude bzw. Lust
    Jetzt werde ich erklären, was und wie beschaffen die Freude in sich ist. [...] Die Freude, der wir nachgehen, ist nämlich nicht bloß die, die durch irgendeine Annehmlichkeit unsere Natur bewegt und deren sinnliche Wahrnehmung von einem gewissen Wohlbefinden begleitet ist. Als die größte Freude sehen wir vielmehr diejenige an, die wahrgenommen wird, wenn einmal aller Schmerz verschwunden ist. Da wir nämlich, wenn wir von Schmerz befreit werden, uns eben über die Befreiung und das Lossein von von aller Beschwernis freuen und da alles, worüber wir uns freuen, Freude ist – ebenso wie alles das Schmerz ist, was uns wehtut – deswegen wird zu Recht jede Befreiung von Schmerz als Freude bezeichnet.
  • Lukrez (Titus Lucretius Carus): Über die Natur der Dinge (De rerum natura) I 62-79

    Lukrez referiert Epikurs Umgang mit der Religion
    Als das Leben der Menschen darnieder schmählich auf Erden
    lag, zusammengeduckt unter lastender Angst vor den Göttern,
    welche das Haupt aus des Himmels Gevierten prahlerisch streckte
    droben mit schauriger Fratze herab den Sterblichen dräuend,
    erst hat ein Grieche gewagt, die sterblichen Augen dagegen
    aufzuheben und aufzutreten als erster dagegen;
    den nicht das Raunen von Göttern noch Blitze bezwangen noch drohend
    donnernd der Himmel; nein, nur umso mehr noch den scharfen
    Mut seines Geistes reizte, dass aufzubrechen die dichten
    Riegel zum Tor der Natur als erster er glühend begehrte.
    Also siegte die Kraft des lebendigen Geistes, und weiter
    schritt er hinaus die flammumlohten Mauern des Weltballs,
    und das unendliche All durchstreift’ er männlichen Sinnes;
    bringt als Sieger darum zurück von dort die Erkenntnis,
    was zu entstehen vermag und was nicht, und wie einem jeden
    schließlich die Macht ist beschränkt und im Grunde verhaftet der Grenzstein.
    Drum liegt die Furcht vor den Göttern unter dem Fuß und zur Rache
    wird sie zerstampft, uns hebt der Sieg empor bis zum Himmel.
  • Epikur: Brief an Menoikeus (Epistula ad Menoecum) 124f.

    Epikur über die Gründe dafür, den Tod nicht zu fürchten
    Gewöhne dich ferner daran zu glauben, der Tod sei nichts, was uns betrifft. Denn alles Gute und Schlechte liegt in der Sinneswahrnehmung. Der Tod aber ist eine Beraubung der Sinneswahrnehmung. [...] Das Schrecklichste alles Schlechten, der Tod, betrifft uns also überhaupt nicht, denn wenn wir sind, ist der Tod nicht da, wenn der Tod da ist, sind wir nicht.
  • Epikur: Gültige Sentenzen (Ratae sententiae) 31-34 = LS 22A

    Epikurs Vertragstheorie der Gerechtigkeit
    Das von Natur aus Gerechte ist eine Übereinkunft über das Zuträgliche darüber, einander nicht zu schädigen und nicht geschädigt zu werden. Nichts ist gerecht und nichts ungerecht in Bezug auf die Lebewesen, welche nicht in der Lage waren, Verträge darüber einzugehen, einander nicht zu schädigen und nicht geschädigt zu werden. Gerechtigkeit war niemals an sich etwas, sondern sie ist ein bestimmter Vertrag darüber, nicht zu schädigen und nicht geschädigt zu werden, der stets im Verkehr der Menschen untereinander an beliebigen Orten zustandekommt.
  • Epikur: Gültige Sentenzen (Ratae sententiae) 37 = LS 22B

    Epikur über die Bedingungen gültiger Gesetze
    Von dem, was als gerecht angesehen wird, muss dasjenige den Platz des Gerechten einnehmen, wovon sich bestätigt, dass es den Erfordernissen der Gemeinschaft miteinander zuträglich ist, ob es nun für alle dasselbe ist oder nicht. Wenn aber jemand ein Gesetz erlässt und dieses nicht im Sinne des für die Gemeinschaft miteinander zuträglichen wirkt, hat dieses nicht länger die Natur des Gerechten. Und falls das, was im Sinne des Gerechten zuträglich ist, sich ändert, aber doch einige Zeit zu dem Vorbegriff passt, so war es in dieser Zeit um nichts weniger gerecht.
  • Epikur: Vatikanische Sentenzen (Sententiae Vaticanae) LS 22F

    Sentenzen Epikurs über die Freundschaft
    „(24) Jede Freundschaft ist aus sich selbst heraus wählenswert, aber ihren Ursprung nahm sie vom Nutzen.
    (39) Ein Freund ist weder der, der durchweg den Nutzen sucht, noch der, der ihn niemals anlegt. Denn der eine verschachert sein Wohlwollen gegen Entgelt, der andere schneidet die gute Hoffnung über die Zukunft ab.
    (52) Die Freundschaft tanzt rund um die Welt und ruft uns allen zu, wir möchten aufwachen zum Glückwunsche.
    (66) Wir wollen mit den Freunden nicht durch Klagen mitleiden, sondern durch Fürsorge.
    (78) Der Edle beschäftigt sich mit Weisheit und Freundschaft. Davon ist erstere ein sterbliches und letztere ein unsterbliches Gut“.
  • Aetios: Übersicht über die Philosophie Vorwort, SVF II, 35 = LS 26A

    Physik, Ethik und Logik als Tugenden bei den Stoikern
    Die Stoiker nannten die Weisheit das Wissen der göttlichen und menschlichen Dinge, die Philosophie aber die Einübung der geeigneten Technik. Geeignet sei aber allein und im höchsten Maße die Tugend, die eigentlichsten Tugenden aber seien drei, die Physik, die Ethik und die Logik.
  • Cicero: Bücher über die Erkenntnislehre der Akademiker (Academica) I [Catulus] 41f.

    Die Stoiker fügen zur Sinneswahrnehmung den freien Akt der Zustimmung hinzu
    Zu dem, was gesehen und gleichsam von den Sinnen akzeptiert wurde, fügte Zenon die Zustimmung hinzu, die in uns liegend und freiwillig sein soll. Er billigte nicht allem Gesehenen Gewissheit zu, sondern nur dem, was eine gewisse eigentümliche Kundgebung der Dinge beinhaltet, die gesehen werden.
  • Cicero: Bücher über die Erkenntnislehre der Akademiker (Academica) II [Lucullus] 37f.

    Die Zustimmung als Kennzeichen der Lebewesen nach den Stoikern
    Weil zwischen dem Unbelebten und dem Lebewesen vor allem der Unterschied besteht, dass das Lebewesen etwas tut, [...] ist ihm entweder die Sinneswahrnehmung abzusprechen oder eine Zustimmung, die in unserer Macht steht, zuzuschreiben. [...] Denn so, wie ein Lebewesen das nicht nicht erstreben kann, was seiner Natur angemessen erscheint [...], so kann es einer vorgegebenen klar erkennbaren Sache nicht nicht zustimmen.
  • Sextos Empirikos: Gegen die Mathematiker (Adversus mathematicos) 8, 11f. = LS 33B

    Die stoische Theorie des unkörperlichen lekton
    Die einen legten ,wahr‘ und ,falsch‘ in das Bezeichnete [...] wobei die Stoiker sagten, es sei dreierlei miteinander verbunden, das Bezeichnete, das Bezeichnende und das Aufnehmende. Dabei ist das Bezeichnende das Lautgebilde, z.B. ,Dion‘; das Bezeichnete ist die Sache selbst, die von ihm verdeutlicht wird [...]; das Aufnehmende schließlich ist der äußere Gegenstand, z.B. Dion. Zwei von diesen sind Körper, nämlich das Lautgebilde und das Aufnehmende; eines hingegen ist unkörperlich, nämlich das Bezeichnete, d.h. Sagbare (lekton), das eben wahr oder falsch wird.
  • Diogenes Laertios: Leben der Philosophen (Vitae philosophorum) 7, 76f. = LS 36A

    Grundbegriffe der stoischen Satzlogik
    Ein Argument ist [...] das, was einer Prämisse oder aus Prämissen sowie aus einer Zusatzprämisse und einer Konsequenz besteht, z.B.: ,Wenn es Tag ist, ist es hell; nun ist es Tag; also ist es hell‘. Hier ist nämlich ,Wenn es Tag ist, ist es hell‘ die Prämisse, ,nun ist es Tag‘ die Zusatzprämisse und ,also ist es hell‘ die Konsequenz. Eine Modusformel ist sozusagen das Schema des Arguments, z.B. ,wenn das Erste, dann das Zweite; nun aber das Erste; also das Zweite‘. Ein Modusargument ist das, was aus beidem zusammengesetzt ist, z.B. ,wenn Platon lebt, dann atmet Platon; nun aber das Erste; also das Zweite‘. Eingeführt wurde das Modusargument, um in den ausgedehnteren Ketten von Argumenten die Zusatzprämisse, die dort ja lang ist, und die Konsequenz nicht mehr nennen zu müssen und stattdessen schließen zu können ,nun das erste, also das zweite‘.
  • Sextos Empirikos: Pyrrhonische Hypotyposen (Pyrrhoneae Hypotyposes) 2, 135f. 139-141. 143 = LS 36B

    Die Lehre vom Beweis nach den Stoikern
    a) Ein Argument ist eine Zusammenstellung aus Prämissen und Konsequenz. Dabei sind die Prämissen, wie sie sagen, die zur Begründung des Schlusssatzes einhellig angenommenen Aussagen, und die Konsequenz oder der Schlusssatz ist die aus ihnen begründete Aussage. [...] Daher sagen sie auch, ein wahres Argument sei dasjenige, was aus wahren Prämissen einen wahren Schlusssatz schlüssig folgert. Von den wahren Argumenten sind wiederum die einen beweisend, die anderen nicht beweisend.
    b) Beweisend sind diejenigen, die aus Offensichtlichem etwas nicht Offensichtliches folgern [...]. Nicht beweisend ist z.B. das Argument ,wenn es Tag ist, ist es hell; nun aber ist es Tag; also ist es hell‘; denn dass es hell ist – der Schlusssatz des Arguments – ist offensichtlich. Beweisend ist aber ein Argument wie ,wenn Schweiß durch die Haut fließt, gibt es gedanklich erfassbare Poren; nun aber fließt Schweiß durch die Haut; also gibt es gedanklich erfassbare Poren‘, denn es hat den nicht offensichtlichen Schlusssatz ,also gibt es gedanklich erfassbare Poren‘. [...] Ein Beweis muss demnach ein Argument sein, außerdem schlüssig und auch noch wahr, und er muss einen Schlusssatz haben, der nicht offensichtlich ist und durch die Kraft der Prämissen enthüllt wird; und das ist der Grund, weswegen gesagt wird: Der Beweis ist ein Argument, das aus akzeptierten Prämissen vermittels einer schlüssigen Folgerung eine nicht offensichtliche Konsequenz enthüllt.
  • Eusebios von Kaisareia: Die Vorbereitung auf das Evangelium (Praeparatio Evangelica) 15, 14, 1; = LS 45G. 46G

    Eusebios zitert einen Überblick über die stoische Physik aus einem verlorenen Werk des Aristotetelikers Aristokles von Messene:
    Als das Urelement des Seienden sieht Zenon das Feuer an, ebenso wie Heraklit, als dessen Prinzipien die Materie und Gott, so wie Platon. Aber er sagt, dass sie beide Körper seien, sowohl das Wirkende als auch das der Wirkung Unterliegende, während Platon sagt, die erste bewirkende Ursache sei unkörperlich [...]. Dann aber, zu gewissen vom Schicksal festgelegten Zeiten, verbrenne die gesamte Welt und werde dann wieder neu durchgeordnet. Das erste Feuer sei nun wie ein Same, der die Gehalte und die Ursachen des Vergangenen, des Gegenwärtigen und des Zukünftigen enthalte. Deren Verbindung und Ordnung sei ein Schicksal, ein Wissen, eine Wahrheit und ein Gesetz für das Seiende, dem weder zu entlaufen noch zu entfliehen ist. Auf diese Weise werde alles im Kosmos mehr als gut verwaltet, so wie in der am besten geordneten Stadt.
  • Nemesios von Emesa: Die Natur des Menschen (De natura hominis) p. 78f. = LS 45C

    Eine stoische Begründung für die Körperlichkeit der Seele
    Nichts Unkörperliches wird zusammen mit einem Körper affiziert und kein Körper mit etwas Unkörperlichem, sondern ein Körper mit einem Körper. Nun wird die Seele aber zusammen mit einem kranken und verletzten Körper affiziert, und der Körper mit der Seele; er wird ja rot, wenn sie sich schämt, und bleich, wenn sie sich fürchtet. Also ist die Seele ein Körper.
  • Alexander von Aphrodisias: Über das Schicksal (De fato) p. 191f. = LS 55N

    Der kausale Zusammenhang der Welt nach den Stoikern
    Die Stoiker sagen [...], dass nichts in der Welt ohne Ursache ist oder geschieht, weil nichts in ihr losgelöst oder unabhängig von all dem ist, was vorher geschieht. Die Welt würde nämlich zerrissen und zerteilt und nicht länger eine Einheit bleiben [...], wenn nicht alles, was ist oder geschieht, bestimmte Ursachen hätte, die vorher entstanden sind und aus denen es mit Notwendigkeit folgt. [...] Wenn es nun eine Mehrzahl von Ursachenarten gibt, dann, so sagen sie, ist es bei ihnen allen gleichermaßen wahr, dass es unmöglich ist, dass etwas, falls alle Umstände auf seiten der Ursache und des Verursachten gleich sind, zuweilen so nicht eintritt, zuweilen aber wohl.
  • Cicero: Das Schicksal (De fato) § 39 und § 43

    Cicero über die stoische Theorie der Freiheit
    Unter den alten Philosophen gab es zwei Auffassungen; die einen meinten, alles geschehe durch das Fatum, und zwar in der Weise, dass dieses Fatum die Gewalt einer Notwendigkeit mit sich bringe. [...] Die anderen meinten, es gebe freiwillige Bewegungen des Geistes, die ohne jedes Fatum erfolgten. Wie mir scheint, wollte daraufhin Chrysipp sozusagen als Ehrenschiedsrichter einen Mittelweg finden. [...] Aber bei der Darstellung seiner eigenen Auffassung gleitet er in Schwierigkeiten, so dass er, ohne es zu wollen, die Notwendigkeit des Fatums behauptet. [...] ,Wie alsoʻ, sagt er, ,derjenige, der die Walze angestoßen hat, ihr zwar den Beginn der Bewegung, aber nicht die Fähigkeit zur Drehung vermittelte, so wird ein gesehener Gegenstand dem Geist zwar die entsprechende Vorstellung einprägen und ihr seine Gestalt gleichsam einzeichnen; aber die Zustimmung dazu wird in unserer Macht liegen: Nachdem sie, wie das an der Walze erläutert worden ist, den Anstoß von außen empfangen hat, wird sie sich von da mit eigener Kraft und aus ihrer eigenen Natur heraus bewegen.
  • Diogenes Laertios: Leben der Philosophen (Vitae philosophorum) VII 85-88 = SVF III, 178 = Long-Sedley 57A, 63C

    Was es für die Stoiker heißt, gemäß der Natur zu leben (Antike Philosophie I)<br /> Der Philosophiehistoriker Diogenes Laertios erklärt den Zusammenhang von stoischer Ethik und Theologie
    Die Stoiker sagen, dass der primäre Impuls für jedes Lebewesen die Selbsterhaltung ist, weil dieses der Natur von Anfang an zu eigen ist, wie Chrysipp sagt [...], wobei er das primär Eigentümliche für jedes Lebewesen dessen eigene Verfasstheit und das Bewusstsein von ihr nennt. [...] Und weil den rationalen Wesen die Vernunft gemäß einer vollendeteren Anleitung gegeben ist, ist für diese das Leben nach der Vernunft zu Recht der Natur entsprechend. Denn die Vernunft kommt für sie als Hersteller des Impulses hinzu. [...] Deswegen gab [...] Zenon [...] als Ziel das Leben in Übereinstimmung mit der Vernunft an, d.h. das Leben gemäß der Tugend. Denn zu dieser leitet uns die Natur. [...] Das Leben in der Nachfolge der Natur [...] bezieht sich [nach Chrysipp] sowohl auf die eigene als auch auf die aller Dinge, wobei wir nichts tun, was das allgemeine Gesetz üblicherweise verbietet, d.h. die rechte Vernunft, die durch alles hindurchgeht, die dasselbe ist wie Zeus, der der Beherrscher des gesamten Haushalts des Seienden ist.
  • Plutarch von Chaironeia: Die ethische Tugend (De virtute morali) 441A-D

    Die stoische Definition der Tugend als Habitus des Intellekts (Antike Philosophie I)
    a) Auch Zenon [...] von Kition definiert die Klugheit als Gerechtigkeit beim Verteilen, als Maßhalten beim Wählen, als Tapferkeit beim Ertragen. Zur Verteidigung behaupten die Stoiker, hierbei werde das Wissen von Zenon Klugheit genannt. [...] Diese alle aber nehmen gemeinsam an und glauben, dass die Tugend eine bestimmte Disposition des Hegemonikon der Seele sei und eine Fähigkeit, die durch die Vernunft entstanden ist, ja die vielmehr Vernunft ist, die übereinstimmend, fest und unveränderlich besteht.
    b) Denn das zu Emotionen neigende und nicht Rationale sei durch keinen Unterschied und keine Natur vom rationalen unterschieden, sondern es handle es sich um denselben Seelenteil, den sie ja Verstand beziehungsweise Hegemonikon nennen. Er wandle und verändere sich ganz in den Emotionen und den Veränderungen im Habitus oder in der Disposition und werde Schlechtigkeit oder Tugend. Er habe nichts nicht Rationales in sich, sondern werde [nur] nicht rational genannt, solange er durch das stark und herrschend gewordene Hinzutreten eines Impulses entgegen der wählenden Vernunft zu etwas Sinnlosem hingetragen werde.
  • Diogenes Laertios: Leben der Philosophen (Vitae philosophorum) 7, 101-103 = LS 58A

    Die Stoiker über verschiedene Arten von Gütern
    (1) Die Stoiker sagen, dass die seienden Dinge teils gut, teils schlecht, teils keines von beidem sind. Gut sind die Tugenden: Klugheit, Gerechtigkeit, Tapferkeit, Besonnenheit und dergleichen. Schlecht sind die Gegenteile davon, Unbesonnenheit, Ungerechtigkeit usw. Keines von beidem ist alles, was weder nutzt noch schadet, z.B. Leben, Gesundheit, Lust, Schönheit, Kraft, Reichtum, Ansehen, adlige Abstammung, sowie die Gegenteile hiervon: Tod, Krankheit, Schmerz, Hässlichkeit, Schwäche [usw.] [...]. Diese Dinge sind nämlich nicht gut, sondern indifferent, Unterart ,bevorzugbar‘.
    (2) Denn wie es für das, was warm ist, eigentümlich ist zu wärmen, nicht zu kühlen, so ist es auch für das, was gut ist, eigentümlich, zu nutzen, nicht zu schaden. Nun nutzt der Reichtum nicht mehr, als er schadet, ebenso die Gesundheit. Also ist weder der Reichtum noch die Gesundheit ein Gut.. Weiterhin sagen sie: Was man gut und schlecht verwenden kann, das ist nicht etwas Gutes; Reichtum und Gesundheit kann man gut und schlecht verwenden.
  • Hippolyt : Widerlegung aller Häresien (Refutatio omnium haeresum) 1, 21 = LS 62A

    Die allgemeine These der Stoiker über Handlungsfreiheit
    Auch die Stoiker bekräftigten, dass alles dem Fatum untersteht und bedienten sich des folgenden Beispiels: Wenn ein Hund an ein Fuhrwerk angebunden ist, dann wird er, falls er folgen will, gezogen und folgt und tut so das Selbstgewählte zusammen mit der Notwendigkeit [...]. Falls er hingegen nicht folgen will, wird er dazu doch schlechthin gezwungen. Genauso ist es auch mit den Menschen. Denn selbst wenn sie nicht folgen wollen, werden sie schlechthin gezwungen, in das hineinzugehen, was ihnen bestimmt ist.
  • Alexander von Aphrodisias: Über das Schicksal (De fato) p. 207 = LS 62J

    Der innere Zusammenhang von Determination und Verantwortlichkeit nach den Stoikern
    a) Es ist aber nicht so, dass das Schicksal von dieser Art ist, es aber keine Schicksalsbestimmung gibt, und auch nicht so, dass es zwar eine Schicksalsbestimmung, aber keinen Anteil daran gibt, und auch nicht so, dass es zwar einen Anteil daran gibt, aber kein Maß in der Zuteilung, und auch nicht so, dass es zwar ein Maß in der Zuteilung, aber kein Gesetz gibt, und auch nicht so, dass es zwar ein Gesetz, aber keine richtige Vernunft gibt, die anordnet, was zu tun, und verbietet, was zu lassen ist. Nun sind aber die falschen Handlungen verboten, die richtigen aber geboten. Es ist also nicht so, dass das Schicksal von dieser Art ist, es aber keine falschen und richtigen Handlungen gibt.
    b) Wenn es aber falsche und richtige Handlungen gibt, dann gibt es Tugend und Laster; und wenn es diese gibt, dann gibt es in sich Gutes und Schändliches. Das in sich Gute aber ist lobenswert, das Schändliche aber tadelnswert. Also ist es nicht so, dass zwar das Schicksal von dieser Art ist, es aber nichts Lobens- und Tadelnswertes gibt. Nun verdient aber das Lobenswerte Ehrung und das Tadelnswerte Strafe. Also ist es nicht so, dass zwar das Schicksal von dieser Art ist, es aber keine Ehrung und Strafe gibt.
  • Plutarch von Chaironeia: Alexander/Leben Alexanders des Großen (De Alexandri Magni fortuna aut virtute) 329AB = LS 67A

    Der Idealstaat und der stoische Kosmopolitismus (Antike Philosophie I) <br /> Zenon von Kitions kosmopolitisches Ideal (Gesetz und Gewissen)
    Der viel bewunderte Staat des [...] Zenon läuft auf dieses eine Hauptanliegen hinaus, dass wir nicht nach Städten noch nach Völkern leben, die alle durch eigene Rechtsformen unterschieden sind, sondern dass wir alle Menschen für Volksgenossen und Mitbürger halten, dass es ein Leben und eine Ordnung gibt, so wie eine zusammen weidende Herde durch ein gemeinsames Gesetz zusammen genährt wird. Dies schrieb Zenon, als er einen Traum oder ein Bild für die philosophische Gesetzgebung und Verfassung skizzierte, Alexander aber fügte der Idee die Tat hinzu.
  • Philon von Alexandrien: Über Joseph (De Iosepho ) 29 = Stoicorum Veterum Fragmenta III 314

    Der Jude Philon von Alexandrien (1. Jhdt. n. Chr.) führt eine Theorie über das Gesetz des Kosmos und die Gesetze der Staaten an, die wahrscheinlich von den Stoikern übernommen ist<br /> Chrysipp über das Gesetz des Kosmos und die Gesetze der Staaten (Gesetz und Gewissen; Antike Philosophie I)
    Der Kosmos ist die Polis im Großen und verfügt über eine einzige Staatsform und ein einziges Gesetz. Der logos der Natur gebietet, was getan werden muss, und verbietet, was nicht getan werden darf. Die Poleis aber an ihren Orten sind nicht zählbar und verfügen über Staatsformen, die sich voneinander unterscheiden und über Gesetze, die nicht dieselben sind. Denn bei verschiedenen [Völkern] werden verschiedene Gesetze zusätzlich aufgefunden und dazugesetzt.
  • Cicero: Das Wesen der Götter (De natura deorum) II 2, 4f.

    Die stoische Argumentation für die Herrschaft eines Gottes
    Balbus: Was kann nämlich so offen und einsichtig sein, sobald wir zum Himmel aufgeblickt und das Himmlische betrachtet haben, als dass es irgendein Wesen von herausragendem Verstand gibt, wodurch dies geleitet wird? [...] Wenn wir das nicht in unserem jeweiligen Geist erkannt und begriffen hätten, dann bliebe keine so stabile Meinung bestehen und würde nicht durch die Dauer der Zeit bestätigt. [...] Wir sehen ja, dass andere erdichtete und leere Meinungen auf die Dauer verschwinden; denn wer glaubt, es hätte einen Hippokentaur oder eine Chimäre gegeben? [...] Die erfundenen Meinungen zerstört der Tag, die Urteile der Natur bestätigt er.
  • Kleanthes: Zeus-Hymnos = LS 54I; Z. 1-3. 20-25

    Der Zeus-Hymnos des Stoikers Kleanthes (um 250 v. Chr.)
    Ruhmvollster der Unsterblichen, mit vielen Titeln Benannter, ewig alles Beherrschender,
    Zeus, Erster Beweger der Natur, der Du mit dem Gesetz alles steuerst,
    sei gegrüßt. Dich nämlich anzusprechen geziemt sich für alle Sterblichen. [...]
    So nämlich fügtest Du in eins alle Dinge zusammen, die guten mit den schlechten,
    so dass für sie alle eine rationale Struktur entsteht, die ewig ist.
    Gemieden und außer acht gelassen wird sie von denen, die schlecht sind unter den Sterblichen,
    den Unglücklichen, die immer den Besitz von Gütern begehren,
    aber Gottes allgemeines Gesetz weder einsehen noch hören;
    würden sie es befolgen, so hätten sie ein gutes Leben gemeinsam mit der Einsicht.
  • Cicero: Das höchste Gut und das höchste Übel (De finibus bonorum et malorum) I 1, 1. 4, 11

    Cicero über die Vorzüge des Philosophierens in Anbetracht der kritischen Haltung vieler Römer
    Ich wusste durchaus, Brutus, als wir das, was die Philosophen mit höchsten Talenten und einer ausgezeichneten Lehre auf Griechisch behandelten, auf Latein niederschrieben, dass diese unsere Arbeit sich verschiedenen Tadel zuziehen werde. Denn einigen [...] missfällt dies im Ganzen, zu philosophieren. [...] Und doch wird der, der sich angewöhnt zu lesen, was wir über die Philosophie niederschreiben, zu dem Urteil kommen, dass diesem nichts zur Lektüre vorzuziehen ist. Was muss man nämlich im Leben so sehr erstreben als überhaupt alles in der Philosophie, ganz besonders aber das, was im vorliegenden Werk gesucht wird: Was ist das Ziel, was das Äußerste, was das Letzte, auf das alle Ratschläge zum guten Leben und zum richtigen Handeln zu beziehen sind?
  • Cicero: Bücher über die Erkenntnislehre der Akademiker (Academica) Zweite Academica/Academica posteriora I 45f.

    Die Methodik der jüngeren Akademie laut Cicero
    „[1] Arkesilaos [Begründer der ,Jüngeren‘ Akademie; ca. 315-240 v. Chr.] bestritt, dass es irgendetwas gebe, was gewusst werden könne – nicht einmal das, was Sokrates für sich übriggelassen hatte, nämlich zu wissen, dass er nichts wisse. [...] Daher dürfe man weder etwas bekennen noch bejahen noch durch Zustimmung billigen. [...]
    [2] Er tat das, was mit diesem Argument übereinstimmte, indem er durch Argumentationen gegen die Meinungen aller sehr viele von ihrer Meinung wegführte. Denn, weil in ein und derselben Angelegenheit gleichgewichtige Aspekte von Argumenten für die einander widersprechenden Seiten gefunden würden, würde die Zustimmung leichter von jeder der beiden Seiten zurückgehalten.
    [3] Diese Akademie nennt man die ,jüngere‘“.
  • Cicero: Das höchste Gut und das höchste Übel (De finibus bonorum et malorum) V 32, 95

    Ciceros Position zu der Frage, ob Glück allein in den Tugenden besteht
    Das ist also unser Argument, das Dir inkonsequent zu sein scheint. Denn [...] dort, wo es Tugend gibt und große, zuhöchst löbliche Tage, die durch Tugend verbracht werden, kann es kein Elend und keine Qual geben, aber es kann Mühe geben, kann Beschwerden geben, es kann trotz alledem geschehen, dass einer glücklicher ist als der andere.
  • Cicero: Der Staat (Cicero) (De re publica) I 1f. 3

    Cicero über den Vorzug der Tugend des Staatsmanns
    (1) Dies eine lege ich fest: Dem Menschengeschlecht wurde ein so großes Bedürfnis nach Tugend und eine solche Liebe dazu, das Wohl der Allgemeinheit zu verteidigen, von der Natur gegeben, dass diese Kraft alle Schmeicheleien der Lust und der Untätigkeit besiegt hat.
    (2) Aber es ist nicht genug, die Tugend zu besitzen, sowie irgendeine Fertigkeit, wenn Du sie nicht benutzt. Auch wenn nämlich eine Fertigkeit, während Du sie nicht benutzt, doch als das Wissen selbst behalten werden kann, ist die Tugend allein in ihren Gebrauch gelegt.
    (3) Die Regierung eines Staates ist aber ihr vorzüglichster Gebrauch und die Vollendung genau der Dinge, die jene in den Ecken verkünden, durch die Tat, nicht durch die Rede. Denn nichts wird von den Philosophen gesagt, soweit es nämlich richtig und ehrenvoll gesagt wird, was von denen hervorgebracht und bestätigt wurde, von denen die Rechtsordnungen niedergelegt wurden. [...]
    (4) Man überliefert ja sogar, dass Xenokrates, ein Philosoph der allerersten Reihe, auf die Frage, was seine Schüler erreichten, geantwortet habe: ,dass sie das aus eigenem Antrieb tun, wozu sie von den Gesetzen gezwungen würden‘.
  • Cicero: Die Gesetze (Cicero) (De legibus) II 11f

    Cicero entwickelt auf einer stoischen Grundlage eine äußerst einflussreiche Lehre darüber, dass Gesetze, die diesen Namen verdienen, gerecht sein müssen (Gesetz und Gewissen)<br /> Cicero über Bedingungen für die Gerechtigkeit menschlicher Gesetze (Antike Philosophie II)
    [1] So wie jener göttliche Verstand das höchste Gesetz ist, ebenso ist es, wenn eines im Menschen perfekt ist, im Verstand des Weisen.
    [2] Dasjenige aber, was verschiedenartig und zeitweise von den Völkern [als Gesetze] niedergelegt wurde, trägt die Bezeichnung ,Gesetze‘ eher aus Gutmütigkeit als der Sache wegen. Denn dass jedes Gesetz, das zu Recht ,Gesetz‘ genannt werden kann, lobenswert ist lehrt man mit in etwa solchen Argumenten. Es stehe fest, dass die Gesetze zum Heil der Bürger und zur Unversehrtheit der Staaten sowie zu einem ruhigen und glückseligen Leben der Menschen erfunden worden seien. [...]
    [3] Ich frage Dich also, Quintus, so wie diese Leute es zu tun pflegen: Wenn ein Staat kein solches [Gesetz] hat, ist er [nicht] aus genau dem Grund, dass er es nicht hat, geringzuschätzen, und ist dieses Gesetz unter die Güter zu rechnen?
  • Cicero: Die Pflichten (De officiis ) I 9

    Cicero über verschiedene Arten der Überlegung (Antike Philosophie II)<br /> Cicero unterscheidet, auf stoischer Grundlage, zwischen Überlegungen über das Gute, über das Nützliche und solchen, die beides verbinden
    Wie es Panaitios [ca. 180-110 v. Chr.; ein Vertreter der mittleren Stoa] scheint, gibt es also dreierlei Arten der Überlegung zum Ergreifen eines Ratschlusses. Denn man zweifelt, ob das, was zur Überlegung ansteht, entweder zu tun ehrenwert ist oder verwerflich. Bei der Betrachtung dieser Frage werden die Menschen hin zu konträren Meinungen gezogen. Dann aber untersuchen bzw. beraten sie darüber, ob es zur Annehmlichkeit und Freudigkeit des Lebens [...] beiträgt oder nicht [...]. Diese Überlegung fällt als ganze in den Bereich des Nützlichen. Die dritte Art des Zweifels ist die, dass das, was nützlich zu sein scheint, mit dem Ehrenwerten in Widerspruch tritt.
  • Cicero: Die Pflichten (De officiis ) I 108

    Cicero gibt ein Kriterium für ein angemessenes Urteil über mögliches Handeln an
    Denn die Kraft der Seelen und der Natur ist zweifach: ein Teil liegt im Streben, das auf Griechisch ,hormē‘ heißt: Er reißt den Menschen hierhin und dorthin; der andere liegt in der Vernunft, die lehrt und erklärt, was zu tun und zu meiden ist. Das geschieht so, dass die Vernunft voransteht, das Streben gehorcht. Jede Handlung muss aber frei sein von Unklarheit und Nachlässigkeit, und es darf auch niemand etwas tun, wofür er nicht einen wahrscheinlichen Grund angeben kann. Dies ist nämlich in etwa eine Beschreibung der Pflicht.
  • Cicero: Gespräche in Tuskulum (Tusculanae disputationes ) I 45

    Cicero verweist auf ein gutes Leben als sinnhafte Vorbedingung für den Tod
    Wenn die Vernunft allein zu wenig zustande bringt, um den Tod vernachlässigen zu können, so mag dies doch das geführte Leben zustande bringen, dass wir meinen, genug und mehr als das gelebt zu haben. Denn obwohl das Bewusstsein fort sein wird, so mangelt es den Toten nicht an ihren eigenen Gütern des Lobes und Ruhmes: Wenn sie sich ihrer auch nicht bewusst sind, fehlt es den Toten doch an nichts.
  • Cicero: Laelius über die Freundschaft (Laelius de amicitia ) §20. 19

    Cicero über die Freundschaft
    [1] Die Freundschaft ist nämlich nichts anderes als die Übereinstimmung in allen göttlichen und menschlichen Dingen, verbunden mit Zuneigung und Liebe; im Vergleich zu ihr dürfte – abgesehen vielleicht von der Weisheit – den Menschen nichts Besseres von den unsterblichen Göttern gegeben sein. [...]
    [2] Diejenigen freilich, die in der Tugend das höchste Gut sehen, vorzüglich tun sie dies gewiss; aber gerade diese Tugend bringt die Freundschaft hervor und hält sie zusammen, und ohne Tugend kann es Freundschaft unter keinen Umständen geben. [...] Menschen, die sich so verhalten, so leben, dass man ihre Treue, ihre Unbescholtenheit, ihren Gerechtigkeitssinn, ihre Großzügigkeit anerkennt; dass es in ihnen keine Begierde, Ausschweifung und Frechheit gibt; dass sie starke Charakterfestigkeit beweisen – wie es bei denen der Fall war, die ich eben namentlich aufgeführt habe –, diese wollen wir, wie sie schon seinerzeit als gute Männer galten, auch für würdig erachten, sie ,gut‘ zu nennen, weil sie, soweit Menschen dazu befähigt sind, der Natur als der besten Führerin zu einem anständigen Leben folgten.
  • Seneca: Brief an Lucilius (Epistula ad Lucilium ) 64, 5f.

    Die Erreichbarkeit der Tugend nach Seneca
    Denn auch dies zeichnet Sextius aus, dass er Dir gewiss sowohl die Größe des glücklichen Lebens zeigen als auch keine Verzweiflung an seiner Möglichkeit bewirken wird. Du wirst wissen, dass dieses ganz oben steht, aber dem, der will, zugänglich ist. Dasselbe wird Dir die Tugend selbst darbieten, dass Du sie bewunderst und dennoch erhoffst.
  • Seneca: Die Milde (De clementia) I 1

    Seneca über die Vorzüge herrscherlicher Milde
    Über die Milde zu schreiben, Kaiser Nero, habe ich beschlossen, damit ich auf bestimmte Weise die Rolle des Spiegels einnehmen und Dir zeige, dass Du zur größten Lust von allen gelangen wirst. Denn obwohl die wahre Frucht des richtig Getanen darin liegt, es getan zu haben, und obwohl kein Lohn für die Tugenden, der ihrer würdig ist, außerhalb von ihnen ist, hilft es doch, das gute Gewissen zu betrachten und zu umschreiten.
  • Seneca: Brief an Lucilius (Epistula ad Lucilium ) 70, 6

    Seneca über das Verhältnis des Menschen zum Tod
    Schneller oder langsamer zu sterben tut nichts zur Sache; gut oder schlecht zu Sterben, das tut etwas zur Sache. Gut zu sterben heißt aber, die Gefahr, schlecht zu leben, zu fliehen.
  • Seneca: Die Wohltaten (De beneficiis) VII 2, 4

    Seneca über die Konzentration des Weisen auf die Gegenwart
    Dieser [Weise] freut sich über das Gegenwärtige, er hängt nicht vom Zukünftigen ab; denn wer dem Unsicheren zugeneigt ist, der hat nichts Festes. Losgelöst von großen und den Verstand beunruhigenden Sorgen hofft oder wünscht [der Weise] nichts, noch setzt er sich dem Zweifel aus, mit dem Seinen zufrieden.
  • Seneca: Brief an Lucilius (Epistula ad Lucilium ) 24, 2

    Seneca über die praemeditatio malorum (das gedankliche Vorwegnehmen von Schlechtem)
    Wenn Du jede Sorge ablegen willst, dann stelle Dir all das als geschehend vor, von dem Du fürchtest, es könnte geschehen. Und was auch immer dieses Übel ist, vermesse es für Dich und schätze Deine Furcht: Du wirst gewiss erkennen, dass das, was Du fürchtest, entweder nicht groß oder nicht lang andauernd ist.
  • Seneca: Brief an Lucilius (Epistula ad Lucilium ) 68, 1f.

    Seneca über den gesellschaftlichen Nutzen des Rückzugs aus der Öffentlichkeit
    Verberge Dich in Muße, aber verberge auch die Muße selbst; du kannst wissen, dass Du, wenn Du dies tun wirst, wenn schon nicht einer Vorschrift, so doch dem Vorbild der Stoiker folgst. Aber Du tust es auch aus einer Vorschrift: Das wirst Du bei Dir und bei dem Du willst billigen. Weder schicken wir jemanden zu jedem Staat, noch tun wir dies immer, noch endlos; außerdem ist der Weise, wenn wir ihm einen Staat geben, der seiner würdig ist, nämlich die Welt, auch dann, wenn er sich zurückgezogen hat, nicht außerhalb eines Staates, sondern vielleicht geht er, wenn er eine Ecke verlassen hat, in Größeres und Weiteres über.
  • Seneca: Der Zorn (De ira) III 36, 1. 3, Auszüge

    Seneca über die abendliche Gewissensprüfung (Antike Philosophie II)<br /> Geistliche Übungen bei Seneca (Gesetz und Gewissen)
    Sextius tat dies, dass er zum Abschluss des Tages, wenn er sich zur nächtlichen Ruhe zurückzog, seinen Geist fragte: ,Welchen deiner Fehler hast Du heute geheilt? Welchem Laster bist Du entgegengetreten? An welchem Teil bist Du nun besser?‘ [...] Der Geist wurde entweder gelobt oder ermahnt und als Betrachter und heimlicher Beurteiler seiner selbst erkannte er seine Sitten. Ich nutze diese Fähigkeit täglich und spreche bei mir selbst Recht. Wenn das Licht aus dem Gesichtskreis verschwunden und meine Gattin, die meine Sitte schon kennt, still geworden ist, prüfe ich meinen ganzen Tag und ermesse meine Taten und Worte; nichts verberge ich vor mir selbst, nichts umgehe ich.
  • Seneca: Brief an Lucilius (Epistula ad Lucilium ) 107, Ende

    Die stoische Lebenshaltung nach Seneca (Antike Philosophie II) <br /> Lucius Annaeus Seneca über das stoische Lebensideal (Gesetz und Gewissen)
    Führe, o Vater, und Herrscher des hohen Himmels
    Wohin immer Du magst; beim Gehorchen gibt es kein Zögern,
    eifrig bin ich bereit; will ich nicht, so folge ich stöhnend
    und als Schlechter erleid’ich, was zu tun dem Guten erlaubt war.
    Den Willigen führen die Schicksale, den Unwilligen ziehen sie.
  • Epiktet : Erörterungen (Dissertationes) IV 1, 68-75

    Epiktet über die menschliche Freiheit
    a) Hast Du keine selbständige Entscheidung, die allein Dir obliegt, oder hast Du so etwas? – Ich weiß nicht. – Schau also Folgendes und betrachte es. Kann Dich vielleicht jemand dazu bringen, der Lüge zuzustimmen? – Niemand. – Also bist Du im Ort der Zustimmung ungehindert und ungestört. – In der Tat. – Weiter: Kann Dich jemand zwingen, auf etwas loszugehen, was Du nicht willst. – Das kann er. Denn wenn er mir Tod oder Gefängnis androht, zwingt er mich, loszugehen.
    b) Wenn Du nun das Sterben und das Gefangensein verachtest, brauchst Du Dich noch um ihn zu kümmern? – Nein. – Ist nun die Todesverachtung Dein Werk oder nicht. – Meines. – Ist das Losgehen also Deines oder nicht. – Es ist meines. – Das Ablassen von etwas, ist das auch Deines. – Was ist, wenn jemand mich hindert spazierenzugehen, wenn ich will. – Was an Dir hindert er denn? Etwa die Zustimmung? – Nein, sondern den Körper. [...] Wer aber kann Dich zwingen, etwas zu erstreben, was Du nicht willst. – Niemand. – Dir etwas vorzunehmen oder es sich zum Ziel zu setzen oder einfach die auftauchenden Vorstellungen gebrauchen? – Auch das nicht. Aber wenn ich strebe, wird er mich hindern, das, was ich erstrebe, zu erlangen. – Wenn Du etwas von dem Deinen erstrebst und vom Ungehinderten, wie soll er Dich hindern? – Auf keine Weise.
  • Sextos Empirikos: Pyrrhonische Hypotyposen (Pyrrhoneae Hypotyposes) I 1, p. 4 Mau

    Die Einteilung der Philosophie nach den pyrrhonischen Skeptikern
    (1) Auch bei dem, auf philosophische Weise gesucht wird, sagen die einen, sie hätten etwas Wahres gefunden, die anderen behaupteten, es sei nicht möglich, so etwas begriffen zu haben, die dritten suchen noch. [...] Daher nimmt man zu Recht drei Hauptströmungen der Philosophie an, die dogmatische, die akademische und die skeptische. [...]
    (2)Bei nichts von dem, was wir sagen werden, sind wir fest überzeugt, dass es sich so verhält, wie wir sagen, sondern wir werden entsprechend dem, was uns jetzt der Fall zu sein scheint, über jeden Punkt darstellend Aussagen machen.
  • Photios (Patriarch): Bibliothek der Handschriften (Bibliotheca codicum) Referat des Pyrrhoneers Ainesidemos, ca. 100 v. Chr.

    Die pyrrhoneische Hoffnung auf das Glücklichsein
    Deswegen wüssten weder die Pyrrhoneer noch die anderen die Wahrheit in den Dingen, aber die, die nach einer anderen Richtung philosophierten, wüssten alles andere nicht und [..] auch eben dieses nicht, dass nichts von dem, was sie begriffen zu haben meinen, tatsächlich begriffen wurde. Der Philosoph im Sinne des Pyrrhon ist aber im Hinblick auf das andere glückselig, und er ist darin weise, ganz genau zu wissen, dass nichts von ihm in zuverlässiger Weise begriffen wurde.
  • Sextos Empirikos: Pyrrhonische Hypotyposen (Pyrrhoneae Hypotyposes) I 12, p. 11 Mau

    Die Erklärung der pyrrhoneischen Eudaimonie bei Sextos Empirikos
    Was über den Bildhauer Apelles gesagt wird, das geschah auch dem Skeptiker. Man sagt nämlich, dieser habe ein Pferd gemalt und wollte den Schaum des Pferdes im Bild nachahmen. Es sei ihm aber so misslungen, dass er aufgab und den Schwamm in den er die Farben des Pinsels ausdrückte, auf das Bild warf. Als dieser aber traf, habe er eine Nachahmung des Schaums des Pferdes gebildet. Auch die Skeptiker hofften also, die Ataraxie dadurch zu erlangen, dass sie die Ungleichheit des Erscheinenden und Gedachten beurteilten; erst als sie dies nicht tun konnten, enthielten sie sich des Urteils. Als sie sich seiner enthielten, folgte die Ataraxie dem zufällig so wie ein Schatten dem Körper.
  • Sextos Empirikos: Gegen die Mathematiker (Adversus mathematicos) VII 284-287

    Sextos Empirikos erklärt, warum Selbsterkenntnis unmöglich ist
    Wenn der Mensch erfassbar ist, dann sucht und erfasst er sich selbst entweder als ganzer oder er ist als ganzer das Gesuchte und der Erfassung unterfallende. [...] Wenn der Mensch sich nun durchgängig selbst suchte und mit diesem gedacht würde (indem er sich als ganzer aufs Ganze selbst denkt), dann würde das Erfassende nichts mehr sein, was abwegig ist. Wenn er aber als ganzer das Gesuchte wäre mit diesem ganz gedacht würde (mit dem Gesucht-Werden), dann wird wiederum nichts Suchendes und die Erfassung Herstellendes übrigbleiben. Gewiss ist auch das nicht möglich.
  • Diogenes Laertios: Leben der Philosophen (Vitae philosophorum) 6, 10f.

    Das kynische Glücksideal des Antisthenes
    [Antisthenes] bewies, dass die Tugend lehrbar ist. Diejenigen seien adlig, die tugendhaft seien. Die Tugend sei in sich hinreichend/autark zum Glück, sie benötige nichts außer sokratischer Kraft. Die Tugend gehöre zu den Werken, sie benötige weder viele Worte noch Lehren. Und der Weise sei in sich hinreichend/autark. Ihm gehöre alles, was den anderen gehöre. Das schlechte Ansehen sei gut und gleich der Bemühung. Der Weise führe sein Leben nicht gemäß den gegeben Gesetzen, sondern nach demjenigen der Tugend. Er solle heiraten, um Kinder zu zeugen und mit den wohlgestaltetsten Frauen zusammenkommen. Und er solle lieben. Denn der Weise allein wisse, was man lieben müsse.
  • Diogenes Laertios: Leben der Philosophen (Vitae philosophorum) 6, 69

    Die kynische Lebensführung in der Öffentlichkeit wird am Beispiel von Anekdoten/Chrien über den eigentlichen Schulgründer Diogenes von Sinope (ca. 413-323 v. Chr.) dargestellt
    Er war es gewohnt, alles in der Öffentlichkeit zu tun, auch die Dinge der Demeter und die der Aphrodite [d.h. die auf Nahrung und Liebe bezüglichen]. Und er brachte Syllogismen wie den folgenden auf: ,Wenn das Mittagessen nichts Absurdes ist, ist auch auf dem Marktplatz nichts Absurdes. Das Mittagessen ist aber nichts Absurdes. Also ist es auch auf dem Marktplatz nichts Absurdes‘.
  • Diogenes Laertios: Leben der Philosophen (Vitae philosophorum) 6, 69. 6. 8

    Politische Aspekte der kynischen Lebensführung
    Auf die Frage, was das Schönste unter den Menschen sei, antwortete er: ,Offene Rede‘. [...] Wenn Brüder einig seien, dann sei das Zusammenleben fester als jede Mauer. [...] Er riet den Athenern, die Esel durch Abstimmung zu Pferden zu erklären. Als sie das absurd fanden, sagte er: ,Aber bei Euch wird man auch Feldherr nur durch Handauflegung, ohne etwas gelernt zu haben‘.
  • Justin: Dialog mit dem Tryphon (Dialogus cum Tryphone ) 1, 6-2, 1; 3, 4f.; 4, 1

    Justin der Märtyrer erläutert seine christliche Philosophie
    Tryphon: Welche Meinung hast Du aber über Gott und was ist Deine Philosophie? [...] Justin: Ich will Dir sagen, was mir richtig scheint. In Wahrheit ist nämlich die Philosophie das größte Besitztum und das wertvollste bei Gott, zu dem sie allein uns nahebringt und hinführt, und wahrhaft würdevoll sind die, die sich auf die Philosophie konzentrieren. [...] Die Philosophie [...] ist das Wissen um das Seiende und die Erkenntnis des Wahren, das Glücklichsein aber ist der Lohn für dieses Wissen und diese Weisheit.
    T.: Gott aber nennst Du was? [...]
    J.: Das, was immer auf die gleiche Weise und identisch ist und für alles andere die Ursache des Seins ist, dies ist Gott. [...] Aber das Göttliche [...], Väterchen, ist nicht mit den Augen selbst sichtbar, so wie die anderen Lebewesen, sondern allein mit dem Geist auffassbar, so wie es Platon sagt und wie ich von ihm überzeugt werde.
  • Eusebios von Kaisareia: Die Vorbereitung auf das Evangelium (Praeparatio Evangelica) 11, 9, 1-4

    Eusebios von Kaisareia erkennt Gott als den Seienden in der Bibel ausgesprochen
    Wenn Moses in den heiligen Mysterien in der Person Gottes das Orakel ausspricht: ,Ich bin der Seiende. Dies sollst Du den Söhnen Israels sagen: Der Seiende hat mich zu Euch geschickt‘ (Exodus = 2 Moses 3, 14) und voraussetzt, dass Gott allein schlechthin seiend ist [...] und wenn wir infolgedessen das All in zwei Teile aufteilen, dass Geistige und das sinnliche Wahrnehmbare [...] – dann sieh, auf welche Weise Platon nicht nur den Verstand, sondern auch den Wortlaut und die Aussagen der Schrift der Juden nachahmt und sich an ihre Lehre anpasst.
  • Paulus von Tarsus (Apostel): Römerbrief (Pauli epistula ad Romanos) 7, 18-21

    Zu den Aussagen des Apostels Paulus von Tarsus (gest. 63 n. Chr.), die interessante philosophische Probleme aufwerfen, gehört seine Schilderung der Zerrissenheit des Willens
    Denn ich weiß, dass in mir, das heißt in meinem Fleisch, das Gute nicht wohnt. Denn das Wollen des Schönen ist bei mir vorhanden, das Ausführen aber nicht. Denn nicht, was ich will tue ich, das Gute, sondern was ich nicht will, das Schlechte, dies mache ich. Wenn ich aber das tue, was ich nicht will, dann führe nicht mehr ich dieses aus, sondern die Sünde, die in mir wohnt. Ich finde also das Gesetz, da ich ja das Schöne tun will, weil bei mir das Schlechte vorhanden ist.
  • Origenes: Kommentar zu Röm 7, 18-21; p. 272f.

    Der Kirchenvater Origenes deutet die von Paulus erwähnte Schwäche des Willens
    Wer noch nicht geistig ist, wird also in diesen Einzelfällen besiegt, auch gegen seinen Willen. Denn dieser Wille ist noch nicht so stark und fest, dass er bei sich festlegt, dass bis zum Tode für die Wahrheit gekämpft werden muss. [...] Und daher kann er nicht tun, was er will, sondern was er nicht will. [...] Und das natürliche Gesetz wird zu einer gewissen Übereinstimmung mit dem Gesetz Gottes geführt, so dass sie dasselbe wollen und dasselbe nicht wollen. Aber wenn wir im Willen dem Gesetz Gottes zustimmen, dann tun nicht wir das Schlechte, was wir tun, sondern die Sünde, die in uns ist, tut es, d.h. das Gesetz und der Wille des Fleisches. [...] So wie der geistige Paulus seine Mühen nicht sich, sondern der Gnade Gottes, die in ihm tätig war, zuschrieb, so auch rechnet auch der fleischliche die schlechten Werke nicht sich, sondern der Sünde an.
  • Bardaiṣān: Buch der Gesetze der Völker § 1

    Ein Dialog mit Bardaiṣān, dem ,Philosophen der Aramäer‘ (um 200 n. Chr.) ahmt die platonischen Dialoge in syrischer bzw. ostaramäischer Sprache nach
    Vor einigen Tagen gingen wir, unseren Bruder Šemašgram besuchen. Auch Bardaiṣān kam, um uns dort anzutreffen. Als er ihn umarmt und gesehen hatte, dass es ihm gut ging, fragte er uns: ,Worüber spracht Ihr?‘ Denn ich hörte eure Stimme von draußen, als ich hierherkam‘. Er war es nämlich gewohnt, dann, wenn er uns dabei antraf, dass wir vor ihm über etwas sprachen, zu fragen: ,Was spracht Ihr?‘, um hierüber mit uns zu sprechen. Wir sagten also zu ihm: ,Dieser ‘Avīdā dort sagte zu uns: Wenn es einen Gott gibt, so wie Ihr sagt, und dieser die Menschen gestaltete und hierdurch etwas will, dass euch zu tun befohlen wird, warum gestaltete er die Menschen nicht so, dass sie nicht sündigen können, sondern vielmehr die ganze Zeit das Gute tun?
  • Porphyrios von Tyros : Leben Plotins (Vita Plotini) § 10

    Porphyrios von Tyros (ca. 233-301/5) Plotins Selbstbewusstsein gegenüber den Göttern
    Als [Plotins Kollege] Amelios opferfreudig geworden war, bei Neumond sowie an den Festen dort herumging und Plotin aufforderte, mit ihm teilzunehmen, sagte dieser: ,Jene müssen zu mir kommen, nicht ich zu ihnen.‘ Aus welcher Einsicht heraus er so große Reden führte, konnten wir weder verstehen, noch wagten wir danach zu fragen.
  • Porphyrios von Tyros : Leben Plotins (Vita Plotini) § 23

    Porphyrios über die Vereinigung mit dem Einen
    Wenn er sich so durch dieses dämonische Licht besonders in den ersten und jenseitigen Gott mit den Gedanken einführte, auf den von Platon im Symposion gewiesenen Wegen, erschien ihm jener Gott, der weder eine Gestalt noch eine Idee hat, der oberhalb des Geistes und alles Gedachten sitzt. Ihm, sage ich, habe ich, Porphyrios, mich auch einmal angenähert und mit ihm vereint, im 68. Lebensjahr. [...] [Plotin] aber erreichte wohl viermal, während ich bei ihm war, dieses Ziel mit unsagbarer Aktivität.
  • Porphyrios von Tyros : Leben Plotins (Vita Plotini) § 14

    Porphyrios über Einflüsse auf Plotin
    In seinen Schriften sind auch auf versteckte Weise stoische und peripatetische Lehren untermischt. Besonders häufig verwendet wird Aristoteles Abhandlung Metaphysik. [...] In seinen Vorlesungen wurden von ihm auch die Kommentare verwendet, sowohl von [den Platonikern] Severos, Kronios, Numenios, Gaios oder Attikos, als auch, unter den Peripatetikern, die des Aspasios, des Alexander.
  • Alexander von Aphrodisias: Über die Ursachen des Universums nach der Meinung des Aristoteles (De principiis universi secundum Aristotelem) § 2-3

    Die Prinzipien aristotelischer Kosmologie nach Alexander von Aphrodisias
    Das Beste, durch das derartige Dinge meiner Meinung nach nachgewiesen werden, ist, dass man verdeutlicht, dass die Prinzipien, die sie vorbereiten, mit den Dingen übereinstimmen und notwendig verbunden sind, die klar, sichtbar und bekannt sind. Denn es ist nicht möglich, dass man hierüber beweisende Aussagen verwendet, denn die Beweismethode geht von Dingen aus, die von größerer Priorität und die Ursachen sind, während den ersten Prinzipien keine frühere Sache vorangeht und sie überhaupt keine Ursache haben. Die gesuchten Dinge sind folgende: 1. dass gewusst wird, was die erste Ursache ist und 2. welche Akte sie ausübt; 3. auf welche Weise der Bewegung der Körper bewegt wird, den sie bewegt; 4. weswegen die Bewegungen des sphärischen Körpers viele und unterschiedlich sind; 5. ob die Dinge, die an den Orten unterhalb der Mondsphäre vor sich gehen, aufgrund der Bewegungen dieser Körper nur aufgrund von Wahl und Wissen vor sich gehen.
  • Alexander von Aphrodisias: Über die Ursachen des Universums nach der Meinung des Aristoteles (De principiis universi secundum Aristotelem) § 25-29

    Alexander von Aphrodisias über den ersten bewegten Körper und seine Bewegungsursache, den unkörperlichen ersten Beweger
    Die Ursache für die Bewegung des göttlichen Körpers kann nur sein Streben zu der Sache sein, die der Gipfel alles Guten ist [...]. Und das liegt daran, dass der göttliche Körper, der von ihm bewegt wird, der edelste aller Körper ist, da er ein einfacher Körper frei von allem Erleiden ist [...], wobei es nur für diese allein von allen Bewegungen möglich ist, dass sie kontinuierlich ewig ist, und auf diese Art kann von den Bewegungen [...] nur die kreisförmige Bewegung sein. [...] Und wenn jemand sagt, diese Ursache [für die Bewegung des göttlichen Körpers] sei ein Körper, dann geht die Reihe der göttlichen Körper bis ins Unendliche fort. So bleibt nur übrig, dass die Sache, zu der der göttliche Körper strebt, eine Substanz ist, die kein Körper und unbewegt ist [...]. Der erste Beweger ist unbewegt, weil das, was bewegt und bewegt wird, aus dem Bewegenden und dem Bewegten zusammengesetzt ist. [...].
  • Alexander von Aphrodisias: Über die Ursachen des Universums nach der Meinung des Aristoteles (De principiis universi secundum Aristotelem) § 97-98

    Das Selbstdenken als Selbstbewegung und Bewegungsursache nach Alexander von Aphrodisias
    Der erste Beweger [...] bewegt die bewegte Sache zu sich, insofern er im Geist (‘aql = νοῦς) erfasst wird, so wie das Geliebte den Liebenden bewegt. [...] Dasjenige, das wesentlich geliebt ist, bewegt sich selbst, und dasjenige, das wesentlich geliebt ist, ist dasjenige, was gut ist; [...] ferner ist es notwendig, dass es sich selbst bewegt, wenn es sich selbst denken (ja‘qul ḏātahā = νοεῖ ἑαυτόν) kann und sich kennt. Und dieses Bewegende ist nicht nur die Ursache für die Bewegung des göttlichen Körpers [...], sondern auch die Ursache für den Menschen in der irdischen Wohnstatt und das höchste Glücklichsein (sa‘āda = εὐδαιμονία).
  • Numenios von Apameia : Über das Gute (De bono) frg. 11 u. 12

    Die platonische Prinzipenlehre des Numenios von Apameia
    Gott anrufend, der sich selbst kennt, wollen wir so beginnen, mit einem Argument den Schatz der Gedanken aufzuzeigen: Beten muss man zwar nun, aber Differenzierung tut not. Der ersten Gott, der in sich selbst besteht, ist einfach, weil er dadurch, dass er mit sich selbst durchgängig zusammensteht, niemals aufteilbar ist. Der zweite Gott aber und der dritte sind einer. Zusammengemischt mit der Materie, die eine Zweiheit ist, einigt er diese, wird aber von ihr aufgetrennt, die sie einen begehrenden Charakter hat und sich im Fluss befindet. Weil er also nicht beim Gedachten ist (dann wäre er nämlich bei sich), weil er auf die Materie schaut, wird er, mit dieser beschäftigt, ohne Blick für sich selbst. Und er berührt das Sinnliche und umhegt es, führt es noch hoch zum eigenen Charakter, nachdem er sich zur Materie hin ausgestreckt hat. [...] Wir stimmen ganz mit uns selbst überein [...], dass der erste Gott untätig in allen Werken und König ist, der Schöpfergott aber herrscht, indem er durch den Himmel schreitet.
  • Plotin: Enneade .

    Das System der Wirklichkeit nach Plotin
  • Plotin: Enneade V 1, 2, 1-9

    Die nötige Selbsterkenntnis der Seele nach Plotin
    Die nötige Selbsterkenntnis der Seele nach Plotin: „Dies soll nun zuerst jede Seele bedenken, dass sie alle Lebewesen erschuf, indem sie ihnen Leben einhauchte: die, welche die Erde nährt, und die, welche das Meer, die in der Luft und die göttlichen Sterne am Himmel; sie [schuf] die Sonne, sie diesen gewaltigen Himmel, und sie schmückte sie, und sie leitet sie in Ordnung, das sie eine andere Natur ist als das, was sie schmückt und was sie bewegt und was sie leben lässt. Notwendigerweise ist sie auch edler als dies, da dies entsteht und vergeht, während die Seele das Leben verlässt und anführt, da sie stets sie selbst, indem sie sich selbst nie verlässt‘.
  • Plotin: Enneade V 1, 3, 1f. 12-21

    Der Übergang der Seele zum Geist
    Nimm nun das Göttlichere als dieses Göttliche, den Nachbarn der Seele nach oben hin, nach dem und aus dem die Seele ist. Denn wenngleich sie eine Sache ist, wie das Argument zeigte, ist sie ein Abbild des Geistes. [...] Das sie aus dem Geist ist, ist sie denkend, und in den Überlegungen ist besteht ihr Geist, und die Vollendung kommt wiederum aus ihm wie von einem Vater, der den aufzieht, den er weniger vollkommen als sich selbst gezeugt hat. [...] Denn wenn die Seele in den Geist hineinblickt, hat sie in sich und ihr zu eigen das, was sie denkt und aktiv betriebt. Und nur dasjenige darf man Aktivitäten der Seele nennen, was sie denkend und was sie von sich aus betreibt. Das Schlechtere aber ist von anderswoher und Leiden der so beschaffenen Seele. Der Geist also macht sie göttlicher, indem er Vater ist und indem er bei ihr ist.
  • Plotin: Enneade V 3 [49], 5, 28-39

    Plotin erklärt die Möglichkeit von Selbsterkenntnis des Denkens
    Und wenn so das Denken und das Gedachte Eines sind, wie kann denn dadurch das Denkende sich selbst denken? [...] Wenn das Denkende und das Gedachte selbig sind – eine Aktivität nämlich ist das Gedachte [...] dann ist das Gedachte das erste Sein. Wenn dieses nun Aktivität, die erste und schönste Aktivität ist, dann ist es doch offensichtlich Denken, und zwar seinshaftes Denken; es ist nämlich das Wahrste; Denken dieser Art, das erste und ursprünglich seiend, ist dann wohl der erste Geist.
  • Plotin: Enneade VI 9 [9], 6, 1. 12-17

    Plotin erläutert den Aufstieg vom Geist zum Einen und entwickelt Grundgedanken negativer Theologie
    In welchem Sinn also sagen wir „Eines“, und in welcher Weise hat man es mit dem Denken in Deckung zu bringen? [...] Wenn Du es Dir als Geist oder Gott denkst, ist es mehr; und wenn Du es wiederum gedanklich auf die Einheit reduzierst, so ist es auch hier in jedem Fall mehr als die Vorstellung, die du dir von ihm gemacht hast, um ihn einheitlicher als dein Denken zu machen. Daher ist es ganz für sich; es gibt keine Eigenschaft, die ihm zukommt. Und im Sinne des sich selbst Genügenden lässt sich auch das ihm zukommende ,Eine‘ denken.
  • Meyer, Conrad Ferdinand : Der römische Brunnen -

    Conrad Ferdinand Meyer (1825-1898), Der römische Brunnen
    Auf steigt der Strahl und fallend gießt
    Er voll der Marmorschale Rund,
    Die, sich verschleiernd, überfließt
    In einer zweiten Schale Grund;
    Die zweite gibt, sie wird zu reich,
    Der dritten wallend ihre Flut,
    Und jede nimmt und gibt zugleich
    Und strömt und ruht.
  • Plotin: Enneade IV 8 [6], 6, 1-16

    Πρόοδος (Prohodos) – Das Eine als Quelle der Entstehung von alles Seiendem
    Wenn es nun notwendig ist, dass es nicht nur eines gibt – denn sonst wäre alles in ihm verborgen, ohne eine Gestalt zu haben, und nichts Seiendes existierte, während jenes in sich selbst ruht, und es gäbe die Menge dieses Seienden, das vom Ersten gezeugt wurde nicht [...] – dann war es auf dieselbe Weise auch notwendig, dass nicht nur die Seelen sind, ohne dass das von ihnen Erzeugte erscheint, weil ja jeder Natur dies innewohnt, dass sie das nach ihr Liegende bewirkt und sich entfaltet, so wie ein Same, der aus einem ungeteilten Anfang bis ans sinnlich wahrnehmbare Ziel voranschreitet. Dabei bleibt das Frühere immer an seinem eigenen Ort, das nach ihm Kommende [...] schreitet aber weiter, bis zum Letzten hin alles, soweit es möglich ist, gelangt durch eine Fähigkeit [...], die nichts zu sehen vermag, was an ihr keinen Teil hat.
  • Plotin: Enneade I 7 [54], 1, 7-10. 22-27; 2, 1f.

    Ἐπιστροφή (epistrophē) – Das Eine bzw. Gute als Ziel für das Streben alles Seienden
    Wenn also etwas nicht in Richtung auf etwas anderes aktiv ist, weil es das Beste alles Seienden ist und jenseits des Seienden, die anderen aber in Richtung auf dieses [aktiv sind], dann ist klar, dass dieses das Gute ist, durch das auch den anderen ermöglicht wird, am Guten teilzuhaben. [...] Denn so ist es auch wirklich das, ,wonach alles strebt‘ (Aristoteles, Nikomachische Ethik I 1, 1094a 3). Es ist also nötig, dass es selbst feststeht, dass sich aber alles zu ihm zurückwendet, so wie ein Kreis zu dem Zentrum, von dem alle Linien ausgehen. Und ein Beispiel ist die Sonne, die wie ein Zentrum ist im Verhältnis zu dem von ihr stammenden Licht, das an ihr hängt; überall ist es also mit ihr und nicht von ihr abgetrennt. [...] Wie aber richtet sich alles andere auf dieses hin? Nun, das Unbeseelte auf die Seele hin, die Seele aber durch den Geist auf dieses hin.
  • Plotin: Enneade III 7, 11, 1-6. 20-39

    Plotin über die Entstehung der Zeit aus der Ewigkeit
    Wir müssen uns nun wieder in jene Verfassung erheben, die wir für die Ewigkeit behaupteten, jenes unveränderliche, zugleich ganze und schon unendliche Leben, das gänzlich unwandelbar im Einen ist. [...] Man könnte aber über die Zeit in etwa folgendes sagen: Vorher [...] ruhte sie mit diesem im Sein, ohne Zeit zu sein, sondern hielt in jenem auch selbst Ruhe. [...] Weil in der Seele eine unruhige Kraft war, [...] hat auch die Seele – indem sie in Nachahmung der Geistigen die sinnliche Welt schuf, die sich nicht in der dortigen Bewegung bewegt, sondern in einer ihr ähnlichen, welche Bild von jener sein möchte – zuerst sich selbst verzeitlicht, anstelle der Ewigkeit die Zeit schaffend; dann aber gab sie dem Gewordenen, der Zeit zu dienen. [...] Denn indem die Seele ihre Aktivität immer eine nach der anderen gewährt, dann in der Folge als wieder andere gewährt, erzeugte sie zusammen mit ihrer Tätigkeit das Nacheinander und mit hervor ging mit dem unterschiedlichen Denken nach ihr das, was vorher noch nicht da war.
  • Plotin: Enneade IV 8, 1, 1-11

    Plotin erklärt eine Grundfrage seiner Philosophie aus der eigenen Erfahrung
    Immer wieder wenn ich aus dem Leib aufwache in mich selbst, bin ich außerhalb des anderen, aber innerhalb von mir selbst, sehe eine wunderbar gewaltige Schönheit [...], verwirkliche höchstes Leben, bin in eins mit dem Göttlichen und auf seinem Fundament gegründet, denn ich bin gelangt zur höchsten Wirksamkeit und habe mich selbst gegründet über allem, was sonst geistig ist: Nach diesem Stillestehen im Göttlichen, wenn ich da aus dem Geist herniedersteige ins Überlegen – da frage ich mich: [...] Wie ist einst die Seele in mir in den Leib geraten, die doch das ist, was sie mir als ihr Sein an sich gezeigt hatte?
  • Plotin: Enneade I 1 [53], 7, 1-6. 12-18

    Plotin über die Natur des Menschen und das wahre Ich
    Nun mag es das [aus Körper und Seele] Zusammengesetzte geben, vorausgesetzt, dass die in bestimmter Weise beschaffene Seele durch ihre Gegenwart nicht sich selbst dem Zusammengesetzten bzw. dessen anderem Teil zur Verfügung stellt, sondern aus dem in bestimmter Weise beschaffenen Körper und quasi einer Art Licht, das sie über sich selbst hinaus abgibt, die Natur des Lebewesens als etwas anderes herstellt, dem das sinnliche Wahrnehmen angehört und sonst alle genannten Empfindungen des Lebewesens. [...] Die äußere sinnliche Wahrnehmung ist folglich ein Abbild von ihr, während sie selbst in ihrem Sein wahrhaftiger und in empfindungsfreier Weise ausschließlich Schau von Formen ist. [...] Hier sind wir mehr als irgendwo sonst. Was hingegen vor diesen kommt, ist unser; wir, wohlgemerkt, sind das von hier aus gesehen Obere und stehen an der Spitze des Lebewese.
  • Plotin: Enneade VI 8 (39), 6, 26-29. 36-38. 41-43

    Plotin sieht nur den Geist im eigentlichen Sinne als frei an
    (1) Das Immaterielle ist das Freie, und auf dieses richtet sich das Heraufführen des bei uns Liegenden, und dieses [Heraufführen] ist eben dieses Wollen, das entscheidende und von sich selbst abhängende [...]. Alles was aus diesem [Wollen] heraus und um seinetwillen geschieht, liegt bei uns, außerhalb und innerhalb seiner. Was es will und ungehindert wirkt, dies ist auch in erster Linie bei uns liegend.
    (2) Der theoretische und erste Geist ist so das bei sich selbst Liegende, dass sein Werk keinesfalls bei einem anderen liegt, sondern als ganzer ist er sich selbst zugewandt, und sein Werk ist er selbst, und er ruht bedürfnislos im Guten, und ist als erfüllter da und lebt gleichsam dem Wollen gemäß. Das Wollen aber ist das Denken, Wollen wurde es aber genannt, weil es dem Geist entsprechend erfolgt.
    (3) Denn das [von den Menschen] so genannte Wollen ahmt das dem Geist entsprechende nach. Denn das Wollen will das Gute; das Denken befindet sich aber wahrhaft im Guten. Jener besitzt also das [...].
    (4) Wenn wir also das bei uns Liegende im Wollen des Guten ansetzen, wie soll dann das, was schon in demjenigen feststeht, in dem das Wollen sein will, das bei uns Liegende nicht haben? Gewiss wird man ansetzen müssen, dass es größer ist, wenn nicht jemand das bei uns Liegende in dieses heraufführen will.
  • Plotin: Enneade I 8 [51], 7, 21-8, 1-3. 10f. 37-42

    Plotin über die Materie als das eigentlich Böse
    Nun ist aber das, was auf das Erste folgt, mit Notwendigkeit vorhanden; folglich auch das Letzte; dies ist die Materie, die nichts mehr von jenem an sich hat. Und dies ist die Notwendigkeit des Bösen. Wenn aber jemand behaupten will, dass wir nicht durch die Materie böse werden – denn weder die Unwissen gehe aus der Materie hervor noch die schlechten Begierden [...] – so wird auch er dennoch gezwungen sein zuzugestehen, dass die Materie das Böse ist. [...] Es gelte somit als erstes Böses das Unmaß, das aber, was in Ungemessenheit gerät durch Verähnlichung oder Teilhabe, weil ihm dies nur zustößt, das zweite Böse. [...] So ist die Schlechtigkeit, die eine Unwissenheit und Ungemessenheit in der Seele ist, nur ein zweites Böses und nicht das Böse selbst.
  • Goethe, Johann Wolfgang : Faust Z. 634-637

    Eine Reflexion in Goethes Faust
    Dem Herrlichsten, was auch der Geist empfangen,
    drängt immer, fremd und fremder[,] Stoff sich an.
    Wenn wir zum Guten dieser Welt gelangen,
    dann heißt das Bessre Trug und Wahn.
  • Plotin: Enneade I 1 [53], 12, 6-12

    Plotin über die komplexe Natur der Seele
    Das Argument, das der Seele Fehlerlosigkeit zuschreibt, setzte sie als Eines, in jeder Hinsicht Einfaches an, wobei es die Seele und das Seele-Sein als identisch bezeichnet, während das Argument, das ihr Fehler zuschreibt, eine andere Form von Seele, die die ungeheuren Empfindungen hat, mit ihr verknüpft und ihr hinzusetzt. Damit wird die Seele selbst zu etwas Zusammengesetztem, d.h. zu dem, was aus allen Seelenformen zusammen besteht, und ist demnach als Ganzes Empfindungen unterworfen. Dieses Zusammengesetzte macht die Fehler, und dieses ist es, was nach Platon Strafe verbüßen muss, nicht das andere [d.h. die Seele als solche].
  • Plotin: Enneade III 2, 4, 36-44

    Plotin über den Fall der Seele
    Die Lebewesen, welche aus sich selber über eine selbstbestimmte Bewegung verfügen, schlagen bald zum Besseren, bald zum Schlechteren aus. Vielleicht lohnt es nicht, die Wendung zum Schlechteren bei jemandem selbst zu suchen. Denn eine kleine Wendung, die zu Beginn geschieht, macht, wenn sie in der Richtung fortgeht, die Verfehlung immer mehr und größer; der Leib ist ja da und notwendigerweise die Begierde. Wurde das Erste und Plötzliche einmal übersehen und nicht wettgemacht, ist sofort eine Wahl dessen zustandegekommen, wohin jemand abgefallen ist. Hierauf folgt gewiss die Vergeltung.