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Philosophische Zitate aus Antike und Mittelalter

Thema: Freiheit

186 Zitate zu diesem Thema im Zitatenschatz:

  • Thomas von Aquin: Summa theologiae I (Summa theologiae) I 83, 1 responsio

    Thomas von Aquin über freies Wählen
    Einige [Substanzen] handeln ohne ein Urteil, so wie der Stein sich nach unten bewegt, und ebenso alles, was keine Erkenntnis besitzt. Einige handeln aufgrund eines Urteils, aber nicht aufgrund eines freien [Urteils], sowie die Tiere. Denn das Schaf urteilt, wenn es einen Wolf sieht, dass es vor ihm fliehen muss, mit einem natürlichen Urteil und nicht mit einem freien, weil es nicht aus einem Vergleich heraus, sondern aus einem natürlichen Instinkt heraus so urteilt. Aber der Mensch handelt mit aufgrund eines Urteils [...] aus einem bestimmten Vergleich der Vernunft heraus: daher handelt er aufgrund eines freien Urteils und kann sich auf Unterschiedliches richten. Denn die Vernunft hat im Bereich des Kontingenten die Kraft zu Gegensätzlichem.
  • Duns Scotus, Johannes: Probleme betreffend das Buch der Metaphysik (Quaestiones super librum Metaphysicorum) IX 15, nr. 21-24

    Johannes Duns Scotus erklärt den Unterschied von Natur und Freiheit als nicht hintergehbar
    Die grundlegendste Unterscheidung zwischen aktiven Vermögen betrifft verschiedene Weisen, wie sie ihre Tätigkeit ausüben. [...]„Entweder ist ein Vermögen aus sich heraus auf ein Handeln festgelegt, so dass es, hinsichtlich des ,aus sich heraus‘, nicht nicht handeln kann [...]. Oder es ist nicht aus sich heraus festgelegt, sondern es kann einen bestimmten Akt hervorbringen oder den entgegengesetzten, ebenso auch entweder handeln oder nicht handeln. Das erste Vermögen wird allgemein ,Natur‘ genannt, das zweite wird ,Wille‘ genannt. [...] Wenn [...] eine Ursache für diesen Unterschied gesucht wird, [...], kann gesagt werden, dass es hierfür keine Ursache gibt. Man kann keine Ursache dafür angeben warum [eine Ursache] ihre Tätigkeit auf diese Weise ausübt, außer dass sie eine Ursache von dieser Art ist.
  • Wilhelm von Ockham: Fragen zum vierten Buch der Sentenzen des Petrus Lombardus Quaestio V; Opera theologica VII, p. 45

    Wilhelm von Ockham (ca. 1285-1347) über die absolute Freiheit Gottes
    Gott ist niemandem etwas schuldig, es sei denn, er hat es selbst so geordnet; im Hinblick auf seine absolute Macht kann er aber ohne irgendein Unrecht mit seiner Schöpfung das Gegenteil tun,
  • Robert von Melun: Zusammenstellung der Lehrsätze (Sententiae ) Sententiae I, II, [0], 93 und 95; Hs. Brügge 191, f. 175vb

    Robert von Melun (ca. 1100-1167) benennt die Freiheit als typisches Merkmal des Menschen
    [1] Denn es ist nicht so, wie manche Leute glauben, dass die freie Entscheidung als die Fähigkeit zu definieren ist, sich zum Guten und zum Bösen zu wenden. Denn wenn diese Definition der freien Entscheidung ausreichend wäre, dann hätten weder die gefestigten noch die verdammten Geister freie Entscheidung, weil sich weder die gefestigten Geister zum Bösen wenden können noch die verdammten Geister zum Guten. [...] Die freie Entscheidung ist ein Gut der Schöpfung und eine große Würde der rationalen Natur, ohne die sie überhaupt nicht rational sein könnte.
    [2] Aber wenn diese die Teile der freien Entscheidung sind, ohne welche es diese nicht geben kann, kann offensichtlich keine Definition der freien Entscheidung angegeben werden, der gemäß die freie Entscheidung in Gott vorhanden sein kann. Denn in ihm kann es keine Macht zu sündigen geben. Denn er allein tut, bar jeglichen Zwangs und ohne eine Verpflichtung durch irgendeine Rechenschaft, was er tun will, und unterlässt, was er unterlassen will, und daher besteht in ihm nicht nur eine freie Entscheidung, sondern sogar die allerfreieste.
  • Duns Scotus, Johannes: Ordinatio (Ordinatio) IV d. 49 q. 10 nr. 10 (473-475)

    Johannes Duns Scotus über die Freiheit des Willens
    [1] Der Wille ist in Bezug auf jeden beliebigen Akt frei und wird von keinem Objekt genötigt. Trotzdem kann der Wille die Glückseligkeit weder nicht wollen noch hassen noch auch das Elend wollen. [...] Aber hieraus folgt nicht, dass er die Glückseligkeit notwendig will. [...]
    [2] Welchen Akt wird er also in Bezug auf die Glückseligkeit haben, wenn sie ihm vom Intellekt dargeboten wird? Ich sage, dass er meistens einen Willensakt, aber nicht notwendigerweise überhaupt irgendeinen Akt, sondern er kann sich angesichts der Darbietung von Glückseligkeit von jedem Akt zurückhalten. [...]
    [3] Daher kann der Wille jedes beliebige Objekt wollen und nicht wollen und kann sich von jedem beliebigen Einzelakt zurückhalten. Und das kann ein jeder in sich selbst erfahren: Wenn ihm jemand irgendein Gut anbietet [...], kann er sich hiervon abwenden und keinen Willensakt hierzu hervorbringen.
  • Cicero: Das Schicksal (De fato) § 39 und § 43

    Cicero über die stoische Theorie der Freiheit
    Unter den alten Philosophen gab es zwei Auffassungen; die einen meinten, alles geschehe durch das Fatum, und zwar in der Weise, dass dieses Fatum die Gewalt einer Notwendigkeit mit sich bringe. [...] Die anderen meinten, es gebe freiwillige Bewegungen des Geistes, die ohne jedes Fatum erfolgten. Wie mir scheint, wollte daraufhin Chrysipp sozusagen als Ehrenschiedsrichter einen Mittelweg finden. [...] Aber bei der Darstellung seiner eigenen Auffassung gleitet er in Schwierigkeiten, so dass er, ohne es zu wollen, die Notwendigkeit des Fatums behauptet. [...] ,Wie alsoʻ, sagt er, ,derjenige, der die Walze angestoßen hat, ihr zwar den Beginn der Bewegung, aber nicht die Fähigkeit zur Drehung vermittelte, so wird ein gesehener Gegenstand dem Geist zwar die entsprechende Vorstellung einprägen und ihr seine Gestalt gleichsam einzeichnen; aber die Zustimmung dazu wird in unserer Macht liegen: Nachdem sie, wie das an der Walze erläutert worden ist, den Anstoß von außen empfangen hat, wird sie sich von da mit eigener Kraft und aus ihrer eigenen Natur heraus bewegen.
  • Epiktet : Erörterungen (Dissertationes) IV 1, 68-75

    Epiktet über die menschliche Freiheit
    a) Hast Du keine selbständige Entscheidung, die allein Dir obliegt, oder hast Du so etwas? – Ich weiß nicht. – Schau also Folgendes und betrachte es. Kann Dich vielleicht jemand dazu bringen, der Lüge zuzustimmen? – Niemand. – Also bist Du im Ort der Zustimmung ungehindert und ungestört. – In der Tat. – Weiter: Kann Dich jemand zwingen, auf etwas loszugehen, was Du nicht willst. – Das kann er. Denn wenn er mir Tod oder Gefängnis androht, zwingt er mich, loszugehen.
    b) Wenn Du nun das Sterben und das Gefangensein verachtest, brauchst Du Dich noch um ihn zu kümmern? – Nein. – Ist nun die Todesverachtung Dein Werk oder nicht. – Meines. – Ist das Losgehen also Deines oder nicht. – Es ist meines. – Das Ablassen von etwas, ist das auch Deines. – Was ist, wenn jemand mich hindert spazierenzugehen, wenn ich will. – Was an Dir hindert er denn? Etwa die Zustimmung? – Nein, sondern den Körper. [...] Wer aber kann Dich zwingen, etwas zu erstreben, was Du nicht willst. – Niemand. – Dir etwas vorzunehmen oder es sich zum Ziel zu setzen oder einfach die auftauchenden Vorstellungen gebrauchen? – Auch das nicht. Aber wenn ich strebe, wird er mich hindern, das, was ich erstrebe, zu erlangen. – Wenn Du etwas von dem Deinen erstrebst und vom Ungehinderten, wie soll er Dich hindern? – Auf keine Weise.
  • Plotin: Enneade VI 8 (39), 6, 26-29. 36-38. 41-43

    Plotin sieht nur den Geist im eigentlichen Sinne als frei an
    (1) Das Immaterielle ist das Freie, und auf dieses richtet sich das Heraufführen des bei uns Liegenden, und dieses [Heraufführen] ist eben dieses Wollen, das entscheidende und von sich selbst abhängende [...]. Alles was aus diesem [Wollen] heraus und um seinetwillen geschieht, liegt bei uns, außerhalb und innerhalb seiner. Was es will und ungehindert wirkt, dies ist auch in erster Linie bei uns liegend.
    (2) Der theoretische und erste Geist ist so das bei sich selbst Liegende, dass sein Werk keinesfalls bei einem anderen liegt, sondern als ganzer ist er sich selbst zugewandt, und sein Werk ist er selbst, und er ruht bedürfnislos im Guten, und ist als erfüllter da und lebt gleichsam dem Wollen gemäß. Das Wollen aber ist das Denken, Wollen wurde es aber genannt, weil es dem Geist entsprechend erfolgt.
    (3) Denn das [von den Menschen] so genannte Wollen ahmt das dem Geist entsprechende nach. Denn das Wollen will das Gute; das Denken befindet sich aber wahrhaft im Guten. Jener besitzt also das [...].
    (4) Wenn wir also das bei uns Liegende im Wollen des Guten ansetzen, wie soll dann das, was schon in demjenigen feststeht, in dem das Wollen sein will, das bei uns Liegende nicht haben? Gewiss wird man ansetzen müssen, dass es größer ist, wenn nicht jemand das bei uns Liegende in dieses heraufführen will.
  • Platon: Der Staat (Platon) (De re publica) VIII 564a

    Das große Risiko der Freiheit
    Und in der Tat, das Äußerste zu tun in irgendetwas, scheint immer eine große Verwandlung ins Gegenteil hervorzurufen. [...] Also auch die äußerste Freiheit wird wohl dem Einzelnen und dem Staat sich in nichts anderes verwandeln als in die äußerste Knechtschaft.
  • Kant, Immanuel : Metaphysik der Sitten Teil 3, S. 98

    Immanuel Kant definiert Freiheit als Autonomie
    [1] Die Naturnotwendigkeit war eine Heteronomie der wirkenden Ursachen; denn jede Wirkung war nur nach dem Gesetze möglich, dass etwas anderes die wirkende Ursache zur Kausalität bestimmte; was kann denn wohl die Freiheit des Willens sonst sein, als Autonomie, d. i. die Eigenschaft des Willens, sich selbst ein Gesetz zu sein?
    [2] Der Satz aber: Der Wille ist in allen Handlungen sich selbst ein Gesetz, bezeichnet nur das Prinzip, nach keiner Maxime zu handeln, als die sich selbst auch ein allgemeines Gesetz zum Gegenstande haben kann. Dies ist aber gerade die Formel des kategorischen Imperativs und das Prinzip der Sittlichkeit: Also ist ein freier Wille und ein Wille unter sittlichen Gesetzen einerlei.
  • Auctores varii: Deutsches Grundgesetz Art. 1 u. 2

    Die ersten beiden, unveränderlichen Artikel des deutschen Grundgesetzes von 1949
    Art. 1 (1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt. [...]
    Art 2 (1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.
    (2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.
  • Rawls, John : Eine Theorie der Gerechtigkeit § 11

    John Rawls’ Prinzipien der Gerechtigkeit
    1. Jedermann soll gleiches Recht auf das umfangreichste System aller gleichen Grundfreiheiten haben, das mit dem gleichen System für alle anderen verträglich ist.
    2. Soziale und wirtschaftliche Ungleichheiten sind so zu gestalten, daß (a) vernünftigerweise zu erwarten ist, daß sie zu jedermanns Vorteil dienen, und (b) sie mit Positionen und Ämtern verbunden sind, die jedem offen stehen. […]
    Diese Grundsätze sollen in lexikalischer Ordnung stehen, derart, daß der erste dem zweiten vorausgeht. Diese Ordnung bedeutet, daß Verletzungen der vom ersten Grundsatz geschützten gleichen Grundfreiheiten nicht durch größere gesellschaftliche oder wirtschaftliche Vorteile gerechtfertigt oder ausgeglichen werden können.
  • Bibel: Neues Testament: Johannes Evangelium (euangelion kata Iōannēn) 8, 31-34

    Jesus Christus lehrt nach dem Johannesevangelium die wahre Freiheit
    [1] Da sprach nun Jesus zu den Juden, die an ihn glaubten: ,Wenn ihr bleiben werdet in meinem Wort, so seid ihr wahrhaftig meine Jünger und werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch frei machen‘.
    [2] Da antworteten sie ihm: ,Wir sind Abrahams Kinder und sind niemals jemandes Knecht gewesen. Wie sprichst du dann: Ihr sollt frei werden? Jesus antwortete ihnen und sprach: Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wer Sünde tut, der ist der Sünde Knecht. […] Wenn euch also der Sohn befreit, so seid ihr wirklich frei.
  • Habermas, Jürgen: Das Sprachspiel verantwortlicher Urheberschaft. Probleme der Willensfr S. 15, 19

    Jürgen Habermas erläutert die neurowissenschaftlichen Zweifel am Freiheitsbegriff
    [1] Elf führende Neurowissenschaftler […] kündigen an, „in absehbarer Zeit“ psychische Vorgänge wie Empfindungen und Gefühle, Gedanken und Entscheidungen aus physikochemischen Vorgängen des Gehirns erklären und voraussagen zu können. Aufgrund dieser Prognose sei es geboten, das Problem der Willensfreiheit heute schon als eine „der großen Fragen der Neurowissenschaften“ zu behandeln. […]
    [2] Wenn die neurologische Forschung heute schon den Schlüssel in der Hand hält, um in naher Zukunft beliebige Handlungsmotive und Abwägungsprozesse aus dem naturgesetzlich determinierten Zusammenwirken neuronaler Vorgänge vollständig zu erklären, müssen wir Willensfreiheit als fiktive Unterstellung betrachten.
  • Augustinus von Hippo: Der Gottesstaat (De civitate dei) V 9

    Augustinus (354-430) referiert Ciceros (106-44 v. Chr.) Meinung zum Problem von göttlicher Vorherbestimmung und Freiheit
    [1] Cicero […] bestreitet Gottes Vorwissen und versucht, jegliche Prophetie […] aufzuheben. Was ist es, was Cicero am Vorwissen des Künftigen fürchtete? […] Gewiss Folgendes: Wenn alles Zukünftige vorher gewusst wird, wird es in der Ordnung eintreffen, in der das Eintreffende vorhergewusst wurde; und wenn es in dieser Ordnung eintrifft, dann ist die Ordnung der Dinge für den vorherwissenden Gott sicher; und wenn die Ordnung der Dinge sicher ist, dann ist die Ordnung der Ursachen sicher […].
    [2] Aber wenn das so ist, steht nichts in unserer Macht, und es gibt keine freie Entscheidung des Willens. Aber wenn wir das zugestehen, sagt er, wird das gesamte menschliche Leben aufgehoben, die Gesetze werden umsonst gegeben, umsonst wird Lob und Tadel, Kritik und Ermunterung angewandt, und aufgrund von keinerlei Gerechtigkeit wurden für die Guten Lohn und für die Schlechten Strafen festgelegt.
    [3] Wir sagen, entgegen diesen gotteslästerlichen und schändlichen Kühnheiten, dass Gott alles weiß, bevor es geschieht, und dass wir durch den Willen all das tun, wovon wir fühlen und wissen, dass es von uns nicht anders als wollend getan wird.
  • Moses Maimonides: Wegweiser für die Verwirrten (Dux neutrorum sive perplexorum) I 71 § 59 / II 16 § 212

    Eine methodologische Anmerkung zu wissenschaftlichen Absolutheitsansprüchen in den Worten des Moses Maimonides
  • Wilhelm von Ockham: Fragen zum vierten Buch der Sentenzen des Petrus Lombardus VIII, 358f.

    Wilhelm von Ockham (ca. 1285-1347) legt die Freiheit ganz in die Wahl
    [1] Die innere Tätigkeit ist zweifach: eine die unmittelbar in der Macht des Willens steht, so wie ein Willensakt; eine, die nur vermittelt des ersten Akts in der Macht des Willens steht […], so wie ein Denkakt. [...]
    [2] Im Hinblick auf den ersten Akt [...] kann der Wille aus seiner Freiheit heraus ohne jede aktuale oder habituale Bestimmung den Akt oder sein Gegenteil hervorbringen oder nicht hervorbringen. Und daher ist es in Bezug auf diesen Akt in keiner Weise möglich, dass der Wille von etwas anderem bestimmt wird als von ihm selbst.
    [3] Aber, um von dem zweiten Akt zu sprechen [....], sage ich, dass die Seele dazu, dass sie eines eher als ein anderes erkennt, durch einen anderen Akt bestimmt werden muss, der unmittelbar in ihrer Macht steht, nämlich durch einen Willensakt, eines zu erkennen und nicht etwas anderes.
  • Herodot von Halikarnass(os) : Historien (Herodot) IX 60

    Der Historiker Herodot (ca. 484-420 v. Chr.) nennt das Ziel der Freiheit als Motivation des griechischen Kampfes gegen die Perser
    Pausanias aber [...] verkündete, indem er einen Reiter zu den Athenern schickte, Folgendes: ,Oh ihr Athener, während der größter Kampf vor uns liegt, ob Griechenland frei oder geknechtet ist, werden wir von den Bundesgenossen verraten – wir, die Spartaner und ihr, die Athener –, die bei Einbruch der Nacht davonlaufen.
  • Herodot von Halikarnass(os) : Historien (Herodot) VI 5

    Herodot erwähnt den Gegensatz von Freiheit und Tyrannis: „Die Milesier, die sich freuten, Aristagoras los zu sein, waren keineswegs bereit, einen anderen Tyrannen ins Land zu nehmen, da sie die Freiheit gekostet hatten
    Herodot erwähnt den Gegensatz von Freiheit und Tyrannis: „Die Milesier, die sich freuten, Aristagoras los zu sein, waren keineswegs bereit, einen anderen Tyrannen ins Land zu nehmen, da sie die Freiheit gekostet hatten.
  • Herodot von Halikarnass(os) : Historien (Herodot) II 36

    Der Athener Staatsmann Perikles (ca. 490-429 v. Chr.) verweist in der Darstellung des Historikers Thukydides (ca. 454-399 v. Chr.) auf die freie Tugend der Vorväter
    Die, welche in ununterbrochener Folge der Nachkommen das Land bewohnten, haben es uns durch ihre Tugend bis heute frei übergeben. [...] Das meiste aber haben wir selber, die, die jetzt noch besonders im besten Alter steht, hinzugetan und haben die Stadt mit allem ausgerüstet, was sie in Krieg und Frieden ganz autark macht.
  • Herodot von Halikarnass(os) : Historien (Herodot) II 37

    Thukydides’ Perikles charakterisiert die demokratische Verfassung Athens
    Wir bedienen uns nämlich einer Staatsform, die nicht den Gesetzen der Nachbarn nacheifert, sondern wir sind eher selbst ein Vorbild, als dass wir andere nacheiferten. Ihr Name lautet, weil sie nicht auf einer Minderzahl, sondern auf einer Mehrzahl beruht, Demokratie. Vor dem Gesetz sind bei persönlichen Rechtsstreitigkeiten alle Bürger gleich, im Ansehen jedoch, das einer in irgendetwas besonders genießt, wird er nicht nach einem Volksteil, sondern vielmehr nach seiner Tugend für das Gemeinsame vorgezogen, und nicht wird jemand, der in der Lage ist, für die Polis etwas Gutes zu tun, aufgrund von Armut durch das Fehlen von Ansehen daran gehindert.
    In freier Weise sind wir politisch für das Gemeinsame tätig, ebenso wie für uns gegenseitig zur Fürsorge in den täglichen Verrichtungen, ohne auf den Nachbarn zornig zu sein, wenn er etwas aus Freude tut [...]. Während wir ohne Missgunst Gemeinschaft im Privaten haben, übertreten wir im Öffentlichen die Gesetze aus Respekt nicht, im Gehorsam gegenüber den jeweiligen Amtsträgern und den Gesetzen, besonders denen, die zum Nutzen dessen gelten, dem Unrecht getan wurde, und denen, welche, ohne geschrieben zu sein, allgemeine Verachtung verhängen.
  • Herodot von Halikarnass(os) : Historien (Herodot) II 40, 1. 4-41, 1

    Thukydides’ Perikles über die Tugend als Grundzug der freien Verfassung
    [40] Wir lieben Schönheit in Einfachheit und die Weisheit ohne Verweichlichung. [...] Auch in der Tugend unterscheiden wir uns von der Menge. Freunde erwerben wir uns nicht durch Erleiden, sondern durch Tätigsein. Und fester steht der da, der den Gefallen getan hat, weil aufgrund von Wohlwollen von dem, dem er gegeben hat, geschuldet wird, dies zu erhalten. Wer aber im Gegenzug schuldet, der weiß, dass er nicht aus Gefallen, sondern aus Pflicht die Tugend erwidern wird. Wir sind die einzigen, die nicht so sehr wegen dem Nachdenken über den Nutzen als wegen der Zuverlässigkeit von Freiheit furchtlos jemandem nutzen.
    [41] Zusammenfassend sage ich: Die gesamte Polis ist ein Erziehungswerk für Griechenland, und mir scheint, dass in jedem Einzelfall derselbe Mensch sich bei uns in vielfacher Hinsicht in höchstem Maße mit Wohlwollen zugewandt und autark im Hinblick auf den Körper darbietet
  • Platon: Der Staat (Platon) (De re publica) VIII 558bc

    Platon (ca. 428-348) über die Vorzüge der Demokratie
    Sokrates: ,Also sind sie zuerst frei, und die Stadt wird voll von Freiheit und freier Rede, und jeder hat in ihr die Möglichkeit zu tun, was er will‘.
    ,So sagt man ja wenigstens‘, sagte er [Glaukon].
    ,Wo aber diese Möglichkeit besteht, da ist klar, dass jeder die Weise seines Lebens für sich einrichtet, die jedem einzelnen gefällt‘.
    ,Offenbar‘.
    ,Mannigfaltige Menschen finden sich in dieser Staatsform ganz besonders zusammen‘.
    ,Wie sollten sie nicht!‘
    ,Diese‘, sagte ich, ,scheint die schönste der Staatsformen zu sein. Wie ein buntes Kleid, das mit allen Blumen geschmückt ist, so wird auch diese, die mit allen Sitten geschmückt ist, gewiss die schönste zu sein scheinen. [...] Dies also‘, sagte ich, ,und anderes diesem Verwandtes hat die Demokratie folglich und ist, wie es scheint, eine angenehme, herrschaftslose und vielfältige Staatsform, welche gleichmäßig Gleichen wie Ungleichen eine gewisse Gleichheit zuteilt.
  • Platon: Der Staat (Platon) (De re publica) VIII 562cd. 563de

    Die strukturelle Schwäche der Demokratie <br /> Platon über das Überhandnehmen von Freiheit im demokratischen Staat (VL: Freiheit)
    Ich meine, wenn einer demokratischen, nach Freiheit dürstenden Stadt einmal schlechte Mundschenken vorstehen und sie sich über Gebühr an ihrem starken Wein berauscht, so wird sie ihre Obrigkeiten, wenn diese nicht ganz mild sind und alle Freiheit gewähren, bestrafen, da sie sie als bösartig und oligarchisch beschuldigt. [...] Und die den Obrigkeiten gehorchen, behandelt sie als freiwillige Sklaven und nichts Würdige. Und nur Obrigkeiten, welche sich wie Untergebene, und Untergebene, welche sich wie Obrigkeiten verhalten, werden privat und öffentlich gelobt und geehrt. [...] Wenn man all dies zusammenrechnet, begreifst du, wie empfindlich dies die Seele der Bürger macht, so dass, wenn ihnen jemand auch noch so wenig Dienst auflegen will, sie gleich unwillig werden und es nicht ertragen? Und zuletzt weißt du ja, dass sie sich auch um die Gesetze nicht kümmern, mögen es nun geschriebene sein oder ungeschriebene, damit auf keine Weise jemand ihr Herr ist.
  • Aristoteles: Politik (politica) III 9, 1280b 40-1281a 8

    Aristoteles (384-322 v. Chr.) bestreitet, dass Freiheit wirklich ein Staatsziel sein kann
    Eine Polis ist eine Gemeinschaft von Familien und Dörfern im vollkommenen und autarken Leben, d.h., wie wir behaupten, glücklich und werthaft zu leben. Man muss also annehmen, dass die politische Gemeinschaft wegen der werthaften Handlungen besteht, aber nicht wegen des Zusammenlebens. Deswegen haben die, die am meisten zu einer solchen Gemeinschaft beitragen, mehr Anteil an der Polis als die, die an Freiheit und Familie gleich bzw. größer, an politischer Tugend aber ungleich sind, oder als die, die an Reichtum hervorstechen, an Tugend aber zurückstehen
  • Aristoteles: Politik (politica) III 4, 1276b 27-34

    Aristoteles über den Unterschied des gerechten Bürgers
    So ist denn auch bei den Bürgern, obschon sie untereinander verschieden sind, die Erhaltung der Gemeinschaft ihre Funktion, diese Gemeinschaft aber ist die Staatsform. Deswegen muss die Tugend des Bürgers notwendigerweise an der Staatsverfassung orientiert sein. Wenn es aber mehrere Arten der Staatsform gibt, so kann offenbar die Tugend des tüchtigen Bürgers nicht eine einzige und nicht die vollkommene Tugend sein. Gut aber nennen wir einen Mann nach einer einzigen, der vollkommenen, Tugend. Es ist also klar, dass man ein tüchtiger Bürger sein kann, ohne die Tugend zu besitzen, durch die ein Mann tüchtig ist.
  • Aristoteles: Nikomachische Ethik (Ethica Nicomachea) VII 3, 1145b 26f

    Sokrates sagt in der Darstellung des Aristoteles
    Bewusst würde niemand entgegen dem Besten handeln, wohl aber aus Unwissenheit.
  • Platon: Protagoras 354cd. 355ab

    Der platonische Sokrates erklärt, warum wir das Schlechte als das weniger Freudvolle verstehen
    Ihr verfolgt also die Freude als gut, die Unannehmlichkeit aber meidet ihr als schlecht? – Er stimmte zu. – Das also, glaubt ihr, sei schlecht, die Unannehmlichkeit, und die Freude sei gut? Denn ihr sagt, dass das Sich-Freuen dann schlecht ist, wenn es größerer Freuden beraubt, als es selbst enthält, oder wenn es größere Unannehmlichkeiten bereitet, als Freuden in ihm vorhanden sind. [...] Ich sage euch, wenn sich das so verhält, dann wird die Rede lächerlich, sobald ihr sagt, dass oft ein Mensch, der vom Schlechten erkennt, dass es schlecht ist, es sofort tut, obwohl er es nicht tun kann, da er von den Freuden geführt und überwältigt wird
  • Platon: Protagoras 357ab. de

    Platons Sokrates folgert daraus, dass sich gutes Handeln durch Wissen auszeichnet und schlechtes aus Unwissenheit folgt
    Weil uns nun die Erhaltung des Lebens in der richtigen Wahl von Freude und Unannehmlichkeit zu liegen schien, des Mehreren und Wenigeren, des Größeren und Kleineren, des Ferneren und Näheren hierin, scheint da die Prüfung des Übermaßes und Mangels sowie der Gleichheit miteinander nicht messend zu sein? – Das ist allerdings notwendig. – Weil sie messend ist, ist sie gewiss notwendigerweise eine Fertigkeit und ein Wissen. [...] Das verfehlte Handeln aber ohne Wissen – ihr wisst auch selbst, dass dies aus Unwissenheit getan wird. Dies ist folglich das Der-Freude-unterlegen-Sein: die größte Unwissenheit.
  • Platon: Die Gesetze (Platon) (Nomoi) X 895ab

    Platon entwickelt die These, dass man am Anfang der Weltentstehung eine erste Bewegung annehmen muss
    Wenn alles zugleich Gewordene irgendwie feststünde, so wie es die meisten der derartigen [atheistischen Materialisten] zu behaupten wagen, welche erste Bewegung von den genannten [Arten der Bewegung] muss in ihm notwendigerweise zuerst entstehen? Gewiss die, die sich selbst bewegt. Denn durch etwas anderes wird sie sich vorher wohl nicht verändern, wenn keine vorherige Veränderung in ihr wäre.
  • Platon: Die Gesetze (Platon) (Nomoi) X 895e-96b

    Platon erklärt, warum diese Selbstbewegung der Seele zukommt
    Das, dessen Name ,Seele‘ lautet, welchen Gehalt hat dies? Haben wir einen anderen als den gerade genannten, nämlich die Bewegung, die sich selbst zu bewegen vermag? [...] Wenn sich das aber so verhält, sehnen wir uns dann noch danach, dass nicht hinreichend gezeigt ist, dass die Seele, das erste Werden und die Bewegung des entstandenen und in Zukunft Seienden und von allem, was einander nicht entgegensteht, dasselbe ist, weil ja deutlich wurde, dass sie für alles die Ursache für jegliche Veränderung und Bewegung ist?
  • Platon: Die Gesetze (Platon) (Nomoi) X 896b-d

    Platon erklärt, warum die Seele die Ursache des Guten und Schlechten sein muss
    Werden wir wohl richtig und in entscheidender Weise ganz wahr und vollkommen sagen, dass die Seele bei uns früher entstanden ist als der Körper, der Körper aber als zweites und späteres, von Natur aus Beherrschtes, während die Seele herrscht? [...] – Ganz gewiss.
    Das Verhalten, die Sitten, die Wollensregungen, Gedanken, wahren Meinungen, Besorgnisse und Erinnerungen sind also früher als die Länge, Breite, Tiefe und Kraft der Körper entstanden, wenn die Seele früher ist als der Körper? – Notwendigerweise.
    Ist es also auch notwendig, dem sich daraus Ergebenden zuzustimmen, dass die Seele die Ursache für das Gute und Schlechte, in sich Gute und Hässliche, Gerechte und Ungerechte und aller Gegensätze ist, wenn wir sie als Ursache von allem ansetzen?
  • Aristoteles: Nikomachische Ethik (Ethica Nicomachea) III 1, 1109b 30-35

    Aristoteles über die Verbindung von Freiwilligkeit und Tugendhaftigkeit
    Da nun die Tugend mit Affekten und Handlungen zu tun hat und in Bezug auf das Freiwillige Lob und Tadel erfolgt, in Bezug auf das Unfreiwillige hingegen Verzeihung, manchmal sogar Mitleid, ist es wohl für diejenigen, die die Tugend untersuchen, nötig, das Freiwillige und das Unfreiwillige abzugrenzen, für die Gesetzgeber aber im Hinblick auf Ehren und Bestrafungen notwendig.
  • Aristoteles: Nikomachische Ethik (Ethica Nicomachea) III 1, 1109b 35-10a 14

    Aristoteles über Zwang und Unwissenheit als Gründe für die Unfreiwilligkeit von Handlungen
    Nun scheint unfreiwillig das zu sein, was durch Zwang oder Unwissenheit geschieht. Erzwungen ist etwas, dessen Ursprung außerhalb liegt, das heißt so beschaffen ist, dass der Handelnde oder Erleidende gar nichts beiträgt, etwa wenn der Wind jemanden irgendwohin trägt oder Menschen, die die Herrschaft haben.
    Alles aber, was aus Furcht vor größeren Übeln oder wegen etwas Werthaften getan wird – zum Beispiel, wenn ein Tyrann befiehlt, etwas Schändliches zu tun, und die Herrschaft über Eltern und Kinder hat, und diese würden bei Ausführung der Handlung gerettet, bei Nicht-Ausführung würden sie sterben –, ist es zweifelhaft, ob dies unfreiwillig oder freiwillig ist. Ähnliches gilt, wenn während Stürmen etwas über Bord geworfen wird. Denn ohne Grund wirft niemand freiwillig etwas weg; zur eigenen Rettung und der von Gefährten aber alle mit Verstand Begabten. Derartige Handlungen sind also gemischt, gleichen aber mehr freiwilligen. Denn dann, wenn sie ausgeführt werden, sind sie Gegenstand einer Wahl, das Ziel der Handlung entspricht aber dem Moment.
  • Aristoteles: Nikomachische Ethik (Ethica Nicomachea) III 2, 1110b 18-22. 31-1111a 1; 3, 1111a 22-24

    Aristoteles präzisiert die Bedingungen von Freiwilligkeit und Unfreiwilligkeit
    Alles auf Unwissenheit Beruhende ist zwar nicht freiwillig, aber unfreiwillig ist, was mit Unlust und Bedauern verbunden ist. Denn wer etwas aus Unwissenheit ausgeführt hat, ohne Unbehagen über die Handlung zu empfinden, hat das, was er nicht wusste, nicht freiwillig getan, aber auch nicht unfreiwillig, wenn es ihm nicht Leid tut. [...]
    Denn die Unwissenheit in der Wahl ist keine Ursache dafür, dass die Handlung unfreiwillig, sondern dass sie schlecht ist, auch nicht die des Allgemeinen (denn wegen dieser wird man ja getadelt), sondern die des Einzelnen, in dessen Kontext und auf was bezüglich sie ausgeführt wird. Denn für diese gibt es Mitleid und Verzeihen. [...]
    Da unfreiwillig das ist, was durch Zwang und aufgrund von Unwissenheit geschieht, ist folglich dasjenige freiwillig, dessen Ursprung im Handelnden liegt, der das Einzelne kennt, in dessen Kontext die Handlung ausgeführt wird.
  • Aristoteles: Nikomachische Ethik (Ethica Nicomachea) VI 2, 1139a 29-36. b 3-5

    Aristoteles erklärt die Elemente der Vorzugswahl (prohairesis/προαίρεσις) bzw. Entscheidung
    Beim Praktischen und dem Denken Unterliegenden stimmt die Wahrheit mit dem richtigen Streben überin. Der Ursprung für eine Handlung – woher die Bewegung stammt, nicht worum willen sie erfolgt – ist eine Wahl, und für die Wahl sind es ein Streben und ein Nachdenken, das auf etwas abzielt. Deswegen gibt es eine Wahl weder ohne Geist und Denken noch ohne ethischen Habitus. [...] Denn das Gut-Handeln ist ein Ziel, das Streben richtet sich aber hierauf. Deswegen ist die Wahl entweder strebendes Denken oder denkendes Streben, und ein so gearteter Ursprung ist der Mensch.
  • Aristoteles: Metaphysik (Metaphysica) IX 5, 1048a 2-13

    Aristoteles unterscheidet zwei Arten von Ursachen
    Das eine [Prinzip] kann gemäß der Vernunft bewegen, und seine Vermögen sind der Vernunft entsprechend, das andere aber sind Vernunftloses und die vernunftlosen Vermögen – wobei das Erste in einem beseelten Wesen vorhanden sein muss, das zweite aber in beidem [Beseeltem wie Unbeseeltem]. Derartige Vermögen tun und reagieren notwendigerweise, wenn sich ihnen, wie sie können, das Tun und Reaktion Hervorbringende nähert, die anderen aber nicht notwendigerweise. Denn von den einen tut jedes Einzelne ein Einziges, bei den anderen aber Gegenteiliges, so dass es gleichzeitig Gegenteiliges tun wird. Das ist aber unmöglich. Also ist es notwendig, dass es etwas Weiteres, Ausschlaggebendes gibt. Dies aber nenne ich Streben oder Vorzugswahl. Wonach nämlich etwas in ausschlaggebender Weise strebt, dies wird es tun, sobald es, wie es kann, zugegen ist und dem Reaktionsfähigen nahekommt.
  • Aristoteles: Nikomachische Ethik (Ethica Nicomachea) II 6, 1106b 36-1107a 2

    Aristoteles’ Definition der ethischen Tugend
    Die [ethische] Tugend ist also eine die Vorzugswahl bestimmte Disposition, die in der Mitte in Bezug auf uns liegt, die bestimmt ist durch die Vernunft, d.h. so, wie der Kluge sie wohl bestimmt.
  • Aristoteles: Nikomachische Ethik (Ethica Nicomachea) VI 13, 1144a 29-36

    Aristoteles über die Verbindung der Klugheit mit den ethischen Tugenden
    Dieses Auge der Seele [nämlich die Klugheit] erhält seine Disposition nicht ohne Tugend [...]. Denn die Schlussfolgerungen über die Gegenstände des Handelns, haben ein Prinzip, weil ,das Ziel, d.h. das Beste, so und so ist‘, was immer es [im Einzelfall] sein mag [...]. Dieses Prinzip erscheint aber nur dem guten Menschen. Denn die Schlechtigkeit verdreht das Urteil und bewirkt, dass man sich über die praktischen Prinzipien täuscht.
  • Aristoteles: Nikomachische Ethik (Ethica Nicomachea) VII 4, 1146b 18-24

    Aristoteles erklärt den Unterschied von Willensschwäche (akrasia) und Zügellosigkeit (akolasi)
    Dann [ist zu untersuchen], ob sich Willensschwäche und Zügellosigkeit auf alles bezieht oder nicht. Denn weder ist der einfachhin Willensschwache in Bezug auf alles so, sondern über das, in Bezug worauf auch der Zügellose entsprechend ist, noch dadurch, dass er sich einfachhin hierzu verhält (denn dann wäre [Willensschwäche] dasselbe wie Zügellosigkeit), sondern dadurch, dass er sich in bestimmter Weise verhält. Der eine handelt nämlich aufgrund von Vorzugswahl, wobei er glaubt, immer das gegenwärtig Freudvolle zu verfolgen; dieser aber glaubt dies nicht, aber er verfolgt es.
  • Aristoteles: Nikomachische Ethik (Ethica Nicomachea) VII 4, 1147a 25-b 1

    Aristoteles über die Ursachen der Willensschwäche
    Die eine Meinung bezieht sich nun auf Allgemeines, die andere auf Einzelnes, welches von der Sinneswahrnehmung bestimmt wird. Wenn aber aus diesen eine entsteht, dann muss die Seele diese Folgerung notwendigerweise hier [im Bereich des Meinens] behaupten, im Bereich des Handelns aber sofort tun. Wenn man z.B. ,alles Süße kosten soll‘, „dies hier aber‘ als eines von den Einzeldingen ,süß ist‘, dann muss der, der dies kann und nicht gehindert wird, dies zugleich auch tun. Wenn also ein allgemeiner Satz gegeben ist, der am Kosten hindert, zugleich aber derjenige ,alles Süße ist freudvoll, dies hier aber ist süß‘ – und zwar aktuell vorhanden –, dann kann die Begierde zufällig jedes der Glieder bewegen. Also passiert es, dass wir trotz Gedanken und Meinung willensschwach werden.
  • Eusebios von Kaisareia: Die Vorbereitung auf das Evangelium (Praeparatio Evangelica) 15, 14, 1; = LS 45G. 46G

    Eusebios zitert einen Überblick über die stoische Physik aus einem verlorenen Werk des Aristotetelikers Aristokles von Messene:
    Als das Urelement des Seienden sieht Zenon das Feuer an, ebenso wie Heraklit, als dessen Prinzipien die Materie und Gott, so wie Platon. Aber er sagt, dass sie beide Körper seien, sowohl das Wirkende als auch das der Wirkung Unterliegende, während Platon sagt, die erste bewirkende Ursache sei unkörperlich [...]. Dann aber, zu gewissen vom Schicksal festgelegten Zeiten, verbrenne die gesamte Welt und werde dann wieder neu durchgeordnet. Das erste Feuer sei nun wie ein Same, der die Gehalte und die Ursachen des Vergangenen, des Gegenwärtigen und des Zukünftigen enthalte. Deren Verbindung und Ordnung sei ein Schicksal, ein Wissen, eine Wahrheit und ein Gesetz für das Seiende, dem weder zu entlaufen noch zu entfliehen ist. Auf diese Weise werde alles im Kosmos mehr als gut verwaltet, so wie in der am besten geordneten Stadt.
  • Cicero: Bücher über die Erkenntnislehre der Akademiker (Academica) I [Catulus] 41f.

    Die Stoiker fügen zur Sinneswahrnehmung den freien Akt der Zustimmung hinzu
    Zu dem, was gesehen und gleichsam von den Sinnen akzeptiert wurde, fügte Zenon die Zustimmung hinzu, die in uns liegend und freiwillig sein soll. Er billigte nicht allem Gesehenen Gewissheit zu, sondern nur dem, was eine gewisse eigentümliche Kundgebung der Dinge beinhaltet, die gesehen werden.
  • Cicero: Akademische Abhandlungen Lucullus (Lucullus/Academicorum ) II 37f.

    Der Unterschied zwischen dem Menschen und den übrigen Lebewesen nach den Stoikern
    Weil zwischen dem Unbelebten und dem Lebewesen vor allem der Unterschied besteht, dass das Lebewesen etwas tut, ist ihm entweder die Sinneswahrnehmung abzusprechen oder eine Zustimmung, die in unserer Macht steht, zuzuschreiben.[...] Denn so, wie ein Lebewesen das nicht nicht erstreben kann, was seiner Natur angemessen erscheint [...], so kann es einer vorgegebenen klar erkennbaren Sache nicht nicht zustimmen
  • Alexander von Aphrodisias: Über das Schicksal (De fato) p. 191f. = LS 55N

    Der kausale Zusammenhang der Welt nach den Stoikern
    Die Stoiker sagen [...], dass nichts in der Welt ohne Ursache ist oder geschieht, weil nichts in ihr losgelöst oder unabhängig von all dem ist, was vorher geschieht. Die Welt würde nämlich zerrissen und zerteilt und nicht länger eine Einheit bleiben [...], wenn nicht alles, was ist oder geschieht, bestimmte Ursachen hätte, die vorher entstanden sind und aus denen es mit Notwendigkeit folgt. [...] Wenn es nun eine Mehrzahl von Ursachenarten gibt, dann, so sagen sie, ist es bei ihnen allen gleichermaßen wahr, dass es unmöglich ist, dass etwas, falls alle Umstände auf seiten der Ursache und des Verursachten gleich sind, zuweilen so nicht eintritt, zuweilen aber wohl.
  • Hippolyt : Widerlegung aller Häresien (Refutatio omnium haeresum) 1, 21 = LS 62A

    Die allgemeine These der Stoiker über Handlungsfreiheit
    Auch die Stoiker bekräftigten, dass alles dem Fatum untersteht und bedienten sich des folgenden Beispiels: Wenn ein Hund an ein Fuhrwerk angebunden ist, dann wird er, falls er folgen will, gezogen und folgt und tut so das Selbstgewählte zusammen mit der Notwendigkeit [...]. Falls er hingegen nicht folgen will, wird er dazu doch schlechthin gezwungen. Genauso ist es auch mit den Menschen. Denn selbst wenn sie nicht folgen wollen, werden sie schlechthin gezwungen, in das hineinzugehen, was ihnen bestimmt ist.
  • Alexander von Aphrodisias: Über das Schicksal (De fato) p. 207 = LS 62J

    Der innere Zusammenhang von Determination und Verantwortlichkeit nach den Stoikern
    a) Es ist aber nicht so, dass das Schicksal von dieser Art ist, es aber keine Schicksalsbestimmung gibt, und auch nicht so, dass es zwar eine Schicksalsbestimmung, aber keinen Anteil daran gibt, und auch nicht so, dass es zwar einen Anteil daran gibt, aber kein Maß in der Zuteilung, und auch nicht so, dass es zwar ein Maß in der Zuteilung, aber kein Gesetz gibt, und auch nicht so, dass es zwar ein Gesetz, aber keine richtige Vernunft gibt, die anordnet, was zu tun, und verbietet, was zu lassen ist. Nun sind aber die falschen Handlungen verboten, die richtigen aber geboten. Es ist also nicht so, dass das Schicksal von dieser Art ist, es aber keine falschen und richtigen Handlungen gibt.
    b) Wenn es aber falsche und richtige Handlungen gibt, dann gibt es Tugend und Laster; und wenn es diese gibt, dann gibt es in sich Gutes und Schändliches. Das in sich Gute aber ist lobenswert, das Schändliche aber tadelnswert. Also ist es nicht so, dass zwar das Schicksal von dieser Art ist, es aber nichts Lobens- und Tadelnswertes gibt. Nun verdient aber das Lobenswerte Ehrung und das Tadelnswerte Strafe. Also ist es nicht so, dass zwar das Schicksal von dieser Art ist, es aber keine Ehrung und Strafe gibt.
  • Seneca: Brief an Lucilius (Epistula ad Lucilium ) 107, Ende

    Die stoische Lebenshaltung nach Seneca (Antike Philosophie II) <br /> Lucius Annaeus Seneca über das stoische Lebensideal (Gesetz und Gewissen)
    Führe, o Vater, und Herrscher des hohen Himmels
    Wohin immer Du magst; beim Gehorchen gibt es kein Zögern,
    eifrig bin ich bereit; will ich nicht, so folge ich stöhnend
    und als Schlechter erleid’ich, was zu tun dem Guten erlaubt war.
    Den Willigen führen die Schicksale, den Unwilligen ziehen sie.
  • Epiktet : Erörterungen (Dissertationes) IV 1, 1f. 52f.

    Epiktet erklärt die Freiheit von schlechtem Handeln und Unglück zum höchsten, das es zu erreichen gilt
    Frei ist der, der lebt, wie er will, den man weder zwingen noch hindern noch mit Gewalt behandeln kann, dessen Antriebe ungehindert sind, die Strebungen wohl gerüstet, die Neigungen ohne Schwanken. Wer also will leben, indem er Schlechtes tut? — Keiner. — [...] Scheint Dir die Freiheit ein Gut zu sein? — Das größte. — Kann nun jemand, der das größte Gut erreicht, unglücklich sein oder schlecht handeln. — Nein. — Also gebe mutig zu, dass alle, die du unglücklich, unzufrieden, traurig siehst, nicht frei sind. — Ich gebe es zu. — [...] Sollte der große König unglücklich sein, ist er gewiss nicht frei.
  • Epiktet : Erörterungen (Dissertationes) IV 12, 1. 7-10

    Epiktet über die Notwendigkeit der konstanten Aufmerksamkeit
    Wenn du für einen Moment von der Aufmerksamkeit abrückst, bilde Dir nicht ein, dass Du sie, sobald Du willst, wieder aufnehmen kannst, sondern dies soll Dir zur Hand sein, dass sich Deine Angelegenheiten durch die heutige Verfehlung in Bezug auf die Zukunft schlechter verhalten. [...] – Worauf muss ich also aufmerksam sein? – In erster Linie auf die allgemeinen [Grundsätze]. Sie musst Du zur Hand haben und ohne sie darfst Du weder schlafen, noch aufstehen, noch trinken, noch essen, noch mit Menschen zusammenkommen. Denn niemand ist Herr einer fremden Entscheidung, in dieser [Entscheidung] allein aber liegen das Gute und das Schlechte. Niemand ist der Herr darüber, mit etwas Gutes anzutun oder mir etwas Schlechtes anzufügen, sondern ich selbst habe in dieser Hinsicht allein Gewalt über mich. Wenn mir dies also gewiss ist, was soll sich über Äußerlichkeiten verwirrt sein? Welcher Tyrann ist dann schrecklich, welche Krankheit, welche Armut, welches Hindernis?
  • Cicero: Der Staat (Cicero) (De re publica) I 48

    Marcus Tullius Cicero (106-49 v. Chr.) über den Zusammenhang von Verfassung und Freiheit
    Jeder Staat ist so, wie die Natur oder das Wollen dessen, der ihn regiert. Daher hat die Freiheit in keinem anderen Staat, außer wo das Volk die höchste Macht hat, irgendeine Herrschaft. Gewiss kann zwar nichts süßer sein als sie, und wenn sie nicht gleich ist, kann sie nicht einmal Freiheit sein. Wie aber kann sie gleich sein – wobei ich von der Königsherrschaft gar nicht reden will, wo die Knechtschaft nicht einmal unklar oder zweifelhaft ist – sondern in den Staaten, in denen alle dem Wort nach frei sind? Dort verhängen Amtsträger nämlich Strafen, erlassen Befehle, werden umschlichen und gebeten.
  • Cicero: Der Staat (Cicero) (De re publica) I 48

    Cicero begründet die Notwendigkeit gleicher Gesetze in unterschiedlichen Verfassungen
    Für ein einträchtiges Volk, das zudem alles auf seine Unversehrtheit und auf seine Freiheit bezieht, gibt es nichts Unveränderlicheres, nichts Festeres. Ganz leicht aber könne die Eintracht in dem Staat sein, in dem allen dasselbe nützt. Aus den Mannigfaltigkeiten der Vorteile, wenn anderen anderes zuträglich ist, entstünde Zwietracht. [...] Weil das Gesetz das Band für die Bürgergemeinschaft ist, das Recht aber dem Gesetz gleichkommt, durch welches Recht kann die Gemeinschaft der Bürger erhalten werden, wenn die Situation der Bürger nicht gleich ist? Denn wenn es nicht angemessen ist, an Geld gleich zu sein, wenn die Begabungen aller nicht einheitlich sein können, müssen die Rechte derer gewiss untereinander einheitlich sein, die Bürger im gleichen Staat sind.
  • Cicero: Der Staat (Cicero) (De re publica) I 65

    Ciceros Ideal einer gemischten Verfassung
    Es ist angemessen [...], dass es in einem Staat etwas Dauerhaftes und Königliches gibt, etwas der Autorität der Herrscher Anvertrautes und Zugewiesenes, sowie bestimmte Dinge, die für das Urteil und Wollen der Masse reserviert sind. Diese Verfassung hat erstens eine bestimmte Gleichheit, auf welche Freie kaum verzichten können, sodann Festigkeit [...]; und dass die Arten [der Verfassung] häufig mit neuen Arten getauscht werden, das kommt in dieser verbundenen und maßvoll gemischten Verfassung des Staats sicher nicht ohne große Fehler der Herrscher vor.
  • Cicero: Das Schicksal (De fato) 11

    Cicero betont die Bedeutung der menschlichen Entscheidungsfreiheit
    (11) Aber diese Laster können aus natürlichen Ursachen entstehen; sie auszurotten und ganz aufzuheben, so dass der, der hierzu geneigt war, von so großen Lastern weggezogen wird, das ist nicht unter natürliche Ursachen gestellt, sondern unter das Wollen, die Bemühung, die Übung. All dies wird aufgehoben, wenn die Kraft und die Natur des Fatums durch das Argument der Weissagung gefestigt wird. [...].
    (20) Chrysipp schließt auf folgende Weise: ,wenn es eine Bewegung ohne Ursache gibt, dann wird nicht jede Aussage [...] entweder wahr oder falsch sein; denn was keine Wirkursachen haben wird, das wird weder wahr noch falsch sein; aber jede Aussage ist entweder wahr oder falsch; es gibt also keine Bewegung ohne Ursache. (21) Aber wenn das so ist, dann erfolgt alles, was erfolgt, durch vorhergehende Ursachen; wenn das so ist, geschieht alles durch das Schicksal; es ergibt sich also, dass alles, was geschieht, durch das Schicksal geschieht‘. Wenn mir hier erstens freistünde, Epikur zuzustimmen und zu bestreiten, dass jede Aussage entweder wahr oder falsch ist, werde ich diesen Schlag eher empfangen, als dass ich billige, dass alles durch das Schicksal geschieht.
  • Cicero: Das Schicksal (De fato) 31. 34

    Die antistoische Gegenposition des Akademikers Karneades
    (31) Karneades billigte diese ganze Art und Weise nicht und meinte, dieses Argument würde allzu unbedacht in der Folgerung verwendet. [...] (34) Wenn zugestanden wird, dass nichts ohne vorhergehende Ursache geschehen könne, was wird sich wohl ergeben, wenn man sagt, diese Ursache sei nicht aus ewigen Ursachen gefügt? Die Ursache ist aber die, die das bewirkt, dessen Ursache sie ist, so wie die Wunde für den Tod, die Rohheit für die Krankheit, das Feuer für die Hitze. Daher darf „Ursache“ nicht so verstanden werden, dass das, was irgendwem vorangeht, die Ursache dafür sei, sondern das, was einem jeden bewirkend vorangeht; nicht dass ich ins Feld heruntergestiegen bin, sei die Ursache dafür gewesen, aufgrund derer ich Ball gespielt habe, und nicht Hekabe sei die Ursache für den Untergang Trojas gewesen, weil sie Alexander (= Paris) gezeugt habe.
  • Cicero: Das Schicksal (De fato) 42. 44. 46

    Cicero sieht eine große Nähe zwischen der stoischen und der akademischen Position
    (42) Obwohl eine Zustimmung nicht ohne Anstoß durch etwas Gesehenes erfolgen kann, so hat es das Gesehene doch, obwohl es dies als Nahursache hat, nicht als Hauptursache, als Ursache, wie Chrysipp meint, [...] [aber] nicht so, dass die Zustimmung erfolgen könnte, ohne von irgendeiner äußeren Kraft angeregt zu sein [...], sondern er kehrt zu seinem Zylinder und zu seinem Kreisel zurück, die nicht beginnen können sich zu bewegen, wenn sie nicht gestoßen werden. [...].
    (44) Wenn die, die bestreiten, dass Zustimmungen durch das Schicksal erfolgen [...], zugestehen, dass Gesehenes vorhergeht, aber die Zustimmungen trotzdem nicht durch das Schicksal erfolgen, weil diese Nah- und Unmittelbarursache die Zustimmung nicht bewegt, schau, ob sie nicht dasselbe sagen. [...] Hieraus ist leicht zu begreifen, dass beide, nachdem ihre Ansicht erklärt und verdeutlicht wurde, zum selben Ergebenis kommen, nämlich dass sie in Worten, nicht in der Sache verschiedener Meinung sind. [...]
    Auf diese Weise muss man diesen Fall erörtern, nicht aber bei herumirrenden und vom Weg abweichenden Atomen Schutz suchen.
  • Tacitus (Publius Cornelius Tacitus) : Annalen (Annales ) I 59

    Der römische Historiker Publius Cornelius Tacitus (ca. 58-120 n. Chr.) schildert Arminius Werbung für Beteiligung am antirömischen Aufstand
    Arminius trieben, zusätzlich zu seiner angeborenen Wildheit, die geraubte Gattin, der der Knechtschaft unterworfene Nachwuchs zur Weißglut; er stürmte durch die Cherusker, und forderte Waffen gegen Segestes, Waffen gegen den Kaiser. [...] Die Germanen könnten niemals hinreichend entschuldigen, zwischen Elbe und Rhein [die römischen Symbole] Ruten, Äste und Togen zu sehen. [...] Wenn sie das Vaterland, die Eltern, das Althergebrachte lieber wollten als Herren und neue Kolonien, sollten sie eher Arminius, dem Führer zu Ruhm und Freiheit, als Segestes, dem zu schändlicher Knechtschaft, folgen.
  • Seneca: Brief an Lucilius (Epistula ad Lucilium ) 37, 3f.

    Der stoische Philosoph Lucius Annaeus Seneca (ca. 1-65 n. Chr.) gibt die stoische Ansicht über die Philosophie als Weg zur Freiheit wieder
    ,Du kannst den Notwendigkeiten nicht entfliehen, du kannst sie besiegen, es entsteht ein Weg‘. Und diesen Weg gibt Dir die Philosophie. Zu dieser begib dich, wenn du heil, wenn du sicher, wenn du glücklich sein willst, ja wenn du, was das Größte ist, frei sein willst. Das kann nicht anders geschehen. Eine niedrige Sache ist die Dummheit, verworfen, schmutzig, sklavisch, vielen und äußerst wilden Emotionen unterworfen. Diese so schwer lastenden Herren, manchmal einander befehlend, manchmal gleichwertig, entfernt die Weisheit von Dir, die allein die Freiheit ist. [...] Wenn du dir alles unterwerfen willst, unterwirf dich der Vernunft; viele wirst du regieren, wenn die Vernunft dich regiert.
  • Tertullian (Quintus Septimius Florens Tertullianus: Gegen Markion (Contra Marcionem ) II 5, 1f.

    Der christliche Apologet Quintus Septimius Florens Tertullianus (ca. 150-220) fasst die Argumentation seines Gegners Markion zusammen
    Oh ihr Hunde [...], die ihr den Gott der Wahrheit anbellt, das sind die Knochen von Argumentationen, die ihr abnagt: ,Wenn Gott gut ist, sowie die Zukunft vorherwissend und mächtig genug, das Schlechte abzuwehren, warum hat er es zugelassen, dass der Mensch, und zwar sein eigenes Bild und Gleichnis (Gen. 1, 26) [...], vom Gesetzesgehorsam zum Tode hin abglitt, umschlichen vom Teufel? [...] Aber wenn dies geschah, dann ist es im Gegenteil so aufgelöst, dass man weder an einen guten noch an einen vorherwissenden noch an einen mächtigen Gott glauben darf‘.
  • Tertullian (Quintus Septimius Florens Tertullianus: Gegen Markion (Contra Marcionem ) II 6, 4f.

    Tertullians Antwort: Die libertas arbitrii als Bedingung der Güte des Menschen
    Von Natur aus gut ist allein Gott. Denn wer das, was er ist, anfanglos besitzt, hat dies nicht durch ein Einrichten, sondern von Natur aus. [...] Damit also der Mensch sein eigenes Gut besitze, als ein für ihn von Gott freigegebenes, und eine Eigenschaft bzw. in gewissem Sinne eine Natur des Guten entstehe, wurde ihm durch Einrichtung [...] die Freiheit und Macht der Entscheidung zugeschrieben, die bewirkte, dass vom Menschen aus eigenem Antrieb schon ein gleichsam eigentümliches Gut bereitgestellt wurde, weil dies der Gehalt der Güte erforderte, die freiwillig ausgeübt werden musste, nämlich aus der Freiheit der Entscheidung heraus.
  • Tertullian (Quintus Septimius Florens Tertullianus: Die Seele (De anima) 20, 1. 5; 21, 6

    Tertullian ordnet die freie Entscheidung als Grundvermögen des Menschen ein
  • Alexander von Aphrodisias: Über das Schicksal (De fato) 2, p. 169, l. 13-170, l. 14

    Nach dem Peripatetiker Alexander von Aphrodisias (um 200) sind neben dem Schicksal auch die Wahl und die Natur Ursachen die das Weltgeschehen mit bestimmen
    [1] Und worüber die Vorzugswahl bestimmt (das ist das, was gemäß Tugend und Schlechtigkeit getan wird), auch dies scheint von uns abhängig zu sein. Wenn dies aber von uns abhängig ist, über dessen Getan-Werden und Nicht-Getan-Werden wir anscheinend bestimmen [...], bleibt zu sagen übrig, dass das Schicksal in dem von Natur aus Geschehenden ist, so als ob das Schicksal und die Natur dasselbe wären. [...]
    [2] Deswegen nennen sie auch die ersten der für das Geschehen der Natur gemäß verantwortlichen Ursachen [...] Ursachen des Schicksals. Denn das Prinzip für jedes Geschehen ist ein irgendwie geartetes Verhalten des Göttlichen zum Hiesigen gemäß der Bewegung. [...]
    [3] Aber das gemäß der Natur Geschehende geschieht nicht aus Notwendigkeit, sondern das Entstehen des so Geschehenden wird manchmal [...] verhindert. [...] Deswegen wird jemand auch zu Recht sagen, die eigene Natur eines jeden sei der Ursprung und die Ursache für die Ordnung des gemäß der Natur in ihm Geschehenden. [...] Wir sehen nämlich, dass der Körper, weil seine Natur so oder so ist, sich in Krankheiten und Bedrängnissen der natürlichen Zusammensetzung folgende verhält, aber nicht aus Notwendigkeit.
  • Irenaeus von Lyon : Gegen die Häresien (Adversus haereses ) 4, 37, 1. 4 [= frg. Graec. 21, l. 24-29]

    Der christliche Apologet Irenaeus von Lyon (ca. 135-202) hält gegen den Dualisten Markion (ca. 85-160) die Freiheit des Menschen fest
    Das aber, was die Schrift sagt: ,Wie oft wollte ich Deine Söhne sammeln, und Du wolltest nicht‘ (Evangelium nach Matthäus 8, 11f.), hat das alte Gesetz der Freiheit verdeutlicht, denn Gott schuf den Menschen frei, so dass er von Anfang an seine Macht ebenso besaß wie seine Seele, um die Anordnung Gottes freiwillig zu gebrauchen, nicht gezwungen von ihm. [...] Weil alle die gleiche Natur haben und fähig sind, das Gute zurückzuhalten und zu tun [...], deswegen sagt Paulus: ,Alles ist mir erlaubt, aber nicht alles nützt‘ (1 Korinther 6, 12), indem er das Freie am Menschen erklärt – deswegen: alles ist erlaubt, ohne dass Gott ihn zwingt – und das Nützliche aufzeigt, damit wir die Freiheit nicht zur Bedeckung der Schlechtigkeit benutzen, denn dies ist unnütz. Das von selbst Geschehende wird nicht in gleicher Weise geliebt wie das mit Mühe Aufgefundene.
  • Bardaiṣān: Buch der Gesetze der Völker § 1

    Ein Dialog mit Bardaiṣān, dem ,Philosophen der Aramäer‘ (um 200 n. Chr.) ahmt die platonischen Dialoge in syrischer bzw. ostaramäischer Sprache nach
    Vor einigen Tagen gingen wir, unseren Bruder Šemašgram besuchen. Auch Bardaiṣān kam, um uns dort anzutreffen. Als er ihn umarmt und gesehen hatte, dass es ihm gut ging, fragte er uns: ,Worüber spracht Ihr?‘ Denn ich hörte eure Stimme von draußen, als ich hierherkam‘. Er war es nämlich gewohnt, dann, wenn er uns dabei antraf, dass wir vor ihm über etwas sprachen, zu fragen: ,Was spracht Ihr?‘, um hierüber mit uns zu sprechen. Wir sagten also zu ihm: ,Dieser ‘Avīdā dort sagte zu uns: Wenn es einen Gott gibt, so wie Ihr sagt, und dieser die Menschen gestaltete und hierdurch etwas will, dass euch zu tun befohlen wird, warum gestaltete er die Menschen nicht so, dass sie nicht sündigen können, sondern vielmehr die ganze Zeit das Gute tun?
  • Bardaiṣān: Buch der Gesetze der Völker § 11. 19

    Grundlegende Elemente von Bardaiṣāns Freiheitslehre
    [1] Dem Menschen wurde nichts zu tun befohlen, außer dem, was sie zu tun vermögen. Zwei Gebote wurden uns nämlich vorgelegt: Das eine, dass wir uns von allem, was schlecht ist und von dem wir nicht wollen, dass es von uns geschieht, fernhalten; das andere, dass wir tun, was gut ist und was wir lieben gutheißen, dass es von uns so geschieht. [...]
    [2] Ich sage nun: Es gibt je eine Macht für Gott und für die Engel und für die Mächte und für die Regenten und für die Elemente und für die Menschen und für die Tiere; und allen diesen Ordnungen, die ich genannt habe, ist nicht in jeder Hinsicht Macht gegeben [...], damit sie in dem, was sie vermögen, die Güte Gottes erkennen, und in dem, was sie nicht vermögen, erkennen, dass es für sie einen Herrn gibt. [...]
    [3] Von uns Menschen stellt man fest, dass wir von Natur aus gleich geleitet werden, und vom Schicksal verschieden, und jeder von der Freiheit, wie er nur will.
  • Origenes: Philokalia 23, 1, l. 1-15

    Der Kirchenvater Origenes (ca. 185-254) macht die Astraldetermination aus christlicher Perspektive zum Thema
    Zum Allernotwendigsten gehört, zu untersuchen, [...] ob die Himmelslichter zu Zeichen geworden sind. Denn nicht nur viele Heiden [...] werden überwältigt von der Annahme des Schicksals, indem sie annehmen, durch den Zusammenhang der sogenannten wandernden Sterne [i.e. Planeten] mit den Sternzeichen geschehe alles auf der Erde und in Bezug auf den einzelnen Menschen [...], sondern auch viele derer, die den Glauben übernommen haben, werden hierzu herübergezogen. [...] Für die, die diese Lehre annehmen, folgt, dass sie das von uns Abhängende ganz und gar aufheben, deswegen auch Lob und Tadel sowie die akzeptablen und die tadelnswerten Handlungen.
  • Origenes: Philokalia 23, 1, l. 1-15

    Origenes argumentiert gegen die Determination durch die Sterne und den Demiurgen, d.h. einen zweiten Schöpfer neben Gott
    [1] Wenn aber einige von ihnen, um Gott zu entschuldigen [von der Verantwortung für die bösen Taten], sagen, der Gute sei ein anderer und enthalte nicht den Ursprung von diesem, und alles Derartige dem Demiurgen zuschreiben [...], muss man im Hinblick auf sie selbst prüfen, was sie sagen: Sind sie dem Lauf der Sterne unterworfen oder sind sie frei [...] und erhalten nichts von dort als etwas in sie selbst hinein Bewirktes?
    [2] Wenn sie nun sagen werden, sie seien den Sternen unterworfen, ist klar, dass die Sterne ihnen dieses Denken geschenkt haben; also wird der Demiurg ihnen durch die Bewegung des Alls das Wort über den erfundenen Gott oberhalb suggeriert haben, was sie nicht wollen.
    [3] Wenn sie aber antworten, dass sie sich außerhalb der Gesetze des Demiurgen bewegen, die sich auf die Sterne beziehen, sollen sie versuchen [...], uns etwas Zwingenderes anzugeben, indem sie einen Unterschied benennen zwischen einem individuellen Geist, der dem Werden und dem Schicksal unterliegt, und einem anderen, der hiervon frei ist.
  • Origenes: Philokalia 23, 1, l. 1-15

    Origenes diskutiert, ob das Vorwissen Gottes eine Gefahr für die Freiheit darstellt
    [1] Nun behaupten sie: Wenn Gott von Ewigkeit her erkannt hat, dass dieser [...] dieses bestimmte Unrecht tun wird, die Erkenntnis Gottes aber unfehlbar ist [...], wird sein Unrecht-Tun notwendig gemacht, und es wird unmöglich sein, dass er etwas anderes tut, als Gott vorhergesehen hat. [...]
    [2] Diesen muss man antworten, dass Gott, wenn er sich zum Beginn der Weltschöpfung anschickt [...], mit dem Geist alles Geschehende bereist und sieht: Wenn dies geschehen ist, folgt dies, wenn aber dies geschieht, dann ergibt sich des Folgende, bei dessen Zustandekommen sich jenes ereignen wird – und so weiter bis zum Ende der Dinge weiß er, da er es bereist hat, was sich ereignen wird. [...]
    [3] Und wenn man sagen muss, dass nicht das Vorwissen der Grund für das Geschehende ist [...], so sagen wir doch etwas ziemlich Paradoxes, aber Wahres: Das, was geschehen wird, ist die Ursache dafür, dass sein Vorwissen so und so ist. Denn es geschieht nicht, weil es vorher erkannt wurde, sondern es wurde erkannt, weil es geschehen sollte.
  • Origenes: Kommentar zu Röm 7, 18-21; p. 272f.

    Der Kirchenvater Origenes deutet die von Paulus erwähnte Schwäche des Willens
    Wer noch nicht geistig ist, wird also in diesen Einzelfällen besiegt, auch gegen seinen Willen. Denn dieser Wille ist noch nicht so stark und fest, dass er bei sich festlegt, dass bis zum Tode für die Wahrheit gekämpft werden muss. [...] Und daher kann er nicht tun, was er will, sondern was er nicht will. [...] Und das natürliche Gesetz wird zu einer gewissen Übereinstimmung mit dem Gesetz Gottes geführt, so dass sie dasselbe wollen und dasselbe nicht wollen. Aber wenn wir im Willen dem Gesetz Gottes zustimmen, dann tun nicht wir das Schlechte, was wir tun, sondern die Sünde, die in uns ist, tut es, d.h. das Gesetz und der Wille des Fleisches. [...] So wie der geistige Paulus seine Mühen nicht sich, sondern der Gnade Gottes, die in ihm tätig war, zuschrieb, so auch rechnet auch der fleischliche die schlechten Werke nicht sich, sondern der Sünde an.
  • Origenes: Gegen Kelsos (Contra Celsum ) III 37; I, 234, 9-13

    Origenes erklärt falsches Handeln durch die Selbsttäuschung der Klugen
    So wie sich viele innerhalb der Philosophie in der Wahrheit zu befinden scheinen, die sich gewiss selbst mit glaubwürdigen Argumenten getäuscht oder vorschnell den von anderen vorgetragenen oder gefundenen zugestimmt haben, so gibt es nämlich auch unter den außerkörperlichen Seelen, d.h. den Engeln und Dämonen, einige, die durch Plausibilitäten (πιθανότητες) dazu gebracht wurden, sich selbst als Götter zu bezeichnen.
  • Plotin: Enneade III 2, 4, 36-44

    Plotin über den Fall der Seele
    Die Lebewesen, welche aus sich selber über eine selbstbestimmte Bewegung verfügen, schlagen bald zum Besseren, bald zum Schlechteren aus. Vielleicht lohnt es nicht, die Wendung zum Schlechteren bei jemandem selbst zu suchen. Denn eine kleine Wendung, die zu Beginn geschieht, macht, wenn sie in der Richtung fortgeht, die Verfehlung immer mehr und größer; der Leib ist ja da und notwendigerweise die Begierde. Wurde das Erste und Plötzliche einmal übersehen und nicht wettgemacht, ist sofort eine Wahl dessen zustandegekommen, wohin jemand abgefallen ist. Hierauf folgt gewiss die Vergeltung.
  • Proklos : Kommentar zu Platons Timaios (In Timaeum commentaria ) 1, 378, 10-22

    Proklos schreibt die Entstehung des Bösen der Seele zu, insbesondere für sie selbst
    Nur die Seele stellt sich durch das Wählen jeweils zu einer anderen Ordung. Denn jede Wahl führt die Seele entweder herauf oder zieht sie herab. Wenn also die Wahl von der Seele weg erfolgt, ist sie schlecht, wenn sie aber das Wählende in die eigene Ordnung stellt, entspricht sie dem Recht und ist gut. [...] Es gibt also nichts Schlechtes, was nicht auch irgendwie gut ist, sondern alles hat an der Vorsehung teil.
  • Proklos : Kommentar zu Platons Timaios (In Timaeum commentaria ) 1, 378, 22-379, 26

    Proklos erklärt die Möglichkeit, dass die Seele auch das Schlechte wählen kann, durch die mögliche Vollkommenheit des Universums
    [1] Wenn sich einige wundern, aus welchem Grund sie am Anfang hinabgeschickt wurde, obwohl sie eine Schlechtes hervorbringende Ursache [...], muss man ihnen antworten, dass das Hervorgehen des Seienden kontinuierlich ist und keine Leerstelle innerhalb des Seienden geblieben ist. [...]
    [2] Wie aber soll die Kontinuität des Seienden gewahrt werden, wenn das Allgemeine und Selbstbewegte sowie das Einzelne und Fremdbewegte von vornherein bestehen, wir aber das zwischen diesen befindliche, das zwar selbstbewegt, aber zugleich einzeln ist, auslassen würden? [...] So wie das, was für die Einzelnatur schlecht ist, für die allgemeine Natur gut ist, so ist auch das, was für das allgemeine Leben schlecht ist, für das allgemeine Leben gut.
  • Augustinus von Hippo: Die freie Entscheidung (De libero arbitrio ) I 82f. 86

    Augustinus entwickelt das Konzept eines guten Willens
    Augustinus: Ich frage Dich, ob es in uns irgendeinen Willen gibt.
    Evodius: [...] Es kann nicht bestritten werden, dass wir einen Willen haben. [...]
    A. Sage auch [...], ob Du meinst, dass Du auch einen guten Willen hast.
    E. Was ist ein guter Wille?
    A. [...] Sieh nur, ob Du ein richtiges und ehrbares Leben nicht anstrebst [...] oder etwa zu bestreiten wagst, dass wir, wenn dies wollen, einen guten Willen haben. [...] Was nämlich liegt so sehr im Willen wie der Wille selbst? Ein jeder, der diesen als guten hat, hat gewiss das, was allen irdischen Königreichen und allen Lüsten des Körpers lange vorzuziehen ist.
  • Augustinus von Hippo: Der Gottesstaat (De civitate dei) V 8, p. 201, 12-22

    Augustinus erklärt eine sachliche Nähe zur Stoa im Freiheitsbegriff
    Mit denen, die die Verbindung und Reihe aller Ursachen, durch die alles geschieht, was geschieht, mit dem Begriff ,fatumʻ (Schicksal) bezeichnen, muss man sich nicht lange in einem Streit um Worte abmühen und auseinandersetzen, weil sie ja die Ordnung der Ursachen und eine bestimmte Verbindung dem Willen und der Macht des höchsten Gottes zuschreiben, von dem man sowohl glaubt, dass er alles am besten und wahrhaftigsten weiß, bevor es geschieht, als auch, dass er nichts ungeordnet lässt. Von ihm stammen alle Mächte, obwohl von ihm nicht alle Willensentscheidungen stammen.
  • Augustinus von Hippo: Der Gottesstaat (De civitate dei) V 9, p. 205, 5-8; V 10, p. 208, 16-19; 209, 16-20. 29-31

    Augustinus löst das Problem von Gottes Vorwissen und Freiheit, indem er das Vorwissen zur Garantie der Wahrheit der Freiheit erklärt
    Wir [...] behaupten, dass Gott alles weiß, bevor es geschieht, und dass wir durch unseren Willen alles bewirken, von dem wir fühlen und wissen, das es nur durch uns als Wollende bewirkt wird. [...] Denn wir bewirken vieles, dass wir, wenn wir es nicht wollten, keineswegs bewirken würden. Hierzu gehört zunächst einmal das Wollen selbst; denn wenn wir wollen, dann ist es da, wenn wir nicht wollen, dann ist es nicht da. [...] Also ist nicht deswegen nichts in unserem Willen, weil Gott vorher wusste, was in unserem Willen sein wird. Denn der, der das vorher wusste, wusste nicht nichts vorher, [...] sondern er wusste etwas vorher. Folglich sind die Gesetze, der Tadel, das Lob und die Kritik, weil er vorher wusste, dass sie da sein werden.
  • Augustinus von Hippo: Verschiedene Fragen an Simplikian (De diversis quaestionibus ad Simplicianum ) I 15

    Augustinus erläutert, wie die für das gute Handeln notwendige Gnade Gottes im Menschen wirkt
    Das Gesetz vergrößert die Begierde durch das Verbot und verpflichtet den durch Übertretung Schuldigen, indem es befiehlt, was die Menschen aus Schwäche nicht erfüllen können, wenn sie sich nicht aus Frömmigkeit zur Gnade Gottes bekehren; daher wird von denen gesagt, sie seien unter dem Gesetz, die dieses beherrscht; es beherrscht aber die, die es bestraft; es bestraft aber alle Übertreter. Ganz allgemein übertreten die das Gesetz, die es angenommen haben, wenn sie nicht durch Gnade bekommen, das zu können, was es befiehlt. So kommt es, dass es die nicht beherrscht, die unter der Gnade stehen, es in Liebe erfüllen.
  • Boethius, Anicius Manlius Severinus: Der Trost der Philosophie (Consolatio philosophiae ) V, Prosa 6, 6f. 10

    Boethius erklärt den Begriff der Ewigkeit im Gegensatz zur unendlichen Dauer
    Was also dem Modus der Zeit unterliegt, selbst wenn es, wie Aristoteles von der Welt glaubte, weder begonnen hat noch enden wird, [...] ist noch nicht so, dass es zu Recht als ewig verstanden werden kann. Denn es umfasst nicht das Ganze zugleich [...], sondern hat das Zukünftige noch nicht, das Vergangene nicht mehr. [...] Denn es ist eine Sache, durch ein unendliches Leben geführt zu werden [...], eine andere, die gesamte Gegenwart des unendlichen Lebens gleichermaßen zu umfassen, was klarerweise dem göttlichen Geist eigentümlich ist.
  • Boethius, Anicius Manlius Severinus: Der Trost der Philosophie (Consolatio philosophiae ) V, Prosa 6, 30f.

    Der Blick Gottes auf die Welt lässt Boethius zufolge freies menschliches Handeln möglich sein
    Wenn die Für-Sehung etwas Gegenwärtiges sieht, gibt es dies notwendigerweise, obwohl es keine Naturnotwendigkeit besitzt. Aber Gott betrachtet das Zukünftige, was aus der Freiheit der Entscheidung hervorgeht, als etwas Gegenwärtiges. Dies geschieht also bezogen auf den göttlichen Blick notwendig, im Modus der göttlichen Erkenntnis, aber in sich selbst betrachtet tritt es von der absoluten Freiheit seiner Natur nicht zurück.
  • Anselm von Canterbury: Über die Freiheit der Entscheidung (De libertate arbitrii) § 1

    Anselm von Canterbury (1033-1109) legt Grundvoraussetzungen der mittelalterlichen Freiheitsdebatte fest
    Schüler: Weil eine freie Entscheidung der Gnade, der Vorherbestimmung und dem Vorwissen Gottes zu widersprechen scheint, möchte ich wissen, was die Freiheit der Entscheidung selbst ist und ob wir sie immer besitzen. [...]
    Lehrer: Ich glaube nicht, dass die Freiheit der Entscheidung das Vermögen ist, zu sündigen und nicht zu sündigen. Denn wenn dies ihre Definition wäre, hätten weder Gott noch die Engel, die nicht sündigen können, eine freie Entscheidung. [...] Obwohl die freie Entscheidung der Menschen sich von der freien Entscheidung Gottes und der Engel unterscheidet, muss doch die Definition dieser Freiheit, der gleichen Bezeichnung entsprechend, in beiden dieselbe sein. [...] Daher muss man eine solche Definition von ,Freiheit der Entscheidung‘ geben, die nicht mehr und nicht weniger als diese enthält. Weil also die göttliche freie Entscheidung und die der Engel nicht sündigen kann, gehört ,sündigen zu können‘ nicht zur Definition von ,Freiheit der Entscheidung‘.
  • Anselm von Canterbury: Über die Freiheit der Entscheidung (De libertate arbitrii) § 3f.

    Anselm von Canterburys Definition der Freiheit der Entscheidung
    Lehrer: Weil jede Freiheit eine Macht ist, ist jene Freiheit der Entscheidung die Macht, die Rechtheit des Willens um der Rechtheit selbst willen zu bewahren. [...] Schüler: Offensichtlich. [...] Nachdem sie diese aber aufgegeben hat: Wie kann sie bewahren, was sie nicht besitzt? [...] Lehrer: Was spricht dagegen, dass wir die Macht haben, die Rechtheit des Willens um der Rechtheit selbst willen zu bewahren, auch wenn die Rechtheit selbst nicht vorhanden ist, solange nur die Vernunft in uns ist, durch die wir sie erkennen, und der Wille, mit dem wir sie festhalten können? Denn hieraus besteht die genannte Freiheit der Entscheidung.
  • Abaelard, Peter: Theologia ,Scholarium‘ (Theologia ,Scholarium‘) III 89f.

    Petrus Abaelardus definiert Freiheit als Vernunftkonformität
    Schließlich haben auch einige die freie Entscheidung darauf zurückgeführt, dass sie sie nur denen zugestehen, die gut und schlecht handeln können. [...] Aber diejenigen, die die freie Entscheidung sorgfältiger untersucht haben, haben gesagt, dass sie keinem fehle, der gut handelt, besonders aber Gott [...] Allgemein und am richtigsten wird daher freie Entscheidung gesagt, wenn jemand in der Lage sein wird, das, was er mit der Vernunft beschlossen hat, willentlich und ohne Zwang auszuführen. Diese Freiheit der Entscheidung wohnt ohne Zweifel Gott ebenso wie allen Menschen gleichermaßen inne, die die Fähigkeit des rechten Willens nicht verloren haben.
  • Abaelard, Peter: Römerbriefkommentar II, p. 207f.

    Peter Abaelard über die natürliche Gesetzgebung der Vernunft
    Paulus (Römer 7) sagt nicht einfach ,nicht ich tue das‘, sondern er sagt ,nicht ich, sondern die Sünde‘, was besagen will: Ich werde dazu nicht aus der Natur, sondern aus einem Laster der Natur, das sie schon beherrscht gezogen, aber aus der Natur, durch die ich von Gott vernünftig geschaffen bin, widerstrebe ich der Begierde. [...] Dieses ,Gesetz‘ der Begierde nenne ich ,widerstrebend‘, d.h. entgegengesetzt zu, dem natürlichen ,Gesetz meines Geistes‘, d.h. der Vernunft, die mich gleichsam wie ein Gesetz regieren muss.
  • Abaelard, Peter: Ethica (Ethica ) I p. 4. 6

    Abaelard definiert die Sünde als Zustimmung
    Ein Laster ist daher das, wodurch wir zum Sündigen geneigt gemacht werden, d.h. uns dazu neigen, dem zuzustimmen, was nicht richtig ist. [...] Diese Zustimmung aber nennen wir im eigentlichen Sinn Sünde, das heißt eine Schuld der Seele, durch die sie die Verdammung verdient und bei Gott für schuldig befunden wird. [...] Denn weil wir manchmal ohne jeden schlechten Willen sündigen und weil der schlechte Wille selbst, wenn er gezügelt, aber nicht ausgelöscht wird, [...] Material zum Kampf und die Krone des Ruhms liefert, ist er nicht so sehr Sünde, sondern vielmehr eine gewisse Schwäche, die noch notwendig ist, zu nennen. Nehmen wir zum Beispiel jemand Unschuldigen, gegen den sein grausamer Herr durch Wut so bewegt ist, dass er ihn mit gezogenem Schwert verfolgt, um ihn zu töten. Jener ist lange vor ihm geflohen und hat, soweit er konnte, seine Tötung vermieden, aber schließlich tötet er ihn gezwungen und unwillig, damit er nicht selbst getötet wird. Sage mir, wer immer Du auch seist, welchen schlechten Willen er bei dieser Tat hatte.
  • Abaelard, Peter: Cambridger Kommentar (Vorlesungsmitschrift) (Commentarius Cantabrigiensis (reportatio)) II, 337

    Abaelard über die Gewissheit aus dem Gewissen
    Wenn wir uns selbst richten würden, würden wir von Gott gar nicht mehr gerichtet. Denn Gott überlässt uns unserem Gericht, damit wir das, was in uns zu korrigieren ist, frei richten, da er will, dass wir durch das eigene Gericht sein Gericht vermeiden, zu dem er gleichsam gezwungen hinzutritt. Und sogar irgendein Räuber würde, wenn er auf diese Weise über sich ein Gericht vollziehen könnte, den Richter nicht mehr fürchten, dessen Gericht er selber zuvorgekommen wäre.
  • Abaelard, Peter: Theologia ,Scholarium‘ (Theologia ,Scholarium‘) III 27f.

    Peter Abaelard über die Grenzen der göttlichen Handlungsmöglichkeiten
    [1] Ich denke es ist zu fragen, ob Gott mehr oder besseres tun kann, als er tut, oder ob er auch mit dem, was er tut, auf irgendeine Weise aufhören könnte, so dass er es nämlich niemals täte. [...]
    [2] Wenn es also
    a), weil es gut ist, dass etwas getan wird, nicht gut ist, dass es unterlassen wird, und wenn
    b) Gott nichts tun oder unterlassen kann außer dem, von dem es gut ist, dass er es tut oder unterlässt,
    c) dann scheint er gewiss nur das tun oder unterlassen zu können, was er tut oder unterlässt, weil es nur bei diesem allein gut ist, dass er es tut oder unterlässt. [...]
    [3] Oder wer würde ihn nicht, wenn er das unterlässt, von dem gut ist, dass er es tut, und sich von einigem, was zu tun wäre, zurückzieht, als feindlich und ungerecht anklagen?
  • Bernhard von Clairvaux: De gratia et libero arbitrio (De gratia et libero arbitrio ) II. 3 [I, 167, 29-168, 4 Leclercq]

    Bernhard von Clairvaux (1090-1153) sieht den Willen als Ort der Entscheidungsfreiheit an
    Die Zustimmung ist ein spontaner Wink des Willens [...]. Der Wille ist eine rationale Bewegung, die sowohl der Wahrnehmung als auch dem Streben vorsteht. Gewiss hat er, wohin er sich wendet, die Vernunft stets als Begleiter und gleichsam als folgsamen Diener, aber nicht, weil er immer aus der Vernunft heraus, sondern weil er sich niemals ohne sie bewegt.
  • Bernhard von Clairvaux: De gratia et libero arbitrio (De gratia et libero arbitrio ) I. 2; III. 6 [I, 167, 11-18; 170, 13-22 Leclercq]

    Bernhard unterscheidet insgesamt drei Arten von Freiheit, von denen die Wahlfreiheit des Willens die niedrigste ist
    Dies Streben haben wir also […] mit den Tieren gemeinsam; die Zustimmung des Willens unterscheidet uns aber. […] Sie ist nämlich ein Habitus der Seele, der frei über sich selbst verfügt (liber sui). Sie wird nämlich nicht erzwungen, nicht erpresst. Sie ist Sache des Willens, nicht der Notwendigkeit. […] Wo aber der Wille ist, dort ist Freiheit, [...] aber [...] nicht durch jene Freiheit, von der der Apostel [Paulus] sagt: , Wo der Geist des Herrn ist, dort ist Freiheitʻ (2 Korinther 3, 17). Diese ist nämlich die Freiheit von der Sünde. [...] Es gibt weiterhin eine Freiheit vom Elend, von der der Apostel wiederum sagt: ,auch das Geschöpf wird von der Knechtschaft der Verderbnis zur Freiheit der Ehre der Söhne Gottes befreit werdenʻ.
  • Robert von Melun: Zusammenstellung der Lehrsätze (Sententiae ) I, II, [0], 121. 143 [L 114va-b. 116va; B 179rb. 181vb]

    Der Universitätslehrer Robert von Melun (ca. 1100-1167) begründet die Verschiedenheit von Wille und Vernunft aus dem Sprachgebrauch heraus
    Denn die ganze Bibel und jeglicher Sprachgebrauch von Leuten, die mit Bedacht sprechen, schreibt der Vernunft das Unterscheidungsvermögen (discretio) zu und dem Willen das Streben (appetitus), und das nicht zu Unrecht, denn wir unterscheiden mit der Vernunft und streben mit dem Willen, und daher gehört die Unterscheidung zur Vernunft und das Streben zum Willen. [...] Es ist klar, dass diejenigen, die Seelenkräfte durcheinanderbringen, die sagen, der Vernunft komme das Wollen zu und dem Willen das Urteilen.
  • Thomas von Aquin: Summa theologiae I-II (Summa theologiae) I-II 8, 1 resp. und ad 1

    Thomas von Aquins Definition des Willens als rationales Streben
    Der Wille ist ein bestimmtes rationales Streben; jedes Streben aber richtet sich auf nichts anderes als auf ein Gut. [...] Das intellektive oder rationale Streben, das ,Wille‘ genannt wird, folgt einer aufgefassten Form. [...] Also ist dafür, dass der Wille sich auf etwas richtet, nicht erforderlich, dass dies ein Gut in der Wahrheit der Dinge sei, sondern dass es unter dem Gehalt ,gut‘ aufgefasst wird. [...] Der Wille verhält sich also sowohl zum Guten als auch zum Schlechten, aber zum Guten, indem es dieses anstrebt, zum Schlechten, indem er dieses meidet.
  • Thomas von Aquin: Das Schlechte (De malo) q. 6, l. 1-3. 339-349

    Thomas von Aquin über die respektiven Aufgaben von Vernunft und Wille
    Es wird gefragt [...], ob der Mensch eine freie Wahl seiner Handlungen besitzt oder aus Notwendigkeit wählt. [...] Wenn wir [...] die Bewegung der Seelenvermögen von seiten des Objekts betrachten, das der Handlung ihre Form gibt, stammt das erste Prinzip der Bewegung aus dem Intellekt: Denn auf diese Weise bewegt das erkannte Gut auch den Willen selbst. Wenn wir aber die Bewegung der Seelenvermögen von seiten der Ausführung der Handlung betrachten, so stammt das Prinzip der Bewegung aus dem Willen. Denn stets bewegt das Vermögen, zu dem das primäre Ziel gehört, das Vermögen zum Handeln, dem das zugehört, was auf das Ziel gerichtet ist; so bewegt die Kriegskunst die Zügelmacherei zum Tätigwerden; und auf diese Weise bewegt der Wille sich selbst und die anderen Vermögen.
  • Thomas von Aquin: Das Schlechte (De malo) q. 6, l. 425-449

    Thomas von Aquin über Grenzen der Notwendigkeit des Wollens
    [1] Weil also Ratschläge und Wahlen sich auf Einzelnes erstrecken, auf das sich das Handeln bezieht, ist erforderlich, dass das, was als gut und angemessen aufgefasst wird, als gut und angemessen im Einzelnen aufgefasst wird, und nicht nur im Allgemeinen. Wenn also etwas im Hinblick auf alles Einzelne, was überhaupt betrachtet werden kann, als angemessenes Gut aufgefasst wird, wird es den Willen aus Notwendigkeit bewegen; und deswegen erstrebt der Mensch aus Notwendigkeit die Glückseligkeit. [...]

    [2] ,Aus Notwendigkeit‘ sage ich aber im Hinblick auf die Bestimmung der Handlung, weil man das Gegenteil nicht wollen kann; aber nicht im Hinblick auf die Ausführung der Handlung, denn jemand kann zu diesem Zeitpunkt nicht an die Glückseligkeit denken wollen; denn auch die Handlungen des Intellektes und des Willens sind selbst Einzelnes. Wenn es aber ein solches Gut ist, das nicht im Hinblick auf alles Einzelne, das betrachtet werden kann, gut gefunden wird, wird es auch im Hinblick auf die Bestimmung der Handlung nicht aus Notwendigkeit bewegen; denn jemand wird das Gegenteil davon wollen können, auch wenn er daran denkt, weil es wohl gut oder angemessen in Bezug auf irgendeinen anderen betrachteten Einzelgesichtspunkt ist, so wie das, was gut für die Gesundheit, nicht gut für die Freude ist.
  • Thomas von Aquin: Summa theologiae I (Summa theologiae) I 48, 3 responsio u. ad 3

    Thomas von Aquin definiert das Schlechte als einen Mangel am geschuldeten Gut
    Nicht jede Entfernung eines Guts wird schlecht genannt. Denn ,Entfernung eines Gutsʻ kann sowohl privativ als auch negativ verstanden werden. Folglich hat die Entfernung eines Guts, wo sie negativ verstanden wird, nicht den Gehalt ,schlechtʻ. Sonst würde folgen, dass das, was auf keine Weise ist, schlecht wäre. [...] Aber die Entfernung eines Guts, wenn sie privativ verstanden wird, wird ,schlechtʻ genannt, so wie die Privation (Wegnahme) des Sehvermögens Blindheit genannt wird. [...]
    Das Böse ist aber nicht als in seinem Subjekt in dem Guten, was ihm entgegengesetzt ist, sondern in einem anderen Guten. Das Subjekt der Blindheit ist aber nicht das Sehvermögen, sondern das Lebewesen.
  • Thomas von Aquin: Summa theologiae I (Summa theologiae) I 49, 2 responsio

    Thomas von Aquin erklärt, wie es Schlechtes im Universum geben kann
    Das Schlechte, das in einem Fehler des Handelns besteht, wird immer durch einen Fehler des Handelnden verursacht. In Gott aber ist kein Fehler vorhanden, sondern höchste Vollkommenheit. [...] Daher wird das Schlechte [...], was durch einen Fehler des Handelnden verursacht wird, nicht auf Gott als Ursache zurückgeführt. Aber das Schlechte, das im Vergehen irgendwelcher Dinge besteht, wird auf Gott als Ursache zurückgeführt. Und das ist sowohl für das Natürliche als auch für das Freiwillige klar. [...] Die Form, auf die Gott bei den geschaffenen Dingen in erster Linie abzielt, ist das Gut der Ordnung des Universums. Die Ordnung des Universums erfordert es aber [...], dass es einiges gibt, was Fehler aufweisen kann und manchmal Fehler aufweist. Und so verursacht Gott [...] infolge hiervon und gleichsam akzidentell das Vergehen von Dinegen. [...] Und deswegen ist Gott der Urheber des Schlechten, das die Strafe ist, nicht aber des Schlechten, das die Schuld ist.
  • Thomas von Aquin: Summa theologiae I (Summa theologiae) I 25, 5 resp

    Thomas von Aquin (ca. 1225-1274) über die unendliche Unbegreifbarkeit Gottes
    Die Vernünftigkeit einer Ordnung, die ein Weiser Dingen auferlegt, die von selbst gemacht sind, wird vom Ziel her genommen. Wenn das Ziel also den Dingen proportional angepasst ist, die wegen des Ziels gemacht werden, dann wird die Weisheit des Machenden auf eine festgelegte Ordnung begrenzt. Aber die göttliche Güte ist ein Ziel, das die geschaffenen Dinge jenseits der Proportionalität überschreitet. Daher wird die göttliche Weisheit nicht auf eine Ordnung der Dinge hin in der Weise festgelegt, dass kein anderer Verlauf der Dinge hieraus hervorgehen könnte. Daher muss man schlechthin sagen, dass Gott anderes machen kann als das, was er macht.
  • Thomas von Aquin: Summa theologiae I-II (Summa theologiae) I-II, 19, 5, resp. und ad 1

    Thomas von Aquin begründet, warum primär der individuellen Vernunft zu folgen ist
    [1] Weil das Objekt des Willens das ist, was von der Vernunft vorgestellt wird, [...], nimmt der Wille, weil ihm etwas von der Vernunft als schlecht vorgestellt wird, den Gehalt des Schlechten an. [...] Zum Beispiel ist es etwas Gutes, sich vom Ehebruch zurückzuhalten; trotzdem wird der Wille zu diesem Gut nicht anders bewegt, als es ihm von der Vernunft vorgestellt wird. Wenn es also von einer irrenden Vernunft als schlecht vorgestellt wird, wird er hierzu unter dem Gehalt des Schlechten bewegt. [...] Daher muss man sagen, dass schlechthin jeder Wille, der von der Vernunft abweicht, egal ob sie richtig oder irrig ist, immer schlecht ist. [...]
    [2] Wenn irgendein Mensch erkennen würde, dass die menschliche Vernunft etwas gegen ein Gebot Gottes vorschriebe, dann wäre er nicht verpflichtet, der Vernunft zu folgen. Aber in diesem Fall wäre die Vernunft nicht vollständig irrig.
  • Thomas von Aquin: Summa theologiae I-II (Summa theologiae) I-II 96, 4 responsio

    Das Verhältnis von Gesetz und Gewissen
    [1] Menschlich festgelegte Gesetze sind entweder gerecht oder ungerecht. Wenn sie nun gerecht sind, haben sie verpflichtende Kraft im Forum des Gewissens vom ewigen Gesetz her, von dem sie abgeleitet sind. [...] Derartige Gesetze, die die Lasten proportional angemessen verteilen, sind gerecht und verpflichten im Forum des Gewissens, und sie sind legale Gesetze.
    [2] Ungerechte Gesetze aber [...] sind eher Gewalttaten als Gesetze. [...] Daher verpflichten solche Gesetze im Forum des Gewissens nicht, außer vielleicht um einen Skandal oder Durcheinander zu vermeiden.
    [3] Auf eine andere Weise können Gesetze ungerecht sein durch einen Widerspruch zum göttlichen Gut, wie zum Beispiel die Gesetze von Tyrannen, die zum Götzendienst anleiten oder zu irgend etwas anderem, was gegen das göttliche Gesetz ist. Und derartige Gesetze darf man in keiner Weise beachten.
  • Thomas von Aquin: Summa theologiae I-II (Summa theologiae) I-II 19, 6 resp.

    Die Verantwortlichkeit des irrenden Gewissens
    a) Weil das moralische Gute und Schlechte in einer Handlung insofern besteht, als diese willentlich ist [...], ist klar, dass eine Unwissenheit, die sie unwillentlich macht, den Gehalt des moralischen Gute und Schlechte aufhebt – aber nicht eine, die sie nicht unwillentlich macht. [...] Wenn also die Vernunft beziehungsweise das Gewissen aufgrund eines willentlichen Irrtums irrt, entweder direkt oder aus Nachlässigkeit, weil es sich um einen Irrtum über etwas handelt, was jemand zu wissen gehalten ist, dann entschuldigt dieser Irrtum der Vernunft beziehungsweise des Gewissens nicht. [...]
    b) Wenn zum Beispiel eine irrende Vernunft sagt, dass ein Mensch gehalten ist, zur Ehefrau eines anderen zu gehen, ist ein Wille, der mit dieser irrenden Vernunft übereinstimmt schlecht, weil der Irrtum aus einer Unwissenheit über das Gesetz Gottes kommt, das zu kennen er gehalten ist. Wenn aber die Vernunft darin irrt, dass jemand glaubt, eine anwesende Frau sei seine Gattin, und wenn er, da sie das Pflichtschuldige fordert, sie erkennen will, wird sein Wille entschuldigt, so dass er nicht schlecht ist.
  • Heinrich von Gent : Quodlibet I, p. 96. 100. 108

    Der voluntaristische Denker Heinrich von Gent (ca. 1240-1293) betont, dass Freiheit im Willen und nicht in der Vernunft liegt
    Wir [...] können nicht sagen, dass [...] in irgendjemandem ein Urteil der Vernunft einen schlechten Willen hervorgebracht hat. Es hätte dies nämlich aufgrund derselben Vernunft in jemand anderem hervorgebracht, weil wir annehmen, dass sie im Geiste auf gleiche Weise strukturiert gewesen sind. [...] Der Wille wendet sich allein durch sich selbst einerseits zum Guten, aufgrund seiner natürlichen Freiheit, durch die er ein gutes Geschöpf Gottes ist [...]; er wendet sich auch schlechthin durch selbst zum Schlechten, aufgrund der natürlichen Fehlbarkeit, durch die er aus dem Nichts stammt, durch welche er einen Fehler im Hinblick auf das Nichts der Schuld machen kann [...], welches schlecht und eine Sünde ist. Und aus einem solchen fehlbaren Prinzip heraus kann er, wenn etwas Schlechtes und etwas Gutes vorgeschlagen werden, das Schlechte bevorzugen – jedoch unter dem Gehalt irgendeines scheinbaren Gutes (denn er kann überhaupt nichts wählen [...] außer unter dem Gehalt irgendeines Gutes) –, und, wenn ein größeres und ein kleineres Gut vorgeschlagen werden, dass kleinere Gut bevorzugen und irgendeines von zwei gleichen vorgeschlagenen Gütern vorziehen.
  • Heinrich von Gent : Quodlibet IX, p. 196

    Heinrich von Gent über den Einfluss der Vernunft auf den Willen und seine Grenzen
    Wie sehr auch immer durch eine [...] beweisende Schlussfolgerung der Wille bestimmt wird – er kann dies frei zurückweisen, obwohl es ihm eine Last auferlegt, durch die er dazu geneigt wird, dies zu tun, wodurch das Gewissen beginnt, den Willen zu informieren, dass er dies tun muss, was er trotzdem, trotz des Gewissens, nicht machen kann. [...] Weil nämlich jene Last ihm von der Vernunft auferlegt wurde, weil ein Vorgang des Nachdenkens bestimmte, es sei als gut zu wollen, kann der Wille mit einem eigenen Befehl die Vernunft oder den Intellekt dazu antreiben, einen ebenso wirksamen Grund für das Gegenteil zu finden.
  • Duns Scotus, Johannes: Autorisierte Mitschrift der Pariser Vorlesung (Reportatio Parisiensis examinata) Buch I, 39.-40. Distinktion, nr. 31 - 33

    Der Franziskaner Johannes Duns Scotus (ca. 1265-1308) fragt nach der Ursache der Kontingenz in der Welt und begründet, dass auch der göttliche Wille ähnlich frei sein muss wie der menschliche
    Vorausgesetzt also, dass es Kontingenz in den Dingen gibt, so ist zweitens zu prüfen, wo der erste Grund für Kontingenz liegt. Hierzu stelle ich die Behauptung auf, der erste Grund für Kontingenz liegt im göttlichen Willen bzw. in dem Willensakt, der sich auf etwas von sich selbst Verschiedenes richtet.
    Ich beweise dies folgendermaßen: Wenn es für Gott beim Verursachen des von sich selbst Verschiedenem eine Notwendigkeit gäbe, [1] wäre nichts im Universum kontingent, [2] gäbe es auch keine Zweitursache im Universum; [3] fände sich drittens nichts Schlechtes in den Dingen. Alle drei Schlussfolgerungen sind absurd.

    Das erste wird folgendermaßen bewiesen: Wenn etwas, das bewegt wird, insofern es selbst bewegt, mit Notwendigkeit bewegt wird, dann bewegt es mit Notwendigkeit. Eine Erstursache bewegt mit Notwendigkeit [...]. Folglich bewegt und verursacht jede Zweitursache mit Notwendigkeit. Das zweite folgt ergibt sich, weil eine Erstursache ihrer Natur nach früher als eine Zweitursache bewegt und verursacht. Wenn sie also in diesem früheren Moment auf notwendige und vollkommene Weise verursacht, kann sie folglich die Wirkung nicht nicht hervorbringen. Und so bleibt nichts übrig, was im zweiten Moment eine Zweitursache verursachen könnte, außer sie würde dasselbe zum zweiten Mal verursachen, was nicht vorstellbar ist.
  • Duns Scotus, Johannes: Autorisierte Mitschrift der Pariser Vorlesung (Reportatio Parisiensis examinata) Buch I, 38. Distinktion, nr. 37

    Johannes Duns Scotus über Intellekt und Wille in Gott
    [1] Jeder Akt des Intellekts, der in Gott einem Willensakt vorausgeht, ist rein naturhaft und formal nicht frei. Infolgedessen ist alles, was vor jedwedem Willensakt gedacht wird, rein naturhaft.[...]
    [2] Deshalb kommt dem göttlichen Intellekt vor dem Willensakt von solchen Termini lediglich eine neutrale Erkenntnis zu, gerade so, wie mein Intellekt neutral zu dem komplexen Sachverhalt steht, ob die Anzahl der Sterne gerade oder ungerade ist. Wenn nun der Intellekt dem Willen derartige komplexe Sachverhalte darbietet, dann kann der Wille das Zusammenstellen dieser Termini frei wählen oder nicht wählen. [...]
    [3] Und erst in genau dem Augenblick, da der göttliche Wille ,Petrus‘ und ,Glückseligkeit‘ verbinden will, ist dieser Satz wahr, und folglich kann Petrus vorher die Glückseligkeit nicht erlangen.
  • Wilhelm von Ockham: Summe der Logik (Summa logicae) I 15

    Wilhelm von Ockham (1285-1308) über weitere Implikationen der Schöpfung aus dem Nichts
    Dass kein Universale eine extramentale Substanz ist, kann mit Evidenz bewiesen werden. [...] Wenn diese Meinung wahr wäre, dann könnte kein Individuum erschaffen werden, wenn bereits irgendein Individuum existieren würde. Denn es empfinge das Sein nicht vollständig aus dem Nichts, wenn das Universale, das in ihm ist, vorher bereits in einem anderen da war.
  • Duns Scotus, Johannes: Autorisierte Mitschrift der Pariser Vorlesung (Reportatio Parisiensis examinata) Buch I, 42. Distinktion, 2. Frage, Nr. 5, 7, 22, 24 und 27

    Johannes Duns Scotus (ca. 1265-1308) über eine theologische Anfrage an die Philosophie:
    Ich frage: Kann Gott kraft seiner Allmacht alles Mögliche unmittelbar hervorbringen?
    Es sieht nicht danach aus. Dann [...] nämlich könnte Gott ein Subjekt ohne die ihm eigentümliche Eigenschaft hervorbringen; und somit könnte es ohne eigentümliche Eigenschaft existieren und gewusst werden. Infolgedessen gäbe es im Bereich des Seienden kein Wissen schlechthin. [...]
    Ich antworte und sage, dass sich zwar, wenn wir den Prinzipien der Philosophen folgen, nicht halten lässt, dass Gott auf Grund seiner Allmacht unmittelbar alles Mögliche hervorbringen kann [...]. Dennoch behaupte ich, dass es sich so verhält, und zwar gemäß dem Glauben, durch welchen wir mit den Philosophen über die Prinzipien unterschiedlicher Meinung sind und infolgedessen auch über die Schlussfolgerung. [...] Auch dieser Satz „Was immer Gott durch eine vermittelnde Wirkursache vermag, vermag er auch unmittelbar durch sich“, ist nicht selbstevident, sondern wird nur durch den Glauben besessen. Wenn wir jedoch von absoluten möglichen Seienden sprechen, behaupte ich, dass Gott jedwedes Absolute durch sich hervorbringen kann. [...] Notwendigerweise besitzt jedes Absolute, was real von anderem unterschieden ist, eine unterschiedene Seiendheit, die nicht von anderem wesentlich abhängt. Folglich kann es für sich sein und gemacht werden, ohne irgendeine Beziehung auf ein anderes. [...]
    Zum zweiten Argument sage ich: Wer immer weiß, dass eine absolute Eigenschaft ihrem Subjekt zukommt, weiß das zwar sicher, aber nicht immer oder allgemein. Dann nämlich würde er etwas Falsches wissen, weil die Eigenschaft nicht immer unmittelbar ihrem Subjekt als ihrer Ursache zukommt, der sie ihr Entstehen verdankt. Er weiß aber nur, dass es sich meistens so verhält, denn meistens entsteht eine Eigenschaft aus den Prinzipien ihres Subjekts aber nicht immer.
  • Wilhelm von Ockham: Verschiedene Probleme (Quodlibet ) VI q. 1; p. 68

    Wilhelm von Ockham unterscheidet zwischen der geordneten und der absoluten Macht Gottes
    Gott kann jedes für sich Bestehende, das von einem anderen unterschieden ist, von ihm abtrennen und ohne dieses im Sein erhalten. [...] Gott kann gewisse Dinge nach seiner geordneten Macht tun und einige nach seiner absoluten Macht. [...] ,Etwas könnenʻ wird manchmal im Blick auf die von Gott geordneten und erlassenen Gesetze verstanden. Dann wird gesagt, Gott könne das gemäß der geordneten Macht tun. Anders wird ,könnenʻ verstanden als all das machen können, was keinen Widerspruch in sich trägt – unabhängig davon, ob Gott angeordnet hat, dass er dies tun werde oder nicht. Denn Gott kann [...] vieles machen, was er nicht machen will. Hiervon heißt es, das mache Gott gemäß der absoluten Macht.
  • Duns Scotus, Johannes: Ordinatio (Ordinatio) III d. 37 q. un. nr. 18. 20. 25

    Johannes Duns Scotus schränkt die Reichweite naturgesetzlicher Vorschriften ein
    Von einigem kann man sagen, es gehört zum Naturgesetz [...] gleichsam als erste praktische Prinzipien, die aus ihren Begriffen selbst bekannt sind, oder notwendig folgende Konklusionen. [...] Es folgt notwendig: Wenn es Gott gibt, ist er als Gott zu lieben, und dass nichts anderes gleich wie ein Gott zu verehren ist und dass Gott Ehrfurcht zu erweisen ist. Und folglich kann Gott in diesen Bereichen nicht dispensieren, so dass jemand erlaubterweise das Gegenteil des so Verbotenen tun darf. [...] Auf andere Weise wird von einigem gesagt, es gehöre zum Naturgesetz, weil es sehr gut zu diesem Gesetz stimmt, obwohl es nicht notwendig aus den praktischen Prinzipien folgt
  • Wilhelm von Ockham: Fragen zum 2. Buch der Sentenzen (In II Sententiarum ) q. XV / 5 p. 352f.

    Wilhelm von Ockham argumentiert für die Autonomie Gottes von moralischen Vorschriften
    Obwohl Hass, Diebstahl, Ehebruch und Ähnliches nach dem allgemeinen Gesetz mit einem schlechten Umstand verbunden sind, insofern sie von jemandem ausgeführt werden, der durch göttliches Gebot zum Gegenteil verpflichtet ist, können sie trotzdem [...] von Gott ohne Verbindung mit irgendeinem schlechten Umstand ausgeführt werden. Und sie können auch vom Pilger [d.h. vom Menschen] verdienstvoll ausgeführt werden, wenn sie unter ein göttliches Gebot fielen. [...] Der geschaffene Wille wird durch ein Gebot Gottes zur Gottesliebe verpflichtet, und daher kann er, solange dieses Gebot gilt, Gott nicht auf gute Weise hassen oder einen Akt des Hasses verursachen. [...] Aber wie Gott einen Akt der Liebe schlechthin ohne moralische Güte oder Schlechtigkeit verursachen kann, weil moralische Güte oder Schlechtigkeit meinen, dass der Handelnde zu diesem Akt oder seinem Gegenteil verpflichtet ist, so kann er einen Akt des Gotteshasses schlechthin ohne jegliche Schlechtigkeit verursachen
  • Gregor von Rimini : Kommentar zum 2. Buch der Sentenzen des Petrus Lombardus d. 34-37, Art. 2

    Der Ockham-Gegner Gregor von Rimini (ca. 1300-1358) betont, dass moralische Regeln selbst gelten würden, wenn es Gott nicht gäbe
    Wenn gefragt werden sollte, warum ich eher uneingeschränkt von ,gegen die rechte Vernunft‘ spreche, als eingeschränkt von ,gegen die göttliche Vernunft‘, so antworte ich: Damit nicht der Eindruck entsteht, dass die Sünde schlechterdings gegen die göttliche Vernunft und in Bezug auf dasselbe nicht gegen jede rechte Vernunft verstoße [...]; denn wenn – gesetzt den unmöglichen Fall – es die göttliche Vernunft oder Gott selbst nicht gäbe oder jene Vernunft irren würde, würde immer noch sündigen, wer gegen die engelhafte oder menschliche oder eine andere rechte Vernunft (wenn es sie gäbe) handelt. Und wenn es ganz und gar keine rechte Vernunft gäbe, würde immer noch sündigen, wer gegen das handelt, was irgendeine rechte Vernunft – wenn es sie gäbe – als zu tun diktierte.
  • Gregor von Rimini : Kommentar zum 2. Buch der Sentenzen des Petrus Lombardus d. 34-37, Art. 2

    Mithilfe einer Unterscheidung erklärt Gregor von Rimini, wieso es stets eine Sünde ist, Gott zu hassen
    [1] ,Verbot‘ kann auf zwei Weisen verstanden werden, und ebenso ,Gebot‘ und ,Gesetz‘ [...], so dass nämlich einerseits vom indikativischen und andererseits vom imperativischen [Gebot bzw. Gesetz] gesprochen wird.
    [2] Indikativisch ist dasjenige, durch das lediglich angezeigt wird, dass etwas nicht zu tun ist, oder etwas anderes, woraus folgt, dass es nicht zu tun ist, wie wenn angezeigt wird, etwas sei ungerecht oder schlecht. [...] Ich nenne es aber indikativisch, weil es im Wortlaut durch ein Verb im Indikativ ausgedrückt wird. [...] Hieraus ist klar, dass jede Erkenntnis, die ein Mensch über das hat, was zu tun oder zu vermeiden ist, irgendwie Gebot oder Verbot genannt wird und folglich eine indikativische oder ausgesprochene Erkenntnis.
    [3] Imperativisch nenne ich aber dasjenige, wodurch jemandem befohlen wird, etwas zu tun oder nicht zu tun, und dies wird durch ein Verb im Imperativ ausgedrückt. [...]
    [4] Wenn man auf die erste Weise von einem Verbot spricht [...], sage ich [...], dass es unmöglich ist, dass irgendwelche Sünden nicht von Gott verboten sind. [...] Wenn aber von einem Verbot im zweiten Sinn gesprochen wird [...], ist und war es möglich für Gott, niemandem irgendeinen derartigen Befehl zu geben [...]; jedoch würde jemand, wenn denn auch nichts so verboten wäre oder gewesen wäre, immer noch gewiss sündigen [...], wenn er Gott hassen würde.
  • Marsilius von Padua : Der Verteidiger des Friedens (Defensor pacis ) I 12, p. 66f.

    Marsilius von Padua (ca. 1275/90 - 1342/3) macht die Gesamtheit der freien Bürger zu Gesetzgebern
    [1] Nur bei dem liegt die Autorität der Gesetzgebung, durch den die erlassenen Gesetze besser oder überhaupt eingehalten werden. Dieser aber ist nur die Gesamtheit der Bürger; ihr kommt also die Autorität der Gesetzgebung zu.
    [2] Der erste Satz dieses Beweises kommt den aus sich selbst klaren sehr nahe; denn das Gesetz wäre untätig, wenn es nicht eingehalten würde. [...] Den zweiten Satz beweise ich: Denn das Gesetz wird von jedem der Bürger am besten eingehalten, von welchem jeder meint, er habe es sich selbst auferlegt; so ist ein Gesetz, das durch Anhörung und Gebot der gesamten Menge der Bürger erlassen wurde. Der erste Satz dieses Vorsyllogismus erscheint gleichsam von selbst; denn weil ,die Bürgerschaft eine Gemeinschaft von Freien‘ ist, wie in [Aristoteles,] Politik III 4 geschrieben steht, muss jeder Bürger frei sein und darf die Despotie, d.h. die Sklavenherrschaft eines anderen nicht ertragen.
  • Wilhelm von Ockham: Dialog (Dialogus) III 1, 2, c. 6

    Wilhelm von Ockham (ca. 1285-1347) erläutert Aristoteles‘ Konzept der Monarchie
    [1] ,Eine königliche Alleinherrschaft‘ ist nach Aristoteles, Nikomachische Ethik VIII, die beste [Verfassung] gemäß der Art und Weise von ihm [dem Herrscher] selbst [...] [d.h.], wenn jemand in einem Königreich nicht gemäß einem Gesetz, sondern gemäß seinem Willen regiert und herrscht [...], der wegen des Gemeinwohls aller herrscht und von keinen menschlichen, rein positiven Gesetzen oder Gewohnheiten gebunden ist, sondern über derartigen Gesetzen steht, wenn er auch an die natürlichen Gesetze gebunden ist. [...] Er unterscheidet sich aber von einer despotischen Herrschaft, weil die despotische Herrschaft primär auf das eigene Wohl des Herrschenden gerichtet ist.
    [2] Aber jemand, der in einer vorher beschriebenen königlichen Herschaft herrscht, kann die Untertanen und ihre Güter nicht gebrauchen, wie es ihm nur beliebt. [...] Und daher sind sie keine Knechte von ihm, sondern erfreuen sich der natürlichen Freiheit, denn zur natürlichen Freiheit gehört es, dass man keine Freien für den Nutzen des Benutzers gebrauchen kann. Aber es widerspricht der natürlichen Freiheit nicht, dass jemand die Freien vernunftgestützt für das Gemeinwohl gebraucht, denn jeder ist verpflichtet, das Gemeinwohl dem privaten vorzuziehen.
  • Wilhelm von Ockham: Dialog (Dialogus) 1, 1, c. 5

    Wilhelm von Ockham plädiert für die Einschränkung der Macht des Papstes
    [1] Das christliche [...] Gesetz ist von der Einsetzung durch Christus her ein Gesetz der Freiheit im Vergleich zum alten Gesetz, welches im Vergleich zum neuen Gesetz ein Gesetz der Knechtschaft war. Aber wenn der Papst von Christus her eine solche Fülle von Macht hätte, dass er alles dürfte, was weder gegen das göttliche Gesetz noch gegen das Naturgesetz ist, wäre das christliche Gesetz von der Einsetzung durch Christus her ein Gesetz von unerträglicher Knechtschaft und von viel größerer Knechtschaft als das alte Gesetz. Also hat der Papst nicht von Christus her eine solche Fülle der Macht sowohl im Geistlichen als auch im Zeitlichen [...].
    [2] Denn wenn das der Fall wäre, wären alle Christen Knechte, und keiner wäre von freier Beschaffenheit [...], in der Weise, dass der Papst die Könige und alle anderen Christen ihrer Königreiche und aller Dinge berauben könnte, die Könige und Fürsten allen anderen unterwerfen und sie zu deren Knechten machen. Denn dies und Ähnliches ist weder gegen das göttliche Gesetz noch gegen das Naturgesetz. [...] Hieraus folgt, dass die genannte Meinung über die Fülle der Macht des höchsten Priesters nicht nur als falsch, sondern auch als häretisch eingeschätzt werden muss.
  • Cajetan, Thomas de Vio: Kommentar zur Summe der Theologie (Commentarium in Summam theologiae ) I-II, 96, 4 und 5, § 5

    Kardinal Thomas de Vio Kajetan (1469-1534) zeigt, inwiefern das Gewissen des Herrschers an seine eigenen Gesetze gebunden ist
    [1] Das positive Gesetz [...] macht indifferente Handlungen zu tugendhaften oder lasterhaften [...]; wenn es die Bezahlung von Zoll (gabella) verlangt, unterstellt es diese Handlung der Gerechtigkeit; wenn es einen Gottesdienst vorschreibt, unterstellt es ihn der Frömmigkeit; [...] und daher wird jemand, so wie er im Forum des Gewissens zu tugendhaften Handlungen angehalten ist [...] und sich nicht durch Furcht entschuldigen kann, usw., ebenso auch nicht von der Ungerechtigkeit, dem Sakrileg usw. entschuldigt, die er, wenn es von einem Gesetz so festgelegt wurde, verachtet, begeht usw. [...]
    [2] Weil der Herrscher dem Gesetz nicht anders als im Hinblick auf Gott unterliegt – das ist dasselbe wie zu sagen, er unterliege dem Gesetz im Forum des Gewissens –, hat das Gesetz aus demselben Grunde die Kraft, den Herrscher zu verpflichten, aus dem es die Kraft hat, im Forum des Gewissens zu verpflichten. Wie aber in Artikel 4 gesagt wurde, hat das Gesetz verpflichtende Kraft im Forum des Gewissens vom ewigen Gesetz, aus dem es abgeleitet wird.
  • Cajetan, Thomas de Vio: Kommentar zur Summe der Theologie (Commentarium in Summam theologiae ) I-II, 96, 5, § 7

    Kajetan bindet jedes menschliche Gesetz an das göttliche Gesetz zurück
    Genau daraus nämlich, dass der Herrscher willentlich das Gesetz verkündet, will er, dass die Anordnung Gesetzeskraft hat. Und weil ,eine Anordnung erhält Gesetzeskraft‘ soviel heißt wie ,vom ewigen Gesetz geht eine Leitungskraft im Forum des Gewissens aus‘, dem auch der Herrscher untergeben ist, daher hat das menschliche Gesetz aus dem eigenen Willen des Herrschers und aus dem ewigen Gesetz verpflichtende Kraft für den Herrscher im Forum des Gewissens – wenn auch auf verschiedene Weise: vom ewigen Gesetz her als von der ewigen Ursache, von der die verpflichtende Kraft von derartigem stammt; vom Willen des Herrschers aber wie von etwas, das die universale Ursache zu einer speziellen Wirkung näher bestimmt.
  • Hölderlin, Friedrich : Lebenslauf Zweite Fassung

    Friedrich Hölderlin umschreibt die Zentralität von Freiheit in den Wechselfällen des Lebens
    Lebenslauf
    Größeres wolltest auch du, aber die Liebe zwingt
    All uns nieder, das Leid beugt gewaltiger,
    Doch es kehret umsonst nicht
    Unser Bogen, woher er kommt.

    Aufwärts oder hinab! herrschet in heiliger Nacht,
    Wo die stumme Natur werdende Tage sinnt,
    Herrscht im schiefesten Orkus
    Nicht ein Grades, ein Recht noch auch?

    Dies erfuhr ich. Denn nie, sterblichen Meistern gleich,
    Habt ihr Himmlischen, ihr Alleserhaltenden,
    Daß ich wüßte, mit Vorsicht
    Mich des ebenen Pfads geführt.

    Alles prüfe der Mensch, sagen die Himmlischen,
    Daß er, kräftig genährt, danken für alles lern,
    Und verstehe die Freiheit,
    Aufzubrechen, wohin er will
  • Auctores varii: Brief der Magister aus Toulouse an die allgemeinen Studienorte, die an (Epistola transmissa a magistris Tholosanis ad univ) in: Johannis de Garlandia De triumphis ecclesiae, p. 96f.

    Ein Werbeschreiben für die Universität Toulouse (2. Viertel d. 13. Jahrhunderts)
    [1] Allen an Christus Gläubigen und vor allem den Magistern und Studenten, die sich überall auf der Welt bemühen [...] wünscht die Gesamtheit (universitas) der Magister und Studenten, die das Studium in Toulouse neu verwurzeln, ein Fortdauern des guten Lebens mit einem guten Ausgang. [...]. Viele Studenten kommen in Toulouse zusammen, da sie sehen, dass die Blumen in unserem Land schon erschienen sind. [...]
    [2] Und daher soll unseren neuen Achill, der für die Philosophie streitet, keine Deidamia aufhalten, ein zweites Troja zu betreten, über das Status aus Toulouse aufs Neue das Folgende sagen könnte: Alle Ehre ist hier, hier streiten gewaltige Namen; [...] Und verhasst ist bei Gott, wen nur diese heutige Ehre Untätig verlässt. Jeder Redliche soll daher den mutigen Achill anziehen, damit nicht der kleingeistige Thersites den Lorbeer in Beschlag nimmt, der dem großherzigen Aias versprochen war. [...]
    [3] Denn hier lehren Theologen [...] die Schüler, erziehen Logiker in den Künsten die Zöglinge des Aristoteles erziehen, verwandeln Grammatiker die Sprache der Stotternden in geregeltes Maß, erweichen Organisten die Ohren des Volkes durch eine Ogel von honigartiger Kehle; Juristen erheben den Justinian, und an ihrer Seite verkünden Mediziner den Galen.
    [4] Die naturwissenschaftlichen Bücher, die in Paris verboten waren, werden hier diejenigen erklärt bekommen können, die den Busen der Natur besser erkunden wollen. Was also fehlt Euch? Studentische Freiheit? Keineswegs! Denn niemandes Zügeln unterworfen, werdet ihr Euch am eigenen Willen erfreuen.
  • Lambert von Hersfeld : Chronik (Lamperti annales ad annum 1073) 1073, S. 152

    Die sächsischen Stände formulieren im Jahre 1073 Forderungen an den deutschen König Heinrich IV.
    Sie fordern [...], dass er ihnen, die Gerechtes fordern, dies bereitwillig gewähre. [...] Wenn er dies tue, würden sie ihm, wie bisher, mit dem allerwilligsten Geist dienen, jedoch auf die Weise, auf welche einen Rechtstitel habende und in einem freien Reich geborene Menschen einem König dienen müssten; [...] wenn er gerecht, wenn er gesetzmäßig, wenn er nach der Sitte der Vorfahren die Dinge anleitete; wenn er zuließe, dass auch ihr Stand, ihre Würde, ihre Gesetze sicher und unverletzt bestehen blieben. [...] Wenn er dies [...] einmal verletzt hätte, dann würden sie schließlich, gleich wie gegen einen barbarischen Feind und einen Unterdrücker des christlichen Namens, einen gerechten Krieg führen und, solange der letzte Funken Lebenswärme übrig sei, für die Kirche Gottes, für den christlichen Glauben, und auch für ihre eigene Freiheit kämpfen.
  • Johann Ohneland (König von England): Große Urkunde der Freiheiten (Magna carta libertatum) § 1

    Der englische König Johann ohne Land sichert schriftlich zu, die angestammten Freiheiten seiner Untertanen zu wahren (1215)
    Johannes, von Gottes Gnaden König von England [...] [sagt, wir] habe[n] mit unserem vorliegenden Brief bestätigt [...], dass die englische Kirche frei sei, ihre Rechte unversehrt und ihre Freiheiten unverletzt besitze [...]. Das zeigt sich darin, dass wir die Freiheit der Wahlen, die für die englische Kirche sehr groß und allzu notwendig erachtet wird, mit reinem und bereitem Willen [...] beachten werden und wollen mit voller Überzeugung, dass sie von unseren Erben in Ewigkeit beachtet wird. Wir haben auch allen freien Menschen unseres Königreichs, für uns und unsere Erben in Ewigkeit, alle untenstehenden Freiheiten zum Besitzen und Behalten zugestanden, für sie und ihre Erben.
  • Urban II. (Papst) : Dekret des Gratian (Decretum Gratiani ) II 19 q. 2

    Papst Urban II. (1035-1099) über Freiheit als Grundbedingung des mittelalterlichen Menschen
    Zwei Gesetze [...] gibt es, ein öffentliches und ein privates; öffentlich ist das Gesetz, das von den heiligen Vätern geschrieben und festgesetzt wurd, z.B. das kanonische [d.h. das kirchliche] Recht. [...] Das private Gesetz aber, das eingesetzt wurde vom heiligen Geist, ist im Herzen geschrieben. [...] Jeder also, der von diesem Geist geführt wird, selbst wenn sein Bischof ihm widerspricht, soll mit unserer Autorität frei gehen. Für den Gerechten wurde nämlich kein Gesetz erlassen, und ,wo der Geist des Herrn ist, da ist die Freiheit‘ (2 Korinther 3, 17), und wenn ihr vom Geist Gottes geführt werdet, steht ihr nicht mehr unter einem Gesetz.
  • Boethius, Anicius Manlius Severinus: Der Trost der Philosophie (Consolatio philosophiae ) V, Prosa 3, 1-3. Prosa 4, 1

    Boethius (ca. 480-524) weist auf das philosophische Problem der Providenz Gottes hin: „Boethius: Wieder werde ich durch eine noch schwierigere Zweideutigkeit verwirrt
    Boethius: Wieder werde ich durch eine noch schwierigere Zweideutigkeit verwirrt.
    Philosophie: Welche […] ist das denn?
    Boethius: Es scheint sich allzu sehr zu widersprechen und einander entgegenzustehen, dass Gott alles vorherweiß und dass es irgendein Urteil in Freiheit gibt. Denn wenn Gott alles vorhersieht und sich auf keine Weise irren kann, dann ist das notwendig, was er durch die Vorsehung als zukünftig vorhergesehen hat. Wenn er daher seit ewigen Zeiten nicht nur die Taten der Menschen, sondern auch ihre Überlegungen und Willenstendenzen vorhersieht, dann gibt es folglich keine Freiheit. […]
    Philosophie: Das ist die alte und von Marcus Tullius Cicero […] heftig betriebene Frage nach der Vorsehung
  • Hölderlin, Friedrich : An die Eichbäume .

    Friedrich Hölderlin umschreibt die Zentralität von Freiheit in den Wechselfällen des Lebens:
    „Aus den Gärten komm’ ich zu Euch, Ihr Söhne des Berges,
    aus den Gärten, da lebt die Natur geduldig und freundlich,
    pflegend und wieder gepflegt mit den fleißigen Menschen zusammen.
    Aber ihr, ihr Herrlichen, steht, wie ein Volk von Titanen,
    in der zahmeren Welt und gehört nur Euch und dem Himmel,
    der euch nährt und erzog, und der Erde, die euch geboren.
    Keiner von Euch ist noch in die Schule der Menschen gegangen,
    und ihr drängt Euch, fröhlich und frei, aus der kräftigen Wurzel,
    untereinander herauf und ergreift, wie der Adler die Beute,
    mit gewaltigem Arme den Raum, und gegen die Wolken
    ist euch, heiter und groß, die sonnige Krone gerichtet.
    Eine Welt ist jeder von euch, wie die Sterne des Himmels,
    lebt ihr, jeder ein Gott, in freiem Bunde zusammen.
    Könnt ich die Knechtschaft nur erdulden, ich neidete nimmer
    diesen Wald und fügte mich gerne ins gesellige Leben.
    Fesselte nur nicht mehr ans gesellige Leben das Herz mich,
    das von Liebe nicht lässt, wie gern würd ich unter euch wohnen“.
  • Mirandola, Giovanni Pico della: Die Würde des Menschen (De dignitate hominis) Anfang, 131r

    Giovanni Pico della Mirandola entwirft, auf Grundlagen aus Spätantike und Mittelalter, ein Menschenbild aus der Perspektive der Renaissance <br /><br /> Giovanni Pico della Mirandola betont die Würde des Menschen, welche die Engel neidisch macht (VL Freiheit)
    [1] Ehrwürdige Väter! In den Schriften der Araber habe ich gelesen, der Sarrazene Abdallah habe auf die Frage, was auf dieser „Bühne der Welt“ am meisten zu bewundern sei, geantwortet, dass nichts bewundernswerter erscheine als der Mensch. Zu dieser Aussage stimmt das Wort des Hermes Trismegistos: ,Ein großes Wunder, o Asklepios, ist der Mensch‘. […]
    [2] Warum sollen wir nicht die Engel selbst und die seligsten Chöre des Himmels mehr bewundern? Endlich habe ich den Eindruck, verstanden zu haben, warum der Mensch das allerglücklichste, ja jeder Bewunderung würdiges Lebewesen ist, und was schließlich der Zustand sei, den er in der Reihung des Alls erhalten hat, der nicht nur den Tieren, sondern den Sternen, sondern den überweltlichen Verständen Neid erregt.
  • Mirandola, Giovanni Pico della: Die Würde des Menschen (De dignitate hominis) 131r

    Giovanni Pico della Mirandola beschreibt den Menschen als Bildhauer seiner selbst <br /><br /> Giovanni Pico della Mirandola findet diese Würde in der Freiheit
    [1] So beschloss der beste Werkmeister, dass der, dem er nichts Eigenes mehr geben konnte, an allem zugleich teilhätte, was den Einzelnen sonst je für sich zugeteilt war.
    [2] Also [...] sprach er zu ihm: ,Keinen festen Ort haben wir Dir zugewiesen und kein eigenes Aussehen, wir haben Dir keine spezielle Gabe verliehen, damit Du, o Adam, den Ort, das Aussehen, die Gaben, die Du Dir wünschst, nach eigenem Ermessen erhalten und besitzen sollst.
    [3] Die bestimmte Natur der übrigen Wesen wird von Gesetzen eingegrenzt, die wir vorgeschrieben haben. Du sollst Deine Natur, von keinen Beschränkungen eingegrenzt, nach Deiner Entscheidung, in deren Hand ich Dich gegeben habe, Dir selbst vorschreiben [...], damit Du Dich, gleichsam als entscheidender und ehrenvoller Bildhauer und Gestalter Deiner selbst, in der Weise bildest, die Du lieber willst‘.
  • Platon: Die Gesetze (Platon) (Nomoi) 874e-875e

    Historisch gesehen, entstammt das Konzept der Freiheit dem politischen Bereich, wie Platon zeigt, wenn er den freien Menschen als einen wissenden versteht, der genau deswegen herrschen und nicht untertan sein muss
    [1] Es ist notwendig, den Menschen Gesetze zu geben und gemäß Gesetzen zu leben oder sich in nichts von den allerwildesten Tieren zu unterscheiden [...], denn die Natur keines Menschen ist ausreichend fähig, das den Menschen Zuträgliche für die Staatsführung zu erkennen und, wenn es sie erkennt, das Beste immer zu vermögen und tun zu wollen.
    [2] Denn erstens ist es schwierig zu erkennen, dass mit der politischen und wahren Fertigkeit nicht das Eigene, sondern das Gemeinschaftliche betrieben werden muss [...]; zweitens aber wird gewiss niemand, wenn er nun die Erkenntnis hinreichend verstanden hat, dass dies so ist, und dann nicht rechenschaftspflichtig und als eigener Herr eine Stadt regiert, an dieser Lehre jemals festhalten können.
    [3] Wenn daher einer der Menschen, als hinreichender durch göttliches Schicksal entstanden, dies aufzunehmen fähig wäre, würde er keinerlei Gesetze benötigen, die ihn beherrschten. Denn weder ein Gesetz noch eine Ordnung ist stärker als Wissen, und Recht ist auch nicht Recht, dass der Geist jemandes Untertan oder Diener ist, sondern dass er alle beherrscht, wenn er von Natur aus ganz wahrhaft und frei ist.
  • Proklos : Platonische Theologie (Theologia Platonica ) I 2

    Der Aufstieg des Philosophen nach Proklos <br /><br />Proklos schildert eine typisch spätantike Vorstellung des Aufstiegs der Seele zur ersten Ursache durch mehrere Stufen, welche Teildisziplinen der Philosophie entsprechen
    [1] Der Hörer der vorliegenden Lehren soll geordnet sein durch die ethischen Tugenden und alle unedlen und unstrukturierten Bewegungen durch den Gehalt der Tugend gebunden haben. [...]
    [2] Er soll in allen logischen Zugängen geübt sein und viele unwiderlegbare Gedanken über die Analysen, viele auch über die diesen entgegengesetzten Dihairesen betrachtet haben. [...]
    [3] Drittens soll er neben diesen auch nicht ungeschult in der Physik sein und in deren vielgestaltigen Ansichten, damit er, wenn auch in den Abbildern, auf die richtige Weise die Ursachen des Seienden untersucht hat. [...]
    [4] Fest soll er die Auslegung der göttlichen seligen Lehren berührt haben [...], indem er sich mit unerschüttertem Verstand und der Kraft des unermüdlichen Lebens zum göttlichen Licht hindrängt.
  • Proklos : Die Existenz des Bösen (De malorum subsistentia) III, § 48/IV, § 54

    Proklos‘ Erklärung des Bösen unterscheidet sich deutlich von der Plotins, insofern hier die Aktivität der Dämonen und Seelen, nicht aber die indirekte Wirkung der Materie betont wird
    [1] Die Wirkursachen des Bösen sind also diejenigen, die sich selbst ins Böse führt, wie die Dämonen und die Seelen, die ihnen aus freier Wahl gehorchen. [...] Also ist das Böse an sich untätig und machtlos. [...]
    [2] Aber so wie sie nach Bösem streben, das ihnen gut scheint und wie für sie das Böse etwas scheinbar Gewolltes ist – das sagen wir wegen der Beimischung von Guten – so gibt es auch auf scheinbare Weise im Bösen Kraft und Aktivität, freilich nicht an sich und auch nicht qua Böses, sondern von dem Äußeren her, an dem es als Zusatz besteht.
  • Proklos : Vierter Hymnos des Proklos (hymni) .

    Ein Philosophenhymnus des Proklos an alle Götter
    Höret, ihr Götter, die ihr die Ruder der Weisheit hoch haltet,
    die ihr das Feuer berührt, das sterbliche Seelen hinaufführt,
    Lasst sie die Unsterblichen schauen, verlassend die finstere Höhle,
    rein geworden und frei durch unsagbare Weihen und Hymnen.
    Hört, große Retter, und aus hochheiligen Büchern erlaubt mir
    zu schaun das ehrwürdige Licht, indem ihr den Nebel zerstiebet,
    dass ich unsterblich erkenne den Gott und den Menschen.
    Nicht soll mich im Strom des Vergessens, wo ich von den Seligen fern bin,
    stets ein Dämon besitzen, Verderbliches wirkend,
    noch eine grausame Strafe mit Lebensfesseln einst zwingen
    meine nicht wollende Seele, aus blutigem Stamme gewachsen,
    wogenumtoset umher auf ewig verlassen zu schweifen.
    Sondern, ihr Götter und Herrscher der leuchtenden Weisheit,
    hört mich und lasset erscheinen auf hohem Pfad dem Bedrängten
    Feste und heilige Weihen aus alterhwürdigen Mythen.
  • Gregor von Nazianz: Oratio 27 (Orationes) Sources chrétiennes 250, 76f.

    Der christliche Denker Gregor von Nazianz diskutiert die Bedingungen des „Philosophierens über Gott“ <br /><br /> Der kappadokische Vater Gregor von Nazianz bemüht sich, indem er Bedingungen des ,Philosophierens über Gott‘ nennt, dieses als Aktivität einer Elite innerhalb des Christentums darzustellen, die sich – auf eine ähnliche (vom Platonismus inspirierte) Weise, wie es Proklos schildert – auf einen solchen Aufstieg besonders vorbereiten kann
    Nicht Sache eines jeden, o ihr Anwesenden, ist das Philosophieren über Gott, nicht eines jeden. Diese Sache ist nicht so wohlfeil und zum niedrig Gehenden gehörig. Ich will hinzufügen: Weder überall, noch für alle, noch alles davon, sondern manchmal, und für bestimmte Leute, und bis zu einem gewissen Grad. [Sie ist] nicht Sache von allen, denn sie gehört den Geübten, den in der Theorie Fortgeschrittenen, die auch hiervor die Seele und den Körper gereinigt haben oder ihn reinigen, um das wenigste zusagen. ,Ein Unreiner nämlich berührt das Reine‘ (Platon, Phaidon 67b) zufällig und ohne Gewissheit, so wie auch die schwache Sehkraft nicht den Sonnenstrahl. [...] Man muss sich nämlich für das Seiende Ruhe nehmen und Gott erkennen. [...] Wer aber soll philosophieren, und bis zu welchem Grad? Soweit es für uns erreichbar ist und soweit die Disposition und Kraft des Hörenden gelangt.
  • Gregor von Nyssa: Predigten zum Buch Kohelet (Homiliae in Ecclesiasten) Gregorii Nysseni Opera 7, p. 406

    Der christliche Theologe Gregor von Nyssa über die Gotteserkenntnis <br /><br /> Gregor von Nyssa, der als der bedeutendste Denker unter den Kappadokiern gilt, entwickelt – in einer Interpretation des biblischen ,Prediger Salomos‘ – christliche Vorstellungen einer mystischen Gotteserkenntnis, in der sich die Ideen von Gott als dem Seienden und als dem Über-Seienden verbinden
    Die folgende Entwicklung des Arguments führt die Seele zu etwas Größerem, zur Philosophie über das Seiende. Sie zeigt nämlich, dass alles miteinander verbunden ist und dass die Harmonie des Seienden keine Auflösung kennt, sondern dass es eine Art Zusammenatmen von allem miteinander gibt. [...] Im Sein bleibt aber alles, was durch die Kraft des wahrhaft Seienden beherrscht wird. Das wahrhaft Seiende ist aber die Güte selbst oder irgendeine noch höhere Bezeichnung, die sich vielleicht jemand für die unsagbare Natur ausdenkt.
  • Gregor von Nyssa: Gegen die Griechen aus den allgemeinen Einsichten (Ad Graecos ex communibus notionibus) p. 19; 23; 24

    Während die Kappadokier erläutern, warum ein Gott korrekterweise in drei Personen bestehen kann, begründen sie die modernen Begriffe ,Person‘ und ,Individuum‘, wie sich an diesem Text Gregor von Nyssas zeigt
    [1] Wenn der Name ,Gott‘ eine Person [wörtl.: Gesicht, Maske] bezeichnen würde, würden wir, wenn wir von drei Personen sprechen, notwendigerweise drei Götter aussagen. Wenn aber der Name ,Gott‘ eine Substanz bezeichnend ist, dann legen wir richtig einen Gott als Dogma fest, weil wir eine Substanz der heiligen Trinität bekennen. [...]
    [2] Wenn aber jemand sagen sollte, dass wir Peter und Paul und Barnabas als drei einzelne Substanzen bezeichnen – denn dies sei die eigentümlichere Begriffsverwendung –, mag er wissen, dass wir, wenn wir von einer einzelnen Substanz, d.h. einer speziellen, sprechen, wir nichts anderes bezeichnen wollen als ein Individuum, was dasselbe ist wie eine Person. [...]
    [3] Aber über die heilige Dreifaltigkeit [...] müssen [...] immer dieselben Personen und nicht jeweils andere ausgesagt werden, weil sie sich gleich und ebenso verhalten und weder eine Hinzufügung zu einer Vierzahl noch eine Veränderung zu einer Zweizahl aufnehmen. Denn weder entsteht aus dem Vater noch aus irgendeiner der [drei göttlichen] Personen eine andere Person oder geht [aus ihm] hervor, noch endet eine dieser drei Personen jemals.
  • Evagrios Pontikos : Gnostikos (Gnostikos) Capita 1-3

    Evagrios Pontikos (ca. 345-399) definiert das Christentum <br /><br /> Evagrios Pontikos, der die philosophische Darstellung des Christentums bei Origenes und den Kappadokiern für das Mönchstum aufarbeitet, regt seine Leser an, das Christentum als Verbindung philosophischer Disziplinen zu begreifen
    1. Das Christentum ist die Lehre von unserem Erlöser Christus, die aus der praktischen, der physischen und der theologischen Disziplin besteht.
    2. Das ,Königreich der Himmel‘ (Matthäus 13, 11) ist die Leidensfreiheit der Seele verbunden mit wahrer Erkenntnis alles Seienden.
    3. Das ,Königreich Gottes‘ (Markus 4, 11)* ist die Erkenntnis der heiligen Trinität, die mit der Zusammenstellung des Geistes gemeinsam ausgedehnt ist und seine Unzerstörbarkeit überragt.

    *Beide Bibelstellen sind exakte Parallelen, an denen die Evangelisten nur andere Ausdrücke für das Reich Gottes wählen.
  • Augustinus von Hippo: Bekenntnisse (Confessiones) I 1

    Augustinus über die Grundlagen seines Strebens zu Gott
    Groß bist Du Gott, und sehr zu loben. Groß ist Deine Kraft, und Deine Weisheit hat kein Ende. Und der Mensch will Dich loben, irgendein Teil Deiner Schöpfung, und der Mensch, der seine Sterblichkeit herumträgt, der das Zeugnis seiner Sünde umherträgt und das Zeugnis, dass Du ,den Hochmütigen widerstehst‘ (Jakobus 4, 6). Und doch will Dich der Mensch loben, irgendein Teil Deiner Schöpfung. Du regst an, dass es Freude bereitet, Dich zu loben, denn Du hast uns auf Dich hin geschaffen, und unruhig ist unser Herz, bis es ruht in Dir. [...] Aber wer ruft Dich an, der Dich nicht kennt? Denn wer nicht kennt, kann etwas anderes anstelle von etwas anrufen. Oder wirst Du eher angerufen, damit Du gekannt wirst? Wie wird man aber jemand anrufen, an den man nicht geglaubt hat? Oder wie glaubt man ohne Verkündiger? [...] Ich will Dich suchen, Gott, indem ich Dich anrufe, und Dich anrufen, indem ich an Dich glaube.
  • Augustinus von Hippo: Bekenntnisse (Confessiones) III 7f.

    Augustinus berichtet über seine Bekehrung zur Philosophie als Gottsuche nach der Lektüre von Ciceros Hortensius
    a) Durch die übliche Ordnung des Lernens war ich zu einem Buch eines gewissen Cicero gelangt, dessen Sprache fast alle bewundern, seinen Gehalt hingegen nicht so sehr. Aber dieses Buch von ihm enthält eine Ermunterung zur Philosophie und wird ,Hortensius‘ genannt. Dieses Buch aber veränderte meine Geisteshaltung und verwandelte meine Bitten, Herr, zu Dir hin und machte meine Gebote und Begierden andere.
    b) Wie sehr brannte ich, mein Gott, wie sehr brannte ich danach, vom Irdischen zu Dir zurückzufliegen und wusste doch nicht, was Du mit mir tatest! Denn ,bei Dir ist die Weisheit‘ (Ijob 12, 13). Die Liebe zur Weisheit hat aber als griechische Bezeichnung ;Philosophie‘, zu der mich diese Schrift entbrannte. Es gibt Leute, die durch Philosophie verführen, indem sie ihre Irrtümer mit diesem großen, verführerischen und in sich guten Namen färben und kolorieren [...], und hierbei wird die heilsmäßige Ermahnung Deines Geistes klar [...]: ,Seht zu, dass Euch niemand durch leere Philosophie täuscht‘ (Kolosser 2, 8). [...] Weil mir dieses Apostelwort noch nicht bekannt war, freute ich mich an dieser Ermahnung daran, dass ich [...] die Weisheit selbst, worin sie auch immer bestehe, liebe und suche [...], und allein das [...] machte mich stutzig, dass der Name Christi dort nicht zu finden war.
  • Augustinus von Hippo: Bekenntnisse (Confessiones) VII 13f. 16

    Augustinus findet durch platonische Schriften einen Weg zum göttlichen Licht in sich selbst
    a) Du verschafftest mit durch einen bestimmten Menschen, der vor gewaltigem Stolz geschwollen war, bestimmte Bücher der Platoniker, die aus der griechischen Sprache in die lateinische übersetzt waren. Und dort las ich, dass, zwar nicht mit diesen Worten, aber ganz genau dasselbe mit vielen und vielfältigen Argumenten überzeugend angeraten wird: ,Am Anfang war das Wort* , und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort‘ (Johannes 1, 1) [...], aber ,das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt‘ (Johannes 1, 13) las ich dort nicht.
    b) Und hierdurch ermahnt, zu mir selbst zurückzukehren, trat ich unter Deiner Führung in mein Innerstes ein und konnte dies, weil ,Du mein Helfer geworden bist‘ (Psalm 29, 11). Ich trat ein und sah mit irgendeinem Auge meiner Seele oberhalb desselben Auges meiner Seele, oberhalb meines Verstandes ein unveränderliches Licht, nicht das gewöhnliche und für jedes Fleisch sichtbare, noch war es gleichsam von derselben Art, nur größer – so als ob dieses viel, viel heller leuchtet und alles durch seine Größe belegte. Nicht dies war es, sondern etwas von allem, allem weit Verschiedenes.
  • Augustinus von Hippo: Die freie Entscheidung (De libero arbitrio ) 2, 20f.; p. 239, 6-240, 16 Green

    Augustinus über die Evidenz des eigenen Seins <br /><br /> Typisch für Augustinus sind Reflexionen, die aus der eigenen Selbsterfahrung auf notwendige ontologische Folgen schließen. In diesem Sinne nimmt er bereits in der Frühschrift De libero arbitrio (Die freie Entscheidung) Descartes’ Cogito-Argument vorweg. In dem er die drei neuplatonischen Grundbegriffe Sein, Leben und Denken/Erkennen aus der Selbsterfahrung ableitet, könnte man meinen, das Denken werde nicht, wie bei Descartes, direkt, sondern erst im dritten Schritt bewiesen – aber ist es nicht in der Erfahrung der eigenen Irrtumsfähigkeit bereits enthalten?
    Augustinus: Zuerst frage ich dich, um vom Offensichtlichsten den Anfang zu nehmen, ob du selbst bist. Oder fürchtest du vielleicht, dass du in dieser Frage getäuscht wirst? Denn wenn Du nicht wärest, könntest du deswegen überhaupt nicht getäuscht werden.
    Evodius: Schreite ruhig zum Weiteren voran.
    A.: Weil also offensichtlich ist, dass du bist, und es dir nicht anders klar wäre, wenn Du nicht lebtest, ist auch dies klar, dass du lebst. Erkennst du, dass diese zwei am allerwahrsten sind?
    E.: Ganz und gar verstehe ich das.
    A.: Also ist auch dieses dritte offensichtlich, d.h. dass du erkennst.
  • Augustinus von Hippo: Der Gottesstaat (De civitate dei) XII 6, p. 518, 30-519, 24

    Augustinus fragt nach der Ursache für den bösen Willen der gefallenen Engel
    Gewiss, ist der Anfang jeder Sünde der Stolz‘ (Jesus Sirach/Ecclesiasticus 10, 13). Die gefallenen Engel wollten also ihre Tapferkeit nicht für Gott bewahren, und die, die noch mehr wären, wenn sie dem angehängt hätten, der am höchsten ist, sie zogen das vor, was weniger ist, indem sie sich selbst ihm vorzogen. [...] Wenn für diesen schlechten Willen nun überhaupt eine Ursache gesucht wird, dann wird nichts gefunden. [...] Denn wenn es irgendein Ding ist, dann hat dies entweder einen Willen oder es hat keinen; wenn es einen hat, dann entweder einen guten oder einen schlechten [...]. Da soll ein guter Wille zur Ursache der Sünde werden – etwas Absurderes lässt sich nicht vorstellen. Wenn aber das Ding, von dem man annimmt, es bewirke den bösen Willen, auch selbst einen bösen Willen hat, [...] dann untersuche ich die Ursache für diesen bösen Willen. [...] Aber dieser erste ist einer, den keiner bewirkt hat.
  • Augustinus von Hippo: Bekenntnisse (Confessiones) II 9

    Augustinus beschreibt die absolute Verkommenheit seines Willens als Jugendlicher
    Gewiss, o Herr, bestraft dein Gesetz den Diebstahl, und das Gesetz, das in die Herzen der Menschen geschrieben ist, welches nicht einmal die Ungerechtigkeit selbst zerstört. [...] Und ich wollte einen Diebstahl begehen, und ich beging ihn, von keiner Not gezwungen, es sei denn von Armut und Überdruss an Gerechtigkeit und durch die Mästung mit Ungerechtigkeit. Denn ich habe etwas gestohlen, was ich im Übermaß hatte und auch viel besser, und ich wollte auch nicht das genießen, was ich durch den Diebstahl erstrebte, sondern den Diebstahl selbst und die Sünde. In der Nachbarschaft unseres Weinbergs stand ein Birnbaum, beladen mit Früchten, die weder durch Form noch durch Geruch anlockten. Um ihn leerzuschütteln und abzuernten brachen wir verruchten jungen Kerle in einer windlosen Nacht auf [...] und trugen von dort gewaltige Lasten fort, nicht als unsere eigene Speise, sondern eher, um sie den Schweinen vorzuwerfen. Selbst wenn wir etwas davon aßen, so geschah von uns doch nur etwas, das deswegen gefiel, weil es sich nicht gehörte. [...] Schau mein Herz an: Was suchte es dort, so dass ich freiwillig schlecht war und es keinen Grund für meine Schlechtigkeit gab als eben Schlechtigkeit?
  • Augustinus von Hippo: Bekenntnisse (Confessiones) VIII 10f.

    Augustinus erlebt in sich den Kampf zweier Willen, als er sich taufen lassen will
    Mein Wollen hielt der Feind gefangen und hatte mir daraus eine Kette gemacht und mich gefesselt. Deswegen wurde aus dem verdrehten Willen das Begehren, und während dem Begehren gedient wird, wurde es zur Gewohnheit, und während der Gewohnheit nicht widerstanden wird, wurde es zur Notwendigkeit. [...] Der neue Wille aber, der bei mir zu sein begonnen hatte, dass ich Dich einfach so verehrte und Dich genießen wollte, Gott, sichere Heiterkeit, war noch nicht geeignet, den alten zu überwinden, der durch Alter gefestigt war. So traten meine beiden Willen [...] in Konflikt miteinander und zerstreuten in ihrer Zwietracht meine Seele. So verstand ich an mir selbst als Beispiel, was ich gelesen hatte, wie ,das Fleisch gegen den Geist begehrte und der Geist gegen das Fleisch‘ (Galater 5, 17).
  • Augustinus von Hippo: Die Dreieinigkeit (De trinitate ) V 6

    Augustinus erklärt, warum die Personen der Trinität weder Substanzen noch Akzidenzien im Sinne von Aristoteles‘ Kategorienlehre sind
    (1) Bei den geschaffenen [...] und veränderlichen Dingen kann das, was nicht mit Bezug auf die Substanz ausgesagt wird, nur mit Bezug auf ein Akzidens von ihnen ausgesagt werden. Denn akzidentell kommt ihnen als das zu, was entweder verloren oder verringert werden kann, Größen und Qualitäten, und das, was wegen einer Beziehung ausgesagt wird so wie Freundschaften, Nachbarschaften, Dienstverhältnisse, Ähnlichkeiten, Gleichheiten und Ähnliches [...]. (2) Bei Gott aber wird nichts mit Bezug auf ein Akzidens ausgesagt, weil nichts an ihm veränderlich ist; und doch wird nicht alles, was ausgesagt wird, mit Bezug auf die Substanz ausgesagt. Denn es wird eine Beziehung ausgesagt [...], weil ein Vater nicht Vater genannt wird, außer weil er einen Sohn hat, und ein Sohn nicht so genannt wird, außer weil er einen Vater hat. [...] Obwohl es daher einen Unterschied macht, ein Vater zu sein und ein Sohn zu sein, ist die Substanz doch nicht unterschieden, weil dies nicht mit Bezug auf die Substanz gesagt wird, sondern mit Bezug auf die Beziehung, welche Beziehung aber kein Akzidens ist, denn sie ist nicht veränderlich.
  • Augustinus von Hippo: Die Dreieinigkeit (De trinitate ) V 10

    Augustinus schlägt eine neue Begrifflichkeit für Gott vor, um auf den Substanzbegriff verzichten zu können
    (1) Es ist [...] schändlich zu sagen, dass Gott vorhanden ist und seiner Güte zugrunde liegt, und dass diese Güte nicht eine Substanz ist, oder besser eine Wesenheit, und dass Gott selbst nicht seine Güte ist, sondern sie an ihm wie an einem Zugrundeliegenden ist.
    (2) Von daher ist klar, dass Gott uneigentlich Substanz genannt wird, damit durch ein gebräuchlicheres Wort ,Wesenheit‘ verstanden wird, was er wahrhaft und spezifisch genannt wird, so dass vielleicht Gott allein Wesenheit genannt werden darf. Er ist es nämlich wahrhaft als Einziger, weil er unveränderlich ist und das dem Mose als seinen Namen verkündete, als er sagte: „Ich bin der, der ich bin, und du sollst zu Ihnen sagen: Der ist, hat mich zu euch geschickt“ (Exodus 3, 14). Aber trotzdem, gleich ob er Wesenheit genannt wird, wie man ihn spezifisch nennt, oder Substanz, wie man ihn uneigentlich nennt, beides wird er für sich genannt, nicht in Beziehung auf etwas. [...]
    (3) Deshalb ist die Dreifaltigkeit, wenn sie eine einzige Wesenheit ist, auch eine einzige Substanz.
  • Augustinus von Hippo: Die Dreieinigkeit (De trinitate ) X 19

    Augustinus erklärt den menschlichen Geist als Einheit von Erinnerung, Erkennen und Wollen <br /><br /> Augustinus’ widerholte Versuche, die relationale Einheit der Trinität zu erklären, entwickelt sich zu einer neuplatonisch inspirierten Strukturanalogie zwischen menschlichem und göttlichem Geist, bei der ersterer als Einheit der drei Grundvollzüge Erinnerung, Erkennen und Wollen charakterisiert wird
    Wir haben also den Geist in der Erinnerung, dem Erkennen und dem Wollen seiner selbst als einen solchen festgestellt, dass von ihm deswegen, weil er als dauerndes Wissen seiner selbst und dauerndes Wollen seiner selbst begriffen wurde, gleichzeitig ebenfalls begriffen wurde, dass er sich an sich selbst dauernd erinnert und sich selbst dauernd erkennt und liebt, obwohl er sich nicht dauernd unterschieden von dem denkt, das nicht das ist, was er selbst ist.
  • Augustinus von Hippo: Bekenntnisse (Confessiones) 11, 36-38

    Augustinus‘ Erklärung der Zeit als Aufspaltung von seiten des Geistes (distentio animi)
    In Dir also, mein Geist, messe ich die Zeiten. [...] Wer bestreitet also, dass Zukünftiges noch nicht ist? Und doch ist im Geist bereits die Erwartung des Zukünftigen. Und wer bestreitet, dass das Vergangene nicht mehr ist? Und doch ist die Erinnerung an das Vergangene noch im Geist. Und wer bestreitet, dass die Gegenwart keine Ausdehnung hat, weil sie im Moment vergeht? Und doch dauert die Aufmerksamkeit an, durch die das, was da sein wird, zum Fort-Sein hin eilt. [...] Ich will ein Lied vortragen, das ich kenne. Bevor ich beginne, richtet sich meine Erwartung auf das Ganze. Habe ich begonnen, dann erstreckt sich auch meine Erinnerung über das, was ich aus jener in die Vergangenheit abgelegt habe. Das Leben dieser meiner Tätigkeit spaltet sich dann auf in die Erinnerung, weil ich bereits vorgetragen habe, und die Erwartung, weil ich noch weiter vortragen werde. [...] Was so mit dem ganzen Lied geschieht, das wiederholt sich mit seinen einzelnen Abschnitten und in seinen einzelnen Silben.
  • Platon: Der Staat (Platon) (De re publica) II 360cd. 367e

    Das Gerechtigkeitsproblem von Glaukon und Adeimantos und das Beweisziel der Politeia
    Niemand ist freiwillig gerecht, sondern nur gezwungen, weil dies nicht in sich gut ist; denn immer wenn ein jeder glaubt, er könne ungerecht handeln, da tut er es auch. Denn jedermann glaubt, dass ihm für sich die Ungerechtigkeit weit mehr nützt als die Gerechtigkeit. [...] Zeige uns also in deiner Rede nicht nur, dass Gerechtigkeit besser ist als Ungerechtigkeit, sondern, durch welche Wirkung auf den, der sie hat, die eine von ihnen, mag sie nun Göttern und Menschen verborgen bleiben oder nicht, an und für sich ein Gut ist und die andere ein Übel.
  • Platon: Der Staat (Platon) (De re publica) IV 439d-441a

    Eine Ursache für Platons Zweifel daran, dass Menschen tatsächlich gut sein wollen ist, dass die Teile der Seele – entgegen der sokratischen Lehre, wir handelten immer gemäß der Vernunft – in sich eine Unordnung der Seele hervorbringen, wie es auch die Teile des Staates tun
    [1] Gewiss werden wir nicht [....] ohne Grund behaupten, dass sie zweifach und voneinander verschieden sind, indem wir das, womit gedacht wird, das Denkende der Seele nennen, das aber, womit sie liebt, hungert und dürstet und über die anderen Begierden in Aufregung gerät, das nicht Denkende und Begehrende. [...]
    [2] Also nehmen wir auch anderswo [....] häufig wahr, wenn jemanden die Begierden entgegen dem Denken Gewalt antun, dass er sich beschimpft und auf das, was in ihm Gewalt ausübt, erzürnt ist, und dass der Zorn von so jemandem gleichsam unter zwei Streitenden ein Bundesgenosse für die Vernunft wird? [...] Was ist, wenn jemand glaubt, ihm sei Unrecht geschehen? Ist er nicht hierdrüber zornig und beklagt sich und kämpft zusammen mit dem, was gerecht erscheint? [...]
    [3] Oder ist – so wie in der Stadt drei Formen diese zusammenhalten, die Händler, die Helfer, die Beratschlagenden – auch in der Seele das Zornmütige das dritte, weil es von Natur aus ein Helfer für das Denkende ist, wenn es nicht durch schlechte Nahrung verdorben ist?
  • Platon: Erster Alkibiades (Alcibiades maior) 121e-122a

    Platon definiert die Freiheit als Selbstkontrolle, wie er am Beispiel der Erziehung der persischen Könige zeigt
    [1] Wenn der Junge 14 geworden ist, ziehen sie die hinzu, welche sie die königlichen Pädagogen nennen. Sie sind vier Auserwählte der Perser, welche die Besten scheinen in dem Alter, der Weiseste, der Gerechteste, der Maßvollste und der Tapferste.
    [2] Von ihnen lehrt der eine die Magie des Zarathustra von Ahura Mazda – dies ist Gottesdienst –, er lehrt aber auch das Königliche, der Gerechteste [lehrt], durch das ganze Leben wahrhaft zu sein, der Maßvollste, nicht durch irgendeine der Freuden beherrscht zu werden, damit er sich angewöhnt, frei zu sein und wahrhaft König, indem er zuerst das in sich Befindliche beherrscht und nicht unterwirft, der Tapferste aber macht ihn frei von Furcht und Angst, als ob er, wenn er sich fürchtete, ein Sklave wäre.
  • Platon: Timaios (Timaeus) 47e-48a

    Platons Überlegungen zur Freiheit stehen in einem größeren kosmischen Kontext, der sich daraus ergibt, dass die Notwendigkeit (ἀνάγκη) eine wichtige Rolle in der Welt spielt, aber doch von der Vernunft beherrscht wird, wie er in seinem Dialog über die Weltentstehung, dem <i>Timaios</i>, darlegt:
    Das bis hierhin Gesagte [...] hat das durch den Geist Hergestellte gezeigt. Es gilt aber auch, das durch Notwendigkeit Entstehende der Rede anzufügen. Denn als gemischte wurde freilich das Entstehen dieser Welt aus einer Zusammenstellung von Notwendigkeit und Geist hervorgebracht. Indem aber der Geist über die Notwendigkeit herrscht, indem er sie überzeugt, das meiste des Geschehenen zum Besten zu führen, so wurde [...] am Anfang dieses All zusammengestellt.
  • Platon: Gorgias (Gorgias) 524d-525a. 526bc

    Ein platonischer Jenseitsmythos:
    Gut sichtbar ist alles an der Seele, wenn sie vom Leibe entkleidet ist, sowohl was ihr von Natur eignete als auch die Veränderungen, welche der Mensch durch sein Bestreben um dies und jenes Ding hatte. Wenn sie nun vor den Richter kommen, und zwar die aus Asien vor den Rhadamanthys, so stellt Rhadamanthys sie vor sich hin und beschaut die Seele eines jeden. ohne zu wissen, wessen Seele es ist, aber oft [...] findet er nichts Gesundes an der Seele, sondern durchgepeitscht findet er sie und voller Schwielen von Meineid und Ungerechtigkeit, all das, was jede einzelne Handlung dieses Menschen der Seele aufgeprägt hat. [...] Wenn also dieser Rhadamanthys so jemanden ergriffen hat, so weiß er weiter gar nichts von ihm, weder wer noch aus welchem Geschlecht er ist, sondern nur, dass er böse ist. Und sowie er dies gesehen hat, schickt er ihn nach dem Tartaros und gibt an, ob er ihn für heilbar oder ob er ihn für unheilbar hält, worauf dann jener nach seiner Ankunft das Gebührende leiden muss. Erblickt er aber bisweilen eine andere Seele, die würdig und mit Wahrheit gelebt hat, eines für sich lebenden Mannes oder sonst eines, der das Seinige getan hat, [...] so freut er sich und sendet sie zu den Inseln der Seligen.
  • Platon: Der Staat (Platon) (De re publica) X 617de; 618bc

    Nach dem Gericht, vor dem nächsten Zyklus des Kreislaufs der Wiedergeburten, dürfen die Seelen hier ihren persönlichen göttlichen Begleiter, den Daimon, wählen, je nach ihrer Lebensart, aber nicht ihre Tugend, die jeder Mensch im Leben erwerben muss
    [1] ,Das Wort der Lachesis (= die Loserin), der Tochter der Ananke (= Notwendigkeit): Vergängliche Seelen, Beginn eines anderen Umlaufs des todbringenden sterblichen Geschlechtes. Nicht Euch wird ein Daimon auswählen, sondern Ihr werdet einen Daimon wählen. Wer das erste Los zieht, wähle als erster eine Lebensart, mit der er auf notwendige Weise zusammen sein wird. Die Tugend ist ohne Besitzer, durch deren Ehrung und Entehrung ein jeder mehr oder weniger von ihr haben wird‘ [...].
    [2] Hier liegt nun, wie es scheint, o guter Glaukon, die ganze Gefahr für den Menschen, und deswegen muss man sich am meisten darum kümmern, dass ein jeder von uns, während er die anderen Lehren vernachlässigt, ein Sucher und Schüler dieser Lehre sein soll [...], ein brauchbares und ein schlechtes Leben zu unterscheiden und aus dem Möglichen stets überall das Beste zu wählen
  • Aristoteles: Nikomachische Ethik (Ethica Nicomachea) I 5, 1097a 30-b 5

    Aristoteles‘ Definition des Glücks bzw. der Eudaimonie als Ziel allen Handelns:
    Wir nennen [...] vollendet schlechthin dasjenige, was immer als solches und nie um etwas anderen willen gewählt wird. Von dieser Art scheint aber am meisten das Glück zu sein. Dieses nämlich wählen wir immer um seiner selbst willen und niemals um etwas anderen willen, während wir Ehre, Lust, Geist und jede Tugend zwar um ihrer selbst willen wählen [...], aber auch des Glücks wegen, weil wir annehmen, dass wir durch sie glücklich sein werden.
  • Aristoteles: Hermeneutik 9, 19a 23-25. 29-36

    Ein Problem für alternative Handlungsmöglichkeiten ergibt sich aus der Frage, ob Sätze über Zukünftiges (futura contingentia) wahr sein können
    [1] Freilich ist für das, was ist, wenn es ist, notwendig, dass es ist, und für das, was nicht ist, notwendig, dass es nicht ist. Aber es ist weder für alles, was ist, notwendig, dass es ist, noch ist es für alles, was nicht ist, notwendig, dass es nicht ist. […]
    [2] Ich meine damit, dass es beispielsweise zwar notwendig ist, ,dass morgen eine Seeschlacht entweder stattfinden oder nicht stattfinden wird‘, dass es aber nicht notwendig ist, ,dass morgen eine Seeschlacht stattfindet‘, und auch nicht notwendig, ,dass morgen keine Seeschlacht stattfindet‘. […].
    [3] Mit der Wahrheit der Sätze verhält es sich folglich in derselben Weise wie mit der der Dinge. Deswegen ist klarerweise bei allem, was sich so verhält – unabhängig davon, was tatsächlich eingetroffen ist – auch das Gegenteilige möglich (und für die Bestreitung davon muss dasselbe gelten).
    [4] Dies ist nun bei denjenigen Dingen der Fall, die nicht immer da sind oder nicht immer nicht da sind.
  • Aristoteles: Physik (Aristoteles) (Physica) II 4, 196b 21-24. 33-197a 2; 197b 13-17

    Aristoteles’ Erklärung des Zufalls
    Um etwas willen geschieht sowohl, was aus einem Denken heraus, als auch, was von Natur aus geschieht. Wenn derartiges aber akzidentell geschieht, dann sagen wir, es geschehe aus Zufall. [...] Zum Beispiel würde jemand wohl, da er den Mitgliedsbeitrag eintreibt, kommen, um Geld zu empfangen, wenn er Bescheid wüsste; nun kam er nicht deswegen, sondern es passierte ihm, dass er kam und dies tat, um ihn einzutreiben – aber nicht etwa, weil er in aller Regel oder notwendigerweise an diesen Platz ginge. Vielmehr gehört das Ziel, das Eintreiben, nicht zu den Ursachen in ihm, aber sehr wohl zu den Dingen, die man wählt und die aus dem Denken stammen. [...] ,Von selbst‘ geschieht etwas auch den anderen Lebewesen und vielen unbeseelten Dingen. Zum Beispiel sagen wir, das kam von selbst, weil es gerettet wurde, wobei es zwar kam, aber nicht kam, um gerettet zu werden; und der dreibeinige Hocker fiel von selbst um; er stand nämlich, damit man sich setzen kann, aber fiel nicht um, damit man sich setzen kann.
  • Aristoteles: Physik (Aristoteles) (Physica) IV 7, 214b 28-31

    Aristoteles erklärt, warum es unter den Voraussetzungen seines Bewegungs-begriffs keine Leere geben kann
    Denen, die sagen, es müsse notwendigerweise etwas Leeres geben, wenn es Bewegung geben soll, stößt eher das Gegenteil zu, wenn jemand darauf achtet, dass auch nicht eines bewegt werden kann, wenn es Leeres gibt.
  • Aristoteles: Metaphysik (Metaphysica) I 3, 983a 26-32

    Die vier Ursachen nach Aristoteles
    Von Ursachen spricht man aber auf vier verschiedene Weisen, von denen wir eine Ursache die Substanz nennen, d.h. das Was-es-war-Sein [...], eine andere die Materie und das Zugrundeliegende, die dritte das, woher der Anfang der Bewegung stammt, die vierte aber die diesem entgegengesetzte Ursache, das Weswegen und das Gute - denn dieses ist das Ziel aller Entstehung und Bewegung.
  • Aristoteles: Nikomachische Ethik (Ethica Nicomachea) X 8, 1178a 9-14

    Aristoteles über die Tugenden als zweitbeste Möglichkeit, glücklich zu werden
    An zweiter Stelle [ist] dasjenige Leben [glückselig], das der sonstigen Tugend gemäß ist. Denn die dieser entsprechenden Tätigkeiten sind menschlicher Art. Gerechtes, Tapferes und die übrigen den Tugenden entsprechenden [Handlungen] üben wir gegeneinander im geschäftlichen Verkehr, in Notlagen, in Handlungen aller Art und bei den Emotionen dadurch aus, dass wir allem so viel zumessen, wie ihm gebührt. Dies sind aber alles offenbar menschliche Dinge.
  • Aristoteles: Nikomachische Ethik (Ethica Nicomachea) X 7, 1177a 14-25

    Aristoteles über die theoretische Tugend als Basis der Eudaimonie (Judentum und Islam)<br /> Aristoteles über die Theorie als beste Möglichkeit, glücklich zu werden (Antike Philosophie I)
    Das, von dem man annimmt, dass man seiner Natur nach herrscht, führt und Einsicht in die schönen und göttlichen Dinge hat, mag es etwas Göttliches sein oder das Göttlichste in uns – seine Tätigkeit gemäß der eigentümlichen Tugend wird das vollendete Glück sein. Dass diese Tätigkeit eine theoretische ist, wurde gesagt. [...] Diese Tätigkeit ist nämlich die höchste, wie auch der Geist von dem in uns Befindlichen wie seine Gegenstände von dem Erkennbaren. Sie ist ferner die kontinuierlichste Tätigkeit, da wir eher kontinuierlich betrachten können als irgendeine Handlung verrichten. [...] Unter den Tätigkeiten gemäß einer Tugend ist weiterhin nach übereinstimmender Auffassung die gemäß der Weisheit die lustvollste.
  • Bardaiṣān: Buch der Gesetze der Völker §8

    Als Antwort auf die Frage betont Bardaiṣān, typisch für die alte Kirche, den zentralen Wert der menschlichen Handlungsfreiheit in der Schöpfung der Welt
    [1] Bardaiṣān sagte: ,[...] Worin also unterscheidet sich der Mensch von der Kithara, auf der ein anderer spielt, oder von dem Wagen, den ein anderer fährt? [...] Sie sind Werkzeuge, gemacht zum Gebrauch dessen, der Wissen besitzt.
    [2] In seiner Milde wollte Gott den Menschen nicht so machen, sondern er erhob ihn in Freiheit über viele Dinge und stellte ihn mit den Engeln auf eine Stufe. [...] Denn wenn er so gemacht wäre, dass er nichts Böses tun könnte, so dass er hierdurch nicht schuldig würde, so stammte auch das Gute, das er täte, nicht von ihm her, und er wäre hierdurch nicht gerechtfertigt‘.
  • Bardaiṣān: Buch der Gesetze der Völker § 4-6

    Bardaiṣān betont, dass die Suche nach Wissen angemessener ist als ein bloßer Glaube
    [1] Bardaiṣān sagte: ,Verständig sprichst Du. Aber wisse, dass der, der recht fragt und überzeugt werden will und sich ohne Streit auf den Weg der Wahrheit begibt, nicht schuldig ist und sich nicht schämen muss, denn er bereitet [...] dem, der gefragt wird, Freude‘. [...]
    [2] ‘Avīdā sagte: ,[...] Meine Brüder [...] wollten mich nicht überzeugen, sondern sie sagten: Glauben musst Du, und Du kannst alles erkennen! Aber ich kann nicht glauben, wenn ich nicht überzeugt werde‘. [...].
  • Paulus von Tarsus (Apostel): Römerbrief (Pauli epistula ad Romanos) 7, 18-21

    Zu den Aussagen des Apostels Paulus von Tarsus (gest. 63 n. Chr.), die interessante philosophische Probleme aufwerfen, gehört seine Schilderung der Zerrissenheit des Willens
    Denn ich weiß, dass in mir, das heißt in meinem Fleisch, das Gute nicht wohnt. Denn das Wollen des Schönen ist bei mir vorhanden, das Ausführen aber nicht. Denn nicht, was ich will tue ich, das Gute, sondern was ich nicht will, das Schlechte, dies mache ich. Wenn ich aber das tue, was ich nicht will, dann führe nicht mehr ich dieses aus, sondern die Sünde, die in mir wohnt. Ich finde also das Gesetz, da ich ja das Schöne tun will, weil bei mir das Schlechte vorhanden ist.
  • Averroes : Untersuchung über die Methoden der Argumente im Hinblick auf die Grund (Kašf ʿan-manāhiğ al-adilla fī ʿaqā’id al-milla) § 284-301

    Ibn Rušd (lat. Averroes; 1124-1198), muslimischer Richter und der bedeutendste Aristoteliker der arabischen Welt, schildert die Diskussionslage zur Vereinbarkeit von „göttlicher Anordnung und Vorherbestimmung“ (al-qaḍāʾ wa-l-qadar) bis zu seiner Zeit
    [284] Das Problem [...] von göttlicher Anordnung und Vorherbestimmung [...] gehört zu den schwierigsten Problemen in Bezug auf das Gesetz. Denn wenn die Argumente der Überlieferung hierüber betrachtet werden, findet sich ein Widerspruch; und ebenso ist es mit den verstandesmäßigen Argumentationen. [285] [...] Was das Buch (= den Koran) betrifft, so gibt es in ihm viele Verse, die in ihrer Allgemeinheit ein Argument dafür sind, dass jede Sache der Vorherbestimmung unterliegt, sowie, dass der Mensch in seinen Handlungen determiniert ist. Aber es gibt hierin ebenfalls viele Verse, die ein Argument dafür darstellen, dass dem Menschen durch seine Handlungen ein Erwerben [von Verdiensten oder von strafwürdigen Taten] zukommt und dass er in seinen Handlungen nicht determiniert ist. [...]
    [290] Und deswegen spalteten sich die Muslime wegen dieser Frage in zwei Gruppen: Eine Gruppe, die überzeugt war, dass das Erwerben des Menschen die Ursache für den Ungehorsam und das rechte Handeln ist und dass ihm aufgrund hiervon Strafe und Lohn zugebilligt wird – das ist die Muʿtazila; und eine Gruppe, die vom Gegenteil überzeugt ist, nämlich dass der Mensch in seinen Handlungen determiniert und gezwungen ist – das ist die Ğabriyya (= die Deterministen). [291] Die Ašʿariyya [...] hingegen sagt, dass dem Menschen eine Erwerbung zukomme, dass aber das hierdurch Erworbene und der Erwerbende von Allah geschaffen würden; und dies ergibt keinen Sinn. [...] Denn der Knecht (Allahs) ist dann unbedingt in seinem Erwerben determiniert. [...] [293] Und wenn der Mensch in seinen Handlungen determiniert ist, dann gehören die Gebote zum nicht Möglichen. [...].
    [297] Wir sagen: Offensichtlich sieht das Ziel des Gesetzes keine Trennung zwischen diesen [oben in Text 1 genannten] Überzeugungen vor. [...] Folgendes ist nämlich offensichtlich: Gott hat für uns Fähigkeiten geschaffen, durch die wir Gegenteiliges erwerben können. Weil jedoch das Erwerben hiervon nicht vollständig bei uns liegt, es sei denn, die Ursachen treffen günstig ein, die Gott der Herr zum Dienst für uns außerhalb geschaffen hat, und die Hindernisse hierfür werden [dadurch] aufgehoben, deswegen sind die auf uns beziehbaren Handlungen nur durch beide Aspekte zugleich vollständig. (298) [...] Und diese Ursachen [...] bewirken ebenfalls nicht alleine vollständig die Handlungen, deren Vollzug oder Verhinderung wir wünschen, sondern die [äußere] Ursache ist zu schwach dafür, dass wir eines der beiden Gegenteile wollen. Der Wille ist ja nur das Streben, das in uns aufgrund irgendeiner Vorstellung oder eines Urteils über etwas neu entsteht, und dieses Urteil hängt nicht von unserer Wahl ab, sondern es ist etwas, das bei uns aufgrund desjenigen entsteht, was außerhalb von uns ist. [...] (299) [...] Es ist also nötig, dass unsere Handlungen nach einer festgelegten Ordnung ablaufen, ich meine, dass sie zu festgelegten Zeitpunkten und in einem festgelegten Raum stattfinden. [...] (301) Und die festgelegte Ordnung, die in den inneren und äußeren Ursachen besteht [...], ist das Anordnung und die Vorherbestimmung, die Gott der Erhabene über seine Diener aufgeschrieben hat; sie ist die ,verborgene Tafel‘.
  • Al-Fārābī : Die Prinzipien der Ansichten der Bewohner der vortrefflichen Stadt II, 1. 2

    Al-Fārābī über die kausale Wirkung der ersten Ursache und die Ordnung der Dinge
    [1] Und seine Existenz [Gottes] (wuǧūd) ist aufgrund seines Wesens (ḏāt), und seine Substanz und seine Existenz hängen zusammen, und aus ihm folgt, dass von ihm her etwas anderes als es da ist. [...]
    [2] Es gibt vielerlei Existierendes, und zusätzlich zu seiner Vielheit ist dieses auch unterschiedlich exzellent. Und die Substanz des Ersten ist die Substanz, aus der jede Existenz so ausströmt, wie diese Existenz ist, sei sie nun vollkommen oder mangelhaft. Und seine Substanz ist ebenfalls die Substanz, von der alles Existierende, wenn es von ihr ausströmt, seinen jeweiligen Rang erhält und von der jedem Seienden sein Anteil, der ihm angemessen ist, an Existenz und Rang im Vergleich zum Ersten zukommt.
  • Al-Fārābī : Die Prinzipien der Ansichten der Bewohner der vortrefflichen Stadt XIII, 6

    In neuplatonischer Tradition wird das ethische Verhalten als der Weg zu diesem Glücklichsein bestimmt
    Dieser Zustand kann nur durch bestimmte willentliche Akte erreicht werden, von denen einige gedankliche, andere körperliche Akte sind [...], und zwar weil von den willentlichen Akten manche das Glücklichsein behindern. Das Glücklichsein ist das Gut, das seinem Wesen nach erstrebt wird, und es wird überhaupt nicht und zu keiner Zeit erstrebt, um durch es etwas anderes zu erreichen, und es gibt nichts anderes über dieses hinaus, Größeres als dieses, das der Mensch erreichen könnte.
  • Al-Fārābī : Die Prinzipien der Ansichten der Bewohner der vortrefflichen Stadt XV 7. 8

    Al-Fārābī über den vollkommenen Herrscher
    [1] Der Herrscher der vortrefflichen Stadt (al-madīna al-fāḍila) kann nicht irgendein beliebiger Mensch sein, denn Herrschaft setzt zwei Dinge voraus: Das eine von ihnen ist, dass man durch die Veranlagung und die Natur dazu geeignet ist, und das zweite die willentliche Disposition und den Habitus für die Herrschaft, die sich bei jemandem entwickelt, der von Natur aus zu ihr veranlagt ist. [...]
    [2] Dieser Mensch ist ein Mensch, über den überhaupt kein Mensch herrschen kann. Dieser Mensch ist nur ein Mensch, der vervollkommnet wurde und aktuell Intellekt und Denkobjekt geworden ist, dessen Imaginationsvermögen (al-quwwa al-mutaḫayyila) von Natur aus [...] dazu befähigt ist, entweder im Wachen oder im Schlaf vom aktiven Intellekt (al-ʿaql al-faʿʿāl) die Partikularia [...] und auch die Denkobjekte zu empfangen, indem es sie nachahmt. [...]
    [3] In der Tat erwirbt jeder Mensch, dessen passiver Intellekt durch alle Denkobjekte vervollkommnet wurde sowie aktueller Intellekt und aktuelles Denkobjekt geworden ist [...], einen bestimmten aktuellen Intellekt (ʿaql bi-l-fiʿl), dessen Rang ein Rang über dem passiven Intellekt ist, der vollkommener und mehr von der Materie getrennt ist [...]. Er wird ,erworbener Intellekt‘ (ʿaql al-mustafād) genannt.
  • Al-Fārābī : Die Prinzipien der Ansichten der Bewohner der vortrefflichen Stadt XV 9-11

    Al-Fārābī über den vollkommenen Herrscher als Empfänger von Offenbarung
    [1] Dieser Mensch ist der Mensch, dem der aktive Intellekt innewohnt. Geschieht dies in beiden Teilen seines Vernunftvermögens, nämlich im theoretischen und im praktischen, und dann noch in seinem Imaginationsvermögen, dann ist dieser Mensch jemand, dem eine Offenbarung zuteil werden wird (yūḥā ilaihi), und Allah – er ist hoch und erhaben – wird ihm die Offenbarung (yūḥī ilaihi) vermittels des aktiven Intellekts zuteil werden lassen. [...]
    [2] Auf diese Weise [...] wird er ein Weiser, ein Philosoph (ḥakīm failasūf) und von vollkommener Intelligenz, nämlich durch den göttlichen Intellekt in ihm. Und durch die Emanation von diesem zu seinem Imaginationsvermögen wird er zum Propheten (nabīy). [...]
    [3] Dies ist der Herrscher, über den überhaupt kein anderer Mensch herrschen kann, er ist der Imam (al-imām); er ist der erste Herrscher der vortrefflichen Stadt, er ist der Herrscher der vortrefflichen Nation und der Herrscher der bewohnbaren Erde.
  • Ibn Sīnā (Avicenna): Buch der Genesung Metaphysik I 5 § 22. 24, p. 35f.

    Ibn Sīnā unterscheidet zwischen möglichem und notwendigem Sein
    [1] Es ist für uns gewiss ebenfalls zu schwer, den Inhalt von ,notwendig‘, ,möglich‘ und ,unmöglich‘ durch eine die Wesenheit angebende Definition (taʿrīf muḥaqqiq) zu bestimmen, sondern das geht nur mittels eines Hinweises. Alles, was über die Definition von ihnen in dem gesagt wurde, was dich von den antiken Philosophen erreichte, endet quasi notwendigerweise in einem Zirkel. [...] Wenn sie ,möglich‘ definieren wollten, zogen sie entweder ,notwendig‘ oder ,unmöglich‘ zu seiner Definition heran [...], und wenn sie ,notwendig‘ definieren wollten, zogen sie zu seiner Definition entweder ,möglich‘ oder ,unmöglich‘ heran. [...]
    [2] Aber das erste dieser drei, insofern davon zuerst ein Begriff gebildet wird, ist ,notwendig‘ (wāǧib). Das liegt daran, dass ,notwendig‘ die Festigkeit der Existenz bezeichnet, und die Existenz ist bekannter als die Nicht-Existenz, weil die Existenz in sich selbst erkannt wird, während die Nicht-Existenz irgendwie durch die Existenz erkannt wird.
  • Ibn Sīnā (Avicenna): Buch der Genesung Metaphysik VIII 7 § 3. 6, p. 363. 365

    Avicenna über die Struktur der ersten Ursache als Intellekt
    [1] Und es [das erste Prinzip] liebt sein Wesen, das das Prinzip (mabdaʾ) jeder Ordnung ist und gut ist, insofern es so ist. Dabei wird die Ordnung des Guten (niżām al-ḫair) von ihm akzidentell mitgeliebt. Aber das erste Prinzip wird hierzu nicht von der Liebe bewegt, ja es erfährt von ihr überhaupt keine Wirkung, und es ersehnt und erstrebt nichts. Das ist sein Wille (īrāda), der frei ist vom Mangel, den die Liebe bewirkt, und von der Störung durch das Streben zu einem Ziel hin [...].
    [2] Zu der Menge der Verstandesgegenstände (al-maʿqūlāt) gehört derjenige Verstandesgegenstand, dessen Prinzip das Erste unmittelbar ist. Aber seine Existenz fließt (jafīḍu) primär aus ihm. Und der Verstandesgegenstand, dessen Prinzip das Erste mittelbar ist, dies fließt sekundär aus ihm [...]. Einiges von diesem geht jedoch dem anderen voraus in der Rangfolge des Verursachenden und des Verursachten.
  • Averroes : Kommentar zu Aristoteles’ Physik (In Aristotelis Physicam commentarium) N.N.

    Der arabische Aristoteliker Ibn Rušd/Averroes fasst in seinem Kommentar zur aristotelischen Physik, der ins Lateinische übersetzt wurde, noch einmal das aristotelische Curriculum zusammen
    Der Nutzen dieses Buchs ist ein Teil des Nutzens der theoretischen Wissenschaft: und in der Wissenschaft, welche die willentlichen Handlungen betrachtet, wurde erklärt, dass das Sein des Menschen gemäß seiner letzten Vervollkommnung und seine vollkommene Substanz ist, dass er durch die theoretische Wissenschaft vervollkommnet wird; und diese Haltung ist für ihn die letzte Glückseligkeit und das ewige Leben. [...] Und Alexander erklärte im Prooem zu diesem Buch, wie die Wissenschaft von diesen Tugenden auf die theoretische Wissenschaft folgt. [...] Das Verhältnis dieses Buches zu allen theoretischen Wissenschaften, nämlich der Vergleich der Wissenschaft von der Natur, entspricht dem Verhältnis eines Teils zum Ganzen: denn die Wissenschaften sind auf zweierlei Weise: eine wird wegen der Übung aufgezählt, wie die Mathematik, die andere wegen der Vervollkommnung, deretwegen diese ist, und dies ist die Wissenschaft von der Natur und die göttliche [Wissenschaft].
  • Averroes : Großer Kommentar zu Aristoteles‘ De anima III Abschnitt 5, S. 411f.

    Averroes über den Vorteil der Theorie der Universalität des Intellekts
    Wenn das gedachte Objekt bei mir und bei dir in jeder Hinsicht eines wäre, ergäbe sich folgende Konsequenz: Wenn ich irgendein Denkobjekt wüsste, dann wüsstest du es auch – und viele andere Unmöglichkeiten. Wenn wir aber annähmen, es [= das Gedachte] sei vieles, dann wäre die Konsequenz, dass das gedachte Objekt bei mir und bei dir der Art nach eine, dem Individuum nach aber zwei wäre. So hätte das gedachte Objekt ein [weiteres] gedachtes Objekt, und so ginge es fort bis ins Unendliche. Es wäre dann unmöglich, dass ein Schüler vom Lehrer lernt, es sei denn, das Wissen, das im Lehrer ist, sei ein Vermögen, welches das Wissen, das im Schüler ist, erzeugt und erschafft – auf die Weise wie das konkrete Feuer ein anderes ihm der Art nach ähnliches Feuer erzeugt – was unmöglich ist. [...] Wenn wir daher annehmen, das gedachte Objekt, das bei mir und bei dir ist, sei vieles in dem Subjekt, dem gemäß es wahr ist, nämlich als vorgestellte Formen, und eines in dem Subjekt, durch das es Intellekt ist (und das ist der materielle), werden diese Fragen vollkommen gelöst.
  • Thomas von Aquin: Die Einheit des Intellekts gegen die Averroisten (De unitate intellectus contra Averroistas) Vorrede und Kap. III, nr. 174, 216, 232

    Thomas von Aquin argumentiert gegen die These von der Einheit des Intellekts
    [1] Wir beabsichtigen aber zu zeigen, dass die genannte Position nicht weniger gegen die Prinzipien der Philosophie ist als gegen die Zeugnisse des Glaubens. [...]
    [2] Denn es ist klar, dass dieser einzelne Mensch denkt: Wir würden nämlich niemals über den Intellekt fragen, wenn wir nicht denken würden. Noch stellen wir, wenn wir über den Intellekt fragen, Fragen zu einem anderen Prinzip als dem, womit wir denken. [...]
    [3] Wenn also der Intellekt nichts ist, was zu dem einzelnen Menschen gehört, so dass er mit diesem wahrhaft eines ist, [...] wird es in diesem Menschen keinen Willen geben, sondern in einem separaten Intellekt. Und so wird dieser Mensch nicht Herr seines Handelns sein, und kein Akt von ihm wird lobenswert oder tadelnswert sein – und das heißt, die Prinzipien der Moralphilosophie einzureißen.
  • Thomas von Aquin: Summa theologiae I-II (Summa theologiae) I-II 18, 10 resp.

    Für Thomas ist der Zugang der Vernunft auf die Welt nichts anderes als eine komplette Neudeutung der Wirklichkeit durch die Vernunft
    [1] Weil die Natur auf eines festgelegt ist und ihr Prozess nicht ins Unendliche gehen kann, muss sie zu irgendeiner letzten Form gelangen, der die spezifische Differenz entnommen wird. [...]
    [2] Aber der Prozess der Vernunft ist nicht auf irgendetwas eines festgelegt, sondern kann, wenn irgendetwas gegeben ist, weiter voranschreiten; und daher kann das, was in einer Handlung als Umstand begriffen wird, der zum Objekt hinzukommt [...], von der ordnenden Vernunft als Hauptbedingung für das Objekt genommen werden, das die Art der Handlung festlegt.
    [3] Zum Beispiel wird ,etwas Fremdes Wegnehmen‘ [...] unter die Art ,Diebstahl‘ eingeordnet. [...] Aber weil die Vernunft auch im Hinblick auf den Ort, die Zeit und anderes Derartige ordnen kann, kommt es vor, dass eine Bedingung des Ortes im Hinblick auf ein Objekt als der Vernunftordnung entgegengesetzt begriffen wird. [...] Deswegen fügt ,etwas Fremdes von einem heiligen Ort Wegnehmen‘ einen besonderen Widerspruch zur Vernunftordnung hinzu.
  • Augustinus von Hippo: Der Gottesstaat (De civitate dei) V 9, p. 202, 21-25. 203. 30f. 204, 2-7. 26-28

    Augustinus betont mit Cicero die Wichtigkeit der menschlichen Freiheit
    Diese versucht Cicero so zu widerlegen [...], dass er bestreitet, dass es ein Vorwissen des Künftigen [...] entweder bei einem Menschen oder bei Gott gibt [...], weil nämlich alles Zukünftige dann, wenn es vorhergewusst wird, in der Ordnung kommen wird, in der vorhergewusst wird, dass es kommen wird. [...] Aber wenn das so ist, dann ist nichts in unserer Macht, und es gibt keine Entscheidung des Willens; aber wenn wir das zugeben, sagt Cicero, wird die ganze menschliche Lebensführung aufgehoben, die Gesetze werden umsonst gegeben, umsonst werden Tadel und Lob, Kritik und Ermutigung geäußert. [...] Wenn andererseits etwas in unserem Willen liegt, dann gelangt man im Zurückgang über dieselben Schritte [des Arguments] dahin, dass es kein Vorwissen des Zukünftigen gibt.
  • Abaelard, Peter: Dialog zwischen einem Juden, einem Philosophen und einem Christen (Collationes) II nr. 219-221

    Peter Abaelard erklärt die Gutheit des göttlichen Handelns in der Freiheit, die er dem Teufel lässt
    Egal, ob Gott dem Teufel gestattet, gegen die Heiligen oder gegen die Ungerechten zu wüten, es steht völlig außer Zweifel, dass er das, dessen Gestatten gut ist, nicht anders als gut gestattet, dass der Teufel aber nicht anders als schlecht dasjenige tut, dessen Getan-Werden trotzdem gut ist und eine vernünftige Ursache hat, warum es getan wird, auch wenn sie uns unbekannt ist. [...] Denn es wäre nicht gut, sie zu gestatten, wenn es nicht gut wäre, dass sie geschehen, und derjenige wäre nicht vollkommen gut, der das, dessen Geschehen nicht gut wäre, nicht verhinderte, obwohl er es könnte. Vielmehr wäre er eindeutig deswegen anzuklagen, weil er dem Geschehen von etwas zustimmte, dessen Geschehen nicht gut war. [...] Deswegen ist es auch gut, dass das Schlechte existiere oder geschehe, obwohl das Schlechte selbst keinesfalls gut ist.
  • Spinoza, Baruch de: Die Ethik, auf geometrische Weise geordnet (Ethica more geometrico ordinata ) I. Definitiones

    Baruch de Spinoza beginnt das erste Buch seiner Ethik, indem er die vorausgesetzten Definitionen und Axiome angibt
    Definitionen.
    I. Unter Ursache seiner selbst verstehe ich das, dessen Sosein die Existenz in sich schließt, oder das, dessen Natur nicht anders als existierend begriffen werden kann. [...]
    III. Unter Substanz verstehe ich das, was in sich ist und aus sich begriffen wird. [...]
    V. Unter Modus verstehe ich die Affektionen der Substanz, oder das, was in einem andern ist, wodurch man es begreift.
    VI. Unter Gott verstehe ich ein absolut unendliches Seiendes, d.h. eine Substanz, die aus unendlichen Attributen besteht, von denen jedes ein ewiges und unveränderliches Sosein ausdrückt. [...]
    VII. Dasjenige Ding heißt frei, das aus der bloßen Notwendigkeit seiner Natur da ist und allein von sich zum Handeln bestimmt wird; notwendig aber, oder vielmehr gezwungen, dasjenige, was von einem andern bestimmt wird, auf gewisse und bestimmte Weise zu existieren und zu wirken. [...]

    Axiome.
    I. Alles was ist, ist entweder in sich oder in einem andern.
  • Spinoza, Baruch de: Theologisch-politischer Traktat (Tractatus theologico-politicus) XIV, p. 165f.

    Spinoza formuliert die Grundlagen seiner Position zum Verhältnis von Philosophie und Religion
    [1] Übrig ist noch, dass ich schließlich zeige, dass zwischen Glauben bzw. Theologie und Philosophie keine Verbindung und keine Nähe besteht, was ja niemand übersehen kann, der die Zielrichtung und das Fundament dieser beiden Vermögen kennt, welche sich gewiss himmelweit unterscheiden: Die Zielrichtung der Philosophie ist nämlich nichts als die Wahrheit; die des Glaubens aber [...] nichts als Gehorsam und Frömmigkeit.
    [2] Ferner sind die Grundlagen der Philosophie die allgemeinen Begriffe, und diese müssen aus der Natur alleine gesucht werden; die des Glaubens sind aber die Erzählungen und die Sprache, und müssen allein aus der Schrift und der Offenbarung gesucht werden. [...]
    [3] Der Glaube gesteht also jedem Einzelnen die höchste Freiheit zum Philosophieren zu, so dass er ohne Verfehlung über alle beliebigen Dinge meinen kann, was immer will; und sie verurteilt die als Häretiker und Schismatiker, welche Ansichten lehren, um zur Hartnäckigkeit, zum Hass, zu Streit und zu Zorn zu raten; und im Gegenteil hält sie nur die für Gläubige, die zu Gerechtigkeit und Liebe [...] raten.
  • Spinoza, Baruch de: Theologisch-politischer Traktat (Tractatus theologico-politicus) XV, p. 166f.

    Spinoza über die beiden grundsätzlichen Irrtümer beim Vergleich von Philosophie und Glauben
    Wer also sie [die Schrift] selbst an die Philosophie anpassen will, der wird gewiss zu den Propheten vieles, woran sie nicht im Traum dachten, hinzudichten, und ihren Verstand irreführend interpretieren. Wer aber im Gegenteil die Vernunft und Philosophie zur Magd der Theologie macht, der ist gezwungen, die Vorurteile des alten Pöbels gleichsam als göttliche Dinge zuzulassen und durch sie den Verstand zu beschäftigen und blind zu machen; so wahnsinnig wird ein jeder von ihnen sein, und zwar der eine ohne Vernunft, der andere aber mit Vernunft.
  • Spinoza, Baruch de: Theologisch-politischer Traktat (Tractatus theologico-politicus) XV, Auszüge aus p. 167-170

    Spinoza bestimmt, Maimonides korrigierend, die Grenzen der Möglichkeiten der Vernunft in Bezug auf die Religion
    [1] Rabbi Jehuda Alphakar [...] will, dass wir verpflichtet sind, alles, was die Schrift behauptet oder bestreitet, als wahr zu übernehmen oder als falsch zurückzuweisen. [...] Er hätte zeigen müssen [...], dass alle Stellen, die [...] anderen widersprechen, ausgehend von der Natur der Sprache und dem Gehalt der Stelle angemessen metaphorisch erklärt werden können, und ferner, dass die Schrift unbeschädigt in unsere Hände gelangt sei. Aber [...] behauptet Moses direkt, „Gott sei Feuer“ (Dtn 4, 24), und bestreitet direkt, dass Gott irgendeine Ähnlichkeit mit sichtbaren Dingen habe (Dtn 4, 12). [...]
    [2] Deswegen haben wir sowohl diese Meinung als auch die des Maimonides zum Einsturz gebracht. [...] Denn die Kraft der Vernunft [...] erstreckt sich nicht soweit, dass sie festlegen kann, dass die Menschen allein durch Gehorsam ohne eine Einsicht in die Dinge glücklich werden können. Aber die Theologie befiehlt nichts außer [...] Gehorsam, und will weder etwas Vernunftwidriges, noch ist sie dazu befähigt. Denn die Dogmen des Glaubens [...] legt sie nur insoweit fest, wie es für den Gehorsam ausreicht. Wie diese aber genau in ihrem Wahrheitsgehalt zu verstehen sind, das festzulegen überlässt sie der Vernunft, die in Wirklichkeit das Licht des Verstandes ist.
  • Spinoza, Baruch de: Theologisch-politischer Traktat (Tractatus theologico-politicus) XVI, Auszüge aus p. 179

    Für Spinoza ist die Demokratie die eigentliche dem Naturrecht entsprechende Verfassung
    Weil wir schon gezeigt haben, dass das Naturrecht nur durch die Mächtigkeit eines Jeden festgelegt wird [...], kann ohne irgendeinen Widerspruch zum Naturrecht eine Gesellschaft gebildet und jeder Vertrag in höchstem Vertrauen immer eingehalten werden, wenn nun jeder Einzelne die ganze Mächtigkeit, die er besitzt, auf die Gesellschaft überträgt [...], der ein Jeder entweder aus freiem Geist oder aus Furcht vor der höchsten Strafe zu gehorchen verpflichtet sein wird. Das Recht einer solchen Gesellschaft wird Demokratie genannt werden.
  • Spinoza, Baruch de: Theologisch-politischer Traktat (Tractatus theologico-politicus) XX, Auszüge aus p. 231f.

    Spinoza folgert, dass dem Einzelnen im Staat größtmögliche Freiheit zukommen muss
    Hierdurch haben wir gezeigt, dass es
    1. unmöglich ist, den Menschen die Freiheit zu nehmen, das, was sie meinen, zu sagen.
    2. dass diese Freiheit, unter Wahrung des Rechts und der Autorität der höchsten Gewalten, einem jeden zugestanden und von jedem gewahrt werden kann. [...]
    3. dass ein jeder genau diese Freiheit haben kann, unter Wahrung des Friedens der Republik, und dass aus ihr keine Nachteile entstehen, die nicht leicht im Zaum gehalten werden können. [...]
    5. dass die Gesetze, die über theoretische Dinge erlassen werden, völlig nutzlos sind.
  • Spinoza, Baruch de: Die Ethik, auf geometrische Weise geordnet (Ethica more geometrico ordinata ) I, Lehrsatz 11

    Spinoza begründet die notwendige Existenz Gottes
    Lehrsatz 11. Gott oder die aus unendlichen Attributen bestehende Substanz, von denen ein jedes ewige und unendliche Wesenheit ausdrückt, existiert notwendig. [...]
    Erläuterung: Es genügt, nur dies zu bemerken, dass ich hier nicht von Dingen spreche, welche aus äußeren Ursachen entstehen, sondern allein von Substanzen, welche (nach Lehrsatz 6) von keiner äußeren Ursache hervorgebracht werden können. Denn Dinge, welche aus äußeren Ursachen entstehen [...], verdanken all das, was sie an Vollkommenheit oder Realität haben, der Kraft der äußeren Ursache. [...] Was hingegen die Substanz an Vollkommenheit hat, verdankt sie keiner äußeren Ursache. [...] Die Vollkommenheit hebt daher die Existenz eines Dinges nicht auf, sondern setzt sie vielmehr; die Unvollkommenheit aber hebt dieselbe auf, und deshalb können wir der Existenz keines Dinges gewisser sein, als der Existenz des schlechthin unendlichen oder vollkommenen Seienden, d.h. Gottes.
  • Spinoza, Baruch de: Die Ethik, auf geometrische Weise geordnet (Ethica more geometrico ordinata ) I, Lehrsatz 33

    Spinoza begründet die Notwendigkeit, die der Entstehung der Welt innewohnt
    Lehrsatz 33: Die Dinge haben auf keine andere Weise und in keiner anderen Ordnung von Gott hervorgebracht werden können, als sie hervorgebracht worden sind. [...]
    Erläuterung. [...] Ich zweifle nicht, dass viele diese Meinung als widersinnig verwerfen [...], und das aus keinem andern Grunde, als weil sie gewohnt sind, Gott eine andere Freiheit zuzuschreiben, welche von der, die wir (Definition 7) angegeben haben, weit entfernt ist, nämlich einen absoluten Willen. [...] Dass die Dinge auf keine andere Weise und in keiner andern Ordnung von Gott haben erschaffen werden können [...], wird leicht zu zeigen sein. [...] Denn sonst würde er der Unvollkommenheit und Unbeständigkeit angeklagt. Da es aber im Ewigen kein ,wann‘, kein ,vorher‘ und kein ,nachher‘ gibt, so folgt deshalb allein aus der Vollkommenheit Gottes, dass Gott nie etwas anderes beschließen könne noch je gekonnt habe. [...].
    Darum kann ich das Argument gegen sie selbst folgendermaßen zurückwenden. Alles hängt von der Macht Gottes ab. Damit sich die Dinge also anders verhalten können, müsste notwendig der Wille Gottes sich auch anders verhalten. Nun kann sich der Wille Gottes aber nicht anders verhalten (wie wir oben aus Gottes Vollkommenheit aufs Deutlichste gezeigt haben), also können sich auch die Dinge nicht anders verhalten.
  • Kant, Immanuel : Kritik der reinen Vernunft Vorrede zur 2. Auflage, B XXIXf

    Immanuel Kant erläutert, dass die kritische Leistung seiner Kritik der reinen Vernunft durchaus Raum für weitere Forschungen zur Frage lässt, die dann aber von der menschlichen Praxis ihren Ausgang nehmen müssen, welche er in der Grundlegung der Metaphysik der Sitten und der Kritik der praktischen Vernunft weiter verfolgt
    Ich kann [...] Gott, Freiheit und Unsterblichkeit zum Behuf des notwendigen praktischen Gebrauchs meiner Vernunft nicht einmal annehmen, wenn ich nicht der spekulativen Vernunft zugleich ihre Anmaßung überschwenglicher Einsichten benehmen, weil sie [...] alle praktische Erweiterung der reinen Vernunft für unmöglich erklären. Ich mußte also das Wissen aufheben, um zum Glauben Platz zu bekommen, und der Dogmatism der Metaphysik, d. i. das Vorurteil, in ihr ohne Kritik der reinen Vernunft fortzukommen, ist die wahre Quelle alles der Moralität widerstreitenden Unglaubens, der jederzeit gar sehr dogmatisch ist.
  • Kant, Immanuel : Kritik der praktischen Vernunft Vorrede. A S. 3-5

    Immanuel Kant erläutert die Leistung, welche eine Kritik der praktischen Vernunft für die gesamte Philosophie erbringen kann
    [1] Diese [...] Kritik [...] der praktischen Vernunft [...] soll bloß dartun, dass es reine praktische Vernunft gebe [...]. Wenn es ihr hiemit gelingt, so bedarf sie das reine Vermögen selbst nicht zu kritisieren, um zu sehen, ob sich die Vernunft mit einem solchen, als einer bloßen Anmaßung nicht übersteige (wie es wohl mit der spekulativen geschieht). Wenn sie, als reine Vernunft, wirklich praktisch ist, so beweiset sie ihre und ihrer Begriffe Realität durch die Tat. [...].
    [2] Mit diesem Vermögen steht auch die transzendentale Freiheit nunmehro fest [...]. Der Begriff der Freiheit, so fern dessen Realität durch ein apodiktisches Gesetz der praktischen Vernunft bewiesen ist, macht nun den Schlussstein von dem ganzen Gebäude eines Systems der reinen, selbst der spekulativen Vernunft aus, und alle andere Begriffe (die von Gott und Unsterblichkeit), welche, als bloße Ideen, in dieser ohne Haltung bleiben, [...] bekommen mit ihm und durch ihn Bestand und objektive Realität, d.i. die Möglichkeit derselben wird dadurch bewiesen, dass Freiheit wirklich ist; denn diese Idee offenbaret sich durch das moralische Gesetz.
  • Kant, Immanuel : Metaphysik der Sitten BA 43. 52

    Kant führt den Kategorischen Imperativ als alleinigen Nötigungsgrund für den guten Willen ein
    [1] Der Wille ist ein Vermögen, nur dasjenige zu wählen, was die Vernunft unabhängig von der Neigung, als praktisch notwendig, d.i. als gut, erkennt. [...] Die Vorstellung eines objektiven Prinzips, sofern es für einen Willen nötigend ist, heißt ein Gebot (der Vernunft) und die Formel des Gebots heißt Imperativ. [...]
    [2] Endlich gibt es einen Imperativ, der, ohne irgend eine andere durch ein gewisses Verhalten zu erreichende Absicht als Bedingung zum Grunde zu legen, dieses Verhalten unmittelbar gebietet. Dieser Imperativ ist kategorisch. Er betrifft nicht die Materie der Handlung und das, was aus ihr erfolgen soll, sondern die Form und das Prinzip, woraus sie selbst folgt. [...]
    [3] Der kategorische Imperativ ist [...] nur ein einziger, und zwar dieser: handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde.
  • Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph: Philosophische Untersuchungen über das Wesen der menschlichen Freiheit S. 419

    Der deutsche Idealist Friedrich Wilhelm Joseph Schelling (1775-1854), von 1798-1803 Professor an der Universität Jena, formuliert die Problematik, vor deren Hintergrund er arbeitet, anhand des Gegensatzes, der sich aus dem Vergleich von Spinoza und Kant ergibt
    Der spinozische Grundbegriff, durch das Prinzip des Idealismus vergeistigt [...], erhielt [...] eine lebendige Basis, woraus Naturphilosophie erwuchs, die [...] in Bezug auf das Ganze der Philosophie aber jederzeit nur als der eine Teil derselben [...] betrachtet wurde. [...] In [...] der Freiheit[,] wurde behauptet, finde sich der letzte potenzierende Akt, wodurch sich die ganze Natur in Empfindung, in Intelligenz, endlich in Willen verkläre.
  • Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph: Philosophische Untersuchungen über das Wesen der menschlichen Freiheit S. 422

    Als größte Herausforderung des Freiheitsdenkens sieht Schelling die Lehre vom Bösen an
    Dieses ist der Punkt der tiefsten Schwierigkeit in der ganzen Lehre von der Freiheit [...]: entweder wird ein wirkliches Böses zugegeben, so ist es unvermeidlich, das Böse in die unendliche Substanz oder den Urwillen selbst mitzusetzen, wodurch der Begriff eines allervollkommensten Wesens gänzlich zerstört wird; oder es muss auf irgendeine Weise die Realität des Bösen geleugnet werden, womit aber zugleich der reale Begriff der Freiheit verschwindet.
  • Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph: Philosophische Untersuchungen über das Wesen der menschlichen Freiheit S. 453-455

    Letztlich lässt sich das Problem der Freiheit in seinen Augen nur dadurch lösen, dass man Gutes und Böses in Gott selbst unterscheidet
    [1] Es ist uns [...] zur Erklärung des Bösen nichts gegeben außer den beiden Prinzipien in Gott. Gott als Geist [...] ist die reinste Liebe; in der Liebe aber kann nie ein Willen zum Bösen sein [...]. Aber Gott selbst, damit er sein kann, bedarf eines Grundes, nur dass dieser nicht außer ihm, sondern in ihm selbst ist [...]
    [2] Der Wille der Liebe und der Wille des Grundes sind zwei verschiedene Willen, deren jeder für sich ist [...]
    [3] Wollte nun die Liebe den Willen des Grundes zerbrechen: so würde sie gegen sich selbst streiten, mit sich selbst uneins sein, und wäre nicht mehr die Liebe. [...] Daher der Wille des Grundes gleich in der ersten Schöpfung den Eigenwillen der Kreatur mit erregt, damit, wenn nun der Geist als der Wille der Liebe aufgehe, dieser ein Widerstrebendes finde, darin er sich verwirklichen könne.
  • Duns Scotus, Johannes: Autorisierte Mitschrift der Pariser Vorlesung (Reportatio Parisiensis examinata) Buch I, 42. Distinktion, 2. Frage, Nr. 24 und 27

    Johannes Duns Scotus (1265-1308) über die Allmacht Gottes und ihre Implikationen
    [1] Ich frage: Kann Gott kraft seiner Allmacht alles Mögliche umittelbar hervorbringen?
    [2] Es sieht nicht danach aus. Dann [...] nämlich könnte Gott ein Subjekt ohne die ihm eigentümliche Eigenschaft hervorbringen; und somit könnte es ohne eigentümliche Eigenschaft existieren und gewusst werden. Infolgedessen gäbe es im Bereich des Seienden kein Wissen schlechthin. [...]
    [3] Ich antworte und sage, dass sich zwar, wenn wir den Prinzipien der Philosophen folgen, nicht halten lässt, dass Gott auf Grund seiner Allmacht unmittelbar alles Mögliche hervorbringen kann [...]. Dennoch behaupte ich, dass es sich so verhält, und zwar gemäß dem Glauben, durch welchen wir mit den Philosophen über die Prinzipien unterschiedlicher Meinung sind und infolgedessen auch über die Schlussfolgerung [...]
    [4] Wenn wir [...] von absoluten möglichen Seienden sprechen, behaupte ich, dass Gott jedwedes Absolute durch sich hervorbringen kann. [...] Notwendigerweise besitzt jedes Absolute, was real von anderem unterschieden ist, eine unterschiedene Seiendheit, die nicht von anderem wesentlich abhängt. Folglich kann es für sich sein und gemacht werden, ohne irgendeine Beziehung auf ein anderes. [...]
    [5] Wer immer weiß, dass eine absolute Eigenschaft ihrem Subjekt zukommt, weiß das zwar sicher, aber nicht immer oder allgemein. Dann nämlich würde er etwas Falsches wissen, weil die Eigenschaft nicht immer unmittelbar ihrem Subjekt als ihrer Ursache zukommt, der sie ihr Entstehen verdankt. Er weiß aber nur, dass es sich meistens so verhält, denn meistens entsteht eine Eigenschaft aus den Prinzipien ihres Subjekts aber nicht immer.